Von Wahrsagerei und simplen Zukunftsvorhersagen halte ich gar nichts, zumal die Zeit sich jeglicher Magie entzieht. Eine Divination ist daher auch eher eine Wiederspiegelung der Gegenwart, welche dem Suchenden aus einer anderen Perspektive gezeigt wird, damit er sie klarer erkennen kann. Eine solche Perspektive können zum Beispiel auch Runen sein, unter deren Aspekt die gegenwärtige Situation beleuchtet wird. Daraus können sich dann wiederum auch Trends für eine zukünftige Entwicklung ergeben, aber eine konkrete Zukunftsschau ist generell Blödsinn. Dies nur als Hinweis, daß eine ernsthafte Runendivination nichts mit Jahrmarktwahrsagerei zu tun hat und auch nicht mit solchen Dingen verwechselt werden sollte.
Runen drücken sich über Symbole aus, und die Symbolsprache ist auch die Sprache des Unterbewußtseins. So kann sich das Unbewußte über die Symbole Runen mitteilen. Wie bei jeder Divination kann das Unterbewußtsein so auf Fragen antworten oder Dinge erklären, zu denen es tief im Inneren, vom Bewußtsein unbemerkt schon eine Entscheidung getroffen oder eine Meinung gefunden hat. Verbindet sich der Magier mit dem Unbewußten eines anderen, so mag er sogar für diesen aus dessen Unterbewußtsein Antworten empfangen, doch ist es äußerst schwierig, diese von den Antworten aus dem eigenen Inneren zu unterscheiden.
Kein Gebiet der Magie ist so sehr von Scharlatanen überlaufen wie das der Weissagung. Hier werden mit ein paar simplen psychologischen Tricks, vielleicht manchmal sogar mit ein wenig Amateur-Magie, und einigen guten Sprüchen Millionen mit den Hoffnungen Ratsuchender verdient. Ein ernsthafter Magier wendet Divinationen immer nur sehr vorsichtig an und hält sich gerade mit Zukunftsprognosen besser zurück, da er weiß, daß sie nicht nur fraglich sondern auch beeinflussend sind. Ein seriöser Magier wendet eine Divination an, um Erkenntnisse über das Gegenwärtige zu erlangen oder es aus neuer Perspektive betrachten zu können. Daraus können dann Lösungen und Wege in eine mögliche (!) Zukunft abgeleitet werden, und das macht Divination so wertvoll, aber konkret in die Zukunft schauen kann niemand.
Alle guten Orakelsysteme sind eigentlich eine Trendanalyse der Gegenwart. Das Leben ist unendlich vielseitig, alles steht mit allem in Verbindung, alles beeinflußt alles andere. Daher ist es unmöglich, die tatsächlich eintretende Zukunft vorauszusehen. Eine gründliche Trendanalyse läßt zwar fundierte Schlüsse auf wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen zu, die sich auch sehr häufig tatsächlich bewahrheiten, andererseits aber ist die Zahl der Einflußfaktoren schier unbegrenzt, so daß schon die winzigste Verschiebung schwerwiegende, praktisch unvorhersehbare Folgen haben kann (Chaostheorie).
„Runen raunen rechten Rat“, heißt es in den alten Schriften, und mehr als Ratgeber sind sie auch nicht und wollen es auch nicht sein. Aber sie können sehr wertvolle Ratgeber sein, und schon immer wurde das sogenannte „Runenwerfen“ als Mittel der Ratfindung verwendet.
Runen kann man zunächst einmal dazu benutzen, um sich Klarheit über die eigene gegenwärtige Situation seines Lebens zu verschaffen. Alle Zukunft wurzelt in der Gegenwart, und so ist es sinnvoller, diese in ihrer ganzen Spannbreite zu erfassen, als kurzsichtig und sensationslüstern auf die Vorhersage und das Erkennen konkreter Zukunftsereignisse zu schauen.
Nach der überlieferten Mythologie hat Odin die Runen gefunden, als er, am windigen Baume hängend, seinen Blick für das ganzheitliche Denken nach innen lenkte. So erlangte der Asengott Weisheit. Runenorakel sind keine primitive esoterische „Zukunftsschau“. Oberstes Ziel des Suchenden muß stattdessen die Suche nach Selbsterkenntnis sein – was nur durch den Blick nach innen, wie auch Odin ihn wagte, zu bewerkstelligen ist. Nur derjenige, der Wissen über sich selbst gewonnen hat, ist fähig, den Werdegang seines eigenen Selbst im Gewesenen, Gewordenen und Angestrebten (also in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) nachzuspüren, um mögliche Fehlentwicklungen zu erkennen und zu korrigieren, bevor sie unheilbaren Schaden anrichten.
Antworten der Runen an den Fragenden – auch scheinbar negative – sind deshalb niemals unabwendbare „Urteilssprüche“, denen der Mensch hilflos ausgeliefert ist und nicht mehr entrinnen kann. Das Raunen der Runen gibt statt dessen wertvolle Hinweise auf richtiges oder falsches Verhalten des Fragenden gestern, heute oder im möglichen Morgen. Mit deren Hilfe kann er selbst die Weichen für seine persönliche Zukunft stellen, indem er eine gute Prognose durch sein Handeln unterstützt oder einer schlechten die Grundlage entzieht. So verstanden, ist ein Befragen der Runen nicht nur sinnvoll, sondern auch sachlich gerechtfertigt, weil es nichts anderem als der Selbsterziehung dient.
Das Runen-Orakel
Machen Sie sich vor dem Runen-Orakel mit den Zeichen vertraut und suchen Sie sich einen ruhigen Ort. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Frage und ziehen Sie eine oder mehrere Runen aus Ihrem Runenbeutel.
Das Odinsorakel Odins-Rune
Das Odinsorakel ist die einfachste und damit auch schnellste Art, das Orakel befragen. Sie besteht im Ziehen oder Werfen einer einzigen Rune, die einen Überblick über die Gesamtsituation vermittelt. Diese eine Rune umfaßt das Problem, die augenblickliche Zustände und die Lösung. Die Rune bringt alles auf einen Punkt, zeigt die Situation aus ihrer Perspektive. Diese Technik ist sehr einfach und eignet sich ebenso gut für den Anfänger wie für den Fortgeschrittenen.
Das Zeitachsenorakel
Beim sogenannten Zeitachsenorakel kann man die Runen nach Belieben entweder ziehen oder werfen. Es werden zu Anfang immer drei Runen verwendet. Die linke oder rechte Rune (es gibt unterschiedliche Überlieferungen, am besten legt man dies nach eigenem Gusto fest) zeigt die Vergangenheit an, die mittlere die Gegenwart und die letzte schließlich die mögliche Zukunft der Angelegenheit, um die sich die Frage dreht. Das hat den Vorteil, daß man zahlreiche Informationen über sein Anliegen erhält, die sich zudem zeitlich einordnen lassen.
Der etwas abstrakte Begriff „Vergangenheit“ kann auch interpretiert werden als „Was hat zur gegenwärtigen Situation geführt?“ Die „Gegenwart“ wird dann präzisiert zu „Wie sieht es im Augenblick mit der fraglichen Angelegenheit aus?“, und die „Zukunft“ wird zu „Welche Entwicklungen sind im Augenblick für die Zukunft wahrscheinlich wenn sich nichts Entscheidendes ändert?“
Für mythologisch Interessierte, repräsentiert dieses Dreiersystem ein überliefertes Runenorakel, welches sich an die Nornen Urd, Werdandi und Skuld wendet, die das Schicksal in drei Zeiten weben. Auch diese Nornen sind Archetypen des Inneren, und man wendet sich beim Orakel eben nicht an eine verschwommene und abstrakte, äußere, d.h. außerpersönliche Macht. Man ruft vielmehr jene runischen Kräfte an, die im eigenen Inneren wohnen, und die ein Teil dessen sind, was das gesamte Universum, im Großen wie im Kleinen, beseelt.
Sollte man noch mehr Informationen zu einem bestimmten Bereich (Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft) wünschen, kann man weitere Runen ziehen oder werfen, wobei man sich dabei immer darauf konzentriert, über welchen Bereich die Steine oder Stäbe eine Aussage machen sollen. Will man beispielsweise noch Näheres über bestimmte Tendenzen der Gegenwart wissen, zieht oder wirft man eine vierte Rune, die als sekundäre Gegenwartsauskunft gilt. Diese wirft vielleicht eine neue Frage über die Zukunft auf, so daß man noch eine Rune als sekundäre Zukunftsauskunft ermittelt usw.
Auch tertiäre Runen sind denkbar, und theoretisch könnte man auf diese Weise endlos fortfahren, doch ist es nicht sinnvoll, mehr als ca. fünf bis maximal neun Runen deuten zu wollen. Gerade am Anfang sollte man sich auf eine bis drei Runen beschränken, da die Aussagevielfalt sonst leicht zur Verwirrung führt. Selbstverständlich kann man auch mit anderen Lege- und Deutungssystemen experimentieren, wenn man zu ihnen einen Bezug hat. Phantasie und Experimentierfreudigkeit sind dabei keine Grenzen gesetzt. |
Das Drei – Runen – Orakel
Diese Orakeltechnik war laut Tacitus schon vor 2.000 Jahren in Gebrauch. Sie ähnelt der vorigen, denn auch hier werden drei Runen gezogen oder geworfen und dann blind von rechts beginnend nach links nebeneinander gelegt. Die rechtsliegende Rune zeigt die Situation an, wie sie ist. Die mittlere Rune empfiehlt eine notwendige Handlungsweise, und die linke Rune zeigt die neue Situation, die sich daraus entwickeln kann. Das Drei-Runen-Orakel führt zu recht befriedigenden Resultaten in allen Situationen, außer in extrem komplizierten.
Das Runenkreuz
Diese Art der Interpretation kann ein umfassendes Bild einer Situation und der weiteren Möglichkeiten liefern Für die Anordnung als Runenkreuz benötigt man sechs Runen, die in der Form eines keltischen Kreuzes gelegt werden. Die Reihenfolge und Ordnung der Runen ist folgendermaßen: |
1. Vergangenheit
2. Man selbst jetzt
3. Zukunft
4. Grundlage
5. Herausforderung
6. Bestmögliches Resultat |
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Die erst Rune repräsentiert die Vergangenheit, also von wo man kommt, was direkt hinter einem liegt. Die zweite Rune repräsentiert den Suchenden selbst in der Gegenwart. Die dritte Rune, die Rune der Zukunft, steht für das, was vor einem liegt, was erst noch ins Dasein kommen kann. Die vierte Rune, gibt die Grundlage der Angelegenheit an, die betrachtet wird, die unbewußten Elemente und archetypischen Kräfte, die mit im Spiel sind. Die fünfte Rune, die Rune der Herausforderung, zeigt das Wesen der Hindernisse, die auf dem Weg liegen. Die letzte, die sechste Rune, die des bestmöglichen Resultates, offenbart den optimalen Ausgang der gegenwärtigen Situation, auf den man hoffen kann.
Da das Runenkreuz einen Informationsschatz von beträchtlichem Umfang birgt, wird diese Methode oft zum Anlaß zu tieferem Nachdenken. Wer nach dem Auslegen und Deuten dieser sechs Runen noch immer keine Klarheit gewinnt, legt alle Runen wieder in den Beutel zurück und zieht noch einmal eine einzelne. Diese siebte Rune, die Rune der Lösung, wird das Wesen der Situation offenbaren.
Die Auswertung des Orakels |
Fehu Uruz Thurisaz Ansuz Raidho Kenaz Gebo Wunjo
Hagalaz Naudhiz Isa Jera Eiwaz Perthro Algiz Sowilo
Tiwaz Berkana Ehwaz Mannaz Laguz Ingwaz Dagaz Othala
Nachdem man die Runen gezogen oder geworfen hat, sollte man sich eine Weile entspannen, möglichst nicht an seine Frage denken und die Symbole in aller Ruhe auf sich einwirken lassen. Durch diese „weiche“ Vorgehensweise vermeidet man es nämlich, den Runen allzu verkrampft und begierig ihr Geheimnis entlocken zu wollen – das führt meist nur zu Fehldeutungen. Das Unbewußte, aus dessen Tiefen die eigentliche Antwort emporsteigen wird, möchte respektvoll und sanft behandelt werden.
Nun kann man noch einmal die Texte zu den entsprechenden Runen lesen und die einzelnen Abschnitte auf sich wirken lassen. Natürlich kann man bei der reinen Weissagung den Teil über die Runenmagie vernachlässigen, es sei denn, daß sich die Frage um dieses Thema dreht. Die anderen Passagen sollte man aber ausnahmslos lesen und nach jedem Abschnitt wieder eine kleine Besinnungspause einlegen. Im Abschnitt Orakelbedeutung findet man zwar die eigentliche Antwort auf seiner Frage, allerdings stellt jede Rune einen ganzen Komplex von Aussagen dar, deshalb ist es hilfreich, auch die anderen Informationen mit einzubeziehen.
Man sollte stets selbstkritisch bleiben und jede Wunschprojektion vermeiden. Am besten ist dabei ein geistiger Zustand von Objektivität, in dem man nicht begierig nur nach einer bestimmten, günstigen Antwort Ausschau hält, sondern offen und ehrlich die erhaltene Aussage annimmt und auswertet, sich zugleich bei aller inneren Gelassenheit und Unberührtheit aber auch so viel ernsthafte Mühe gibt wie nötig ist, um zu einer überzeugenden Deutung zu gelangen. Es kann sein, daß dies am Anfang ein wenig schwerfällt, doch man wird schon nach kurzem Üben merken, worauf es dabei tatsächlich ankommt.
Man beginnt möglichst mit einfachen, überschaubaren Fragen, und hebt sich die komplizierteren Anliegen für später auf, wenn man bereits über genügend Erfahrung verfügt und einem die meisten Runenbedeutungen bereits geläufig sind.
Man sollte das Runenorakel niemals in einem Zustand großer seelischer Aufregung, Zorn oder Verzweiflung befragen, denn das führt zwangsläufig zu falschen Ergebnissen. Früher war es Weissagern sogar verboten, ihre Orakel bei Gewitter, Regen oder stark bewölktem Himmel zu befragen, was sich durchaus biologisch-physiologisch erklären läßt, da der menschliche Organismus dann oft unter innerer „Hochspannung“ steht, und der Geist der Forderung nach Lösung und Mittigkeit nur mit Mühe entsprechen kann, wenn überhaupt. Wer stark wetterfühlig ist, wird wissen, was damit gemeint ist.
Man stellt durch eigene Erfahrung fest, welche Gelegenheiten am besten geeignet sind und bei welchen die Orakelbefragung nur schwer gelingt. Man darf sich auf keinen Fall unter Erfolgsdruck setzen. Lockerheit und Heiterkeit sind zwar im Umgang mit dem Runenorakel angebracht, aber ein Gesellschaftsspiel ist es eben auch nicht, denn es so zu betrachten, führt zum Verlust der natürlichen Fähigkeit, das Orakel korrekt zu handhaben und zu deuten.
Ob man sich das Runenorakel nun auf der rein psychologischen Ebene erschließt, wobei die Runen die Verkörperung archetypischer Urkräfte der Seele darstellen, die über Symbole einen Zugang zum Unbewußten ermöglichen, oder im magisch-mythischen Sinn betrachtet, indem man tiefer in die nordische Götter- und Mythenwelt eintaucht und das Orakel auf dieser Grundlage im kultischen Rahmen befragt, spielt für den Erfolg der Sache keine große Rolle.
Es bleibt letztlich eine Frage der Veranlagung, für welchen Weg man sich entscheidet. Eher religiös-kultisch gesinnte Menschen werden wohl den rituellen Rahmen bevorzugen, andere werden sich dafür im psychologischen Ansatz stärker zu Hause fühlen. Vom pragmatischen Standpunkt aus sind beide Wege gleichwertig, solange sie zum jeweils gewünschten Ergebnis führen. |
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