Wie sicher ist Europa ?

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Mut zur Identität Alternativen zum Prinzip des Gleichheit / hrsg. Von Pierre Krebs. ISBN 3-922314-79-1 © Pierre Krebs, 1988

Wir leben einen politischen Bruch: der alte Streit zwischen ,rechts’ und ,links’, die soziale Frage betreffend, verliert an Kraft. Die offiziellen Rechten und Linken begeben sich zunehmend in eine ideologische Umarmung, der die politische auf dem Fuß folgt: sie haben Gemeinsamkeiten entdeckt, was den Fortbestand der sogenannten westlichen Zivilisation betrifft, und zwar vor allem in den negativ zu bewertenden Bereichen dieser Zivilisation, in den Bereichen ihrer machtstrukturellen, besonders ihrer egalitären, ökonomistischen und universalistischen ,Werte’.

Dieses Buch will etwas dagegen tun. Die einzelnen Abhandlungen zeigen auf, daß sich eine neue Trennungslinie entwickelt, zwischen den Anhängern des Kosmopolitismus und den Verfechtern der ethnokulturellen Identität. In unserer Zeit der Entfremdung von kultureller Schöpferkraft und Tradition eines Volkes ist es unerläßlich geworden, die Wurzeln der Identität, der geistigen Selbsterhaltung und Selbstentfaltung des Einzelnen sowie der verschiedenen Lebens- und Kulturgemeinschaften zu beschreiben, ferner eine Argumentationsbasis für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Geist der Entmündigung, Auflösung und Zerstörung herzustellen.

Die neuen Streitgespräche über die Problematik der Einwanderung und der mehrrassischen, mehr- und mischkulturellen Gesellschaft, über den Verlust von kulturellem Erbe und der Tradition eines Volkes sowie über die technische Entwicklung werfen bezeichnenderweise stets als eine entscheidende Frage die nach der Identität auf. Auch die Bedrohungen auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet stehen im Mittelpunkt der Identitätsdiskussion. Im Kampf gegen die universale Mischkultur muß man die nationalen europäischen Identitäten vereinigen, sie als einander ergänzend betrachten und sie nicht gegenüberstellen. Es gilt, die nationale Identität von oben (Europa) zu ergänzen und von unten (die Region) zu verankern. Mut zur Identität verficht das Modell einer heterogenen Welt homogener Völker, und nicht umgekehrt!

Gefahren der geographischen Lage

Freiherr Jordis Heinrich von Lohausen

Freiherr Jordis Heinrich von Lohausen

Wie sicher ist Europa?

So unsicher — könnte man sagen — wie es den Gefahren seiner geographischen Lage entspricht, und so sicher, wie das Maß seiner Abschreckung es zuläßt. Die Gefahren der Lage sind unabänderlich, die erreichte Abschreckung liegt im Belieben der Europäer. Wer seine „Aggressionen“ nicht verzettelt, sondern militärischer Disziplin unterwirft, wem der Wille, sich zu behaupten, die richtigen Waffen in die Hand drückt — der hat auch an gefährdeter Stelle Aussicht, in Freiheit zu überleben.

Sicherheit ist somit zuerst eine Frage der Nachbarschaft und dann eine der dieser Nachbarschaft entsprechenden Rüstung. Bündnisse können eine solche Rüstung zwar vorübergehend ersetzen, aber nie auf die Dauer. Auf die Dauer hat jedes Land stets die Armee, die es verdient — entweder die eigene oder eine fremde. Die eigene — so meinte einmal ein finnischer Militärschriftsteller — sei besser.

Außer einer geopolitischen Antwort erheischt die gestellte Frage demnach noch eine psychologische. Beide für Europa beantworten, heißt die Stärke seiner Bedrohung in Verhältnis zu setzen zur Stärke seines Willens zu sich selbst.

Das Maß der Bedrohung läßt sich ohne Mühe von der Landkarte ablesen. Europa kann weder aus der Nähe Rußlands wegrücken noch aus der des Atlantiks. Daher stellt allein der Faktor „Lage“ eine konstante Größe im Ansatz der hier zu lösenden Gleichung dar. Europa ist nicht nur für Europäer begehrenswert. Es liegt im spitzen Winkel zwischen Mittelmeer und Atlantik, sperrt alle Zugänge der eurasischen Landmasse zu diesem Ozean und überwacht die Durchfahrt zum Indischen. Seine Sicherheit hängt daher davon ab, ob es selber Herr dieser Wege ist oder ob sie von fremden Mächten beherrscht werden.

Eine dritte Möglichkeit gibt es hier nicht. Wer immer kann, wird sich der europäischen Küsten bemächtigen und sich der Vorteile bedienen, die sie allen Nachbarn — Afrikanern, Asiaten wie Amerikanern — zu bieten haben.

Dazu kommt, daß Europa nicht nur über sein breites sarmatisches Vorfeld mit dem afroasiatischen Festland verbunden ist, sondern überdies noch durch drei Doppelbrückenköpfe (vergl. Skizze). Nebst der Ausschaltung jeder atomaren Bedrohung verlangt seine Sicherheit somit zu der jenes Vorfeldes noch die der drei Brückenköpfe — des skandinavischen, des atlantischen und des kleinasiatischen — sowie die Kontrolle des nördlichen Atlantiks, des Mittelländischen und des Roten Meeres.

Von den drei Brückenköpfen sind sowohl der nördliche, skandinavische, als auch der südöstliche, kleinasiatische, auf das schwerste bedroht, und der südwestliche, atlantische, nur noch auf der eigenen — spanischen — Seite in europäischer Hand. Mehr als ein Drittel der europäischen Halbinsel ist der Gewalt einer außerhalb beheimateten Macht unterworfen; der Rest mit goldenen Ketten an den Willen überseeischer Finanzherren gefesselt. Zu den Gefahren der Lage Europas treten hiermit noch — weit schwerer als diese — die seiner Abhängigkeit. Europa ist heute kein souveräner Subkontinent mehr.

Subkontinent der Brückenschläge

Lohausen Skizze 1

Lohausen Skizze 1

Kleinasien, Skandinavien, die britischen Inseln sowie Nordafrika nördlich des Atlas sind Fortsetzungen der europäischen Halbinsel jenseits der sie rings umgebenden Meerengen. Umgekehrt sind Spanien, das apenninische Italien und die nord- und westägäischen Länder Fortsetzungen Vorderasiens und Afrikas auf europäischem Boden.

Inmitten dieser fünf Brückenlandschaften liegt, von keiner von ihnen berührt, noch als Teil des europäischen Kernraums, aber doch als in sich geschlossenes Gebiet das süddeutsche Trapez. Zwischen Vogesen und Böhmerwald, Alpen und deutschem Mittelgebirge gelegen, wird es von den Einzugsgebieten der Oberläufe von Rhein und Donau (samt deren von der Aare bis zur Enns nordwärts zur Nordsee — nicht wie die Donau selber nach Osten, zum Schwarzen Meer drängenden Nebenflüssen) gebildete und stellt neben den drei anderen (Böhmen, Mähren und dem Donaukessel) die vierte, westlichste und zugleich innerste der vier größeren europäischen Binnenlandschaften dar.

Wiege der Weißen

Die Oberfläche der Erde zerfällt in zwei Hälften: den Stillen Ozean und den Rest. Der Rest, das sind die beiden Festländer und der Atlantik. Am Atlantik und der ihn fortsetzenden Arktis liegen — einander zugekehrt — vom La Plata bis zum Mackenzie und vom Kongo bis zum Lena die großen Stromgebiete der Erde.

Von weiten Ebenen umrahmt, ist der schmale Atlantik daher der vornehmlich die Kontinente verbindende Ozean, der Pazifik der sie trennende. Er trennt auch Weiß und Gelb, die beiden großen nach Vernichtung der indianischen nun noch allein Kultur tragenden Rassen. Bis zur gewaltsamen Öffnung der chinesischen und japanischen Häfen war die innereurasische Steppe das hauptsächliche Feld ihrer Begegnung, später die See. Ihr dramatischer Höhepunkt, schlimmer noch als alle Verheerungen Dschingis Khans: die beiden Bomben auf Hiroshima und Nagasaki.

Seit 1945 steht die schwindende, von Wohlleben angekränkelte weiße Rasse in einer dreifachen Abwehrstellung: gegen fremde Stärke im Osten (China, Japan usw.), gegen fremde Unterwanderung von Süden1 (Afrika, Mittelamerika) und gegen die zunehmenden Zweifel an sich selber.

Die größten Schlachtfelder der Unterwanderung liegen in den Bereichen der Neuen Welt. Aber auch die Russen haben den Feind nicht nur vor der Tür. Auch im eigenen Haus sehen sie sich einer in beängstigendem Ausmaß zunehmenden Zahl von Asiaten gegenüber. Beide Großraummächte des Nordens stehen insofern mit Europa in einer Front. Noch immer findet sich dort die dichteste Ansammlung weißer Menschen. Sie in der Enge der Halbinsel verkümmern zu lassen, gereicht weder Rußland zum Heil noch Amerika.

Mitte der Kontinente

Die Anlage unserer Atlanten stellt uns die Erde als eine vorwiegend westöstliche dar, als zweimalige Folge von Wasser und Land: Alte Welt, Atlantik, Neue Welt, Pazifik. Die Wege der üblichen Seefahrt unterstreichen das noch.

Man fährt rund um die Erde über Panama, Singapur, Suez, Gibraltar oder umgekehrt. Aber man fliegt über den Nordpol, und die todbringenden Kontinentalraketen sind auf den gleichen Weg eingestellt. Zeitgemäßer erscheint daher eine Darstellung der Erde mit den Polen, nicht dem Äquator als Mitte. Sie zeigt uns zwei sehr ungleiche Bilder: die nördliche Halbkugel als Schauplatz zur Arktis drängender Landmassen, die südliche als Feld um den Südpol kreisender Meere: hier extreme Landarmut, dort die Ballung der Kontinente. Alle Festländer der Erde werden nach Norden zu breiter. Dreiviertel ihrer Masse liegen nördlich des Äquators, darunter fast alle Länder der gemäßigten Zone. Nahezu die gesamte bekannte Geschichte der Erde hat sich hier abgespielt. Hier rund um die Arktis, zwischen dem 40. und dem 50. Breitengrad sitzen die Schwerpunkte irdischer Macht: Washington — Paris — Berlin — Moskau — Peking — Tokio. Nordamerika und Nordeurasien halten die Schlüssel zur übrigen Erde. Hier am äußersten Nordwestende der Alten Welt liegt als Mitte allen irdischen Festlands Nordamerika unmittelbar gegenüber die Halbinsel Europa. Trotz deren zunehmender Entmachtung ist auch die Welt von heute immer noch europazentrisch, liegen die Hauptstädte der beiden weißen Weltmächte immer noch weitab ihrer natürlichen Mitte, nämlich statt am Michigan- und am Aralsee in möglichster Nähe Europas: New York und Washington unmittelbar London und Paris, Moskau und Leningrad unmittelbar Berlin und Stockholm gegenüber. Denn nach wie vor hängt am Besitz Europas die Herrschaft über die Welt, bezeichnet die Gegend nördlich von Paris die genaue Mitte der am meisten landbedeckten Hälfte der Erdoberfläche (Skizze 2). Wie um sein Gegenbild Neuseeland die Ozeane, scharen sich um Europa die Kontinente2. Westliche Verlängerung Asiens, nördliche Afrikas und nächstes eisfreies Gegenufer zu Nordamerika, findet dieses Europa im Süden die Ergänzung der Tropen, im Westen die Partnerschaft der Neuen Welt, im Osten den fehlenden Raum. Die Möglichkeit weltweiter Vormacht ist in dieser Lage ebenso eingeschlossen wie das Absinken zum amerikanischen Brückenkopf, zur asiatischen West- oder zur afrikanischen Nordprovinz. So oder so aber, ob als Abhängige, als Freie oder Gebieter bleiben die Europäer im Brennpunkt des Weltgeschehens. Europa kann weder aus der Nähe Rußlands wegrücken noch aus der des Atlantik. Die Weltabgeschiedenheit der Südsee ist ihm verwehrt. Ein für allemal bleibt es die naturgegebene Ausmündung der nordeurasischen Ebenen, deren Tor zum Atlantik. Eine solche Lage läßt seinen Bewohnern auf die Dauer keine andere Wahl als die zwischen Unterwerfung oder weit ausstrahlender Macht.

Die Mitte der bewohnten Welt

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Europa — und innerhalb Europas Nordfrankreich — bezeichnet die Mitte der am meisten landbedeckten Erdhälfte, der Nordatlantik die kürzeste eisfreie Verbindung von Alter und Neuer Welt.
Die Europa abgewandte Seite der Welt umfaßt außer der Antarktis nur Australien, die Sundainseln, Neuseeland, Argentinien und Chile.

Dieser Macht hat sich Europa aus eigener Initiative begeben. Innerhalb einer Zeitspanne von nur dreißig Jahren haben zwei von London und Paris mitveranlaßte Kriege seiner Herrschaft ein vorzeitiges Ende bereitet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch Ansammlung von allein vier der damals insgesamt sieben Großmächte der Erde, hatte es 1914 noch alle Früchte einer Hegemonie ausgekostet, an welcher Amerika, Rußland und Japan nur als Außenseiter teilhatten. Die britische Flotte gewährleistete Europas Unangreifbarkeit über See, das deutsche Heer über Land. So lange hier ein, wenngleich unausgesprochenes deutschbritisches, besser noch deutsch-französisch-britisches Einverständnis bestand, solange die Europäer sich einander, wenn schon nicht verbanden, so doch duldeten und der Friede erhalten blieb, blieb auch jene Vorherrschaft erhalten. Unabwendbar jedoch mußte sie verlorengehen, wenn Europa die großen, raumbeherrschenden Mächte der außereuropäischen Welt in seine inneren Konflikte hineinzog. Zwangsläufig zerbrach der Erste Weltkrieg die Vorherrschaft der Europäer, der zweite ihre Unabhängigkeit. „Als sich Russen und Amerikaner im Frühjahr bei Torgau an der Elbe freudestrahlend in die Arme sanken, gab es — dem Wort eines französischen Militärschriftstellers zufolge — kein selbständiges Europa mehr“3.

Denn nicht darauf kommt es an, wer in einem Krieg auf Seiten des Siegers gestanden hat und wer nicht, sondern nur darauf, wer gestärkt aus ihm hervorging und wer geschwächt, wer unabhängig blieb und wer abhängig wurde. Die Mächte des Großraums haben ihren Krieg in Europa gewonnen, und ganz Europa und nicht nur Deutschland hat ihn verloren. Washington beerbte hier London und Moskau Berlin. Dieser Niedergang ist das Ergebnis selbstmörderischer Bündnisse. Zweimal nacheinander haben sich Frankreich und England zur Niederwerfung Deutschlands mit außereuropäischen Großraummächten — Amerika und Rußland — zusammengetan. Beim zweiten Mal antwortete Deutschland zuerst (1939) mit dem Versuch eines Nichtangriffspakts mit Rußland, dann (1942) durch einen Stahlpakt mit Japan. Alle diese Bündnisse schlugen auf Europa zurück. Als deren Folge wird die „grand fleet“ nach 1945 abgewrackt und Resteuropa zum amerikanischen Brückenkopf abgewertet. Die Bastionen an der Donau und Ostsee (Österreich und Preußen) sind geopfert, die tropischen Ergänzungsgebiete in Schwarzafrika preisgegeben und zugleich mit ihnen die Flankendeckung der Sahara. Europa als eigenständige Macht hat aufgehört zu bestehen.

Statischer und dynamischer Schwerpunkt

Wurde hier der Wille der Europäer zu Europas Schicksal, so nächst ihm seine Lage. Ein Land wie Chile etwa kann gegebenenfalls ohne Schaden aus der Weltpolitik aussteigen, ein Land in Europa nicht, kein europäisches Land kann das, am wenigsten — wie noch zu erläutern sein wird — Deutschland.

Europa — genauer das nördliche Frankreich, der Raum um Paris — bildet die geometrische Mitte der am meisten landbedeckten Hälfte der Erdoberfläche (Skizze 2). Mehr als 96 vom Hundert aller Menschen wohnen auf der europäischen Seite der Welt. Europa kann weder dieser seiner Mittellage entfliehen noch der Nähe Rußlands oder Afrikas. Es muß mit ihnen leben, ob zu seinem Nutzen oder zu seinem Schaden, liegt an ihm selber4.

Drei hintereinander gereihte Länder bilden das Rückgrat der europäischen Halbinsel: Spanien, Frankreich und Deutschland. Spanien: ihr Kopf, zugleich Torhüter des Mittelmeeres, Brücke nach Afrika und Sprungbrett über den Atlantik5.

Frankreich: ihr einziger Innenraum, Sonderfall einer keltischen Großmacht mit germanischem Namen, aber romanischer Sprache, Drehscheibe zwischen England und Italien, Spanien und Deutschland. Deutschland: ihr Zwischengelaß mit nach sieben Seiten hin offenen Türen. Koordinatenkreuz zwischen ozeanischer und kontinentaler, nordischer und mediterraner Welt.

Diese drei Länder bezeichnen die Längsachse Europas. Drei andere seine Querachse: Skandinavien, Deutschland und Italien und wieder drei andere seine Diagonalachse: England, Deutschland und die Balkanhalbinsel.

Alle drei Achsen finden ihre Fortsetzung in den natürlichen Schwerlinien benachbarter Kontinente: die europäische Längsachse beginnt in Feuerland, erreicht Europa über Brasilien und Westafrika und gelangt über Sibirien und Alaska wieder nach Feuerland. Die Querachse verbindet das Nordkap mit dem Kap der Guten Hoffnung und führt über Ostafrika, Ägypten und Griechenland wieder zum Nordkap zurück. Die Diagonalachse gelangt von Alaska über Neufundland nach Irland und führt über Vorderasien, Indien und die malaiische Inselwelt weiter bis Tasmanien. Eine vierte schließlich, die Mittelachse zwischen erster und dritter, folgt der Schwerlinie Eurasiern über die Ukraine und Innerasiens nach Korea (Skizze 3).

Es gibt sieben solcher Achsen. Vier davon berühren Europa und schneiden sich im Herzen Deutschlands. Sonst liegt kein Land an mehr als einer davon. Bezeichnet somit Frankreich die statische Mitte der irdischen Festländer, ihren genauen geometrischen Mittelpunkt, so Deutschland ihren dynamischen (Skizze 3) — ein Unterschied, der die beiden betroffenen Völker kaum weniger beeinflußt hat als die so sehr verschiedene Deutlichkeit ihrer Umgrenzung. Beides hat die Franzosen ihrer Sammlung geneigter gemacht als die gern nur zu großen Heerzügen sich zusammenfindenden Deutschen. Reicht die östliche, die russische Landschaft auch tief nach Europa herein, reicht sie hier an den Harz und die untere Elbe, so ist Rußland dennoch nicht Europa, sondern endet, wo die unförmige eurasische Landmasse in die vielgliedrige Halbinsel übergeht: an der Enge zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, zwischen Königsberg (oder Riga) und Odessa (Skizze 4).

Weltschnittpunkt Deutschland

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 radiale (europazentrische) Achsen periphere Achsen

Fünf von sieben geopolitischen Schwerlinien führen durch Europa.
Sie alle schneiden sich in Deutschland.

Europa ist ein Geschenk der See. Der Atlantik hat seine rechte Flanke geformt, das Mittelmeer seine linke. Gemeinsam, haben sie aus seiner Gestalt drei klar voneinander unterschiedene Abschnitte herausgemeißelt:

—  den vorderen bildet die Pyrenäenhalbinsel,

—  den mittleren das Gebiet von da bis zur Linie Hamburg (Lübeck) — Triest (bis zur Enge zwischen Nord — oder Ostsee und Adriatischem Meer), — den rückwärtigen der anschließende Raum bis zur Linie Königsberg-Donaumündung (bis zur nächsten Enge also, der zwischen Ostsee und Schwarzem Meer).

Die drei Abschnitte der europäischen Halbinsel

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Grenze des geschlossenen deutschen und niederländischen Siedlungsgebietes (1937)

Mittelmeer und Atlantik teilen die europäische Halbinsel in drei deutlich unterschiedene Abschnitte: Südwest, Mitte und Ost (I, II, III). Ostwärts des dritten Abschnitts verliert das Land den Charakter der Halbinsel, der hier anschließende Hals bildet den Übergang zur eurasischen Rumpflandschaft.

Hier zwischen Ostsee und Schwarzem Meer ist Europa zu Ende, hier und nicht an dem politisch wie strategisch und geschichtlich gleich bedeutungslosen Ural. Was etwa hat dieser Ural mit dem Mittelmeer zu tun? Was mit Römern und Griechen, mit Island, der Edda, den Druiden, der Gotik, der Renaissance, den spanischen und französischen Königen, der britischen Seeherrschaft, was mit Benediktinern und Dominikanern, mit Venedig und Florenz, dem österreichischen Barock und der deutschen Musik, mit Granada, Chartres und Nürnberg, mit Potsdam, Schönbrunn und Versailles? Alles das liegt 2—5000 km vom ihm entfernt; selbst der Ansatz der europäischen Halbinsel liegt immer noch ganze 2000 km von ihm ab, und doch soll er — ausgerechnet er — die Grenze Europas darstellen!

Im Rahmen der europäischen Geschichte haben diese drei Abschnitte ungleiches Gewicht. Nur der mittlere — er deckt sich fast haargenau mit dem Reich Karls des Großen — geriet (Sizilien und einige Orte der Provence ausgenommen) nie unter außereuropäische Herrschaft, weder — wie weite Teile Spaniens — unter sarazenische, noch — wie bisher noch alle Länder ostwärts der Linie Lübeck —Triest — unter die von Osten her eingebrochener Fremdvölker. Dieser Mittelabschnitt — dem jenseits des Kanals auch England, Schottland und Irland angehören — ist Schöpfer und wichtigster Träger unseres im engeren Sinne abendländischen Stils. Dessen Nährboden reicht nur noch so weit in den nächsten östlichen Abschnitt hinein wie dessen deutsche oder italienische (venezianische) Besiedlung.

Dieser dritte Abschnitt —, in seinem südlichen Teil überhaupt nicht abendländisch geprägt, sondern byzantinisch und türkisch und überall jenseits der deutschen Sprachgrenze bereits ein Bereich des Übergangs nach Vorderasien und Rußland, wurde 1945 eine Domäne des Panslawismus, ein Satellitenraum des Kreml, wenn auch nicht vollständig. Noch sind die Grenzen nicht voll begradigt, die Verbindung zwischen Nord- und Südslawen nicht hergestellt, ist der Fremdkörper Österreich nicht beseitigt, das Adriatische Meer nicht erreicht, Griechenland noch nicht unterworfen, ist die Grenze zwischen Ost und West noch nicht wieder die wie vor der Gründung der Ostmark wie vor Karl und wie vor Otto dem Großen.

Europas sechs Hauptlandschaften

Teilen dessen Küsten den europäischen Subkontinent in die eben besprochenen drei Abschnitte, so die ihn durchquerenden Gebirge dazu noch in sechs Hauptlandschaften (ohne Skandinavien und England) — darunter drei Halbinseln: die iberische, die italienische und die ägäische. Den Rumpf bilden: im Nordwesten die fränkische Kernlandschaft Europas, dann im Südosten das große Donaubecken und im Nordosten das Land südlich der Ostsee (meist etwas ungenau „Ostelbien“ genannt).

Fast jede dieser sechs Hauptlandschaften hat im Lauf der letzten fünf Jahrhunderte wenigstens zeitweise eine Großmacht getragen, die drei Landschaften des europäischen Rumpfs, z. B. die Mächte Frankreich, Österreich und Preußen (Paris, Wien und Berlin bilden das innere Dreieck der klassischen europäischen Politik, London, Petersburg und Konstantinopel das äußere).

Die sechs Hauptlandschaften der europäischen Halbinsel

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Grenze des deutschen und niederländischen Siedlungsgebiets (1937)

Meere und Gebirge teilen die europäische Halbinsel in sieben Hauptlandschaften, darunter drei Halbinseln: die ägäische, Italien und Spanien. Sie umschließen den europäischen (fränkischen) Kernraum gemeinsam mit dem Donaukessel, der ostelbischen Grenzlandschaft und dem über See gelegenen Britannien. Ostelbien und der Bereich der unteren Donau bilden das europäische Glacis.

Einige kleinere Völker — Basken, Katalanen, Tschechen, Rumänen und Bulgaren —, aber auch die Ukrainer siedeln in je zweien jener Landschaften, die großen abendländischen Völker hingegen jeweils in nur einer einzigen, die sie entweder ganz erfüllen oder wie die Franzosen wenigstens zur guten Hälfte. Nur die Deutschen allein leben in ganzen vieren, weshalb es von vornherein auch gar nicht ein Deutschland gibt, sondern — sehen wir von Südtirol ab — zumindest drei: ein westliches und rheinisches von den Alpen bis zur Nordsee mit dem Blick auf sie und auf Frankreich, danach ein vom Lauf der Donau bestimmtes in Nachbarschaft des europäischen Südostens und Südens und das dritte an Elbe, Oder und Weichsel in Richtung auf Skandinavien und Rußland.

Die Reihenfolge ihrer Aufzählung entspricht dem Gang der deutschen Geschichte. Am Rhein lag der Schwerpunkt des Reichs von den Karolingern bis zu den Hohenstaufen. Die Habsburger zogen ihn an die Donau, Preußen an die Spree. Zur Zeit entspricht jedem dieser einstigen Schwerpunkte ein eigener Staat — Österreich, die DDR und die BRD —, jeder vom anderen unabhängig, aber alle drei abhängig von Dritten.

Diese drei Landschaften stehen Rücken an Rücken und streben — wie ihre Flüsse — mehr voneinander weg als zueinander hin. Denn da, wo sie einander berühren, wo in Frankreich Paris liegt, in Italien Rom und in Spanien Madrid, hat Deutschland Wasserscheiden und Gebirge. Zwar haben die das Land mitten durchtrennenden Berge einen zentralen Kessel freigelassen: Böhmen. Und tatsächlich läßt sich Deutschland geographisch am treffendsten als „die Gebiete rund um Böhmen“ kennzeichnen.

Als klar umgrenztes Viereck thront die böhmische Zitadelle über der west—, süd- und ostdeutschen Landschaft. Hier wäre deren natürliche Mitte. Schon bald nach dem Abzug der Markomannen jedoch schleppten die Awaren hier einen slawischen Volksstamm ein. Das und seine schroffe Umgürtung gaben Böhmen nebst seiner Fähigkeit zu einen auch die zu trennen, und am Ende hat — trotz tausendjähriger Zugehörigkeit zum Deutschen Reich — diese seine trennende Rolle die einende überwogen.

So wurde Deutschland mehr als sonst irgendein Land in Europa zu einem Land vorwiegend auseinanderführender Wege.

Erdteil der Brückenschläge

Wer immer sich Europas bemächtigt, tut er es ob seiner beherrschenden Stellung am Westausgang der indoatlantischen Durchfahrt. Europa ist nicht nur Weltmitte, es ist auch Tangente zu Vorderasien und Nordafrika, ein Gebiet beinahe allseitiger Brückenschläge: zuerst am Bosporus und den Dardanellen, dann an der Straße von Sizilien, bei Gibraltar, bei Calais und nochmals im Bereich der dänischen Inseln. Tatsächlich war bis zum Aufstieg der moskowitischen Großmacht nicht die Nähe der sarmatischen Landmasse für die Geschichte der Abendländer bestimmend (und ist es für ihr alltägliches Bewußtsein auch heute noch nicht), sondern der Sog jener fünf schmalen Wasserstraßen. Dank ihnen wurde Europa trotz seiner halbinselhaften Absonderung zum Erdteil der am weitesten reichenden Kontakte (Skizze 1). Vier europäischen Halbinseln, der balkanischen, der italienischen, iberischen und jütischen, entsprechen drei auf der anderen Seite: Kleinasien, die Atlasländer und Skandinavien. Außer Jütland zeigen sie ihren Stammländern alle den Rücken. Der Balkan, die Alpen, die Pyrenäen auf der einen Seite, der Atlas, das Hochland von Armenien und im Norden die Tundren Lapplands auf der anderen bilden nicht zu übersehende Schranken. Um so deutlicher öffnen sich jene Halbinseln ihrer Gegenküste, am deutlichsten in der Ägäis und rund um die Ausgänge der Ostsee. Das Ergebnis sind vier beiderseitige, um jene Meerengen gelagerte Brückenlandschaften. Von Natur bilden Skandinavien, Kleinasien und die Atlasländer natürliche Brückenköpfe der Halbinsel Europa. Ebenso sind Spanien, Sizilien und der Balkan sowie im Norden Jütland Gegenbrückenköpfe auf europäischer Seite. Erst mit beiden jedoch, erst im Besitz auch ihrer jenseitigen Ufer erscheint Europa als vollständige zwischen Arktis und Sahara eingebettete Einheit. Drei dieser Brückenlandschaften — die skandinavisch-jütische, die spanisch-nordafrikanische und die ägäische bezeichnen zugleich die Eckpunkte eines beinahe gleichseitigen Dreiecks mit drei deutlich unterschiedenen Fronten, der mediterranen im Süden — in ihrer Mitte Italien — im Nordwesten der atlantischen — vor ihrer Mitte Britannien — und der kontinentalen im Osten. Hier, auch in der Mitte und an der gefährlichsten Einbruchsstelle liegt Deutschland. Dieses Dreieck ist die Urform Europas.

Wie das Kartenbild der europäischen Halbinsel das asiatische im verkleinerten Maß wiederholt — Vorderindien findet sich in Italien nachgebildet, der Ganges im Po, der Himalaja in den Alpen, Ceylon in Sizilien, der Kaukasus in den Pyrenäen, Vorderrußland in Frankreich, Sibirien in Norddeutschland, der Jang-tse-kiang in der Donau, Hinterindien und Indonesien in Griechenland — usw., so wiederholt sich auch die scharfe Trennung von Nord und Süd in einer unterbrochenen von Spanien bis Hinterindien durchlaufenden Folge von Hochgebirgen. Ebenso wiederholt Europa die nach Westen spitz zulaufende, nach Osten in die Breite gehende Form des eurasischen Gesamtkontinents.

Ausschließlich atlantisch in Portugal, England oder Norwegen, mediterran in Italien und Griechenland, kontinental in Schweden, Preußen und Ungarn, lebt dieses Europa bereits in Frankreich und Spanien in steter Spannung zwischen atlantischen und mediterranen Wesenszügen, in Deutschland zwischen atlantischen und kontinentalen, hier von den Südhängen der Alpen her aber auch schon von mediterranen, so daß jene Dreigesichtigkeit alles Europäischen sich sogar in manchen seiner Völker widerspiegelt. Umgekehrt hat jede Verschiebung nach der einen oder der anderen jener drei Seiten hin zwangsläufig immer auch die inneren Gewichte mit verändert. Je nach Vorwiegen der atlantischen, mittelmeerischen oder kontinentalen Interessen der Europäer, je nach der Stärke ihrer Bedrohung in Flanke oder Rücken fiel jeweils mehr Bedeutung auf die West-, Süd- oder Ostseite der Halbinsel. Jede Auseinandersetzung mit den Mächten der slawischen und turanischen Welt rückt die Gegenden an die Ostsee und Donau in den Vordergrund, jede engere Beziehung zu Nordafrika und dem Nahen Osten die Länder des Mittelmeeres, jede Bindung an überseeische Bereiche die westlichen Küstengebiete.

Nicht zufällig bestätigte erst die Ungarnschlacht auf dem Lechfeld dem deutschen König dessen Vormacht über Europa, begründeten erst die Kreuzzüge den Reichtum Venedigs, entwerteten später die spanischen und portugiesischen Entdeckungen zugleich Ostsee und Mittelmeer. Die Begegnung mit dem Osten zog Macht und Ansehen Europas lange Zeit nach Deutschland und Italien, die Erschließung Amerikas verlagerte sie an das atlantische Ufer, später stellte die Hereinnahme Rußlands in das Konzert der europäischen Mächte das Gleichgewicht wieder her, bis es die Oktoberrevolution von neuem zerbrach. In gleicher Weise zum Atlantik hin offen wie zum Mittelmeer und den Ebenen des Ostens, hat Europa in Spanien sein Sprungbrett zu Lateinamerika, in England nach den Vereinigten Staaten und Kanada, in seinen nordöstlichen Gebieten nach Rußland und Sibirien, in seinen südöstlichen zum Nahen Osten. Zugleich greift es über Gibraltar, Sizilien und Kreta nach Afrika.

In deutlicher Gegenstellung zu dieser außereuropäischen Nachbarschaft haben sich die Randmächte England, Spanien, Österreich, Preußen und Schweden entwickelt. Sie alle liegen an den Flanken und Eckpunkten der Halbinsel, zwischen ihnen das neben Frankreich noch Westdeutschland und die Niederlande mit umfassende europäische Kerngebiet (Skizze 4). Es wiederholt die Lage Europas im kleinen. Wie dieses zwischen Afrika, Nordamerika und Asien, liegt Frankreich zwischen Spanien, Großbritannien und dem östlichen Festland. Die Gunst dieser Mittellage wird verspielt, wenn die Gewichte der Macht derart über die Welt verteilt liegen, daß ihr gemeinsamer Schwerpunkt aus dem deutsch-französischen Kernraum der Halbinsel oder überhaupt aus Europa herausfällt. Das geschah für Frankreich durch den gleichzeitigen Aufstieg Preußens und Rußlands im 18. Jahrhundert, für Europa als Ganzes jedoch erst durch die Oktoberrevolution von 1918. Sie schied die weiße Welt in Ost und West und beließ ihr keine verbindende Mitte. Dort lag der politische Schwerpunkt fortan in Moskau, hier in Washington, einen gemeinsamen gab es nicht mehr. Über Nacht war Europa aus einer tragenden Mitte zur Grenze geworden.

Die kritische Ostgrenze

Unabhängigkeit erfordert Abstand. Europa hat im Westen den Atlantik, im Norden das Eismeer, im Süden den doppelten Gürtel von Mittelmeer und Sahara. Das schafft Abstand nach drei Seiten. Nach Osten fehlt solche Distanz. Jenseits der beiden Großmächte Preußen und Österreich wurde sie seinerzeit durch Polen gewährleistet, durch jenes locker gefügte großpolnisch-litauische Vielvölkerreich, jenen Gürtel feudaler Abhängigkeiten in den halb menschenleeren Gebieten zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, dem ostwärts ein zweiter noch dünner besiedelter Gürtel russischer Staaten folgte — Twer, Moskau, Nowgorod — dahinter das so gut wie unbekannte Sibirien und die turanische Steppe. Die einstige Unabhängigkeit der europäischen Halbinsel, die Freiheit ihres Handelns und ihr Aufstieg zur Weltherrschaft hatte hier ihre Voraussetzung. In Front und Flanken das Meer, im Rücken aber ein nahezu unbegrenztes, damals fast unbewohntes Land. Bis an den Rand der sogenannten „Neuzeit“ gewährte diese Nachbarschaft Europa die Vorteile einer echten Insel. Es war — bis 1241 — den Oberfällen der Steppe ausgesetzt, aber keiner Bedrängnis seitens bleibender Mächte. Die Weite und gleichzeitige Leere Rußlands deckten den Rücken. Das mußte sich ändern, wenn jene Leere eines Tages der lulle wich. Je mehr sich der gewaltige Raum zwischen Karpaten und Amur mit Menschen auffüllte, um so kompakter wurde die sich dort allmählich sammelnde Macht und um so näher schob sie sich an die Grenzen. Dann wurde aus Schutz Bedrohung, und diese Bedrohung mußte sich am Ende bis ins letzte europäische Dorf hinein auswirken. Diese Gefahr wurde durch die Hinwendung Peters des Großen zu Europa eher verschärft als beseitigt. Zwar erweiterten die folgenden 200 Jahre die europäisch bestimmte Welt bis an den Pazifik. Doch stellte sich damit für Rußland die Frage erst recht, wann aus der kleinen Halbinsel im Westen auch politisch das werden würde, was sie geographisch schon war, nämlich ein Anhängsel der sarmatischen Landmasse. Die Gegenfrage, ob diese Halbinsel — mit allen ihren Buchten, Landzungen und Gebirgen ein vergrößertes Griechenland — von sich aus in die kontinentale Breite des Ostens vordringen und sie von innen her überwinden könne, wie Alexander der Große das Perserreich überwunden hatte, diese natürliche Gegenfrage der Europäer, erhielt dreimal in 150 Jahren eine verneinende Antwort: 1709 vor Polawa, 1812 in Moskau, 1943 in Stalingrad. Diese Namen bezeichnen drei Wendepunkte der europäischen Geschichte, drei Versuche, der sich abzeichnenden Gefahr zu begegnen und die westliche Welt in die Ebenen des Ostens zu tragen und dort zu verankern. Doch hatten diese drei Versuche verschiedenes Gewicht. Nur der letzte bot allenfalls Aussicht auf einen durchschlagenden Erfolg.

Die versäumte Gelegenheit

Tatsächlich stellt der Angriff der Deutschen Wehrmacht im Juni 1941 den einzigen zur richtigen Zeit unternommenen Versuch dar, Europa durch Einbeziehen des russisch-sibirischen Raums die Unangreifbarkeit eines echten Kontinents zu verleihen, den bisher letzten und aussichtsreichsten Versuch, eine Weltmacht auf europäischer Basis zu errichten. Er scheiterte nicht am zu weit gesteckten Ziel, sondern am Konzept seiner Durchführung. Er unterschied sich in nichts von dem Napoleonischen 130 Jahre zuvor: Unterwerfen des Gegners durch Vernichten seiner Armee. Dazu aber hatte Deutschland weder Menschen, noch Treibstoff, noch Fahrzeuge genug. Als die Wehrmacht 1941 vor Moskau stand, hatte sie das ihre getan. Was fortan not tat, war nicht mehr Schlachten zu gewinnen, sondern Menschen. Es war die Vorbedingung jedes dauerhaften Erfolgs von allem Anfang an. Der große Angriff im Osten war sinnvoll nur begleitet von den Werbetrommeln einer durchdachten psychologischen Kriegführung und den Fanfaren der Befreiung. Er versprach Erfolg unter der Voraussetzung eines ihm auf dem Fuße folgenden propagandistischen Angriffs: Bilden einer russischen Gegenregierung, Auflösen der verhaßten Kolchosen und Aufteilung des Landes unter die Bauern, Einsatz des Wlassow Armee, Einsatz der estnischen, lettischen, litauischen, ukrainischen und kaukasischen Freiwilligen usw. Da all dies unterblieb, erschöpften sich die Möglichkeiten einer Kriegführung, die im gebotenen Augenblick den Übergang von einer nur militärischen zu einer wirklich umfassenden Strategie nicht fand und infolgedessen der dreifachen Überlegenheit von Raum, Zahl und Material über kurz und lang unterliegen mußte.

Die Deutschen hatten die einmalige Gelegenheit, das Recht mit der Macht, die strategische Logik mit der politischen, die Vernunft der Landkarte mit der Parole der Selbstbestimmung zu verbinden. Dennoch verzichteten sie auf die einzige Wunderwaffe, die ihnen je zur Verfügung stand. Sie verzichteten, obgleich sie gerade ihr — dem von Wilson 1918 verkündeten und 1919 verratenen Selbstbestimmungsrecht — ihre großen und unblutigen Erfolge des Jahres 1938 verdankten. Sie waren die einzigen, die sich ungescheut dafür einsetzen konnten, sie allein waren unbelastet. Die Italiener hatten Abessinien unterworfen, die Japaner Korea. Das Glück Amerikas ruhte auf der Vernichtung der roten Rasse, England und Frankreich waren die damals größten Kolonialherren der Welt. Schon 1919 hatte ihrer aller Versagen den Deutschen den Ball zugespielt. Nun waren sie die berufenen Vorkämpfer, und das Recht auf Selbstbestimmung das Mittel, die Welt aus den Angeln zu heben. Verrieten sie es, so verrieten sie damit auch sich selbst und stießen alle die vor den Kopf, die ihnen zu folgen bereit waren. Um jenes Rechts willen waren sie angetreten. Mit der bewahrten Achtung davor stand und fiel ihr Erfolg. Denn allein auf dem Vertrauen der Ostvölker in die von den Deutschen heraufzuführende bessere Ordnung, allein in der tätigen Mithilfe der ihnen anfangs zu Hunderttausenden zuströmenden Russen und Ukrainer — und nur darauf — ruhte die Aussicht, den Durchbruch der Wehrmacht in die Tiefen des Ostens zu vollenden und Deutschland und damit Europa unangreifbar zu machen.

In der umfassenden, durch keine Grenzen behinderten Begegnung von Deutschen und Slawen, in einer Verschränkung ihrer Lebensbereiche ähnlich jener der Araber und Berber in Nordafrika lag die Möglichkeit eines größeren, bis tief nach Sibirien reichenden Europas.

Gerade Deutsche und Russen hatten einander jede Ergänzung zu bieten. Rücken an Rücken waren sie unüberwindlich, „zwei Völker“, — nach Dostojewski — „bestimmt, das Angesicht der Welt zu verändern“. „Deutschland“, so schrieb er, „braucht uns zu einem engen Bündnis. Sein Feld ist die westliche Welt, uns aber überläßt es den Osten.“ Da beide Führungen versagten, die deutsche 1941, die russische vier Jahre später, blieb Europa auch weiterhin ohne den nötigen Spielraum, Kußland weiterhin ohne freien Zugang zum Ozean. Was in jenem Krieg zu brechen und zu beenden gewesen wäre, jedoch bestand weiter: die Vorherrschaft der angelsächsischen Seemächte und ihre unentwegte Einmischung in die Angelegenheiten des Festlandes. Ihre Frist wurde um Jahrzehnte verlängert.

Gerade für Rußland ergab das Zusammengehen mit ihnen keine brauchbare Lösung. Die Lösung lag im Gegenteil, im Bund mit der Halbinsel: Festland mit Festland wie auf der anderen Seite Insel mit Insel.

Die deutsch-russische Verbindung war das Gegenstück der britischamerikanischen. Zwar wurden 1945 Berlin, Prag, Budapest, Sofia gewonnen, aber Kopenhagen, Hamburg, Konstantinopel — der Durchbruch zur offenen See — blieb versperrt, der Rhein unerreicht, der Kernraum der Halbinsel intakt. Auch jetzt blieb Rußland Gefangener seines Kontinents. Die Allianz von raumbeherrschender Seemacht und raumbeherrschender Landmacht war sinnwidrig. Auf die Dauer ergaben Vorherrschaft zu Lande und Vorherrschaft zur See keine Ergänzung. Beide wollen die Küste, aber nur einer kann sie haben. Der Weg zum Atlantik führte über die Deutschen. An Seite der Seemächte vertraten diese Rußland den Weg. Als Verbündete Rußlands wurden sie zu dessen verlängertem Arm. Waren Berlin und Petersburg einig, gab es keine ihnen vergleichbare Gewalt. Sie hielten dann einerseits Europa, andererseits Asien in Schach. Ihr Zusammengehen war für Rußland sinnvoller als das mit der angelsächsischen Seemacht.

Totengräber Europas

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts war die Zeit für nutzbringende innereuropäische Kriege für immer vorbei. Das nicht rechtzeitig begriffen zu haben, war der verhängnisvolle Fehler der damaligen französischen sowie vor allem der britischen Politik. Heere und Flotten gerieten ins Schlepptau ihrer überseeischen Lieferanten. Aus guten Gründen drängten diese, erst einmal im Geschäft, auf Verlängerung ihres Kriegs bis zum spätest möglichen Zeitpunkt.

Jedes Zerwürfnis zwischen den Großmächten Europas, gleich wer zuletzt „Sieger“ blieb und wer „Besiegter“, jedes Eingreifen Amerikas auf europäischen Schlachtfeldern, gleichgültig zu wessen Gunsten, ging ausschließlich zu Lasten der beteiligten Europäer, zu Lasten ihrer Macht, ihrer Entwicklung, ihres Wohlbefindens, ihrer Freiheit und Unabhängigkeit.

„Wäret ihr Amerikaner doch 1916 zu Hause geblieben und bloß euren eigenen Geschäften nachgegangen“ — bemerkte Churchill noch im Jahr 1936 zu einem Vertreter des ,New-York Requirer’ — „dann hätten wir 1917 mit den Zentralmächten Frieden geschlossen und eine Million britischer und französischer Soldaten wären am Leben geblieben“; eine Feststellung, die Churchill dann nicht gehindert hat, der amerikanischen Politik seinerseits Tür und Tor zu öffnen, ihr wunschgemäß Gelegenheit zu einem noch weit größeren Geschäft zu geben als es das des Ersten Weltkrieges bereits gewesen war. Seinem Amtsvorgänger Chamberlain, der durch Vermeiden jedes neuerlichen Krieges das Britische Weltreich um jeden Preis vor der drohenden Auflösung retten und die diesem Reich todbringende Garantie für Polen umgehen wollte, fiel er durch beharrliches Hintreiben auf diesen Krieg unentwegt in den Rücken und erreichte damit, daß dieser Krieg, wie vom Weißen Haus schon seit langem gewollt, dann auch wirklich ausbrach. Als getreuer Statthalter Roosevelts — so nannte ihn de Gaulle — wurde er solcherart zum erfolgreichsten Totengräber nicht nur des britischen Weltreichs, sondern mit diesem auch aller anderen europäischen Reiche in Übersee und schließlich der europäischen Unabhängigkeit selbst. Erweitern durfte sich nur der russische Machtbereich und wiederum auf Kosten Europas. Dafür zahlte das russische Volk mehr als jedes andere mit Blut und mit dem Fortbestehen seiner inneren Unfreiheit. Wirkliche Gewinner gab es auch in diesem zweiten Krieg nur auf der anderen Seite des Atlantik, wurden doch auch die Herren im Kreml zu unabsichtlichen Förderern der amerikanischen Vorherrschaft. Denn aller gewaltigen Aufrüstung zum Trotz blieb Rußland auch weiterhin unfähig, die ihm zukommende Rolle zu spielen. Diese Rolle, die längst nicht mehr eine der bloßen Gewalt war, hätte nun aber wesentlich eine deutsche und europäische sein können, und erst über Berlin und Paris hinweg eine weltweite: beginnend mit der Öffnung aller Grenzen von Wladiwostok bis Lissabon und Gibraltar.

Gegensatz der Hemisphären

Geographisch ein Stück Asien, politisch Teil der westlichen Welt, bildet Europa die eigentliche Kontaktstelle der beiden Weltinseln — der amerikanischen und der afroasiatischen — und liegt damit im Spannungsfeld von ozeanischer und kontinentaler Weltmacht, die eine heule verkörpert in den Vereinigten Staaten, die andere in den UdSSR. Ihren wesenhaften Unterschied kennzeichnet die für eine weltumfassende Seeherrschaft weit vorteilhaftere Gestalt der westlichen Westinsel, erleichtert doch hier die verhältnismäßig geringe Ost-West-Ausdehnung (New York — San Franzisko 4000 Kilometer) die Beherrschung der beiderseitigen Ozeane viel eher als die mehr als doppelt so große Eurasiens (Bordeaux — Wladiwostok etwa 9000 Kilometer).

In der Neuen Welt liegen von Kanada bis Kolumbien nicht weniger als neun Staaten zugleich an zwei Ozeanen, in der Alten nur ein einziger: die Republik Südafrika.

Dieser Vorteil Amerikas wird durch die kurze Durchfahrt zwischen Nord- und Südamerika noch beträchtlich erhöht. Sie umfaßt die bloße Länge des Panamakanals, das sind 80 Kilometer, die ihr entsprechende jenseits des Atlantiks, die von Gibraltar bis Aden, das nahezu Achtzigfache, nämlich weit über 6000 Kilometer (Skizze 6).

Weltherrschaft aber ist zunächst Seeherrschaft. Ein Land gehört dem, der die Straßen beherrscht, und die Meere sind die Straßen der Welt. Daher der unabänderliche Vorsprung seebeherrschender Mächte. Als Ableger einer solchen sind die Vereinigten Staaten entstanden, als Gründung über See und entlang einer Küste. Von da aus drängten die weißen Eindringlinge die hier bisher allein ansässigen Indianer immer tiefer ins Land und ruhten nicht, ehe sich zwischen Atlantik und Pazifik kein Fleck Erde mehr fand, der noch seinen rechtmäßigen Eigentümern gehörte.

Sich ihrer zu entledigen, bedurfte es keiner berufsmäßigen Henker. Die weißen Siedler erledigten das Geschäft der Ausrottung aus eigener Initiative ebenso gründlich wie an Bibern und Büffeln. Sie erledigten es mit Pulver und Blei, Feuerwasser und fortgesetztem Vertragsbruch. Nur da und dort gab eine militärische Befriedungsaktion den Enterbten den Rest.

Die rassische Mehrheit vernichtete die rassische Minderheit und sperrte die spärlichen Überbleibsel als Museumsstücke in „Reservationen“. Für Einsprüche der Eingeborenen gab es keine Instanz. Solange der Prozeß ihrer Enteignung noch lief, fand sich zu ihrem Schutz weder Gesetz noch Richter noch Ankläger. Auch die Bekehrung zum Christentum half ihnen nicht: „Ein toter Indianer, ein guter Indianer!“ Es war der perfekteste Völkermord der Geschichte, und der lohnendste außerdem.

Bedurften sie dazu einer Rechtfertigung, brauchten sie sich nur als die Nachfolger der zwölf Stämme Israels zu bezeichnen. Der Gott des Alten Testaments gab einem Volk der eifrigen Bibelleser immer wieder das gute Gewissen, das es brauchte, um auch im planmäßigen Krieg gegen Frauen und Kinder einen ersprießlichen Beitrag zur rascheren Befriedung von ihnen begehrter oder verfemter Länder zu erblicken, gleich ob in den Prärien des amerikanischen Westens, in den Konzentrationslagern des Burenkrieges, ob in der Hungerblockade des Ersten Weltkrieges oder den Terrorangriffen des Zweiten samt den auf Hiroshima und Nagasaki geworfenen Atombomben. Standen eigene Interessen auf dem Spiel, so waren die Vorwände noch immer zur Hand.

Die beiden Weltinseln

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Reichte im 20. Jahrhundert der Name Jehovas dazu allein nicht mehr aus, waren mittlerweile andere da, ihn zu ersetzen: Geld, Fortschritt, Zivilisation, Weltfriede, Demokratie …

Hindernis Europa

Wuchsen die Vereinigten Staaten dabei von Meer zu Meer, so ihr heutiger Gegenspieler Rußland vom innersten Festland gegen dessen Ränder. Doch hat es diese Ränder, nämlich die offenen, eisfreien Ozeane, bis heute so gut wie nirgends erreicht — auch dort nicht, wo dieser Ozean von allem Anfang am nächsten lag, wo die Wege eben und die Häfen am zahlreichsten waren. Die Russen hatten nicht das Glück der Amerikaner. Nach Westen zu lag nicht halbleeres Indianerland, sondern Europa, und diesem Europa sah sich das Reich der Zaren vom Beginn seiner Entwicklung an als einem zunächst unüberwindlich scheinenden Hindernis gegenüber.

Das vermag seinen Anspruch auf Vorherrschaft jedoch nicht zu mindern: „Moskau ist das dritte Rom, und ein viertes wird es nicht geben.“ Dieses Wort eines prophetischen Mönchs fiel bereits im Jahre 1510, zweihundert Jahre vor Peter dem Großen, vierhundert Jahre vor Stalin.

Nach Osten hin führte dieser Anspruch zu einem Ritt ohnegleichen. Schon zweihundert Jahre bevor die ersten Yankees Kalifornien besetzten, standen vom Kreml entsandte Kosaken auf der anderen Seite des Pazifiks.

Als sie dort, fast 6000 Kilometer von Moskau entfernt, schon im Jahre 1639 die Fahne der Zaren aufpflanzten, hatte deren Macht am anderen Ende Eurasiens weder die Ostsee berührt noch das Schwarze Meer; sie reichte auch unmittelbar vor den Toren der Hauptstadt nur knappe 240 Kilometer über diese hinaus.

Europa war nicht Sibirien6. Es war die Mitte der Welt. An einen Völkermord nach dem amerikanischen Muster war hier nicht zu denken. Wenn überhaupt, so ließ es sich nur Schritt um Schritt in beharrlicher Ausnützung der steten Uneinigkeit seiner Völker und der oft erstaunlichen Kurzsichtigkeit seiner Regierungen unterwerfen. Das aber konnte nicht in einem oder zwei Menschenaltern geschehen. Dazu bedurfte es der Geduld von Jahrhunderten.

Rußlands Drang nach Westen

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Auf Europa kam alles an. Selbst kein Kontinent, sondern nur Teil eines solchen, gehörte es zu Rußland, wie der Kopf zum Hals und den Schultern gehört. Es war dessen natürliche Fortsetzung, seine reichgegliederten Küsten die gegebene Ergänzung der eintönigen sarmatischen Landmassen7. Vor allem aber: es war der Zugang zur Welt. Als die am meisten der See aufgeschlossene Landschaft der nördlichen Halbkugel hat es überdies — außer Australien und der Antarktis — alle Festländer der Erde rund um sich gruppiert wie die Nabe ihre Speichen (vergl. Skizze 7).

lohausen-skizze-06-legNotwendigerweise also war das Reich der Zaren, trotz seiner billigen Gewinne in Asien, in erster Linie auf Ausdehnung nach Westen hin angelegt, war immer Europa das erste und eigentliche Ziel; hier lag die zu jeder Zeit vor allen anderen maßgebende Front. Folglich dachten die Zaren auch niemals daran, mit ihrer Hauptstadt aus der unmittelbaren Nähe Europas fort, etwa hinter die Wolga oder in die Mitte ihres Reichs, an den Ob oder den Jenissei, zu übersiedeln. Und schon ihr erster Nachfolger Lenin erklärte ganz unverblümt: „Wenn die Revolution gesiegt hat, wird sie ihr Hauptquartier von Moskau nach Berlin verlegen!“

Tatsächlich gelang es der russischen Politik durch ein sich beinahe stereotyp wiederholendes Verfahren fortgesetzter Teilungen

— erst der Ukraine mit den Polen

— dann Polens mit den Deutschen

— zuletzt Deutschlands mit den Alliierten

sich zuerst an der Ostsee und dann am Schwarzen Meer festzusetzen und zugleich — immer in geschickter Zusammenarbeit mit den jeweiligen Nachbarn des Nachbarn — der Reihe nach den Dnjepr und die Düna, den Njemen und die Weichsel zu überschreiten und schließlich sogar die Oder und die Elbe.

So, von Strom zu Strom vorgehend, engte sie den Lebensbereich der Europäer mehr und mehr ein. Rußland gewann an Boden, Europa verlor und verlor schließlich so viel, daß seine Selbstbehauptung heute ernsthaft in Frage gestellt ist. Was diese Selbstbehauptung vorläufig noch und nur teilweise Moskau gegenüber ermöglicht, ist zur Zeit allein der Rückhalt der Vereinigten Staaten. Und das auch nur um einen unerhörten hohen Preis. Dem zuvorzukommen, war der moskowitische Vormarsch zu langsam gewesen.

Das Straßenkreuz der Erde

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 Europa bezeichnet die Mitte der vier Kontinente Asien, Afrika, Nord- und Südamerika. Es liegt im Schnittpunkt der kürzesten die Alte mit der Neuen Welt verbindenden Land- und Seeverkehrswege.

 

 

 

 

 

Die russische Dampfwalze (1667 — 1945)

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In 280 Jahren näherte sich der moskowitische Machtbereich dem Westen Europas um volle 2200 km oder4 5 der Entfernung Moskau — Paris. Es fehlen bis dahin nur noch 580 km, nach Hamburg nur noch 50, nach Istanbul 150. Rußland hat sich bis auf Sturmentfernung an die Nordsee und an das Mittelmeer herangeschoben.

Vorteil der Seeherrschaft

Während die Amerikaner in ihrem dem russischen vergleichbaren Drang nach Westen bereits im Jahre 1854 über die ganze Breite des Pazifik hinweg die Öffnung der japanischen Häfen erzwangen, während sie 1898 auf den Philippinen landeten, 1945 auf Korea und den japanischen Hauptinseln und später in Vietnam, benötigten die Russen für die Strecke von Moskau bis Thüringen immerhin volle 300 Jahre, und was sie auf diesem Weg erreichten, erreichten sie stets dank europäischer Hilfe oder zuletzt der der Amerikaner. Führten diese ihre Kriege mit ihren Schiffen, ihrer Stahlindustrie und ihren Konserven, so die Europäer und Russen mit ihren Menschen. Daher der Unterschied der Verluste.

Die beiden Weltkriege brachten die Amerikaner um den Preis von nur 287.000 Gefallenen an den Rand der Weltherrschaft; von den Russen forderten sie das Opfer von vielen Millionen Toten! Folgerichtig rüstet die Sowjetunion seit 1945 zu Wasser wie kein anderer Staat. Aber Schiffe brauchen Häfen, brauchen sie vor allem im eigenen Land und mit eigenen Bahnen und Straßen und Werkstätten im Rücken, und brauchen sie da, wo keine fremde Macht sie blockieren kann. Murmansk allein genügt nicht.

Insofern keineswegs, bleiben doch die Ostsee und das Schwarze Meer im Kriegsfall so lange blockiert, als nicht außer Kopenhagen, dem Bosporus und den Dardanellen auch noch Gibraltar, der Suezkanal und Aden verläßlich in russischer Hand sind.

Das heißt: Rußland müßte über ganz Skandinavien und Westeuropa, über alle Küsten des Mittelländischen und des Roten Meeres gebieten, um seestrategisch in der gleichen Lage zu sein wie die Vereinigten Staaten dank ihrer Herrschaft über den Panamakanal und ihre eigene atlantische Küste.

Immerhin — jene 1800 Kilometer von Moskau zur Wartburg waren bereits vier Fünftel des Weges Moskau — Paris. Rechts und links dieser Linie steht man knapp vor dem Ziel: 50 Kilometer vor Hamburg, 130 Kilometer vor Kopenhagen, 370 Kilometer vor Rotterdam, 150 Kilometer vor Istanbul und den Dardanellen und 80 Kilometer vor Saloniki.

Schild und Schwert Europas

Während Rußland auf seinem Marsch von der Moskwa zur Werra zur Weltmacht aufstieg, sanken von den vier einstigen Großmächten Europas die beiden westlichen — England und Frankreich — zur Bedeutung großer Kleinstaaten herab, die östlichen, Preußen und das Kaisertum Österreich, blieben überhaupt auf der Strecke. Mit diesen beiden aber war das schwerste Hindernis bereits bewältigt; mit ihren drei Vorwerken Ostpreußen, Schlesien und Siebenbürgen und der dahinterliegenden Naturfestung Böhmen hatten die beiden deutschen Großmächte nach Osten hin die einzig verläßliche Deckung Europas gebildet. Es bedurfte zweier Weltkriege und der Anstrengungen nahezu der gesamten übrigen Welt, um hier Schild und Schwert des Abendlandes eins nach dem anderen zu zerstören und der moskowitischen Macht den Weg in das Innere der europäischen Halbinsel freizuschlagen.

Der Gefangene seines Kontinents 1978

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M — Murmansk
W — Wladiwostok

Mit dem geglückten Umsturz in Kabul bringt das Jahr 1978 dem russischen Großreich den schon von den Zaren erhofften Einbruch auf das Hochland von Iran. Rußland gewinnt 700 km nach Süden, nähert sich dem Indischen Ozean auf 430 km und schiebt sich auch zwischen die indisch-ostasiatische und die europäische Welt. Von den 4700 km von der Mündung des Ob bis zum Indischen Ozean sind zu dieser Zeit nur noch jene letzten 430 nicht in seiner Hand.
Noch fehlt mit ihnen der dringend benötigte Hafen, fehlt die ersehnte Entlastung \im Wladiwostok, Sewastopol und Murmansk, fehlt der von den im Indischen Ozean operierenden Roten Flotten schwer entbehrbare Rückhalt an einem nahe gelegenen, der Heimat über Land verbundenen Stützpunkt.

Waren jene Mächte und mit ihnen der ghibellinische Reichsgedanke erst gestürzt, ging es auf dem europäischen Festland nicht mehr um Staaten, sondern nur noch um die Substanz, um die Völker. Staaten lassen sich „umfunktionieren“. Wer Europa erobern wollte, durfte ihr Eigengewicht keinesfalls schmälern. Sie — nicht die Völker — waren stets ein Hindernis jeder europäischen Einigung. Wohlweislich hat Stalin die Staaten Europas und ihre Grenzen untereinander — außer den deutschen — nicht angetastet, Breschnew im Moskauer Vertrag ihre „Unantastbarkeit“ ausdrücklich gefordert. Wozu sie beseitigen? Je mehr ungerechte Grenzen, desto besser. Europa strotzt davon genauso wie Afrika. In ihnen liegen die bereits vorgefertigten Käfige. Der Kampf geht nicht gegen sie, er geht gegen die eigentlichen Träger Europas, gegen das Selbstbewußtsein der Völker und ihrer Eliten. Diese Eliten aber waren nicht an den Bestand von Staaten, sondern von Nationen geknüpft, an ein geistiges Erbe, nicht an die es verwaltenden Apparate.

Die ethnographische Bastion

Bis zum Zweiten Weltkrieg war das Vordringen des russischen Imperiums in den Formen, wie sie in einer Gesellschaft seßhafter Nationen üblich sind, vor sich gegangen. Man überfiel, teilte, besetzte und unterwarf fremde Länder, man zwang die Unterworfenen unter das eigene Gesetz, aber man beließ sie im Besitz ihrer Heimat. Die Staatsgrenzen verschoben sich wieder und wieder, die Volksgrenzen aber blieben, wo sie immer gewesen waren. Man vertrieb die Könige und ihre Soldaten, nicht die Bauern und Bürger.

So war es, bis Stalin in Teheran und Jalta die Vertreibung der Ost- und Sudetendeutschen verlangte. Wahrscheinlich wurde keinem seiner Partner bewußt, worum es dabei in Wirklichkeit ging. Stalin indessen sah sehr wohl voraus, welche Steine er aus dem Gefüge Europas herausbrechen mußte, um am Ende das Ganze zu Fall zu bringen.

Schild und Schwert Europas

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In neuerer Zeit wurde Europa nach Osten hin durch zwei Großmächte gedeckt: Osterreich und Preußen; dieses in entscheidender Lage auf dem geraden Weg von Moskau nach Paris, Österreich als dessen Flankendeckung hinter den Karpaten. Die Skizze zeigt die Grenzen von 1772.

Im Laufe der Jahrhunderte hatte das abendländische Europa ein System einander gegenseitig sich abstützender Bastionen vor seine einzige Landfront gelegt. In den Flanken weit nach vorne gestaffelt, in der Mute — wie zum Auffangen eines aus dem Schoß der asiatischen Steppen vorgetragenen Angriffs — etwas zurückgenommen, zogen sich diese vorgeschobenen Stellungen des nichtslawischen Westens vom damals schwedischen Finnland über die nördlichen Gründungen des deutschen Ordens bis zu seiner südlichsten in Siebenbürgen. In der Mitte lag, über Pommern die Brücke zum Westen bildend, das Ordensland Preußen, weiter südlich, bereits etwas zurückgezogen und mit dem Rücken angelehnt an die böhmische Reichsmitte, das deutsche Schlesien, dann noch weiter südlich, bereits am Rande der Alpen, Siebenbürgen und den Karpaten gegenüber: die Ostmark. An der Ostsee unterbaut von den lückenlos aufeinanderfolgenden Lebensräumen der Finnen, Esten, Letten und Litauer, im Bereich der Donau von denen der Ungarn und Rumänen, hielten diese von Schweden und Deutschen vorgetriebenen Stellungen 700 Jahre lang jedem Vorstoß aus der Tiefe des slawischen Raums gegen die westlich der Elbe gelegenen Kerngebiete des Abendlandes stand und verhinderten bis zu den ersten Teilungen Polens jede Hereinnahme der west- und südslawischen Völker in den allrussischen Staatsverband. In russischer Sicht bildeten diese beiden einander flankierenden Ketten nichtslawischer Völker und die sie stützenden und zugleich verbindenden Siedlungsgebiete der ost- und südostdeutschen Stämme ein zusammenhängendes System fremder Brückenköpfe auf sarmatischer Erde, allein durch ihre Anordnung auf dem Globus bestimmt, die Ansprüche der Zaren in Schach zu halten (Skizze 8).

Der Sturz der Bastion

Andererseits brachte es gerade diese Anordnung mit sich, daß es notfalls genügte, allein zwei dieser Brückenköpfe zu beseitigen, um die nach Osten gekehrten Speerspitzen des ozeanischen Europa in eine das innerste Europa bedrohende Ausfallstellung des Kreml zu verwandeln.

Man brauchte nur zuerst Ostpreußen mit Pommern und sodann Schlesien mitsamt dem Sudetenland aus diesem Zusammenhang herauszureißen und deren deutsche Bevölkerung durch eine slawische zu ersetzen.

Tat man das, so lösten die beiden Klammern, die Polen und Tschechen von Norden und Süden her an das abendländische Europa gefesselt hatten, ihren Griff; die Brücke zum Baltikum brach ein, und Esten, Letten und Litauer standen allein auf verlorenem Posten. Außerdem beraubte man die Deutschen ihrer Kornkammern und der Hälfte ihrer Küsten, drückte sie in ihrer Masse gegen die französische Grenze und preßte das schon überfüllte Europa dabei um weitere 600 Kilometer zusammen.

Die drei Zangen

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Bis 1945 bewachten die beiden einander wie Eckpfeiler eines Torbogens gegenüberliegenden Völkerarmee der Nordostdeutschen, Litauer, Letten, Esten und Finnen auf der einen Seite und der Südostdeutschen, Ungarn und Rumänen auf der anderen die Ostseeeinfahrt nach Europa. Die Deutschen hatten zwischen Niederösterreich und Schlesien die Tschechen, zwischen Schlesien und Ostpreußen dir Polen in der Zange, gemeinsam mit den anderen genannten Völkern aber außerdem  noch die Gesamtheit der nach Westen drängenden Slawen. Durch die Vertreibung der Ostdeutschen wird der nördliche   lohausen-skizze-11-legVölkerarm  abgebrochen, die baltischen Völker werden vom Westen abgesprengt, die drei Zangen beseitigt. Der Weg nach Europa ist frei

Die drei Zangen

Dafür saß man selbst — nun mit der Oder und Neiße (statt früher nur der Memel) als sicherem Rückhalt — in der vom Feind gesäuberten böhmischen Zitadelle, westlicher bereits als Wien und Berlin, nach Norden zu auf gleicher Höhe mit Skandinavien, nach Süden mit dem adriatischen Meer.

Den bisher nie überwundenen Wall der Karpaten hatte man dort längst hinter sich, und vor sich, als letzte noch zu durchmessende Etappe, den Rest, den eigentlichen Kernraum der Europäer vom Main zu den Pyrenäen. Alles das war erreicht mit zwei kurzen Strichen auf der Landkarte: Oder-Neiße und Kamm des Böhmerwalds.

Man hat den Europäern genommen, wovon sie am wenigsten besaßen, von ihrem Raum und ihrer Bewegungsfreiheit; wollen sie es selbst auch nicht wahrhaben, je mehr die Zeit fortschreitet, um so mehr kommt es auf das an, was sie so leichterhand preisgegeben hatten. Die Erde ist knapp geworden, nicht nur der Boden unter den Füßen der Menschen, auch das trinkbare Wasser und der Sauerstoff in der Luft. Nur wer von alldem noch im Überfluß hat, hat Aussicht, in Zukunft zu bestehen.

Das Recht auf Vertreibung

Auch Stalins Strategie Churchill und Roosevelt gegenüber entsprach den Regeln des „Go“. Was er auf den Konferenzen von Teheran und Jalta scheinbar nur den Deutschen entzog, entzog er in Wirklichkeit bereits seinen Partnern. Indes sie voll Eifer die alte Partie des Zweiten Weltkriegs immer noch weiterspielten, hatte er längst eine neue gegen sie selbst eröffnet. Allein die Maßnahme der Vertreibung beeinträchtigte, ohne daß sie dessen gewahr wurden, empfindlich die Stellung der ozeanischen Mächte.

Zu ihren Lasten zerstörte sie das ethnographische Gleichgewicht auf der europäischen Halbinsel und unterhöhlte zugleich ihre Stellung auf der moralischen Ebene, mußten sie doch — auf die entschädigungslose Aussiedlung von mehr als 15 Millionen feindlicher Bürger festgelegt — offen jene Menschenrechte verleugnen, für die allein die beiden Weltkriege zu führen sie ausdrücklich vorgegeben hatten.

Gegen den Sinn jeder, auch ihrer eigenen Justiz zwang Stalin sie, einen bestimmten, allein nach strategischen Gesichtspunkten ausgewählten Teil der Deutschen für die Niederlage aller büßen zu lassen, wozu er sich eigens ein Recht außerhalb jedes bisherigen Kriegs- und Völkerrechts zusprechen ließ — eben das Recht auf Vertreibung. Womit er wiederum — ähnliche Maßnahmen künftiger Sieger bewußt präjudizierend — alles über den Haufen warf, was auf diesem Subkontinent bislang als Recht der Sieger gegolten hatte. Indem er dort ein bisher im großen Stil nur den Indianern angetanes Unrecht in die Rechtsordnung nunmehr auch der europäischen Völker einführte, nahm Stalin ihnen die Sicherheit ihres Daseins und setzte an ihre Stelle die Angst.

Mag der einzelne solche Gedanken auch noch so erfolgreich verdrängen, seit 1945 weiß jeder Europäer, daß ihm gegebenenfalls alles genommen werden kann, auch der Fleck Erde, von dem er lebt und auf dein er und die Seinen geboren wurden.

Das Erzeugen unterschwelliger Angst, das sogenannte „Verunsichern“ des Gegners, ist eine der wichtigsten Vorsorgen jeder psychologischen Kriegführung. Neben allem, was es sonst noch bezweckte, war das Vertreiben der Deutschen aus ihren östlichen und südöstlichen Siedlungsgebieten sowie die Begleitumstände, unter denen diese Vertreibung erfolgte — auch die Grausamkeit ist eine Waffe! — ein Stück fernwirkender psychologischer Kriegführung.

Mit ihrer Hinnahme seitens der Europäer und ihrer Anerkennung als einer völkerrechtlich zulässigen Maßnahme erlitt nicht nur ganz Europa eine Schlappe, weit gewaltiger als die vor Pultawa (1709), an der Beresina (1812) oder bei Stalingrad (1943), sondern auch der ganze sogenannte freie Westen. Die Quittung hat der Kreml noch nicht überreicht. Er wird es tun, wenn die Zeit ihm gekommen erscheint.

Die falsche Karte

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Wie sehr jedoch die Maßnahme der Vertreibung auch dazu eignen mochte, die moralische Plattform der künftigen Gegner im voraus schon zu erschüttern, ihren unmittelbaren Zweck, das Eindringen Rußlands in die europäische Halbinsel durch Vorschieben der westslawischen Völker zu beschleunigen, hat sie nicht erfüllt. Die Begünstigung des Panslawismus erwies sich als Fehlspekulation. Hatte Stalin die Schlüsselstellung der beiden Länder Ostpreußen und Schlesien im osteuropäischen Völkermosaik nur zu deutlich erkannt, die wichtigere lohausen-skizze-12-leg Gesamtdeutschlands hatte er dafür jedoch übersehen und sodann — in eigenwilliger Abweichung von den Lehren Lenins — im entscheidenden Augenblick weit mehr als einseitiger Verfechter des Slawentums gehandelt denn als international denkender Kommunist. Tatsächlich erwiesen sich in der Folgezeit weder Polen noch die CSSR als musterhafte Satelliten, sondern — außer Bulgarien — einzig und allein die „Deutsche Demokratische Republik“. Chruschtschow hat Stalin später seines Irrtums wegen heftig getadelt und ihm vorgeworfen, er habe „die Deutschen nicht verstanden“. Aber nun war das Unglück bereits geschehen. Nicht die den Alliierten verbliebenen Teile Deutschlands hatte man durch die Vertreibung geschädigt — im Gegenteil: die Vertriebenen lieferten dort die fehlenden Arbeitskräfte —, sondern die eigene sowjetisch besetzte Zone. Wurde diese dann trotzdem, mit ihren nur 17 Millionen Menschen, ohne Marshallplanhilfe und ungeachtet aller zwangsweisen Aderlässe, durch nichts als die bloße Tüchtigkeit ihrer Bewohner zur immerhin neunten Industriemacht der Erde, so war unschwer zu berechnen, welche wirtschaftliche Bedeutung sie für Moskau erlangt hätte, wären ihr die deutschen Ost- und Sudetengebiete mit ihren abermals 16 Millionen Menschen, mit ihren Kohlengruben, Industrien und landwirtschaftlichen Überschüssen nicht geraubt worden, ganz zu schweigen von der politischen Stoßkraft eines solchen auf den doppelten Umfang der heutigen DDR vergrößerten kommunistischen Deutschlands! „Wer Deutschland hat, hat Europa“, hatte Lenin unzweideutig erklärt. Deutschland ist die Drehscheibe Europas, Eingang und Durchgang mit Türen nach allen Seiten. Nur mußte es mit den Deutschen gewonnen werden, und nicht gegen sie. Man hat es als Hitlers Verhängnis gewertet, Rußland ohne die Russen erobern zu wollen. So beging nun Stalin den gleichen Fehler gegenüber Deutschland. Rußland verlor darüber mindestens 40 Jahre auf dem Weg zum Atlantik.

Die halbierte DDR

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Die Vertreibung der Ost- und Sudetendeutschen beraubte die DDR mehr als der Hälfte ihrer Bevölkerung. Zum Nachteil der sowjetischen Deutschlandpolitik verhinderte sie die Bindung eines der BRD an wirtschaftlichem und politischem Gewicht von vornherein ebenbürtigen Satelliten.

Großraum Nordeurasien

Alle handfeste Gefahr für Europa droht zunächst immer noch von Kußland, danach erst im Gegenschlag von Amerika. Worum es zu Zeilen Peters des Großen schon ging und heute noch geht, ist — oberhalb aller sonstigen Gegensätze — der Ausgleich von kontinentaler und ozeanischer Macht. Die Europäer haben die Küsten, die Russen das Hinterland. Erst ihre Vereinigung ergibt, was sich für Amerika seit langem von selbst versteht: der geeinte Großraum von Ozean zu Ozean.

Es hieß einmal, entweder müsse Europa Rußland erobern oder Rußland Europa, es würde nicht Friede sein, ehe nicht das eine oder das andere gelungen sei. Dennoch wäre den Gesetzen des Raums auch Genüge getan, einigten sich die beiden über eine gemeinsame Herrschaft. Immer aber teilt der Starke nur mit dem Starken. Zu solcher Zusammenarbeit bedürfte es ebenbürtiger Mächte, und ebenbürtig wird nur, wer offensichtlich nicht überwunden werden kann. Die Voraussetzung weltpolitischer Freundschaft ist die zugestandene Aussichtslosigkeit gegenseitiger Unterwerfung.

Meist muß solche Einsicht dem Partner erst abgezwungen werden. Rußland hat das bisher dreimal vermocht: 1709, 1813 und 1943, Europa erst einmal: 1914 — 1917. Das Jahr 1917 bezeichnet den einzigen Großangriff, den Rußland je von sich aus gegen Europa gewagt hat. Es hat sich dabei weit überfordert. Trotz aller entlastenden Angriffe seiner Verbündeten führte seine überaus verlustreiche Offensive schon 1917 zum völligen, sowohl militärischen als auch politischen Zusammenbruch.

Die Nachfolger des letzten Zaren dürften dessen Fehler kaum wiederholen wollen. Sie werden ein vollgerüstetes Europa nicht angreifen, trotz aller Trümpfe nicht, die sie — dank westlichen Ungeschicks — heute in Händen halten. 1914 konnte das Bismarck-Reich und sein donauländischer Verbündeter den gewaltigen Ansturm aus dem Osten noch gewissermaßen mit der linken Hand abwehren.

Europas Gegenstück im Süden Europas

Durch richtige Politik in der Dritten Welt müßte Europa heute in der Lage sein, jedem Versuch zuvorzukommen, es durch Entzug dort lagernder, für die europäische Wirtschaft und Verteidigung unentbehrlicher Rohstoffe noch erpreßbarer zu machen, als es ohnehin bereits ist. Solche Erpressung droht von Seiten beider Weltmächte. Sie droht insbesondere von dem Augenblick an, da es diesen gelingt, sich mittels einer mehr oder minder einvernehmlich betriebenen, auch vom Weltkirchenrat abgesegneten Anti-Apartheidpolitik sowie durch den über sie erhofften Sturz der weißen Herrschaft endgültig in den Besitz aller südafrikanischen Rohstoffe zu setzen.

Manhattan neidet den Weißen Südafrikas die aus dem Abbau dieser Rohstoffe erzielbaren Gewinne, der Kreml hauptsächlich die strategische Bedeutung. Südafrika ist Europas Gegenstück auf der südlichen Erdhälfte und zugleich dessen Achillesferse, schon wegen des ihm über die Kaproute zugeführten Öls.

Noch läßt die Politik der Europäer jede Andeutung vermissen, daß sie sich ihrer unabänderlichen Schicksalsgemeinschaft mit den Weißen

Südafrikas auch nur einigermaßen bewußt wären. So wie es sich heute darbietet, Staat um Staat jeweils nur auf die nächsten Wahlen hinlebend, ist Europa im großen und ganzen eher ein Faktor der Unsicherheit als der Sicherheit und beinahe ein Raum der Verlegenheit für die es bevormundenden Weltmächte.

Anders ein Europa, das unabhängig nach beiden Seiten, dank eigener zielbewußt eingesetzter Kraft auch Deckung gäbe nach beiden. Als dritte Weltmacht vermöchte es im Bündnis mit einer vierten in Ostasien die 1945 erstarrten Fronten aufzulösen und der zuvor in Jalta begründeten unseligen Weltordnung von heute ein Ende zu setzen. Die Frage, ob Europa es überleben wird, ist so gut wie eins mit der, ob es sich von fremden Einflüssen freimachen kann. Nur ein freies Europa hat begründete Aussicht, zu überleben. Die Zeit drängt, das dazu Notwendige zu tun.

Gegebenenfalls kann uns Amerika vor den Panzern des Kreml schützen, nicht aber der Kreml vor den Bomben der sich grollend zurückziehenden Amerikaner. Schutz gegen beides bietet nur eigene Macht. Ohne sie läuft Europa Gefahr, im Feuer seiner Verbündeten zu verglühen.

Vielleicht steift diese Aussicht den Europäern den Rücken. Europa ist so sicher, wie es selbst will.


Anmerkungen

1 Beides von Europa aus gesehen. Für Australien, Südafrika z. T. auch Amerika gelten entgegengesetzte Richtungen.
2 Nur Australien, Neuguinea, Chile, Argentinien sowie die menschenleere Arktis finden sich auf der neuseeländischen Seite der Welt, alles andere auf der europäischen.
3 Otto Mischke, Kapitulation ohne Krieg.
4 Darüber mehr im Aufsatz des Verfassers in den Deutschen Annalen 1972: Wie sicher ist Europa?
5 Spanien und Portugal bilden raumpolitisch eine Einheit ebenso wie die Niederlande — aber auch Polen — mit Deutschland oder Kanada mit den Vereinigten Staaten, Persien mit Afghanistan, Pakistan mit Indien usw.
6 Die Ostausdehnung des moskowitischen Reichs übertraf die nach Westen hin damals um mehr als das Zwanzigfache. Sie beträgt heute immerhin noch das Dreieinhalbfache. Das vom Kreml beherrschte Gebiet müßte nach Südwesten bis über Dakar hinausreichen und im Süden bis Dar-es-Salam, um der Entfernung von Moskau bis Kamtschatka die Waage zu halten und die russische Hauptstadt in die Mitte ihres Reichs zu bringen.
7 Um das Verständnis der hier entwickelten Gedankengänge zu erleichtern, sei ausdrücklich festgestellt, daß der Begriff „Europa“ in meiner Studie nicht im Sinn landläufiger Schulgeographie verwendet werden kann. Dieser landläufige Begriff — Europa ein eigener Kontinent, seine Grenze der Ural — widerspricht der Wirklichkeit in so ziemlich jeder denkbaren Hinsicht. Weder ist Europa — wie z. B. Australien oder die Antarktis — für sich allein ein eigener Kontinent, sondern ähnlich Indien oder der arabischen Halbinsel nur ein Subkontinent der afroeurasischen Doppelinsel, noch liegen seine Grenzen im Ural. Sie liegen dort, wo in den Engen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer die nordasiatischen Festlandmassen ihren kontinentalen Charakter verlieren und an ihrer Stelle den einer durch vorwiegend ozeanische Einflüsse geprägten Halbinsel annehmen. Da die Natur den Eingängen zu dieser Halbinsel jedoch jene unzweideutigen Schranken verweigert, die sie dem indischen in Gestalt des Himalaja und dem arabischen in der des armenischen Hochlandes gewährt, wird in der hindernislosen Übergangszone östlich der Ostsee und der Karpaten jede genaue Abgrenzung aus einer bloßen Frage der Geographie zu einer solchen der Politik, womit sich auch jeder Versuch erübrigt, die hier aufeinanderstoßenden Begriffe Asien, Europa und Rußland noch länger statisch begreifen zu wollen. Europa und Asien sind Richtungsbegriffe. Jede Kraft, die im nordeurasischen Spannungsfeld von West nach Ost dringt — also auch die der Russen im Fernen Osten — ist in diesem Sinn „europäisch“, jede die von Ost nach West vorstößt — also wiederum die Russen und selbst die von ihnen vorgeschobenen Westslawen — asiatisch. Die Besetzung von Port Arthur und die Gründung von Wladiwostok trug insofern Europa nach dem Fernen Osten, die Vertreibung der Ost- und Sudetendeutschen dafür Asien — das Asien des Dschingis Khan — nach Europa.
Abschaffung der weißen Rasse in Europa.Die Transformation und Vernichtung der arischen Rasse Erst wer es durchschaut hat., hat richtig das Spiel des Guten und des Bösen durchgeschaut und kann sich drüber erheben. Die Wahrheit kommt ans Licht  Die Lüge weiß, dass ich sie enttarnt habe, denn ich … Weiterlesen
ergänzend: Volkstod und Ausrottung nicht nur in Deutschland, sondern in ganz EUROPA!

Bilanz eines siebenjährigen metapolitischen Kampfes

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Mut zur Identität Alternativen zum Prinzip des Gleichheit / hrsg. Von Pierre Krebs. ISBN 3-922314-79-1 © Pierre Krebs, 1988

Wir leben einen politischen Bruch: der alte Streit zwischen ,rechts’ und ,links’, die soziale Frage betreffend, verliert an Kraft. Die offiziellen Rechten und Linken begeben sich zunehmend in eine ideologische Umarmung, der die politische auf dem Fuß folgt: sie haben Gemeinsamkeiten entdeckt, was den Fortbestand der sogenannten westlichen Zivilisation betrifft, und zwar vor allem in den negativ zu bewertenden Bereichen dieser Zivilisation, in den Bereichen ihrer machtstrukturellen, besonders ihrer egalitären, ökonomistischen und universalistischen ,Werte’.

Dieses Buch will etwas dagegen tun. Die einzelnen Abhandlungen zeigen auf, daß sich eine neue Trennungslinie entwickelt, zwischen den Anhängern des Kosmopolitismus und den Verfechtern der ethnokulturellen Identität. In unserer Zeit der Entfremdung von kultureller Schöpferkraft und Tradition eines Volkes ist es unerläßlich geworden, die Wurzeln der Identität, der geistigen Selbsterhaltung und Selbstentfaltung des Einzelnen sowie der verschiedenen Lebens- und Kulturgemeinschaften zu beschreiben, ferner eine Argumentationsbasis für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Geist der Entmündigung, Auflösung und Zerstörung herzustellen.

Die neuen Streitgespräche über die Problematik der Einwanderung und der mehrrassischen, mehr- und mischkulturellen Gesellschaft, über den Verlust von kulturellem Erbe und der Tradition eines Volkes sowie über die technische Entwicklung werfen bezeichnenderweise stets als eine entscheidende Frage die nach der Identität auf. Auch die Bedrohungen auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet stehen im Mittelpunkt der Identitätsdiskussion. Im Kampf gegen die universale Mischkultur muß man die nationalen europäischen Identitäten vereinigen, sie als einander ergänzend betrachten und sie nicht gegenüberstellen. Es gilt, die nationale Identität von oben (Europa) zu ergänzen und von unten (die Region) zu verankern. Mut zur Identität verficht das Modell einer heterogenen Welt homogener Völker, und nicht umgekehrt!

Die Neue Schule des europäischen Denkens

Aufeinanderprallen der Werte

Pierre Krebs

Pierre Krebs

Unsere Epoche steckt in der Krise. Doch Krisen selbst stellen an sich nichts Neues dar: die Welt steckt nämlich in der Krise, seitdem sie Welt ist. Die Krise ist das elementare Gesetz des Lebens. Wenn die Krise als Herausforderung wahrgenommen wird, spornt sie die Tatkraft an, statt sie einzudämmen, aktiviert den Unternehmungsgeist, statt ihn zu neutralisieren. Allerdings wird die Krise heutzutage nicht mehr als Herausforderung, sondern als Fatalität wahrgenommen; als ein Status quo, der unabwendbar auf dem Weltgeschehen lastet. Die Dialektik scheint umgepolt: früher ordnete sich der Mensch in bezug auf die Herausforderung ein, die ihm die Krise stellte. Mit anderen Worten: der Mensch bestimmte sich selbst hinsichtlich der möglichen Veränderungen, die seine Einwirkung auf die Krise hervorrufen könnte. Er bestimmte sich selbst hinsichtlich der Überwindung der Krise, also in bezug auf die Welt, die nach der Krise entstehen würde. Dagegen scheint sich der Mensch heutzutage in bezug auf den Krisenzustand zu definieren; das heißt, er sucht nach angemessenen Mitteln, um sich in der Krise zurechtzufinden, statt sie zu beherrschen und zu überwinden. Gestern fand der Mensch in der Krise den Grund seiner Handlungen, seines Einsatzes, seines Willens zur Macht und Selbstbehauptung. Die Krise verpflichtete sozusagen das Schicksal des Menschen, sofern sie ihn zur Re-Aktion zwang und ihn Werte schaffen ließ, aus denen ein neues Schicksal erwachsen konnte. Demgegenüber findet der heutige Mensch anscheinend in der Krise den Grund für seine Passivität, seine Lossagung, seine Resignation. Hierin liegt der grundsätzliche Unterschied. Aber auch die Natur und der Ausgang der Krise haben sich verändert: Zum ersten Male haben wir nämlich das egalitäre Zeitalter betreten, das auf allen Kulturebenen, auf allen Achsen des Denkens, in allen Teilen dieser Welt gepflegt wird. Zum ersten Male hat die egalitäre Bewegung weltweites Ausmaß angenommen. Sie bedroht unmittelbar die Identität der Völker der Erde. Gleichzeitig hat die nach Sicherheit lechzende Gesellschaft der letzten Menschen (vgl. Nietzsche) erstmals das Wagnis vor aller Welt geächtet. Deshalb kann der Mensch in der Krise nur noch die irrsinnige Matrix, den Mutterboden all seiner Niederlagen und Entsagungen, all seiner Anpassungen und Niederträchtigkeiten wahrnehmen. Darin gründet ohne Zweifel die egalitäre bürgerliche Gesellschaftsform, welche Macht gegen Sicherheit tauscht, Sensibilität gegen Vernunft, Einsatz (das heißt Glauben) gegen Planung (das heißt Gesetz).

Nichts entbehrt der Mensch, der aus sich selbst lebt

Dennoch: Wer hat diese Umwertung hervorgerufen, wenn nicht der Mensch? Wer hat diese Resignation hervorgerufen, wenn nicht der Mensch? Wer hat diesen Defätismus hervorgerufen, wenn nicht der Mensch? Woraus sind die Probleme hervorgegangen, aus denen die Krise entstanden ist, wenn nicht aus dem Menschen? So lange der Mensch an die Unabwendbarkeit dieser Fatalität zu glauben gewillt ist, so lange wird er Objekt und Gegenstand der Krise bleiben, außerstande, seine Identität wieder einzuwurzeln, unfähig, in seiner organischen Zugehörigkeit die Kraft zur Bekämpfung des Universalismus zu schöpfen. So lange er die aufrechterhaltende Sicherheit dem erhöhenden Wagnis vorzieht, die mechanisierende Rationalität der aktivierenden Sensibilität, die einebnende Anpassung dem personalisierenden Einsatz, so lange wird er der ‚demobilisierte’, dennoch ausgebeutete Mensch einer auf Nutzen, Verbrauch und Rentabilität aufgebauten Gesellschaft bleiben. Demgegenüber: Er braucht nur daran zu glauben, daß diese Fatalität keine ist, daß der Universalismus nicht unwiderruflich, der kommerzielle Liberalismus nicht unabänderlich sind, um das wiederzuschöpfen, was zu keiner Zeit seiner Herrschaft und seinem Maß entgangen ist; ganz einfach, weil dem Menschen, der ohne Fremdbestimmung aus sich selbst lebt, nichts entgeht.

Wir rufen zum Kulturkampf auf

In diesem Sinne ruft unsere Neue Schule zum Kulturkampf auf, das heißt zum totalen Angriff der lebendigen Kräfte unserer Ideen gegen alle totalitären Erscheinungen der Gleichheitslehre, des Kraken, der den sanften, unsichtbaren, geruchlosen Tod im Namen des Humanitarismus und des Glücks bringt; dieses Kraken, der seine Tentakel genauso vermehrt wie ein bösartiges Gewebe seine Metastasen; des Kraken, der die Völker von innen anfrißt, indem er ihre Seele gegen die trügerische Sicherheit des materiellen einseitigen Wohlstands, ihre Macht gegen die entfremdende Sicherheit der Entpolitisierung und der Lossagung eintauscht. Unsere Neue Schule ruft zum Kulturkampf auf, denn das Jahr 2000 als Angelpunkt zweier Jahrtausende wird zweifelsohne auch Wegscheide zweier Weltanschauungen sein: Universalismus oder Ethnopluralismus, Gleichheitslehre oder Differenzierungslehre, die Abfindung mit dem Nivellierungsprozeß oder das Recht auf Verschiedenheit.

Auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert wollen wir ein neues Zeitalter der Werte und der Kultur ankündigen.

Wir appellieren an den Mut zum Wagnis

Widerstand bedeutet also heute die Neubestimmung der Ideen zur Wiederentdeckung der Werte, bedeutet Bewaffnen des Intellekts zur Mobilisierung des Bewußtseins, erweist sich als Organisierung der Erkenntnisse und Wiederaufrüstung des Willens. Widerstand in diesem Sinne heißt Europa zu einer größeren Macht verhelfen, damit es morgen ein noch größeres Schicksal bestreiten kann1. Die Welt wird von Ideen verändert; zumindest von denjenigen, die eine mythische Verankerung erhielten und von Denkern getragen werden, die zugleich Kämpfer und Gesandte zu sein vermögen. Die Geschichte der Ideen offenbart, daß die gesamte Geschichte Europas von einem Aufeinanderprallen der Werte, von einem ,Krieg der Götter’, von einer Auseinandersetzung zwischen vorrückendem christianomorphem Bewußtsein und heidnischer Psyche geprägt wird. Bis Nietzsche waren sich die Europäer dieses ‚metaphysischen’ Krieges nur unvollständig bewußt geworden. Das Thule-Seminar als Neue Schule der europäischen Kultur ist dazu berufen — in enger Zusammenarbeit mit allen Denkzirkeln in Europa, die sich für die Neue Kultur einsetzen —, jenseits der veralteten Schubladen (mögen sie nun den Stempel der Sozialdemokratie, des Liberalismus, Kommunismus, Judäo-Christentums oder des American Way of Life tragen) die sich bildenden Gemeinden der ,Antikosmopoliten’ und ,Antimondialisten’ aufzunehmen, d. h. all diejenigen, die links und rechts die kulturelle Zersetzung und rassische Auflösung Europas ablehnen. Es handelt sich um den historischen Kampf für die Wiederherstellung einer gemeinsamen Heimat: das kommende Europa.

Kampfgeist

Eine revolutionäre Bewegung geht aus der Vereinigung einer Idee, eines Willens, einer Strategie sowie einer Verpflichtung hervor. Denn ohne Ideen, die sich innerhalb einer die Welt, das Leben und die Menschen umfassenden Anschauung bewegen, gibt es keine Alternative;

ohne den Willen zur Tat und zum Engagement — mit der Verantwortung und den Opfern, die ein solcher Wille bedingt — kann es keine Revolution geben;

ohne Strategie, die diese Ideen wirkungsvoll einsetzt und verbreitet, gibt es keinerlei Eroberung.

Diese Notwendigkeit erkannte Lenin, als er sagte: „Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Aktion.“

Aufmerksame Beobachter unserer Aktivitäten, scharfsinnige Kritiker unserer Weltanschauung benutzten bei ihren zahlreichen Versuchen, das Thule-Seminar zu definieren, gelegentlich den Ausdruck ‚Laboratorium der Ideen’. Dieser Ausdruck ist nicht eindeutig. Er trifft zu, vorausgesetzt, daß man das ,Laboratorium’ in eine lebendige, unsere Ideen vertretende Gemeinschaft (die wachsende Zahl unserer Mitglieder, Sympathisanten und Leser) eingepflanzt sieht und daß man den uns tragenden Ideen die einzige Dimension zuerkennt, die sie legitimiert, den revolutionären Schmelztiegel nämlich, in dem sie Form annehmen und innerhalb dessen sie sich durchsetzen. Nikolai Grundtvig äußerte die Überzeugung: „Wir wollen keine Gelehrten hervorbringen, sondern lebendige Menschen, die eine ausschlaggebende Rolle im großen Befreiungskampf der Völker spielen können.“ Julien Freund erinnert im gleichen Zusammenhang: „Die Ideen werden erst dann zu Werten, wenn sie von der Erfahrung, vom Leben der Menschen bestätigt werden. Ob wir es wollen oder nicht, die Geschichte lehrt uns, daß die Gesellschaft keine bloße Anhäufung einzelner Lebensvorgänge ist, sondern ein Beziehungsgewebe, das Kett- und Schußfäden, das heißt hierarchische und egalitäre Beziehungen aufweist. Wenn die Kettfäden einmal gerissen sind, haben die Schußfäden keinen Halt mehr und der Stoff franst aus. Ohne Rangordnung zerfällt das Wertgefüge, eine dekadente Gesellschaft gleicht einem ausgefransten Gewebe. Um aus dem Verfall herauszukommen, müssen wir die Kunst der Politik wiederentdecken, die Platon als den „Beruf des edlen Webers“ bezeichnete.“2

Pierre Vial weist seinerseits immer wieder auf eine der größten Lehren der Geschichte hin, man müsse nämlich zunächst die Idee säen, um dann aus Taten ernten zu können. Die Idee ist vorrangig. „Die großen Umwälzungen der Geschichte wurden von Intellektuellen vorbereitet, das heißt von Menschen, die sich berufen fühlten, zu denken und dieses Denken auch zu verbreiten; die eigene Gedankenwelt und ihre Verbreitung galten ihnen als selbstverständlich. ,Ohne Marx kein Lenin’ ist mithin eine logische Aussage … Es erübrigt sich deshalb besonders zu betonen, daß unsere Aufgabe im Bereich der Ideen liegt — wohlverstanden als Grundlage der daraus folgenden Tat.“ Schon die Geschichte der Kirche bestärkt uns in dieser Ansicht: „Wer über Ideen spöttelt oder an ihrer Wirkkraft zweifelt, sollte folgendes bedenken: Mit ihrer ,großen Weisheit’ erkannte die Kirche (zu einer Zeit, da sie erst eine unbedeutende Gemeinschaft innerhalb des Römischen Reiches bildete), daß sie zunächst die Köpfe für sich gewinnen müßte, um eines Tages die gesamte Gesellschaft in die Hand zu bekommen und sie nach ihren Auffassungen gestalten zu können. Die Kirche war sich des ausschlaggebenden Einflusses der Ideen dermaßen bewußt, daß sie sich für tausend Jahre die ausschließliche Vorherrschaft im geistigen Leben sicherte.“3

Somit ist dieses ,Laboratorium’ weder aseptisch in seinen Absichten (einer kulturellen Umwälzung) noch neutral in seinen Zielen (einer politischen Wiedergeburt). Ein engagiertes ‚Laboratorium’ mit zweckgebundenen Ideen: diese Definition beschreibt das Thule-Seminar sicherlich am treffendsten.

Sowohl in unseren Publikationen als auch anläßlich unserer Vorträge und Seminare betonen wir immer wieder, daß unsere Weltanschauung mehr als eine Ideologie ist: Sie entspricht einem Gebäude grundlegender Werte, die seit Jahrtausenden in den europäischen Völkern lebendig sind. Wir, die sich für sie einsetzen, sind heute eine Minderheit. Sollten wir, und alle, die verwandten Sinnes sind, keinen Erfolg haben, käme die geschichtliche Wirksamkeit der europäischen Völker zum Erliegen. Folglich ist der Einsatz, um den es geht, von historischer Bedeutung in der augenblicklichen Gesellschaft.

Wir entstammen den Völkern der Ilias und der Edda, nicht denen der Bibel; wenn sich diese Erkenntnis endlich durchsetzt, werden entscheidende Wandlungen eintreten. Historiker sind sich nämlich immer mehr darüber einig, daß das Aufblühen der europäischen Kultur auf allen Ebenen nicht wegen, sondern trotz des Christentums erfolgte. Die Einführung der christlichen Weltanschauung scheiterte lange am selbstbewußten Widerstand der heidnischen Völker. Nur durch eine langwierige Synkretismusarbeit, die ihre volle Tragweite erst zu Beginn der Neuzeit erlangte, konnte sich die monotheistische Heilslehre durchsetzen, indem sie die heidnische Wesensart z. T. bis zur Unkenntlichkeit entstellte. Tatsächlich schadete der jüdisch-christliche Egalitarismus der Dynamik und der historischen Kraft Europas grundlegend, vor allem durch seine Verweltlichung, die hauptsächlich in der Reformation und Gegenreformation, der englischen Revolution im 18. Jahrhundert, dem Marxismus und Liberalismus im 19. und 20. Jahrhundert erfolgte. Die Linke und die Rechte gehören zu diesem ideologischen Komplex. Wir setzen uns für die Wiedereinführung des europäischen Heidentums, für die Belebung der europäischen Werte ein, die nach einem langwierigen Prozeß der Unterwanderung von den Inhalten des Judenchristentums und seines weltlichen Erben, des egalitären Individualismus, verdrängt wurden.

Unsere Neue Schule steht über der Rechten und der Linken, denn unser Gegensatz zum Egalitarismus ist radikal und umfassend. Wir wollen etwas grundsätzlich Anderes, wir verfolgen ein ganz unterschiedliches Lebensziel. Bei den Sozialdemokraten, den Liberalen, den Kommunisten, den Christlich-Sozialen bezieht sich der Zwiespalt lediglich auf die Art der anzuwendenden, gesellschaftlich wirkungsvollen Mittel (die Praxis), das gleiche (universalistische, individualistische usw.) Vorhaben auszuführen und der gleichen Weltdeutung zu gehorchen — selbst wenn ihre Formulierung je nach „Familie“ abweicht. Wir haben mit den anderen Denkfamilien in bezug auf die Werte, d. h. auf das Wesentliche, nichts gemein. Wir sind anders.

Unsere Neue Schule wendet sich an alle Menschen unseres Volkes, weil sie — nach den Worten des italienischen Theoretikers Antonio Romualdi — „das Bewußtsein Europas“ verkörpert ist, das Bewußtsein seiner Einheit und die intellektuelle, geistige, ethische Waffe, die ihm zur Wiedereroberung seiner Unabhängigkeit verhelfen wird. Die vieltausendjährige europäische Kultur wurzelt in einem einzigen Volk, das in seinen Hauptzügen homogen, in seinen Erscheinungsformen aber äußerst mannigfaltig ist. Die Bevölkerungen lateinischen, hellenischen, hispanischen, germanischen, skandinavischen, keltischen und slawischen Ursprungs sind alle Erben ein und derselben anthropologischen, kulturellen und linguistischen Wurzel, wie die moderne historische Ethnographie es nachweist. Diese ,Wurzel’ stammt aus der Verschmelzung eines sogenannten ‚indoeuropäischen’ Volkes mit lokalen, anthropologisch verwandten Bevölkerungen, die damals auf dem europäischen Boden verteilt waren. Die Indoeuropäer — so genannt, weil sie sich vom äußersten Ende Europas bis zum indischen Subkontinent niederließen — gaben allen europäischen Völkern ihre Sinnesart, ihre Kultur, ihre Sprache. Die europäischen Völker besitzen seit Anbeginn ihrer Geschichte das gleiche kulturelle, sprachliche und anthropologische Fundament. Die sehr früh aufgekommenen Differenzierungen entsprechen vergleichsweise ebenso vielen melodischen Linien in der gleichen Sinfonie, ebenso vielen Gestalten in der gleichen Freske. Die römischen und die skandinavischen Götter sind nahe verwandt. Die griechische und die deutsche Sprache drücken jede auf ihre Weise eine ähnliche Geistesart aus, und zwar mit syntaktischen und lexikalen Strukturen, die auch den lateinischen und slawischen Sprachen eigen sind. Die Mannigfaltigkeit in der Einheit, die Vielzahl an Göttern und Werten innerhalb des gleichen Sakralen bilden den Angelpunkt des indoeuropäischen Erbes.

Unsere Weltanschauung widersetzt sich also nicht einer Ideologie der gegenwärtigen geistigen Landschaft, sondern allen. Sie verfolgt dabei drei Hauptziele:

1. Eine intellektuelle Erklärung der Welt, des Menschen, der Gesellschaft, der Geschichte zu liefern, die unseren Werten und unserer Arbeitsweise entspricht, wobei diese vollständiger, zusammenhängender, umfassender ist als die der bestehenden Ideologien. Es handelt sich nicht um ein Dogma, sondern um ein offenes, sich ständig entwickelndes System. Darin unterscheiden wir uns von den Marxisten, den Liberalen oder den Christen. Wir wollen den Vorteil eines weltdeutenden Schlüssels haben, ohne auf den Dogmatismus oder die Flucht aus der Wirklichkeit angewiesen zu sein.

2. Unser theoretisches Gebäude ist mit einer Veranschaulichung unserer Werte gleichzusetzen, die ihrerseits nur teilweise rational begründbar sind. Unsere Werte bleiben unveränderbar, auch wenn sich unsere Ideen wandeln; denn die Ideen sind taktische, stets zu verbessernde Mittel, um die Werte zu verwirklichen. Ausgangspunkt unserer Weltsicht ist die Anerkennung der tatsächlichen Lebensgrundlagen, so wie die Beobachtung, der gesunde Menschenverstand oder die Naturwissenschaften sie uns vor Augen führen: die überströmende Kraft des Lebendigen, sein vom Schicksal bedingtes, durch Gefahr geprägtes Wesen, das in offener und verdeckter Rangordnung wirkt, die ihm innewohnende, auf Entwicklung zielende Bewegung, die Krisen und Gleichgewichtsstörungen, die ihm Anlaß sind, Standfestigkeit zu entwickeln, das ständige Werden und Ringen, dem es seine Entstehung verdankt.

3. Unser ideologischer Standort macht uns die Aufgabe leichter, da wir einem Wertsystem folgen, das sich den herkömmlichen Trennungen in Linke und Rechte, Wissenschaft und Natur, Biologismus und Kulturalismus usw. entzieht. Wir treten beispielsweise zugleich für die technische Modernität und für die Verwurzelung ein, für den privaten wirtschaftlichen Unternehmungsgeist und für die Vorrangstellung der politischen Hoheitsgewalt gegenüber der Ökonomie.4

Die verschiedenen Erscheinungsformen
eines mißratenen Weltbildes

Getragen wird die Gleichheitslehre u.a. von dem Judäo-Christentum, dem Neomarxismus, der Frankfurter Schule, dem Freudo-Christentum, dem Neofeminismus à la Kate Millet, der Ideologie der Menschenrechte, dem Liberalkapitalismus und dem American Way of Life, der Bauhaus-Architektur, der informellen Kunst, den philosophischen Theorien des Individualismus, den politischen Theorien des Staats als ‚Nachtwächter’, den pädagogischen Theorien des Behaviorismus, den Theorien des universalistischen Humanismus, den moralisierenden Hirngespinsten des ,Weltbewußtseins’, den juristischen Theorien des Naturrechts, den angleichenden völkermörderischen Theorien. Die differentiale Weltanschauung, auf die wir uns berufen, ist ,älter’: sie gründet in der psychischen, kulturellen und historischen Typologie der ursprünglichen indoeuropäischen Völker.

Aber die differentiale Weltanschauung ist auch ‚jünger’, nämlich dort, wo sie sich auf die modernen naturwissenschaftlichen Errungenschaften stützt: auf die Erkenntnisse der Bevölkerungsgenetik bis zu denen der Chromogenetik, der Zellularbiologie des Hirns und der Ethologie, oder auch dort, wo sie sich auf die philosophischen oder ethischen Überlegungen stützt, die die Geschichte des menschlichen Denkens abstecken: von Plato bis Konfuzius, von der nominalistischen Philosophie bis zum Mystizismus eines Meister Eckhart, von Nietzsche bis Heidegger, oder aber auf die soziobiologischen Betrachtungen eines Max Weber, eines Pareto, eines Carl Schmitt oder eines Schelsky.

Die Gleichheitslehre bietet eine reduktionistische Weltanschauung: die Völker, die in der Panmixie untergehen, werden auf das utopische Standardmodell einer möglichst homogenen Menschheit reduziert. Dieser Reduktionismus führt zugleich zu einer einengenden Auffassung des in Natur und Leben eingezeichneten Pluralismus: die Kulturen müssen eingeebnet, die Unterschiede geglättet werden; kurzum: die Verschiedenheit wird auf den Index gesetzt. Wir sind der Überzeugung, daß diese Sicht pathologisch ist, sofern sie den Polymorphismus (sprich die Vielgestaltigkeit) der Natur, das wesentliche Stauden des Lebens auf allen Stufen und in allen Ordnungen anficht. Wenn nämlich alles allem gleicht, gibt es kein Oben und kein Unten mehr, keine Motivation für das Obere, keinen Widerstand gegen das Untere. Der Schwache und der Starke, der Dummkopf und der Gescheite, der Profitmacher und der Fleißige, der Feige und der Mutige haben nun den gleichen Wert, oder vielmehr das eine erklärt das andere für nichtig. Der egalitäre Diskurs hält somit die Natur in der Abstraktion gefangen, die Kultur in der Entfremdung, das Leben im Dogma, den Menschen im Individuum und in der individualisierten Menschenmasse, das Volk in der Menschheit.

Im Gegensatz zum Egalitarismus leitet die Differenzierungslehre den Ursprung des Menschen weder vom Monogenismus (Einmaligkeit der Schöpfung) noch vom Monotheismus (Einmaligkeit Gottes) her. Sie schafft keine Trennung zwischen seiner ethnischen und seiner metaphysischen Abstammung. Sie schafft keinen Bruch — weder auf der Ebene der Herkunft noch auf der des Werdens: Der Mensch entwickelt sich in der Kultur, die er hervorbringt. Die Differenzierungslehre definiert die Zukunft des Menschen nicht jenseits seiner Herkunft, sondern von seinen Wurzeln her. Demnach ist die Gleichheitslehre eine Lehre des Bruches. Die Differenzierungslehre dagegen zielt auf eine Verkettung ab: sie nimmt nämlich die biologische, historische und kulturelle Matrix des Menschen in Betracht, d. h. überhaupt seine organische Dimension, die sich auf kein Dogma reduzieren läßt, weil sie von den biokulturellen Fakten nicht zu trennen ist. Die Kultur verabsolutiert ja schon deshalb das Anderssein, weil es auf dieser Welt kein kulturelles Bezugssystem für die gesamte Menschheit gibt. Die Kulturen sind Ausdruck des Seelenlebens der Völker, der stärkste eindeutigste Beweis für deren unterschiedliches Genie und die beste Gewähr für ihre Fähigkeit, die Geschichte fortzusetzen5.

Der polytheistischen Weltsicht völlig entgegengesetzt, gründen alle aus dem monotheistischen Dualismus abgeleiteten Ideologien in Wertvorstellungen, die den Anspruch des Absoluten, Universalen und Endgültigen erheben. Aus diesen Quellen entspringen folgerichtig politische Willkür, Intoleranz und Totalitarismus. Sie bedingen eine Entwertung der Heimat, der Verwurzelungen, der Gemeinschaften, der Selbstbestimmung.

Außerhalb der Verkettung Dualismus-Rationalismus ist der Egalitarismus in der Praxis undenkbar. Jacques Marlaud erkennt in diesem Zusammenhang, daß die dem europäischen Geist zwei Jahrtausende lang eingetrichterte rationalistische Idee „auf einem Dualismus beruht: zwischen einem rationalen Prinzip, einer organisierenden Überwelt (dem logos), und der Welt, unserer als vorübergehender Unordnung aufgefaßten existentiellen Welt, die der logos beherrscht, lenkt und eventuell mit Hilfe der Moral (der logos vermenschlicht durch die erlösende Sünde) in seine Mitte wiederaufnehmen wird. Alle rationalistischen, idealistischen und theistischen Denkgebäude gehen auf dieses Schema zurück. Sokrates, Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin, Descartes, Rousseau, Kant, Hegel, Marx und Auguste Comte formulierten Varianten dieses logo-idealistischen Dualismus.“6

Das Christentum bleibt nach wie vor das ,Schlüsselglied’ dieser Verkettung. Die Verweltlichung, die mit dem Calvinismus und dem Luthertum einsetzt und mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule (antirevolutionäre Neomarxisten) abschließt, war vom Christentum selbst vorbereitet worden, das die metaphysischen Ideale, mit denen der Christ als „außerweltliches Individuum“ in Beziehung stand, auf die Erde, zu deren Veränderung, hatte herunterholen wollen. Der christliche Grundsatz, wonach der Mensch im Hinblick auf ein künftiges Gottesreich sein persönliches Heil suchen müsse, wandelte sich in den herrschenden Ideologien (denen des liberalen Kosmopolitismus oder des sozialistischen bzw. marxistischen Internationalismus) in den Wunsch um, das individuelle, meistens als wirtschaftlichen Wohlstand aufgefaßte Glück zu verwirklichen. Bei den Christen gilt die ,Vernunft’ als Erbin der Naturordnung und des göttlichen Willens. Das den Gesellschaften zugewiesene Ziel ist demnach, das individuelle Glück rational zu verwirklichen. Alle Lehrsysteme der Gegenwart stimmen darin überein. Bis auf unseres.

Diese Art Rationalismus, diese im Dienst eines ausschließlichen Strebens nach individuellem ,Glück’ eingesetzte Ratio wirkt sich katastrophal aus, denn die nur als Gedanke mögliche und zudem auf wirtschaftliche und soziale Formen beschränkte Verwirklichung des individuellen Glückes zerstört alles Hohe und Heilige. Vom Marxismus bis zum sozialen Christentum, vom Liberalismus bis zur Sozialdemokratie vertritt der Egalitarismus in all seinen Erscheinungsformen dieses mißratene Weltbild. Wir betonen dagegen, daß der Mensch Sinngeber und Herr der Formen ist innerhalb einer schicksalhaft bedingten, gefahrvollen Welt, deren immer neue Überwindung und zugleich Vervollkommnung unser Auftrag ist. Dieses Streben nach einer Erhöhung des Daseins, dieser Begriff des ,Übermenschen’ steht dem individualistischen Humanismus völlig entgegen.7

Plädoyer für eine polytheistische Philosophie

Wir möchten es betonen: Die Kultur verabsolutiert schon deshalb das Anderssein, weil es auf dieser Welt kein kulturelles Bezugssystem für die gesamte Menschheit gibt. Auch Regis Debray stellt zutreffend fest, daß die „universale Gruppe nicht existiert, ebensowenig der universale Sprecher. Aber alle Menschen erhalten bei der Geburt das Sprachvermögen und alle Gruppen erhalten bei ihrer Bildung das Vermögen zu glauben. Das Sprachvermögen bedingt nicht, daß jedermann Volapuk oder Esperanto spricht; das Glaubensvermögen bedingt keine alleinige universale Religion. Es bedeutet lediglich, daß jedes gemeinschaftliche Gebilde religionsvermögend bzw. für eine besondere Religion berufen ist“. Und Debray erinnert an die Worte Chomskys, daß „alles, was die Menschen voneinander unterscheidet, sie mehr interessiert als das, was sie gemeinsam haben“8!

Guillaume Faye bekämpft seinerseits vehement die Überzeugung, wonach „die technologische und naturwissenschaftliche Dynamik auf der Gleichschaltung der Erde zu einem fließenden Netz beruhe. Wie in der Biologie und in der Kybernetik wird die Homogenisierung ab einem bestimmten Schwellenwert rückläufig. Der Organismus wuchert krebsartig und wird anfällig, weil er nur noch eine einzige Verhaltensweise, nur noch eine einzige programmierte Antwort auf die Herausforderungen besitzt. Die großen menschlichen Verwirklichungen waren übrigens niemals das Werk der gesamten Menschheit, sondern das einzelner Völker, die durch den Wettbewerb der anderen angespornt wurden. Die technische Dynamik, der kulturelle Reichtum und die kulturelle Kreativität sind nur in einer zersplitterten Welt möglich, wo jede größere ethnokulturelle Einheit ihren eigenen Weg, ihre eigene Produktion und ihren eigenen Verbrauch entwickelt. Die derzeit stattfindende ideologische, politische und technische Gleichschaltung der Erde führt die Menschheit in eine Art laue Hypertrophie, wo ‚Fortschritt’ in Wirklichkeit ‚Rückschritt’ bedeutet.“ Das Überleben der Menschheit hängt vielmehr ab vom Fortleben ihrer Unterschiede, ihres inneren politischen oder wirtschaftlichen Wettstreits. „Wir befürworten ein homogenes Modell heterogener Völker (und nicht umgekehrt). Es ist die Voraussetzung zur Achtung vor dem Anderen, zur Koexistenz, zur gegenseitigen Bereicherung einer pseudogemeinschaftlichen Menschheit, die von einem einzigen weltweiten Kommunikationsnetz, einer einheitlichen Sprache und massivem, schrankenlosem Austausch versorgt wird (so daß keiner mehr kommunizieren kann!). Dem ziehen wir einzelne, unterschiedliche Völker, begrenzten Austausch, vielgestaltige Sprachen vor, damit ein echter Verkehr zwischen den einzelnen Kulturen einsetzen kann.“9

Astrophysik und Biologie bezeugen, daß die Welt keine einmalige, unumschränkt herrschende Norm kennt. Die Welt ist vielmehr der Ort einer unbestimmten Zahl an widerstreitenden logischen Denksystemen. Alle bedeutenden naturwissenschaftlichen Denker unseres Jahrhunderts, etwa Werner Heisenberg, Karl Popper, Louis Rougier, und der vorigen Zeit, u. a. Leibniz oder Gustav Le Bon, haben den Glauben an einen rationalen, dem Weltdasein zugrunde liegenden Willen erschüttert. Heisenberg, Koestler, Monod anerkannten, daß „der Welt Inneres nicht die geringste Spur von einem solchen Willen aufweist“. Vorhanden ist vielmehr „ein Übereinandergreifen gegensätzlicher Systeme, die in einem hierarchischen, relativen Gleichgewicht nebeneinander bestehen. Das planetarische Gleichgewicht ist eines dieser Systeme, die atomische Anordnung der Materie, auf mikroskopischer Ebene, ein anderes. Die organische Welt besitzt ihre eigenen grundlegenden Gesetze, die denen der physikalischen Welt aufgedrängt werden, und der geistige Bereich überragt die beiden anderen, ohne sich deshalb von ihnen selbständig gemacht zu haben, wie der Philosoph Nicolai Hartmann es deutlich darlegte“10.

Patrick Trousson (Nouvelle Ecole, Winter 1985-86, S. 26-45) griff die Frage nach der Weltvorstellung innerhalb der Physik wieder auf und erbrachte entscheidende Belege. Trousson sichtet zunächst die revolutionären Auffassungen einiger Forscher, etwa Lucien Romani, Stephane Lupasco, Fritjov Capra und Jean E. Charon. Romani bekräftigt die Kontinuität der Materie, indem er den Ätherbegriff wieder aufwertet. Diesen Begriff hatte Einstein in seiner Theorie bewußt außer acht gelassen, als er die ‚Krümmung des Weltraums’ in Betracht zog. Romani zufolge sei der Äther weder atomar noch molekular beschaffen, sondern bestehe „aus einem ununterbrochenen, nach allen Seiten dehnbaren Stück und könne somit alle Wellen übertragen“. Der Äther sei sozusagen die Materie. „Romanis Weltsicht“, bemerkt Patrick Trousson, „ist mit der verwandt, die die ältesten europäischen Traditionen uns hinterließen. Unsere Gründungsmythen, mögen es griechische, keltische oder germanische sein, legen uns nämlich die Welt als einheitliches Ganzes dar, in dem Götter und Menschen gewissermaßen wesensgleich sind. Romanis Hypothese bietet eine ähnliche Auffassung: einen gemeinsamen Grund, den grundlegenden Äther, und unterschiedliche Formen für die „einzelnen materiellen Gegenstände — die Ätherwirbel und -wellen —, wobei das Ganze und die Teile wesensgleich sind“.

Nicolescu ist der Ansicht, daß die Natur ihre eigene Einheit erzeugt. „Wir fassen die Welt eher als ein System von Verknüpfungen, Verbindungen und Begebenheiten auf denn als ein System einzelner Gegenstände. Die Welt, die Natur ist eine globale Einheit, und jeder Teil empfindet, was in den übrigen Teilen des Universums geschieht. Untrennbarkeit kennzeichnet die grundlegende Ebene.“ Nicolescu trägt kein Bedenken, sich auf Philosophen wie P. D. Ouspensky und G. I. Gurdjieff zu berufen — ja sogar auf den deutschen Mystiker Jakob Böhme, der schon im 17. Jahrhundert die Überzeugung äußerte, daß das Allumfassende eins ist. Nicolescu erkennt „eine wesentliche Verbindung zwischen der Wissenschaft und der europäischen Weltsicht“ (Trousson). Indem er ferner die Hypothese aufstellt, die Welt weise mehr Dimensionen auf als die vier, die unseren gewöhnlichen Zeit-Raum kennzeichnen, verwirft Nicolescu die Auffassung der Linearität (Gradlinigkeit) in Zeit und Geschichte: „Es gäbe kein ,Vorher’ und kein ,Nachher’ im gewöhnlichen Sinne“, kommentiert Trousson. „Die Fortdauer wäre lediglich eine Approximation. Auch hier taucht die ursprüngliche europäische Tradition wieder auf, denn diese betrachtete die Zeit, und somit die Geschichte, niemals als rein linear und fortdauernd.“

Das berühmte mystische Dreiergesetz (an dem Jakob Böhme besonders hing: Welt des Feuers, Welt des Lichts, durch Finsternis und Licht erzeugte Außenwelt) wird zum Form bzw. Strukturgesetz bei Nicolescu. Es ist auch bei Georges Dumezil zu erkennen, wenn er die funktionale Dreiteilung innerhalb der indoeuropäischen Ideologie aufdeckt. Und desselben Gesetzes bedient sich Stephane Lupasco im Bereich der Physik und der Biologie, wenn er den Nachweis erbringt, daß die Grundeigenschaft der Energie ihr Antagonismus (ihre Gegensätzlichkeit) ist. Eine entscheidende Feststellung, denn sie erhärtet bestens, was der europäische Paganismus immer wieder behauptet hat: die Welt ist zugleich eins und mannigfaltig, was uns Rationalismus und Dualismus auch immer einreden mögen. Jacques Marlaud bezeichnet diesen Umstand als polemologischen Monismus; und dieser Begriff stimmt weitgehend mit Lupascos Gesetz des energetischen Antagonismus überein.

Patrick Trousson zieht daraus folgende Schlußfolgerung: „Das Leben ist nur dort möglich, wo Verschiedenheit, Vielgestaltigkeit, Heterogenität vorhanden sind. Ordnung, Relationen, Hierarchie sind die unerläßlichen Bedingungen zum Zutagetreten des Lebendigen. Altern und Tod treten ein, wenn das Homogene allmählich das Heterogene verdrängt. Die Parallele zu den traditionellen Lehren ist offensichtlich. Die lebenden Systeme, die physikalische Theorie der Information und Lupascos Hypothese stellen unter Beweis, daß die Vermittlung von Informationen, d. h. die Erziehung und die Kultur, nur in einer mannigfaltigen und zugleich geordneten Struktur erfolgen kann. Wäre alles eingeebnet, gleichgemacht, homogenisiert, dann hätte der Begriff der Information selbst keinen Sinn mehr. Ferner treten diese (differenzierten und geordneten) lebendigen Systeme nur als Ergebnis eines Kampfes zutage — Kampf zwischen Homogenem und Heterogenem, zwischen Unordnung und Ordnung, zwischen Impulsivem und Überlegtem. Die Griechen hatten bereits diese Sicht der Natur schematisiert; indem sie uns die Geschichte vom ewigen Kampf zwischen Dionysos und Apollon hinterließen.“

Solche naturwissenschaftlichen Betrachtungen, insbesondere über die Physik, bieten uns ein prächtiges, wohl das klügste, Mittel zur Wiederaneignung der Identität. Ebenfalls in Nouvelle Ecole (S. 44) schreibt die Physikerin Anne Jobert: „Die Wahl der Wissenschaft ist die unserer Identität. Wir müssen diese Wissenschaft anerkennen, die als europäisch zu nennen sich manche fürchten, weil sie sie als universal wollen (eine Art, sie zu verleugnen). Das ist möglicherweise der Preis unserer Zukunft: die Anerkennung unserer Wissenschaft kann uns sowohl vor dem Nihilismus wie vor der Ideolatrie hüten. Es verläuft ein äußerst schmaler Grat zwischen diesen beiden Abgründen, und wir stehen auf dem Spiel“.

Eine großartige Übereinstimmung also mit der antirationalistischen und -dualistischen Lebensauffassung des Paganismus, der in der Welt ein unbeständiges, antagonistisches Gleichgewicht von Spannungen wahrnimmt, ein Feld von ständig widerstreitenden Kräften, die je nach Affinität, Komplementarität und Feindschaft miteinander und voneinander getrennt werden“.11

Aber auch die Physik ist im Begriff, sich von den rationalistischen, dogmatischen und reduktionistischen Denkschemata zu lösen. Sie nimmt nun Abstand von den „Dogmen“, schreibt Trousson, „und sucht eine Anschauung des Wirklichen, die nicht metaphysisch und ,rational’ ist. Mit der Untersuchung über die Symmetrien in der Natur, mit der Hypothese des bootstrap und des grundlegenden Äthers, mit Lupascos energetischem Antagonismus zielt sie auf einen anderen Bereich des Wirklichen hin, den ‚irrationalen’ und spirituellen Bereich. In Europas kultureller Tradition verwurzelt, ist die moderne Wissenschaft fähig, neue Gebiete des Wissens zu erobern. Dank Romani, Nicolescu und Charon erkennen wir das grundlegende Band zwischen Mensch und Kosmos: sie sind wesensgleich.“

Die heidnische Weltanschauung faßt die Völker und die Kulturen, das Profane und das Heilige nicht anders auf: dort werden die ,Biokulturen’ als ,Kraftfelder’, die Mythen als ‚bevorzugte Ausdrucksformen dieser Werte’ wahrgenommen. „In dieser nominalistischen Sicht gehören die religiösen und ideologischen Überzeugungen zu jenen ,Derivaten’, die nach W. Pareto auf organisch unreduzierbaren ,Residuen’ gründen.“12 Eine andere Form, die Wesensgleichheit von Mensch und Kosmos aufzufassen.

Es wäre an der Zeit, die Prinzipien der Frankfurter Schule zu vergessen, und endlich eine politische Philosophie zu treiben, der die Vorstellung von absoluten Prinzipien fremd ist: eine entschieden polytheistische Philosophie.

Die neuen Götter stehen vor uns

Jacques Marlaud stellte eine anschauliche Liste all der großen europäischen Denker zusammen, die seit dem Altertum und in verschiedenem Maße der nominalistischen Strömung angehören. Unter ihnen befinden sich Homer und Heraklit, Aischylos und Epikur, Lukrez und Marc Aurel, Roscelin und Meister Eckhart, Rabelais und Montaigne, Machiavelli und Shakespeare, Vico und Herder, Goethe und Nietzsche, Klages und Dilthey, Spengler und Pareto, Nicolai Hartmann und Arnold Gehlen, aber auch Carl Schmitt und Ernst Jünger, Montherlant und Clement Rosset. Diese Liste könnten wir u. a. mit Wilhelm von Ockam, Joseph de Maistre, Martin Heidegger fortsetzen. Der Widerstreit Paganismus/Monotheismus wird offenbar, wenn man um die Unversöhnlichkeit von Polytheismus und Dualismus weiß: Mythos oder Logos, das heißt Schicksalsschöpfung oder blindes Fügen in ein unwandelbares Gesetz. Beide Weltanschauungen streiten seit zwei Jahrtausenden im europäischen Geistesleben miteinander. Ein metaphysischer, radikaler Kampf zwischen Paganismus und Christentum, dessen Spannungen und Nachwirkungen an der Ambiguität (Doppelsinnigkeit) mancher Autoren abzulesen sind, die zwar als Christen etikettiert werden, den heidnischen Grund ihres Denkens jedoch offenbaren, vorausgesetzt daß man sie mit dem nötigen Ernst untersucht. In ihrer ausgezeichneten Schrift Europas eigene Religion deckte Sigrid Hunke den heidnischen Leitgedanken auf, der die gesamte europäische Geschichte durchzieht, von Heraklit bis Pelagius, von Eriugena bis Cusanus, von Giordano Bruno bis Goethe, von Hölderlin bis Rilke. Besonders ausgeprägt ist diese Ambiguität bei Meister Eckhart, dessen „nominalistischer Monismus (,Gott erscheint nur dort, wo die Geschöpfe ihn nennen’) mit dem idealistischen Dualismus jenes weiteren Christen, des hl. Augustinus, unversöhnlich ist, der den Vorrang des Gottesstaates vor dem Weltstaat postulierte, oder mit dem ebenso dualistischen Rationalismus eines Thomas von Aquin, der in Gott die transzendente, universale Ursache (prima causa) der Welt und des Denkens erkannte“. In dieses rationalistisch-dualistische Denkschema gehören — bei allen Abweichungen — ebenfalls Sokrates’ „atheistische, deistische oder christliche“ Erben, ob es sich um Rousseau oder die Neomarxisten, etwa Adorno und Marcuse handelt, oder auch um den kantischen Moralismus, den hegelschen Historizismus oder den Szientismus des Auguste Comte13.

Nun scheint der Mythos dem Menschentum innezuwohnen. Yves Christen definiert darum den Homo sapiens als „erobernden, mythoszeugenden Primaten“.14 Somit könnte sich die heidnische Rückbesinnung als entscheidend für die Zukunft erweisen, wenn sie den neuen Gründungsmythos einzugeben vermöchte, den die europäische Kultur zu ihrer Regenerierung so sehr benötigt. Begünstigt wird eine derartige Entwicklung durch die außergewöhnlichen Erschütterungen, die die moderne Wissenschaft und Technologie (von der Physik bis zur Molekulargenetik) den dualistischen Theorien zufügten. Der Paganismus trägt daher die Wiedergeburt des urwüchsigsten europäischen Geistes in sich, des polytheistischen und vielschichtigen Geistes eines Heraklit, Goethe, Nietzsche oder Heidegger.

Das heidnische Göttliche bildet wohl die Antiwelt des christlichen. Letzteres läßt sich nicht anders auffassen als durch das absolutistische Gesetz eines zeit- und weltfernen tyrannischen Gottes, eines eigentlich ‚terroristischen’ Gottes, sofern er die Menschen unter die Allgegenwart seiner Gesetze niederdrückt und dabei das Sakrale abschafft. Dagegen erhöht das heidnische Heilige die Menschen in den Taten, die sie frei beschlossen haben und verantworten können. Das heidnische Heilige spricht das Gedächtnis mit der Sprache der Zukunft an; es ist weder versteinerte Tradition noch grenzenloses Hirngespinst, sondern vielmehr „Regenerierung und Verwandlung der Götter, die aus der Zukunft hervortreten, um das Volk aufzurufen“. „Bei uns Europäern, wie bei anderen Völkern, stehen die Götter, die neuen Götter, vor uns“14: das heidnische Heilige ist eigentlich ein innerer Aufruf an das griechische, in unserem Gedächtnis verwurzelte ,Werde-was-du-bist’. Dieses ,Werde-was-du-bist’ ist der Schlußstein unserer Geschichte; es soll die Säule einer neuen Ordnung werden. Beim 17. GRECE-Kolloquium erklärte Alain de Benoist: „Den falschen Vorstellungen von einer ‚natürlichen Ordnung’ oder von einer ‚universalen Ordnung’ ziehen wir die Möglichkeit vor, eine Ordnung aufkommen zu lassen, die wir beschlossen und gewollt haben. Gegenüber der Vorstellung, jeder Mensch sei Gott oder jeder Mensch sei ein Sklave Gottes, behaupten wir beherzt, daß die Menschen heute und immer, heute und mehr denn je die Pflicht haben, die künftigen Götter zu empfangen.“

Wir begreifen auf einmal die außerordentliche Möglichkeit, die der Paganismus enthüllt: die eines aktiven Humanismus nämlich, die zur Selbstüberwindung, zur ständigen Verschiebung der intellektuellen und spirituellen Grenzen, zur Einübung schöpferischer Freiheiten und gründender Entscheidungen anregt. Mit anderen Worten: der Paganismus gibt eine Antwort auf jene ewige Frage, die den Menschen vor das Dilemma der Geschichte stellt, nämlich entweder die Geschichte fortsetzen und damit dem Leben einen Sinn verleihen, ein Schicksal schaffen oder den Status quo der Dogmen aushalten, aus der Geschichte austreten und damit unumgänglich den Bereich des Untergangs und des Todes betreten. Diese grundlegende Frage wirft Yves Christen in seiner ungewöhnliche Schrift L’homme bioculturel (Monaco 1986, S. 173f.) auf: An der Wegscheide muß unsere Gesellschaft über ihr Schicksal nachdenken. Sie muß wissen, wozu sie sich entwickeln kann und soll. Sie muß wissen, ob sie „das große Abenteuer der Evolution in seinen historischen und modernen Aspekten fortsetzen soll, das zur größeren Vielschichtigkeit und Unterscheidung, zur Fortdauer eines gewissen, die fortgeschrittenen technologischen Gesellschaften kennzeichnenden Risikozustands führt.“ Den in Frage kommenden Menschen kennzeichnete bereits Oswald Spengler {Jahre der Entscheidung, München 1933, S. 11) als denjenigen, „der etwas wagt, der den Mut hat, die Dinge zu sehen und zu nehmen, wie sie sind.“ Schon Heraklit hatte den ,Konflikt’ — folglich auch das Risiko — als bestimmendes Lebensprinzip aufgefaßt. Die Humanwissenschaften (u. a. Konrad Lorenz) bekräftigen diese Ansicht und damit auch die Erkenntnisse, die von der Physik im Bereich der antagonistischen Energiegesetze gewonnen wurden. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß alle nicht-christlichen Lebensauffassungen, von den griechischen bis zu den hinduistischen, diese lebensbestimmende polemologische Konstante in ihrer Kosmogonie aufweisen. Der Paganismus erbringt somit den Nachweis, daß er die naturwissenschaftlichen Entdeckungen viel eher werten und anwenden kann als der christliche Dogmatismus, dem die Wissenschaft bis in die verborgensten Winkel seines Denkens widerspricht. Die Wissenschaft erklärt zwar die Wirkungen, schweigt aber über die Ursachen. Sie stellt uns nackt und frei vor uns selbst, vor unsere Wahlentscheidungen und unsere Pflichten. „Da wir zögern, die Ära der Surhumanität zu betreten“, schreibt Yves Christen, „stehen wir uns erneut gegenüber. Werden wir den Schritt wagen? Wenn ja, werden wir selbst unsere Zukunft schmieden. Sonst wird die Zukunft über uns richten. Ein uraltes Problem: Muß man die Nonnen prägen oder sie duldend ertragen? Zwischen Furcht und Hoffnung fiebernd, fragen wir uns gleich Kindern, ob wir in die Schatzhöhle eindringen werden. Ein schrecklicher, ein prächtiger Augenblick. Werden wir es wagen?“ (S. 173f.) Der Paganismus antwortet mit ,ja’ im Namen dieses aktiven, höheren Humanismus, den wir in unseren bisherigen Publikationen und bei unseren Vorträgen ausführlich dargelegt haben. So nennen wir „Willen zur Macht“ die Tatsache, daß jedes Lebewesen, jeder Mensch, jede Gemeinschaft, jedes Volk sich in seinem Milieu zu entwickeln sucht, um sein Leben und das seiner Nachkommen auf eine höhere Daseinsstufe zu erheben. Soweit diese Deutung des Lebens zu einer ständigen Überwindung der menschlichen Bedingtheit durch den Menschen selbst aufruft, können wir sie im wesentlichen als Lehre vom „Übermenschen“ bezeichnen. Diese Lehre ist religiös im tiefsten Sinne des Wortes, denn sie verbindet das Wesen des europäischen Menschen mit dem, was dieses Wesen im gesamten Verlauf der Geschichte kennzeichnet: mit diesem Mehr-Sein, das in den Künsten, Naturwissenschaften, Techniken und Eroberungen Europas enthalten ist. Der Paganismus enthüllt den religiösen Aspekt der künftigen europäischen Wiedergeburt. Mazzinis berühmter Ausspruch erhält einen besonderen Sinn: „Die Republik, die wir anstreben, wird nicht nur ein politisches Ereignis, sondern ein großer religiöser Aufbruch sein.“

Der Mensch ist Sinngeber und Herr der Formen

Das Leben hat keinen anderen Sinn, als sich selbst zu vervollkommnen; die Welt enthält keine höchsten Werte. Der Mensch ist es, der durch seine Wertauswahl der Welt ihren Sinn verleiht und sie in Form setzt. Die von uns vertretene Deutung des Daseins gründet (im Gegensatz zu jener der egalitären Weltanschauung) in der gewissenhaften Beobachtung des Lebens: Seine Triebkräfte fordern nicht nur, daß wir unser Dasein erhalten, sondern darüber hinaus das Leben in der Welt, wie sie ist, steigern, indem wir ihre Gesetze anerkennen und möglicherweise neue „anwendbare“ Richtlinien (z. B. die Technik) erfinden. „Wir“ meint das Volk und die Tradition, die uns als Auftrag zufielen, mit anderen Worten: die europäische Welt und, vorläufig, unsere Gemeinschaft15.

Unsere Neue Schule vertritt die kulturelle Eigenart Europas gegen die Willkür der amerikanischen und sowjetischen Blöcke, über die Heidegger treffend äußerte: „Rußland und Amerika sind beide, metaphysisch gesehen, dasselbe: die unglückselige Tollheit der entfesselten Technik und der entwurzelten Organisation des Normmenschen“. Diese Wesensgleichheit von Amerika und bolschewistischem Rußland spricht Hermann von Keyserling bereits 1930 an. Seiner Ansicht nach unterscheidet sich der nur ein gesellschaftliches Organ darstellende ‚kollektive’ Mensch von dem Amerikaner, der sich dem Sozialwerk widmet, lediglich darin, daß dieselbe Idee in einer unterschiedlichen Sprache ausgedrückt wird.

Unsere Neue Schule will die Erinnerung an unsere fernste Vergangenheit mit einer Zukunftsschau verbinden, um den tragischen Lebensgesetzen treu zu bleiben, aus denen Europa stets gewachsen ist. Sie will wieder den Lebensakt mit der Tat, den Lebenssinn mit dem Risiko des Handelns verbinden, um den ethischen Gesetzen treu zu bleiben, aus denen Europa stets die Berechtigung seines Daseins und seiner Freiheit gezogen hat. Sie arbeitet gleichzeitig am Aufbau einer Wissenschaft, die faustisch ist, und einer Mythologie, die ihre Ursprünge nicht mehr vergißt.

„Marx’ Fehler war, mit Hegel zu glauben, daß man ab einem bestimmten Zeitpunkt des historischen Werdens eine Stufe erreiche, wo die Geschichte aufhört, wo die Synthese unaufhebbar ist, wo sich das Vielfache auf das Einzige reduzieren läßt. Demgemäß stellte er die Dialektik auf, wie die Christen die Geschichte aufstellen, nämlich um sie zu ihrem Ende zu bringen. Für uns aber ist die Geschichte stets mehrwertig und mehrdimensional. Sie ist lediglich die immer wieder eingesetzte Summe der Kräfte, die Menschen und Völker entfalten, um sie in unzählige Richtungen zu lenken bzw. umzulenken, die ihrem Willen und ihren Entwürfen entsprechen“ (Alain de Benoist bei dem oben erwähnten GRECE-Kolloquium). Heute mehr denn je muß der Mensch wieder das werden, was er sein zu können nie aufgehört hat: ein Sinngeber und ein Herr der Formen.

Metapolitik als Kriegsschule der Ideen

Der Aktivismus unserer Ideen schließt zwar eine unerschütterliche Treue gegen Werte und Prinzipien ein, die unsere Weltanschauung kennzeichnen, setzt aber gleichzeitig methodische Konsequenz und tatkräftige Verantwortung voraus. Die Methode bzw. die Strategie, eine echte Kriegsschule des kulturellen Angriffs, heißt Metapolitik. Wir betonen immer wieder, daß unser Bemühen, Ideen und Werte zu schaffen und zu verbreiten, eher mit einem historischen Kampf metapolitischen Wesens (einer Art kulturellem und ideologischem Krieg) gleichzusetzen ist als mit einer reinen Wissensvermittlung. Wir wollen die wirklich europäischen Werte und Weltanschauungen in die Geschichte zurückfuhren. Weitgehend verdrängt wurden sie von Gegenwerten, die unseres Erachtens für die gegenwärtige europäische Dekadenz verantwortlich sind.

Michel Wayoff erklärte anläßlich desselben Kolloquiums: „Wir sind uns der Bedeutung der kulturellen Macht bewußt und pflichten hierin Gramsci bei. Es geht nicht darum, die Machtergreifung einer politischen Partei vorzubereiten, sondern die Gesinnungen zu verändern, ein neues Wertsystem zu fördern, für dessen politische Umsetzung wir allerdings keineswegs zuständig sind.“

Wer ist aber Gramsci? Antonio Gramsci, 1851 auf Sardinien geboren, wurde 1911 Mitglied der Sozialistischen Partei, wechselte wenig später zur KP über, erhielt 1922 die Mitgliedschaft im Exekutiv-Komitee der Komintern, war 1924 Abgeordneter und 1926 Generalsekretär der KPI. Das Verbot der Partei bewirkte Gramscis Internierung auf der Insel Utica, wo er die 33 Ausgaben der sogenannten „Gefängnishefte“ verfaßte, deren allmähliche Verbreitung nach seinem Tod (25. April 1937) erfolgte. Sie erlangten aber erst nach 1945 größeren Einfluß auf die Strategie der linken und linksextremistischen Gruppen in Italien und darüber hinaus. Die „Gefängnishefte“ sind ein Ergebnis jener Gedanken, die sich Gramsci über die Ursachen des Mißerfolges der linken Parteien im Italien der zwanziger Jahre machte. Er stellte darin zwei grundsätzliche Fragen:

1. Warum entspricht das Bewußtsein der Menschen nicht ihrem Klassenbewußtsein?

2. Warum können die oberen Klassen (die Minderheit) über die unteren Klassen (die Mehrheit) herrschen?

Aus diesen Fragen gewinnt Gramsci eine neue Bestimmung des Ideologiebegriffs, die den Ausgangspunkt jenes Unterschiedes darstellt, den er zwischen politischen und zivilen Gesellschaften macht. Mit dem Begriff ,zivile Gesellschaft’ umfaßt Gramsci sowohl die Kultur, die Religion und die Moral, als auch ihre juristische, korporative und institutionelle Umsetzung. Für ihn ist der Staat nicht auf den politischen Apparat beschränkt. Der Staat regiert zwar dank seines autoritären politischen Kraftfeldes, gleichzeitig stützt er sich aber auf intellektuelle, ethische, traditionelle Werte, die die Mehrheit der Bürger bejaht. Dies bezeichnet Gramsci als die kulturelle Macht des Staates. Im Gegensatz zu Marx, der die zivile Gesellschaft auf eine rein wirtschaftliche Basis beschränkt, innerhalb welcher Besitzer und Arbeiter gegeneinander kämpfen, sieht Gramsci in der zivilen Gesellschaft die kulturellen, geistigen und seelischen Grundlagen vereint, auf denen das allgemeine Einverständnis (consensus social) beruht.

Die große Wandlung der Kommunisten in Italien entsprang der richtigen Feststellung, daß die Eroberung der politischen Macht nie gelingen kann, ohne zuvor die kulturellen Grundlagen eingenommen zu haben. Eine politische Revolution bereitet sich immer im Geist vor, durch eine langwierige ideologische Entwicklung innerhalb der zivilen Gesellschaft. Um zu ermöglichen, daß die neue politische Botschaft Fuß faßt (Tätigkeit der Partei), muß man zuerst Einfluß auf die Denk- und Verhaltensweisen innerhalb der zivilen Gesellschaft nehmen (metapolitische oder kulturelle Tätigkeit). Die politische Mehrheit stützt sich also zuerst auf eine kulturelle, d. h. auf eine ideologische Mehrheit. Die Rolle der organisch denkenden Intellektuellen besteht (im Gegensatz zu den erstarrten Intellektuellen des Systems) für Gramsci in dem hartnäckigen Bemühen, jene ideologische Mehrheit zu gewinnen, die eine Eroberung der politischen Mehrheit durchführen kann. Gramsci schlägt die Bildung einer sogenannten Avantgarde des Geistes vor, als Grundlage für die künftige Avantgarde der politischen Partei. Die organisch denkenden Intellektuellen verfolgen das Ziel, eine Umwälzung der herrschenden Werte herbeizuführen, um ihre eigenen Anschauungen durchsetzen zu können. Diese Bemühung muß folglich umfassenden Einfluß gewinnen, also auf allen kulturellen Ebenen zur Wirkung kommen, in Dichtung, Theater, Volksmusik, Film, Bildender Kunst, Presse und anderen Bereichen.

Wie bereits mehrfach unterstrichen16 wurde, wird die metapolitische Strategie von der klaren Erkenntnis getragen, daß die Berufspolitik nutzlos geworden ist, und zwar aus drei Gründen, die den Politologen und Soziologen wohl bekannt sind. Erstens, weil die im üblichen Sinne aufgefaßte Politik zu einem peinlichen Theater wurde, wobei das eifrige Geschwätz der Darsteller seine Überzeugungskraft längst verloren hat; zweitens, weil die gesellschaftslenkenden Entscheidungen heutzutage meist techno-ökonomischer und administrativer Natur sind; drittens, weil wir darauf abzielen, ein Wertsystem zu verbreiten, das langfristig wirken, möglicherweise mehrere miteinander konkurrierende Ideologien umfassen und — sollte es ausreifen — dies vielleicht in einer Welt tun wird, wo die jetzigen politischen Einrichtungen (der Staat im modernen Sinne des Wortes) keine lenkenden Instanzen mehr sein werden.

Und dies bedeutet nichts anderes, als daß unsere Ideen und Werte am Ende des metapolitischen Kampfes an der Macht, d. h. in sämtlichen sozialen Funktionen zu finden sein werden. Sie bilden dann die Grundlage der — eventuell wettstreitenden — Ideologien und der einzelnen Haltungen vor dem Leben. Aus der Geschichte der westlichen Gesellschaften ist folgende Lehre zu ziehen: Die entscheidende Macht ist weder am Abzug der Gewehre noch berufspolitischer Natur; sie ist geistiger bzw. kultureller Art.

Die Metapolitik wirkte übrigens schon lange vor ihrer theoretischen Formulierung durch Gramsci. Die Geschichte unserer Völker ist sozusagen mit metapolitischen ‚Einschlägen übersät’. Es genügt hierbei, die Geschichte des Christentums nachzulesen, das mit dem bekannten Erfolg einen echten Kulturkrieg gegen die griechisch-römischen, keltischen und germanischen Werte zwischen dem 2. und dem 10. Jahrhundert führte. Der Historiker Albert Mathiez schreibt: „Die echten Revolutionen, diejenigen nämlich, die nicht nur die politischen Formen und das regierende Personal umwälzen, sondern auch die Institutionen grundlegend verändern und das Eigentum verschieben —, diese Revolutionen schreiten langsam und unsichtbar dahin, bevor sie ans Tageslicht kommen. Die Französische Revolution beispielsweise war ein Jahrhundert lang, wenn gar mehr im Anzug!“17 Die untergründigen Kräfte, die diese Revolution vorbereiteten, waren die Denk-Zirkel, die Salons, aber auch die Logen und die Klubs. Sie waren es, die vor dem Umsturz der königlichen Macht die geistigen und ideologischen Fundamente der Gegen-Macht, sprich einer Gegengesellschaft legten. Sie unterminierten die Fundamente der politischen Macht, indem sie sich die Infrastruktur der kulturellen zu eigen machten. Sie manipulierten den Strom der öffentlichen Meinung; sie manipulierten die ,modernen’ Ideen und brachten letzten Endes die Macht an sich, die öffentliche Meinung gemäß ihren ideologischen Normen und ihren philosophischen Grundüberzeugungen zu gestalten. Sie erzeugten eine schweigende ideologische Mehrheit, die innerhalb der politischen Mehrheit für immer mehr Verwirrung sorgte, da diese der neu geschaffenen soziokulturellen Situation immer weniger standhalten konnte. Guillaume Faye sieht in der Metapolitik die einzig mögliche Strategie: „Aus der Sicht der historischen Soziologie gehört die Zukunft denjenigen, die heute neue Formen der Aktion und der Mobilisierung erfinden, ohne den mediatischen und wahlmäßigen Erfolgsaussichten nachzugeben, die auf das Politische keineswegs verzichten, das berufspolitische Wettrennen indes vernachlässigen, die ihre Überzeugungen vortragen, ohne sich auf irgendeine parteipolitische Zentrale ausrichten zu müssen. Sie sind bestimmt auf dem richtigen Weg: Gleich jenen Denkzirkeln des 18. Jahrhunderts, die die Gesellschaftsstrukturen des Ancien régime mißachteten, werden die Politiker, die heute die Strukturen der berufspolitischen Klasse geringschätzen, aller Wahrscheinlichkeit nach erfolgreich sein. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, daß wir uns auch jetzt im ,alten Regime’ befinden.“

Die erste metapolitische Wirkung unserer Ideen ist nicht mehr zu übersehen. Die weltanschaulichen und kulturellen Debatten in Europa „stellen nicht mehr eine ,Linke’ und eine ,Rechte’ gegenüber. Sie stellen den Biblismus und den Neopaganismus gegenüber, den Kosmopolitismus und die Verwurzelung, die Anhänger und die Widersacher der Menschenrechte, die ,Kalifornier’ und die ,Neoeuropäer’. Vertreter der ehemaligen ,Rechten’ und der ehemaligen ,Linken’ sind in den neuen Einteilungen zu finden, die die alten berufspolitischen Grenzen durchqueren und sinnerfüllter sind als die traditionellen Ideologien. Diese haben nämlich das Wesen des Politischen verlassen.“18 Die Metapolitik ist außerdem der Versuch, das Politische und das Religiöse, das Wesen des Weltlichen und das des Heiligen wieder miteinander zu verbinden. Wir müssen in die kulturelle und religiöse Sphäre die spezifischen Werte der indoeuropäischen Weltanschauung (aus sämtlichen Zeitabschnitten) wieder einbinden. Diese Werte können nicht anders als tiefgreifend auf die politische Sphäre einwirken. So widerspruchsvoll es manchen vorkommen mag, ist die Metapolitik im Grunde die Rückkehr zum Politischen über das Kulturelle.

Das Thule-Seminar: eine Partei des Geistes

In einer Zeit, da sich politische Parteien und Gruppierungen mehren, betrachteten wir es als ein Gebot der Stunde, eine Partei des Geistes — eine Schule der Metapolitik zu gründen. Diese neue weltanschauliche Schule soll die bevorstehenden kulturellen Entscheidungen untermauern, aus denen die politischen Ziele hervorgehen werden. In diesem Sinne gründete eine Gruppe von jungen Schriftstellern, Journalisten und Akademikern im Juli 1980 das Thule-Seminar. Mehrere Jahre heftigen Kampfes, die Veröffentlichung von vier grundlegenden Werken, nicht weniger als 200 Vorträge (in Deutschland, Österreich, Belgien, Holland, Frankreich und der Schweiz) haben die Erwartungen weit übertroffen, weil diese weltanschauliche Partei ihre erste bedeutende Schlacht bereits gewonnen hat: nämlich die Verankerung des Grundsteins, auf dem die Neue Kultur entstehen soll.

Partei des Geistes bedeutet auch Partei der Parteinahme. Bereits in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift Elemente unterstrichen wir, daß wir die Schwierigkeiten Europas mit der notwendigen Voreingenommenheit für seine eigenen Belange beantworten. In dem allgemeinen Klima ideologischer Gleichgültigkeit, intellektuellen Versagens, theatralischen Geschwätzes und geistiger Verwirrung ergründen wir die Unterschiede, bestimmen das Heilige neu, erläutern und bestärken wir die Eigenart der Völker; wir arbeiten an wegweisenden Lösungen, die keine vereinheitlichende Vernunft jemals wird begreifen oder widerlegen können, denn sie entspringen einer Zielsetzung und der dazu nötigen Feinfühligkeit, deren Wurzeln die Jahrtausende durchziehen, in denen sich die Indoeuropäer durch ihr faustisches Verhalten hervortaten. Dieses Verhalten gründet auf einem Wertgefüge, das ihnen ermöglichte, einen Parthenon zu bauen, die organische Demokratie zu erfinden, Imperien zu gründen und Kathedralen zu errichten, das Recht festzulegen, die Technik zu schaffen und Antworten auf die Herausforderungen zu geben, die letztere hervorruft. Wir sind die Künder der neuen Zukunft Europas. Wir widmen uns voller Begeisterung den ungeheuren Aufgaben dieses Jahrhunderts, aus dem wir noch größer, noch stärker hervorgehen werden, vorausgesetzt daß wir es wollen und daß wir dazu alle ungenutzten Kräfte Europas entfalten. Von Paris bis Wien und von London bis Madrid arbeiten wir bereits an folgenden Zielsetzungen: Kulturelle Wiedergeburt Europas; Unabhängigkeit seiner Politik, Diplomatie und Wirtschaft; Ausrichtung auf die blockfreien Länder; Kulturkrieg gegen sämtliche Entwurzelungskräfte (der Hauptfeind heißt American way of life); Bündnis mit allen Kräften der Dritten Welt, die gegen die amerikanisch-sowjetische Zange ankämpfen; Festlegung neuer historischer Entwürfe — kurz: Gründung einer dritten Kraft, eines dritten Weges, eines Neuen Europäischen Imperiums.

Wir wollen Europa daran erinnern, daß seine Zukunft in dem Erbe Heraklits, Nietzsches oder Saint-Exuperys liegt und nicht in den liberalistischen Schwindeleien, die das Denken so erfolgreich auf den Sättigungstrieb zu beschränken wußten. Wir wollen Europa den Mythos wiedergeben, der Hameln, Nürnberg, Saragossa, Venedig und Carcassonne prägte, damit es den pazifistischen Konsumlook des kalifornisch übertünchten Wärmetods vergißt. Wir wollen ihm das Imperium der Überlieferung verwurzelter Menschen bieten, das Konzentrationslager der einförmigen Weltgesellschaft aber niederreißen. Ahnt Europa wohl schon, daß seine Zukunft einzig und allein von seiner eigenen Kraft und Bereitschaft abhängt? Immerhin schickte Europa im Jahrhundert des Dionysos seine Aria(d)ne zu den Sternen empor. Ein Zeichen der Götter?

In der Gründungsphase dieser Partei des Geistes hielt das Thule-Seminar entschieden Abstand von der Berufspolitik. Das Thule-Seminar stellte immer wieder fest, daß es an der Reifung neuer Werte arbeitet, die den Völkern Europas ihr Vaterland wiedergeben sollen, und zwar durch die Wiederverwurzelung in der ureigenen Wesensart, aus der allein kraftvolle Modernität entspringen kann.

Bei öffentlichen Vorträgen geht Guillaume Faye immer wieder auf die wesentlichen Beweggründe unseres Kampfes ein und erklärt im Namen des Thule-Seminars: „Wofür und wogegen kämpfen wir überhaupt? Gegen die atlantische Falle, für das Reich, und nicht nur für ,unser’ Reich, sondern für das aller Völker der Welt, die heute insgesamt durch das materialistische Weltbürgertum des scheinheiligen amerikanischen Predigers wie des listigen sowjetischen Genossen, die das Leben nach Vernunftbegriffen geordnet wissen möchten, in ihrer Existenz bedroht sind. Wenn wir in Frankreich gegen die mehrrassische Gesellschaft kämpfen, wenn wir in Deutschland gegen die gesteuerte Auslöschung unseres historischen Gedächtnisses und unserer nationalen Größe kämpfen, führen wir, hier wie da, den gleichen Kampf für unser zukünftiges Vaterland: Europa. Eine gewisse Flamme, die vor fünfzehn Jahren im Herzen Frankreichs wieder auflebte, die Italien, Griechenland, Belgien, Spanien, Portugal, England und Österreich durchzieht, wächst nun endlich zur höchsten Glut an. Deutschland ist von Feuer umgeben und weiß es noch nicht. Wir müssen ihm die schläfrigen Augen öffnen. Lassen Sie uns gemeinsam dieses Werk von geschichtlicher Bedeutung vollbringen!“

Der Beginn der Neuen Kultur Europas ist mittlerweile eine Realität geworden, die die Zauberlehrlinge des Egalitarismus erschreckt. Von der Iberischen Halbinsel bis nach Hellas, vom italienischen Stiefel bis Albion ist eine neue Generation am Werk. Die Vorposten der europäischen Wiedereroberung haben zwar verschiedene Nationalitäten, dasselbe Vaterland wuchs dennoch fortwährend innerhalb derselben identitären Gesinnung: Europa. Aber auch jenseits der europäischen Grenzen erwacht das identitäre Bewußtsein. In unserer Erstveröffentlichung (Das unvergängliche Erbe, Alternativen zum Prinzip der Gleichheit) stellten wir bereits fest: „Die Verfahrensweise, die wir anwenden, und die Grundlagen, auf die wir uns stützen, stehen weder allein da, noch sind sie ungewöhnlich. Überall auf der Welt — und besonders in der Dritten Welt — ist ein massiver Wille zu beobachten, sich gegen die egalitäre Erstarrungsideologie zur Wehr zu setzen. Bislang für todkrank gehaltene Kulturen werden sich ihrer Identität, ihrer Besonderheiten und somit ihres Reichtums bewußt. Sie widersetzen sich jeglichem Unterfangen, sei es politisch, religiös oder ideologisch, das auf Zusammenballung und Nivellierung hinausläuft. Menschen entdecken, was sie unterschiedlich macht. Menschen bekräftigen ihren Willen zum Leben in dem ihrem Volk gemäßen Rhythmus. Immer mehr Menschen zeugen dafür, daß das ethno-kulturelle Erbe ihres Volkes kontinuierlich ist, daß es sogar ein Verbrechen darstellt, sich an ihm zu vergreifen, zumal diese Integrität ihre Eigenart und Unvergänglichkeit gewährleistet. In Europa, jenseits der Grenzen und der Sprachen, bereiten Menschen den Weg für die morgige europäische Verbrüderung ungeachtet der unmittelbaren politischen Zufälligkeiten, der historischen Vorurteile oder der wirtschaftspolitischen Unterschiede. Die einzige Verbrüderungsform aber, die eine Lösung der Konflikte, Probleme oder Spannungen herbeiführen kann und die einer solchen Herausforderung gewachsen ist, gründet in dem Gedankenaustausch und in dem gegenseitigen Verständnis. Im Gegensatz zum Interessenaustausch und Geldschwindel als des anscheinend einzigen Ideals der durchmerkantilisierten Gesellschaft prägt und vertieft eine derartige Annäherung das Bewußtsein einer gemeinsamen Herkunft, einer gemeinsamen Geschichte und eines gemeinsamen Schicksals.“

Die kulturelle Renaissance Europas kann den neuen Idealismus von morgen aufkommen lassen. Sich für die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa einsetzend, schrieb Pierre Drieu la Rochelle bereits 1928: „Der Europäer ist fähig, ein neues originelles und unerwartetes Bauwerk zu realisieren.“ ( Genève ou Moscou). In seiner Schrift L’Avenir n’est écrit nulle part (Paris 1978, S. 376) stellte der Ex-Minister Michel Poniatowski seinerseits fest, daß Europa „ — im historischen Augenblick der weltumfassenden Revolution — eine mögliche Antwort darstellt für uns, Einwohner des geographischen Europa, Mitglieder einer ethnokulturellen Gemeinschaft, die durch Jahrtausende Geschichte ausgestaltet wurde (…), Schmelztiegel einer eigentümlichen Kultur und Zivilisation, die die Völker nahezu aller europäischen Nationen miteinander verbindet“. Dem fügen wir hinzu: Der Mensch braucht nicht nur Wohlstand, sondern vielmehr einen Lebensgrund, der seinem Leben einen Sinn verleiht. Wir wollen Europa wieder einen Lebensgrund geben, indem wir sein Schicksal neu formulieren.

Die Idee verpflichtet uns

In Über Amerika äußerte Hermann von Keyserling die Überzeugung, daß alles junge Leben in der Finsternis, im Chaos und in der Häßlichkeit reife; und das treffe auch auf die Zivilisationen zu. Das Zeitalter der Finsternis entspreche sozusagen der Schwangerschaftsphase. Europa befindet sich demnach immer noch im Zeitalter der Finsternis, und der Schaffung des Europäers stehen sämtliche dekadenten Erscheinungen unserer Zeit im Wege. Durch einen plötzlichen Umschwung sind aber gerade diese Bedingungen „im höchsten Grade dazu angetan, Ausnahme-Menschen der gefährlichsten und anziehendsten Qualität den Ursprung zu geben“, behauptet Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse. „Ich höre mit Vergnügen, daß unsre Sonne in rascher Bewegung gegen das Sternbild des Herkules hin begriffen ist: und ich hoffe, daß der Mensch auf dieser Erde es darin der Sonne gleich tut. Und wir voran, wir guten Europäer! — „ (§ 242 und 243)

Wir müssen unserem Volk und seiner Geschichte vorausgehen. Wir müssen jene „guten Europäer“ sein und behaupten daher ohne Umschweife, wie wir es bereits in der ersten Ausgabe von Elemente taten: Für uns ist der Intellektuelle nur im täglichen Einsatz, in der Tat ein wirklicher Kamerad, sonst verdient er nicht die Bezeichnung ‚Intellektueller’, sondern nur die eines Komödianten oder Schmarotzers.

Es geht mehr denn je um dieses Europa, das ebenso eine Rede braucht wie Deutschland zur Zeit Fichtes. Guillaume Faye hat diese Rede19 verfaßt. Er erinnert zunächst daran, daß „Europa aus Hellas und Rom entstanden ist, das heißt aus jener geheimnisvollen Verbindung der politischen Ordnung (die historisches Bewußtsein hervorruft), der philosophischen, ästhetischen Kultur (die eine umfassende Weltanschauung erzeugt) und der technisch-wissenschaftlichen Mentalität (die eine besitzergreifende Beherrschung der Erde nach sich zieht). Sehen wir uns vor: Wenn wir dem allen entsagten, würden wir uns selbst verraten.“ Und diesen Gedanken führt er folgendermaßen aus: „Und selbst wenn wir (wie die Führer der deutschen Protestjugend, ,Grüne’, Nationalrevolutionäre’ u. a. es aus der Tiefe ihrer neoländlichen Dekadenz befürworten) auf den technischen-industriellen Erfolg, den internationalen Kampf, die geostrategische Macht, die demographische Fruchtbarkeit verzichteten, um unsere Folkloren, unsere Lebensqualität, unsere museenhaften Kulturen zu schützen, würden uns letztere Güter eines Tages entrissen werden. Europa ist nur in der Macht und in der emporsteigenden Verwandlung seiner Formen verwurzelt. Mit jeder Generation wechseln ebenso die ästhetischen Landschaften wie die ästhetischen Formen; und im Angriff liegt das Geheimnis unserer Verteidigung. Um nicht zu sterben, sind wir zur Angst und Größe verurteilt. Unsere Zivilisation ist nicht für das Glück geschaffen.“ Eine historische Herausforderung wird gestellt. Wenn wir sie nicht aufnehmen, das heißt „wenn wir den demographischen Krieg und den Kulturkrieg verlieren würden, dann würde sich das Drama in eine Tragödie verwandeln. Nichts mehr wäre noch einzufangen. Wir würden als Volk ebenso sicher von der Bildfläche verschwinden, als wenn wir ausgerottet würden“. Das Schreckgespenst der Auflösung würde dann die unerträgliche Realität unseres Alltags gestalten. „Unsere Nationalsprachen würden zu Dialekten herabgewürdigt gegenüber der anglo-amerikanischen Verkehrssprache. Unsere Musikwerke, unsere Gemälde und unsere Bauten würden dazu verurteilt, nur noch photographische Motive für internationale Touristen zu sein, kurzum Europa als Weltmuseum … Ein mehrrassisches Europa, wo die weiße Rasse unerbittlich zurückgehen würde, der Zivilisation eines amerikanisch-asiatischen Okzidents keuchend und unterwürfig folgen müßte: Sind wir bereit, diesen Wärmetod hinzunehmen? Nein, nicht wahr? Es ist dennoch der Weg, den wir einzuschlagen im Begriff sind.“ Wir können, wenn wir es wollen, das Schicksal unserer Völker in eine andere Bahn lenken. Die Waffen der Zurückeroberung sind aber in erster Linie innere Waffen. Die Revolution, die man den anderen ankündigt, ist nämlich dieselbe, die man in sich selbst vollendet hat. Jede Revolution erfordert ihren Teil an Mystizismus in dem Glauben an eine neue Ordnung. Jede Revolution, die ein Volk wecken will, hat bereits die Revolutionäre wachgerufen. Die Erwecker eines Volkes pflegen indes ihre Treue teuer zu bezahlen: oft mit Unterdrückung oder mit dem Tod. Eine gerechte Niederlage gibt es ebensowenig wie eine dilettantische Revolution. Es gibt aber den Mythos, der als einziger die höchste Legitimation unseres Kampfes verkörpert. Und dieser Mythos bedeutet nichts anderes, daß wir uns für das Recht auf Verschiedenheit, für die Rechte aller Völker bereit sind zu schlagen.


Anmerkungen

1 Pierre Krebs, Die europäische Wiedergeburt, Aufruf zur Selbstbestimmung, Tübingen 1982
2 Elemente zur Metapolitik, 1. Ausgabe 1987
3 Ebd.
4 Auszüge einer Rede von Guillaume Faye und Pierre Krebs. Siehe: P. Krebs, Strategie der kulturellen Revolution, und G. Faye, Metapolitik im ideologischen Kampf, Thule-Bibliothek, Hörn, 1988
5 Pierre Krebs, ebd
6 Le renouveau paien dans la pensée francaise, Paris 1986, S. 23
7 Siehe Anmerkung 4
8 Critique de la raison politique ou l’inconscient religieux, Paris 1981, S. 280
9 La troisième voie, Paris 1984, S. 22 u. 28
10 Jacques Marlaud, aaO., S. 69
11 Ebd., S. 23
12 Ebd., S. 24
13 Ebd.
14 Guillaume Faye, L’Occident comme déclin, Paris 1984, S. 82
15 Siehe Anmerkung 4.
16 Siehe Elemente zur Metapolitik, 1. Ausgabe 1986, 1. Ausgabe 1987
17 Albert Mathiez, Révolution francaise, Vorwort
18 L’Occident comme déclin, aaO., S. 46f
19 Discours à la Nation europénne, Paris 1985, S. 160. Dt.: Rede an die Europäer, Thule-Bibliothek, Hörn 1988

Kampf um Europas religiöse Identität

krebs-identitaet-coverMut zur Identität Alternativen zum Prinzip des Gleichheit / hrsg. Von Pierre Krebs.ISBN 3-922314-79-1© Pierre Krebs, 1988

Wir leben einen politischen Bruch: der alte Streit zwischen ,rechts’ und ,links’, die soziale Frage betreffend, verliert an Kraft. Die offiziellen Rechten und Linken begeben sich zunehmend in eine ideologische Umarmung, der die politische auf dem Fuß folgt: sie haben Gemeinsamkeiten entdeckt, was den Fortbestand der sogenannten westlichen Zivilisation betrifft, und zwar vor allem in den negativ zu bewertenden Bereichen dieser Zivilisation, in den Bereichen ihrer machtstrukturellen, besonders ihrer egalitären, ökonomistischen und universalistischen ,Werte’.

Dieses Buch will etwas dagegen tun. Die einzelnen Abhandlungen zeigen auf, daß sich eine neue Trennungslinie entwickelt, zwischen den Anhängern des Kosmopolitismus und den Verfechtern der ethnokulturellen Identität. In unserer Zeit der Entfremdung von kultureller Schöpferkraft und Tradition eines Volkes ist es unerläßlich geworden, die Wurzeln der Identität, der geistigen Selbsterhaltung und Selbstentfaltung des Einzelnen sowie der verschiedenen Lebens- und Kulturgemeinschaften zu beschreiben, ferner eine Argumentationsbasis für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Geist der Entmündigung, Auflösung und Zerstörung herzustellen.

Die neuen Streitgespräche über die Problematik der Einwanderung und der mehrrassischen, mehr- und mischkulturellen Gesellschaft, über den Verlust von kulturellem Erbe und der Tradition eines Volkes sowie über die technische Entwicklung werfen bezeichnenderweise stets als eine entscheidende Frage die nach der Identität auf. Auch die Bedrohungen auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet stehen im Mittelpunkt der Identitätsdiskussion. Im Kampf gegen die universale Mischkultur muß man die nationalen europäischen Identitäten vereinigen, sie als einander ergänzend betrachten und sie nicht gegenüberstellen. Es gilt, die nationale Identität von oben (Europa) zu ergänzen und von unten (die Region) zu verankern. Mut zur Identität verficht das Modell einer heterogenen Welt homogener Völker, und nicht umgekehrt!

Zerstörung und Erneuerung

„Jedes Seiende ist nicht nur in seinem eigenen Sein ganz es selbst —
Es begehrt nichts anderes zu sein, als was es ist,
und will kein anderes sein —
In jedem anderen aber kann es sich nur eigentlich repräsentieren.“1

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Es ist der deutsche Philosoph Nikolaus Cusanus, 1401 in dem Weinort Kues an der Mosel geboren und 1464 als Kardinal und Generalvikar von Rom und also als zweiter Mann nach dem Papst Pius II. einen Tag vor diesem seinem Freund in Rom gestorben, der seine tief religiös begründete Erkenntnis von der unendlichen Ungleichheit alles Seienden mit seiner Überzeugung vom Willen und Anspruch eines jeden auf Selbstsein und Selbstidentität verbindet. Ohne dieses Selbstsein kann der Mensch nicht im eigentlichen Sinne existieren. Denn als Folge ihrer Verschiedenheit gelangen die Menschen „nur durch unterschiedlichen Zugang“ zur göttlichen Wahrheit.

Dies war ein massiver Schlag gegen den mächtigen Bau der „allumfassenden“ katholischen Kirche, der auf den Auftrag zur Universalität und auf der allgemeinen und absoluten Geltung ihrer für alle verbindlichen Dogmen gegründet war. Skandalöser freilich war, daß der Schlag geführt wurde von einem der Ihren aus dem Kreis des Heiligen Kollegiums selbst in einer dem Kardinal Cesarini vom derzeit päpstlichen Legaten, seinem Studienfreund Nikolaus Cusanus, gewidmeten Schrift. Daß sie ohne Wirkung, aber auch ohne die üblichen Folgen an Leib und Leben für ihren ketzerischen Autor blieb, lag an dem humanistischen Luftzug, der den Vatikan durchwehte und derzeit theologische Besorgnisse durch das Schwelgen in einem hohen Ästhetizismus und in der Lektüre Vergils und Homers gründlich vertrieben hatte. Daß die häretische Abweichung sogar innerhalb der Hierarchie sich zu Wort wagte, war zwar neu, aber unter Gesinnungsfreunden ohne Belang.

I   Zerstörung der religiösen Identität

Bekehren heißt „Unmögliches fordern“

Und Proteste erhoben sich, seit die Kirche den Fuß über den Limes gesetzt hatte. Dabei war es um jenes heiligen Zieles willen, alle Menschen dem Heil zuzuführen, nicht zu umgehen gewesen, daß sie, um der harten Widerstände Herr zu werden, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Identität zertreten hatte. Widerspruch, Weigerung sprechen unüberhörbar aus den jammervollen Briefen des Bonifatius2 an den Papst, in denen er seinem Ärger in erschütternden Klagen über die „halsstarrige“ Ablehnung freien Lauf läßt, mit der die „ungeschlachten Barbaren“ sich gegen seine „Bekehrung“ zur Wehr setzen: „Überall Mühe und Kummer! Außen Kämpfe, innen Furcht!“ klagt er und bekennt in der „Beklemmung seines Herzens“ dem Bischof von Winchester: „Für uns gibt es nicht nur nach dem Ausspruch des Apostels ,außen Kampf und innen Furcht’, sondern auch innen Kampf und Furcht!“ und empfängt von ihm aus England, wo man ähnlich herbe Erfahrungen mit dem „unbändigen barbarischen Sinn der Angeln“ gemacht hat, in seiner Verzweiflung Ratschläge, „wie es dir nach meinem Dafürhalten am besten und raschesten gelingen könnte, die Halsstarrigkeit des unbelehrten Volkes zu brechen, indem du ihnen den eigenen Glauben als ,Schmutz und Sünde’ vorhältst, gegen die allein die Taufe helfen kann“.

Als der norwegische König Hakon der Gute, der als Ziehsohn des englischen Königs „gechristet“ ist, auf dem Thing in Drontheim gebietet, das Christentum anzunehmen, erheben die Norweger erregten Widerspruch gegen das Ansinnen, „daß wir unseren Glauben ablegen sollen, den unsere Väter vor uns gehabt haben und alle Voreltern, zuerst im Bronzezeitalter und dann jetzt in der Zeit der Hügelgräber, und sie sind um vieles vornehmer gewesen als wir — und dieser Glaube hat uns doch getaugt!“ Sie schwören, dem König ihr Leben lang zu folgen und ihn in Ehren zu halten, wenn er nicht Unmögliches von ihnen fordere. „Wenn Ihr aber diese Sache mit so großer Strenge aufnehmen wollt, dann haben wir Bauern den Entschluß gefaßt, uns von dir zu trennen und einen anderen Führer zu wählen, der uns derart führt, daß wir in Freiheit unseren Glauben zu behalten vermögen, den wir wollen.“3

Europa empört sich gegen die „Beschmutzung“ der Seele

Aber schon im 4. Jahrhundert züngeln die ersten Flammen der Auflehnung in Trier empor und breiten sich in Windeseile über ganz Gallien aus, Flammen der Empörung über die Verachtung und „schmutzige Verdunkelung“ der Sippe und Ehre und der eigenen, plötzlich für sündig erklärten Seele. Dazu greift die Abneigung gegen die „lichtscheuen Männer“ um sich, die um der Sündigkeit der Welt willen freiwillig elend seien und „die Gottheit sich am Schmutz weiden lassen“, und macht sich in offener Feindschaft und Gewalt Luft. Währenddessen reckt sich in Rom der erste gewaltige, die Kirche erschütternde Protest eines Mannes aus dem hohen britischen Norden empor, der mächtige Widerspruch des germanischen Denkers Pelagius, der es wagt, den großen Augustin herauszufordern, sich dem geistigen Rom entgegenzusetzen, ja dem Apostel Paulus und seiner Lehre von der sündig geborenen Seele zu widersprechen. Und obwohl in dem gigantischen Kampf dieses einen gegen eine etablierte Weltmacht, in dem die Waage sich schon auf seine Seite zu neigen beginnt und nur reine Macht entscheidet, Pelagius unterliegt, breitet sein Protest sich aus, innerhalb der Kirche selbst, in Italien zunächst, steckt Gallien an, Irland, England, ganz Westeuropa und ging niemals ganz unter. Pelagius aber war nur der erste eines durch alle Jahrhunderte bis in die Gegenwart und durch alle Völker Europas gehenden, hier und da aufstehenden, nie verstummenden Widerspruchs gegen die Lehren der Kirche4.

Eine psychische Vergewaltigung größten Ausmaßes

Warum wehren sich Menschen gegen die Zumutungen einer Glaubenslehre, die nicht ihrer Welt entstammt? Warum nehmen sie Nachteile, Strafen, Verfolgung, sogar den Tod auf sich, um einer Glaubensthese zu widersprechen und aus innerster Überzeugung ihren eigenen Glauben zu leben? Und warum verlassen heute so viele Menschen die Kirchen, sofern sie religiöse Gründe geltend machen? Religion ist ein Wesenszug jedes Menschen. Doch alle Menschen erblicken das Göttliche von ihrem Standort aus auf je verschiedene Weise5. Gleichsam wie eine Stadt oder ein Berg jedem der sie umstehenden Beschauer aus seiner Perspektive einen anderen, nur ihm eigenen Anblick darbieten. Wenn auch jeder einzelne desselben Volkes, derselben Kulturgemeinschaft nie ganz dasselbe schaut wie der „Nebenstehende“, so verbindet sie doch die gleiche Weise des Schauens, des Erlebens, des Denkens, dieselbe Weise des Seins-und-Selbstverständnisses wie der religiösen Sinngebung, in der sie gründen, in der sie sich selbst wiederfinden und daraus sie ihre Kräfte und ihr Leben nähren. Und „unser Glaube, den unsere Väter vor uns gehabt haben und alle Voreltern in der Bronzezeit und jetzt in der Hügelgräberzeit — und dieser Glaube hat uns doch getaugt!“ ruft auf dem Thing in Drontheim der Bauer verzweifelt seinem König zu, der ein so schlimmes Ansinnen an sie stellt und „Unmögliches“ fordert.

Die Missionierung des germanischen Europa setzte dies „Unmögliche“ zielbewußt mit aller Härte und Schonungslosigkeit und mit wohlberechnetem psychologischem Gespür durch, einen geistig-seelischen Umsturz größten Ausmaßes, die psychische Vergewaltigung der Völker und jedes einzelnen, die tief in die menschliche Substanz eingriff, ihn seinem Urgrund entwurzelte, sein Wesen zerstörte und ihm den totalen Ausstieg aus sich selbst aufzwang. In dieser Missionierung — wie in jeder anderen — ging es ja nicht um einen bloßen Austausch von „Göttern“, bzw. was die Missionare sich unter germanischen „Göttern“ vorstellten, die sie kurzerhand, wie die vorgesprochene Taufformel besagt, zu Teufeln erklärten und an deren Stelle sie ihnen den dreieinigen Gott bringen wollten:

„Sagst du dem Teufel ab?
— Ich sage dem Teufel ab.
Sagst du allen Werken und Worten des Teufels ab,
dem Donar und dem Wodan und dem Saxnot
und allen Unholden, die ihre Genossen sind?“6

Wir sind es gewohnt, die „Bekehrung“ oder Christianisierung mit den Augen des Licht- und Heilsbringers zu sehen gegenüber Verlorenen, des Heils Bedürftigen, im Lichte des Erretters aus einer vom Bösen gestifteten Unsittlichkeit und Sittenlosigkeit durch Aufrichtung von Gesetz und Moral, eines Lichts, das die Finsternis der Irrenden erhellt und von der Knechtschaft der Triebe und Dämonen befreit. Allein, was die Kirche Verkündigung Gottes und der Frohen Botschaft nannte und was wir mit den Augen der Missionare zu sehen pflegen, war für die Betroffenen „Zerstörung“ — Zerstörung des ihnen Heiligsten, Zerstörung der Wurzeln, aus denen sie lebten und wurden, die sie sein konnten, und damit ihrer Kraftquellen, um ihr Schicksal zu bestehen und sich zu bewähren, die Zerstörung ihres innersten Kompasses, der ihnen Orientierung und Halt gebenden Sippen- und Ehebindungen, Zerstörung endlich ihrer religiösen, transzendenten Identität, ihres „Heils“7 und des sie tragenden Seinsgrundes. Es war der Totalverlust ihrer Identität.

Damit wurde, in Jahrhunderte währender Erziehung8 der ehrbewußten, im göttlichen Heil gründenden Männer und Frauen durch Brechung des Willens zu gehorsamer Unterordnung sowie in einem schmerzhaften Prozeß mühsamen Umdenkens und seelischer Umformung zu Sündigkeitsbewußtsein und Höllenangst, mit dem Selbstverständnis das Wertbewußtsein gänzlich aus den Angeln gehoben und ins krasse Gegenteil verkehrt und das Selbstwertgefühl von Männern und Frauen tödlich getroffen. Der Verlust jeder Orientierung kennzeichnet die auf die missionarische Umpolung der Maßstäbe folgenden Jahrhunderte durch den chaotischen Zerfall aller Sitten und aller Sittlichkeit, durch Unzucht und Frauenmißbrauch, Gewalttat, Grausamkeit, Mord. So daß sich der Bischof von Marsilia, Salvian, im 5. Jahrhundert zu dem für die Kirche beschämenden Fazit genötigt sieht: „Schlechter sind die Menschen geworden, als sie vorher waren!“9 Selbst Bonifatius kann nicht umhin, dem verkommenen Lüstling und Nonnenschänder, dem christlich getauften englischen König Ethilbald von Mercia, die Sittlichkeit der Ungetauften, der heidnischen Altsachsen, als Vorbild hinzustellen, „die — obwohl sie Gott nicht kennen und dessen Gesetze nicht haben — von Natur tun des Gesetzes Werk und damit sagen, es sei beschlossen in ihren Herzen“.

Vom freien Sachsen zum „weinenden Knecht“

Von welchen Widersprüchlichkeiten der so gegensätzlichen Wesensgesetze der Einzelne zerrissen und in ihnen zerrieben wurde, welche seelischen Qualen, welche Verwirrungen und Verirrungen der Verlust des ureigenen Selbst, die systematische Zerstörung der religiösen Identität durch christliche Entwurzelung, Fremdbestimmung und Fremderziehung diesen Menschen zugefügt wurden, zeigt wie in einem Brennglas das Schicksal eines Sohnes des eben gewaltsam getauften Sachsenvolkes, der in der leidvollen Zerreißprobe zwischen seinem Sachsentum und Christentum einer der reifsten, seiner Zeit vorauseilenden Dichter und nach dem Schotten Eriugena selbständigster Kopf seiner Zeit wurde — und zum Rebell10.

Im Jahre 804 wird der Sohn des sächsischen Grafen Bern geboren und zur Erziehung dem Kloster Fulda übergeben, wo er nach dem frühen Tod des Vaters, der ihn zum Erben beträchtlichen Landbesitzes und zur verlockenden Einnahmequelle gemacht hat, als noch Unmündiger vom Abt gezwungen wird, Mönch zu werden. Als er dreiundzwanzigjährig von weiterer Ausbildung aus dem Kloster Reichenau nach Fulda zurückkehrt, bricht der Konflikt offen aus. Gottschalk, der keine Berufung zum Mönch in sich spürt, fordert, vom unbändigen Freiheitsdrang der Sachsen erfüllt, seine Freilassung und die Herausgabe seines ererbten Besitzes. Doch der Abt — Hrabanus Maurus — hält den Widerstrebenden im Kloster fest. Der wagt für das „Gesetz der Freiheit“ das Unerhörte. Er klagt beim Erzbischof von Mainz Hrabanus Maurus der Freiheits- und Vermögensberaubung an. Auf Befehl Kaiser Ludwigs des Frommen treten fünf Erzbischöfe, vierundzwanzig Bischöfe, vier Chorbischöfe und sechs Äbte in Mainz zur Synode zusammen. Hier erhebt die ungeheuerliche Anklage gegen seinen Abt „Gottschalk des sächsischen Grafen Bern Sohn, behauptend, er habe ihm gegen seinen Willen die Tonsur geschnitten, habe ihn mit Gewalt ergreifen lassen und an das Kloster gefesselt“. „Der Sohn eines Freien“, erklärt der Jüngling unbeirrt der hohen Versammlung, „darf nicht zum Sklaven gemacht werden und nicht zum servitium Dei des Mönchslebens gezwungen werden. Wohl schuldet die ganze Menschheit Gott ihren Dienst, aber nicht nach Mönchsregel und Klosterdisziplin. Der Mensch kann auch ohne Mönchsgelübde sein Heil finden. Mönch werden, heißt, Sklave werden.“ Er kämpft mit aller Leidenschaft, und tatsächlich erkennt die Synode auf Freilassung, aber Einbehaltung des Besitzes. Doch Gotschalk erhebt furchtlos Einspruch gegen das ihm geschehene Unrecht, und da auch Hrabanus Maurus „wegen des geflohenen sächsischen Mönches“ das gesamte Mönchswesen „wanken“ sieht, kommt die Sache vor den Kaiser selbst.

Über den Ausgang jedoch schweigen die Quellen und gleichfalls über den offenbar „in die väterliche Freiheit“ Entlassenen. Bis zu dem Tag, an dem wir ihn — Jahre später — wieder in einer Klosterzelle, wieder als Mönch, diesmal im Kloster Hautvilliers bei Reims sehen: einen gänzlich Verwandelten, der nichts mehr von seiner Auflehnung, nichts mehr von unerträglicher Versklavung des servitium Dei weiß, nichts mehr von der stolzen Überzeugung, auch ohne Klostergelübde könne der Mensch sein Heil finden, — er, der freiwillig die Freiheit, um die er so erbittert gekämpft, allein vor Kirche und Reich, und die er so schwer errungen hat, wieder von sich geworfen hat.

Warum, wissen wir bis heute nicht. Dieser Sinneswandel ist unerklärlich — und er ist total. Aus seinen großen Hymnen an die Gottheit — schon als Knabe hat er zarte, innige Lieder gedichtet — blickt uns ein vollständig veränderter, von „Tränen und Furcht“ gezeichnetes Gesicht an; ein Mensch, „gebrochen von der Last unendlicher Sünden“, ein „weinender Knecht“, „der aus der tiefen Finsternis des höllischen Abgrunds“ um Erbarmen schreit:

„Umwunden mit der Fessel der Sünde
habe ich durch Sünde Deinen Zorn geweckt
Weh, was wird aus mir Elendem!“

In dieser innerlich zerbrochenen Persönlichkeit aber steckt noch immer die Unbeugsamkeit des Sachsen, eine mächtige Willenskraft, eine trotzige Unbedingtheit, die ihn jetzt erneut mit seinen Oberen und der Kirche in Konflikt geraten, ja — diesmal durch ein Übermaß des Sünder- und Sklaveseins zum Ketzer werden lassen. An diesem unglückseligen Sachsen in der Mönchskutte offenbart sich die furchtbare Tragik, die aus der Verquickung zweier grundverschiedener geistiger und seelischer Stile, aus der Mesalliance zweier unvereinbarer, feindlich einander widersprechender religiöser Denk- und Erlebensweisen gezeugt wird11. Hier treten die aus dem ursprungshaften Einssein stammende germanische Unmittelbarkeit zum Göttlichen — die das Mittlertum der Kirche ketzerisch ausschaltet — und die germanische Unbedingtheit der Bejahung jeglichen Schicksals, wie es auch sei, in den Dienst der augustinischen Lehre von der Verfallenheit eines jeden Menschen mit seiner Geburt an die Erbsünde und seiner vorgeburtlichen Prädestination zu Seligkeit und Verdammnis. Ja, sie übersteigern die christliche Auffassung zur Vorherbestimmung des gänzlich unfreien Menschen zu Erlösung oder Höllenstrafe durch einen ebenso unbeugsamen, unwandelbaren, zornigen Gott, dessen harten Willen Gottschalk vorbehaltlos bejaht und tapfer besteht, so wie seine Väter sich fraglos und furchtlos ihrem Schicksal gestellt hatten. Und genau diesen Glauben bewahrt Gottschalk bis zu seinem Lebensende. Denn, von seinem alten Gegner, Hrabanus Maurus, den man mit dem Ehrennamen des „Praeceptor Germaniae“ ausgezeichnet hat, als Ketzer angeklagt, wird Gottschalk auf dem einberufenen Konzil in Quiercy zu Geißelung, zu ewigem Schweigen und zu ewiger Kerkerhaft verurteilt. Das Urteil wird sofort minutiös vollstreckt. Alle anwesenden Bischöfe und Äbte nehmen eigenhändig die Geißelung in einer bis dahin beispiellosen Form vor, von der der Erzbischof Remigius von Lyon in heller Empörung berichtet: „Denn in einem so unerhörten Beispiel von Gottlosigkeit und Grausamkeit wurde jener Unglückliche mit Geißeln und Faustschlägen zu Boden gehauen, bis er, halb tot, gezwungen wurde, in ein von ihm entfachtes Feuer eigenhändig ein Buch zu werfen, in dem er Sätze aus der Hl. Schrift zusammengestellt hatte, die er auf dem Konzil vortragen wollte.“

Zwanzig Jahre schmachtete der Verurteilte in völligem Schweigen und Einsamkeit in seinem feuchten Verließ, wo er am 30. Oktober 869 starb, ohne den Angeboten der Hafterleichterung durch Widerruf seiner Glaubensüberzeugung jemals nachgegeben zu haben.

Wie lernt ein Volk sich selbst verachten?

Sünde — das Wort, das in die Herzen aller Getauften gesät wird — das ist nicht die Lüge, der Diebstahl, der Meineid, — nein das ist die Sündigkeit von Mutterleib an, durch Evas Ungehorsam in die Welt gebracht und allen Menschen ohne Unterschied vererbt, durch nichts, auch nicht durch den besten Willen, auch nicht durch die beste Tat zu tilgen. Sünde, deretwegen sie zeitlichen und ewigen Strafen verfallen sind, wenn nicht Gottes Gnade hilft. Sünde! Wie lernt ein Volk dies, was seinem innersten Wesen tief widerstreitet und dem, wie es seit Menschengedenken sich selbst verstand?

Sünde — das ist jetzt alles, was ehedem hier den Menschen zum Menschen machte und was ihm heilig war. Doch um sich nicht mehr im göttlichen Heil geborgen12, von ihm durchstrahlt und getragen zu empfinden, um sich nicht mehr selbst das Maß zu geben, an dem man sich selbst mißt13: an seiner Ehre, um vor dem eigenen Urteil, um vor sich selbst zu bestehen, um sich selbst achten zu können — um sich im Gegenteil als Sünder zu verstehen, der sich des Heils seiner Seele aus eigenem Verdienst unwürdig fühlt, dazu bedurfte es eines totalen Bewußtseinswandels, der „Verbrennung“ alles dessen, was ihm heilig gewesen war, einer Ausreißung aller Wurzeln, mit denen er im Sein verankert war, einer Umwertung aller Werte ins absolute Gegenteil — und nicht nur der religiösen. Denn wenn Religion ein ganzheitlicher Bezug des Menschen ist, bedeutet ihre Umfunktionierung hier in Europa Umwertung nahezu aller ethischen, sozialen und sonstigen menschlichen Grundwerte, die sein Menschentum und seine Menschlichkeit bestimmt haben. Es gab kein Feld, auf dem nicht das Ureigene aus dem Boden gerissen und fremder Samen angesät wurde.

Verteufelung alles ehedem „Heil“ tragenden

Die tiefstgreifende Selbstentfremdung, die bis heute ihre tief eingegrabenen Spuren hinterlassen hat, traf die Frauen. Die germanischen Frauen14, die als selbständige Persönlichkeiten neben dem Mann standen mit eigener Ehre und gleicher Entscheidungsfreiheit und gleichen Zielen lebten, werden durch das neue Vorbild, das die Kirche ihnen aufzwingt, bis ins Mark getroffen15. Sie werden zu Evastöchtern, die den eben bekehrten Sachsen in der „Altsächsischen Genesis“ durch den Geistlichen Caedmon als „Frau von schimpflicher Gesinnung“ nahegebracht wird, die von ihrem Adam verflucht wird:

„Fürwahr! Du Eva, hast unseren Weg mit Unglück bezeichnet!
Nun magst du die schwarze Hölle gähnen sehen,
Die gierige, gellen magst du sie von hinnen hören …
Jetzt mag es mich gereuen, daß ich den Gott des Himmels bat,
Daß er dich hier formte für mich aus meinen Gliedern.
Jetzt hast du mich verführt zu meines Herrn Hasse,
So daß es jetzt und immerdar mich reuen mag,
Daß ich dich mit meinen Augen sah!“

Gott aber spricht zornig zu Eva und zu den sächsischen Männern und Frauen seinen furchtbaren Fluch: ein Programm, das in Zukunft nicht nur die Frauen, das auch die Männer in Pflicht nimmt:

„Gehe fort von der Freude!
Du sollst in deines Ehemannes Gewalt sein!
Von der Furcht vor deinem Gatten hart geängstigt,
Sollst du in Niedrigkeit deiner Taten Verirrung büßen …“16

Die Brutalität, die, fortan in Predigt und Lehre, Erziehung und Spruchdichtung17 hochgetragen, sich in Worten und Taten, an Strafen und Prügeln, an Frauenschändung und -beschimpfung, Frauenverachtung und Frauenhaß austobte und sich in Hexenverleumdungen und massenhaften Hexenverbrennungen dem Wahnsinn verbündete, ist so unvorstellbar wie die Tränen, die durch ein Jahrtausend geweint, und das Leid, das diesen Stolzen, vor dem freien und ganzen Menschen in der neuen Erniedrigung zu Krüppeln ihres Menschentums und zu schwachen, unmündigen, zum Gehorsam verpflichteten, weil triebhaftlüsternen Sünderinnen, die den Mann „von Gott abziehen“, zugefügt worden ist: Frauen, denen nach den Worten des Tacitus bei den Germanen „etwas Heiliges innewohne“18, die dem Göttlichen besonders innig verbunden seien und größeres Heil in sich tragen. An Tausenden von ihnen wird jetzt der Taufbefehl des Bischofs Remigius von Reims wortwörtlich vollzogen: „Verbrenne, was du angebetet hast!“ Wie ein allesumpflügender Tornado schlug sich die ungebetene und unwillkommene ultramontane Invasion ihre zerstörerische Bahn, brach in die intimsten Bereiche der Liebe, der Ehe und aller natürlichen Bindungen der Familie, der Sippe, des Volkes ein, verfremdete und verkehrte den Sinn von Arbeit, von Kampf und Frieden, ja von Leben und von Tod bis in den Grund. Sie „wandelte“ — laut Anordnung Gregors III.19 — die ererbten religiösen Bräuche, die Verehrung der Toten der Sippe und die Gedächtnisfeier der Ahnen um „in das Gedächtnis der Heiligen und heiligen Märtyrer“, erhob Eva, die Mutter der Sünde, zur Mutter aller Menschen und gab den Völkern Noah zum Stammvater. Hatten die Könige der Goten und Langobarden ihre Herkunft von Odin abgeleitet, die norwegischen und schwedischen Könige sich auf Gott zurückgeführt, wie das Volk selbst sich hier als von göttlicher Abkunft verstand20, so werden jetzt König David und Melchisedek, Priesterkönig von Jerusalem zur Zeit Abrahams, zu den Häuptern germanisch-europäischer Königshäuser. Ein Wechsel, der nicht nur ein Wechsel der Namen ist, sondern tief in das Geschichtsbewußtsein und in den Gang der Geschichte eingegriffen hat. Denn der König21, wie die Frau in besonderer Weise von „Heil“ erfüllt, und das politische Gemeinwesen, der Staat, das Reich22, heilig auf Grund der göttlichen Abkunft des Volkes, büßen in der Rollenbesetzung, die der Afrikaner Augustin23 der Römischen Papstkirche zugedacht hat (als „civitas dei“, als Gottes-Reich, über die „civitas terrena“ oder „diaboli“, das Erden- oder Teufelsreich, die Gesamtheit der weltlichen Staaten der vom Teufel geleiteten Irdischgesinnten und Gottesfeinde, die von Gott verworfen und zum Untergang bestimmt sind, zu herrschen) ihren Heiligkeitscharakter, ihre Würde, ihre Unabhängigkeit, ihre Identität ein.

„Die Sonne hat den Schein verkehrt“

Vollends seit der Geist der Clunyazenser Kirchenreform in den Vatikan einzieht und mit ihm der feindliche Gegensatz zwischen römischem und germanischem Heiligkeitsanspruch24 als der zwischen Hierarchie und Reich, zwischen Papst und Kaiser entbrennt, der jetzt als „tempelschändender Händler“ vom Papst aus dem Tempel getrieben werden könne und jedem geringsten Geistlichen Untertan sei, wird der Abgrund aufgerissen, die uralte göttlich-weltliche Einheit durch den orientalischen Dualismus kontradiktorischer, unvereinbarer, rangverschiedener Gegensätze feindlich zerschlagen. Der Zwiespalt zerbricht alle Ordnung des Reichs, weitet sich als Unheil durch die ganze sittliche und kosmische Ordnungswelt aus, so daß — wie Walter von der Vogelweide klagt — „die Sonne den Schein verkehrt“, selbst „die Vöglein in den Lüften dauert unsre Not“. „Sieh, wie der römische Erdkreis in Düsternis gehüllt, der Treue bar, zu frevelhaftem Beginnen und ruchlosesten Taten sich antreiben läßt!“ ruft erschüttert der aus königlichem Geschlecht geborene Otto von Freising: Die Zerstörung der religiösen Grundfesten, die Entheiligung alles Irdischen und Menschlichen, auf denen die Heiligkeit des Reiches geruht hatte, „führte so viel Unglück, so viele Gefahren für Leib und Leben herbei, daß er allein genügte, um das unselige menschliche Elend zu erklären.“25

„O weh, ich bin wie ein fauler Fisch und ein stinkendes Aas“

Wahrhaft vernichtend griff die religiöse Umpolung und Entheiligung in das Bewußtsein der Menschen und in ihr sie formendes Selbstverständnis ein. Die Erziehung durch Drohungen mit dem Jüngsten Gericht und den Strafen der Hölle, durch Schüren von Angst und durch Versprechungen, „daß ihr euch in Ewigkeit dort freuen möget, wo kein Ende, keine Qual, keine Trübsal ist, sondern ewiger Ruhm“ durch die Verheißung, „den Söhnen der Auserwählten zuzugehören“, vorausgesetzt, daß sie sich solcher Gnade für würdig erweisen, indem sie sich vor Gott als Elende und Sünder bekennen, die sich des Heils aus eigenem Verdienst unfähig fühlen — verlangt Zerstörung der Selbstachtung und des Selbstwertgefühls, bedeutet Selbstverachtung und Zertreten des eigenen Selbst.

Bis zu welcher Selbsterniedrigung und um welchen Preis dies geschehen konnte, zeigen die wilden Selbstanklagen eines zu Gott und zum Gottes-Täufer Johannes schreienden Mannes Heinrich, der um 1150 in den österreichischen Alpen lebte und dem „in seiner zu großen Schwachheit“ und „Haltlosigkeit“ „der Sünden bleiernes Gewicht“ zu schwer geworden war:

„O weh, ich staubige Asche, ich flüchtige Spreu,
ich bin ein fauler Fisch von den Sünden bis auf die Gräten…
Ich brüchige Ofenscherbe — was, wenn ich morgen sterbe?
Wem ich heute genehm, dem ich morgen widerwärtig,
ich stinkendes Aas —
o weh, wie oft ich lüge, in dem, was ich Gott gelobe.
Der Sünden madige Geschwüre,
die haben meine Seele verdorben und mich wie Lazarus getötet;
mein Gewissen verfault mir,
wenn mich nicht aufrichtet der Gottestäufer,
dein wunderbares Erbarmen ohn all mein Streben…
Dann habe ich Unreiner, ich Gehässiger, ich Neidvoller,
ich Zorniger, ich Habgieriger, ich Anreizer zum Bösen,
ich des Teufels Wucherer, ich aller Laster Heerhorn,
dann habe ich dich, Gottes Fahnenträger, erkorn.“26

Vierhundert Jahre sind seit Bonifatius vergangen: Aus Germanen sind Christen geworden.

II   Erneuerung der religiösen Identität

Dennoch ist die totale Identifikation mit der Sünderreligion — auch wenn man sich daran gewöhnt hatte, Urkunden mit dem Namen und dem flotten Zusatz „peccator“, „Sünder“, zu zeichnen — niemals die Regel. Zumal nicht bei den aktiveren, selbständigeren Geistern. Aller seelsorgerischen Anstrengungen zur Umorientierung des Bewußtseins durch das „Aufpäppeln mit der Milch der christlichen Lehre“ zum Trotz erhält sich die Art und Weise des ureigenen Denkens. Ja, es formt seinerseits die fremden Denkinhalte durch die eigene Art des Ergreifens unwillkürlich um, so daß man von einer unbewußten Germanisierung des Christentums gesprochen hat. Daraus erklären sich wesentliche Unterschiede unter seinen nationalen Ausprägungen, wie die des koptischen Christentums, das unverwechselbar ägyptische Züge trägt, des syrischen, griechisch-orthodoxen, des afrikanischen, lateinamerikanischen, des italienischen, des französischen, des deutschen, niederländischen, englischen und so fort. Nie aber hat unter der sich langsam glättenden Oberfläche das vulkanische Gestein des inneren Widerstandes sich ganz beruhigt. Immer wieder schießen während anderthalb Jahrtausenden eruptiv durch die Decke der abendländischen Christenheit Auflehnung, Aufstand, Protest empor gegen den diktierten Glauben, der sich mit den eigenen Überzeugungen nicht vereinbaren will.

Der europäische Gegenwurf zum biblischen Sündenfallmythos

„Es stimmt nicht, daß die beklagenswerte Situation, die Adam
hervorgerufen hat, verhängnisvolle Folgen gehabt und sich auf alle
Menschen vererbt hat! Die Sünde ist eine Wahlmöglichkeit, vor
die der Mensch gestellt ist!“1

empört sich der aus dem Norden der britischen Inseln nach Rom gekommene Pelagius über die augustinische Erbsündenlehre. „Wir widersprechen Gott, er sei der Urheber menschlicher Schwäche von elenden Sündern — o blinder Unsinn!“ Wie soll eine Sünde eine unausweichliche Verderbnis von universaler Ausbreitung nach sich ziehen? Eine Verderbnis schon der Allerkleinsten, der eben Geborenen? Nein, sündlos wird der Mensch geboren, und Gottes Gnade offenbart sich in dem freien Willen, den er ihm gab, zu sündigen oder sich von einer Sünde abzuwenden, in der Freiheit, sich für das Gute oder für das Böse zu entscheiden, und in der Kraft, das Gute auch zu vollbringen. Denn Gottes Kraft ist es, die in uns handelt, ebenso wie es Gottes Wille selbst ist, der als Freiheit in und durch uns wirkt.

„Es gibt nämlich in unserer Seele eine Art natürliche — wenn ich
so sagen darf  Heiligkeit“2.

In jedem Menschen liegen die Kräfte, sich über die Gebundenheit der Instinkte und über die Zwänge der Natur zu erheben und der freiwillige Vollstrecker des göttlichen Willens zu sein. Dieses Vorrecht ist unsere göttlichste Mitgift: den eigenen Willen frei dem seinen zu verbinden.

„Ich gehorche nicht, sondern ich stimme ihm zu. Ich folge ihm aus
eigener Überzeugung, nicht weil ich muß.“

Das ist nicht die Stimme eines Sündenbewußten, sich nach Erlösung Sehnenden. Das ist die selbstbewußte Sprache eines Menschen, der aus freier Entscheidung Gefolgschaft leistet oder versagt, gegenüber dessen freier Hingabe erzwungener Gehorsam ein Nichts ist. Zwang vernichtet. Zwang zerstört die gott-menschliche Beziehung. Nur die Freiheit des autonomen Menschen verwirklicht sie, der sich selbst das Gesetz gibt und sich selbst verantwortlich ist. Und der allein sittlich handelt. Aber nicht ein Mensch, der an die eigene Ohnmacht glaubt- und an sein Erlöstsein durch Christus.

Pelagius hatte in den christlichen Kreisen Roms eine Sittenverwilderung und Lasterhaftigkeit angetroffen, für die er die Schuld nicht einer angeborenen Sündigkeit und menschlichen Schwachheit gab, sondern dem Glauben, schon für immer errettet zu sein. Für diesen tieferschreckenden Vorgang des allgemeinen Sittenverfalls und religiösen Glaubensverfalls klagte er die christliche Lehre von der sündigen Natur des Menschen an und den Glauben an die durch Christi Kreuzestod bereits geschehene Erlösung aller Getauften: Sie hätten die fehlende sittliche Verantwortung des einzelnen verschuldet. Die christliche Predigt der menschlichen Schwachheit sei für den Verlust der Sittlichkeit verantwortlich. Dagegen lehrt er die menschliche Stärke:

„Wir müssen an unsere Stärke glauben, sie zu erkennen lernen und unsere Kräfte benutzen, die gewaltig sind! Aus uns selbst und in uns besitzen wir alles, was notwendig ist, um das göttliche Gesetz zu erfüllen.“3

„Dein Adel, deine hohe Stellung, deine Reichtümer“, schreibt Pelagius in einem Brief an ein sechzehnjähriges junges Mädchen aus reicher römischer Adelsfamilie, „hängen nicht von dir ab. Doch niemand wird dir deine geistigen Reichtümer übertragen können außer du selbst!“ Wie gesagt: Augustinus wurde der Sieg zugeschanzt, Pelagius verurteilt, seine Lehre von Konzil zu Konzil verdammt, seine Schriften verboten und mit Silentium bedeckt, sie blieben verschollen, bis Anfang des 20. Jahrhunderts eine Abschrift wieder aufgefunden wurde. Und doch erhebt sich hier eine Stimme und dort, die die Sprache des längst Vergessenen spricht. Ist es Zufall, wenn im 13. Jahrhundert ein deutscher Ritter in Wien den Verlaß auf Jesu Erlösertod als Ursache der Unsittlichkeit, Gottes Vorherbestimmung als Verführung zu Gewissenlosigkeit brandmarkt?4 Ist es blinde Duplizität der Gedanken, wenn während der Herrschaft der Scholastik der deutsche Dominikaner und Provinzialprior der Provinz Teutonia, Professor an der Pariser Sorbonne und Leiter des Studium generale in Köln Meister Eckhart die Einheit des menschlichen Willens mit dem Göttlichen als Akt freier Zustimmung verkündet?

„Gott zwingt den Willen nicht, er setzt ihn in Freiheit: so daß er nichts will, als was Gott und die Freiheit selber ist. Da vermag nun der Geist nichts anderes zu wollen, als was Gott will. Das ist keine Unfreiheit an ihm, das ist seine eigenste Freiheit.“5

Ist es nur reiner Zufall, daß im England des 18. Jahrhunderts der Earl of Shaftesbury6 den als Sünder verleumdeten Menschen rehabilitiert als den Selbstgesetzgeber, der als Bekundung des göttlichen Urgrunds in sich selbst den Quellgrund des Sittlichen besitzt? Ist es mehr als ein willkürliches Zusammentreffen, daß im gleichen Jahrhundert — 1400 Jahre nach Pelagius — an drei verschiedenen Stellen Europas gleichzeitig pelagianische Motive spontan und sinngetreu erneut angeschlagen und zur weithin tönenden Melodie aufgenommen werden? Wenn in der Schweiz Heinrich Pestalozzi7, in Königsberg Immanuel Kant, in Jena Friedrich Schiller, „den Abgrund füllen“ zwischen der „Furchterscheinung“ des außerweltlichen Gottes und „fremden Diktators“ und der sündigen Menschheit in „ihrer traurigen Blöße“ durch die Einheit des dem „Innersten unserer Natur“ innewohnenden „heiligen, göttlichen Wesens“, „des Göttlichen in der eigenen Brust“ und im eigenen Willen, eines „Unbedingten, das im Selbst als moralisches Gesetz spricht“?8 Wenn Schiller die Christenheit aufruft:

„Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
Und sie steigt von ihrem Weltenthron“?9

Und wenn Kant den Menschen aus seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu einem eigenständigen, autonomen Selbst und aus dem so verschuldeten „Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ herausführt, indem er ihm die Würde zuerkennt, frei und fähig zu sein, sich selbst das Gesetz seines Erkennens und seines Handelns zu geben und sich ihm freiwillig unterzuordnen aus keinem anderen Beweggrund als aus Achtung für das Gesetz und seinen göttlichen Grund10? Beweisen nicht diese und Hunderte von Stimmen, daß ein und derselbe verborgene religiöse Strom, ein- und dieselbe Denkungsart unterhalb einer mehr oder weniger gelungenen Christianisierung der europäischen Völker durch die Jahrtausende strömt, in spontanen ketzerischen Widersprüchen sich bekundet, die ohne Vorbild, ohne Berührung untereinander sowohl in den Ecken, an« denen der Anstoß sich ereignet, als in den Entgegnungen übereinstimmen? Eine berühmte Lebensgeschichte hat uns eine Begebenheit aufbewahrt, die solchen Übereinstimmungen den Zufallscharakter nimmt und mit unüberbietbarer Überzeugungskraft die religiöse Identität innerhalb gewaltiger Zeiträume beweist.

Auf einer Synode der „Brüdergemeinde“, einer pietistischen Erweckungsbewegung, deren Lehre der Versöhnung der tiefsündigen Menschheit mit Gott durch Christi Tod galt, unterhält sich Ende des 18. Jahrhunderts arglos ein junger, aufgeschlossener Teilnehmer, der äußerst erstaunt ist, daß man ihn nicht als einen Christen gelten lassen will, ja — höchst erschrocken, als er „eine große Strafpredigt erdulden muß“ und einer der Synodalen ihn beschimpft, „ein wahrer Pelagianer zu sein“. Der Bescholtene forscht daraufhin nach allem, was er über diesen ihm gänzlich unbekannten Pelagius erfahren kann — und eine Welt geht ihm auf, die der seinen tief verwandt ist. Von seinen Überzeugungen „war ich aufs innigste durchdrungen, ohne es selbst zu wissen“11.

Es ist der fünfundzwanzigjährige Goethe, der nach diesem ihn aufrüttelnden Erlebnis ein Prometheus-Drama12 beginnt, den ungeheuersten Protest gegen „die Götter droben“. Denn während dort Prometheus die als seine Feinde hohnlachend abweist, erkennt er staunend in sich, in seiner schöpferischen Kraft das Göttliche selber. Was er für sein Eigenes gehalten hatte, das ist das Göttliche in ihm und mit ihm ununterscheidbar eines:

„So war ich selber nicht selbst,
Und eine Gottheit sprach,
Wenn ich zu reden wähnte
Und wähnt‘ ich, eine Gottheit spreche,
Sprach ich selbst.“

So stark lebt Goethe aus diesem Urerlebnis der Einheit des Menschen mit dem Göttlichen, kraft der er die Freiheit besitzt, sich zu entscheiden, sich strebend zu bemühen, aber auch zu irren; und den inneren Kompaß, der ihn auf seinem langen Lebensweg begleitete, zeichnete er in der Gestalt Faust. Hier ist alles ein einziger Gegenbeweis gegen jene in Marienborn schon bekämpfte Lehre von der „Verdorbenheit der menschlichen Natur durch den Sündenfall“ — hier erfolgt derselbe Einspruch dagegen, „daß auch bis in ihren innersten Kern nicht das mindeste Gute an ihr zu finden“ — hier meldet sich sein scharfer Widerspruch gegen die Rede, der Mensch müsse „auf seine eigenen Kräfte durchaus Verzicht tun“ — derselbe Protest, „er habe alles von der Gnade zu erwarten“, wie Goethe in Dichtung und Wahrheit seine Auseinandersetzung mit den Pietisten festgehalten hat. Um den Menschen geht es: hier Mephisto, der das unbegreiflich hohe Gotteswerk Mensch in Zweifel setzt und seinen Triumph schon vorausschmeckt, wenn er es herabgezogen haben wird in die Verderbtheit der staubfressenden „berühmten Schlange“ — dort der Herr, der Faust dem Teufel übergibt, übergeben kann, weil der göttliche Quell in ihm springt:

„Nun gut, es sei dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab
Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,
Auf deinem Weg mit herab —
Und steh beschämt, wenn du bekennen mußt:
Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.“13

Gott kann — das ist der klare Gegenwurf des europäischen Menschen gegen den orientalischen Sündenfallmythos — bedenkenlos Faust dem Verführer ausliefern und ihn, ohne einzugreifen, sich selbst überlassen, weil der Mensch nie seinen „Urquell“, seinen göttlichen Urgrund, die innere Magnetnadel verlieren kann, die ihm trotz allen Irrens den rechten Weg weist.

Europa behauptet das „Heil“ gegen den orientalischen Dualismus

In der Reibung an der christlichen, dualistischen Spaltung des Seins in ein außerweltliches Jenseits, aus dem ein persönlicher Gott in das von allem Göttlichen entleerte, des Heils verlustig gegangene Diesseits durch Zorn und Gnade, als liebender Vater und strenger Richter lohnen und strafend eingreift, ist die uralte, spezifisch europäische Urerfahrung des Einen Seins und gottweltlichen Einsseins in immer neuen Aspekten wiedererweckt und bewußt geworden, durchdacht und vertieft in einer europäischen Religion entfaltet14. Männer und Frauen aus allen europäischen Nationen, aus allen Ständen und Berufen, die italienische Gräfin wie die niederländische Bäuerin und die französische Herzogin, der englische Bischof, der deutsche Schuster, der Schweizer Arzt und der französische Goldschmied, viele englische Physiker, deutsche Philosophen und Dichter, wie auch Jesuiten, Dominikaner, Franziskaner, Beginen, Brüder des freien Geistes, Priester, Mönche und verfolgte Gemeinschaften, die nach Amerika auswanderten und drei der großen Präsidenten der USA15 stellten, Menschen der unterschiedlichsten Charaktere und Temperamente — sie alle, die sich mit den fremden Glaubensvorstellungen nicht abfinden konnten und in ihrer Auseinandersetzung mit ihnen jeweils zu ihrer eigenen religiösen Identität fanden, sie alle auf oft einsamen Posten, von der Kirche bedroht, verfolgt, verbrannt, stimmen, meist ohne voneinander zu wissen, wie in geheimer Verständigung dieselben Themen, dieselben Klänge an und in demselben mächtigen Chor zusammen.

Ob Meister Eckhart den schon allenthalben keimenden Gedanken des dem menschlichen Seelengrund innewohnenden Göttlichen — in dem das germanische „Heil“ als Grund der Existenz nachschwingt — in tief hinableuchtender, schöpferischer Intuition von der ,Geburt Gottes in der Seele’ groß entfaltet zur Wiederheiligung des erniedrigten Menschen und zur Heilung der Gott-Mensch-Einheit von ihrer Zerreißung, von ihrem Herr-Knechtsverhältnis und dem ewige-Ruhe-Suchen in Gott dem Herrn zu einem krafterfüllten, „von Heil“ erfüllten Leben der Tat und des ewigen Werdens, das durch keine Furcht und Sorge, Schwachheit und Angst zerfressen wird16,— er erhält Nachfolge in Flandern und den Niederlanden, in Süddeutschland und der Schweiz, durch Seuse und Tauler, den Frankfurter Deutschherrn und viele andere, die, wenngleich sie dem Maß dieses außerordentlichen Mannes nicht entfernt nahekommen, in seine Fußspur treten. Und nicht diese einzelnen allein. Die Ergriffenheit durch die — gegenüber der christlichen grundverschiedenen, sogenannten „deutschen“ — Mystik weitete sich aus zu einer Volksbewegung von europäischem Ausmaß.

Wie genau und wie tief Eckhart das Empfinden und die Sehnsucht des von der endzeit- und jenseitsgestimmten Kirchenpredigt erschreckten Volkes getroffen hatte, bewies die Liebe und Zuneigung, die ihm von seinen Hörern entgegenschlug. Darin erkannte er sehr genau, wie er seinem Inquisitor ins Gesicht sagte, den Hauptanlaß für seine Beseitigung: ohne seine Beliebtheit beim Volke „wäre derartiges von meinen Neidern nicht gegen mich versucht worden“17.

In einer Predigt hatte er einmal, mitgerissen vom Höhenflug seiner Gedanken, plötzlich innegehalten und seinen Hörerinnen tröstend versichert: „Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn sofern der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, wird er diese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhüllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittelbar.“18 Gerade die vertrauende Anhänglichkeit des Volkes und seine Aufgeschlossenheit aber bewiesen ihm, daß seine Worte vom Einssein des Wesenskerns der menschlichen Seele mit dem Göttlichen unmittelbaren Widerhall in ihren Herzen hatten. Weshalb? Weil eben diese Menschen „dieser Wahrheit gleichen“, so daß sie unvermittelt zu ihnen spricht, weil sie ihrem eigenen Wesen entspricht und sie darin übereinstimmen. Religiöse Identität!

Und obwohl diese Volksbewegung, wo immer sie sich rührte, in Arras, in Orleans, in Turin und Paris, in Nördlingen, Goslar und Köln erstickt oder blutig ausgemerzt und noch durch lutherische Intoleranz erbarmungslos verfolgt, gehetzt und gejagt wird, strömt sie unausrottbar durch die Jahrhunderte. Und es wiederholt sich, was schon dem pelagianischen Geist widerfuhr: obwohl das Werk Meister Eckharts, vor allem seine deutschsprachigen Predigten und Traktate, jahrhundertelang vergessen, in wenigen Blättern anderen Verfassern untergeschoben, ja selbst der Name dieses größten religiösen Genius des Mittelalters ausgelöscht und erst durch Franz von Baader 1816 der Nachwelt wiedergegeben wird. Da, zu ihrer aller Erstaunen entdecken die führenden Geister in Deutschland fast ohne Ausnahme schier ungläubig und in hellem Enthusiasmus unmittelbare Übereinstimmungen mit Gedanken, Elementen und Teilen ihrer eigenen Werke, eine ursprüngliche Geistesverwandtschaft des Denkens, eine beglückende Gleichgesinntheit. „Hegel“, berichtet von Baader, „war so begeistert“ durch den inneren Einklang und schloß seinen Ausbruch: „Da haben wir es ja, was wir wollen!“ Der erbittertste Hegelgegner Arthur Schopenhauer konnte sein Lob über die „wundervollen Schriften des Meisters der Meister“, den „Gipfelpunkt der deutschen Mystik“, nicht hoch genug ansetzen.

Ganz ohne Kenntnis der Eckhartschen Schriften durchweht Eckhartscher Geist bereits die Werke des Dresdeners Valentin Weigel, Pfarrers in Zschopau, und des Görlitzer Schuhmachers Jakob Böhme, die Bewegung des schlesischen Adligen Caspar von Schwenckfeld, die heute in den USA fortbesteht, und die zu Edelsteinen geschliffenenen Zweizeiler des Arztes Johann Scheffler, der sich Angelus Silesius nannte, auf das erstaunlichste jedoch die tiefreligiös erfüllte Gedankenwelt Fichtes. Auslöser sind wie überall der Aufstand gegen die dualistischen Zerspaltungen des Seins von antiker und christlicher Herkunft, der entschiedene Protest gegen den Glauben an einen jenseitigen, persönlichen Schöpfergott und gegen seine Offenbarungen durch ein heiliges Buch und durch einen Gottessohn, dessen Tod der durch den Sündenfall verderbten Menschheit Erlösung bringen soll, unter der alleinigen Bedingung des Glaubens an ihn, wozu allerdings die Gnade Gottes erforderlich sei. Solches trug dem Professor der Philosophie in Jena die „Anklage des Atheismus“ und „Feindes aller Religionen“ durch den Kursächsischen Kirchenrat ein. Die Anklage beantwortet Fichte mit seiner Appellation an das Publikum gegen die Anklage des Atheismus von 1799 und seinen Anweisungen zum seligen Leben nach Vorlesungen von 1806 in Berlin, die zu den „reifsten und tiefsten Werken der gesamten Literatur der Menschheit“ gezählt worden sind.

Dem „heillosen Götzen“, den die Menschen sich zur alleinigen Austeilung von Glückseligkeit und Genuß geschaffen haben, steht hier gegenüber — wie für Eckhart — ein Göttliches, das in seiner Unbegreiflichkeit durch keinen Begriff erfaßt werden und nur durch Negationen — wie Eckharts „Nichtperson“, „Nichtgeist“, „Nichtgott“ — oder nur im Schweigen berührt werden kann. Wiedergekehrt ist das Gott-Mensch-Verhältnis des Einsseins im Wesen, im Wollen, im Leben und Wirken, wiedergekehrt der von Eckhart gewiesene Weg vom Gott-Haben zum Gott-Sein, das heißt zu einem „wahrhaften Leben“ durch Entäußerung von allem egoistischen Begehren und vom Haften an den Dingen, an Erfolg, an Genuß, selbst von allem egoistischen Heilsstreben, bis „überhaupt gar nicht mehr Zweie, sondern nur Eins, und nicht mehr zwei Willen, sondern überhaupt nur noch Einer und derselbe Wille alles in allem ist“. Wiedergekehrt ist die ebenfalls von Eckhart gewiesene Wendung des gotterfüllten Menschen aus der Tiefe seiner Seele in die Welt der Tat und, wie für Eckhart, eines selbstlosen und zweckfreien Wirkens „sunder warumbe“, indem der Mensch mit Gott wirkt „alliu siniu werc“ als „ein mitwürker“ Gottes. Auch für Fichte ist Gott Willens- und Pflichtgrund eines Handelns, das nicht auf Erfolg ausgeht, wo der Mensch nur im Tun, rein als Tun, lebt; denn „er will es darum, weil es der Wille Gottes in ihm und sein eigener, eigentlicher Anteil am Sein ist“.

„In diesem Handeln handelt nicht der Mensch; sondern Gott
selbst in seinem ursprünglichen inneren Sein und Wesen ist es, der
in ihm handelt und durch den der Mensch sein Werk wirket.“19

Die Übereinstimmung im Denken Eckharts und Fichtes ist so groß, daß sie über das Inhaltliche hinaus gelegentlich bis in die Sprache geht. Wenn Eckhart Anfang des 14. Jahrhunderts lehrte: „Gott und das Sein ist dasselbe“, und was außerhalb seiner ist, ist nichts — so spricht Fichte nahezu fünf Jahrhunderte später: „Gott allein ist, und außer ihm nichts.“

Und Duplizität der Fälle — im selben Jahr mit Fichtes Appellation erschien in Paris eine anonyme Schrift Über die Religion, die sich „An die Gebildeten unter ihren Verächtern“ wendet. Auch hier ein Protest gegen die Beklemmnis und Düsternis der als sündig verdammten Welt! Der Autor, der dreißigjährige Schleiermacher, Prediger an der Berliner Charite, ist von einem unerhörten Freiheits- und Glücksrausch erfaßt, als er „die große Tat vollbracht, hinzuwerfen die falsche Maske, das lange mühsame Werk der frevelnden Erziehung“ in einem krankhaften und krankmachenden christlich-pietistischen Glauben. Auch ihn plagt der armselige „Sklaven- und Götzendienst“ jeder Mittler- und Buchreligion, auch ihm, nachdem er „die ängstliche Scheidewand“ des Dualismus abgerissen hat, begegnet der „Widerschein“ des Göttlichen in allem, am reinsten aber „im innersten Selbst“:

„So oft ich ins innere Selbst den Blick zurückwende, bin ich zugleich im Reich der Ewigkeit.“20

Und gleich Meister Eckhart, doch ohne ihn zu kennen, fordert er die „Gebildeten unter den Verächtern der — christlichen — Religion“ auf, sich von allem freizumachen, „und so mehr Ihr euch selbst verschwindet, desto klarer wird das Universum vor Euch dastehn, desto herrlicher werdet Ihr belohnt werden für den Schreck der Selbstvernichtung durch das Gefühl des Unendlichen in Euch“. In der „Selbstvernichtung“ öffnet sich die Seele für die Einwirkung des Göttlichen, so daß sie zum Leben erweckt wird und ein „neuer Mensch“ geboren wird, dessen ganzes Leben fortan „aus seiner eigenen Quelle hervorgehen muß“; im Bewußtsein, daß in allem jederzeit das Göttliche durch ihn spricht, wirkt und handelt. Indem Schleiermacher den Menschen den Imperativ setzt:

„Strebt danach, mehr zu sein als ihr selbst! — Strebt danach, mitten in der Unendlichkeit eins (zu) werden mit dem Unendlichen und ewig (zu) sein in jedem Augenblick!“

widerspricht er bewußt dem auf „Irreligiosität“ und „Selbsttäuschung“ beruhenden Glauben an zwei Welten, der „das Unendliche außerhalb des Endlichen“ sucht und „einen Unterschied macht zwischen dieser und jener Welt“, deren Glanz, wie er klar erkennt, „seine hohe und ausländische Farbe niemals verleugnen kann“21. Damit tritt er, ohne es zu ahnen, in die endlose Reihe aller großen Geister Europas, die einstimmig und aus innerer Wesensnotwendigkeit die „ausländische“ Zumutung, das Unendliche, Ewige, Heilige, Göttliche aus der Welt hinauszuverlagern und in einer zweiten, abgelegenen Welt unterzubringen, von sich gewiesen und es der Wirklichkeit zurückerstattet haben.

Europa wahrt die Einheit des Seins vor ihrer dualistischen Zerreißung

„Alle wenigstens, welche Religion haben“, rechtfertigt Schleiermacher die scharfe Ablehnung des allgemein als fremd empfundenen Dualismus, der das gesamte Sein zerreißt, „glauben nur an eine“. Diese Kette nämlich, beginnend mit Anaximander und Heraklit, den ionischen Denkern des vorsokratischen, vorplatonischen, vordualistischen Hellenentums, reicht bis in die Gegenwart über Eriugena und Eckhart, Nikolaus Cusanus und Giordano Bruno, Kant und Fichte, Schelling und Hegel, Goethe und Hölderlin, Teilhard de Chardin und Jaspers und unzählige andere, bei vollständiger Einhelligkeit ihres Glaubens. Für sie alle bilden das Unendliche und das Endliche eine unlösliche Einheit dergestalt, daß das Göttliche eine andere, tiefere Dimension bildet als das grenzenlose Universum und die Unermeßlichkeit der sinnlich-konkreten Natur, eine der sinnlichen Wahrnehmung nicht zugängliche, gleichwohl die gesamte Wahrnehmungswelt umfassende und durchdringende Wirklichkeit, das zugleich unendlich über sie Hinausliegende und dennoch in allem Wesende, der ewige und doch in allem gegenwärtige Tiefen- und Seinsgrund, der alles Seiende sein macht, in allem lebt und wirkt.

Ein neuplatonisches Werk, das der Enkel Karls des Großen, Kaiser Karl der Kahle, brennend zu lesen wünschte, löste einen weiteren spezifisch europäischen Protest aus, der seit Mitte des 9. Jahrhunderts bis in die Gegenwart immer stärker und vielstimmiger werden sollte. Erhob der erste Protest sich gegen die Sündigkeitserklärung des Menschen entsprechend dem biblischen Sündenfallmythos und der Erbsündenlehre des Afrikaners Augustinus, so entzündete sich dieser Protest an der Sündigkeitserklärung der Welt durch den aus der Verfallszeit der Mittelmeerkultur stammenden, christlichen Neuplatonismus22 und seine Lehre vom stufenweisen Abfall vom weltenfern ruhenden Ureinen bis zur gottfernen, finsteren, bösen Materienwelt. Es war der ebenfalls von den Britischen Inseln gekommene, als Vertrauter des Kaisers, Leiter der Hofschule und Übersetzer jenes Buches am Kaiserhof bei Paris lebende Scotus Eriugena, der — wie Pelagius weder Mönch noch Priester — aufgrund seiner eigenen Schrift Über die Entstehung der Natur als die Nr. 1 auf den Index der von der Kirche verurteilten und verbotenen Bücher gesetzt wurde. Dieser genialste Denker seiner Zeit machte gleich zu Beginn seines Werkes unmißverständlich klar, daß er sich seine eigene Meinung unabhängig von jeder Autorität vorbehält, „die nicht von der wahren Vernunft gebilligt wird“, die ihrerseits, „weil sie sicher und wandellos sich auf ihre eigenen Kräfte stützt, keine Bekräftigung durch Zustimmung irgendeiner Autorität nötig hat“.

In ihm sträubte sich alles gegen die bewegungslos, in völliger Passivität ruhende ureine Gottheit und ihr willenloses Überquellen in eine stufenweise abgeschwächte Wirklichkeit, das in einer durch platonische und christliche Verdächtigung mit allen negativen Attributen diffamierten „Natur“ endete. Diesem extremen Dualismus widersprach er leidenschaftlich:

„Wir dürfen Gott und Kreatur nicht als zwei voneinander Getrennte betrachten, sondern als eines und dasselbe; die Kreatur gründet in Gott und Gott schafft sich in ihr auf wunderbare und unaussagbare Weise, indem er sich selbst in ihr offenbart, als der Unsichtbare sich sichtbar macht und als der Unbegreifliche begreiflich und als der Eine zu einem Vielfältigen … indem er als Unendlicher zum Endlichen wird … Macher von allem, in allem geworden, der ewig anfängt zu sein und als Unbeweglicher sich ins All bewegt und verkörpert, der alles in allem wird.“23

Indem Gott sich in unaufhörlicher Schöpfung in alles entfaltet, schafft er sich selbst in allem. So sind Gott und Welt zwar in ihrer Seinsweise verschieden, aber eins und identisch in ihrem Wesen.

„Es ist alles aus Gott und Gott in allem und alles nirgendanderswo her als aus ihm selbstgeworden, weil alles aus ihm selber und durch ihn selber und in ihm geworden ist.“24

Die Materie, für den orientalischen Dualismus jeder Prägung äußerster finsterer Gegensatz des allein lichten Geistes und Keim alles Bösen — für Eriugena ist sie Teil des Göttlichen selbst und von göttlicher Art:

„Von sich selbst nimmt Gott die Gelegenheiten zu seinen Theophanien und Erscheinungen, da von ihm, durch ihn, in ihm, zu ihm alle Dinge sind. Und so ist auch die Materie selbst, aus der die Welt gemacht ist, von ihm und in ihm und er selbst ist in ihr, soweit überhaupt ihr Sein erkennbar ist.“25

Im Menschen erst kommt Gott zum Bewußtsein seiner selbst. In des Menschen geistigen, schöpferischen Kräften wirkt er und erzeugt er sich in immer neuen Wirklichkeiten, so daß der mit göttlichen Kräften schaffende Mensch zum Mitschöpfer Gottes wird.

Die Gottdurchdrungenheit der Natur im Werden und Vergehen und aller ihrer Wesen von den kleinsten bis zu den Gestirnen, der blühenden Pflanzen, der Vögel und allen Getiers, ihrer lebenfördernden und zerstörenden Elemente — sie alle sind Selbstoffenbarungen Gottes, nicht ein täuschender, fahler Schein. Indem Gott sich in allem schafft, vermindert sich nicht — wie bei Platon — seine Realität, noch schwindet: — wie auch für den Neuplatonismus — ins Nichtseiende, im Gegenteil! Gott bringt sich in der Natur zu reicher, gesteigerter Wirklichkeit.

Diese dem europäischen Menschen so innig vertraute Naturheiligung und Naturfrömmigkeit, von Ketzergerichten und hohen Konzilien verdämmt und verboten, verfolgt, wo sie sich hervorwagte wie 1215 in zwei Magistern an der Sorbonne, Almarich von Bene und David von Dinant, in den Amalrikanern, von denen 1210 vierzehn an lebendigem Leib in Paris verbrannt wurden wie noch unzählige nach ihnen, — sie ergriffen dennoch das Volk, wenn auch nur für eine kurze Spanne, wie ein Rausch der Freude zugleich mit dem Erblühen des vom arabischen Spanien überkommenen Minnesangs. So wenn ein ritterlicher Sänger aus Tirol, Friedrich von Sonnenburg, in seinen Liedern von der Gottartigkeit der Welt die Natur vom Makel des Widergöttlichen und von ihrer Erniedrigung zum Jammertal befreite:

„O wohl dir, Gottes Wundertal! …
Du zarter Gottesgarten,
in der Gott wunderbar viel Wunder gewundert hat!
Schälte ich Gottes hohes Wunderwerk,
So schälte ich Gott an seiner Schöpfung!
Wer dich schilt, Welt, der schilt Gott!“26

Auch Eriugenas Name und Werk wurden nach seiner Verurteilung und der Vernichtung seiner Schriften vergessen. Und trotzdem erbt sich sein Geist der Heiligung der Natur in unendlichen Verzweigungen durch die gesamte europäische Geisteswelt, aus der kein Land zwischen Sizilien und Bergen in Skandinavien sich ausschließt. Namen drängen sich auf wie Walther von der Vogelweide und Francesco von Assisi, Giordano Bruno, der am 17. Februar 1600 in Rom lebendig verbrannt und Lucilio Vanini, der am 16. Februar 1619 in Toulouse auf dem Scheiterhaufen getötet wird, Namen wie Goethe und Hölderlin, Geibel und Rückert, Rilke und Teilhard de Chardin, um nur einige zu nennen.

An einer Gabelung dieser sich über ganz Europa weithin verzweigenden Religiosität der Gott-Natur steht Mitte des 15. Jahrhunderts einer der bedeutendsten und — ohne daß die von ihm ausgehenden Geistesströme bisher genügend aufgedeckt sind — die Zukunft wesentlich mitbestimmenden deutschen Denker. Obwohl er die höchsten Würden innerhalb der kirchlichen Hierarchie erklomm, ist er mit allem Fühlen und Denken in dem ureigenen religiösen Erbe Europas verwurzelt. Es ist der Moselländer Nikolaus von Kues (1401-1464), von seinem einstigen Schulfreund, der als Pius II. die Tiara trägt, „Cusanus“ genannt, der es als Doktor der Rechte bis zum Reformlegaten für Deutschland, zum Kurienkardinal, zum Generalvikar in Rom und Ratgeber des Papstes bringt…

In der Gottesschau dieses umfassenden Geistes treffen gleichsam drei Blickwinkel ureuropäischer Sichtweisen in einem zusammen: die Einheitsmetaphysik eines Eriugena von Gott und Welt und Gottes Werden in ihr, das Einssein von Gott und Mensch und das Werden Gottes in der Seele in der Mystik Eckharts und des Pelagius Lehre von der Freiheit des Menschen dank des Einsseins des göttlichen und des menschlichen Willens. Explicatio, Entfaltung alles Seienden aus dem Sein, aller Wesen und Dinge des gesamten Universums aus Gott — das ist Ursprung und Grund aller „Ungenauigkeit“ des konkret Wirklichen, aller unendlichen Ungleichkeit, Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit innerhalb der Schöpfung, die keine Wiederholungen, weder in Raum noch Zeit, kennt, Ursprung und Grund alles Lebens, Werdens, Bewegens aller Evolution. Alles ist Gottesentfaltung und gottentstammt, Entstehen und Vergehen, Zeugung und Zerstörung, keines kann ohne das andere sein, und auch das Negative empfängt seinen göttlichen Sinn aus dem Ganzen.

Damit heiligt der Cusaner die Welt so tief, daß sie keiner Heiligung durch Sakramente oder ein Opfer Christi bedarf. Hand in Hand mit der Wiederherstellung des uralten, im „Heil“ anwesenden göttlichweltlichen Zusammenhangs stellt der Cusaner die niedergetretene Würde und das Eigenrecht alles Irdischen, auch des Menschen wieder her, der selber explicatio Dei, Entfaltung Gottes und unmittelbar zu Gott ist — nicht nur der Papst, nicht nur der Geistliche! Auch der Laie, der einfache Mensch, ist selber Heilsträger, wie schon Eckhart wußte. Damit gibt der Deutsche jedem Laien eine Würde zurück, wie sie ihm seit Jahrhunderten von der Kirche nie zuteil geworden, die vor der Bekehrung jedem Menschen eigen gewesen war.

Es war dasselbe Prinzip, als der Cusaner — hundert Jahre vor dem bloßen Mittelpunktstausch des Kopernikus von Erde und Sonne unter Beibehaltung des festbegrenzten, starren antiken Kosmos — die orientalische, „hierarchische“ Struktur des von hoch oben die Welt regierenden Gottes über einem ummauernden Fixsternhimmel, oberhalb des tief unten ruhenden Mittelpunkts Erde, unter der die Hölle gähnte, preisgab zugunsten eines unendlichen, grenzenlosen Alls mit unendlich vielen Mittelpunkten, da ja alles Entfaltung und Enthalt Gottes ist27. So hebt er die dualistischen Wertgegensätze von Himmlisch und Irdisch, von Heilig und Profan, von Geistlichem und vom Laien auf und wandelt sie in die Gleichwertung der unendlich ungleichen, individuellen Menschen, deren ein jeder auf seine Weise das Unendliche, Ewige, Göttliche repräsentiert. Bei aller Verschiedenheit der je einzigartigen Individualitäten ist ein jeder dennoch sinnvoll auf jeden anderen und das Ganze gestimmt und strebt kraft seiner inneren Unendlichkeit, zu wachsen und sich zu vervollkommnen, um in freier Entfaltung der in ihm angelegten schöpferischen Fähigkeiten und göttlichen Seinsfülle /u einem Selbst und zum Mitschöpfer und Partner Gottes zu werden. Denn jeder kann nur wahrhaft „sein“, sofern Gott in ihm gegenwärtig ist, der sein Sein ausmacht. Darum kann nur er selbst sein in der Wechselseitigkeit der freien gott-menschlichen Zuwendung. Ein Selbst zu werden, hängt von ihm selber ab. In seiner schönsten und tiefgründigsten Schrift Von Gottes Sehen führt der Cusaner den Leser auf einen „Gleichnisweg“, auf dem er Gott so anredet:

„Du sprichst in der Tiefe meines Herzens:
,Sei du dein eigen, und ich werde dein eigen sein!’
Du hast es ganz zur Sache meiner Freiheit gemacht,
daß ich, wenn ich will, ich selber sein werde.
Bin ich nicht ich selbst, so bist Du auch nicht mein. —
Es hängt also von mir ab, nicht von Dir.“28

Indem der Mensch sich dem Göttlichen in der eigenen Tiefe öffnet, es in sich zuläßt, gibt das Göttliche ihm sich selbst:

„Wenn ich Dein Wort höre, das in mir unaufhörlich redet
und beständig in meiner Vernunft leuchtet,
so bin ich mein eigen und frei
— nicht ein Sklave der Sünde.“29

Das Selbstwerden durch Einswerdung mit Gott begründet des Menschen Freiheit. Seine Selbstentfaltung bedeutet die freie Verwirklichung des göttlichen Geistes, der durch ihn spricht, der göttlichen Schöpferkraft, durch die er, mit der Philosophie, mit der Kunst, mit der Technik Neues erschafft, was die Schöpfung noch nicht hervorgebracht hatte, sie bedeutet schließlich sein Selbstdenken, das sich nicht von Büchern und Autoritäten nährt, sondern durch Erfahrung aus den Büchern der Natur, die Gott geschrieben hat. Das Einssein von Gott und Mensch wird in der menschlichen Selbstentfaltung zur schöpferischen Partnerschaft.

In seinen Ketzern errang Europa seine zerstörte Identität zurück

„Jedes Seiende“ — so hatte Nikolaus Cusanus, wie wir eingangs hörten, das Wesen der Selbstidentität bezeichnet, „ist nur in seinem eigenen Sein ganz selbst.“ Als Folge von Zerstörung und Verlust der Selbstidentität hatte er klar die „Uneigentlichkeit“ der Existenz erkannt: „In jedem anderen kann es sich nur uneigentlich repräsentieren.“ Denn, so fügt er hinzu, „die nichtübertragbare Identität“ auf jemand anders übertragen, geschieht unweigerlich „um den Preis des Andersseins“. Damit ist das Los des europäischen Menschen während mehr als einem Jahrtausend in wenigen Worten umrissen.

Europa hatte das Schicksal, in einem Glauben leben zu müssen, der nicht der seine war und seinem Wesen, Erleben, Fühlen, Denken nicht entsprach, der „sein eigenes Sein“ vergewaltigte, sein Bewußtsein durch dualistische Zerreißung alles dessen, was hier und für viele blieb, umformte und durch Setzung fremder ihm widerstreitender Wertakzente umpolte und damit den inneren Kompaß, die nachtwandlerische Sicherheit im Beschreiten des „rechten Weges“ zerstörte. Denn Verlust der eigenen Religion als eines ganzheitlichen Seinsbezuges bedeutet Gesamtverlust der eigenen Identität.

Indem das Volk in einem schmerzhaften Umerziehungsprozeß, der Jahrhunderte in Anspruch nahm, unter den Opfern seiner Eigentlichkeit mehr oder weniger zu Christen gemäß dem ihm gepredigten Selbstverständnis des schwachen, der Gnade Gottes und der Erlösung durch den Tod seines Sohnes bedürftigen Sünders wurde, wehrten sich die mutigsten, eigenständigen und schöpferischen Geister gegen die Zumutungen des fremden Glaubens und entzündeten in der Reibung durch Widerspruch die Flamme ihrer eigenen, aus innerster Wesensnotwendigkeit aufsteigenden religiösen Überzeugung. Ungezählte Tausende nahmen ohne Rücksicht auf sich selbst die gigantische Herausforderung auf, welche die Entwürdigung und Verkrüppelung ihres Menschseins und des ihnen Heiligsten an ihren Mut und ihr schöpferisches Denken stellte. Waren es anfangs nur einzelne Große, von deren Geist sich eine nicht abreißende Spur bis in die Gegenwart zieht — von Pelagius bis Storm, Hebbel, Rilke und weiter, von Eriugena und Giordano Bruno über Goethe bis Teilhard de Chardin und Saint-Exupery, von Meister Eckhart und Nikolaus Cusanus über Jakob Böhme bis Heidegger und Jaspers —, so wächst ihre Zahl beständig und ist in der Gegenwart in ungebrochener Kontinuität zu einer sich weit ausbreitenden, alle europäischen Nationen, alle gesellschaftlichen Schichten und alle Generationen übergreifenden religiösen Gemeinsamkeit erstarkt. Was konnte schlagender die religiöse Identität Europas ausweisen als die spontanen Proteste und selbständigen Entgegensetzungen seiner Ketzer als Urheber eigener religiöser Schöpfungen mit eigener Perspektive und ihre immer wieder staunenerregenden Übereinstimmungen untereinander über Jahrhunderte und über alle nationalen Grenzen hinweg — Übereinstimmungen, die oft unabhängig voneinander und ohne voneinander zu wissen, allein der ihnen gemeinsamen, ureigenen Erlebensweise, der immer gleichen Gotteserfahrung, demselben Wesensgesetz in der eigenen Brust entstammten? In seinen Tausenden von Ketzern kam Europa immer erneut und aus seinem Urgrund erneut zu sich selbst, wurde es sich in seinen größten Geistern seiner selbst, seines Wesens und seiner eigenen göttlichen Tiefe bewußt in einer eigenen europäischen Religion, die über das sich seinem Untergang zuneigende Zeitalter der Selbstentfremdung hinweg tragende Kräfte entfalten wird.

„Jedes kann nur wahrhaft ‚sein’, sofern Gott in ihm sein Sein ausmacht“

Die Nur-Protestierenden freilich, die den Mut zum eigenen Selbst und die Kraft zum eigenständigen Weg abseits der ausgetretenen ideologischen Straßen nicht aufbrachten, sie warfen mit dem von Nietzsche diagnostizierten „unglaubwürdig gewordenen Glauben an den christlichen Gott“ jeden Glauben über Bord, fegten mit dem christlichen „Jenseits“ jegliche „Transzendenz“, das heißt jedes „Überschreiten“ der vordergründigen Dingwelt des den Sinnen und dem Verstand Gegebenen davon. Indem sie jede Bindung zerrissen, ihre eigenen Wurzeln abschnitten und sich somit aller Quellen ihrer Kraft begaben, haben sie sich als Entwurzelte, Unbehauste selbst den von Nietzsche vorhergesagten Schrecken des totalen Nihilismus ausgeliefert mit allen Ängsten und Verzweiflungen in letzter Sinnleere und Verlorenheit ihres verödeten Daseins, das nach Untergang, Ende, Totsein süchtig ist. Die christliche Entwürdigung und Entheiligung des Menschen, der Welt, der Natur hat in diesen Protestierern gegen den christlichen Gott, in diesen Aussteigern aus dem Sinn, in diesen Emigranten aus der Heillosigkeit des Diesseits — das nach dem Kappen des „Jenseits“ ein „Diesseits“ des Nicht-Seienden ist und „vom Nichts umdroht“ — ihre letzten Opfer zugerichtet. Ihre Preisgabe aller Transzendenz rächt sich an ihnen mit dem Verlust des Seins.

Denn sie haben in ihrer Radikalität das Wesentliche für eine heile Identität selbst zerstört, das ihnen Antoine de Saint-Exupery mit dem Gebet des Großen Kaid in der Stadt der Wüste in Erinnerung ruft, das hier aber auch für jene stehen mag, die auf dem Weg zu ihrer wahren religiösen Identität sind:

„Verbinde mich wieder dem Baum, von dem ich stamme!
Ich bin ohne Sinn, wenn ich allein bleibe …
Hier bin ich aufgelöst und vorläufig.
Ich trage Verlangen, zu sein.“30

Anmerkungen

I Zerstörung der religiösen Identität

1 Nikolas von Cues, Die Kunst der Vermutung, Auswahl aus seinen Schriften, Bremen 1957, Über die Vermutungen, 1,13.
2 Michael Rangl, Briefe des hl. Bonifatius, Leipzig 1912.
3 Snorri Sturlusson, Sage von Hakon dem Guten, 14, in: S. Hunke, Europas andere Religion, Düsseldorf 1969, S. 97.
4 Hierzu Kap. ,Gott liebt den freien Menschen’, in S. Hunke: Europas andere Religion, aaO., S. 57-93.
5 Sigrid Hunke, Europas andere Religion, aaO., S. 15f, Einleitung: ,Gott hat viele Gesichter’.
6 Ebd., S. 93.
7 Sigrid Hunke, Tod, was ist dein Sinn, Pfullingen 1986, Kapitel ,Weiterleben aus dem Heil’.
8 Sigrid Hunke, Europas andere Religion, aaO., S. 102ff.
9 Salvian, De gubernatione Dei, X, VI.
10 Die Hymnen des Mönches Gottschalk, hrsg. von Walter Kagerah, Berlin 1936.
11 Sigrid Hunke, Europas andere Religion, aaO., S. 111.
12 Wilhelm Grönbech, Religion und Kultur der Germanen, Hamburg 1935, S. 127ff.
13 Sigrid Hunke, Am Anfang waren Mann und Frau, Vorbilder und Wandlungen der Geschlechterbeziehungen, Hildesheim 1986, S. 86ff.
14 Ebd., S. 80ff.
15 Ebd., S. 174ff.                                                                                 :
16 Heiland und Genesis, hrsg. von Otto Behaghel, Halle 1922.
17 Franz Brietzmann, Die böse Frau in der deutschen Literatur des Mittelalters, Berlin 1912.
18 Tacitus, Germania, c. 8.
19 Michael Rangl, aaO., Brief von Gregor an Bonifatius v. 2.11.726.
20 Sigrid Hunke, Das Reich und das werdende Europa (,Das Reich ist tot — es lebe Europa’), Hannover 1965, S. 29f.
21 Ebd., S. 30ff.
22 Ebd., S. 13-74.
23 Ebd., S. 26f.
24 Ebd., S. 25.
25 Ebd., S. 45ff.
26 Das Buch der deutschen Dichtung, hrsg. von Friedrich von der Leyen, I. Band, ,Frühes und hohes Mittelalter’, Leipzig 1939, S. 113.

II Erneuerung der religiösen Identität

1 Sigrid Hunke, Europas andere Religion, aaO., S. 60.
2 „Est enim, inquam, in animis nostris naturalis quaedam (ut ita dixerim) sanctitas.“ Demetriasbrief, in: Migne, Patrologiae Ser. Latina, Paris 1846, XXX 17, 2.
3 Ebd., XXX 17, 6.
4 Reinmar von Zweter in: Die deutsche Literatur, übs. und hrsg. von Boor, München 1965.
5 Meister Eckart, Deutsche Predigten und Traktate, üb. und hrsg. von Josef Quint, München o. J, Predigt 29, S. 291.
6 Nach Sigrid Hunke, Europas andere Religion, aaO., S. 77.
7 Wolfgang von Wartburg, Geschichte der Schweiz, München 1951, Kap. Pestalozzis. 178ff.
8 Immanuel Kant, Werke, Berlin 1913, Bd. V, Kritik der praktischen Vernunft, 2. Teil.
9 Friedrich von Schiller, Das Ideal und das Leben.
10 Immanuel Kant, Was ist Aufklärung?, Akademieausgabe Band 8, S. 35.; .Metaphysik der Sitten, Einleitung § 4’.
11 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit. Aus meinem Leben, München o. J., 15. Buch, S. 506ff.
12 Johann Wolfgang von Goethe, Werke, Stuttgart 1950, Abt. 1, Bd. 4 .Frühe Dramen, Bruchstücke’.
13 Johann Wolfgang von Goethe, Faust, ,Prolog im Himmel’.
14 Sigrid Hunke, Europas andere Religion, aaO., III. Teil, ,Die europäische Religion1, S. 421-505.
15 Die ,unitarischen’ Präsidenten der USA: John Adams, Thomas Jefferson und Abraham Lincoln; ferner Benjamin Franklin u. a.
16 Sigrid Hunke, ebd., S. 265.
17 Ebd., S. 262.
18 Meister Eckhart, in Predigten und Traktate, aaO., Predigt 32, S. 309.
19 Johann Gottlieb Fichte, Sämtliche Werke, Leipzig 1924, .Anweisungen zum seligen Leben’, 6. Vorlesung, V, 475.
20 Friedrich Schleiermacher, Werke, Bd. 4, ,Über die Religion, Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern’, Leipzig 1911, S. 132.
21 Ebd., S. 34.
22 Sigrid Hunke, ebd., S. 41.
23 Johannes Scotus Eriugena, Über die Einteilung der Natur, übs. von K. Noack, Leipzig 1870-1874, III, 17.
24 Ebd., III, 22.
25 Ebd., III, 18.
26 Friedrich von Sonnenburg, in Die deutsche Literatur, aaO., I, 491f.
27 Nicolaus von Cues, Die Kunst der Vermutung, aaO., S. 225, ,Der Laie und die Weisheit’; S. 267 ,Der Laie über den Geist’; S. 299 ,Das Experiment mit der Waage’.
28 Nicolaus von Cues, ebd., ,Von der wissenden Unwissenheit’ (,De docta ignorantia’), Zweites Buch.
29 Nicolaus von Cues, ebd., ,Von Gottes Sehen’, S. 316.
30 Antoine de Saint-Exupery, Die Stadt in der Wüste, übs. von O. v. Nostitz, Düsseldorf 1956, c. 173.
Abschaffung der weißen Rasse in Europa.Die Transformation und Vernichtung der arischen Rasse Erst wer es durchschaut hat., hat richtig das Spiel des Guten und des Bösen durchgeschaut und kann sich drüber erheben. Die Wahrheit kommt ans Licht  Die Lüge weiß, dass ich sie enttarnt habe, denn ich … Weiterlesen

Unser inneres Reich

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Mut zur Identität
Alternativen zum Prinzip des Gleichheit / hrsg. Von Pierre Krebs.
ISBN 3-922314-79-1
© Pierre Krebs, 1988

Wir leben einen politischen Bruch: der alte Streit zwischen ,rechts’ und ,links’, die soziale Frage betreffend, verliert an Kraft. Die offiziellen Rechten und Linken begeben sich zunehmend in eine ideologische Umarmung, der die politische auf dem Fuß folgt: sie haben Gemeinsamkeiten entdeckt, was den Fortbestand der sogenannten westlichen Zivilisation betrifft, und zwar vor allem in den negativ zu bewertenden Bereichen dieser Zivilisation, in den Bereichen ihrer machtstrukturellen, besonders ihrer egalitären, ökonomistischen und universalistischen ,Werte’.

Dieses Buch will etwas dagegen tun. Die einzelnen Abhandlungen zeigen auf, daß sich eine neue Trennungslinie entwickelt, zwischen den Anhängern des Kosmopolitismus und den Verfechtern der ethnokulturellen Identität. In unserer Zeit der Entfremdung von kultureller Schöpferkraft und Tradition eines Volkes ist es unerläßlich geworden, die Wurzeln der Identität, der geistigen Selbsterhaltung und Selbstentfaltung des Einzelnen sowie der verschiedenen Lebens- und Kulturgemeinschaften zu beschreiben, ferner eine Argumentationsbasis für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Geist der Entmündigung, Auflösung und Zerstörung herzustellen.

Die neuen Streitgespräche über die Problematik der Einwanderung und der mehrrassischen, mehr- und mischkulturellen Gesellschaft, über den Verlust von kulturellem Erbe und der Tradition eines Volkes sowie über die technische Entwicklung werfen bezeichnenderweise stets als eine entscheidende Frage die nach der Identität auf. Auch die Bedrohungen auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet stehen im Mittelpunkt der Identitätsdiskussion. Im Kampf gegen die universale Mischkultur muß man die nationalen europäischen Identitäten vereinigen, sie als einander ergänzend betrachten und sie nicht gegenüberstellen. Es gilt, die nationale Identität von oben (Europa) zu ergänzen und von unten (die Region) zu verankern. Mut zur Identität verficht das Modell einer heterogenen Welt homogener Völker, und nicht umgekehrt!

I Allgemeine Betrachtung über die Identität

1. Die politische Komponente des identitären Bewußtseins

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Dr. Pierre Krebs

Auf politischer Ebene ist eine Entwicklung der soziokulturellen Verhältnisse festzustellen, welche den Nomadismus der Massen zugunsten der Verwurzelung der Menschen verleugnet, welche die Rechte legitimierter Völker gegen die Folgsamkeit anonymer Individuen behauptet, welche Ursprünglichkeit und Eigentümlichkeit der einzelnen Kulturen gegen das Hin und Her einer universalen, einebnenden und unsteten Zivilisation verteidigt.

Die gesamte Dritte Welt wird sich ihrer Wurzeln und ihrer Identität immer bewußter, und zwar genau in dem Augenblick, da die Weißen – auf Regierungsebene – das Bewußtsein der eigenen verlieren. Die Dritte Welt fordert mit immer größerem Nachdruck das Recht auf Verschiedenheit, und zwar genau in dem Augenblick, da die Weißen – auf Institutionsebene – ihr Schicksal der Willkür, Respektlosigkeit und Intoleranz der egalitären Ideologie (der Gleichheitslehre) überlassen. Von entscheidender Bedeutung ist die sich hierbei geradezu aufdrängende Feststellung, daß die Berufspolitik, deren Wesen bereits Nietzsche untersucht hatte, sich jeden Tag mehr aus dem bürgerlichen Konsens der Volksgemeinschaften verflüchtigt. Auf dieser Ebene rüttelt ein immer ausgeprägterer Ethnismus die Gemüter und setzt – parallel zu den etablierten Strukturen der Berufspolitik – die revolutionären einer Politik des Lebendigen ein.

Von nun an gliedert sich das wieder aufkommende ethnische Bewußtsein immer mehr in eine sogenannte dialektische Nische ein, die die ohnehin komplementären Interessen des kulturellen Kampfes (in der Behauptung des Rechts auf Verschiedenheit) und der politischen Forderung (in der Bewußtwerdung der volklichen Identität) miteinander verbindet. Eine dialektische Nische, die sich mit der Zeit zu einer echten soziologischen Erscheinung europäischen — unter Berücksichtigung der Entwicklung in der Dritten Welt gar weltweiten Ausmaßes entwickelte. Das Recht auf Verschiedenheit der Bretonen, der Basken, der Tiroler, der Irländer oder der Korsen unterscheidet sich, von den Triebkräften her, in der Tat keineswegs von jenem Willen, der manche Volksbewegung in Biafra, Pakistan, Kongo oder Palästina anzuspornen vermochte. Damit meinen wir jenen tausendjährigen Willen, der die Völker, wie sie alle heißen und wo sie auch immer sein mögen, dazu bewegt, sich über die Behauptung ihrer Identität, d. h. ihrer Andersheit, hinaus, das Recht zu erringen, ihr eigenes Schicksal selber zu lenken. Denselben Standpunkt vertrat Heidegger mit besonderem Nachdruck und nahezu verblüffender Vorahnung, als er den Willen des Volkes zur Schaffung eines eigenen Schicksals als Voraussetzung dafür anerkannte, sich von sämtlichen düsteren Mächten zu befreien; denn ein Volk kann sich „nur dann ein Schicksal erwirken, wenn es in sich selbst erst einen Widerhall, eine Möglichkeit des Widerhalls für diese Bestimmung schafft und seine Überlieferung schöpferisch begreift.“1 Eine alte, noch etablierte politische Ära geht zu Ende: die anorganische Politik der Gleichheitslehre. Eine neue politische Ära, die legitimen Anspruch auf die Macht haben wird, steht bevor: die organische Politik, die das Recht auf Verschiedenheit wahrnimmt. Gegen den etablierten Totalitarismus der Gleichheitslehre wird eine Alternative allmählich artikuliert, welche die alten unveräußerlichen Freiheiten der Menschen (in der Beachtung ihrer Unterschiede enthalten und durch das Recht auf Verschiedenheit gewährleistet) mit den neuen Verantwortungsaufgaben des auf uns zu kommenden Jahrhunderts (im neuen Humanismus der Völkerrechte im Gegensatz zum Humanitarismus der Menschenrechte) verbinden wird.

2. Die kulturelle Komponente der Identität

Das Recht auf Verschiedenheit setzt selbstverständlich das Recht auf Kultur voraus, sofern sich die Unterschiede durch die Kultur in eben demselben Maße konkretisieren, wie die menschliche Identität innerhalb der kulturellen Identität aufkommt, sich ausgestaltet und sich authentifiziert.

Die kulturelle Identität deckt eine, die gesamte Differenzierungslehre kennzeichnende Bipolarität auf: gebildet von einem Anziehungspol der Dauer (der Wille, eine Übereinstimmung zwischen Landschaft, Kultur und Mentalität aufrechtzuerhalten) und einem des Wechsels (der unablässige Wille, das gestrige Stammgut an die heutigen Realien anzupassen); Kultur wird als ereignisvoller und intellektueller Augenblick aufgefaßt, der einen anderen Ausdruck oder eine andere Hülle aufweisen kann, ohne daß sich deshalb dessen innere, d. h. psychische Strukturen verändern. Hierin stimmt die Differenzierungslehre mit einer globaleren Kritik der ‘Modernität, überein. Damit meinen wir eine Kritik an der modernen Welt, sofern die Modernität unserer Epoche darin besteht, die Menschen zu vermassen, sie ungeachtet ihrer Herkunft gegeneinander zu tauschen; diese Modernität zerstört sie letzten Endes, indem sie die Wurzeln ausreißt, die die Menschen an eine bestimmte Gruppe mit besonderem Lebensrhythmus verbinden. J.-P. Vernant hat zu zeigen gewußt, daß der Europäer eher eine Bewegung herbeisehnt, die ihn innerhalb seiner wiedererkannten Werte rehabilitiert, als eine, die ihn nomadisieren läßt und ihn verzettelt: „Es gilt, jeden Menschen aus seiner Isolation herauszuholen, indem er in einer ihn stärkenden und verwirklichenden Gemeinschaft eingewurzelt, wird.“2

Daher begreift man umso besser, weshalb die Differenzierungslehre in erster Linie eine Bewegung der kulturellen Formen war, bevor sie eine politische Akzentuierung erfuhr.

Nun sind wir aber mit Wirklichkeitsausschnitten konfrontiert, die, zur gleichen Zeit, Träumer und Ideologen, abweisen. An diesem Ort geht es ja um eine Realität, die zu bevorzugen oder zu verachten es doch nicht gilt; es handelt sich um eine hoch zu achtende Realität; eine solche Realität, wie Robert Ardrey es vielfach unterstrich, aufgrund deren der Mensch nach seiner Identität trachtet, wie eine Pflanze nach der Sonne. Von nun an geht es nicht mehr um irgendwelche politischen Trennungslinien oder ideologischen Präferenzen, sondern vielmehr um eine scharfsinnige Einstellung zum Wirklichen, um eine klare Einsicht in das Reale – wenn man sich im Leben, optimal, zurechtfinden will. „Das Biologische und das Kulturelle sind im Grunde eins: eine Gesellschaft stellt ein biokulturelles System dar, in dem beide Sphären ineinander dringen und aufeinander wirken.“3 Deshalb ist es wenig verwunderlich, daß manche durch eine unterschiedliche politische Option getrennte Menschen den Rubikon nicht zu überschreiten zögern, wenn es um den Fortbestand bzw. die Erhaltung eines sie formenden Erbes geht. Oder daß (wenn auch nur für kurze Zeit) politische Persönlichkeiten über ihr an sich recht bestreitbares Programm hinaus zu jener klaren Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten des Realen zurückfinden. Giscard d’ Estaing bot ein solches Beispiel, als er zu erkennen gab: „Das geistige Erbe einer kollektiv durchlebten Zivilisation kommt dem genetischen Erbe einer biologischen Herkunft gleich.“4 C. D. Darlington stellt seinerseits fest: Die verschiedenen Welten, in denen die Menschen leben, beruhen auf verschiedenen Sinneseindrücken des Schmeckens und des Riechens, des Sehens und Hörens, in denen sich die Menschen voneinander unterscheiden, die jedoch bei… Menschen mit gemeinsamen Rassenmerkmalen weitgehend übereinstimmen. Auf diesen Sinneswelten beruhen andere Welten der Denkweisen und geistigen Vorstellungen, in denen sich die einzelnen Völker wesentlich voneinander unterscheiden. Die alten Ägypter und die Maya, die Inder und die Chinesen, die Europäer des Mittelalters und der Neuzeit, sie alle lebten in verschiedenen kulturellen Welten, die sich alle in ihren charakteristischen Kunststilen, die niemals ineinander umgesetzt werden können, offenbaren und widerspiegeln und die in ihnen zusammengefaßt werden. Sie stehen einander verständnislos gegenüber, voneinander getrennt durch unüberbrückbare Abgründe …“5 Die Einsicht in die kulturelle Verwurzelung läßt, wie bereits angedeutet, die allzu engen Begriffe ‚links’ und ‚rechts’ sprengen. In diesem Zusammenhang schlägt ein Forscher mit Rechts-Etikett Alarm gegen den Egalitarismus, der uns auf einen Morgen hinführt, „wo die Mannigfaltigkeit des Menschengeschlechts die Morgenröte nicht mehr beleuchten wird (…), auf den Morgen der Einförmigkeit, der festgelegten Bewegungen, der besten aller Welten, der absoluten Ordnung, der gleichgemachten Wirklichkeit, des grauen Einerlei, der einförmigen Antwort auf einen einförmigen Anreiz … Das ist auch der Morgen, dessen Kommen wir erbitten in unseren Wirtschaftsbünden, in unseren Kollektivfarmen, in unseren Kirchenräten, in unseren Verwaltungskörpern, in unseren zwischenstaatlichen Beziehungen, in unserem edlen Bemühen um eine Weltregierung. Das ist der Morgen, nach dem wir streben, wenn wir beten, eines Tages ein Hirt oder eine Herde zu sein.“6 In einer diesmal als ‚links’ katalogisierten Zeitschrift schreibt ein Journalist: „Sollte die Welt morgen platzen, werde ich mein Land immer noch vor dem Sterben gesehen haben (…) Der moderne Mensch muß sich nämlich darauf vorbereiten, dem Zukunftsschock entgegenzutreten. Angepaßt, entschlossen, wirksam, lebensbejahend im Vergänglichen, in einer Bildflut, die schneller ist als er, ohne Bindungen und ohne Wurzeln.“7

3. Die ethologische Komponente oder Betrachtung über die Verwurzelung

Die Ethologie befaßt sich mit Sinn und Bedeutung des Territoriums bzw. Gebiets. Edward T. Hall bemerkt, daß die Umgrenzung eines bestimmten Gebiets soziale Folgen nach sich zieht.8 Die Ansicht wonach der in Architektur und Planung waltende Egalitarismus zu einer Zunahme der Gewalttätigkeit führe, wurde mittlerweile vielfach bekräftigt. Diese Zunahme fördert einen langsamen, unaufhaltsamen Zersetzungsprozeß der gesellschaftlichen Beziehungen.9

Innerhalb der Tiergemeinden, vornehmlich bei den Primaten, konnte eine Tendenz zur Ausstoßung aller heterogenen Elemente festgestellt werden, sobald eine kritische Schwelle erreicht wurde. Experten folgerten daraus, daß Tiere sich mit denjenigen zu identifizieren trachten, die ihnen ähneln.10 Diese Beobachtung gilt ebenfalls für die Menschenwelt. Deshalb auch ist eine gerechte Gesellschaft vorwiegend eine, „innerhalb deren eine hinlängliche Ordnung ihre einzelnen Mitglieder, was sie auch immer auszeichnen mögen, schützt; innerhalb deren aber eine hinlängliche Unordnung einem jeden Individuum dazu verhilft, seine Anlagen zu entwickeln. Dieses Gleichgewicht zwischen Ordnung und Unordnung ist es, das meines Erachtens den Gesellschaftsvertrag ausmacht; eine Untersuchung der einzelnen Arten wird zur Genüge demonstrieren, daß es sich hierbei um einen biologischen Imperativ handelt“.11

Das organische Leben ist u. a. eine Struktur des in der Natur der Lebewesen verankerten Grundunterschieds. Schon Aristoteles vertrat den Standpunkt, daß die Natur, indem sie Menschen zu dem macht, was sie sind, unter ihnen tiefgreifende Unterschiede schafft. In der Tat: Wo der Tod homogenisiert, heterogenisiert das Leben. Es ist ferner bekannt, daß Geistesstörungen am häufigsten mit dem begründet werden, was man als Veränderungen bzw. Verunstaltungen der Persönlichkeit bezeichnen kann. Die Einbindung eines Volksstamms in ein System, das dessen Lebensnormen nicht mehr in Betracht zieht, kommt somit, in der gesellschaftlichen Praxis, einer echten kollektiven Neurose gleich, die sich entweder durch allmähliche Degeneration12 durch Störungen bzw. epidemische politische Unruhen äußert. Simone Weil schreibt in diesem Zusammenhang: „Tatsächlich entwurzelte Menschen können nur zwei Verhaltensweisen aufzeigen: entweder verfallen sie in eine seelische, todähnliche Inertie, oder sie stürzen sich in eine stets darauf hinauslaufende Tätigkeit, diejenigen, die es noch nicht sind oder nur teilweise sind, mit den häufig gewaltsamsten Methoden zu entwurzeln“.13

In einer Zeit des organisierten Hin und Her von Menschen und Anschauungen fühlten die Individuen noch nie eine so starke Bindung an eine sie schützende und identifizierende Gruppe; noch nie forderten die Anschauungsträger mit solcher Heftigkeit die Bindung an ein kulturelles Erbe: ob es gefällt oder nicht, diese Tatsache kann nicht mehr bestritten werden! Nicht selten äußern Menschen ihren Willen zum Leben durch Festhalten an einem Leben an einem bestimmten Ort oder in einer bestimmten Landschaft, weil dieser Ort oder diese Landschaft sie mit Menschen verbindet, zu denen sie sich hingezogen fühlen, weil die Art dieses Ortes oder dieser Landschaft mit ihrer Persönlichkeit harmoniert; und weil diese Persönlichkeit mit einem Psychismus, einer Lebens- und Denkungsart übereinstimmt, welche ein bestimmtes an diesem Ort oder in dieser Landschaft auftretendes biologisches Erbe aktualisieren.

Der Begriff der Verwurzelung verweist auf den allgemeineren Begriff der Tradition. Kann aber die Rückkehr zu einer Tradition nichts anderes bedeuten als die Rückkehr zu einem erstarrten, statischen, ‚verkalkten’ Existenzmodus? Wäre sie somit der Rückzug in das Gestrige, um einer Realität zu entgehen, die sie nicht zu beherrschen vermag? In einer dem bretonischen Regionalismus gewidmeten Schrift vertrat ein Schriftsteller den Standpunkt, daß die Folklore der Schandfleck einer zwar weiterhin lebendigen Ethnie sei, die aber ihre Souveränität zu behaupten sich nicht mehr getraue.14 Die Treue zur Tradition setzt die Bereitschaft voraus, die lebendige Anpassung dieser Tradition an die Gegenwart zu gewährleisten, ohne dabei den Kern der Tradition preiszugeben. Die Treue zur Tradition ist im Grunde die geistige Aufrecht-Erhaltung, die diese Tradition lenkt. Heidegger behauptete entschieden: „Ein Anfang wird aber nicht wiederholt, indem man sich auf ihn als ein Vormaliges und nunmehr Bekanntes und lediglich Nachzuahmendes zurückschraubt, sondern indem der Anfang ursprünglicher wiederangefangen wird …“15 Das setzt voraus, daß „wir durch unser Fragen in eine Landschaft treten, innerhalb deren zu sein die Grundvoraussetzung ist, um dem geschichtlichen Dasein eine Bodenständigkeit zurückzugewinnen“.16 Wohl bemerkt, die menschliche Verwurzelung hat nichts mit Fixierung zu tun. Der verwurzelte Mensch ist durchaus in Bewegung. Er bewegt sich aber dergestalt, daß er trotzdem weiterhin einer Kette angegliedert ist; diese Kette sorgt dafür, daß er nicht verkommt oder zugrunde geht. Der verwurzelte Mensch ist in Bewegung, ohne daß er deshalb seine Wurzeln löst: er versetzt und modifiziert sie vielmehr im Laufe seiner Entwicklung. Bewegen kann sich ein Volk im Raum, innerhalb seiner Anschauungen, in der Geschichte, die es schafft oder abschafft. Das Volk bleibt dennoch so lange es selbst, wie die Wurzeln nicht gelöst worden sind, die es an eine bestimmte Spezifität, an eine anerkannte Identität binden. Europas Geschichte, Strukturen und geistige Strömungen erstarrten zu keiner Zeit. Seine tiefen Werte, sein charakteristisches In-der-Welt-Sein, die Natur und das Leben sind sich im Kern gleichgeblieben. Europa wird weiterhin in Bewegung sein, die Menschen werden die Dinge immer wieder neu ausgestalten, ihre Anschauungen werden immer wieder neue Perspektiven schaffen und neue Alternativen artikulieren, ihr Wille wird weiterhin Ordnung mitten im Chaos schaffen, – solange Europa im Kern seiner biokulturellen Entität (Wesenheit) nicht modifiziert wird. Die biokulturelle Verwurzelung hat demnach mit der geographischen, die von der Geschichte und dem Willen verändert werden kann, nichts zu tun, auch wenn letztere nicht ohne Bedeutung ist. Somit bedeutet Verwurzelung weder Einschränkung noch Lokalisierung. Sie stellt weder eine Versperrung noch eine Begrenzung dar. Verwurzelung ist vielmehr die der Entfaltung und Entwicklung, dem Wachstum innewohnende Kraft. Erst ein in seinen biokulturellen Strukturen verwurzeltes Volk ist imstande, in jeder Generation alle die Werte, Bausteine, Alternativen und Veränderungen aufs neue zu erfinden, die das biologische und kulturelle Fortleben des Volkes herbeiführt. Sie ist also keine Wiederholung, sondern vielmehr eine Innovation innerhalb zivilisatorischer Strukturen, die sozusagen wechseln, ohne sich im Kern wesentlich zu verändern. Dagegen trägt der Egalitarismus die Gefahren des Bruches in sich. Der Egalitarismus will die Welt verändern, d. h. vor allem sie den biokulturellen Strukturen entfremden, die sie heutzutage noch gründen. Er ist im Begriff das zu des-integrieren bzw. zu verwüsten, was die Verwurzelung durch Innovation integriert.

Verwurzelung gehört zum Wesen des Lebens: Wechselerscheinung (=die Evolution) innerhalb der Aufrecht-Erhaltung (=der Erblichkeit). Sie gibt uns ein, daß „die schlimmste Geistesstörung in dem Unvermögen liegt, die anderen anders als sich selbst aufzufassen“.17 Sie weist uns schließlich darauf hin, „daß die Menschen, ebensowie die Ereignisse, ewig zu sich selbst zurückfinden. So erfahren sie ihre Verwirklichung“.18 Neulich ließ ein Türke erkennen, daß die meisten seiner Landsleute „nach Deutschland gekommen sind, um hier Geld zu verdienen, und nicht, um sich integrieren zu lassen. In der Praxis kann das nämlich bedeuten, spätestens in der zweiten Generation germanisiert zu werden – und das will tatsächlich keiner von uns“. Dem fügte er, als ob er denjenigen unter den Deutschen, die ihre Identität sehr schnell aufgaben, eine Lektion erteilen wollte: „Wir sind stolz, Türken zu sein, und wollen es auch bleiben. Wenn die Deutschen ihre nationale, ethnische und kulturelle Identität so leicht aufgeben, so glaube ich, liegt es daran, daß die Deutschen 1945 nicht nur den Krieg verloren haben. In meinen Augen sind die wahren Ausländerfeinde vor allem diejenigen, die weder Achtung vor dem eigenen noch vor fremdem Volkstum haben. Ihr Ideal scheint mir ein Völkerbrei geschichts- und traditionsloser Konsumidioten zu sein.“19 Denn ohne Verwurzelung ist es den Menschen unmöglich, zu dem zu werden, was sie sein sollen.

4. Die ethisch-philosophische Komponente

Ursprünglich war die fremdstämmige Immigration eine sozioökonomische Erscheinung mit begrenzten, überschaubaren Folgen; mittlerweile entwickelt sie sich zu einer soziobiologischen Erscheinung, mit umgekehrten Folgen. Zu den rein ökonomischen, an sich fluktuierenden Antrieben der Konsumgesellschaft kommen heute ethisch-philosophische ‚Rechtfertigungen’, deren Ursprung viel weiter zurückliegt als die sozioökonomischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Damit meinen wir den egalitären Humanitarismus.

Es ist unseres Erachtens sowohl geraten als auch dringend nötig, das verbrecherische Gedankengut zu demaskieren, das sich hinter dem pseudo-humanistischen Vokabular der meisten Immigrationsbefürworter verbirgt: es ist eine heuchlerische Ethik, unter deren Deckmantel sich eine Riesenapparatur zur Vernichtung aller Menschen entwickelt; eine Nebelwand entstellter Freiheits- und Toleranzslogans, hinter der die Brandschiffe der Sklaverei und der Willkür lauern. Der auf Gleichheit gerichtete Humanitarismus erweist sich von der Logik der Differenzierungslehre her als ein erstaunlicher Schwindel. Schlimmer noch: Vom Gesichtspunkt dieser Lehre aus enthüllt er sich als Träger des größten Völkermords, der jemals unternommen wurde, und zwar gegen alle Völker unseres Planeten. Denn durch seine Vermischung der Rassen, der Kulturen und Weltanschauungen, d. h. durch die Kreuzung und Einebnung der Unterschiede, mißachtet der Egalitarismus nicht nur die grundlegendsten Begriffe von Achtung und Toleranz, sondern darüber hinaus die Freiheit und das Grundrecht auf Verschiedenheit. Diese bloße Schein-Demokratie birgt in Wirklichkeit den barbarischsten und perversesten Totalitarismus, einen Totalitarismus, der im Namen der Freiheit alle Völker der Menschheit in der Panmixie (Rassenmischung) auslöscht.20

Im Namen der Toleranz macht sich die Lehre von der völligen Gleichheit der Menschen der Intoleranz schuldig, die darin besteht, die Verschiedenheit, Originalität und Besonderheit überall da systematisch zu bekämpfen, wo sie sich der Mühle der Gleichmacherei nicht fügen. So kommt es, daß die Vertreter der ‚Religion der Liebe’ im Namen einer Wahrheit, über die man heute nur lächeln kann, ruhig und guten Gewissens zur Vernichtung von Gemeinschaften schreiten konnten – mitunter auch ganzer Bevölkerungen -, die ihren Ahnen und ihren Göttern treu bleiben wollen.21

Dem Wort des Paulus, dem zufolge es einmal „weder Juden noch Griechen“ geben werde, und der angestrebten Rückführung, der Menschen und der Lebensweisen auf ein Einheitsmodell sei entschlossen das Recht auf Verschiedenheit entgegengesetzt. Unser Humanismus basiert weder auf trennendem Ausschluß noch auf Angleichung; diese wäre ja mit einer Unterdrückung der Verschiedenheit gleichbedeutend. Unser Humanismus will ein Erbe antreten. Das bedeutet, daß er grundsätzlich die Vermächtnisse der anderen achtet. Er möchte die Europäer in ihrer Besonderheit und ihrer Unterschiedlichkeit bestärken und ermutigt gleichzeitig alle anderen Rassen und Völker, ihre Eigenheit zu bewahren. Unser Humanismus will die Verantwortung für das kulturelle Erbe Europas übernehmen und möchte den ganzen geheimnisvollen Reichtum wiedergewinnen, der in der Geschichte unserer Völker enthalten ist, aber auch alle jene menschlichen Werte, die durch zweitausend Jahre Christentum in Vergessenheit gerieten oder ausgebeutet und verstümmelt wurden.

Unser Humanismus ist vertikal: er wünscht den Menschen innerhalb einer Hierarchie auf einem Platz zu sehen, der seinem Wesen entspricht und der seiner Eigenart dient – im Gegensatz zum egalitären Humanitarismus, der horizontal ist und den Menschen am Beginn einer Nivellierung sieht, die ihn austauschbar macht innerhalb des großen anonymen und seelisch eingeebneten Kollektivs. Der Humanitarismus verschlingt die Einzelpersönlichkeit wie das Einzelvolk, um an dessen Stelle das anonyme Individuum und die Masse zu setzen. Es ist dies ein Humanismus der Gleichmacherei und daher der Entfremdung, letztlich der Entwertung; ein Humanitarismus also, der vermengt und damit zersetzt, der entwurzelt und daher zerstört. Ein Humanitarismus der Auflösung. Gehlen stellte sehr treffend fest, daß Humanitarismus (unterschiedslose Menschenliebe) und Massendaimonismus aufs engste verbunden sind.“22 Thierry Maulnier bemerkt dazu: „Wenn es darum geht zu erwägen, was auf kürzere oder längere Sicht wünschenswert wäre … Ist es etwa die allgemeine Rassenmischung, das Verschwinden der Unterschiede, eine Menschheit, die auf einen einzigen morphologischen und psychischen Typus reduziert ist? … Was aber wird in diesem Fall aus den Negern? Was aus den amerikanischen Indianern und dem, was von ihrer ursprünglichen Kultur übrig ist? Was wird aus den Eingeborenenstämmen …, die vielleicht das gleiche Recht auf ihre besondere Lebensweise haben wie jene Tierarten, über die wir uns aufregen, weil sie vom Aussterben bedroht sind? Besitzen einzelne Volksgruppen hinsichtlich ihrer Identität Rechte, die andere nicht haben? Wird das Recht auf Besonderheit bestimmten Zweigen der Gattung Mensch zugestanden, anderen aber verweigert? Verweigert insbesondere uns unglücklichen Abendländern, die anscheinend als einzige vom Recht auf Erhaltung unserer Eigenart ausgeschlossen sind.“23

Versuchen wir die dargelegten Gedanken in einem schematischen Rahmen näher auszuführen:

Die Gleichheitslehre redet vom Menschen. Doch indem sie ihr abstraktes und degradierendes Konzept vom Menschen aufstellt, verneint sie auf einen Schlag alle Menschen. Wir stoßen hier auf einen totalitären Willen: die Rückführung, der gewachsenen Vielfalt auf ein Einheitsmodell. Das ist der Grund, weshalb wir vom egalitären Humanitarismus als von einem ‚Humanismus’ sprechen, der den Unterschied -d. h. das Andere — verschwinden läßt in der Einheit — d. h. im Gleichen. Aus dem Willen zur Gleichmacherei wachsen in der Tat die wirklichen Wurzeln der Intoleranz.

Wir dagegen sprechen vom menschlichen Pluralismus. Denn von Menschen zu reden setzt schon deren Verschiedenartigkeit voraus. Unser Humanismus beruht auf der Aufrechterhaltung der Verschiedenheit. Auf dieser Grundlage bringt er Ethik und Leben, die Toleranz und die Menschen wieder in Übereinstimmung.

Die Gleichheitslehre redet von der Menschheit im Singular. Doch indem sie ihr Menschheits-Konzept aufstellt, verneint sie mit einem Schlag alle Völker. Wir stoßen hier wiederum auf einen totalitären Willen: die Uniformierung der Rassen und die Nichtachtung der Unterschiedlichkeit der Kulturen. Aus diesem Grunde sagen wir vom egalitären Humanitarismus, er sei ein ‚Humanismus’, der die Identität, die Unterschiedlichkeit der Rassen und Völker einebnet, auslöscht, entwertet. Aus dem egalitären Willen zur Uniformierung sprießen die wichtigsten Wurzeln von Sektierung und Gewalt.24 Was uns betrifft, sprechen wir von der Menschheit im Plural. Unser Humanismus basiert auf der Anerkennung der Völker und ihrer Kulturen, also auf der Achtung vor ihnen. Daher bringt er die Geschichte und das Leben, das Erbe und die Menschen wieder in Einklang.

Die Gleichheitslehre redet vom Weltstaat. Doch indem sie das Konzept eines planetaren Staats aufstellt, negiert sie mit einem Schlag alle Kulturen. Wir treffen auch hier auf einen totalitären Willen: den politischen Willen zur Negation und zur Zerstörung der kulturellen Verschiedenheiten, der innerhalb des Weltstaats zum Phänomen der kulturellen Anpassung führen muß. Deshalb sprechen wir vom egalitären Humanitarismus als von einem »Humanismus, der zerstückelt und deshalb ärmer macht. Aus dem egalitären Willen zur universellen Verstaatlichung des Planeten wachsen die wichtigsten Wurzeln der Diktatur.

Wir dagegen sprechen von den völkischen Identitäten und den Vaterländern. Unser Humanismus gründet auf der Freiheit der Völker, sie selbst zu sein. Auf dieser Basis bringt er den Geist und das Leben, die Kultur und die Menschen wieder in Übereinstimmung.

Die Gleichheitslehre redet von einem Nomadentum der Massen. Doch indem sie ein willkürliches soziologisches Konzept aufstellt, verneint sie mit einem Schlag alle traditionellen Menschengemeinschaften.

Wir stoßen hier auf einen totalitären Willen, in dem das Phänomen der Entfremdung gründet. Aus diesem Grund sprechen wir davon, daß der egalitäre Humanitarismus vermischt und deshalb zersetzt, entwurzelt und damit zerstört. Das ist es, was sich hinter dem Projekt der Panmixie verbirgt, mit anderen Worten: hinter dem weltweiten Genozid an der menschlichen Identität, aus der sich die ethnokulturelle Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ergibt. Aus dem egalitären Willen zur Rassenmischung sprießen die Wurzeln der Entfremdung und des Völkermordes. 25

Wir dagegen sprechen von Verwurzelung. Unser Humanismus ist organisch, er basiert auf den erworbenen Erkenntnissen des Lebens. So bringt er Natur und Leben, Volkstum und Menschen wieder in Einklang.

Das Gebot der Stunde ist nicht nur, darzulegen und zu handeln; das eigentliche Gebot der Stunde ist, wachzurufen; das Gedächtnis unserer Völker wachrufen, um in ihnen das Bewußtsein ihrer Wurzeln zu erwecken; die Einsicht in ihre Wurzeln hervorrufen, damit sie ihre Identität erfahren; ihnen zur Bewußtwerdung ihrer Identität verhelfen, um ihr Recht auf Verschiedenheit zu legitimieren; ihnen schließlich beibringen, wie sie auf der Schule der Achtung vor den Menschen die Völkerrechte wieder erlernen können. Es geht ja im Grunde um ihre Freiheiten, um jene Freiheiten, die dort anfangen, wie jeder wissen sollte, wo die Verachtung von Kultur und Mentalität aufhört; d. h. mit anderen Worten, die Verachtung des Lebens in seinem höchsten Grad. Diese Verachtung wird bei mangelndem Bewußtsein mit einem profanen Wort umschrieben, das Willkür, Haß und Sklaverei gründet; genauso wie Freiheiten, bei ausgeprägtem Bewußtsein, mit einem sakralen Wort umschrieben werden, das das Recht auf Verschiedenheit, auf Respekt und Achtung gründet: es ist das Wort Toleranz.

II Deutsche Identitätsperspektiven

Bilanz

Zu einer Zeit, da sich politische Parteien und Gruppierungen mehren, betrachten wir es als Gebot der Stunde, eine Partei des Geistes – eine Schule der Metapolitik – zu gründen. Diese neue weltanschauliche Schule soll die bevorstehenden kulturellen Entscheidungen legitimieren, aus denen die politischen Verwirklichungen hervorgehen werden. In diesem Sinne gründete eine Gruppe von jungen Schriftstellern, Journalisten und Akademikern im Juli 1980 das Thule-Seminar. Sieben Jahre eines intensiven Kampfes, die Veröffentlichung von vier grundlegenden Werken, nicht weniger als 200 Vorträge, die in Deutschland, Österreich, Belgien, Holland, Frankreich und in der Schweiz gehalten wurden, haben die Erwartungen übertroffen und ließen diese weltanschauliche Partei ihre erste bedeutende Schlacht gewinnen: nämlich in Deutschland den Eckstein, jenes Fundament zu schaffen, auf dem die Neue Kultur entstehen soll.

In Das unvergängliche Erbe haben wir das Erbe des intellektuellen und ethnischen Gedächtnisses definiert, indem wir eine erste Reihe von differentialistischen Alternativen zum Egalitarismus skizzierten. In Heidesein zu einem neuen Anfang wurde das heidnische Gedächtnis der europäischen Spiritualität dargelegt. In Die entscheidenden Jahre wurde eine Bilanz über das System und seine ideologischen Analogien (Liberalismus, Bolschewismus) gezogen.

In Die europäische Wiedergeburt schließlich entwarfen wir eine Strategie der Zurückeroberung. In der Gründungsphase dieser ‚Partei des Geistes’, hielt das Thule-Seminar entschieden Abstand von der Berufspolitik. Das Thule-Seminar vertrat immer wieder den Standpunkt, daß es um die Reifung neuer Werte gehe, die unserem Volk die Wiederkehr des Vaterlands ermögliche, und zwar durch die Wiederverwurzelung seiner ureigensten Mentalität. Denn was im Ursprung steht, schreibt Heidegger, bleibt immer ein Zukünftiges …

Sieben Jahre Kampf lehrten uns, die Macht eines im materiellen Bereich tausendfach mächtigeren Gegners zu erfahren, ließen aber gleichzeitig erkennen, daß dieser Gegner im Bereich der Interessiertheit, des revolutionären Idealismus und vor allem der ideologischen Alternative tausendfach schwächer ist. Er war tausendfach mächtiger, da in allen Strukturen der Regierungsmacht, von der rechten bis zur linken Seite des Systems installiert, aber paradoxerweise zugleich tausendfach schwächer, verwundbarer, da in der wesentlichen Ideenkrise des-installiert.

Diese sieben Jahre Kampf haben uns ersten Prüfungen unterzogen. Weitere, größere werden folgen. Aber wir wissen, daß wir noch dem Morgigen angehören. Doch das Morgige leuchtet schon in der Dämmerung des 21. Jahrhunderts.

Unser inneres Reich

Deutschland ist nicht mehr. Deutschland hat den politischen Karneval, die Maskerade der Foren verlassen, wo die Schönredner nur Beamte des Systems sind, wo falsch gespielt und die eigentliche Volksidee allmählich auf den Index gesetzt wird. Nirgendwo anders bietet ein Land ein noch verächtlicheres Bild der Durchkolonisierung durch zwei Mächte, die lediglich die Ausgeburten ein und desselben egalitaristischen, von Martin Heidegger bereits entlarvten Ungeheuers sind: „Rußland und Amerika sind beide, metaphysisch gesehen, dasselbe; dieselbe trostlose Raserei der entfesselten Technik und der bodenlosen Organisation des Normalmenschen.“26 Mit anderen Worten: Europa wird nirgendwo anders so verhöhnt, so entwürdigt, so verleugnet – wie in Deutschland.

Der tiefste Sturz enthält dennoch immer die stärkste, die gewagteste Hoffnung. Im Jahre 1963 traf Julius Evola27 folgende tragische Schlußfolgerung über Deutschland: „Mit Deutschland, das zuvor in verschiedener Hinsicht einen fruchtbareren Boden geboten hatte, ist nicht mehr zu rechnen: auf den militärischen Zusammenbruch folgte ein innerer, geistiger Zusammenbruch, folgte die quasi neurotische Ablehnung jeglichen höheren Gedankens oder Interesses.“ Deutschland ist nicht mehr: das will jedoch auch heißen, daß es wieder wird sein können. Dies dürfte auch keinen derjenigen wundern, die, einem Gedanken Schillers folgend, die Überzeugung niemals verloren haben, daß die deutsche Größe immer aus einem tiefen Sturz des deutschen Volkes hervorgegangen ist, aus dem Chaos herausgeboren wurde, um mit Nietzsche zu sprechen.

Statt zu sein, was es nicht ist, entschied sich unser Deutschland (das Deutschland der Neuen Kultur), nicht mehr zu sein. Deutschland ist nicht mehr. Deutschland ist zur Essenz, zum Mythos und zur Legende zurückgekehrt. Seine Wiedergeburt kann nur durch den Einsatz der noch freien geistigen Kräfte erreicht werden; sein Fortbestehen hängt bedingungslos von den noch wagenden Willenskräften ab, sein Wiederaufwachen ist mehr denn je an die noch verwurzelten Kräfte der Treue gebunden. Deutschland ist zur Idee zurückgekehrt, die den Intellekt seines Volkes prüft; zur Idee mit allen Querverbindungen, die sie in sich schließt: Deutschland ist zum Nährboden der Revolution geworden! Deutschland ist zum Entwurf zurückgekehrt, zur Quelle der Initiative, des Muts und der Kampflust mit allen Risiken, die dies für sein Volk birgt. Deutschland ist, ohne es eigentlich zu wissen, mit der unsteten Seele des Zweiflers zu den alten Göttern zurückgekehrt, die über die Mentalität, die Psychologie, das Verhalten seines Volkes Aufschluß geben: Deutschland ist wieder zur Heimat des Werdens und der Verwurzelung geworden, zum Vaterland im Exil sozusagen, das die Forderung stellt, man möge es suchen und verdienen, man möge es zurückerobern. Deutschland ist wieder zum großen Land der Zukunft geworden, zu dem Land, das es wiederzufinden und wiederzuschaffen gilt. Deutschland ist zu unserem längsten Gedächtnis zurückgekehrt, um uns den verborgensten, den tiefsten, den authentischsten Teil unseres identitären Bewußtseins zurückzugeben. Deutschland machte uns wieder zu Europäern im schicksalhaften Zentrum vom Reich der Mitte.

Deutschland wird uns nicht zufallen, wie man ein wertloses Strandgut am Wege findet – wir werden ihm vielmehr unter Beweis stellen müssen, daß wir die Kraft haben, es wiederzugewinnen. Es prüft unsere Wurzeln, weil es uns zwingt, uns selbst wieder zu finden: Es fordert, daß wir eine Legitimierung, eine Modernität, eine höhere Begründung des Rechts auf Verschiedenheit und auf Identität darlegen. Es prüft unser Gedächtnis, weil es uns zwingt, wieder grundlegende Mythen zu schaffen, die Geschichte wieder zu gestalten, d. h. wieder ein Schicksal zu erfüllen. Deutschland prüft unseren Intellekt, weil es von uns eine seelische Stärkung der Ideen, der Alternativen und der Werte erwartet, die die Vaterländer zum Leben benötigen. Deutschland hat mit den Zufälligkeiten der Berufspolitik, mit der ganzen Parteienkarawanserei gebrochen. Es hat den Flitterkram des Systems in die Mülltonne der Anekdote geworfen. Deutschland ist nicht mehr von heute. Indem es zur Essenz, zum Mythos und zur Legende zurückkehrte, knüpfte es wieder an die Geschichte und die tätige Vorausschau an. Es wurde wieder historisch und ist bereits postmodern. Deutschland ist wieder grundlegend, ist also im Ursprünglichen wieder Reich-gemäß geworden: das europäische Geburtszentrum unserer gründenden Ideen, unserer aufrührerischen Freiheiten, unserer faustischen Bestrebungen, unserer aristokratischen Herausforderungen. Es entwickelt unser inneres Reich.

Das Land, wo Zarathustra still wurde

In dem Land Goethes hat Mephisto aufgehört, ein Verführer zu sein. Sein einst gleich einem Degen schmales Gesicht ist aufgedunsen; die Zauberkraft seiner Augen verendete im Rinderblick eines cow-boy aus Dallas; seine Eckzähne sind durch chewing gum-Kauerei stumpf geworden, und von seinem luziferischen Gelächter ist nur noch die schmierige Grimasse eines businessman aus Wall-Street wahrzunehmen, die bösartige Grimasse des American Way of Life, die sich wie ein trüber Schatten über die deutsche Agonie – die verderblichste dieses Jahrhunderts – breit macht. Faust hängt – wieder — am Schicksalsbaum, sein Genie ist verbannt und seine Seele zwischen den Teilen Deutschlands zerrissen. Im Bamberger Reiter scheint die deutsche Geschichte auf ewig versteinert zu sein. Auf dem verlassenen Brocken werden die Walpurgisnächte nur noch von den kalten Scheinwerferstrahlen fremder Wachttürme erhellt. Tristan langweilt sich zu Tode, verendet aus Langeweile in den von Amerika überfluteten Diskotheken, in diesen neuen Hysteriestätten eines neuen Babylon, das in dem vermarkteten Sänger Michael Jackson das vorläufig spektakulärste und elendste Gegenstück zu Siegfried gefunden hat. Hameln ist überall in Deutschland, aber sein in den Bundestag gewählter Flötenspieler hat dem Besatzer seine Magie verkauft, und nun sind es die Ratten, die über das liberalkapitalistische Schicksal des zerstörten Reichs bestimmen. Mozart liegt hingegen ermordet da, und seine zerbrochene Flöte nicht mehr die Elfen und Nixen des germanischen Waldes.

Zarathustra schweigt. Man sagt, daß er sich in die heimlichen Tiefen des längsten Gedächtnisses zurückgezogen habe … Die amerikanischen Strategen von Cosmopolis, die, wie der Filmregisseur Volker Schlöndorff es kürzlich hervorhob, nur für den Augenblick leben, haben das allerdings nicht zur Kenntnis genommen. Die Augenblicklichkeit gehört ihnen; die Geschichte interessiert sie kaum. Zusammen mit Martin Heidegger wissen wir, daß wir uns in der Mitternacht befinden, „in der schon anbrechenden Geistlosigkeit, der Auflösung der geistigen Mächte, der Abwehr alles ursprünglichen Fragens nach Gründen“.28 Gerade dieses Fragen an unsere Wurzeln, dieses unverjährbare Recht auf Identität werden wir in den Vordergrund rücken müssen. Dieses heute als ketzerisch bewertete Fragen ist nicht neu. Bereits vor einem halben Jahrhundert stellte Oswald Spengler folgende grundlegende Frage: „Hat heute irgendein Mensch der weißen Rasse einen Blick für das, was rings umher auf dem Erdball vor sich geht? Für die Größe der Gefahr, die über dieser Völkermasse liegt und droht?“29, Deutschland ist derzeit ein Beispiel von Dynamik in dem einzigen Bereich, wo es seinen Willen behaupten darf, dem Konsumbereich, und zwar im gleichen Maße wie seine Identität, seine nationale Verantwortung und sein historisches Schicksal fast bedingungslos eingeschränkt ist. Diese Dynamik ist aber insofern vergänglich, als sie keine geistigen, ethischen, kulturellen oder politischen Werte mehr gründet. Diese Dynamik ist nicht mehr prometheisch. Sie ist merkantil und amerikanisch. Sie wurde zu einer ungeheueren Selbstzerstörungskraft, hie leistet dem ‘Countdown, der deutschen Identität Vorschub.

Das Land, aus dem die Götter geflohen sind

Gerade auf dem Grund dieser merkantilen Raserei erkennt Heidegger den dämonischen Aspekt,30 die vernichtende Böswilligkeit, die den nunmehr zwischen Sowjetrußland und Amerika eingeklemmten europäischen Geist verfinstert.31 Der Philosoph zählt auch die Ereignisse auf, die zu dieser Verfinsterung führten: Es sind „die Flucht der Götter, die Zerstörung der Erde, die Vermassung des Menschen, den Vorrang des Mittelmäßigen“.32 Die Zange zog sich zusammen, und Deutschland begab sich in die dunkelste Nacht dieses Jahrhunderts, die mit unseren Treulosigkeiten, unseren Schwächen, unseren Erniedrigungen geschwängerte Nacht; die undurchsichtige, einförmige Nacht; die laue Nacht des von Konrad Lorenz erkannten Wärmetods; die grenzenlose Nacht der gefährlichsten Gleichschaltung aller Zeiten, weil sie der gesamten verdummten Welt die gleichen Moden und Torheiten aufschwatzt, die gleichen kubischen Bauten und die gleichen Diskotheken, die gleichen Mac Donalds aus Kunststoff, um die Mägen zu täuschen, die gleichen Holliday Inns aus Beton, um die Träume zu zermalmen. Es ist die längste Nacht dieses Jahrhunderts, die plebejische Nacht des amerikanischen Mondialismus, der uns verdummt und unter der Dollar-Maske der Wallstreetgangster triumphiert. „Wir liegen in der Zange“, sagt Heidegger. „Unser Volk erfährt als in der Mitte stehend den schärfsten Zangendruck.“33 Spengler prophezeite mit einer weltumfassenden Erkenntnisgabe, die Heidegger nur bestätigen kann, daß Amerika seine Metastasen im Vaterland von Novalis, Rilke und George wuchern läßt. Diese Wahl ist kein Zufall. Indem es Deutschland zum Satelliten macht, weiß Amerika sehr wohl, daß es das Herz Europas, das Reich der Mitte, das geistige und historische Epizentrum unseres Kontinents lahm legt. Thomas Mann sagte über Deutschland zu Recht, daß es Europa zusammenfaßt, der Inbegriff Europas ist. Und gerade in diesem „zusammengefaßten“ Europa ist die liberalkapitalistische Gesellschaft amerikanischer Prägung dabei, mit größter Wirksamkeit die Herrschaft des vermassten und die Versklavung des geistigen Menschen herzustellen. Gegen dieses Deutschland empörte sich Thomas Mann, als er schrieb: „Wessen Bestreben es wäre, aus Deutschland einfach eine bürgerliche Demokratie im römischwestlichen Sinn und Geiste zu machen, der würde ihm sein Bestes und Schwerstes … nehmen wollen, der würde es langweilig, klar, dumm und undeutsch machen wollen …“34! Thomas Manns Zwangsvorstellung wurde zur alltäglichen Gegebenheit. In dem um sein Germanentum gebrachten Deutschland wächst ein Homo Occidentalis, der uns durchaus um unseren Glauben an den europäischen Menschen schlechthin bringen könnte, da dieser von jener allumfassenden Herrschaft der Verkleinerung ergriffen wird, die Nietzsche anprangerte: „Denn so steht es: die Verkleinerung und Ausgleichung des europäischen Menschen birgt unsre größte Gefahr, denn dieser Anblick macht müde… Wir sehen heute nichts, das größer werden will, wir ahnen, daß es immer noch abwärts geht, ins Dünnere, Gutmütigere, Klügere, Behaglichere, Mittelmäßigere, Gleichgültigere, Chinesischere, Christlichere … Hier eben liegt das Verhängnis Europas – mit der Furcht vor dem Menschen haben wir auch die Liebe zu ihm, die Ehrfurcht vor ihm, die Hoffnung auf ihn, ja den Willen zu ihm eingebüßt. Der Anblick des Menschen macht nunmehr müde …“35

Man soll uns also nicht sagen, daß die amerikanische Besetzung unseres Raumes unsere kulturelle Freiheit unangetastet lasse und daß diese Besetzung im Grunde genommen besser als der sowjetische Gulag sei, der Körper und Geist gefangen hält. Nichts ist irriger als diese schwachsinnige Behauptung, da genau das Gegenteil eingetreten ist: Amerika besetzt viel gründlicher unseren Geist als unseren Raum, unsere Kultur als unsere Kasernen, unsere Lebensgewohnheiten als unsere Straßen, unsere Felder als unseren Himmel. Schlimmer noch: Amerika besiedelt sozusagen unsere Wünsche, unsere Reflexe, unsere Meinungen. Amerika besiedelt bereits unser Gedächtnis. Deshalb steht es unumstößlich fest: die Wiedergeburt Europas setzt den Niedergang Amerikas voraus, den Niedergang dieses „Antieuropäertums einer praktizistischen, merkantilen, demokratisch-kapitalistischen, wesentlich weltlichen und protestantischen Kultur …, das gerade in Amerika zu seiner letzten Schlußfolgerung gelangt ist: zum Mammonismus, zur übermäßigen Standardisierung, zur Tyrannei des Trusts und des Goldes, zur entwürdigenden Religion der ‚Sozialität und der Arbeit’ zur Zerstörung jedes metaphysischen Interesses und zur Verherrlichung des tierischen Ideals.“36

Der deutschen Nation, der die stärkste Schädigung ihrer Identität unter allen europäischen Nationen widerfuhr, wird gleichzeitig die größte Herausforderung dieser Jahrhundertwende gestellt: Wird Deutschland fähig sein, diese tödliche Schläfrigkeit, die ungeheuere Häßlichkeit des amerikanischen Lebens37 abzuschütteln? Ja, stellen wir die Frage! Wird Deutschland fähig sein, sein Schicksal auf Siegfrieds Amboß wieder zu schmieden, dadurch das amerikanische Phänomen auf sein tatsächliches Maß zu reduzieren und eines Tages — wie Nietzsche — zu sagen: „Was geht mich das erbarmungswürdige Geschwätz amerikanischer Wirr- und Flachköpfe an?“38

Joachim Fernaus schwere Anklage ist ein Volltreffer: „1945 waren wir Wachs in ihren Händen, heute sind wir ihr williger Schatten geworden. Was wollen wir bewahren? Unser Vaterland? Was ist das? Die Erde?

Der Acker? Die Städte? Die Fabriken? Die Banken? Die Atommeiler? Die Supermärkte? Die Partei-Silos? Was ist das Deutsche Vaterland? Wo ist es hingekommen? Es war doch einmal da, wo ist es nur geblieben? Was war es denn? Ach, meine verratenen Freunde, ich glaube, es war unsere Seele. Die ist es, die sie zerstört haben … Darum verliert kein Mitleid! … Haßt, was da über uns kommt… aus Liebe zu dem, wonach wir hungern und was man kaputtgemacht hat, deshalb sage ich: haßt! Die Liebe ist machtlos geworden. Dort drüben, jenseits des Ozeans, steht der Schuldige.“39 Um Europa zu schaffen, werden wir Amerika abschaffen müssen. Wenn man mit Evola bedenkt, daß der Amerikaner, die Verkörperung schlechthin des modernen, bis zum äußersten abgetriebenen Abendländer, nichts anderes als ein Schalentier ist, das sich in seinem äußeren Verhalten umso ‚härter’, zeigt, als er im Bereich der Innerlichkeit ‚weich’, und haltlos ist – ist das Unterfangen wahrlich nicht einschüchternd!40

Ganz Deutschland ist zu einer riesigen Krabbenreuse geworden. Die Schalentiere, von denen Evola spricht, höhlen es aus. Deutschland ist zu einem riesigen Kalifornien geworden, wo es den wöchentlichen Fernsehdallas, – o entsetzliche Trauer! – anscheinend gelang, alle Lüneburgs, alle Bambergs, alle Marburgs vergessen zu machen. Martin Heidegger gab der kalifornischen Gefahr einen anderen Namen, als er von dem „höchsten und erfolgreichsten Scharfsinn des rechnenden Planens und Erfindens“ sprach41. Mit der entsetzlichen Folge: der Mord an dem meditierenden Denken. Auch Hermann Keyserling stellte die unermeßliche existentielle Kluft, die zwischen Europa und Amerika besteht, mit den Worten fest: „In Europa galt finanzielle Macht nie als letzte Instanz. Diesem wunderlichen Glauben zu huldigen gehört zu den Originalitäten der Vereinigten Staaten. In Amerika glauben die Leute wirklich, daß der Reiche ebendarum ein überlegener Mensch ist; in Amerika schafft Geldgeben tatsächlich moralische Rechtsansprüche.“42

Das Land des meditierenden Denkens

Germaine de Staël bemerkte: „In Deutschland herrscht jedoch ein solcher Hang zur Reflexion, daß die deutsche Nation im wahren Sinne des Wortes als die metaphysische Nation betrachtet werden kann. Es finden sich in diesem Volk soviel Menschen, die im Stande sind, die abstraktesten Fragen zu verstehen, daß selbst das große Publikum Anteil an den Argumenten nimmt, die bei diesen Diskussionen vorgebracht werden.“43 Mme de Staël nahm somit Thomas Mann gedanklich vorweg, der gern sagte: „Kann man Philosoph sein, ohne deutsch zu sein?“44 Solange es die natürliche Heimat des meditierenden Denkens blieb, konnte Deutschland der übrigen Welt das Beste von sich geben: Das meditierende Denken verband es mit seiner reinsten Originalität, die es stets dazu bewog, über das Wesen, das Sein und das Werden grundlegende Fragen zu stellen. Das meditierende Denken wurzelte Deutschland in seine psychischen, kulturellen, soziologischen und politischen Partikularismen ein; das meditierende Denken brachte Deutschland in seinem Erbe zur Entfaltung; es verwob Deutschland mit seiner Identität und machte es gleichzeitig weltoffen. Und Deutschland veränderte sich, ohne sich jemals zu modifizieren. Das berechnende Denken entbindet Deutschland seiner Beziehungen, seiner Neigungen, seiner Affinitäten. Es entfremdet Deutschland allmählich sich selbst; es verbannt seine größten Denker innerhalb ihres eigenen Vaterlands. Das berechnende Denken rückt Deutschland immer mehr von seiner Geschichte ab und bringt es dagegen immer näher an die materielle Fatalität, an das Ökonomische.45 Das berechnende Denken hobelt immer mehr ab, was Deutschland von den anderen Völkern grundsätzlich unterscheidet, indem es an die einförmigen, austauschbaren und totalitären Erfordernisse des mondialistischen Diktats angepaßt, d. h. verstümmelt wird. Das berechnende Denken anonymisiert Deutschland. In diesem Sinne verbeißt sich der Liberalismus darin, die lebendigen Traditionen dieses Landes und alles, was von der Entfaltung seines Werdens zeugt, zu ersticken, indem er alle Hebel an sich reißt, die die Sitten und Bräuche lenken. Der Liberalismus manipuliert den Geschmack, die Moden, die Gadgets, die Schlager, die Bilder, die. er den abgedroschenen Klischees von Cosmopolis ablauscht. Er vervielfacht die Information, um die Fährten besser durcheinander zu bringen, die Reflexion zu verdummen, die Konzentration zu entmutigen, jede Spur eines meditierenden Denkens zu verwischen. Das berechnende Denken schafft allmählich die Identität, die Norm, den orientierenden Wert ab, die verschiedene Menschen in die Lage versetzen, für ein Volk gegenüber einem anderen zu stehen. Das berechnende Denken abstrahiert die Bindungen und neutralisiert die Wurzeln, um eines Tages nicht etwa Gemeinschaften oder Völker in Beziehungen zu bringen, sondern entmenschlichte Menschenräume von einem Ende des Planeten zum anderen austauschen zu können. Das berechnende Denken verwandelt somit das deutsche Volk allmählich in eine Gütergesellschaft. In dem genormten Schmelztiegel von Cosmopolis ständig umgeformt, von seinem Germanentum immer radikaler getrennt, wird Deutschland sehr bald der Welt nicht mehr das Beste von sich geben, da dieses Bessere, das es von den anderen Völkern unterscheidet, abgeschafft sein wird. Sein Volk wird sozusagen zunächst auf Höhe der Wurzeln, der Bindungen, der Werte implodiert sein, bevor es in dem großen weltweiten Zusammenbrauen explodiert. Die Beobachtung von Mme de Staël und die Frage, die Thomas Mann stellte, werden dann sogar nicht mehr von Bedeutung sein: Wenn die Deutschen schon einmal in der standardisierten Cosmopolis aufgesaugt und des-integriert sind, wenn Existenz und Welt schon einmal programmiert, technokratisiert sind, ist offensichtlich, daß die Fragen über das Wesen, das Sein und das Werden nur noch als intellektuelle, sinnlose Scherereien empfunden würden in einer Welt, wo das Sein vereinheitlicht und das Werden abgeschafft wäre… bis zum Eintreten des Unvoraussehbaren, das in Deutschland als Ernstfall bezeichnet wird! Wären die Götter einander gleich, so hätten sie – höchste Widersinnigkeit – nichts mehr auszutauschen. In dem Maße wie das berechnende Denken die Identität eines Volkes verwirkt, zwingt es die übrige Welt, auf eine grundlegende Originalität, die sie ergänzt und bereichert, zu verzichten. Das egalitäre Denken, das Cosmopolis nährt, schwächt die ganze Menschheit. Das meditierende Denken bleibt das wirksamste Gegenmittel zum berechnenden Denken Amerikas. Wir begreifen auf einmal die Aktualität von Heideggers Worten: „Darum gilt es, dieses Wesen des Menschen zu retten. Darum gilt es, das Nachdenken wach zu halten.“46 Es gilt mit anderen Worten, daß wir mit den Wurzeln verbunden bleiben. Martin Heidegger macht in diesem Zusammenhang eine ebenso meisterhafte wie kategorische Erklärung: „Die Bodenständigkeit des heutigen Menschen ist im Innersten bedroht. Mehr noch: Der Verlust der Bodenständigkeit ist nicht nur durch äußere Umstände und Schicksale verursacht, auch beruht er nicht nur auf der Nachlässigkeit und oberflächlichen Lebensart der Menschen. Der Verlust der Bodenständigkeit kommt aus dem Geist des Zeitalters, in das wir alle hineingeboren sind.“47 Heidegger fragt nun nach den entsetzlichen Folgen der Entwurzelung: „Wir werden noch nachdenklicher und fragen: Kann, wenn es so steht, der Mensch, kann menschliches Werk künftig noch aus einem gewachsenen Heimatboden gedeihen und in den Äther, d. h. in die Weite des Himmels und des Geistes steigen?“48

Das Land am Scheideweg

Um die historische Mission erfüllen zu können, die ihm der Philosoph aus dem Schwarzwald zuschreibt,49 wird Deutschland gegen die amerikanisch-westliche Cosmopolis mit größter Energie ankämpfen müssen, mit der Energie der Notwehr, die die Anwendung der stärksten Mittel gegen die größte Gefahr verlangt. Deutschland wird zwischen der liberalen Konsumideologie des Westens (bzw. ihrer sowjetischen totalitären Variante; und dem europäischen Zeitalter entscheiden müssen, dem wir durch das Modell einer organischen, solidarischen und entscheidungskräftigen Gemeinschaft Ausdruck verleihen. Wir stimmen dabei mit Max Scheler überein, wenn er behauptet: „Wo immer Gemeinschaft, auf Erden bestand, finden wir, daß den Grundformen des Gemeinschaftslebens ein über alle Interessen und subjektiven Gesinnungen und Absichten der einzelnen erhabener Wert zugestanden wird …Und so kommt es überall, wo Gemeinschaft ist, den Formen des Lebens ein Selbstwert zu, der unabhängig ist vom Grade der Schätzung der Interessen, vom Glück und Leiden der einzelnen.“50 Deutschland wird sich aus der Sackgasse herausreißen müssen, in der sein tätowiertes Genie dahinsiecht; die Irenik und der Hedonismus, die ihm durch die Zauberlehrlinge von Cosmopolis schmackhaft gemacht werden, enthumanisieren Deutschland, denn weder die pazifistische Utopie noch das arbeitsfeindliche Lustprinzip waren jemals die seelischen Stützen und geschichtlichen Ziele seines Germanentums. Deutschland muß in den gefahrvollen Nährboden der Geschichte eindringen – und zwar genau so, wie ein jeder Mensch, der sein Leben ordnet, seine Wesenszüge ausbildet und nach Vervollkommnung strebt, sich zu diesem Zweck der Gefahr einer besonderen Anspannung, einer Krise, eines schicksalhaften, unvorhersehbaren Ereignisses aussetzt, in dem Wissen, daß er die Bedrohung nur abwenden kann, wenn er sich ihr kämpfend widersetzt und sie überwindet. Im Volksmund spricht man gewöhnlich von einer ‚Heldentat’, die sich, nach Spenglers Worten, „nur durch lebendiges Vorbild und sittliche Selbstdisziplin eines befehlenden Standes …, nicht durch viel Worte oder durch Zwang“ erreichen läßt. Deutschland, das Zentrum der europäischen Geschichte, muß erneut in diese Art der Gestaltung eintreten, wenn es leben, überleben, besser leben will im griechischen, faustischen, nietzscheschen Sinne des Wortes. Erst dann wird es die Zügel seiner kulturellen Verpflichtungen, seiner politischen Entscheidungen, seines historischen Entwurfs und seines Schicksals wieder ergreifen können. Deutschland muß der politischen Tätigkeit ihre souveräne Kraft zurückgeben, muß die Ökonomie in eine politische, sie unterordnende Entscheidung wieder integrieren, und zwar im Rahmen einer klaren und unumstrittenen Hierarchie, die den Vorrang des Prinzen vor dem Kaufmann erneut bekräftigen wird. Dieser Prozeß der Ent-Amerikanisierung und zugleich der Auf-Europäisierung Deutschlands bedingt die radikale Loslösung vom Westen, von der Konsumideologie des American Way of Life. Deutschland, das eine gewagte Geschichte vorbildlich verkörperte, muß sich – am Nullpunkt dieser Geschichte – wieder auf seine Berufung als Volk der Bewegung im ewigen Werden besinnen. Deutschland kann, wenn es die Ketten des liberalen Gulag sprengt, ganz Europa den Willen zur Gemeinschaft, zum Fleiß, zum Kampf, den Sinn für Solidarität und Ehre, den Wert des Engagements, der Treue, das Bedürfnis nach Überwindung, den Wunsch nach Absolutem wieder einflößen.

Das Land, das die Revolution gewinnen muß

Wir befinden uns im Kulturkampf. In diesem Kampf haben wir aber nicht nur Gegner, sondern auch Verbündete: alle Völker der Dritten Welt, die ebenfalls gegen die tödliche Gefahr rebellieren. Dieser Kampf der Ideen erfordert ein außerordentliches Netz an Kenntnissen und Informationen. Und er braucht neue Führer vom Schlage eines Hütten, Leibniz, Schiller, Moltke und Clausewitz, deren Strategie nun Metapolitik heißt. Die Revolution des 21. Jahrhunderts wird aus dem ungeheuren Zusammenstoß des meditierenden Denkens mit dem berechnenden Denken hervorgehen, des wachrufenden Denkens mit dem verdummenden, des humanisierenden Denkens, das bodenständig macht, mit dem enthumanisierenden, das zerstreut. Die metapolitische Ausrichtung kommt der Einsetzung einer kulturellen Gegen-Macht gleich, die sich auf eine andere Weltanschauung, eine andere Gesellschaftsauffassung, eine andere Dimension des Menschen und daher auf ein anderes Wertsystem beruft. Alain de Benoist bemerkte zu Recht: „Sich an unserem Unternehmen zu beteiligen heißt nicht, sich für eine Gruppierung gegen die anderen zu entscheiden. Es heißt endgültig aus dem Trolleybus aussteigen, der zwischen den entgegengesetzten Polen ein und derselben Ideologie hin- und herfährt … Sich an unserem Unternehmen zu beteiligen, heißt eigentlich eine Begegnung des ‚dritten Typs’ zu machen, heißt in eine andere Welt zu kommen.“51

Europas Wiedergeburt, die Befreiung aus seiner ideologischen, politischen, geistigen Bevormundung, kann nur über den Kulturkrieg erfolgen, den einzigen Krieg nämlich, der Europa vor der geistigen Zerstörung retten kann (die durchaus einer physischen, materiellen Zerstörung vorausgehen kann, wenn Amerika morgen unseren Kontinent in einen Atomkrieg verwickeln würde). Martin Heidegger bittet uns dringend, den Kampf der Ideen zu eröffnen: „Gerade wenn die große Entscheidung über Europa nicht auf dem Weg der Vernichtung fallen soll, dann kann sie nur fallen durch die Entfaltung neuer geschichtlich geistiger Kräfte aus der Mitte.“52

Auf der ersten Seite seiner bekanntesten Schrift verkündet Arthur Moeller van den Brück: „Ein Krieg kann verloren werden. Ein unglücklicher Krieg ist niemals unwiderruflich. Der ärgste Krieg ist niemals endgültig. Aber eine Revolution muß gewonnen werden. Eine Revolution ist einmalig … Eine Revolution ist die ureigenste Angelegenheit einer Nation, die das betreffende Volk nur mit sich selbst auszumachen hat und von deren Ausgange die Richtungsbahn abhängt, die es in Freiheit seinen Geschicken zu geben versteht.“ 53 In diesem titanischen Streit um die Wieder-Verwurzelung, in diesem entscheidenden Kampf um die Erhaltung der Kern-Substanz, in diesem Krieg um die geistige Wiederaufrüstung Deutschlands verzichten wir auf die zu eng geratenen Vorstellungen der Berufspolitiker. In dieser Hinsicht nähern wir uns der Neuen Linken, soweit ihre Standortbestimmung zuallererst in bezug auf Deutschland geschieht, und entfernen uns von der Alten Rechten, deren Position von vornherein von der Rücksicht auf Amerika bestimmt wird. Und wir begrüßen heute die Neue Linke, wenn ihre auf Deutschland bezogene Standortbestimmung auch noch zugunsten der deutschen kulturellen Werte vorgenommen wird.

Ebenso nähern wir uns heute der Neuen Linken, soweit diese bei ihrer Standortbestimmung Europa einbezieht – und wenden uns gegen die Alte Rechte, deren Standort den äußerst gefährlichen Mythos des Atlantismus beinhaltet. Hierin erkennen wir die Widersinnigkeit der politischen Etiketten, die Gefahr der Spaltungen, die innere Alterung der Parteien. Wir erkennen aber gleichzeitig den Wert der Ideen, die Bedeutung der Menschen. Schließlich sehen wir mit großer Genugtuung alle die unsichtbaren Bande, die die Menschen der organischen Gemeinschaft von morgen bereits miteinander knüpfen. Die deutsche Neue Kultur erklärt sich für die europäische Herausforderung, weil diese eine Alternative in Aussicht stellt, die das Schicksal bewegt, andere Anschauungsnetze schafft, neue Bildquellen erschließt und neue Genies weckt.

Das Land, das die Völker wachrufen wird?

Deshalb werden wir für eine noch unbestimmte Zeit Deutschland in uns tragen wie ein inneres Reich und uns dabei an Richard Wagner erinnern. Wir werden die Priester des Bacchus, von denen uns Hölderlin, der Dichter der Zeit höchster Not, erzählt, weiter umherziehen lassen, denn sie verkünden unser Ideal. Lassen wir sie von einem europäischen Land zum anderen schweifen. Sie knüpfen die unsichtbaren Bande unserer inneren Reiche und bereiten uns auf die Morgendämmerung, auf den großen Schmerz vor, den Nietzsche als den letzten Befreier des Geistes bezeichnete.54 Jason Hadjidinas äußerte im gleichen Sinne, daß der identitäre Niedergang nur unter der Bedingung zu überwinden ist, daß man sich zu einem heroischen Kampf zwingt. Er fügt «her hinzu: „Unsere Götter werden ihren Völkern nur dann Schutz gewähren, wenn diese sie nicht fremden Gottheiten vorziehen.“55 Wir werden sowohl unseren Göttern, unseren Völkern treu bleiben müssen wie auch unseren Mythen, die uns, nach der Einschätzung Hans Jürgen Syberbergs, unsere Geschichte zu meistern helfen, vorausgesetzt, daß wir sie als den rein menschlichen Ausdruck der kulturellen Tat schlechthin auffassen.56 Nun aber verkörpert jede Revolution einen Mythos; jede Revolution erfordert einen Teil an Mystizismus in dem absoluten Glauben an eine neue Weltordnung. Zu diesem Glauben kommt der eherne Wille der Menschen, die schon deshalb können, weil sie wollen. Oswald Spengler schrieb: „Sich selbst beherrschen muß man, um einer Idee dienen zu können, zu innerlichen Opfern aus Überzeugung bereit sein.“57 Werner Heisenberg beteuerte seinerseits: Im Anfang war der Glaube, „der Glaube an unsere Aufgabe in dieser Welt“.58 Friedrich Jahn stellte fest, man schöpfe ein Gefühl göttlicher Kraft aus dem Bewußtsein, etwas tun zu können, wenn man es nur wirklich wolle.59 Und Nietzsches Zarathustra verkündete: Unfruchtbar seid ihr: darum fehlt es euch an Glauben.“60

In diesem Sinne wollen wir die Wachrufer unseres Volkes sein.61 Wer hören kann, soll es vernehmen: Wir sind bereit, den Preis für unsere Treue gegenüber unseren Göttern, unseren Völkern, unseren Mythen zu bezahlen, weil wir zusammen mit Hölderlin wissen, daß das Rettende aus der größten Gefahr wächst. In der Mitternacht Europas ist das egalitäre Zeitalter der Massen, das Zeitalter der Einförmigkeit im Anzug. Darin liegt zwar die höchste Gefahr, gleichzeitig aber die Herausforderung zum größten Kampf und damit die stärkste Hoffnung! Wenn nämlich diese Herausforderung die Grundlagen unserer Identität so stark bedroht, weckt sie gleichzeitig den schärfsten Widerstand; und wenn sie uns im Herzen unseres ureigenen Schicksals trifft, fordert sie uns heraus, die härteste, entschlossenste, unerbittlichste Willenskraft zu entwickeln. Lassen wir also in der Mitternacht der Welt Bacchus, Priester in unserem Innern schleifen! Es sind die Verzückungen der letzten Sterne, die auf den Scheitelpunkt von Nietzsches Großem Mittag hinweisen. Wir können bereits untrügerische Vorzeichen beobachten. Wenn deutsche Jugend ihre Massenkundgebungen gegen Amerika organisiert, wacht Tristan in ihr auf und reißt der westlichen Cosmopolis die Tarnkappe ab. Wenn Hans Jürgen Syberberg erklärt, daß die Kunst Deutschland wieder erheben wird (eine Kunst, die als Rückkehr der aristokratischen Zeiten, als „elistisches, als unausrottbares Prinzip“62 aufgefaßt wird) – dann sind es die schlummernden Kräfte Beethovens, Wagners, Mozarts, die neue Harmonien, Symbole und Bilder entwerfen, neue Mythen zur Wiederbelebung Deutschlands schaffen. Zarathustra ist ein Mutant, der mit der Rückkehr der Götter das Erwachen der Titanen ankündigt, um das Wagnis der Wissenschaft zu tragen, um uns in dem Abenteuer, in dem Ereignis, in der Geschichte, aus denen die tragfähigen Alternativen quellen, erneut anzusiedeln. Zarathustra treibt uns wieder in den Mythos, die natürliche Heimat der schöpferischen Fruchtbarkeit und des Heiligen. Das Heilige faßte der indoeuropäische Geist seit jeher mittels einer polytheistischen Weltsicht auf – nach dem Beispiel des Lebens und seiner Spannungen und im Gegensatz zum jüdisch-christlichen Logos. Zarathustra läßt uns die Ankunft eines neuen europäischen Menschen ahnen, der das Schicksal der Neuen Kultur im Sinne Ernest Renans formen wird. „Der Mensch ist nicht nur auf Erden, um glücklich oder ehrlich zu sein. Er ist auch hier, um jene höheren Lebensformen, wie die große Kunst und die selbstlose Kultur, zu verwirklichen.“ Deutschland wird wieder in die Geschichte eintreten, um sie vor der Errettung zu retten. Hören wir Heidegger: „Der Anfang ist nah. Er liegt nicht hinter uns als das längst Gewesene, sondern er steht vor uns. Der Anfang ist als das Größte im voraus über alles Kommende und so auch über uns schon hinweggegangen. Der Anfang ist in unsere Zukunft eingefallen, er steht dort als die ferne Verfügung über uns, seine Größe wieder einzuholen.“63

Das Land, das die Wiedergeburt des hellenischen Geistes ankündigt

Faust ist vom Schicksalsbaum heruntergestiegen. Sein Genie ist das Genie eines Mutanten, der Dionysos und Apollo in sich vereinigt. Sein Genie schuf sozusagen die ‚Hesperien’, das Abendland wieder. Er enthüllt uns die Identität des neuen Deutschland. Diese Identität ist imperial; d. h. die deutschen ‚Hesperien’, der deutsche, ‚griechisch-hellenische’ Wiederanfang verkündet, über den Niedergang der Nationen als Gesellschaften hinaus, die Herausforderung des imperialen Europa, des künftigen Imperiums als Gemeinschaft. Denn Europa wird ein Imperium sein (im ursprünglichen Sinne des Wortes, der mit der Perversion des Imperialismus überhaupt nichts gemein hat), d. h. eine organische Gemeinschaft mit den gleichen biologischen, kulturellen und historischen Wurzeln, so wie sie Max Scheler bestimmte. Diese Gemeinschaft wird auf der Grundlage der gleichen ethnischen Herkunft, der gleichen Mythen, der gleichen Geschichte und des gleichen Schicksals gebildet — oder sie wird nie zustande kommen, laust läßt uns ein zweites Mal erkennen: An einem Zeitpunkt der Geschichte, wo Deutschland in seinem Germanentum vielleicht noch nie so zerstört war, an einem Zeitpunkt, wo Deutschland auf die materiellste, unwirklichste Formel erniedrigt wird, ist der deutsche Geist in seinem eigenen Vaterland verbannter und entfremdeter – gleichzeitig über auch bewußter, intelligenter und tragischer denn je in diesem Jahrhundert. Faust läßt uns wissen, daß der deutsche Geist noch nie so indoeuropäisch, d. h. noch nie so ‚griechisch-hellenisch’ war, deutsch und hellenisch, wenn Carl Schmitt den Dezisionismus (die Entscheidungslehre) als das Wesen des Politischen bestimmt; deutsch und hellenisch, wenn Arnold Gehlen, der das Kennzeichnende des Menschlichen in der kulturellen Tat erfaßt, die die wagnisbereite, folglich tragische Natur des Menschen voraussetzt; deutsch und hellenisch, wenn Konrad Lorenz das moderne naturwissenschaftliche Denken an die antike Philosophie knüpft und der vitalistischen Anschauung, die den Menschen in den Strom des Lebendigen, in die organische Gesamtheit des Lebens taucht, wieder Geltung verschafft; deutsch und hellenisch, wenn Werner Heisenberg erklärt: „Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird und von welchen geistigen Mächten die Welt regiert werden wird, aber wir können nur damit anfangen, daß wir etwas glauben und etwas wollen“64; deutsch und hellenisch, wenn Hans Albert eine philosophische Vision entwirft, die die Vielschichtigkeit und Vielzahl des Realen uneingeschränkt in Betracht zieht und alle Formen des Dogmatismus verurteilt; deutsch und hellenisch, wenn Gottfried Benn fordert, die Schwerter auch vor der dunkelsten Stunde der Welt niemals sinken zu lassen65; deutsch und hellenisch, wenn Walter Otto uns durch das Bild des Göttlichen im Spiegel des griechischen Geistes die religiöse Idee des gesamten europäischen Erbes wiedergibt in dem grundlegenden Monismus von Mensch und Natur, von Wissenschaft und Philosophie, von Menschen und Göttern; deutsch und griechisch, wenn Moeller van den Brück beteuert: „Größe eines Menschen ist: noch etwas mehr sein, als er nur von sich aus ist. Größe eines Volkes ist: noch etwas über sich hinaus sein und von sich mitteilen, noch etwas besitzen, das es mitteilen kann“66; deutsch und hellenisch, wenn Max Scheler versichert, daß die Erhaltung der Völker einen höheren Wert darstellt als industrielles Wachstum67; deutsch und hellenisch, wenn Hans Jürgen Syberberg behauptet, daß das deutsche Volk sich erneut in den ihm zugrunde liegenden Mythen wird verwirklichen müssen; deutsch und hellenisch, wenn Ernst Jünger in der Technik nicht ein Ziel, sondern ein Mittel, die neue Mobilisierungskraft, den neuen Willen zur Macht, die neue Herausforderung erblickt, aus denen der Mensch, vielleicht, die neue Magie wird erstehen lassen … Deshalb beruft Deutschland den ‚griechisch-hellenischen’ Wiederanfang, deshalb ist Deutschland unser inneres Reich, der neue Vorbote des europäischen Schicksals.

Faust-Heidegger, der dieses hellenische Wesen so treffend verkörpert, fordert uns zur Wahrung unserer Eigenart, unseres Lebens, des Lebens aller Völker auf: „Wir wollen uns selbst. Denn die junge und jüngste Kraft, die über uns hinwegreift, hat darüber bereits entschieden. Die Herrlichkeit aber und die Größe dieses Aufbruchs verstehen wir dann erst ganz, wenn wir in uns jene tiefe und weite Besonnenheit tragen, aus der die alte griechische Weisheit das Wort gesprochen: ‚Alles Große steht im Sturm’.“68


Anmerkungen

1 Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, Tübingen, 1953, S. 29.
2 In Le Nouvel observateur, 5. Mai 1980.
3 Henry de Lesquen, La politique du vivant, Paris 1979.
4 Kolloquium Biologie und Zukunft des Menschen, Paris 1974.
5 C. D. Darlington, Die Wiederentdeckung der Gleichheit, Frankfurt/Main 1980.
6 Robert Ardrey, Der Gesellschaftsvertrag. Das Naturgesetz von der Ungleichheit der Menschen, 1971.
7 M. Fournier, in Charlie-Hebdo, 15. März 1971.
8 Edward T. Hall, Die Sprache des Raums, 1976.
9 Vgl. Gerald B. Suttles, The Social Order of the Slum, Chicago 1966.
10 Vgl. R. Park, Pace and Culture, Glencoe, 1950.
11 Robert Ardrey, aaO., S. 11f.
12 Vgl. Konrad Lorenz, vor allem in Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression, 1963.
13 Simone Weil, L’enracinement, Paris 1970.
14 Vgl. Saint-Loup, Plus de pardons pour les Bretons, Paris 1971.
15 Martin Heidegger, aaO., S. 29f.
16 Ebd., S. 30.
17 Eric le Naour, in L’Avenir de la France, Februar 1971.
18 Alain de Benoist, Les Dieés à l’endroit, Paris 1979, S. 141.
19 Mahmut Güropolu, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Dezember 1981.
20 Die Wurzeln des Totalitarismus sind in der Tat mit den Wurzeln des Monotheismus verwandt. Denn — Sigrid Hunke deutet es mit besonderem Scharfsinn an – „es führen viele Wege zu Gott. Keiner der Wege ist auserwählt. Keiner ist der einzig gültige für alle Menschen, Völker und Zeiten. Keiner von ihnen ist besser als der andere. Denn alle führen zu demselben einen Unerforschlichen, das die Religionen aller Zeiten und Völker meinen, wenn sie es auch mit verschiedenen Chiffren und Bildern begriffen und mit verschiedenen Namen benannt haben — dasselbe eine Unerforschliche, das über alles Erkennen und Begreifen ewig hinausliegt und nur dem religiösen Erleben ahnbar wird. Und weil alle Wege sich dem Göttlichen von einem anderen Ausgangspunkt nähern, eröffnet ein jeder eine andere Sicht. Denn auch ein und derselbe Berg ist keinem Beschauer allseitig sichtbar, und nicht zwei Menschen bietet er denselben, völlig gleichen Anblick dar. Seine Gestalt hat Milliarden Umrisse, sein Antlitz Milliarden Profile.“ (Europas eigene Religion, Bergisch Gladbach 1981, S. 17).
21  Man denke insbesondere an die Indianer Amerikas: Psychisch ‚verseucht’ hinsichtlich ihrer besonderen Vorstellungen von Welt und Kosmos – was ihren psychischen Niedergang und schließlich ihre Auslöschung beschleunigte. Konrad Lorenz bemerkt dazu: „ … Eine Kultur gestattet keine Unterbrechung ihrer Kontinuität.“ Daher bietet die Kolonialgeschichte „zahlreiche Beispiele dafür, daß nicht allein die Kulturen, sondern auch Völker und Rassen vernichtet wurden“.
22 Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral, Frankfurt/Main, S. 79.
23 Thierry Maulnier, Le sens des mots, Paris 1978.
24 „Zeugt es bereits von .rassischer, oder gar rassistischer Nostalgie, wenn wir gerne Kinder haben möchten, die uns ähnlich sind?“ fragt Henry de Lesquen, aaO., S. 252.
25  „Die Geschichte zeigt: Es gibt für die Vernichtung einer Minderheit zwei hauptsächliche Methoden. Die erste besteht in der schlichten Ausrottung; die zweite, subtilere, ist das Aufsaugen durch Vermischung“ (Henry de Lesquen, aaO., S. 246). Konrad Lorenz weist seinerseits auf folgenden Umstand hin: „Wir wissen, daß die Mischlinge nicht ein ‚Zwischending’ zwischen ihren Eltern darstellen, weder in ihrem instinktmäßigen Verhalten noch in bestimmten körperlichen Merkmalen, sondern einen Rückgriff auf stammesgeschichtlich ältere Stufen“ (Über tierisches und menschliches Verhalten. Aus dem Werdegang der Verhaltenslehre, 1965).
26 Martin Heidegger, aaO., S. 25.
27 Julius Evola, // cammino del Cinabro. Frz. Ausgabe Le Chemin du Cinabre, Mailand 1982, S. 201.
28 Martin Heidegger, aaO., S. 49.
29 Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, München 1933, S. 1.
30 Martin Heidegger, aaO., S. 50.
31  Ebd., S. 40f.
32  Ebd., S. 48.
33 Ebd., S. 41.
34 Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, Berlin 1920, S. 16.
35  Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, München 1980, S. 278.
36 Julius Evola, Heidnischer Imperialismus, Leipzig 1933, S. 89f.
37 Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, München 1980, Bd. 9, Nachgelassene Werke, S. 338.
38 Ebd., Bd. 6, S. 287.
39 Joachim Fernau, Halleluja. Die Geschichte der USA, München 1977, S.
315f.
40 Julius Evola, L’arco e la clava, 1968; frz. Ausgabe L’arc et la massue, 1983, S. 35.
41  Martin Heidegger, Gelassenheit, Pfullingen 1959, S. 27.
42  Hermann Keyserling, Amerika. Der Aufgang zu einer neuen Welt, Darmstadt 1930.
43  Mme de Staël, Über Deutschland, 2. Bd., Leipzig 1813, S. 150.
44 Thomas Mann, aaO., S. 35.
45  Der ehemalige Staatschef Frankreichs Giscard d’Estaing erklärte – anläßlich eines in Cap d’Agde veranstalteten Kolloquiums seiner Partei – in ebenso triumphalem wie anmaßendem Ton, daß das Ökonomische das Politische in steigendem Maße aufsaugen müsse. Das Wirtschaftliche müsse immer mehr zum Lebensgrund und -ziel werden. Eine beredte Sprache, die auf die mondialistische, aseptische, von den Zauberlehrlingen des Egalitarismus zusammengebrauten Gesellschaft verweist. Diese Worte sind, unterschiedlich rhythmisiert, bei allen Tenoren des Systems anzutreffen, ob sie Genscher, Vogel, Reagan, Barre, Kohl oder Mitterrand heißen.
46 Martin Heidegger, Gelassenheit, aaO., S. 27.
47 Ebd., S. 18.
48 Ebd., S. 18.
49 Derselbe, Einführung in die Metaphysik, aaO., S. 17.
50 Max Scheler, Gesammelte Werke, Bd. 3, Vom Umsturz der Werte, ‚Das Ressentiment im Aufbau der Moralen’, Bern 1955, S. 141.
51  Alain de Benoist, Pour un gramcisme de droite, Paris 1982, S. 21.
52  Martin Heidegger, Einführung in die Metaphysik, aaO., S. 41f.
53  Arthur Moeller van den Brück, Das dritte Reich, Berlin 1926, S. 19.
54 Friedrich Nietzsche, vgl. Bd.3, aaO., Die fröhliche Wissenschaft.
55 Jason Hadjidinas, in Vouloir, Nr. 10, November 1984, Brüssel.
56 Hans-Jürgen Syberberg, L’art qui sauve de la misère allemande, in Change, März 1978, Paris.
57 Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung, München 1933.
58 Werner Heisenberg, Das Naturbild der heutigen Physik, Hamburg 1955, S. 45.
59 Friedrich Jahn, Deutsches Volkstum, 1810.
60 Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, II. Teil, Vom Lande der Bildung.
61 Pierre Vial, in Les idées qui mènent le monde. Les intellectuels et l’Histoire. In Pour un gramcisme de droite, aaO.
62  Hans-Jürgen Syberberg, aaO.
63  Martin Heidegger, Die Selbstbehauptung der deutschen Universität, 1933, S. 11.
64 Werner Heisenberg, aaO., S. 45.
65 Gottfried Benn, in Poèmes, Paris 1956, S. 80 (Edition bilingue).
66 Arthur Moeller van den Brück, Das dritte Reich, aaO., S. 348.
67 Max Scheler, aaO., S. 146.
68 Martin Heidegger, Die Selbstbehauptung der deutschen Universität, aaO., S. 22.
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