Nordische Mythologie und Sagenhaftes aus dem hohen Norden

Nordische Mythologie

Vorab des ArtikelsDie Wilden Götter – Sagenhaftes aus dem hohen Norden“ Fragen und Antworten von Tor Åge Bringsværd
Am Anfang waren Kälte und Hitze
Der Weg nach Norden ­ Norway, Norwegen, Norge ­ wurde immer als schwer zu finden betrachtet, beschwerlich zu gehen und gepflastert mit unsäglichen Gefahren. Für die Schriftsteller der Antike war Norwegen ein Märchenland ­ Ultima Thule, bevölkert von wilden Barbaren und voll von merkwürdigen und phantastischen Wesen.

Der Grieche Pytheas erzählt (im 4. Jahrhundert v.Chr.) von einem Ort, an dem die Naturgesetze nicht zu gelten scheinen, wo Erde und Wasser sich vermischen, und wo alles frei herumzuschweben scheint. Und der berühmte Historiker Herodot klagt, es sei eigentlich gänzlich unmöglich, irgendetwas von diesen nördlichen Gegenden zu beschreiben, weil man ganz einfach seine Hand nicht vor Augen sehe. Das liege an all den weißen Federn, die einem ununterbrochen ins Gesicht flögen, sagt er; die Luft sei voll von solchen weißen Federn, und sie lägen wie ein dichter Teppich auf dem Erdboden. Vermutlich müssen wir diese Aussage als den ein wenig mißglückten Versuch eines Südländers deuten, einen Schneesturm zu schildern… Es stimmt jedoch: Norwegen hat immer schon mehr als genug Eis und Schnee gehabt. Ein großer Teil des Landes liegt nördlich des Polarkreises. Und obwohl sich das Eis schon vor langer Zeit aus unseren Gegenden zurückgezogen hat, dauerte die Eiszeit in Norwegen länger als an den meisten anderen Orten der Welt.

Auch das sogenannte „Heidentum“ hielt sich hier im Norden länger als andernorts. Während das übrige Europa bereits seit tausend Jahren christianisiert war, beteten wir hier oben weiterhin unsere alten „heidnischen“ Götter an.

Wikinger wurden sie genannt, die alten Norweger, die um das Jahr 1000 Europas Küsten unsicher machten und Schrecken und Grauen bis nach London und Paris und weit ins Mittelmeergebiet verbreiteten, die wilden und gnadenlosen „Barbaren“, die nicht gerade einen großen Bogen machten, um Kirchen und Klöster zu plündern… War ihnen denn nichts heilig? Was glaubten sie selbst, diese blonden Seeräuber?

In diesem kurzen Artikel wird versucht, einen Umriß von der alten nordischen Mythologie zu zeichnen ­ so wie wir sie aus der Lieder-Edda kennen ­ der mächtigen Götterdichtung, die vor tausend Jahren entstand (niemand weiß, von wem), und die in isländischen Pergamenthandschriften aus dem 13. Jahrhundert erhalten ist.

Haben diese alten Erzählungen auch für uns heute noch Bedeutung?

Mythen und Märchen werden nie inaktuell. Sie handeln nämlich nicht nur von „damals“ und „zu der Zeit“. Genauso gut können sie von „jedesmal“ und „zu allen Zeiten“ berichten. Und die nordische Mythologie gehört – meiner Meinung nach – ganz einfach zu den spannendsten, originalsten und den am stärksten zum Nachdenken zwingenden Versuchen, die es überhaupt gibt, unsere innere und äußere Wirklichkeit zu beschreiben ­ mit Worten und poetischen Bildern Leben und Dasein einzufangen.

Wie entstand die Welt?

Am Anfang waren Kälte und Hitze. Auf der einen Seite die Gegend Niflheim (Nebelheim) mit Frost und Nebel. Auf der anderen Seite Muspellsheim, ein Meer von lodernden Flammen. Zwischen ihnen war nichts. Nur eine große, gähnende Schlucht, Ginnungagap. Hier in dieser gewaltigen Leere ­ mitten zwischen Licht und Dunkel ­ sollte alles Leben seinen Anfang nehmen. In der Begegnung zwischen Eis und Feuer… Denn langsam begann der Schnee zu schmelzen, und geformt von der Kälte, aber von der Hitze zum Leben erweckt, entstand ein seltsames Wesen ­ der Frostriese Ymir. Ein größerer Riese hat nie gelebt.

Da, wo das Eis schmolz, formten die Tropfen auch ein anderes Wesen ­ eins mit Euter und Hörnern, eine riesige Kuh. Sie hieß Audhumla. Ihre überreichliche Milch floß in mächtigen Strömen aus ihren gewaltigen Zitzen. Auf diese Weise fand Ymir Nahrung. Aber wovon nährte sich die Kuh? Sie beleckte die in ihrer und des Riesen Umgebung umherliegenden Eisblöcke, die salzig waren. Dann aber geschah etwas Merkwürdiges: Als sie die Blöcke beleckte, kam aus einem von ihnen plötzlich langes Menschenhaar hervor! Am nächsten Tag kamen ein Kopf mit einem Gesicht hervor! Und am dritten Tag legte sie beim Lecken den ganzen Körper frei… Es war ein Mann. Er war hochgewachsen und schön. Buri war sein Name – und von ihm stammen die Götter ab, die wir Asen nennen.

Der Riese Ymir bekam Kinder mit sich selbst. Als er schlief, fing er an zu schwitzen… und da wuchs ihm unter seinem linken Arm Mann und Weib. Ymirs Beine wollten seinen Armen offensichtlich in nichts nachstehen… seine Füße paarten sich, und ein Sohn mit sechs Köpfen wurde geboren. Das ist der Ursprung der Geschlechter der Hrimthursen, die wir Trolle und Riesen nennen können, die wir jedoch auch unter dem Namen Jöten kennen.

Den verschiedenen Geschöpfen muß es lange gelungen sein, in Frieden miteinander zu leben. Sie bekamen jedenfalls Kinder miteinander… Odin ­ er, der später aller Götter Oberhaupt wurde ­ ist der Sohn der Riesen-Tochter Bestla und von Bur, dem Sohn von Buri. Es wimmelt sozusagen von Jöten. Und eines Tages üben Odin und seine Brüder ­ Wili und We ­ den Aufstand gegen Ymir und sein Geschlecht. Es kommt zu einem schweren Kampf; Odin und seine Brüder aber siegen. Sie töten Ymir ­ und aus seinen Wunden ergießen sich Ströme von Blut über die Feinde der Asen, in denen sie nahezu alle ertrinken… alle, bis auf zwei. Von diesem Riesen-Paar, das in die Nebelwelt flüchtet und sich dort versteckt, stammen alle späteren Hrimthursen-Geschlechter ab… Auch Audhumla ­ die erste Kuh ­ muß über die Kante in den Abgrund hinuntergespült worden sein, denn nach diesem Blutbad hat nie wieder jemand von ihr gehört oder sie gar gesehen…

Die Asen schleppen den toten Ymir bis in die Mitte der Schlucht Ginnungagap ­ in die große Leere. Dort legen sie ihn wie einen Deckel über den Abgrund.

Hier erschaffen sie die Welt – aus der Leiche des Riesen.

Sein Blut wird zum Meer. Sein Fleisch zur Erde. Seine Gebeine werden zu Gebirgen und Klippen. Die Zähne und zersplitterte Knochenreste werden zu Steinen und Geröll. Die Haare zu Bäumen und Gras. Sein Gehirn werfen die Götter hoch in die Luft. Auf diese Weise entstehen die Wolken. Und der Himmel? Er entsteht aus seiner Schädeldecke…, die sie wie ein Gewölbe, eine Kuppel über alles Erschaffene stülpen. Danach fangen die Götter Funken aus dem heißen Muspellsheim ein und setzen sie an den Himmel. Dort hängen sie jetzt und funkeln. Auf der Innenseite dessen, was einst des Riesen Ymir Schädel war… So wurden die Sterne erschaffen.

Aus Ymirs Leiche kriechen kleine Würmer. Sie sind der Ursprung der Zwerge, der Unterirdischen, die in Grotten und Höhlen leben. Die Asen wählen vier von ihnen, die das Himmelsgewölbe tragen, die vier Ecken der Welt bewachen sollen. Diese Zwerge heißen: Osten, Westen, Norden und Süden.

So bekommt alles Ziel und Sinn.

Wie wurde der Mensch erschaffen?

Als Odin und seine Brüder Wili und We einmal am Meeresstrand entlanggehen, finden sie zwei an Land gespülte Baumstämme.

Sie nehmen die Stämme und schaffen Menschen daraus.

Odin ist es, der ihnen Leben einhaucht, so daß sie selbst atmen und leben können. Wili gibt ihnen Verstand und Bewegung. We gibt ihnen Antlitz, Sprache, Gehör und Gesicht. Sie geben ihnen Wärme und Farbe.

Jetzt sind die Stämme kein Treibholz mehr; sie sind Mann und Frau.

Die Asen geben dem Mann den Namen Ask („Esche“) und der Frau den Namen Embla (vielleicht „Ulme“ oder „Rebe“). Von ihnen stammen alle Menschen ab.

Wie entstand die Zeit?

Am Anfang gab es keine Zeit. Alles steht seltsam still.

Aber die Asen geben der Riesen-Frau Nacht und ihrem Sohn Tag jeweils ein Pferd und einen Wagen – und setzen sie an den Himmel, so daß sie jeden Tag und jede Nacht um die Welt fahren können. Nacht fährt vorweg. Ihr Pferd heißt Rimfakse. Es hat Rauhreif in der Mähne, und der Tau, der sich jeden Morgen auf Felder und Wiesen senkt, sind Schaumtropfen aus seinem Zaumzeug. Hinter ihr fährt ihr Sohn Tag. Sein Pferd heißt Skinfakse, denn aus der Mähne des Pferdes strahlt und leuchtet es…

Auch die Sonne ist jetzt erschaffen ­ aus Funken aus Muspellsheim, und der Mond hat seine richtige Bahn bekommen. Auch ihnen hat man je ihren Himmelswagen gegeben. Zwei Kinder haben die Aufgabe, darauf zu achten, daß Sonne und Mond nicht von ihren Wagen fallen ­ und die schnellen Pferde zu lenken. Und hier ist Tempo die Devise! Zwei riesige Wölfe sind ihnen ständig auf den Fersen; sie schnappen nach der Sonne, dem Mond und wollen sie verschlingen! Irgendwann … irgendwann einmal wird es ihnen vielleicht gelingen…

Man sagt, die Welt ist rund?

Sie ist rund – aber nicht wie ein Apfel oder ein Ball. Die Welt hat die Form eines Kreises… eine dünne, flache Scheibe, wie abgeschnitten vom Ende eines Stücks Holz.

Wo in der Welt wohnen die Asen – und wo wohnen wir?

Am Anfang war alles Urwald und Einöde. Aber die Asen glichen Pionieren. Sie schufen Lebensraum für sich selbst und uns. Midgard nannten sie die Wohnstätte der Menschen, da sie mitten in der Welt liegt. Und im Zentrum von Midgard bauten die Götter ­ damit die Menschen sich nicht allein und verlassen fühlen sollten ­ für sich selbst einen gewaltigen Wohnsitz: Asgard ­ eine mächtige Götterburg, beschützt von dicken Mauern. Um dorthin zu gelangen, muß man über den Regenbogen reiten ­ eine Brücke aus loderndem Feuer. Auch um Midgard herum wurde ein Schutzwall angelegt – denn draußen, im Wilden und Unbekannten, herrschen Dunkelheit und unheimliche Kräfte. Hier ­ in Utgard und Riesenheim (Jötunheim) wohnen Riesen (Jöten) und Trolle. So hat alles seine Ordnung ­ wie die Jahresringe eines Baums. Und ganz weit draußen ­ an allen Kanten ­ wogt das große Weltmeer.

Aber gibt es nicht auch Zwerge und Elfen auf der Welt?

Und ob! Aber auch Zwerge und Elfen haben ihre Wohnstätte. Die Zwerge hausen gewöhnlich in Felswänden und zwischen Felsblöcken, häufig auch im Innern der Erde. An versteckten Orten in Midgard und Utgard. Sie sind tüchtige Schmiede, wobei man ihnen jedoch nie ganz trauen kann… Die Elfen demgegenüber sind sowohl Göttern als Menschen freundlich gesinnt. Alfenheim wird ihr Land genannt. Einige meinen, Alfenheim liege innerhalb der Mauern von Asgard; andere meinen, es sei in Midgard zu finden. Über Zwerge und Elfen herrscht große Unsicherheit. Einige meinen sogar, sie gehören zu ein und demselben Geschlecht und sollten „Lichtalfen“ und „Schwarzalfen“ genannt werden. Einst gab es noch ein anderes Göttergeschlecht als die Asen ­ Wanen wurden sie genannt. Sie wohnten in Wanaheim. Ihre Burg aber wurde dem Erdboden gleichgemacht, und kein Mensch weiß heute mehr, wo dieser Ort liegt…

Hat die Welt ein Zentrum?

Mitten in Midgard liegt Asgard – und mitten in Asgard haben die Götter einen „Hofbaum“ gepflanzt, eine riesige Esche, genannt Yggdrasil. Eine ihrer Wurzeln liegt in Asgard, eine weitere in Riesenheim und eine dritte in Niflheim. Ihre Zweige ragen so weit, daß sie die ganze Welt überschatten. Yggdrasil ist das Zentrum der Welt ­ und solange der Baum grün ist und fruchtbar und neue Triebe trägt ­ so lange wird die Welt bestehen.

Wer kennt das Schicksal; wer kann Kommendes voraussehen?

In unmittelbarer Nähe einer Quelle in Asgard leben drei Schicksalsgöttinnen – Urd, Werdandi und Skuld. Sie werden Nornen genannt. Die Nornen kennen das Schicksal eines jeden lebenden Wesens, und sie wissen, wie es einem jeden ergehen wird. Manche meinen, es gebe mehr Nornen als diese, unter Elfen und Zwergen. Auch unter den Menschen gebe es Frauen, die mehr sehen als andere. Eine solche Seherin oder Sibylle wird Wölva genannt. Der Name bedeutet „Stabträgerin“. Ihr Stab ist Symbol für ihre übernatürlichen Kräfte. In Trance kann sie mit der Geisterwelt Verbindung aufnehmen. Sie kennt zahlreiche wirkungsvolle Zauberlieder.

Wie heißen die wichtigsten Götter?

Odin ist der wichtigste unter den Asen. Er ist weise und des Zauberns mächtig; er ist der König der Götter. Der Mittwoch ist sein Tag (norw. onsdag – Odins Tag). Seine Frau heißt Frigg, und ihr Tag ist der Freitag (norw. fredag – Friggs Tag). Sein Pferd heißt Sleipnir. Es hat acht Beine. Odin besitzt zwei Raben – Huginn und Muninn. Jeden Morgen fliegen sie über die Welt, um zu sehen und zu hören, und am Abend kommen sie heim, um Odin alle Neuigkeiten zuzutragen. Sein Speer heißt Gungnir; er trifft jedes Ziel. Von Odins Ring – Draupnir (Träufler) – tropfen jede neunte Nacht acht gleich prachtvolle Ringe ab. Odin hat nur ein Auge, das zweite verpfändete er einst in seiner Jugend an den Riesen Mimir, um aus der wunderbaren Quelle der Weisheit trinken zu dürfen, die Mimir bewachte. (Bei einer späteren Gelegenheit wurde Mimir enthauptet; Odin aber fand das blutige Haupt des Riesen und salbte es mit heilenden Kräutern. Die Augen öffneten sich sofort, und der Mund konnte wieder Worte formen. Seitdem war Mimirs Kopf einer der besten Berater Odins…)

Odins Sohn Thor ist der zweitmächtigste der Götter. Der Donnerstag (norw. torsdag ­ Thors Tag) ist sein Tag. Thor ist stark und hitzig – und geht nie der Möglichkeit aus dem Weg, mit Riesen oder Trollen einen Kampf auszufechten. Obwohl Tyr (norw. tirsdag ­ Tyrs Tag) ihn vielleicht an Mut übertrifft, gibt es auf der ganzen Welt niemanden, der so stark wäre wie Thor. Und sein Hammer ­ Mjöllnir ­ ist die gefährlichste Waffe im Himmel und auf Erden. Thor kann ihn so klein oder so groß machen, wie es ihm gefällt. Wirft er den Hammer, trifft dieser alles, was der Gott anvisiert und ­ kehrt immer in seine Hand zurück. Wenn Thor sich auf Reisen begibt, spannt er Böcke statt Pferde vor seinen Wagen. Selbst wenn die Böcke am Abend geschlachtet werden, sind sie am nächsten Morgen wieder quicklebendig ­ vorausgesetzt, man achtet genau darauf, beim Essen keinen einzigen ihrer Knochen zu brechen und alle Reste zu sammeln und sie nach Beendigung der Mahlzeit wieder fein säuberlich in ihr Fell zurückzulegen. Wenn Thors Wagen am Firmament entlangfährt, haben wir Gewitter ­ (Thor = Donar = Donner). Sif heißt seine Frau. Ihr Haar ist aus Gold, und von allen Asinnen, den nordischen Göttinnen, ist es nur die Liebesgöttin Freyja, die schöner ist. Sie ist es auch, die die Asen das Zaubern lehrte. Sie besitzt ein magisches Falkengewand, dank dessen sie sich jederzeit in den Raubvogel verwandeln kann; und auf Ausfahrten läßt sie ihren Wagen mit Vorliebe von einer Meute Katzen ziehen. Jeder, der in Herzensangelegenheiten Rat und Trost sucht, wendet sich an Freyja, aber sie kann nicht helfen, hat die Liebesgöttin selbst doch einen für Zeit und Ewigkeit währenden Liebeskummer! Ihr eigener Ehemann hat sie verlassen und ist seiner Wege gegangen (niemand weiß, wohin). Freyja weint oft bittere Tränen um ihn, und jedesmal sind ihre Tränen aus reinstem Gold… Freyjas Bruder heißt Frey. Der Name bedeutet „der Herr“ oder „der Vornehmste“. Er ist der Gott der Fruchtbarkeit. Eigentlich stammen sowohl er als auch Freyja aus dem Geschlecht der Wanen (das heißt, sie gehören zu den Göttern, mit denen die Asen einst am Anfang aller Zeiten um die Weltherrschaft kämpften). Das Geschwisterpaar kam ursprünglich, zusammen mit seinem alten Vater, als Geiseln zu den Asen… Frey besitzt den phantastischen Eber mit den goldenen Borsten, Gullinborsti – das Schwein, das sich zu Lande, zu Wasser und in der Luft gleich gut bewegen kann! Und er besitzt das magische Schiff Skidbladnir, das immer nur in achterlichem Wind segelt und das man nach Verwendung wie ein Tischtuch zusammenfalten und in einen Beutel stecken kann. Bei den Göttern in Asgard gibt es zahlreiche andere herrliche Schätze; am kostbarsten sind die magischen Äpfel, die die Göttin Idun hütet – die Äpfel der ewigen Jugend, von denen die Götter hin und wieder ein Stück essen müssen, um nicht alt und gebrechlich zu werden.

Odin hat viele Söhne. Es hat keinen Sinn, sie alle zu nennen. An Heimdall kommen wir jedoch nicht vorbei. Er wurde vor Urzeiten auf wunderbare Weise von neun (!) Riesen-Mädchen geboren und ist der Wächter der Götter. Er wohnt am Himmelsberg und bewacht die nach Asgard führende Regenbogenbrücke Bifröst. Heimdall braucht weniger Schlaf als ein Vogel; er sieht nachts ebenso gut wie am Tage und kann das Gras wachsen hören… Heimdall besitzt das Horn Gjallarhorn, in das er am letzten Tag blasen soll, um die Asen zum letzten großen Kampf gegen Trolle und dunkle Mächte zu den Waffen zu rufen.

Balder ist der Sohn von Odin und Frigg. Er ist bekannt für seine Freundlichkeit, Milde und Klugheit. Balder hat schlechte Träume und fürchtet sich davor, zu sterben; aber dank seiner Mutter ­ die mächtigste aller Göttinnen von Asgard ­ schwören alle belebten Wesen und unbelebten Dinge, daß sie ihm niemals etwas antun werden. In Asgard vergnügen sich die Götter nun damit, spielerisch auf Balder zu schießen, da er ja weder getötet noch verwundet werden kann. Frigg jedoch hatte vergessen, den Mistelzweig zu befragen ­ ihrer Meinung nach war er zu klein und unansehnlich. Das kommt dem Intriganten Loki zu Ohren, und mit List stachelt er den blinden Höd dazu an, Balder zu erschießen. Die Asen senden berittene Boten ins Totenreich, damit sie um Balders Rückkehr bitten. Hel, die Königin des Totenreichs sagt, wenn die ganze Welt um Balder weine, solle er wieder lebendig werden. Und alle Dinge und alle Wesen ­ selbst Steine und Bäume ­versuchen (vergeblich), den Toten ins Leben zurückzuweinen.

Wer sind Götter und dabei Feinde der Menschen?

Man kann sie Hrimthursen oder Trolle und Riesen (Jöten) nennen. Sie wohnen in Utgard und Riesenheim (Jötunheim) – in der Einöde und im rauhen Gebirge. Sie sind die Chaoskräfte, häufig große und starke Kerle. Der einzige unter den Asen, der ihnen wirklich gewachsen ist, ist der Donnergott Thor. Die Riesen aber sind wie niemand sonst der Zauberkünste mächtig. Einmal zum Beispiel schufen sie aus Lehm einen mächtigen Raufbold ­ ein künstliches lebendes Wesen mit furchterregendem Aussehen ­ neunzig Meilen groß und mit dreißig Meilen Brustumfang! Die Jötun-Frauen werden Riesinnen genannt. Ihre Reittiere sind Wölfe, deren Zaumzeug aus Kreuzottern besteht. Sie können häßlich sein wie die Nacht und echte Monstren, aber sie können auch unglaublich schön sein… und so herrlich, daß selbst Odin sich mehr als einmal zur Brautwerbung und wilden Liebesabenteuern hat verlocken lassen.

Eigentlich aber sind wohl Loki und seine Kinder weit gefährlicher?

Loki ist der Unruhestifter und Intrigant. Ursprünglich ein Riese, hat er jedoch in jungen Jahren sein Blut mit dem Odins vermischt und wurde deshalb in den Kreis der Asen aufgenommen.

Loki ist ein Spaßvogel, mit dem es am Ende jedoch aus und vorbei ist. Er verrät die Asen und ist die Ursache für Balders Tod. Dafür wird er bestraft, indem er gefesselt wird – mit einer Schlange über sich, die giftigen und ätzenden Eiter auf sein Gesicht tröpfelt. Seine Frau Sigyn demgegenüber ist treu. Geduldig steht sie neben ihm, eine große Schüssel haltend, die den tödlichen Eiter auffangen soll. Ab und zu aber muß sie sich entfernen, um die Schüssel zu leeren. Dann tropft der Eiter direkt auf Lokis Gesicht, und er schüttelt den Kopf so stark, daß die ganze Erde bebt. Das ist es, was man Erdbeben nennt. Loki hat Kinder in Asgard. Außerdem aber hat er andere und dabei seltsamere Sprößlinge. Mit der Riesin Angrboda ist er Vater des Fenriswolfs, der Midgardschlange Jörmundgand und der Hel, der Göttin des Totenreichs. Und mit dem Hengst Swadilfari wurde er Mutter (!) des Pferdes Sleipnir.

Der Fenriswolf ist ein regelrechtes Monstrum von einem Wolf. Er wuchs in Asgard auf, wurde aber sehr bald riesengroß, wild und wahnsinnig, so daß nur der Gott Tyr es wagte, ihm Futter zu geben. Den Asen gelang es, die Zwerge zu beauftragen, gleichsam in Maßarbeit eine Fessel herzustellen, wobei sechs Bestandteile Verwendung finden sollten: der Schall des Katzentritts, der Bart der Frauen, die Wurzeln der Berge, die Sehnen der Bären, der Atem der Fische und der Speichel der Vögel (deshalb haben die Katzentritte keinen Schall mehr, die Frauen keinen Bart usw.). Und mit List gelang es ihnen, den Wolf so fest zu fesseln, daß er sich kaum rühren konnte, und es wurde ihm ein Schwert in den Rachen geklemmt, so daß er nur bewegungslos dasteht mit weit geöffnetem Rachen, ohne zubeißen zu können. Erst am Weltenende wird er sich endlich losreißen…

Das zweite Kind, das Loki mit der Riesen-Frau Angrboda bekam, war eine Schlange. Die Asen warfen sie ins Meer, wo sie mit der Zeit so unbeschreiblich groß wurde, daß man sie von da an Midgardschlange nannte ­ da sie die ganze Menschenwelt umgibt und sich selbst in den Schwanz beißt.

Dennoch fragt es sich, ob nicht das letzte der drei Kinder von Loki und Angrboda Asen und Menschen den größten Kummer bereitet hat. Es handelt sich um ein unheimliches Mädchen ­ halb weiß, halb blauschwarz. Sie wurde aus Asgard verwiesen und ließ sich hoch im Norden nieder. Hier schuf sie ein unterirdisches Totenreich ­ eine graue, kalte, feuchte Welt. Hel heißt sie, und Hel ist auch der Name ihres Königinnen/Totenreichs. Nach Hel kommen alle, die an Krankheit oder Altersschwäche sterben. Hier „leben“ sie ein geborgenes „Schattendasein“. Die Todeskönigin selbst erinnert an einen Kadaver, und all ihr Hab und Gut trägt Namen, die an das kalte „Leben“ im Grab denken lassen. Wenn man in alten Zeiten meinte, „Wiedergänger“ gingen um, hieß es häufig: „Die Pforte zur Hel (Hölle) ist offen.“ Am letzten Tag werden Hel und ihr Heer von Toten gegen die Asen kämpfen.

Können wir nach dem Tod auch an andere Orte kommen?

Diejenigen, die sich auf dem Schlachtfeld tapfer schlagen, kommen nach dem Tod zu Odin oder Freyja. Walküren oder „Kampfjungfrauen“ werden die mit Brünnen bekleideten Frauen genannt, die der Götterkönig entsendet, um solche gefallenen Helden zu holen. Die Walküren sind bewaffnet und können durch die Luft reiten. In Asgard teilen Odin und Freyja den Kriegerhaufen unter sich auf. Die eine Hälfte kommt zu Odin nach Walhall und die andere Hälfte zu Freyja nach Volkwang.

Vom Leben in Volkwang wissen wir nicht viel. Über das Dasein in Walhall aber gibt es viele Berichte. Auf dem Festungswall dieser riesigen „Soldatenkaserne“ dürfen die Helden sich den ganzen Tag lang nach Lust und Laune schlagen, und es spielt keine Rolle, ob sie einen Arm oder zwei verlieren, denn am Abend erheben sie sich wieder unversehrt und im Besitz aller ihrer Glieder. Als Freunde und in gütlichem Einvernehmen ziehen sie in den mächtigen Festsaal ein, wo schöne Walküren ihnen Met einschenken und gekochtes Schwein servieren. Und das Schwein selbst, das sie verzehren, ist ziemlich einmalig. Sährimnir heißt es. Jeden Tag wird es geschlachtet und verspeist, aber am Abend ist es wieder quicklebendig.

Am letzten Tag wird Odin Asen und tote Helden in den letzten großen Kampf gegen Riesen und Mächte der Finsternis führen. Er selbst wird gegen den Fenriswolf kämpfen ­ und die Bestie wird ihn verschlingen. So die Weissagung.

Können Götter sterben?

Ja, Götter können sterben.

Wie wird die Welt enden?

Gegen Ende der Zeit werden Mangel und Unfrieden herrschen. Diese Zeit nennt sich Ragnarok oder „Weltuntergang“ – das heißt, „die Zeit, in der sich alle Mächte auflösen“. Brüder fallen einander in den Rücken, und der Sohn verschont seinen eigenen Vater nicht. Danach werden drei Jahre kommen, die nur ein einziger langer Winter sind, genannt Fimbul. Gebirge stürzen ein, und alle Fesseln werden reißen. Anschließend werden Himmel-Wölfe Sonne und Mond verschlingen. Dabei wird auch der Fenriswolf endlich loskommen. Er wird mit weit aufgesperrtem Rachen durch die ganze Welt laufen. Dabei berührt sein Unterkiefer die Erde, sein Oberkiefer den Himmel. In seinen Augen brennt Feuer, und aus seinen Nasenlöchern züngeln Flammen. Auch Loki wird freikommen. Er wird ein unheimliches Schiff auftakeln ­ Naglfar, das Schiff, das aus den ungeschnittenen Nägeln toter Menschen gebaut ist. Mit zerfetzten Segeln und einer Besatzung aus verwesten Leichen wird Loki mit diesem Schiff das Totenreich seiner Tochter verlassen… Und die Midgardschlange wird sich aufs Land wälzen. Sie wird sich über Felder und Wiesen vorwärtsschlängeln. Im Süden birst der Himmel. Und aus dem Land dahinter ­ dem unbekannten und bedrohlichen Muspellsheim, dem Feuerland, das lange bevor Odin und seine Brüder die Welt erschufen existierte ­ kommt ein gewaltiges Heer von glänzenden Reitern. Sie tragen Flammenschwerter in ihren Händen. Überall da, wo sie heranstürmen, wird alles in Brand gesetzt. Und die große Regenbogenbrücke stürzt ein unter ihrem Gewicht… An der Stelle, die Wigrid-Wall heißt (hundert Meilen breit und hundert Meilen lang) wird die letzte entscheidende und blutige Schlacht stattfinden. Odin wird vom Fenriswolf verschlungen. Thor und die Midgardschlange bringen einander um. Heimdall und Loki ebenso. Die ganze Welt brennt. Selbst Yggdrasil ­ der große Weltenbaum ­ steht in Flammen. Wenn der Feuersturm sich ausgetobt hat, ist die ganze Welt eine qualmende Brandstätte. Die verbrannten Reste versinken im Meer und verschwinden.

Und das ist das Ende?

Nein. Aus dem Meer wird sich eine neue Erde erheben, grün und wunderbar. Fruchtbar wie ein Traum. Mit Feldern, die ungesät Früchte tragen. Mit Fisch und Wild im Überfluß. Niemand soll mehr hungern. Denn siehe! Die Sonne hat eine Tochter geboren. Alles Übel hat ein Ende genommen! Die Erde ist reingewaschen. Ein neues Leben kann beginnen! Asgard ist verschwunden. Die alte Götterburg ist dem Erdboden gleichgemacht. Trotzdem versuchen sie, hierher zurückzukommen ­ die Asen, die im letzten großen Kampf nicht fielen…

Es gibt also Überlebende?

Die Zufälligen ­ diejenigen, die die Erde erben sollen.

Gibt es auch Menschen unter ihnen?

Ein einziges Menschenpaar hat überlebt. Sie heißen Liv und Livtrase. Sie suchten Zuflucht an einem Ort, an dem der Feuersturm vorbeiraste, ohne sie aufzuspüren. Und das Meer gab sie lebend zurück. Lange Zeit hatten sie sich nur vom Morgentau genährt. Von diesen beiden wird ein neues Menschengeschlecht kommen…

Es gibt also Hoffnung – trotz allem?

Die Mythen sagen uns, daß es immer Hoffnung gibt.

Der Autor des Artikels, Tor Åge Bringsværd (geb. 1939), ist preisgekrönter Schriftsteller und Dramatiker. Er schreibt gleich gern für Kinder und Erwachsene. Bringsværds Werke sind in fünfzehn Sprachen übersetzt, und seine Theaterstücke wurden bisher in dreizehn Ländern aufgeführt.


Die wilden Götter von Tor Åge Bringsværd

die-wilden-goetter-tor-age-bringsvaerd

Von Tor Åge Bringsværd

In „Die Wilden Götter – Sagenhaftes aus dem hohen Norden“ wird die EDDA einmal ganz anders erzählt – Tor Åge Bringsværd fasst die mythische Geschichte der Welt von ihrer Erschaffung bis zum Untergang in eine leicht zu lesende Prosaform – frei von romantischer Verklärung, wagnerscher Düsternis und falschem Pathos. In leichtem, schnökellosem mitunter saloppen Sprachstil erzählt er die gesamte altnordische Mythologie in zwölf Kapiteln. Gekonnt gibt er den Göttern, Trollen, Riesen, Nornen und anderen Wesen ein Gesicht, lässt sie agieren und schildert sie als „menschliche“ und sympatische Charaktere. Mit vielen kleinen und großen Stärken und Schwächen gehen sie ihren Weg bis hin zu dem wirklich ergreifenden und gleichzeitig hoffnungsvollen Ende der Welt.

Zwölf Kapitel, die trotz aller Lockerheit mit sehr viel Respekt vor der nordischen Mythologie erzählt werden, zum Verstehen der alten Texte beitragen und zum Nachdenken anregen.

Der norwegische Schriftsteller Tor Åge Bringsværd studierte Religionswissenschaft und Ethnologie und arbeitete danach für Verlage und Rundfunkanstalten. Ende der 1960er Jahre begann er Kurzgeschichten und Hörspiele zu schreiben. Seitdem hat er mehr als 50 Romane, Kurzgeschichten, Kinderbücher und Essays veröffentlicht.
Bringsværds Hauptthemen sind historische Romane und mythologische Nach- bzw. Neudichtungen mit einer deutlichen Zeitkritik.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Ein Riese so groß wie die ganze Welt
Kapitel 2: Der Krieg der Götter
Kapitel 3: Der Einäugige König
Kapitel 4: Heimdalls Söhne
Kapitel 5: Der Donnergott
Kapitel 6: Die Reise ans Ende der Welt
Kapitel 7: Die bärtige Brau
Kapitel 8: Gott und Troll in einer Gestalt
Kapitel 9: Baldur
Kapitel 10: Wolfszeit
Kapitel 11: Loki
Kapitel 12: Ragnarök

Quelle: nordische-mythologie.aktiv-forum.com

Kapitel 1: Ein Riese so groß wie die ganze Welt

Wo kommt der Nebel her? Das weiß kein Mensch. Und wer hat den ersten Funken gezündet? Niemand weiß es. Eines aber steht fest: Am Anfang war die Kälte und das Feuer. Auf der einen Seite war da Niflheim; dort herrschte Nebel und Frost. Auf der anderen Seite war Muspilheim und dort gab es nichts als ein Meer von zischenden Flammen. Was den Nebel vom Feuer trennte, war ein riesiger bodenloser Schlund; und aus dieser gewaltigen Leere, dem Abgrund zwischen Licht und Dunkelheit, ist alles was lebt hervorgegangen, und das kam so. Irgendwo in Niflheim gab es eine Spalte im Eis, aus der ein mächtiges Wasser schoss. Dieser Strom schäumte auf den großen Schlund zu und stürzte sich hinein. Aber weil es kalt war, fror das Wasser zu großen Eiszapfen und je länger das ging, desto mächtiger wurde das Eis auf der einen Seite des großen Schlundes. Aber da auf der anderen Seite, dort wo Muspilheim lag, tanzten die Funken und die Flammen erwärmten die Luft. Tief im Schlund kämpften Hitze und Kälte miteinander und das Eis fing an zu schmelzen. Was die Kälte geformt hatte, die Wärme erweckte es zum Leben. So entstand das erste Wesen. Es war von menschenähnlicher Gestalt, aber kein Mensch hatte solche Ausmaße. Denn Ymer, so hieß es, war ein Riese und ein größerer Riese hat nie gelebt. Doch wovon sollte dieser Ymer leben? Von Feuer und Eis kann sich kein lebendiges Wesen ernähren. Als er sich umsah, merkte Ymer, dass er nicht allein auf der Welt war. Denn aus dem geschmolzenen Eis war noch ein anderes Ungeheuer hervorgegangen, das Hörner und Euter trug und von sanfter Natur war; eine riesige Kuh, aus deren gewaltigen Zitzen Ströme von Milch rannen. Wer anders als Ymer sollte sie melken? So waren sie beide zufrieden; die Kuh brauchte nicht mehr lange nach einem Abnehmer für ihren Überfluss zu suchen. Und der Riese musste nicht hungern. Trotzdem, irgendetwas fehlte der ersten Kuh, die bei all ihrer Größe, so wie alle andern Kühe war, nur das sie nicht wusste, wonach ihr der Sinn stand. Sie schnüffelte und probierte alles, was in der Nähe war, bis sie ein paar reif beschlagene Steine fand, die nach Salz schmeckten. Davon konnte die Kuh, genau wie alle Kühe, die später auf die Welt kamen, gar nicht genug kriegen, bis sie an einen ganz besonderen Stein geriet. Als sie ihn mit ihrer riesigen Zunge ableckte, ahnte sie nicht, was sie damit angerichtet hatte. Noch am selben Abend nämlich, wuchs aus dem Stein ein Haar hervor. Am anderen Tag, kamen ein Gesicht und dann ein ganzer Kopf zum Vorschein, und am dritten Tag der ganze Leib eines großen, schönen Mannes. So kam Bühre auf die Welt, der Stammvater aller Götter, die wir die Asen nennen. Doch unterdessen war auch Ymer, der erste Riese, nicht faul gewesen. Zwar schlief er viel, aber während er vor sich hin schnarchte, fing er an zu schwitzen, und aus seinen Achselhöhlen, gingen zwei neue Wesen hervor, ein Mann und eine Frau. Auf dieses Wunder waren nun seine Füße eifersüchtig. Sie paarten sich miteinander und gebaren einen Sohn mit sechs Köpfen. So ist das Geschlecht der Riesen oder Trolle entstanden, und von da an gab es kein Halten mehr. Die neuen Geschöpfe bekamen Kinder und ihre Kinder bekamen wieder Kinder, bis auf den heutigen Tag.

Ymir - der Urzeitriese, das erste Lebewesen. Er entstand aus der Vermischung des Gletschereises von Niflheim mit dem Feuer von Muspellsheim

Ymir – der Urzeitriese, das erste Lebewesen.
Er entstand aus der Vermischung des Gletschereises von Niflheim mit dem Feuer von Muspellsheim

 Am Anfang muss es ziemlich friedlich zugegangen sein auf der Welt. Die Asen und die Riesen kamen gut miteinander aus. Bühre, der allererste Ase, hatte einen Sohn, der sich mit einer Riesentochter zusammentat und aus dieser Liebschaft ist Odin hervorgegangen, der später zum Häuptling aller Götter werden sollte. Aber einem solchen Frieden war auf Dauer nicht zu trauen. Denn der Riese Ymer gab keine Ruhe. Zwar war er faul und träge, und etwas anderes als Milch von seiner Kuh zu saufen und zu schlafen, fiel ihm nicht ein. Doch dabei schwoll sein riesiger Leib immer weiter an, und er gebar immer neue und ziemlich erschreckende Trolle, die bedrohliche Mienen aufsetzten. Bald wimmelte es überall von solchen Riesenkindern. Odin und seinen Brüdern gefiel das gar nicht, denn sie waren in der Minderheit, und sie wussten, wie schlecht es einer Minderheit ergehen kann, wenn sie sich nicht ihrer Haut wehrt. Eines Tages kamen sie zu dem Schluss, dass es so nicht weitergehen konnte. Jetzt reicht es, sagten sie sich, wenn wir nichts tun sind wir bald am Ende. Wir müssen einen Aufstand gegen Ymer, den Großvater aller Riesen, und gegen seine Brut riskieren. Gesagt, getan. In aller Heimlichkeit schneiden Odin und seine Brüder mächtige Spieße aus den Bäumen und schleichen sich an den Riesen heran, der wie immer mit vollem Bauch schnarchend daliegt. Die Überraschung ist auf ihrer Seite. Das Blut spritzt aus den Wunden des Riesen. Ymer brüllt so laut, dass die Gletscher kalben und Eisberge ins Wasser stürzen. Bald haben die Asen gesiegt, und der größte aller Riesen ist tot. Er hat so viel verloren, dass seine Kinder in der Flut ertrinken. Sie werden in den alten Schlund gespült und verschwinden im Abgrund. Wahrscheinlich ist dabei auch die große Kuh mitgerissen worden, denn seitdem hat niemand mehr von ihr gehört, und niemand hat sie wieder gesehenen. Nur zwei der Riesenkinder konnten sich retten, ein Paar das schlau genug war sich im Nebel zu verstecken. Diesen beiden verdankt das Riesengeschlecht sein Überleben. Doch vom Tag der ersten Schlacht an, sind es die Götter, die das Heft in der Hand halten, und sie machen sich sogleich ans Werk. Den toten Ymer schleppen sie bis an den Rand des großen Weltschlundes-eine schwere Arbeit, nach der sie sich erst mal drei Tage ausruhen müssen. Dann legen sie ihn über den Abgrund, der unter dem riesigen Leichnam verschwindet. Sie überlegen lange, was man mit dem Toten anfangen kann. Vielleicht kann man eine ganze Welt aus ihm erschaffen? Er hat so viel Blut verloren, dass es für ein ganzes Meer reicht. Und aus seinem Fleisch, kann man das feste Land machen; aus seinen Knochen Berge und Klippen, aus seinen Knöcheln und Zähnen Gestein und Geröll, aus dem Haar Bäume und Gras. Am Ende bleibt nur noch der Schädel. Die Hirnschale des Riesen setzen die Götter wie eine Kuppel über alles, was sie erschaffen haben, und so ist das Himmelsgewölbe entstanden. Das Gehirn aber werfen sie hoch in die Luft, wo es zerflattert, und so sind die Wolken zustande gekommen, die über den Himmel ziehen.

Doch damit war die Welt noch lange nicht fertig. Zum Beispiel fehlen immer noch die Zwerge, die Unterirdischen, die in Grotten und Höhlen leben. Auch sie sind aus Ymers großer Leiche hervorgegangen; denn es waren keine gewöhnlichen Würmer, die sich an ihr gütlich taten – o nein! Ohne die Zwerge sähe die Welt ganz anders aus; man verdankt ihnen die Schmiedekunst, die sie erfunden haben, und manches andere. Allerdings, es ist wenig Verlass auf sie, manchmal schlagen sie sich nämlich auf die Seite der Trolle. Trotzdem – ohne sie geht es nicht. Das sahen auch die Götter ein, und sie erwählten vier von ihnen, um das Himmelsgewölbe zu stützen und die vier Ecken der Welt zu bewachen. Diese vier heißen Osten, Westen, Norden und Süden. Also auch für die vier Himmelsrichtungen müssen wir uns bei den Zwergen bedanken. Nun war es den Asen am Himmel aber noch zu dunkel. Im warmen Muspilheim, ganz im Süden, wo das Feuer zu Hause war, holten sie sich Funken und hefteten sie an den Himmel, dort hängen sie noch heute noch auf der Innenseite des alten Riesenschädels. So sind die Sterne entstanden. Und wie ging es weiter? Nun Odin hatte zwei Brüder. Der eine hieß Wile und war sehr klug. Der andere hieß We und hatte scharfe Augen, gute Ohren und war sehr beredt.

Eines Tages gingen sie alle drei am Strand spazieren und fanden dort zwei große Hölzer, die die Flut an Land getrieben hatte. „Seht nur“, sagte We, „dieses Strandholz sieht ja fast aus wie wir.“ – „Wieso denn“, fragte Odin. „Ganz einfach“, sagte Wile ,“das hier ist der Kopf, das sind die Arme, und zwei Beine haben sie auch.“

Nun muss man wissen, dass die Götter gern spielen. Und so nahmen sie nur zum Spaß, die Stöcke in die Hand, stellten sie auf und kleideten sie ein. Odin hauchte ihnen Leben ein, so dass sie atmen konnten. Wile gab ihnen Vernunft und Verstand, und We verlieh ihnen die Gabe des Gehörs, des Gesichts und der Rede. Warmes Blut pulsierte durch ihre Adern und ihr Haar, ihre Haut, ihre Augen nahmen Farbe an. Nun waren sie kein Strandgut mehr, sondern ein Mann und eine Frau. Die Asen nannten sie Asch und Embla, und von diesen beiden Eltern stammt die ganze Menschheit ab.

Nun gab es zwar Asen, Trolle und Menschen, aber es war sonderbar still auf der Welt. Irgendetwas fehlte! Wahrscheinlich war es Wile, der als erster verstand, was es war.
„Wisst ihr, warum sich hier nichts rührt?“ fragt er seine Brüder. „Uns fehlt die Zeit! Es ist immer dasselbe am Himmel, weder wird es richtig hell noch richtig dunkel. So kann es nicht weitergehen.“

Da fiel ihnen eine Riesenfrau ein, die ganz besonders dunkel war. Sie hieß Nott und sie hatte einen Liebhaber unter den Asen, der mit ihr einen Sohn namens Dag zeugte, und der war ausnehmend hell. Die beiden, sagte Wile, sollten wir besuchen. Das leuchtete Odin ein. Er ging zu Nott und Dag, und beide, Mutter und Sohn, gefielen ihm so sehr, dass er ihnen Pferde und Wagen schenkte.

„Habt ihr Lust, über die ganze Welt zu reisen?“ fragte er.
„Warum nicht“, antworteten sie.
„Aber es geht hoch hinaus“, gab Odin zu bedenken, „so hoch, dass ihr alles sehen könnt, und sie nimmt kein Ende.“

Nott fuhr als erste los. Ihr Ross hatte Raureif in der Mähne, und am Morgen fallen Schaumtropfen aus seinem Maul. Das ist der Tau, der in der Frühe auf den Wiesen liegt. Kaum war Nott auf dem Heimweg, da machte sich Dag auf die Reise. Sein Ross schimmert, und seine Mähne leuchtet blendend hell. Seit der ersten Fahrt dieser beiden kann man Tag und Nacht unterscheiden, man weiß wie spät es ist, und kann die Tage und die Jahre zählen. Das Licht des Tages kommt also nicht von der Sonne, wie wir gerne glauben. Natürlich auch Sonne und Mond sind aus den Funken erschaffen, von denen Muspilheim sprüht, und es ist auch wahr, dass beide auf ihrem Wagen über den Himmel ziehen. Aber wer passt darauf auf, dass sie nicht herunterfallen? Und wer lenkt ihre Pferde? Da sind zwei Menschenkinder, ein Junge und ein Mädchen. Die waren so schön, und ihr Vater war so stolz auf sie, dass er die Tochter Sonne nannte und den Sohn Mond. Das fanden die Asen reichlich übermütig, und sie beschlossen, dem stolzen Vater die Kinder wegzunehmen. Die Tochter muss seitdem die Rösser des Sonnenwagens und der Sohn die Mondpferde lenken. Das ist nicht so einfach; denn die beiden sind immer in Eile. Immerzu sind nämlich zwei Wölfe hinter ihnen her, die nach ihnen schnappen und sie verschlingen wollen. Das sind keine gewöhnlichen Bestien. Es sind die Kinder einer alten Trollfrau, die weit im Osten lebt, im Walde Eisenholz. Diese Frau hat noch viele andere Riesen in die Welt gesetzt, und alle haben die Gestalt von Wölfen. Bis auf den heutigen Tag haben Sonne und Mond den Wettlauf mit ihren Verfolgern gewonnen, und man kann nur hoffen, dass es dabei bleibt.

Bleibt nur noch die Frage, wo der Wind herkommt. Auch er ist aus dem Geschlecht der Trolle hervorgegangen, aber er gehört nicht zu den Wolfskindern, sondern hat die Gestalt eines riesigen Adlers. Er wohnt im hohen Norden, und sobald er sich in die Lüfte erhebt und mit seinen gewaltigen Schwingen schlägt, stürmt es, und überall fliegen die Pfannen vom Dach. Eigentlich war die Welt nun so ziemlich fertig. Natürlich gab es dauernd Streit zwischen Asen und Trollen; aber manchmal setzt sich der eine oder die andere über die alte Feindschaft hinweg. Und dann kam es zu heißen Liebschaften. So war ja auch die Nacht entstanden. Sogar Odin fand nichts dabei, hin und wieder eine Trollfrau zu umarmen; denn auch in Jotunheim, wo die Trolle zu Hause sind, gab es schöne Mädchen. Doch vor allem sind die Riesen gefährliche Wesen, denen man nicht über den Weg trauen kann. Besonders die Menschen müssen sich vor ihnen hüten; denn wer kommt schon gegen einen Riesen auf?

Das sah auch Odin ein und so beschloss er, den Menschen zuliebe eine Burg zu bauen. Nicht irgendwo am Rand der Welt, sondern in der Mitte. Dort befahl der Häuptling der Götter, einen Bauplatz zu roden. Allerdings, eine Frage bereitete den Asen Kopfzerbrechen. Ziegel und Balken waren noch nicht erfunden. Wo gab es ein Material, das fest genug war, um eine Burg zu errichten? Die Asen erinnern sich an die Erschaffung der Welt, und da fiel ihnen etwas ein, was sie damals weggeworfen hatten, weil sie dachten, dass es zu nichts nütze war. Das waren die Augenbrauen und die Wimpern Ymers, des ersten Riesen. Die waren so dick und stabil, wie die besten Balken. Es dauerte nicht lange und die Burg war fertig. Eine weitläufige Mauer umgab den Bezirk, der Mitgard heißt und der zur Heimat der Menschheit wurde. Dort konnten sie sich sicher fühlen. Selbstverständlich dachten die Asen nicht daran, sich mit den Menschen allzu gemein zu machen. Sie wollten gern in ihrer Nähe wohnen, aber nicht im selben Haus.

Asgard (altnord. Ásgarðr „Heim der Asen“) - der Wohnort der Asen. Über die Regenbogenbrücke Bifröst ist Asgard mit Midgard verbunden.

Asgard (altnord. Ásgarðr „Heim der Asen“) – der Wohnort der Asen.
Über die Regenbogenbrücke Bifröst ist Asgard mit Midgard verbunden.

 Deshalb errichteten sie hoch über Mitgard eine ganz besonders prächtige Burg, die sie Asgard nannten und damit es ganz klar war, wer hier das Sagen hatte, legten sie zwischen ihrer Festung und der Welt der Menschen eine große leuchtende Brücke. Sie heißt Bifrost und der bedeutet soviel wie „Der zitternde Weg“ die Menschen nennen sie den Regenbogen. Über diese Brücke können nur die Asen reiten, denn das Rot im Regenbogen ist flammendes Feuer. So hält man sich ungebetene Gäste vom Leib. Bescheiden kann man es nicht nennen, wie sich die Götter eingerichtet haben. In Asgard gibt es viele prächtige Häuser und Festsäle und es ist klar, dass das aller schönste Schloss Odin gehört. Es ist innen und außen vergoldet und liegt genau in der Mitte. Hier hat Odin seinen Hochsitz. Wenn er sich auf seinen Thron niederlässt, kann er die ganze Welt überblicken. Er sieht, dass die Erde rund ist, natürlich nicht wie ein Ball, sondern wie eine große Scheibe mit Kreisen, die ineinander liegen wie die Jahresringe eines alten Baumes. Ganz draußen schäumt das große Weltmeer. Im äußersten Rand des Erdkreises liegt Jotunheim und Einöd, wo die Riesen oder Trolle zu Hause sind, im inneren liegt Mitgard, wo die Menschen wohnen; ganz im Zentrum, in Asgard, haben sich die Asen eingerichtet und in der Mitte der Mitte wohnt Odin, der sein Schloss auf einer Wiese gebaut hat. Genau dort haben die Götter auch ihren Hofbaum gepflanzt, die Esche Yggdrasil. Ihre Krone reicht bis in den Himmel und ihre immergrünen Äste streckt sie über die ganze Welt aus. Eigentlich könnte Odin zufrieden sein. Hat er nicht alles wunderbar eingerichtet? Aber manchmal macht er sich Sorgen; denn er sieht allerhand Dinge, die ihn bekümmern. Zum Beispiel die Sache mit den Alben. Wo diese sonderbaren Geschöpfe nur herkommen. Er kann sich nicht erinnern, dass die Asen sie geschaffen haben.

Klar ist nur, dass sie mit den Trollen und Zwergen verwandt sind. Vielleicht machen sie sogar gemeinsame Sachen mit ihnen? Er muss feststellen, dass die Alben manchmal heimlich über die Mauern von Mitgard klettern. Es gibt weiße und schwarze Alben. In Tausenderlei Verkleidungen schleichen sie sich unter die Menschen ein. Die sagen dann, sie hätten nachts Gespenster gesehen oder Meer-ungeheuer – unterirdische Wesen mit Klauen und Schwänzen. Das sind die Huldren. Manchmal locken sie die Menschen in tiefe Höhlen unter der Erde, um sie dort gefangen zu halten und zu heiraten. Wieder andere sind arge Kinderdiebe. Oft vertauschen sie die Neugeborenen in der Wiege und hinterlassen der Mutter ein Wechselbalg. Odin weiß, dass das keine bloße Einbildung ist. Er weiß Bescheid, er kennt die Mächte der Finsternis und ihre Verwandlungskünste, und es ist ihm klar, dass sie sich vermehren können wie die Hasen, wenn man sie gewähren lässt. Allerdings nicht nur die schwarzen Alben, sondern auch die weißen. Das sind freundliche Geister. Auch unter den Huldren gibt es viele, die den Menschen, die sie ehren, gern zu Hilfe kommen. Aber auch Odin versteht nicht alles, was es gibt auf der Welt. Was sind das alles für Wesen, die er nicht geschaffen hat? Wo kommen sie her? Wenn er den Blick gen Süden wendet, auf das glühende Muspilheim, dann entgeht es ihm nicht, dass auch dort ein Volk, von fremden Wesen haust, die wie lebende Fackeln brennen. Aber das ist noch gar nichts! Was ihn noch viel mehr erschreckt: Er merkt, dass es noch andere Götter als die Asen gibt auf der Welt. Sie nennen sich die Wanen und wohnen auf einer Burg die Wanheim heißt. Es scheinen friedliche Götter zu sein, die sich vor allem um die Pflanzen und Tiere kümmern. Die helfen auch den Bauern bei ihrer Arbeit und mit den Alben stehen sie auf vertrautem Fuß. Das wäre nicht so schlimm; nur fragt sich Odin, ob die Welt denn Platz für zwei Göttersippen hat. Wer weiß, ob das auf Dauer gut gehen kann! Odin denkt, dass man immer mit dem schlimmsten rechnen muss. Vielleicht stellt sich eines Tages, dass diese Wanen gefährlicher werden können. Und deshalb versammelt er die Asen um sich und sagt ihnen: Wir müssen auf alles gefasst sein. Wenn es Krieg gibt, ist es aus und vorbei mit dem sorglosen Leben auf Asgard! Dann geht es um`s Ganze. Seid ihr bereit?

Kapitel 2: Der Krieg der Götter

Noch war es nicht soweit. Denn die Welt war jung. Alles musste erst gelernt und ausprobiert werden. Die Vögel mussten lang üben, bis sie so gut singen konnten wie heutzutage und die Bienen wussten noch nicht so genau, wie sie an den Honig kamen. Fliegen, Schwimmen, Laufen – das alles wollte gelernt sein. Noch war das Leben nicht festgelegt und festgefahren, alles konnte sich ändern. Auch die Menschen fanden erst nach und nach heraus, wozu sie fähig waren, zu Liebe und Treue, aber auch zu Hass und Verrat. Wer war Freund und wer Feind? Das war nicht immer leicht zu entscheiden. Die Zeit war voller Unsicherheit und Neugier. Zum Beispiel sahen die Menschen gar nicht ein, warum ein Mann nicht viele Frauen haben kann und auch die Frauen sahen es nicht so genau mit der Treue und wussten nicht, ob sie sich an einen halten sollten, oder ob es nicht lustiger mit mehreren war. So war es auch bei den Göttern. Odins Frau war Frigga, die erste und vornehmste unter den Göttinnen. Mit ihr hatte er auch seinen erstgeborenen Sohn, der Baldur hieß. Aber das hinderte ihn nicht daran, sich mit anderen Frauen einzulassen. Seinen zweiten Sohn, den Donnergott Thor, zeugte er mit einer Trollfrau, obwohl es zwischen Asen und Riesen einen uralten Streit gab. Aber man kann sich auch in eine Feindin verlieben – warum nicht? Vielleicht ist das sogar spannender. Damals hat es auch Überläufer gegeben. Loki zum Beispiel, dessen Eltern Riesen waren, hat sich schon sehr früh mit Odin angefreundet und ist in Asgard, der Burg der Götter eingezogen. Ja es war eine recht verworrene Zeit, das muss man schon sagen. Auch Odin war rastlos. Es gab so vieles, was er nicht wusste und das war ihm sehr unangenehm; denn als der oberste aller Götter wollte er sich wohl ganz genau auskennen in der Welt, über die er herrschte. Deshalb begab er sich auf Wanderschaft und damit ihn nicht jeder gleich erkannte, verkleidete er sich in tausenderlei Gestalten. Er sprach mit Tieren und Menschen, mit Trollen und Wahrsagerinnen, wo er sie traf. Wer die Welt erschaffen hat, sagte er sich, muss sie auch verstehen.

Er wagte sich weit ins Land der Riesen, nach Jotunheim, hinein. Er hatte nämlich gehört, dass dort einer lebte, von dem es hieß, er sei das klügste von allen Geschöpfen. Dieser Troll hieß Mime. Er war ein Einsiedler, der sich fern von den andern Riesen hielt und der Weg zu seiner Behausung war voller Gefahren. Was scherten Odin solche Hindernisse! Er wollte wissen, woher Mime seine Weisheit hatte, als er ihn heimsuchte, sah er, wie der Troll aus seiner Quelle trank. Das war Mimes Geheimnis; denn das Wasser aus diesem Brunnen macht jeden, der davon trinkt, jedes Mal ein wenig klüger als zuvor. „Ich will auch von deiner Quelle trinken“, sagte Odin. „da könnte ja jeder kommen“, antwortete Mime. „Wer bist du überhaupt? Und wer hat dich eingeladen?“

„Ich bin nur ein gewöhnlicher Wanderer“, sagte Odin, der nicht wollte, dass jeder wusste, wer er war. „Diese Quelle ist nicht für jeden hergelaufenen Landstreicher da“, rief Mime, „der einzige der aus ihr trinken darf bin ich!“ Odin versuchte es zuerst mit Versprechungen, doch Mime sagte: „Was kann ein Kerl wie du mir schon versprechen, das ich nicht selber hätte?“ Und als sich Odin auf Drohungen verlegte, lachte er ihn aus. Nun muss man wissen, dass Odin damals noch ein sehr junger Gott war, dem es an Selbstvertrauen fehlte. Seiner Allmacht war er ganz und gar nicht sicher und er hatte nicht das Gefühl, dass er der Klügste war. Vielleicht hatte Mime mich durchschaut, dachte er und macht sich lustig über mich? Aber so war es nicht, denn plötzlich fuhr ihn Mime an: „Gib mir eins von deinen Augen!“

Fenrir beißt Tyr´s Hand ab, als die Götter ihn fesseln.

Fenrir beißt Tyr´s Hand ab, als die Götter ihn fesseln.

 Odin traute seinen Ohren nicht zu trauen. „Her damit!“ rief der Troll, „dann kannst du von meinem Brunnen trinken, soviel du willst.“ Odin ließ sich durch Mimes Verlangen nicht abschrecken, denn noch nie war einer im Himmel oder auf der Erde so auf Weisheit und Erkenntnis erpicht wie er. Ohne einen Moment zu zögern, riss der Fremde sich ein Auge heraus, legte sich an die Quelle und trank. Da fiel es Mime wie Schuppen von den Augen und er begriff, mit wem er es zu tun hatte. Er war schließlich der Klügste unter den Riesen. Das war kein gewöhnlicher Landstreicher, das war ein Gott. Und Mime beschloss, sich Odin anzuschließen, sein Freund und Ratgeber zu werden. Mimes Quelle lag unter einer gewaltigen Baumwurzel. „Warum schlägst diese Wurzel nicht ab?“ fragte Odin. „Dann ist es bequemer aus ihr zu trinken.“

„Wo denkst du hin? Weißt du nicht, dass es kein gewöhnlicher Baum ist, aus dem diese Quelle ihr Wasser zieht? Es ist die Weltesche Yggdrasil, die drei Wurzeln hat, eine hier wo du jetzt sitzt, die zweite in Niflheim, weit im nördlichen Nebel und die dritte….“

„Die dritte dort, wo ich herkomme“, sagte Odin. „Bei allen Göttinnen in Asgard.“

„Dann begreifst du wohl, dass man Wurzeln dieses Baumes nicht antasten darf, denn er ist heilig und wehe uns allen, wenn ihm jemand etwas zuleide tut. Ja mein Freund, wer die Welt verstehen will, der muss wissen, was es mit Yggdrasil auf sich hat.“

Das nahm Odin sich zu Herzen und als er wieder zu Hause war, legte er sich auf die große Wiese und blickte nach oben. Er sah, dass die Weltesche einer Säule glich, auf der der Himmel ruht. Aber er bemerkte auch, dass in ihrer Krone und ihrem Geäst allerhand Getier hauste. Von dem Honigtau, der aus ihrem Laub tropfte, lebten die Bienen. Die waren harmlos, aber von den vier Hirschen, die zwischen den starken Ästen herumspringen, konnte man das nicht sagen, denn sie rauften das Laub ab und nagten an den frischen Trieben. In Yggdrasils Wipfel nistet ein kluger Adler und zwischen seinen Augen, hat sich ein Habicht niedergelassen. Und das ist noch nicht alles! Odin hat auch von der großen Schlange Neidhieb reden hören, die im fernen Niflheim zu Hause ist, an einer der drei Quellen. Ausgerechnet an der Wurzel soll sie sich niedergelassen haben. An der nagt und wer weiß, wie lange die Esche das aushalten kann. So geriet Odin ins Grübeln. Was geschieht wenn de Baum verrottet, oder wenn jemand ihn fällt, fragte er sich. Doch zögerte er auch, das zu ändern, was er nicht verstand, oder das zu vernichten, was er nicht leiden mochte. Lieber wollte er versuchen, zu schützen und zu hüten, was ihm gut und teuer schien. Vor allem musste er sich um seine eigene Quelle kümmern, die mitten in Asgard entsprang. Ihr frisches Wasser, speist einen Teich, auf dem zwei Schwäne schwimmen und drei mächtige Frauen, die man die Nornen nennt, behüten sie: Urd, Werlande und Skuld, die das Gute und das Böse bestimmt. Also bat Odin als erstes die Nornen, die Wurzel jeden Tag reichlich zu wässern, damit die große Esche nie vermodern sollte. Außerdem befahl er, um Yggdrasil Ehre zu erweisen, dass die Asen fortan, um ihren Rat zu halten, an der Quelle sitzen sollten.

Das war auch dringend nötig, denn lange währte der Frieden nicht. Eines Tages tauchte in Asgard eine Hexe auf. Odin war nicht geneigt, sie zu empfangen. Aber er war und ist ja der Gott der Gastfreundschaft und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich an seine eigenen Gesetze zu halten. Gullveig – so hieß der unerwünschte Gast – leuchtete die Gier aus den Augen. Gold und Reichtum, das war für sie das Wichtigste auf der Welt und mit dieser Liebe zum Gold, suchte sie auch alle anderen anzustecken. „Wie könnte ich nur glücklich sein, wenn ihr keine Schätze habt?“ geiferte sie. Das waren starke Worte, die auch auf die Asen Eindruck machte. Schon dachten einige daran, auf Beute auszugehen. Aber Odin sah beizeiten, wohin das führen musste, und er warnte seine Leute. „Ohne diese Hexe“, sagte er, „Wäre die Welt ein besserer Ort. Wir müssen sie los werden.“ Da ergriffen die Asen Gullveig, stachen mit ihren Speeren auf sie ein und warfen sie ins Feuer. Aber die Hexe war zäh. Als die Flammen abgebrannt waren, stand sie wieder auf und war so lebendig wie zuvor. Dreimal versuchten die Asen, sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, doch jedes Mal stieg sie frisch und munter aus dem Feuer. Die Götter konnten ihr nicht den Garaus machen, denn Gullveig war eine äußerst trickreiche Trollfrau und noch dazu eine die zaubern konnte. Den Asen war es nicht gegeben, mit schwarzer Magie umzugehen. Ihre Kraft war nicht darin, zu trügen und zu lügen, sondern darin, Neues zu erschaffen. Höhnisch lachend ging Gullveig ihres Weges und seitdem wandert sie unter tausend falschen Namen und Masken durch die Welt und verleumdet die Asen. Überall stiftet sie Unfrieden unter den Menschen und freut sich jedes Mal, wenn sie wieder eine Freundschaft zerstört, oder einen Familienstreit angezettelt hat. Zuerst aber machte sie sich auf den Weg nach Wanheim zu den unbekannten Göttern, die dort lebten. Mit herzbewegenden Worten schilderte sie den Wanen, welche Grausamkeiten sie in Asgard zu erdulden hatte. Die Wanen waren empört. Vielleicht war ihnen die Hexe auch sympathisch, weil sie, wie es heißt, selber reichlich viel Gefallen an der Zauberkunst fanden. Jedenfalls wusste Gullveig, wie sie es anstellen musste, sie gegen die Asen aufzuhetzen. „Mag schon sein“, sagte sie, „dass die Asen die Welt erschaffen haben. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie über alle anderen herrschen sollen. Immer führen sie das große Wort, so als hätte unsereins nichts zu sagen.“

Diese Reden gefielen den Wanen, die sich schon lange darüber geärgert hatten, dass sich niemand um sie kümmerte. „Recht hast du!“ riefen sie. „Wir haben es satt, die zweite Geige zu spielen. So kann man mit uns Wanen nicht umspringen. Lasst uns ein Heer rüsten und denen auf Asgard zeigen, wer auf dieser Welt die Stärkeren sind.“ Und das ließen sich die Wanen nicht zweimal sagen. Aber Odin entgeht so leicht nichts, was auf der Welt vorgeht. Er bemerkte von seinem Hochsitz aus, wie sich die Wanen zum Kampf rüsteten. Schon von weitem sah er sie mit ihren Reitern anrücken und er befahl den Seinen, sich zu rüsten. Vor den Mauern von Asgard trafen die beiden Heere aufeinander. Einen Augenblick lang standen sie Auge in Auge. Dann zögerte Odin nicht länger und warf seinen Speer in die Schar der Feinde. Der erste Krieg hatte begonnen.

Anfangs sah es ganz so aus, als behielten die Wanen die Oberhand. Sie hatten die stärkeren Flüche, die sie den Asen an den Kopf warfen, aber das war nur ein Teil ihrer Zaubertricks. Manche benützten Tarnkappen, andere täuschten Angreifer vor, die gar nicht da waren; wenn die Asen auf sie losgingen, fanden sie nur tote Baumstümpfe, auf die sie einschlugen. Sogar die Mauern der Götterburg erzitterten unter den Zaubersprüchen und hie und da gelang es den Wanen, Breschen in die Festung zu schlagen und auf die große Wiese vorzudringen. Aber auf die Dauer waren die Machenschaften der Wanen der Kraft der Asen nicht gewachsen und die Angreifer wurden in die Flucht geschlagen. Das Heer der Götter trieb sie vor sich her, bis in ihr eigenes Gebiet und nun begann ein Plündern und Brandschatzen, in Wanheim, das den Besiegten die Tränen in die Augen trieb. Der Kampf kostete auf beiden Seiten vielen das Leben. Odins Brüder fielen, aber auch die alte Hexe Gullveig überlebte nicht.

Doch die Wanen wehrten sich erbittert und je länger der Krieg dauerte, desto mehr mussten die Kämpfer einsehen, dass keine der beiden Seiten gewinnen würde. Wenn keiner diesem Wahnsinn ein Ende machte, stünde bald die ganze Welt in Flammen. Deshalb beschlossen die Anführer zu verhandeln. Ein Treffen der Gesandten wurde vereinbart und nach langem Hin und Her riefen sie einen Waffenstillstand aus. Als Unterpfand des Friedens, tauschten sie Geiseln aus. Die Wanen sandten einen ihrer besten Männer nach Asgard. Er hieß Njord und er brachte einen Sohn und eine Tochter mit, Frei und Freia. Dafür mussten die Asen Huhne einen der Ihren, nach Wanheim schicken, und Mime, der klügste aller Trolle, musste ihn begleiten.

Odin wollte den Streit ein für allemal zu Ende bringen. Deshalb befahl er, dass die drei Geiseln aus Wanheim wie Gäste behandelt werden sollte. Er räumte ihnen sogar einen Platz im Rat der Götter ein. „Von nun an“, sagte er, „sollen sie gleiche Rechte und Pflichten wie wir alle haben und zu uns gehören.“

Im Gegenzug dazu wählten die Wanen Huhne zu ihrem Häuptling.

Odins Entscheidung war klug, denn auf diese Weise erfuhren die Asen vieles, was sie von ihren Gegnern nicht gewusst hatten: Wie es in Wanheim zuging und was für seltsame Sitten dort herrschten. Zum Beispiel war es bei den Wanen immer noch der Brauch, dass Geschwister einander heirateten. Njord war einer von denen, die ihre eigene Schwester geschwängert hatten und so waren Frei und Freia enger miteinander verwandt als andere Leute.

Noch viel spannender war das, was die Asen über die magischen Künste der Wanen zu hören bekamen; dass Njord sich darauf verstand, den Wind, die See und das Feuer zu beherrschen; wenn er will, kann er Glück beim Fischen und Heil bei der Jagd herbeizaubern. Und Frei ist noch mächtiger als sein Vater, denn er kann gutes und schlechtes Wetter machen und ist Herr über alles, was wächst. Auf diese Weise bringt er denen, die er schätzt Wohlstand und Frieden. Aber die reizendste und gefährlichste unter den Wanen ist doch seine Schwester Freia. Keine auf der Welt ist schöner als sie. Sie fährt einen Wagen, der von zwei Katzen gezogen wird und wenn sie fliegen will, verwandelt sie sich in einen Falken. Wenn sie weint, vergießt sie Tränen aus schierem Gold. Vor allem aber ist sie die Göttin der Liebe und von allen Mächten die das Leben der Götter und der Menschen beherrschen, ist die Liebe die Stärkste.

Das alles vernahmen die Asen und sie konnten von diesen Wundern nicht genug kriegen. Odin merkte sich alles, was er zu hören bekam, aber auch Loki, der Riesensohn, der mit ihm Blutsbrüderschaft geschlossen hatte, spitzte die Ohren. Loki ist ein ausgesprochen hübscher Troll, aber man kann ihm nie ganz über den Weg trauen, denn er ist listig und gemein. Insgeheim hält er es immer noch mit dem Clan der Riesen. Doch Odin hat von Anfang an einen Narren an ihm gefressen und vertraut seiner glatten Zunge. Loki versteht sich auf die Kunst, Worte zu verdrehen und alles zu seinem Vorteil zu wenden. Schon vorher war ihm die Zauberkunst nicht fremd, aber was er nun von den Wanen gelernt hat, macht ihn noch viel gefährlicher.

Der erste, den er in seiner Bosheit aufs Korn nahm, war Thor, Odins erstgeborener Sohn. Der hat von der Klugheit seines Vaters kaum etwas geerbt. So simpel, wie er war, bot er sich Loki als leichtes Opfer an. Außerdem ist er hitzig und kann sich nur schwer beherrschen. Andererseits fehlt es ihm nicht an Gerechtigkeitssinn; gern beschützt er die Schwachen, wenn ihnen jemand unrecht tut. Jedes Mal wenn die Riesen in Mitgard einfallen, um die Menschen zu plagen, ist Thor zur Stelle, um ihnen zu helfen. Da sind die Trolle gut beraten, wenn sie von ihren Opfern ablassen und fliehen; denn Thor ist groß und stark und wenn er seinen Gürtel anlegt, verdoppeln sich seine Kräfte. Er hasst Verrat und Ränkespiele. Wahrscheinlich war das der Grund dafür, dass Loki sich gerade ihn ausgesucht hatte, um eine Probe seine Tücke zu liefern.

In der Nacht können sich die Asen sicher fühlen. Sie schlafen ruhig, denn sie wissen, dass Heimdall, der Gott der am Fuß der Regenbogenbrücke wohnt, Wache hält. Der braucht weniger Schlaf als ein Vogel und er kann, ob es Tag oder Nacht ist, hundert Meilen weit sehen. So gute Ohren hat er, dass er nicht nur das Gras, sondern auch die Wolle an den Schafen wachsen hört. Kein Feind kann sich den Mauern von Asgard nähern, ohne dass Heimdall es bemerkt.

Aber diesmal kommt der Feind nicht von draußen. Der Schwarzgewandte, der sich von Haus zu Haus schleicht, ist einer von den eigenen Leuten. Jetzt nähert er sich einem riesigen Gebäude, das vierhundertfünfzig Zimmer hat. Thor hat sich in seinem Übermut dieses Haus gebaut. Aber heute schläft er nicht in seinem Bett. Er ist hinausgeritten um gegen die Riesen zu kämpfen.

Alle Lichter sind gelöscht und es ist still im ganzen Haus. Der Eindringling geht auf Zehenspitzen durch die Flure und blickt durchs Schlüsselloch in jedes Zimmer. Endlich findet er, was er gesucht hat. Der Mond scheint durchs Fenster und in seinem schwachen Schein sieht er Thors Frau daliegen. Dann macht er sich so klein, dass er durchs Schlüsselloch in Sivs Schlafzimmer kommt.

Am andern Morgen kommt Thor nach Hause. Wieder einmal hat er die Riesen besiegt. Jetzt ist er müde und möchte sich ausschlafen. Er ruft: „Liebe Siv, las mich herein!“

Aber Siv antwortet ihm nicht. Er hört wie sie weint und hitzig wie er ist, sprengt er sogleich die Tür auf. „Schau mich nicht an!“ bittet ihn seine Frau, „bitte schau mich nicht an!“ Und sie versteckt sich unter der Bettdecke.

Ungeduldig reißt Thor die Decke in die Höhe und was er da zu sehen bekommt, erfüllt ihn mit rasender Wut. Denn Siv, die so wunderbares Haar hatte, dass sogar Freia, die Liebesgöttin neidisch wurde, ist am ganzen Kopf kahl wie eine Puppe. „Wer hat das getan?“ brüllt Thor. „Ich weiß es nicht“, sagte Siv. „Ich bin eingeschlafen und als ich aufwachte…“ Sie bricht in Tränen aus. Thor glaubt ihr; ja, er ahnt sogar, wer das gewesen sein könnte. Und er hat richtig geraten.

Denn zur gleichen Stunde sitzt Loki bei seinen Kumpanen und prahlt. „Oh, bei Siv war ich mehr als willkommen. Sie hatte nichts dagegen, im Bett Besuch zu bekommen.“ Großes Gelächter „Kein Wunder“, sagen Lokis Freunde. „Thor ist ja fast nie zu Hause.“

Aber das Lachen vergeht ihnen rasch, denn nun steht Thor in der Tür. Seine Augen sprühen Funken und er hat drohend seine Faust erhoben. „Immer mit der Ruhe“, zwitschert Loki. „Du wirst doch ein wenig Spaß verstehen, oder nicht!“

Thor geht auf ihn los und es sieht ganz so aus, als wolle er ihm alle Knochen brechen. Im letzten Augenblick werfen sich Lokis Kumpane dazwischen.

„Ich bring dich um, wenn du ihr nicht neues Haar verschaffst“, ruft Thor und versucht sich loszureißen. „Ich verspreche es“, winselte Loki, „hoch und heilig!“

„Dir werde ich Beine machen! Neues Haar und zwar sofort, ich will das es noch schöner wird als das, das du ihr abgeschnitten hast.“

„Ja, ja“, jaulte Loki, „gib mir nur ein paar Tage Zeit.“ Erst da löst Thor den Würgegriff um Lokis Kehle und der Übeltäter rennt davon. „Versuche ja nicht dich zu drücken“, brüllte Thor ihm nach. „Sonst kannst du was erleben! Ich finde dich überall und wenn du dich in den Gluten von Muspilheim versteckst.“

Die Göttin Sigyn schützt ihren Mann Loki vor dem Gift der Mitgardschlange.

Die Göttin Sigyn schützt ihren Mann Loki vor dem Gift der Mitgardschlange.

 Wie wird sich Loki aus der Schlinge ziehen? Ach, dieser Kerl ist nie um Rat verlegen. Er macht sich auf den Weg zu den Schwarzalben, die unter der Erde wohnen. Die Strecke kennt er von früher, und in den Höhlen und Grotten kennt er sich aus. Die einzigen, die ihm helfen könnten, sind die Zwerge, denn sie verstehen sich auf die Schmiedekunst.

„Ich brauche Fäden aus Gold. Tausende von langen, feinen Fäden, so dünn wie Menschenhaar.“

„So“, sagen die Zwerge. „Wozu denn?“

„Meine Frau“, antwortet Loki, „hat bei einem Feuer ihr Haare eingebüßt und ich will ihr neue schenken.“

„Das ist aber viel Arbeit, erwidern die Zwerge. „Und überhaupt, warum sollen wir dir helfen?“

Aber Loki weiß immer eine Antwort. „Stellt euch nur einmal vor, wie berühmt ihr in Asgard werden könnt, wenn ihr tut, was ich von euch verlange! Man muss sich gut mit den Asen stellen, denn sie sind sehr mächtig, besonders Odin. Ihr solltet ihn als Freund und Beschützer gewinnen.“

Schon haben die Zwerge mit ihrer Arbeit angefangen. Überall hört man sie hämmern und in unbegreiflich kurzer Zeit haben sie tausend Goldfäden fertig geschmiedet. Nun murmeln sie Beschwörungen und Zauberformeln. „Deine Frau braucht sich das Goldhaar nur auf den Kopf zu setzen“, versichern sie Loki, „schon wird es festsitzen und weiterwachsen.“

Aber Loki ist noch nicht zufrieden. In seinem Übermut bittet er die Zwerge noch um ein paar andere Gefälligkeiten.

„So flink, wie ihr seid, wird euch das sicher nicht viel Mühe machen. Die Sache ist nämlich so: Ich möchte nicht gern ohne ein paar Geschenke nach Asgard zurückkehren. Wisst ihr nicht ein, oder zwei andere Kunststücke. mit denen ihr euch bei den Göttern einschmeicheln könnt?“

Gutmütig wie sie sind, machen sich die Zwerge von neuem ans Werk. Zuerst schmieden sie einen Speer, der Gügne heißt. Das ist keine gewöhnliche Waffe. Denn diesen Speer können kein Schild und keine Mauer aufhalten und er trifft immer mitten ins Ziel.

„Habt ihr nicht eine Idee für die Seefahrt?“ fragt Loki, der Nimmersatt. „Warum nicht“, sagen die Zwerge und sie bauen ein Schiff, das nicht nur auf dem Wasser, sondern auch auf dem Land fahren kann. Außerdem ist es so beschaffen, dass es immer Rückenwind hat, es heißt Skidbladner und obwohl es groß genug ist, um alle Asen samt ihren Waffen zu tragen, kann man es zusammenfalten und in die Tasche stecken.

„Wunderbar“, sagte Loki. „Das wird ein Aufsehen machen in Asgard! Vielen Dank für eure Hilfe!“ Und schon ist er auf dem Heimweg. Ein paar Höhlen weiter, kommt er an einer anderen Werkstatt vorbei und hört, wie dort zwei Zwerge klopfen und hämmern. Brokk und Sinder sind Brüder und unter den Schmieden sind sie für ihre Kunst berühmt. Was gilt es, ich versuche bei denen noch einmal mein Glück, denkt Loki, tritt ein und zeigt den beiden seine Kostbarkeiten.

„So etwas Feines habt ihr gewiss noch nie gesehen. Schaut nur was eure Vettern da zustande gebracht haben. Da können Zwerge wie ihr nie und nimmer mithalten. Darauf will ich meinen Kopf wetten.“

„So?“ rufen die beiden Brüder wie aus einem Mund. „Da kennst du uns aber schlecht! Was die können, können wir auch.“ Sie tuscheln miteinander und verschwinden in der Schmiede. Loki muss draußen warten. „Sollen wir die Wette eingehen?“ fragt Brokk. „Dieser Loki ist doch nur ein Windbeutel. Eine Pest und eine Plage.“

„Das mag schon sein. Aber das wir schlechtere Schmiede sind als unsere Vettern, das können wir nicht auf uns sitzen lassen“, meinte Sinder, „und was haben wir schon zu verlieren?“

„Also gut“, sagte Brokk. „Meinetwegen. Machen wir uns an die Arbeit.“

Vor der Schmiede sitzt Loki und lauscht ihrer Unterhaltung. Ich bin gespannt, was ihnen einfallen wird, denkt er. Am besten ist es, ich behalte sie im Auge damit sie keinen Unsinn treiben. Und er verwandelt sich in eine winzige Mücke, fliegt in die dunkle Schmiede und setzt sich an die Wand. Er sieht wie Sinder Gold in kleine Stücke schneidet, sie in die Esse legt und eine große Schweinehaut darüber wirft. „Ich muss ein wenig Luft schnappen“, sagt er. „Du Brokk, passt solange auf den Blasebalg auf, damit das Feuer nicht ausgeht.“ Kaum ist Brokk allein, da setzt sich eine Mücke auf seinen Arm und kitzelt und sticht ihn. „Verfluchtes Biest“, ruft er, aber stören lässt er sich nicht und als sein Bruder wiederkommt, holen sie ihr Werk aus der Esse. Siehe da, es ist ein großes Schwein geworden, ein Eber mit Borsten aus reinem Gold.

Als nächstes schmiedet Sinder einen starken goldenen Armring. „Damit auch die Frauen etwas schönes haben“, sagt er.

Doch das dritte und letzte Meisterstück macht er nicht aus Gold, sondern aus Eisen. das ist eine schwere Arbeit. Lange muss Sinder hämmern, bis er den Klotz in die Esse werfen kann. „Bei dieser Hitze schwitzt man sich das Fleisch von den Knochen. Ich muss hinaus an die frische Luft. Hüte mir solange den Blasebalg“, bittet er den Bruder, „aber pass gut auf! Wenn du auch nur einen Augenblick lang aussetzt, ist die ganze Arbeit umsonst.“

Schon ist die aufdringliche Mücke wieder zur Stelle. Diesmal setzt sie sich genau zwischen Brokks Augen. Als sie zu sticht, tut es so weh, dass der Zwerg einen Augenblick lang den Blasebalg fahren lässt, um sie zu verscheuchen. Ausgerechnet jetzt kommt Sinder wieder. „Hab ich dir nicht gesagt du sollst aufpassen?“ ruft er ärgerlich. Vorsichtig nimmt er das Werkstück aus der Esse. „Das war knapp“, murmelt er. „Um ein Haar hätten wir es zum alten Eisen werfen können. Aber zum Glück hat es nur den Schaft getroffen. Er ist ein bisschen zu kurz geraten. Doch ansonsten ist es ein Hammer, der nicht seinesgleichen hat!“

„Ach ihr seid schon fertig, sagt Loki mit seiner besten Unschuldsmiene, als Brokk und Sinder aus der Schmiede kommen. „Das ist aber schnell gegangen.“ Er grinst, während Sinder ganz erschöpft ist…

„Das ist aber ein schönes Hämmerchen!“

„So, und jetzt verschwindest du“, sagte Sinder. „Und du Brokk, nimmst den Hammer, den Ring und den Eber mit und folgst ihm nach Asgard. Die Götter sollen entscheiden, wer die Wette gewonnen hat, und ich bin sicher dass sie diesen Kerl um einen Kopf kürzer machen.“

Schon von weitem sieht Heimdall, der Wächter, Loki kommen. Thor kann es kaum erwarten, ihn dafür zu strafen, was er Siv angetan und er ruft die Götter zusammen. Odin nimmt auf seinem Thron Platz und als Loki mit heiterster Miene auftaucht, mit dem Zwerg im Gefolge, ist die Stimmung eisig.

„Ihr werdet staunen über die großartigen Geschenke, die ich mitbringe“, prahlt er. “Sechs Wunderdinge, die ich den Zwergen abgehandelt habe für viele gute Worte!

„Weh dir“, brüllt Thor, „wenn kein goldenes Haar dabei ist.“ und Brokk murmelt: „Rede nur, solange du noch eine Zunge hast, alter Lügner!“ Den Asen erklärt er mit gerunzelter die Wette, die er und Sinder mit Loki abgeschlossen haben. „Es geht um seinen Kopf“, ruft er. „Aber wer soll entscheiden, ob die Zwerge recht behalten?“ Die Götter beschließen, dass Odin, Thor und Frei das letzte Wort in der Sache haben sollen.

Aber zuvor zeigt Lokiwas er sonst noch alles mitgebracht hat. Er will gut Wetter bei den Richtern machen. Und tatsächlich macht seine Beute großen Eindruck. Die Asen bewundern Gügne, den Speer, der nie sein Ziel verfehlt. Loki überreicht ihn Odin, der sich begeistert zeigt. Das wunderbare Schiff Skidbladner schenkt er Frei und schon ist der zweite Richter hocherfreut. Nur Thor blickt immer noch drohend in die Runde. Da zieht Loki das Goldhaar aus der Tasche und überreicht es Siv. Kaum hat sie es sich auf den Kopf gesetzt, ist es schon angewachsen und Thor muss gestehen, dass sie nie schöner ausgesehen hat.

„Und jetzt zu eurer Wette“, spricht Odin. Brokk tritt vor und zeigt den Asen seinen goldenen Ring.

„Er heißt Draupne“, erklärt er. „Aber ihr ahnt gar nicht, wie wertvoll er ist. Denn über Nacht tropfen aus diesem Ring acht genauso große Ringe hervor. Dies ist ein Geschenk meines Bruders für Odin.“

Dann zeigt er den goldenen Eber hervor. „Er heißt Gullborste und ist schneller als das schnellste Pferd“, erklärt er. „Er kann durch die Luft und auf dem Wasser laufen und wo er hinrennt, da wird es nie dunkel, so hell schimmern seine Borsten. Das, Frei, ist unser Geschenk für dich.“

Endlich holt er den Hammer hervor, den Sinder geschmiedet hat. „Der ist für dich, Thor. Er ist härter als Diamant und wohin du ihn auch wirfst, er wird immer zu dir zurückkehren. Sieh nur!“ Und er schleudert den Hammer weit fort und fängt ihn wieder auf. Jetzt ist Thor glücklich über sein neues Spielzeug. „Oh, das ist noch nicht alles“, setzt Brokk hinzu. „Wenn du es wünschst, kannst du den Hammer auch verstecken. Du brauchst ihn nur in deiner Hand verschwinden zu lassen. So!“ Er macht es vor. Thor kann es nicht erwarten, diese neue mächtige Waffe auszuprobieren. „Hat er auch einen Namen?“ fragt Odin. „Der Hammer heißt Mjölner“, sagt Brokk und verneigt sich vor dem Götterkönig.

Welches von diesen Geschenken ist das allerschönste? Die Wahl fällt den Asen schwer. Loki bekommt es mit der Angst zu tun und mischt sich ein. „Der Hammer ist es auf keinen Fall“, behauptet er. „Schaut euch nur den Schaft an. Der ist doch viel zu kurz.“ Doch Odin, Thor und Frei sind anderer Meinung. Sie wissen das Mjölner der beste Schutz vor Angreifern ist, den sich die Asen wünschen können. „Brokks Geschenk ist unübertroffen“, urteilen sie. Du, Loki hast deine Wette verloren.“

„Das kostet dich deinen Kopf“, sagt der Zwerg und zieht sein Schwert.

„Aber, mein Lieber“, wendet Loki ein, „was hast du denn davon, wenn du mich umbringst? Mit einem Totenkopf kannst du doch nichts anfangen. Willst du nicht lieber einen Haufen Gold haben? Ich zahl dir Kopfgeld soviel du willst.“

„Gold haben wir selber“, sagt Brokk. Da versucht Loki, sich aus dem Staub zu machen, doch Thor ist auf der Hut und fängt den Übeltäter ein.

„Also gut“, ruft Loki, „wenn es sein muss, dann nimm eben meinen Kopf. Nur den Hals und den Nacken darfst du nicht antasten, denn so haben wir nicht gewettet.“ Die Asen lachen. Wieder einmal hat Loki es fertiggebracht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Nur Brokk ist wütend. „Verdammt sei deine Lügenzunge“, schimpft er, und im nu hat er einen Pfriem und einen Lederriemen aus der Tasche gezogen und näht damit dem verblüfften Loki die Lippen zusammen. Das ist fast so schlimm für ihn, als hätte ihn seine Wette Kopf und Kragen gekostet, denn ohne sein loses Maul ist er verloren. Die Götter machen sich lustig über ihn und Loki läuft wütend nach Hause.

„Was ist denn mit dir los“, fragt seine Frau Sigyn, aber er bringt nur ein unverständliches Stöhnen hervor. Sie ruft ihre beiden Söhne herbei und gemeinsam ziehen sie den Riemen aus seinen Lippen. das tut allerdings weh. „Eine Schande, wie sie dich zugerichtet haben“, schimpft Sigyn, „wo du doch so klug und tüchtig bist. Eigentlich bist du doch der Gescheiteste unter den Asen. Nicht einmal Odin kann dir das Wasser reichen.“

„Wohl wahr“, brummt Loki und tupft sich das Blut von den Lippen. „Aber meine Zeit kommt noch und dann werde ich es ihnen heimzahlen.“

Immerhin herrscht jetzt Frieden in Asgard. Der Krieg mit den Wanen ist glücklich überstanden. Nur die große Mauer um das Heim der Götter liegt immer noch in Trümmern. Schon seit langem ist es beschlossen, sie wieder aufzubauen. Aber der Frieden hat die Asen faul und bequem werden lassen, und sie sagen sich: „Wenn uns die Riesen angreifen, wird Heimdall uns schon rechtzeitig warnen, Und den Rest besorgt dann Thor mit seinem unfehlbaren Hammer.“

Eines Tages kommt ein Mann geritten und bittet Heimdall ihn über die Brücke zu lassen. „Ich habe euch einen Handel vorzuschlagen“, erklärt er den Asen. „Ich biete euch an, die große Mauer um Asgard wieder aufzubauen, und zwar so hoch und so stark, dass es niemand mehr wagen wird, gegen sie anzurennen.“

„Wie lange brauchst du, um das Werk zu vollenden?“ fragt Odin. „Eineinhalb Jahre“, antwortet der Baumeister. „Und welchen Lohn verlangst du? Ganz umsonst wirst du wohl nicht für uns arbeiten wollen.“

„Oh“, sagt der Mann, „ich fordere weiter nichts, als dass ihr mir Freia zur Frau gebt. Und als Mitgift, hätte ich gern die Sonne und den Mond.“

Die Götter wissen nicht, ob sie wütend werden oder lachen sollen. Odin hätte den Kerl am liebsten hinausgejagt, aber da mischt Loki sich ein. „Wir schulden unserm Gast jedenfalls eine Antwort auf sein Angebot“, meinte er, „lasst ihn draußen vor der Tür warten, während wir uns beraten.“

Der Baumeister wird vor die Tür gesetzt. Odin ruft: „Was gibt es da schon zu beraten! Der Kerl ist ja verrückt.“ Aber Loki hat eine Idee. „Wir geben ihm einfach eine so kurze Frist, dass er unmöglich beizeiten fertig werden kann. Auf diese Weise schuftet er mit aller Kraft und am Ende geht er leer aus. Wir bekommen den größten Teil der Mauer umsonst und brauchen keinen Finger zu rühren.“ Das leuchtet den Asen ein und der Baumeister wird wieder in den Saal gerufen.

„Morgen fängt der Winter an“, sagt Odin, „wenn du bis zum ersten Sommertag fertig wirst, sollst du den Preis bekommen, den du verlangst.“

„Was?“ ruft der Besucher, „die ganze Mauer im Lauf eines einzigen Winters?“

„Und zwar ganz allein, ohne fremde Hilfe.“

Der Baumeister denkt nach. „Aber mein Pferd darf ich wohl brauchen?“ fragt er endlich. Odin ist unschlüssig und wendet sich an Loki. Der zischt ihm ins Ohr: „Sag ja! Es ist doch ganz und gar unmöglich, dass er es schafft.“ Und so wird es mit Handschlag abgemacht und beschworen. Die Asen lachen froh und loben Loki für seinen schlauen Plan.

Doch als der Baumeister sich an die Arbeit macht, stellt sich heraus, dass er wirklich über Riesenkräfte verfügt, und sein Pferd kann unglaubliche Lasten ziehen. Es sieht ganz so aus, als bräuchten beide keinen Schlaf, denn sie arbeiten Tag und Nacht. Untertags zieht der Meister die Mauern hoch und nachts schleppt er mit seinem Pferd die großen Steinbrocken herbei. Manchen unter den Asen wird die Sache unheimlich. „Und wenn er nun tatsächlich fertig wird, was machen wir dann?“ Aber Loki wiegelt ab. „Wartet nur bis es schneit“, sagt er, „dann wird es langsamer vorangehen.“

Der Wind heult fast wie ein verlassener Hund, dicke Schneewehen decken die große Wiese von Asgard zu, es ist so kalt, dass die Suppe auf dem Tisch gefriert, doch den Baumeister scheint das nicht zu stören. Die Mauer wächst von Tag zu Tag und Odin macht sich Sorgen.

Als es zu tauen anfängt, sieht es schlecht für die Asen aus. „Was machen wir nun, wenn der Mann fertig wird?“ fragen sie sich. „Sollen wir ihm wirklich Sonne und Mond geben und die Welt zugrunde richten? Und was ist mit Freia? So rede doch Odin!“

„Das kommt gar nicht in Frage“, ruft der Götterkönig. „Die Göttin der Liebe mit einem hergelaufenen Handwerker! Obwohl… obwohl… Ein Versprechen ist ein Versprechen, und ein Schwur ist ein Schwur. Das ist alles deine Schuld, “ sagt er und schaut Loki schief an.

Die Stimmung in Asgard ist trübe. Thor ist wütend und hält es nicht mehr zu Hause aus. Er zieht in den Osten, um seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Kampf gegen die Riesen nachzugehen. Freia lässt sich nicht mehr blicken; sie hat sich eingeschlossen und will mit niemand reden.

Drei Tage vor Sommeranfang ist der Baumeister soweit, dass er nur noch die Burgpforte fertig stellen muss. Da beruft Odin eine Ratsversammlung ein. Alle klagen Loki an. Das kommt davon, sagen sie, wenn man auf diesen Lügner hört. Aber Lokis Frau erinnert daran, dass alle mit seinem Vorschlag einverstanden waren und damit hat sie recht. Frei lässt sich nicht beschwichtigen. „Falls dieser Lumpenkerl mit meiner Schwester Freia davonzieht, Loki“, brüllt er, „dann hast du nichts mehr zu lachen! Dann breche ich dir sämtliche Knochen im Leib und du stirbst einen langsamen und schmerzhaften Tod.“

Loki fleht Odin um Hilfe an, aber der hört nicht auf ihn. Sein Blick ist kalt und unerbittlich. „Und wenn du hundertmal mein Milchbruder bist“, ruft er, „das wird dir nichts nützen. Du hast uns in diese Klemme gebracht. Nun sieh zu, wie du uns und dir wieder heraushilfst!“

Am selben Abend – der Baumeister ist gerade dabei, die letzten Steine herbeizuschaffen, erscheint plötzlich aus dem Wald eine fremde Stute. Sie wiehert verspielt, schlägt mit den Hinterläufen, schlägt übermütig mit dem Schwanz und tanzt um den großen Hengst des Baumeisters herum. Der kann ihr nicht widerstehen, und die beiden Pferde verschwinden im Wald. Der Baumeister stolpert durch die Nacht und versucht sie einzufangen, aber er kann sie nirgends finden.

Am anderen Morgen kehrt sein Hengst zurück, aber es ist zu spät. Für die Burgpforte fehlen die Steine. Er kann sie nicht fertig stellen. Die Asen sind herbeigeeilt und schauen ihm zu. Seine ganze Arbeit war vergebens. „Ihr habt mich hereingelegt!“, schreit er und droht ihnen mit der Faust. Vor lauter Wut zeigt sich seine Trollnatur. Er sprengt seine Verkleidung, und die Asen merken, dass er kein Mensch ist, sondern einer von den Riesen. Immer größer bäumt er sich auf und schon will er handgreiflich werden, da kehrt Thor von seinem Ausflug zurück. Der Hammer Mjölner saust durch die Luft und zerschmettert den Schädel des Trolls.

Aber wo ist Loki? Er hat sich vorsichtshalber aus dem Staub gemacht und wagt sich erst spät im Herbst wieder nach Hause. Er humpelt, und hinter sich zieht er ein graues Fohlen, das acht Beine hat. „Was ist denn das?“ fragt Odin. „Das ist mein Geschenk für dich“, sagt Loki. Dieses Fohlen heißt Sleipnir, und wenn es aufgewachsen ist, wird sich kein anderes Pferd mit ihm messen können. Auf Sleipnir kannst du ins Totenreich reiten und unversehrt wiederkehren.“

„Sag mir, wo du es her hast“, fragt Odin und streichelt das Fohlen. „Ganz einfach“, antwortet Loki, „ich habe es selber zur Welt gebracht.“ Da verstand Odin, dass die Stute, die sich mit dem Hengst des Baumeisters herumgetrieben hatte, eine von Lokis Verwandlungen war. „Du mit deinen Zauberkünsten!“ murmelt er und schenkt ihm einen bewundernden Blick. Soviel ich auch weiß, denkt er, aus Loki werde ich nie richtig klug werden.

Lange Zeit hat der Frieden zwischen Asen und Wanen gehalten, aber eines Tages geht er zu Ende. Etwas Großes, Blutiges wird über die Mauer nach Asgard hereingeworfen. Es ist ein Kopf, der über die große Wiese rollt – Mimes Kopf. Die Wanen haben ihn abgeschlagen, und niemand weiß, warum. Vielleicht, weil er ein alter Freund Odins war? Der König der Asen hebt ihn auf und reibt ihn mit einer Salbe aus Kräutern ein. Er kennt auch die richtigen Beschwörungsformeln; denn mit der Zeit ist Odin ein Meister der Zauberkünste geworden. Und tatsächlich, das Wunder geschieht. Der Kopf wird wieder lebendig. Mime schlägt die Augen auf, er macht den Mund auf und fängt an zu reden.

„Was ist passiert?“ fragt Odin. „Es sieht übel aus“, antwortet Mimes Kopf. „Die Wanen finden, dass sie einen schlechten Handel gemacht haben, als sie Njord, Frei und Freia gegen Huhne und mich ausgetauscht haben.“ „Aber dieser Tausch war doch das Unterpfand des Friedens. Außerdem haben die Wanen selber den Huhne zu ihrem Häuptling gewählt. Worüber beklagen sie sich?“

Ja“, spricht Mimes Kopf, „das ist es eben! Diese Wahl haben sie oft bereut. Anfangs ging alles gut, und sie waren froh, dass der Krieg vorbei war.“

„Na also! Und was Huhne betrifft, so ist er stark und hochgewachsen, ein echter Häuptling.“

„Ja, er sieht gut aus, das kann niemand bestreiten. Aber das ist auch alles, was für ihn spricht. Breite Schultern und schmale Hüften. Nur um ordentlich zu regieren, braucht es auch ein wenig Verstand, und daran fehlt es ihm.“

„Er hatte doch dich als Ratgeber, Mime“, sagt Odin. „Da konnte er kaum etwas falsch machen.“

„Gewiss“, antwortet der Kopf, „aber wie sollte ich denn Tag und Nacht aufpassen, dass er keine Dummheiten macht? Solange ich dabei war, ist alles gut gegangen. Aber kaum ließ ich ihn aus den Augen, da wusste er nicht, was er machen sollte. – das müssten sie selber entscheiden, so sagte er, wie solle er das wissen – und dabei bildete er sich noch wunder was ein. Du musst wissen, dass er ziemlich größenwahnsinnig geworden ist. Er wäre es, behauptete er, der mit dir zusammen die Welt erschaffen hat; auch die Menschen hat er angeblich die Seele eingehaucht.“

„Dummes Gerede“, sagt Odin.

„Ja, das fanden die Wanen auch. Und eines Tages hatten sie es satt, ihm zu folgen.“ „Aber warum haben sie dann dich umgebracht und nicht ihn?“ fragt Odin.

„Ich glaube, sie wollten der Welt zeigen, was für ein Dummkopf dieser Huhne ist. Ohne mich bringt er nichts zustande und macht sich zum Gespött von ganz Wanheim.“

„Das geht zu weit!“ ruft Odin erbost. „Nicht nur lachen sie Huhne aus, der immerhin einer der Unseren ist, sie vergreifen sich auch noch an dir, meinem alten Freund!“

„Ja“, antwortet der Kopf ruhig. „Es reut sie, dass sie besser und klüger sind als ihr.“

„Wenn sie Krieg haben wollen, sollen sie Krieg haben“, sagt Odin, „und diesmal werden wir bis zum Ende kämpfen.“

Die Asen rüsten ein mächtiges Heer. Odin teilt seine Truppen in zwei Teile. Die größte Schar, angeführt von Tyr, zieht auf dem Landweg gen Wanheim. Tyr ist nicht der stärkste unter den Asen, aber keiner ist kühner und unverfrorener. Odin selbst steht an der Spitze der zweiten Truppe. Er wählt den Seeweg. Von Frei leiht er sich das Zauberschiff, das ihm die Zwerge geschenkt haben, und das auf dem Land so gut wie auf dem Wasser fährt. Frei und Njord, die von den Wanen abstammen, erlaubt Odin nicht, mit ins Feld zu ziehen, damit sie nicht gegen ihre Verwandtschaft kämpfen müssen. Sie bleiben in Asgard, um die Burg im Notfall zu verteidigen. Der zweite Krieg wird härter als der erste, aber diesmal haben die Asen bessere Waffen, und auch in der Zauberkunst sind sie den Wanen ebenbürtig geworden. Der Gegner merkt, dass er der Übermacht der Asen nicht gewachsen ist, und zieht sich nach Wanheim zurück. Immer wieder greifen die Asen die belagerte Festung an, aber die Mauern halten stand, bis endlich dunkle Wolken aufziehen und ein seltsames Dröhnen die Luft erfüllt. Die Asen haben noch eine unangenehme Überraschung für ihre Feinde bereitgehalten. Ein Fuhrwerk, von zwei Böcken gezogen, rollt donnernd über den Himmel. Sein Lenker ist Thor, der, mit Eisenhandschuhen angetan, Blitze in die Festung schleudert. Mit der einen Hand treibt er die Zauberböcke an, in der anderen schwingt er Mjölner, seinen Hammer. Bald fällt die Festung, und die Wanen ergeben sich. Huhne besiegelt den Frieden und kehrt zu den Asen zurück. Aber diesmal endet der Krieg nicht wie beim ersten Mal. Diesmal sind die Wanen endgültig besiegt. Odin hat keine Lust, ihnen eine dritte Chance zu geben. Er ist schon lange zu dem Schluss gekommen, dass die Welt nicht Platz für zwei Göttersippen hat. Es muss ein Ende haben mit Eifersucht und Rangelei. Aber muss man deshalb alle Wanen umbringen? Nicht unbedingt. Alle, die Odins Herrschaft anerkennen, sollen am Leben bleiben. Odin ist sogar bereit, sie in Asgard aufzunehmen.

Er lässt ein großes Gefäß aufstellen und versammelt alle Überlebenden, Asen wie Wanen, um diesen Napf. Jeder muss in das Gefäß spucken, als Zeichen dafür, dass er sich vor Odin beugt. Wer sich weigert, muss sterben. Und so geschieht es. Aus dem Speichel der Götter erschafft Odin eine lebendige Gestalt, einen Mann, den er Kvasir nennt, und gibt ihm eine Zunge. „Geh zu den Menschen“, sagt Odin, „erzähle ihnen von unserm Sieg und lehre sie Weisheit. Weil du aus Götterspucke erschaffen bist, wirst du so klug sein, dass niemand dich etwas fragen kann, ohne dass du die Antwort weiß.“

Nun wird auf Asgard ein großes Fest ausgerichtet. Die Asen haben allen Grund zu feiern. Nur Odin findet keine Ruhe. Es gibt etwas, was er mit sich allein abmachen muss. Deswegen verlässt er heimlich den Festsaal und reitet nach Jotunheim zu den Riesen. Unter seinem Mantel trägt er den Mimes Kopf. Er sucht die Quelle auf, an der sich die beiden vor langer Zeit zum ersten Mal begegnet sind. Behutsam bettet er den Kopf auf das Moos am Brunnenrand.

„Ich werde einen langen Schlaf tun“, flüstert Mimes Kopf. „Doch wenn einer kommt, um aus dieser Quelle zu trinken, werde ich erwachen und ihn verjagen. Denn dieses Wasser gehört uns beiden allein. So war es, und so soll es bleiben.“

„Ich werde wiederkommen“, sagt Odin. „So oft du willst“, antwortet der Kopf. „Tot oder lebendig, ich werde immer dein Freund und Ratgeber bleiben.“

So nimmt Odin Abschied von Mime und reitet langsam nach Asgard. Er ist kein junger Gott mehr. In seinem Bart zeigen sich schon die ersten grauen Haare. Gewiss, er ist Odin, der Einäugige, Herr über alles, was schwimmt, kriecht und fliegt. Und trotzdem liegt ihm die Ratlosigkeit im Blut. Nach wie vor gibt es viele Entdeckungen zu machen und viele Rätsel, die es noch zu lösen gilt.

Kapitel 3; Der Einäugige König

Odin - der Göttervater Die höchste und erste Gottheit. Himmelsgott, Dichtergott sowie Kriegs- und Totengott.

Odin – der Göttervater
Die höchste und erste Gottheit.
Himmelsgott, Dichtergott sowie Kriegs- und Totengott.

Jeden Morgen ganz früh in der Dämmerung, flogen zwei Raben in die Welt hinaus. Sie heißen Hugin und Munin. Hoch über Götter und Menschen, Alben und Zwergen schweben sie, und nichts entgeht ihnen, nicht einmal in Jotunheim und in Einöd.

Sie erblicken Riesenfrauen, die auf rasenden Wölfen heim reiten. Sie sehen, wie gewaltige Trolle in Gebirgsschluchten und Grotten schlüpfen. Die meisten von dieser Sippe, können nämlich das Tageslicht nicht ertragen. Über ganz Einöd verstreut liegen die mit Moss bewachsenen Überreste von Riesen, die zersprungen und zu Stein geworden sind, weil sie getrödelt und nicht beizeiten ihre Schlupfwinkel erreicht haben, bevor die Sonne aufging. Wie Findlinge liegen sie herum, hier ein Finger, dort ein Fuß.

Bis hinaus, auf das wilde Weltmeer fliegen die beiden Raben. Sie sehen wie die Meermänner und Meerfrauen in den Wellen spielen. Bis zum Nabel sehen diese wie Menschen aus, aber am Unterleib gleichen sie Fischen. Zwischen ihren Fingern spannen sich Schwimmhäute, und ihre Hände sind riesengroß.

Hier draußen herrscht der Troll Ägir. Er ist der Bruder des Feuers und des Windes. Seine Frau heißt Ron, und ihre Töchter sind die Wogen. Ron wirft ein Netz aus und fischt nach den Seefahrern. Wer sich nicht vor ihr hütet, den zieht sie in die Tiefe.

Wenn die Sonne aufgegangen ist, fliegen die Raben über Mitgard, der Heimat der Menschen. Dort lecken die Leute immer noch ihre Wunden, denn der Krieg zwischen Asen und Wanen war langwierig und blutig.

Wenn die Großen und Mächtigen miteinander kämpfen, haben die Kleinen am meisten unter ihrem Streit zu leiden. Doch jetzt herrscht wieder Frieden. Die Asen haben ja gesiegt, und nie wieder soll es andere Götter neben ihnen geben. Trotzdem sind die Menschen ängstlich und fühlen sich unsicher. Denn es ist eine Sache, Krieg zu führen, und eine ganz andere, die Welt in Friedenszeiten zu regieren. Die Menschen fragen sich, ob Odin und seine Söhne dieser Aufgabe gewachsen sind.

Die Raben spähen und lauschen. sie folgen einer hochgewachsenen, bleichen Gestalt, die von Ort zu Ort, von einem Dorf zum anderen geht. Keiner weiß so viele Geschichten zu erzählen, wie dieser Wanderer, und keiner kann so viele Fragen beantworten. Überall scharen sich die Menschen um ihn, und bereitwillig gibt er ihnen Auskunft. Dennoch ist und bleibt er seltsam einsam. Denn Kvasir ist nicht so wie andere Männer. Nie ist er ein Kind gewesen. Keine Frau hat ihn geboren.

Er ist erwachsen zur Welt gekommen, als Geschenk der Götter, zu den Menschen gesandt, um sie Weisheit zu lehren. Die Götter schufen ihn gemeinsam, als einer nach dem andern hervortrat, um in den großen Napf zu spucken.

Wenn es Zeit wird zu frühstücken, fliegen die beiden Raben nach Asgard zurück. Sie flattern ins Haus, und setzen sich auf Odins Schultern. Während er isst, flüstern und krächzen sie ihm ins Ohr und sagen ihm alles, was sie gesehen und erlebt haben. Auf diese Weise erfährt der Götterkönig, was es von nah und fern Neues auf der Welt gibt.

wenn ihre Botschaft ihn neugierig macht, dann zieht Odin selber hinaus, um sich mit eigenen Augen Gewissheit zu verschaffen, denn er will alles ganz genau wissen. Dazu wählt er eine Verkleidung. Er zieht einen dunklen Mantel an und verbirgt sein Gesicht im Schatten eines Hutes mit breiter Krempe. Wenn er etwas nicht versteht, sucht er die drei Nornen auf. Das sind die Göttinnen, die an der Wurzel der Weltesche Yggdrasil wohnen.

Die Nornen heißen Urd, Werdande und Skuld. Die erste, ist die Göttin der Vorzeit, die zweite der Gegenwart, die dritte der Zukunft. Sie wissen alles, was geschehen ist, geschieht und geschehen wird. Wenn ein Kind geboren wird, ist immer eine der Nornen zur Stelle. Sie sieht das Schicksal, das dem Kind bestimmt ist. keiner lebt länger, als die Nornen vorausgesagt haben. Die drei sind nicht die einzigen ihrer Art; es gibt auch andere Nornen, aus der Sippe der Alben und der Zwerge. Manche sind gut, manche böse, aber keine von ihnen ist so mächtig wie die drei, die an der Quelle leben.

Am liebsten möchte auch Odin teilhaben an ihrer Gabe, in die Zukunft zu sehen. Wenn er den dreien zuhört, wird er unruhig. Ist denn alles immer vorausbestimmt? Kann keiner etwas daran ändern? Spielt es keine Rolle, was wir tun oder lassen?

Er fragt seine Frau Frigga. „Was geschehen soll, geschieht“, sagt sie. Auch Frigga hat das Zweite Gesicht. Ein Stück weit kann sie in die Zukunft sehen, aber ihr Blick reicht nicht weiter, als ein paar Winter. Odin hört ihr zu und schweigt. Für ihn liegt das Kommende im Nebel. Eigentlich ist ihm das ganz recht; denn er will die Geschicke der Welt lenken. Er möchte kämpfen, um zu erreichen, was er sich vorgenommen hat, und er braucht den Glauben daran, dass dieser Kampf einen Sinn hat. Und trotzdem kann er es nicht lassen, die drei Nornen aufzusuchen. Er fragt und sie antworten. Wenn ihre Antwort anders ausfällt, als er hofft, wird er ärgerlich.

„Nein“, ruft er, „so soll es nicht gehen. Was ihr seht ist nur eine unter tausend Möglichkeiten. Wir selber haben die Wahl!“ Dann lächeln die Nornen und Odin wird wütend.

Er hat noch so viel vor, dass er keine Zeit mit Schachspielen und Turnieren verschwenden kann. Selten geht er mit den anderen Asen auf die Jagd. Meistens sitzt er allein da und grübelt. „Was hast du denn Milchbruder?“ fragt Loki. „Komm lieber mit nach Jotunheim. Lass uns den Trollmädchen nachlaufen, so wie früher.“

Loki hat dort eine neue Freundin gefunden. „Lüstern wie ein Fohlen ist sie“, sagt er, „und wild wie eine Katze.“ Aber Odin schüttelt den Kopf. Er hat Wichtigeres zu tun. Es ist nicht mehr so wie früher. Jetzt lastet die Verantwortung auf ihm für alles, was er erschaffen hat. Er will die Welt so gut wie möglich regieren. Aber wie kann er das, wenn die Nornen recht haben und alles seine eigenen Wege geht, so wie es vorbestimmt ist? Wie kommt es, dass sie mehr wissen als er selber? Schließlich sind diese drei auch nur ein paar Wahrsagerinnen – oder bestimmen sie am Ende wirklich, was geschehen soll? „Dein eines Auge hast du schon eingebüßt“, sagt Loki, „Nimm dich in acht, dass du nicht auch noch den Verstand verlierst! Wer viel grübelt, geht viel in die Irre.“

Eines Morgens kehren die beiden Raben zurück und bringen schlechte Nachrichten mit. Kvasir der Weise soll gestorben sein. In Mitgard sagen die Leute zum Spaß, er sei an seiner eigenen Weisheit erstickt. „Da siehst du es“, sagt Loki. „Lass es dir eine Lehre sein!“

Aber Odin ist bekümmert. Kvasir war die Stimme der Vernunft, und jetzt ist sie verstummt. Odin will sich nicht mit bloßen Gerüchten begnügen.

Bald entdeckt er, wie es zugegangen ist. Zwei Zwerge, Fjalar und Galar, haben Kvasir in ihr Reich gelockt.

„Wir wollen mit dir sprechen, wo uns niemand stören kann“, sagten sie und er folgte ihnen. Die Zwerge warfen sich über ihn und stachen mit scharfen Messern auf ihn ein. Das Blut spritzte aus seinen Adern, aber kaum ein Tropfen ging verloren, denn die Zwerge fingen es in zwei Krügen und einem großen Kessel auf. Dann mischten die Zwerge Honig in das viele Blut und brauten daraus einen Trank. Wer von diesem kostbaren Met trinkt, wird ein Dichter oder Weiser.

Doch die Zwerge wollen diesen Trank mit niemandem teilen. Er soll ihr Geheimnis bleiben. Trotzdem hat sich die Sache herumgesprochen. Denn die beiden gierigen Zwerge waren mit dem Mord an Kvasir nicht zufrieden. Sie brachten auch noch einen Riesen um, der ihnen im Wege war, und als dessen Frau ihnen mit ihrem Jammer in den Ohren lag, haben sie einen Mühlstein auf ihren Kopf fallen lassen.

Als aber der Troll Suttung hörte, was die Zwerge seinen Eltern angetan hatten, verfolgte er Fjalar und Galar, fing sie und band sie an einer Schäre fest, die so flach ist, dass das Meer sie bei jeder Flut überspült. Die Zwerge winselten und baten um Gnade. Sie versprachen Suttung Gold und geschmiedete Kostbarkeiten, doch er lachte sie aus, bis sie in ihrer Not verrieten, was es mit dem Met auf sich hatte. Da ging Suttung auf einen Handel ein. Er bekam den Met und schenkte ihnen das Leben.

Odin ist außer sich, als er erfährt, wie Kvasir umgebracht worden ist. Er will sich an den Zwergen rächen. Noch wichtiger ist es ihm, den magischen Met zu kosten. Hat er nicht bestimmt, dass Kvasirs Weisheit den Menschen zugute kommen soll? Odin gönnt den Mächten der Finsternis ihren Triumph nicht. Er will sein Geschenk zurückfordern. Das wird nicht leicht sein, denn Suttung ist ein reicher und mächtiger Riese. Schon heißt der Trunk nicht mehr Kvasirs Blut; die Leute nennen ihn Suttungs Met. Er hat ihn an einem sichern Ort versteckt, tief im Innern eines Berges. Hätte Odin Thor mitgebracht, so könnte er den Troll zum Kampf herausfordern; Thors Hammer wäre rasch mit ihm fertig geworden. Aber ohne Waffen muss Odin es mit List versuchen. Er geht nicht zu Suttung, sondern zu dessen Bruder Bauge. Auf dem Hof begegnet er neun Leibeigenen, die dabei sind, das Heu zu mähen. „Soll ich euch eure Sensen dengeln?“, fragt er sie. Damit sind sie gerne einverstanden. Odin holt einen Wetzstein hervor und macht sich ans Werk. Am Ende sind die Sensen so scharf wie nie zuvor. Die verwunderten Schnitter wollen ihm seinen Wetzstein abkaufen. „Ich will ihn hoch in die Luft werfen“, sagt Odin, „und derjenige, der ihn auffängt, soll ihn haben.“ Alle strecken gleichzeitig die Hände nach dem Stein aus, und in dem Durcheinander schneiden sie einander mit ihren Sensen die Hälse ab.

Nun geht Odin weiter und klopft an Bauges Tür. Er gibt sich für einen armen Wanderer aus und bittet den Riesen um Unterkunft für die Nacht. Am andern Morgen beklagt sich Bauge darüber, dass seine neun Leute sich gegenseitig umgebracht haben. „Ich weiß nicht, wie ich nun mein Heu einbringen soll“, sagt er.

„Oh, das kann ich gern übernehmen“, antwortet Odin.

Der Riese lacht ihn aus. „Was, du willst ganz allein die Arbeit von neun Männern tun?“

Aber der Gast bleibt bei seinem Vorschlag. „Also gut“, sagt der Riese. „Doch sag mir, welchen Lohn du dir ausbedingst.“

„Ich möchte nur von Suttungs Met trinken“, antwortet Odin. „Ho“, lacht der Riese, „das kann ich dir wahrhaftig nicht versprechen. Denn darüber bestimmt allein mein Bruder. Und es würde mich wundern, wenn er bereit wäre, dir etwas davon abzugeben.“

„Du könntest ihn wenigstens fragen“, meint Odin. „Das schon“, sagt Bauge, „aber was ist, wenn er nein sagt?“

„Dann versprichst du, mir den Met auf andere Weise zu verschaffen.“ Da kann sich Bauge kaum halten vor Lachen. „Versprechen kann ich alles, das kostet nichts“, sagt er, weil er ganz genau weiß, dass er Odins Verlangen unmöglich erfüllen kann.

Den ganzen Sommer übernimmt Odin die Arbeit der neun Männer, und als der Herbst kommt, verlangt er seinen Lohn. Doch Suttung weigert sich, auch nur einen Tropfen von dem Met herzugeben. „Dann müssen wir es eben mit einer List versuchen“, sagt Odin und erinnert Bauge an sein Versprechen.

Hinterm Berg, wo Suttung die beiden nicht sehen kann, holt Odin eine Bohrwinde hervor und wendet sich an seinen Schuldner: „Worauf wartest du? Bohr mir ein Loch in den Berg! Stark genug bist du doch.“ Und der Riese macht sich an die Arbeit. Langsam, aber sicher frisst der Bohrer sich in Suttungs Festung hinein. „Nun ist das Loch durch“, behauptet Bauge. Odin bläst hinein, doch es wirbeln ihm Staub und Späne ins Gesicht. „Du willst mich für dumm verkaufen“, ruft er. „Weiterbohren!“

Beim nächsten Mal fliegt ihm kein Staub mehr entgegen, und nun weiß er, dass der Bohrer in die Festung eingedrungen ist. „Was soll das Ganze“, fragt sich Bauge. „So ein winziges Loch, damit kannst du doch nichts anfangen.“ Aber sein Grinsen verrät, dass er sich seiner Sache nicht mehr sicher ist. Und ehe er sich’s versieht, hat Odin sich in eine Schlange verwandelt und ist im Bohrloch verschwunden. Bauge sticht mit der Spitze des Bohrers nach ihm, aber er kann ihn nicht treffen.

Kaum in der Burg des Riesen angekommen, nimmt Odin wieder seine wahre Gestalt an. Er weiß. dass Bauge es nicht wagen kann, ihn zu verraten; denn dann müsste er seinem Bruder gestehen, dass er Odin geholfen hat. Vorsichtig tastet sich Odin von einem Zimmer zum andern und sucht nach dem Met. Im tiefsten Keller der Bergfestung wird er fündig. Der Riese hat seine Tochter Gunnlod als Wächterin neben die Gefäße mit dem Trank gesetzt. Sie ist groß und stark, aber Odin wirft einen Zauberbann über sie, und als sie ihm entgegentritt, vergisst sie, dass sie kämpfen wollte, und umarmt ihn. Als der Gott sie küsst, gibt sie ihm nach. Sanft wie ein verliebtes Lamm kann sie ihm nichts verweigern.

Drei Nächte lang schläft Odin mit ihr, und jede Nacht lässt sie ihn den Met schmecken. In der ersten Nacht trinkt er den ersten Kessel aus, und in den folgenden Nächten leert er die übrigen. Dann denkt er nur noch daran, sich aus dem Staub zu machen. Als die Trolltochter schläft, schleicht er sich hinaus. Er verwandelt sich in einen Adler und fliegt davon. Das Mädchen erwacht. Ihre Schreie wecken Suttung. Der Riese versteht, was geschehen ist. Auch er nimmt die Gestalt eines Adlers an und jagt Odin nach. Der fliegt, so schnell er kann, aber er ist schwer, weil er so viel Met getrunken hat. Sein Verfolger kommt immer näher. Ob Odin die Burg der Götter heil erreichen wird?

Auf der großen Wiese in Asgard blicken die Asen zum Himmel und sehen zwei Adler, die einander jagen. Beide kommen immer näher. Erst als Odin ruft, erkennen sie ihn. „Schnell“, ruft er, „holt so viele Krüge und Schüsseln herbei wie ihr könnt!“ Dann flattert er nieder und speit Kvasirs Met in die Gefäße. Doch schon schwebt Suttung über ihm und droht ihm seine Klauen ins Genick zu schlagen. Da weiß Odin keinen andern Rat, als ihn zu blenden, indem er ihm eine Ladung Met ins Gesicht spritzt. Nun können die andern Asen ihn mit Steinen und Speeren verjagen.

Der weise Kwasir

Kwasir wurde zu den Wanen gezählt und ist ein Wesen göttlicher Weisheit.

Kwasir wurde zu den Wanen gezählt und ist ein Wesen göttlicher Weisheit.

So hat Odin Kvasirs Blut zurückerobert. Seitdem heißt dieser Met auch der Trunk der Zwerge, Suttungs Met und Odins Beute. Auch nennt man ihn den Met der Dichter; denn Odin sagt, dass nur jene Götter und Menschen davon trinken dürfen, die sich auf die Dichtkunst verstehen. Als Hüter des Trankes bestellt er einen seiner Söhne. Brage soll von nun an der Gott der Poesie und der Redekunst sein. Odin hat erkannt, dass er allein sich nicht um alles kümmern kann. Um über die ganze Welt zu herrschen, müssen sich die Asen die Arbeit teilen.

„Meinetwegen“, sagt Loki, „soll Brage nur über das Zeug verfügen, das wir in Krügen und Schüsseln gesammelt haben, Aber was ist mit dem Rest, den du dem Troll ins Gesicht gepinkelt hast?“

„Der soll uns nicht kümmern“, sagt Odin, „was davon zu Boden gefallen ist, kann da liegenbleiben. Wer davon kosten will, soll es haben.“ Loki grinst. „Wir wollen es das Getränk der schlechten Dichter nennen“, schlägt er vor, und die Asen stimmen ihm lachend zu.

An diesem Abend feiern die Asen ein Fest um Odin willkommen zu heißen. Es wird gesungen und getanzt. Jeder möchte eine neue Geschichte erzählen und mit seinen Taten prahlen. Einer übertrifft dabei den anderen, doch als Loki das Wort ergreift, wird es still im Saal. Denn er weiß von einer Trollfrau zu berichten, mit der er sich den ganzen Frühling über herumgetrieben hat. Drei Kinder hat sie ihm geboren.

„Das erste Kind ist ein Wolf“, erzählt er, „das zweite eine Schlange, und das dritte ein Mädchen. Sie ist weiß auf der rechten und blauschwarz auf der linken Seite.“

Alle haben das Gefühl, dass dies ein böses Zeichen ist. Sogar Lokis Frau Sygin, die sich alles von ihm gefallen lässt, wird es dabei ängstlich zumute. „Diesmal bist du wirklich zu weit gegangen …“, sagt sie. Aber Loki lacht nur. „Wer von uns hat sich wohl noch nie mit den Trollfrauen eingelassen?“ fragt er. „Wer hat keine Kinder in Jotunheim?“ Aber mit seinen Späßen kann er die beklommene Stimmung nicht vertreiben. Odin verlangt, dass er seine drei Kinder nach Asgard bringt, damit die Asen sehen können, was es mit ihnen auf sich hat.

Noch in derselben Nacht reitet eine bewaffnete Schar von Asen über die Regenbogenbrücke gen Osten. Thor und Tyr sind mit von der Partie, und Loki weist ihnen den Weg. Die Asen wissen ganz genau, dass die Trolle ihnen die drei Kinder Lokis nicht aus freien Stücken überlassen werden. Also gehen sie gleich zum Angriff über. Die Riesen verteidigen sich so gut sie können, aber gegen Thors Hammer kommen sie nicht auf. Bald haben die Asen die Kinder in ihre Gewalt gebracht und schleppen sie mit nach Asgard.

Es sind sehr sonderbare Sprösslinge. Weder Riesen- noch Menschengestalt ist ihnen anzusehen. Fenris, der Wolfswelpe, ist für sein Alter entsetzlich groß. Seine Kiefern gleichen starken Eisenscheren, und seine Augen erinnern an tückische Moorlöcher. Die Schlange ist ein unheimliches, giftsprühendes Reptil. Und was das Mädchen Hel angeht – niemand hat je ein Kind mit so kaltem Gesicht und so gierigen Augen gesehen. „Sind sie nicht erstaunlich meine Kinder?“ fragt Loki und lacht triumphierend.

Aber die Asen wollen seine Brut am liebsten gleich umbringen. „Deine Bankerten sind eine Schande für Asgard“, sagen sie, „und wer weiß, ob sie uns nicht Verderben bringen.“ Doch Odin erinnert sie an ein altes Versprechen. „Habt ihr nicht alle gelobt, dass Asgard eine heilige Freistatt sein soll? Dieses Gesetz gilt für alle, die zu uns kommen, ob wir sie mögen oder nicht.“

„Es muss doch Wege geben, diese drei Ungeheuer loszuwerden“, murmeln die Asen.

Odin beschließt, die Nornen um Rat zu fragen. Und was sagt Urd? „Mächtigere Feinde als diese haben sich nie in Asgards Mauern eingenistet. Eines Tages werden sie sich an die Spitze aller Mächte der Finsternis stellen.“

„Ich sehe Blut“, sagt Werdande, die zweite der Nornen. „Das ihrige oder das meine?“ fragt Odin. Darauf wollen die Seherinnen nicht antworten, doch Odin ist hartnäckig und wiederholt seine Frage. Da sagt Skuld, die dritte: „Der Fenriswolf wird dich eines Tages verschlingen“, und schlägt die Augen nieder. Odin ballt die Fäuste. „Und was ist, wenn ich ihn jetzt gleich umbringe, solange er noch ein Welpe ist?“

„Niemand kann sein Schicksal ändern“, flüstern die Nornen, und mehr bekommt Odin nicht aus ihnen heraus. Als er nach Asgard zurückkehrt, ist er so klug wie zuvor.

Er weiß. dass die Nornen das Leben als ein großes Gewebe betrachten. Die Schicksalsfäden aller Geschöpfe sind mit denen aller anderen verflochten. Odin hat großen Respekt vor allem, was sie sagen. Nie würde er ihrem Rat offen zuwiderhandeln; denn er hat gelernt mit allem, was er nicht versteht, vorsichtig umzugehen. Doch zugleich hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sein Wille etwas ändern kann; er glaubt, dass es immer einen Ausweg gibt.

Deshalb schickt er Hel weit weg in die Verbannung nach Niflheim, in den hohen Norden, wo es immer dunkel, kalt und neblig ist. Dort wird sie über das Reich der Toten herrschen. Die Schlange schleudert er weit ins tiefe Weltmeer hinaus. Nur das Wolfskind soll in Asgard bleiben, damit die Asen ein Auge auf das Untier haben können. Sie lassen den Fenris wie einen wilden Hund frei in der Götterburg herumlaufen obwohl er so gefährlich ist, dass selbst sein Vater Loki sich nicht in seine Nähe wagt. Der einzige, der kühn genug ist, den Fenris zu füttern ist Tyr.

Frigga, Odins Frau, gefällt das nicht. „Warum schickst du ihn nicht ans Ende der Welt, wo er keinen Schaden stiften kann?“ fragt sie ihn. Odin hat ihr erzählt, was die Nornen ihm anvertraut haben. Nun schüttelt er den Kopf und antwortet ihr: „Wenn dieser Wolf ein Teil meines Schicksals ist, dann nützt es nichts, ihn fernzuhalten. Lieber habe ich ihn in der Nähe. Dann sehe ich, was er tut und lässt.“

Odin weiß, dass auch die Götter nicht ewig leben. Doch anders als die gewöhnlichen Sterblichen wissen sie, was sie tun können, um jung zu bleiben. Sie halten sich an Iduna. Diese Göttin besitzt einen Schrein, der den wertvollsten aller Schätze birgt, die in Asgard zu finden sind. Das sind ihre Zauberäpfel. Wer davon einen Bissen nimmt, der wird im nu viele Jahre jünger. Ohne Idunas Äpfel wären die Asen längst ergraut; denn sie haben ja viel länger gelebt als alle anderen Wesen auf der Welt.

Aber was wird geschehen, wenn eines Tages alle ihre Äpfel verzehrt sind? Leider hat Iduna vergessen, wo sie diesen Schatz her hat. Sie findet den Weg zu dem Baum, der die Früchte trägt, nicht wieder. Deshalb sind die Asen sehr vorsichtig geworden. Sie beißen immer nur ein winziges Stückchen von den Äpfeln ab. Auch Odin geht sparsam mit ihnen um. Er muss oft an den Tod denken, weil er weiß, wie leicht er durch einen Speer oder eine Axt umkommen kann, oder durch die scharfen Fänge eines Raubtiers. Wie oft hat er mit ansehen müssen, dass einer der Götter gestorben ist, sei es im Kampf oder durch ein Unglück.

Mächtig sind sie, die Asen, aber alles hat seine Grenzen. Freia zum Beispiel herrscht über die Liebe, bei den Göttern und bei den Menschen. Und dennoch hat Odin erlebt, wie sie verzweifelt die Hände rang und Tränen schieren Goldes weinte, als ihr erster Mann sie verraten und verlassen hat. Anderen kann sie helfen, aber sie selber bleibt nicht vom Kummer der Liebe verschont. Allmächtig ist niemand. Das weiß Odin, auch wenn er sich nicht damit abfinden kann.

Jedes Mal wenn ihn dieser Gedanke streift, ist es ihm, als tanze er auf glühenden Eisen. Er möchte alles verstehen und alles können. Das ist seine Stärke, aber auch sein Fluch.

Der Winter zieht sich hin. Draußen auf der großen Wiese streift der Fenriswolf unter den Schneewehen umher. Jeden Tag wird er stärker und gefährlicher. „Was kann denn ein Vater dafür, dass er so schreckliche Kinder bekommt?“ sagt Loki und zuckt die Schultern. Odin behält den Wolf wohl im Auge, doch lieber betrachtet er den Weltenbaum Yggdrasil, der immer grün bleibt, sommers wie winters. Kein Sturm kann ihn umwerfen, kein Frostwind ihm die Blätter von den Zweigen raufen. Tag und Nacht grübelt Odin über das, was Mime ihm einst ins Ohr geflüstert hat: „Wer die Welt verstehen will, muss Yggdrasil verstehen.“ Was bedeutet es eigentlich zu leben? Was bedeutet es zu sterben? Das möchte Odin wissen.

Eines Morgens nach dem Aufstehen bietet sich den Asen ein furchtbares Schauspiel. Der Göttervater hat sich einen Speer in die Rippen gestoßen, und ist hoch in die Äste Yggdrasils geklettert. Dort hängt er jetzt in einer Gabel wie an einem Galgen. Freia läuft hin und will ihn herunterholen. „Las mich in Ruhe!“ ruft Odin. „Ich will mit keinem von euch reden, und ich brauche weder Essen noch Trinken.“

So hängt er dort oben, mehr tot als lebendig, neun Tage und neun Nächte lang. Die Schmerzen machen ihn blind für alles, was um ihn herum vorgeht. Er sieht alles nur durch einen roten Nebel. Doch in der Ferne, jenseits des Leidens, schimmern andere Orte und andere Welten auf. Er ist an die Grenze der Wirklichkeit gelangt. Hin und her pendelt er in der großen Esche zwischen Leben und Tod. Keiner hat sich so nach Weisheit gesehnt wie Odin. Von den Lebenden kann er nichts mehr lernen. Jetzt sucht er Hilfe bei den Toten.

Sie suchen ihn heim, Bekannte und Unbekannte. Jene die erst vor kurzem aus dem Leben geschieden, und andere, die vor langer, langer Zeit fortgegangen sind. Er begegnet seinen eigenen Eltern, den Riesen, die am Leben waren, bevor die Welt geschaffen wurde. Odin ruft sie, er fragt, er spricht mit ihnen, und die Alten antworten ihm.

Er erfährt, das alles einen Namen hat, und das alle diese Namen etwas zu bedeuten haben für den, der sich die Zeit nimmt, ihnen nachzuhorchen. Er lernt Runen zu ritzen, geheimnisvolle und mächtige Zeichen in Holz und Stein zu schneiden. Auch achtzehn starke Zauberlieder erlernt er, mit denen er jedes Feuer löschen und alle Bande und Ketten sprengen kann. Er kann den Sturm fesseln und das Meer bändigen, bösen Hexen Sinn und Verstand rauben. Er kann die Waffen der Feinde stumpf machen und den fliegenden Pfeil in der Luft anhalten. Die Zauberlieder können ihm in der Liebe helfen und ihn gegen Sorgen und Krankheiten feiern.

Als er heruntersteigt vom Baum Yggdrasil, ist er zum wahrhaften Allvater geworden, zum mächtigsten von allen, zum König der Toten und der Lebendigen. Und dennoch fühlt er, dass dies alles nicht genug ist, dass es kein Genug geben kann. Denn seine Ratlosigkeit ist ihm geblieben. Er weiß, dass er sich niemals ruhig und sicher fühlen wird. Doch darüber wird er schweigen.

Unterdessen ist der Fenriswolf so groß geworden, dass es gefährlich wäre, ihn frei herumlaufen zu lassen. Auch hat er gelernt zu sprechen. Jetzt lacht er die Götter aus. Weil die Asen es fast nicht mehr wagen, ohne Wachen und unbewaffnet aus dem Haus zu gehen, verhöhnt er sie.

Zweimal haben die Asen gewaltige Ketten geschmiedet. Beim ersten Mal haben sie so getan, als wollten sie nur die Kräfte des Ungeheuers auf die Probe stellen. Der Fenris ließ sich festketten, ohne sich zu sträuben. Aber kaum war er gefesselt, da brach er seine Ketten entzwei. Beim zweiten Versuch schmiedeten sie eine viel stärkere Kette. „Wenn du die sprengst, wirst du in der ganzen Welt berühmt werden“, sagten sie, um ihm zu schmeicheln, und so ließ er es sich gefallen, dass sie ihn an Haupt und Gliedern fesselten. Doch dann stemmte er sich mit beiden Pranken gegen den Boden und riss sich los, so dass die schweren Eisenglieder durch die Luft wirbelten.

Da ist guter Rat teuer. In ganz Asgard gibt es keinen, der eine noch stärkere Kette schmieden könnte. Und dabei ist der Wolf noch gar nicht ausgewachsen! Die Asen sehen nur einen Ausweg. Sie müssen noch einmal Hilfe bei den Unterirdischen suchen

So schickt Odin einen von Freias Dienern zu den Zwergen. Damit es rascher geht, leiht ihm Frei seinen Eber Gullborste, der schneller ist als jedes Pferd. Er läuft auch auf dem Wasser und durch die Lüfte, und seine Borsten glänzen so hell, dass es um ihn herum nie dunkel wird.

Die Zwerge freuen sich über Odins Geschenke und über die Zeichen seiner Freundschaft. „Wir helfen euch gerne“, sagen sie und fangen sogleich an, eine ganz besondere Kette zu schmieden. Sie besteht aus den Wurzeln der Berge, den Sehnen der Bären, dem Speichel der Vögel, dem Atem der Fische, dem Bart der Frauen und dem Lärm der Katzenpfoten. Diese Kette ist glatt und weich wie ein Seidenband. Seit diesem Tag tragen die Frauen keinen Bart mehr, die Berge haben keine Wurzeln und die Katzen kommen lautlos daher.

Die Asen sind von dem Werk der Zwerge sehr angetan. Sie locken den Wolf zu einer Insel im See und zeigen ihm die Kette. „Sie ist stärker als sie aussieht“, sagen sie. „Wir haben versucht, sie mit den Händen zu zerreißen, aber keiner von uns war stark genug dafür. Das kannst nur du schaffen.“ Aber der Fenriswolf ist misstrauisch und will sich auf keinen Versuch einlassen. „So ein dünnes Band“, sagt er. „Das zu sprengen, würde mir kaum viel Ruhm einbringen. Vielleicht steckt doch eine List dahinter, sonst hättet ihr mich wohl nicht hierhergelockt. Aber das lasse ich nicht mit mir machen.“

„Früher warst du nicht so ängstlich“, antworten die Asen. „Die stärksten Eisenketten hast du wie Strohhalme zerfetzt, und jetzt schreckst du vor einer solchen Schnur zurück? Übrigens sollte es dir nicht gelingen, die Ketten zu sprengen, so bräuchten wir dich nicht mehr zu fürchten. Dann würden wir dich augenblicklich lösen.“

Da lacht der Wolf. „Das soll ich euch glauben?“ ruft er „Wenn ich mich wirklich nicht von diesem lächerlichen Band befreien könnte, dann wärt ihr sicherlich die letzten, die mich freiließen. Aber sei´s drum. Niemand soll mir nachsagen, dass es mir an Mut fehlt. Nur verlange ich, dass einer von euch seine Hand in mein Maul steckt, als Pfand dafür dass ihr keinen Hinterhalt im Sinn habt.“

Jetzt stecken die Asen in der Zwickmühle. Sie sehen einander an, und keiner zeigt große Lust, die Hand in den Rachen des Wolfes zu stecken. Odin nicht, und auch Thor nicht. Am Ende aber tritt Tyr hervor, Er ist nicht der stärkste der Asen, aber keiner ist so tollkühn wie er. Er hat sich in vielen Kämpfen bewährt, und er weiß, dass man etwas wagen muss, wenn man siegen will.

Er legt die Hand in den Wolfsrachen und der Fenris lässt sich fesseln. Die Asen lachen, denn je heftiger das Ungeheuer zappelt und stößt, desto strammer schlingt sich das Band um seine Glieder. Er begreift, dass er gefangen ist und dass die Asen ihn nie wieder befreien werden. Nur Tyr lacht nicht, denn der Wolf beißt ihm die Hand ab.

Die Asen ziehen das Ende der Kette unter einem großen Felsblock hindurch und vergraben es tief in der Erde. Darüber wälzen sie einen noch größeren Stein. Der Fenriswolf knurrt und schnappt wild um sich. Thor tritt hervor und stößt sein Schwert in den Schlund des Untiers, so dass der Griff gegen den unteren, die Spitze aber gegen den oberen Gaumen stößt. Gegen diese Maulsperre kann der Wolf nichts ausrichten. Er legt sich nieder, doch heult er furchtbar und der Schaum tritt ihm aus den Lefzen.

Noch einmal sucht Odin die Nornen auf. „Hab ich den Kampf gewonnen?“ fragt er sie. Doch die drei Nornen schütteln den Kopf. „Alles geschieht, wie es geschehen muss“, antwortet Urd.

„Wir haben den Wolf doch gebunden“, wendet Odin ein. „Eines Tages wird er sich befreien“, sagt Werdande, und Skuld fügt hinzu: „Alles ist im voraus bestimmt. Auf die Namen musst du achten. Jeder Name hat etwas zu bedeuten.“ Odin weiß nicht, was er mit diesem Rat anfangen soll. „Hast du vergessen, dass du unter den Menschen zuweilen Ygg genannt wirst?“ fragt Urd. Und dieser Name bedeutet der Schreckliche. Und das Wort Drasil, heißt soviel wie Pferd. Wenn du nun diese beiden Namen zusammenlegst, was kommt dabei heraus?“ – „Yggdrasil“, sagt Werdande, „und das bedeutet: Odins Pferd. Weißt du noch wie du dich selbst in die Esche aufgehängt hast? Man kann sagen dass Du auf ihr geritten bist. Und der Baum hat nur darauf gewartet, dass du ihm Sinn und Bedeutung verleihst. Doch du hast nichts dergleichen getan.“

„Hört auf“, ruft Odin „ich will nichts davon wissen. Sagt mir lieber wozu ich da bin, wenn ohnehin alles im Voraus bestimmt ist! Wer bin ich? Könnt ihr mir das sagen?“

„Du bist Odin“, flüstern die drei Nornen. „Du bist der, der kämpft, der nie aufgibt.“

„Und der, der siegen wird“, schreit Odin. Doch die Nornen lächeln nur und schweigen.

Kaum ist er nach Hause gekommen, da ruft Odin Heimdall zu sich, den Torwächter der Asen, der die Regenbogenbrücke zwischen Mitgard und Asgard hütet. Der braucht weniger Schlaf als ein Vogel, und er sieht gleich gut bei Tag und bei Nacht. Er ist sehr stattlich und hochgewachsen, und Zähne hat er aus purem Gold.

„Wie stark die Mächte der Finsternis sind“, sagt Odin, „das weißt du selbst am besten. Von deinem Posten aus siehst du ja täglich, wie die Trolle uns belauern.“ Heimdall nickt „Und was das Schlimmste ist“, sagt er, „sie sind zahlreich wie der Sand am Meer, und sie werden immer mehr.“

„Das ist bei den Asen anders“, meint Odin. „Wir Asen sind wenige, und wir zeugen nicht so viele Kinder wie sie. Wie soll das nur weitergehen? Eines Tages werden sich die Riesen stark genug fühlen, um über uns herzufallen.“

„Das wird ein böser Tag werden für Mitgard und Asgard“, antwortet Heimdall. „Von den Menschen ist kaum viel Unterstützung zu erwarten. Die meisten von ihnen sind schwach und ängstlich.“

„Um so dringender muss bald etwas geschehen“, sagt Odin. „Ich möchte, dass du nach Mitgard gehst. Nicht alle Menschen sind Duckmäuser. Mit den besten von ihnen müssen die Götter ihr Blut mischen. Leg dich zu ihren Frauen, damit sie Kinder von dir bekommen, so viele wie möglich. Wir brauchen viele starke und mutige Krieger.“ Das lässt Heimdall sich nicht zweimal sagen. Er geht nach Mitgard, um Stammvater einer neuen, stärkeren Menschenverwandtschaft zu werden.

Odin befiehlt inzwischen den Bau eines neuen Hauses in Asgard. Es soll ein Gästehaus werden für die Krieger, die Heimdall eines Tages herbeischaffen wird. „Sechshundertundvierzig Türen soll es haben“, sagt Odin. „Und jede Tür soll so breit sein, dass neunhundertsechzig Männer gleichzeitig durch sie eintreten können. Er verlangt dass das Dach mit goldenen Schildern gedeckt wird. Auch einen Namen gibt er dem Haus. Es soll Walhall heißen.“

Während die Asen sich an das große Werk machen, hält Odin sich abseits. Er sitzt ganz allein auf seinem Thron und blickt in die Welt hinaus. Er sieht das Lokis scheußliche Tochter Hel nun wie eine Königin über Leichen und wurmzerfressene Kadaver herrscht. Er sieht dass aus dem Schleim, der aus dem Rachen des Fenriswolfes rinnt, ein breiter Strom geworden ist. er sieht auch dass das dritte der Geschwister, die Schlange, so groß geworden ist, dass sie sich um die ganze Welt ringeln und in den eigenen Schwanz beißen kann. Weil sie auf diese Weise ganz Mitgard umspannt, nennt man sie jetzt Mitgardschlange. Alle Welt fürchtet sich vor ihrem Gift. Die ganze Welt ist umzingelt von Bosheit, denkt Odin. Doch in der Ferne sieht er auch Heimdall. Beeil dich, denkt er und ballt die Fäuste, schaffe uns Krieger herbei! Denn wir geben nie auf! Nie!

Wenn die Zeit zum Essen gekommen ist, sitzt Odin mit den anderen Göttern am Tisch, aber er hat keinen Appetit. „Ich brauche nichts“, behauptet er. Nur auf den Wein will er nicht verzichten.

Auf seinen Schultern sitzen Hugin und Munin, die Raben, und zu seinen Füßen liegen zwei Wölfe. Geri und Freke heißen die beiden. Odin hat sie selber gezähmt und nun sind sie folgsam und wedeln mit dem Schwanz wie Hunde. Odin kann es sich leisten, dem Schicksal ins Gesicht zu lachen; denn ist es ihm nicht geweissagt worden, dass es ein Wolf sein wird, der ihn einst umbringen wird, ihn, den höchsten der Götter? Doch es ist kein frohes Lachen, und die andern Asen merken, dass seine Miene sich verdüstert, wenn er daran denkt.

Kapitel 4: Heimdalls Söhne

Heimdall, der Wächter der Regenbogenbrücke

Heimdall, der Wächter der Regenbogenbrücke

 Ein Mann der sich Rig nennt, geht am Strand spazieren. Auf grünen Pfaden ist er durch ganz Mitgard gewandert. Er ist groß und blond und überall wird er als Gast willkommen geheißen. Noch nie hat ihm jemand das Dach über dem Kopf verweigert. Die Männer suchen seine Freundschaft, und die Frauen wissen ihn als Liebhaber zu schätzen, obwohl er wenig spricht und selten lacht. Würde er nämlich seine Zähne zeigen, dann könnten alle sehen, dass er kein Mensch ist. Rig ist nicht Rig, sondern Heimdall, der Gott der bei Nacht ebenso gut sieht wie am Tag, der das Gras auf der Wiese und die Wolle auf den Schafen wachsen hört, und seine Zähne sind aus schierem Gold.

Aber warum hat er seinen Wachposten auf der Regenbogenbrücke verlassen, die von Asgard nach Mitgard führt? Warum wandert er als Mensch verkleidet durch die Welt? Odin der Götterkönig hat ihn geschickt, mit einem Auftrag, der so geheim ist, dass die Trolle und die Riesen nichts davon erfahren dürfen.

Nie sind die Asen mächtiger gewesen als heute, doch macht Odin sich Sorgen wegen der alten Feindschaft, die zwischen Asen und Riesen herrscht. Er weiß, dass es Feuer gibt, die nie verglühen. Manchmal fallen sie in sich zusammen und brennen so niedrig, dass es aussieht, als wären sie erloschen. Doch unter der Asche glimmt es weiter, und die kleine rote Glut wartet nur darauf, dass man sie mit neuem Holz und neuem Reisig schürt, und schon zischt und knistert es, und das Feuer beginnt von neuem zu lodern. Ein solches Feuer ist der Hass.

Odin weiß sehr wohl, dass die Asen in der Minderheit sind, und dass sich Riesen und Trolle vermehren wie die Karnickel. Er hört den Fenriswolf, der bald so groß gewachsen ist wie ein Pferd, unter den Sternen heulen. Er liegt an der Kette, aber was ist, wenn die Kette reißt? Auch denkt Odin an die giftige Mitgardschlange, die sich um die ganze Welt ringelt. Die Asen hatten sie ins Meer geworfen, aber was ist, wenn sie ans feste Land kriecht? Ist ihm nicht geweissagt worden, dass sich alle Mächte der Finsternis versammeln, und wie ein Sturmwetter über die Erde hinziehen werden. Nicht nur , dass die Feinde der Asen in Mitgard, der Heimat der Menschen, einfallen, diese ausplündern und zerstören werden; sie werden auch versuchen, die Steine, die die gewaltige Burg Asgard schützen, zu lockern, und die Festung zu stürmen.

So heißt es, und Odin geht dieser Gedanke nicht aus dem Kopf. wenn es aber eines Tages dazu kommt, sind die Asen dann dem Ansturm gewachsen? Ist ihr Heer stark genug, um den Feind zu schlagen? Dazu braucht Odin viele kräftige Kämpfer. Aus diesem Grund hat er seinen Sohn Heimdall nach Mitgard geschickt. Er will, dass er mit den Frauen dort Kinder zeugen soll, als Stammvater eines neuen stärkeren Menschengeschlechts. Heimdall sieht sich lange um, bevor er sich entscheidet. Dreimal wählt er, und seine Wahl ist recht sonderbar. Die erste Frau, mit der er sich einlässt, heißt Edda. Sie ist alt und grau, arm und in Lumpen gekleidet, und wohnt mit ihrem Mann in einer baufälligen Kate. Es stört Heimdall nicht, dass sie bereits Urgroßmutter geworden ist, als er ihr begegnet. Nach dem Abendessen, darf er zwischen den Eheleuten in ihrem Bett schlafen. Drei Tage hält er es dort aus, bevor er weiterzieht. Das zweite Mal trifft Heimdall es schon besser, denn Amma, die Bäuerin, die er nun wählt, ist eben erst Großmutter geworden. und die dritte, die mit einem Häuptling verheiratet ist und Mor heißt, ist sogar so jung, dass sie zwar eigene Kinder, aber noch keine Enkel hat.

Jedes Mal macht Heimdall sich auf dieselbe Art und Weise an die Arbeit. Er teilt Tisch und Bett mit seinen Wirtsleuten und bleibt drei Tage und drei Nächte lang bei ihnen. Kurz nachdem er sich verabschiedet hat, merken die Frauen, dass sie ein Kind erwarten. Neun Monate später werden drei Jungen geboren. Eddas Sohn Trell ist groß und stark, Ammas Sohn Karl hat rote Haare und klare Augen, und Mors Sohn Jarl fängt schon als kleines Kind an, mit Schild und Speer zu spielen.

Es sind diese drei Kinder, aus denen ein neues Menschengeschlecht hervorgehen soll. Daher kommt es auch, dass die Dichter und Sänger uns heute noch die Söhne Heimdalls nennen.

Unterdessen ist in Asgard allerhand geschehen. Der Frühling ist gekommen, und die große Wiese blüht. Eine junge Frau wandert barfuss über das weiche Gras, singt vor sich hin und pflückt die ersten Blumen. Es ist Iduna. Ihr Mann ist Brage, der Gott der Dichtkunst, aber alle in Asgard wissen, dass Iduna es mit der Ehe nicht so genau nimmt; sie treibt ihre Liebesspiele auch gern mit andern. Trotzdem wirkt sie immer wie ein unschuldiges kleines Mädchen. Keiner, auch Brage nicht, macht ihr Vorwürfe oder versucht sie zu ändern. Denn sie besitzt einen kostbaren Schatz, den wertvollsten, den es in Asgard gibt; einen Schrein mit magischen Äpfeln. Wer von ihnen isst, der altert nicht; er bleibt ewig jung. Ohne Idunas Äpfel wären die Asen schon längst zahnlos und altersschwach.

Allerdings müssen die magischen Äpfel sorgsam gehütet werden, denn leider ist Iduna vergesslich. Sie kann sich einfach nicht daran erinnern, wo sie sie gepflückt oder gefunden hat. Das sieht ihr ähnlich, denn sie weiß nie, was sie früher getan hat, und macht sich keine Gedanken über das, was ihr bevorsteht.

Doch noch reichen Idunas Äpfel für alle. Deshalb führen sich die Asen auf, als wären sie jung. Ausgelassen, ja sogar übermütig sind sie auf Mutproben und gefährliche Abenteuer aus und jederzeit bereit zu einem Flirt oder einer neuen Liebschaft. Sie halten sich an Freia, die Liebesgöttin, die ihnen gern ihr Ohr leiht und ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht, wenn es um solche Sehnsüchte geht.

Nur sich selbst kann Freia nicht helfen. Jede Nacht weint sie sich in den Schlaf. Sie hat Liebeskummer, weil ihr Mann Od sie verlassen hat, Sie weiß nicht, wo er ist, und vermisst ihn schmerzlich. Es ist schon lange her, dass er sich aus dem Staub gemacht hat, aber sie denkt immer noch an ihn. Wenn sie einen andern umarmt, schließt sie die Augen und träumt, dass es Od ist. In diesem Frühjahr ist es noch schlimmer als sonst Freia weint Tränen aus purem Gold, und manchmal vergisst sie sogar, ihre Katzen zu füttern.

Die andern Frauen besuchen sie auf Folkwang, ihrem Sitz, und versuchen sie zu trösten. Drei von ihren Freundinnen kennen sich besonders gut in den Künsten der Liebe aus. Die erste kann einen Mann und eine Frau dazu bringen, dass sie sich ineinander verlieben; die zweite kann Paaren helfen, die ein widriger Umstand daran hindert, sich zu treffen. aber was nützen Freia ihre Gaben? Verliebt ist sie ja schon, und keine feindliche Macht ist daran schuld, dass sich Od von ihr getrennt hat. Vielleicht kann die dritte etwas für sie tun, die es mit der Treue hält; sie weiß, was sich alle Liebenden geschworen haben, sie vergisst nichts, und sie kann dafür sorgen, dass sich jeder Verrat rächt. „Ich werde deinen Mann bestrafen“, ruft sie wütend, „er hat sein Gelübde gebrochen.“

„Und was hätte ich davon, dass er bestraft wird und leiden muss?“, fragt Freia, „Ich will ihn doch nur zurückhaben!“ Sie ist derart außer sich, dass sie sich die Kleider vom Leib reißt, und nackt wie eine läufige Katze miauend, untröstlich unter dem Mond umherirrt, während die Tränen wie ein goldener Regen ihr zu Füßen auf die Erde fallen.

Auch Odin kann nicht schlafen. Er denkt über die Liebe nach, über die Macht, die sie nicht nur über die Menschen, auch über die Asen und Trolle hat. Wie ein Sturm fällt sie her über alles, was atmet und lebt. Dass sie die Menschen überwältigt, ist vielleicht nicht so merkwürdig, denn die Menschen sind schwach, und ihr Leben ist kurz. Aber Freia, die Liebesgöttin, die schon tausende von Jahren gelebt hat! Wie kommt es nur, dass sie dieser Leidenschaft nicht Herr wird? Odin hört sie heulen und rufen, und er weiß, dass auch er nicht imstande ist, ihr zu helfen.

Er betrachtet seine Frau Frigga, die friedlich neben ihm schläft, und er erinnert sich, wie er einmal von einer Reise zurückgekehrt ist, die viele Jahre gedauert hatte. Damals musste er entdecken, dass sie sich inzwischen mit seinen Brüdern Wile und We zusammengetan hatte. Das ist lange her, und die beiden Brüder sind schon längst nicht mehr am Leben. Und doch spürt er einen kleinen Stich ins Herz. Odin beugt sich über Frigga und streichelt sanft über ihre Wangen. Draußen aber hört er Freia jammern, als bräche ihr das Herz vor Kummer.

Am andern Morgen, ist sie in Asgard das Gespräch des Tages. Die meisten Asen finden, dass sie sich ungebührlich benimmt. Ihr Bruder gerät in eine Rauferei, als er sie gegen die Schandmäuler verteidigen will. Ihr Vater versucht, ihr Vernunft zu predigen. Aber Freia will nicht auf ihn hören, sie knurrt und zischt ihn an.

Odin hat das Ganze satt. Der Klatsch der Asen ödet ihn an. Er macht sich wieder einmal auf eine seiner Wanderungen. Denn die Welt ist groß, und es gibt immer noch vieles zu entdecken. Diesmal bittet er den schlauen Loki und seinen alten Gefährten Huhne, ihn zu begleiten.

Die drei Asen ziehen über die Ödmark und in die Berge. Dort kann man allerdings verhungern. Starke Leute wie die Asen werden auf die Dauer von Beeren und Wurzeln nicht satt. Deshalb sind die Wanderer froh, als sie in einem Tal auf eine Rinderherde stoßen. Sie fackeln nicht lange und töten einen Ochsen. Dann lassen sie sich im Schatten einer großen Eiche nieder und graben eine Grube, in der sie Feuer machen. Das Fleisch kocht und kocht, aber es will nicht gar werden. Plötzlich hören sie eine Stimme: „Der hier oben sitzt sorgt dafür, dass euer Fleisch roh bleibt.“

Die Asen blicken empor und sehen einen riesigen Adler im Geäst hocken. „Wenn ihr wollt, könnt ihr bald essen, aber nur, wenn ihr versprecht, mit mir zu teilen.“

„Meinetwegen“, antwortet Odin, und schon flattert der Adler herunter und macht sich über das Fleisch her. Aber was ist das für ein gieriger. Vogel! Schon hat er zwei Keulen und zwei Schulterstücke verschlungen. Loki wird wütend. Er greift nach einem langen Pfahl und drischt auf den Adler ein. Der weicht zurück, doch der Stock bleibt im Rücken stecken. Loki will nicht loslassen, der Adler aber versucht, sich in die Luft zu erheben, und zerrt den kleinen Gott mit sich. Loki hängt an ihm und schreit: „Willst du mir die Arme aus dem Leib reißen?“

Der Adler ist nicht stark genug, um ihn davonzutragen. Auf halber Höhe schleppt er Loki mit, über Stock und Stein.

„Lass mich los!“ bettelt er, und der Adler antwortet: „Nur wenn du mir eines versprichst.“ – „Alles, was du willst.“

„Schwör mir, dass du mir Idunas Äpfel bringst!“ – „Ich schwör’s dir“, schreit Loki, der um sein Leben fürchtet. Da kehrt der Adler um und bringt ihn zu den anderen zurück, die unter der Eiche lagern. Dort wird Loki endlich losgelassen. Ziemlich mitgenommen und ganz schwindlig im Kopf fällt er zu Boden. Die drei Asen machen sich auf den Heimweg. Aber in Asgard ist immer noch keine Ruhe eingekehrt. Nach wie vor ist Freia das Tagesgespräch. Sie hatte es satt, auf Od zu warten, und hat sich ihrerseits auf den Weg gemacht, um ihn zu suchen. Lange Jahre werden die Asen sie nicht wiedersehen.

Doch bald werden sie von ganz anderen Sorgen heimgesucht. Wieder einmal hat Loki sich eine Suppe eingebrockt, die er nun auslöffeln muss. Er geht zu Iduna und versucht, sie zu beschwatzen. „Ich war unterwegs, und in einem fernen Wald habe ich ein paar merkwürdige Apfelbäume gesehen. Die Äpfel, die dort wachsen, duften genau wie die deinen. Vielleicht haben sie auch dieselbe Zauberkraft? Du weißt doch, dass wir alle fürchten, eines Tages könnte dein Vorrat zu Ende gehen. Lass uns der Sache nachgehen! Komm mit mir, nimm deine Äpfel mit, damit wir sie vergleichen können, und alle werden es dir danken.“

Iduna ist eine treuherzige Seele. Sie glaubt Loki, holt ihre Äpfel aus dem Schrein und zieht mit Loki hinaus in den Wald. Auf einer Lichtung geschieht es: Ein dunkler Schatten, ein Flattern in der Luft, und schon hat der riesige Adler Iduna gepackt und davongetragen. Nach Nordosten fliegt er, zu einem großen Hof im Gebirge, der Trymheim heißt. Dort wirft der Adler seine Vogelgestalt ab und zeigt, wer er ist: der gefürchtete Riese Tjatse.

„Jetzt gehörst du mir“, sagt er zu Iduna, „und mit deiner Hilfe werde ich bald der Mächtigste auf Erden sein. Denn ohne deine Äpfel ist Odin verloren. Mitsamt seinem ganzen Göttergesindel wird er alt werden und sterben. Sogar Thor wird zu kraftlos sein, um seinen Hammer zu schwingen. Aber wir beide, du und ich, wir werden ewig leben!“

Die Asen ahnen noch nichts von der Gefahr. Nur Brage merkt, dass seine Frau Iduna verschwunden ist. Er wartet vergebens auf sie. Obwohl sie so zerstreut und unbekümmert ist, findet sie gewöhnlich doch nach Hause, bevor es dunkel wird. Aber diesmal muss Brage alleine schlafen.

Auch Heimdall kann er nicht fragen, ob der seine Frau gesehen hat. Denn der Wächter der Regenbogenbrücke ist nach Mitgard geritten. Er will nachsehen, wie es seinen drei Söhnen geht. Sie sind inzwischen erwachsen und haben selber schon Kinder. Trell, dem Bauern, und Karl, der Schmied geworden ist, gibt sich Heimdall nicht zu erkennen. Er weiß, dass sie ihr Auskommen finden werden. Aber gespannt ist er, was aus seinem dritten Sohn Jarl geworden ist. Odin hatte es doch besonders auf Krieger und Häuptlinge abgesehen! Heimdall lauert ihm hinter einem Baum versteckt auf. Als Jarl ihm entgegen reitet, regt sich der Stolz auf diesen Sohn in ihm, denn der ist stark und ohne Furcht.

„Ich bin Rig“, begrüßt er ihn, „und du weißt wohl, was dieser Name bedeutet – soviel wie König. Du bist mein Sohn, und so wie ich ein König bin, so werdet auch ihr, du und deine Nachkommen, unter den Menschen die Ersten sein.“

Und dann bringt er ihm alles bei, was er selber versteht, und das ist nicht wenig. Auch die Runenschrift lehrt er ihn. Das sind mächtige Zeichen, die gegen seine Feinde helfen sollen und die das Leben leichter machen können.

So wie Heimdall es beschlossen hat, so geschieht es. Jarl wird Land gewinnen und der Herr über achtzehn Höfe sein. Seine Söhne werden ihn an Kühnheit noch übertreffen, vor allem der Jüngste. Der wird stärker sein als acht gewöhnliche Männer, und an Weisheit und Runenkunst wird er es so weit bringen, dass er sogar die Sprache der Vögel versteht. Das alles sieht Heimdall voraus, und er weiß, dass er Odins Auftrag erfüllt hat.

Aber nach Asgard zurückgekehrt, merkt er bald, dass es dort nicht zum Besten steht. Seit Iduna verschwunden ist, sind die Asen bekümmert, und man sieht es ihnen an. Wie steif und morsch sie geworden sind. Die Frauen stehen vor dem Spiegel und zählen ihre Falten und ihre grauen Haare.

Endlich reißt Odin die Geduld, und er beruft eine Ratssitzung ein. „Wo ist Iduna hin? Was ist mit den Äpfeln geschehen? Wer hat was gesehen? Weh dem, der mir etwas verschweigt!“ Einer von den kleineren Göttern rückt mit der Sprache heraus. „Ich habe einmal Loki mit ihr gesehen.“, sagt er, „Mit ihm zusammen hat sie Asgard verlassen.“

Nun ist Loki in der Klemme. Zuerst versucht er noch zu leugnen. Aber es hilft ihm nichts. „Schluss mit deinen Ausflüchten.“, sagt Odin, „Wo hast du sie hingeführt?“

„Das war nicht ich“, windet Loki sich, „Ein Adler hat sie geraubt. Ich habe versucht sie zu verteidigen, so gut ich konnte. Aber der Adler war stärker, und was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht.“ – „Und warum hast du uns das verschwiegen?“ – „Weil ihr immer, wenn etwas Schlimmes passiert, einen Sündenbock braucht, und der bin ich.“

Aber damit geben sich die Asen nicht zufrieden. „Jetzt spielt er auch noch den Beleidigten.“, sagen sie, „Das geht zu weit! Wir reißen dir Beine und Arme aus, wenn du nicht gestehst. Und wenn du Iduna nicht nach Asgard zurückbringst, machen wir dich um einen Kopf kürzer.“

Loki sieht ein, dass ihm nichts anderes übrigbleibt. „Ich will sie suchen und wiederbringen. Ich verspreche es“, fleht er, „Aber dazu brauche ich Freias Falkengestalt.“

„Gut“, sagen die Asen, aber sie trauen ihm nicht über den Weg und begleiten ihn nach Folkwang. Die Herrin des Hauses ist nicht da, sie ist immer noch auf der Suche nach ihrem Mann. In der großen Halle liegen ihre verlassenen Katzen herum. Doch ihre beiden Töchter können aushelfen. Sie wissen, wo das Falkenkleid liegt, und erlauben Loki, es sich auszuleihen. Sofort verwandelt er sich in einen Falken und fliegt davon. Es ist weit nach Trymheim, aber gegen Abend kommt Loki im Haus des Riesen an. Iduna ist allein, denn Tjatse ist hinaus aufs Meer gefahren um zu fischen. Loki verzaubert die Göttin in eine Nuss, packt sie mit seinen Klauen, und flattert auf und davon. Den Schrein mit den Äpfeln trägt er im Schnabel. Aber es dauert nicht lange, da kehrt Tjatse von seinem Fischzug heim und findet das Haus leer. Er begreift sogleich, was geschehen ist, wirft sich die Adlergestalt über und setzt dem fremden Falken nach.

Aber es ist nicht so leicht, Loki einzuholen. Er hat seinen Vorsprung genutzt und ist schon in Sichtweite von Asgard, als der Adler hinter ihm herjagt. Einer der Asen hat die Vögel kommen sehen und die anderen Götter herbeigerufen. Sie wissen, was zu tun ist. Eilig sammeln sie Holzspäne und häufen sie an den Mauern der Festung auf. Kaum ist der Falke sicher in Asgard, gelandet, da zünden sie die Späne an. Der Adler kann in seinem Sturzflug nicht ausweichen und stürzt in die himmelhoch lodernden Flammen. Seine Schwingen fangen Feuer, und der große Vogel schlägt mit versengten Federn vor Asgards großer Pforte auf. Jetzt ist es kein Kunststück mehr, ihn zu ergreifen, und ohne zögern, schlagen sie ihn tot.

Nun ist Loki wieder ganz der alte. Stolz wie ein Hahn kräht er: „Ich bin doch der Schlaueste von euch allen. Was würdet ihr nur ohne mich anfangen?“ Aber niemand hat Lust, mit ihm zu zanken, auch Iduna nicht, die sich wie immer an nichts erinnern kann. Außerdem, denkt Odin, wer weiß, ob Loki nicht recht hat? Vielleicht geben wir ihm wirklich oft die Schuld, wenn uns wieder einmal etwas Unangenehmes passiert ist? Jedenfalls sind alle in Asgard glücklich, dass Iduna wieder da ist, und dass sie alle Tage von ihren Äpfeln naschen können.

Aber damit ist die Sache mit Tjatse, dem Riesen noch nicht aus der Welt. Denn der hat eine Tochter, die wenigstens so wild und kriegerisch ist, wie ihr Vater. Nicht umsonst heißt sie Schad. Als sie erfährt, dass die Asen den alten Tjatse umgebracht haben, holt sie Helm und Harnisch hervor und macht sich auf den Weg nach Asgard.

Dort empfängt Odin sie, der keine Lust hat, mit ihr und ihrer Sippschaft eine Blutfehde anzufangen. Er versucht, den Streit zu schlichten und bietet ihr einen Haufen Gold als Wergeld an. Aber die Riesin lacht ihn aus. „Ihr wisst wohl nicht wer mein Vater war?“, ruft sie, „Der Sohn des reichsten Riesengeschlechts, das je gelebt hat. Als er sich mit seinen Brüdern die Erbschaft teilte, da haben sie für ihren Goldschatz – ein Mundvoll – als Maß genommen, und obwohl sie das Maul aufrissen, bis sie sich beinah die Kiefer ausgerenkt hatten, mussten sie tagelang ihre Münder aufsperren, bis der ganze Schatz zwischen ihnen nach Recht und Billigkeit aufgeteilt war. Und da wollt ihr mir Eindruck machen mit eurem bisschen Gold? Ich verzichte auf eure Almosen!“

Schließlich, nach langem Hin und Her, macht Schad den Asen einen Gegenvorschlag. „Ich will Frieden geben, aber unter zwei Bedingungen.“, sagt sie, „Erstens will ich mir einen Ehemann unter den Asen aussuchen. Und zum andern müsst ihr mich wenigstens einmal zum Lachen bringen. Das ist gar nicht so einfach. Lasst euch etwas einfallen. Dann soll der Streit begraben sein.“

Was bleibt Odin anderes übrig, als sich mit diesem Handel abzufinden? Aber er besinnt sich und fügt der Abmachung noch eine Klausel hinzu. „Von dem Mann, den du auswählst, sollst du nur die Füße sehen, mehr nicht. Sonst wird nichts aus deiner Hochzeit.“

Murrend geht die Riesin darauf ein, und sogleich ziehen die Männer ihre Schuhe aus. In einer langen Reihe stellen sie sich hinter einem Wandbehang auf, der ihr Gesicht und ihren Leib verdeckt. Nun schreitet Schad langsam das Spalier ab. Ganz genau studiert sie bei jedem Rist, Knöchel und Zehen. Sie versucht zu erraten, welche Füße Baldur gehören, dem schönsten Mann in Asgard; denn ihn möchte sie haben.

Endlich bleibt sie vor einem Paar Füße stehen, die ihr besonders schön vorkommen. „Den hier wähle ich zum Mann.“, ruft die Riesentochter, „Das muss Baldur sein, an dem alles ohne Fehl und Makel ist.“ Der Wandteppich fällt, und sie muss einsehen, dass sie sich getäuscht hat. Nicht Baldur ist es, den sie sich ausgesucht hat, sondern Njord, der älteste der Wanen, der einst nach dem großen Krieg als Geisel nach Asgard kam. In den alten Zeiten hatte er seine eigene Schwester geheiratet und mit ihr einen Sohn und eine Tochter gezeugt: keine andern als Frei und Freia, die mit ihm in die Burg der Asen kam.

Nun steht Schad mit rotem Gesicht vor den Göttern, die vor Lachen nicht aus und ein wissen. Nur Odin, der Kluge, dämpft ihre Heiterkeit. „Was habt ihr nur?“, sagt er, „Schad hat doch eine gute Wahl getroffen. Und was Njord betrifft, unsern alten Witwer – der hat lange genug, ohne eine Frau auskommen müssen.“

Aber Schad gibt sich nicht so leicht geschlagen. „Ihr vergesst wohl, dass ich auch eine zweite Bedingung gestellt habe.“, sagt sie, „Wenn ihr sie nicht erfüllt, gibt es Krieg!“ Also müssen die Asen alles versuchen, um sie zum Lachen zu bringen. Sie denken sich allerlei Späße und Narreteien aus, aber Schad verzieht keine Miene dabei. und die Götter sind schon nahe daran, aufzugeben. Da springt Loki in die Bresche. Er zieht sich splitternackt aus, holt einen Ziegenbock aus dem Stall und wickelt eine lange Schnur auf. Das eine Ende knüpft er an den Ziegenbart, das andere bindet er an seinem Schwanz fest, und sogleich fängt der Bock an, daran zu zerren. Loki gibt nicht nach. Er schreit, der Bock meckert, das Tauziehen geht weiter, bis Loki endlich dem Bock um den Hals fällt. Da kann auch Schad nicht ungerührt zusehen, und sie hält sich den Bauch vor Lachen.

Die Nacht bricht an, und mit einem großen Fest wird der Friede gefeiert. Auch Loki ist wieder in Gnaden aufgenommen. Mag er auch dann und wann eine Pest und eine Plage sein, sagen sich die Asen, am Ende müssen wir doch froh sein, dass wir ihn haben. Odin will auch Njords Braut etwas Gutes tun, um sie zu versöhnen. Er reißt ihrem toten Vater beide Augen aus und wirft sie an den Himmel, wo sie sich augenblicklich in zwei Sterne verwandeln. Dort leuchten Tjatses Augen bis auf den heutigen Tag, und wer will, kann sie im kleinen Bären finden. Aber mit der Ehe zwischen Njord und Schad wird es kein gutes Ende nehmen. Denn Njord will in Noatun wohnen, ganz nah am Meer, und Schad hat sich in den Kopf gesetzt, im Gebirge zu bleiben, auf Trymheim, dem Hof ihres Vaters. Vielleicht könnten sie sich darauf einigen, hin und herzuziehen, neun Nächte an der Küste, neun Nächte im Gebirge! Aber dort kann Njord nicht schlafen, weil dort die Wölfe heulen, sobald es dunkel wird, und Schad beklagt sich, dass sie morgens immer vom Geschrei der Möwen aufgeweckt wird. Es wird ihnen wohl nichts anderes übrigbleiben als die Scheidung. Dann kann Schad in die Berge ziehen. Dort geht es ihr am besten, denn am liebsten nimmt sie ihre Skier und geht mit Pfeil und Bogen auf die Jagd. Auch wenn sie in Trymheim wohnt, wird sie nach wie vor zu den Asen gezählt, weil sie immerhin mit einem der Götter verheiratet war, und seither gilt sie als Schutzherrin der Skifahrer.

Freyja (Freya) - die Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings, des Glücks und der Liebe sowie Lehrerin des Zaubers Seidr. Der Wohnsitz Freyjas ist Folkwang in Asgard. Der Freyja heilig war die Linde. Unter zahlreichen Freyja-Linden hielt man die Thing-Versammlungen ab.

Freyja (Freya) – die Göttin der Fruchtbarkeit und des Frühlings, des Glücks und der Liebe sowie Lehrerin des Zaubers Seidr.
Der Wohnsitz Freyjas ist Folkwang in Asgard.
Der Freyja heilig war die Linde. Unter zahlreichen Freyja-Linden hielt man die Thing-Versammlungen ab.

 In Asgard ist das Leben inzwischen zur Ruhe gekommen. Jeder der Asen kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten. Nur Odin ist wieder einmal rastlos und ungeduldig. Er schickt Hugin und Munin, seine beiden Raben, nach Süden und nach Westen aus, und wenn sie heimkehren, stellt er ihnen jedes Mal dieselbe Frage: „Ist die Zeit reif? Was ist mit Heimdalls Söhnen? Sind sie zahlreich geworden?“ Otf sitzt er auch im Schatten der großen Esche Yggdrasil und grübelt. Auch übt er sich in der Runenkunst und denkt daran, die Toten zu erwecken. Immer wieder dringt er darauf, dass sein Lieblingsprojekt Walhall fertig gestellt wird. Es soll ein riesenhaftes Gebäude mit sechshundertvierzig Türen werden. Aber die Asen haben wenig Lust, sich an die Arbeit zu machen. Sie fragen sich, wozu ein so gewaltiges Gästehaus gut sein soll. Für wen denn? Trotzdem schreitet der Bau voran. Odin lächelt, wenn er sieht, wie die Sonne sich in den goldenen Schilden auf dem Dach spiegelt. Die Asen begreifen, dass dieses Haus als Herberge für Krieger gedacht ist. Aber woher will Odin so viele Soldaten nehmen? Loki versucht Odin auszuhorchen, aber der schweigt, und auch Heimdall, der alles weiß, stellt sich taub. Und was die Raben sagen, kann ohnehin nur Odin verstehen.

Eines Tages steht ein altes, buckliges Weib vor Bifrost, der Regenbogenbrücke, und begehrt Einlass. Heimdall will sie fortjagen, aber das Weib will nicht weichen. Es fuchtelt mit den Armen und deutet mit dem Finger auf die Burg der Götter. Heimdall versteht nicht, was sie will, denn ihre Stimme ist dünn und heiser, wie ein Vogelschrei. Die Asen, die oben auf der Mauer stehen, lachen die Frau aus und machen sich über Heimdall lustig, der es nicht fertigbringt, sie zu verscheuchen.

Da mischt sich Odin, der den Lärm gehört hat, unter die Zuschauer. Sobald er die alte Frau erblickt, erkennt er, wer sie ist. Er läuft über die Brücke, nimmt sie auf den Rücken, und trägt sie hinauf in die Götterburg. Dort weiß auch der alte Njord sogleich, wer die Fremde ist, und kaum wittern die Katzen auf Folkwang ihren Geruch, kommen sie gesprungen, und schmiegen sich um ihre Beine, denn das alte Weib ist Freia, die Liebesgöttin. Viele, viele Jahre ist sie umhergestreift, ohne Idunas Äpfel zu schmecken, und so ist sie alt und grau geworden. Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebt.

Allmählich kommt sie wieder zu sich, und erholt sich von den vielen Abenteuern, die sie erlebt hat. Unter fremden Namen, hat sie viele Länder durchwandert und manches durchgemacht, von dem sie nicht erzählen will. Nur eines ist klar: Ihren Mann Od hat sie vergeblich gesucht. Er ist für immer verschollen.

Doch wenn sie sich auch selber wortkarg gibt, die andern flüstern und tuscheln. Es ist vor allem der große Halsschmuck, den sie Brisingam nennt, was ihre Neugier weckt. Wie Feuer glüht und flammt er um Freias Hals. Wie immer ist es Loki, der das große Wort führt. Nicht nur, dass ihm kein Gerücht in Asgard entgeht, er lauscht auch auf das Gerede der Riesen und der Unterirdischen.

„Ach, dieses Brisingam! Wisst ihr wirklich nicht, wie sie zu dem gekommen ist? Ich will es euch verraten.“, flüstert Loki, „Vier Zwerge haben ihn geschmiedet. Freia ist auf ihren Wanderungen ganz zufällig auf ihre Schmiede gestoßen, und kaum hat sie gesehen, woran sie arbeiten, da war sie schon wie verhext. Das Geschmeide wollte sie haben, koste es, was es wolle! Aber die Zwerge wollten es nicht für gute Worte und auch nicht für Gold und Silber hergeben; denn davon, sagten sie, hätten sie selber genug. Nein, aber wenn sie jedem von ihnen eine Nacht lang Gesellschaft leisten wollte, ja dann ließe sich darüber reden. Und obwohl die Schmiede ziemlich hässlich und am ganzen Leib behaart waren, war unsere Freia so scharf auf den Schmuck, dass sie sich auf den Handel einließ. Vier Nächte lang schlief sie mit den Zwergen, mit einem nach dem andern. Und dann gehörte der Brisingam ihr.“

Die meisten Asen sind empört über diese Geschichte. Nur Odin weist ihn zurecht. „Wer wirft hier den ersten Stein?“, sagt er, „Ihr wisst doch so gut wie ich, dass Freia bei weitem nicht die einzige ist, die sich hier und da mit Trollen und Zwergen eingelassen hat. Und du, Loki, bist wahrhaftig der letzte, der das Recht hätte, über andere herzuziehen! Du tätest gut daran den Mund zu halten.“

Trotzdem, viele gehen in dieser Zeit Freia aus dem Weg, so schwach und zerzaust wie sie ist. Nur in Odins Augen wird sie mit jedem Tag schöner und vertrauter. Die beiden sehen sich jetzt öfter als früher. Odin hat das Gefühl, dass sie ihm näher steht als die anderen Asen. Sie hat, wie er, den Wahnsinn im Blut und wird nie müde, nach neuen Ufern zu streben. Immer, wenn er sie in Folkwang besucht, merkt er, wie die andern hinter seinem Rücken tuscheln. Er weiß auch, dass Frigga es nicht gerne sieht, wenn er aushäusig ist. Trotzdem kann er nicht davon lassen. Denn mit Freia versteht er sich, ihr kann er von seinen Wünschen, seinen Hoffnungen, aber auch von dem erzählen, was er fürchtet und wovor ihm graut. Sie reden über die Liebe und über den Tod- über alle Rätsel dieser Welt.

Da gibt es vieles, was schwer zu verstehen ist. Muspilheim und Niflheim zum Beispiel, die beiden Orte, die älter sind als alle andern, und die es schon lange, lange gab, bevor Odin und seine Brüder den Rest der Welt erschufen. Muspilheim mit seinem ewigen Feuer, und Niflheim, wo alles nur Eis und Nebel ist. Oder Yggdrasil, den Weltenbaum, der mit seinen drei Wurzeln, die ganze Erde zusammenhält, die Teile, die man kennt, ebenso wie die unbekannten. Aber am meisten beschäftigt die beiden Hel, die Königin der Toten. Einst haben die Asen sie verbannt in die tiefsten Abgründe des Nordens. Doch dort hat sie sich in der Einöde des Eises eingenistet; ihre Macht nimmt zu, seitdem sie die Herrschaft über das Totenreich angetreten hat. Alle, die durch die Krankheit oder durch das Alter ums Leben kommen, ruft sie zu sich, und ihr Ruf trägt bis in die entlegensten Gegenden. Alle müssen dieser Stimme gehorchen. Aus der ganzen Welt kommen sie, wenn sie ruft, durch tiefe und finstere Täler, bis an die Ufer des Totenfluss Gjöll. Dort führt eine goldene Brücke hinüber, auf die andere Seite, wo hinter einer gewaltigen Pforte alles grau und düster ist: Hels Saal heißt Triefnass, ihr Tisch Durst, ihr Messer Hunger, ihr Lager Siechtum. Neue Orte gibt es in ihrem Reich, und einer ist kälter und feuchter als der andere.

Von solchen Dingen sprechen Odin und Freia am Kamin, dessen Flammen flackernde Schatten an die Balken werfen, während die Katzen sich schnurrend an ihre Beine schmiegen. Sie malen sich aus, wie gierig diese Hel ist, wie groß das Heer von willenlosen Leichen ist, mit dem sie, wenn sie, wenn sie nur wollte und wenn sie es wagte, die Asen bedrohen könnte. Odin reut es, dass er sie damals, als sie noch ein Kind war, nicht umgebracht hat.

Aber auch Odin kann die Toten zu sich rufen, wenn er will, denn er denkt daran, ebenfalls ein Totenheer aufzustellen. Eines Tages wandern die beiden über die große Wiese, und er erzählt Freia von dem geheimen Auftrag, mit dem er Heimdall zu den Menschen geschickt hat „Ein neues Menschengeschlecht wird tapfere Krieger für uns hervorbringen“, sagt er, „Alle, die im Kampf fallen, alle, die durch das Schwert sterben, sollen sich unserer Streitmacht anschließen. Wir werden weniger Kämpfer haben als Hel, wenn es zum Krieg kommt, aber die unsrigen werden mutiger sein.“

Er zeigt ihr Walhall, die große Herberge, die jetzt bereitsteht, um Heimdalls Söhne aufzunehmen. Auch Hugin und Munin, die beiden Raben, sind wieder da. Sie setzen sich auf Odins Schultern und sagen ihm ihre Botschaften ins Ohr. Er lächelt. „Heimdalls Saat ist aufgegangen.“, sagt er. „Nun werden wir ernten. Meine Raben berichten mir, dass die Zeit reif ist.“

Dann versammelt er die Asen um sich und erklärt ihnen, was geschehen ist und was getan werden muss. „Unsere Krieger haben noch viel zu lernen.“, sagt er, „Mit einem von euch will ich die Verantwortung teilen.“ Alle halten den Atem an. Wen wird er dazu ausersehen? Wer wird ihm zur Seite stehen? „Die eine Hälfte des Heeres soll bei mir in Walhall bleiben“, entscheidet er, „die andere aber…“ Viele Blicke richten sich nun auf Thor, andere schauen sich verstohlen nach Tyr und nach Heimdall um. „Die andere aber soll Freia auf Folkwang befehlen.“ Ein ungläubiges Murmeln geht durch die Reihen. Manchen steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, andere können ihre Verbitterung nicht verbergen. Loki sieht Freia an und lacht. Freia errötet, doch der Götterkönig erhebt die Hand. „Ich habe gesprochen!“, ruft er, „Es geschieht wie ich gesagt habe.“

Schon am anderen Tag reitet eine Schar junger Frauen hinaus über die Regenbogenbrücke. Sie tragen Helm und Harnisch, Schild und Speer. Ihre Pferde bewegen sich ebenso geschwind auf dem Wasser oder in den Lüften. Es sind die Walküren, die aufgebrochen sind, um auf dem Schlachtfeld über Leben und Tod zu entscheiden. Wo immer es zum Kampf kommt, nehmen sie teil und wählen die besten Krieger aus, um Asgard zu verteidigen.

Eine neue Zeit hat begonnen, für die Götter ebenso wie für die Menschen. Odin bleibt auf der Burgmauer stehen, bis die letzte Walküre hinter den Wolken verschwunden ist. Freia steht neben ihm. Nie ist sie ihm schöner erschienen.

Kapitel 5: Der Donnergott

Nach Odin ist Thor der mächtigste unter den Göttern. Wenn er mit seinen Böcken über den Himmel fährt, dann bebt die Erde, und die Berge erzittern. Thor ist der Gott des Donners. Aber er ist auch der Beschützer der Menschen. Er hilft ihnen, wenn ihnen die Riesen drohen. In der Stunde der Gefahr wenden sich die Menschen an Thor.

Es sind aber nicht nur die fremden Ungeheuer, mit denen Mitgard zu kämpfen hat. Mit den langen Jahren des Friedens und des Vertrauens unter den Menschen ist es nämlich vorbei. Ein neues Geschlecht ist, wie Odin es wollte, herangewachsen; stärker und ausdauernder als seine Vorfahren, aber auch gnadenloser und gefährlicher. Jetzt weiß Thor nicht mehr, wem er trauen und an wen er sich halten soll, Denn jetzt kämpfen Menschen gegen Menschen; die Kinder nehmen es mit den Eltern auf, und Brüder stechen auf Brüder mit dem Messer ein.

Thor und der Riese Hymir kämpfen vom Boot aus gegen die Midgardschlange

Thor und der Riese Hymir kämpfen vom Boot aus gegen die Midgardschlange

 Eine wilde und kriegerische Zeit ist angebrochen. Die Leute haben sich voneinander abgewandt. Jeder zieht eine Grenze zwischen sich und andern. Alle versuchen, soviel Hab und Gut wie möglich an sich zu raffen. In kleinen und großen Banden ziehen sie in Mitgard umher und schlagen sich um Felder und Weideland. Sie streiten sich um Wälder und Bootsplätze, ja sogar wegen öder Klippen und nackter Felskuppen geraten sie sich in die Haare. Mein und dein- darum geht es ihnen, und um nichts anderes.

Doch wenn dann endlich die Schwerter und Streitäxte ihr Werk getan haben, wenn die Überlebenden davon gehinkt oder fortgesegelt sind und die Toten verlassen auf der Walstatt zurückbleiben oder wie leere Säcke auf dem Wasser schwimmen, dann kreisen nicht nur die Geier und Raben über dem Schlachtfeld. Etwas Neues und Unerhörtes ist auf der Welt erschienen; eine Schar von himmlischen Reiterinnen, welche die gefallenen Krieger heimsuchen. Frauen in eiserner Rüstung sind es, die zu den Toten niederfahren.

Das sind die Walküren, von Odin, dem König der Götter, gesandt um unter den Gefallenen die Besten, die Mutigsten, die Stärksten zu suchen. Sie betten die Toten vor sich auf den Rücken ihrer Pferde und ziehen mit ihnen davon durch die Lüfte. Über die große Regenbogenbrücke bringen sie ihre Beute nach Asgard, der Götterburg, die wie ein Berg im Zentrum der Welt hochragt.

Odin erwartet sie und nimmt die Toten entgegen. Sie haben bewiesen, dass sie tapfere Krieger sind, dass sie wenn es um den Kampf Mann gegen Mann geht, vor keiner Gefahr zurückschrecken. Deswegen erweckt Odin sie zu neuem Leben. Von nun an sollen sie in seinem Dienst stehen, ein gewaltiges Heer von Untoten, die jedem Feind gewachsen sein werden: Die eine Hälfte soll in Walhall wohnen, die anderen werden bei Freia in Folkwang hausen.

Damit sie nicht aus der Übung kommen, leitet Odin selber seine Truppe an. Morgens legen die Kämpfer Helm und Harnisch an, dann stellen sie sich auf dem Hofplatz von Walhall auf, und das Hauen und Stechen nimmt seinen Anfang. Aber ob es ihnen damit tödlicher Ernst ist? Sie lachen und scherzen, während sie miteinander kämpfen; denn das Spiel mit Speer und Axt ist ihre größte Freude. Um die Mittagszeit, wenn Andrimne, der Koch sie zum Essen ruft, zeigt sich, dass der blutige Streit ihnen nichts anhaben konnte. Zwar haben sie einander manchen Arm und manches Bein abgehackt, aber die fehlenden Glieder werden einfach wieder zusammengefügt, das ganze Heer stürmt freudig den Festsaal, und die Gegner lassen sich als Freunde brüderlich nieder, um zu essen und zu trinken.

Jeden Tag lassen sie sich dasselbe Gericht servieren: gekochtes Schweinefleisch mit Speck. Das ist ihnen ganz recht, denn es ist ihre Lieblingsspeise, Sonderbar ist nur, dass ein und dasselbe Schwein ist, das sie tagaus, tagein verzehren. Es ist nämlich der berühmte Eber Särimne, den der Koch Andrimne jeden Morgen von neuem schlachtet und kocht, und er steht am Abend jedes Mal wieder springlebendig da und grunzt fröhlich und zufrieden in seinem Koben.

Die schönen, stolzen Walküren schenken den Helden Met ein, soviel sie nur haben wollen. Den Met liefert eine Ziege, die Heidrun heißt; sie steht auf dem Dach Walhalls und nährt sich vom Laub der Weltesche Yggdrasil. Aus ihrem Euter rinnt der Met in Strömen. Man darf nur nicht vergessen, immer genug Eimer und Kessel unter sie zu stellen!

Odin ist immer in der Nähe. Mit seinen beiden Wölfen Geri und Freke bei Fuß und den zwei Raben Hugin und Munin auf den Schultern spaziert er in seinem gewaltigen Heerlager herum. Die von den Toten auferstandenen Kämpen sehen zu ihm auf. Sie bewundern ihn; denn sie wissen, dass sie sich keinen besseren Häuptling wünschen könnten. Sie geben ihm viele neue Namen. Einmal nennen sie ihn den Rabengott, dann wieder nennen sie ihn Ygg oder Flammenauge, Herjan oder Walvater. Das gefällt Odin sehr. Er redet von nichts anderem mehr als vom großen Krieg, der bevorsteht, der letzten Auseinandersetzung mit den Mächten der Finsternis. Früher oder später wird es soweit sein, denn die Nornen haben diesen Kampf vorhergesagt, und die Nornen irren sich nie. Auch alle Stern – und Mondzeichen deuten darauf hin. Wer in den Eingeweiden der Tier zu lesen versteht, der weiß, dass dieser Krieg unvermeidlich ist. Jedes Mal, wenn Odin die Augen schließt, sieht er den Untergang der Welt vor sich. Drachen, Lindwürmer, Trolle und Wölfe, suchen ihn im Schlaf heim.

Auch die andern Asen wissen, dass es gilt, auf der Hut zu sein, und dass sie so viele Hilfstruppen brauchen, wie nur aufzutreiben sind. Doch nach und nach bringen die Walküren immer mehr Kämpfer mit nach Asgard. Das Heer der Untoten wächst und wächst, und fast wird es den Asen zuviel. Es wird eng auf der Götterburg. Vorbei sind die schönen Zeiten, wo jeder genug Platz hatte. Damals konnte man nach Herzenslust Feste feiern, ohne dass einem die Menschen auf die Zehen traten!

Loki, Frei, Thor und sein Stiefsohn Ull sind eines Morgens zur Jagd gegangen, und es gibt für sie nur ein Thema, das Gedränge, das neuerdings in Asgard herrscht. Die vier Götter sind weit nach Norden geritten, und jetzt sind sie am Meeresstrand angekommen. Der Winter ist früh hereingebrochen und der Fjord ist zugefroren. Wie immer ist es Loki, der einen kühnen Einfall hat. „Wenn wir schon in unserer eigenen Burg nicht mehr in Ruhe feiern können- wie wäre es, wenn wir uns an den Meeresriesen Ägir hielten? Vielleicht können wir ihn dazu bringen, dass er ein großes Fest für alle Asen ausrichtet? Keiner soll besseres und stärkeres Bier brauen als er, und er wohnt nicht weit von hier.“

Thor will dieser Vorschlag ganz und gar nicht gefallen. „Die Zeit, da Asen und Riesen miteinander am Tisch saßen, ist längst vorbei.“, murmelt er, „Und es ist auch gar nicht sicher, ob er Lust hat, uns einzuladen.“

„Aber mein Lieber“, lächelt Loki und klopft ihm auf den Rücken, „du wirst doch wohl stark genug sein, um ihm klarzumachen, dass ihm nichts anderes übrigbleibt!“

Die vier Götter springen von Eisscholle zu Eisscholle über den weiten Fjord. Aber in der Mitte klafft eine Lücke. Die See rings um die Insel. auf der Ägir wohnt, friert nie zu. Deshalb wird sein Hof auch Unkühle genannt, will heißen, der Ort, an dem es nie friert. Aber einer von den vieren, nämlich Frei, weiß Rat. Er zieht etwas Kleines aus dem Sack, das wie eine Nussschale aussieht. Aber kaum setzt er es aufs Wasser, da wird es größer und größer, und am Ende wächst es sich zu einem großen Schiff aus. Er hat mit Vorbedacht den Skidbladner mitgebracht, das magische Fahrzeug, da immer Wind in den Segeln hat, dasselbe, das einst zwei Zwerge für die Asen gebaut haben. Die vier gehen an Bord und steuern auf die Insel des Seeriesen zu.

Nun ist Ägir ein sehr mächtiger Troll. Seine Brüder sind Wind und Feuer. Ein Feind der Götter ist er nie gewesen, und so nimmt er die Gäste freundlich auf. Nur Ron, seine Frau, wirft ihnen scheele Blicke zu. Jeder kennt sie und weiß, wie böse und gefährlich sie ist. Ihr größtes Vergnügen ist es, Seeleute in ihrem großen Netz zu fangen, um sie dann mit sich in die Tiefe zu ziehen. Das Trollpaar hat neun Töchter, jede von ihnen ist eine Welle, und allesamt sind sie ebenso schön, wie ihre Mutter hässlich ist, Sogar Odin, heißt es, habe sich in eine von ihnen verliebt, damals, als die Welt noch jung und unschuldig war. Auch will es ein Gerücht, dass er mit ihr ein Kind gezeugt hat, nämlich seinen Sohn Heimdall, den geheimnisvollsten unter den Asen, der manchmal verkündet: „Neun Mütter habe ich, und neun Schwestern haben mich geboren.“ Aber wie soll das zugegangen sein? Wer in aller Welt kann so viele Mütter haben? Ägirs Töchter wollen nichts davon wissen, und auch Odin schweigt sich, wie es seine Art ist, darüber aus.

Besonders angetan ist Ägir nicht von dem Vorschlag, die Asen zu einem Fest einzuladen. „Es sollte euch doch nicht schwerfallen, andere und bessere Wirtsleute zu finden“, sagt er. Doch die Asen bleiben bei ihrem Wunsch und am Ende muss der Troll nachgeben; denn schon hat er gemerkt, dass Thor mit seiner Geduld am Ende ist. Seinen Augenbrauen, die sich drohend zusammenziehen, sieht man es an. „Also meinetwegen“, sagt Ägir, „aber nur unter einer Bedingung!“ – „Wenn es etwas Einfaches ist, warum nicht.“, die Götter nicken.

„Wenn Thor wirklich durstig ist, leert er ganz allein die tiefsten Brunnen aus. Das weiß doch jeder! Kein Kessel ist groß genug für seinen Durst. Wie soll ich euch da bewirten? Ich brauch einen Trog, der so riesig ist, dass ich das ganze Bier für euer Fest auf einmal brauen kann. Das ist doch nicht zuviel verlangt.“

Die Götter sehen sich an. Wie sollen sie diese Bedingung erfüllen? Es ist doch klar, dass es einen so großen Kessel nicht geben kann. Der Seeriese lacht. „Wenn ihr fertigbringt, was ich verlange, dann gebe ich nicht nur in diesem Winter ein Fest für euch; ihr könnt jedes Jahr wiederkommen!“ Mit diesen Worten winkt er ihnen zum Abschied.

Als die vier aber in Asgard ankommen, fragen sich die Asen, warum Thor wohl so grimmig dreinblickt.

„Was hast du nur? Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?“ Aber Thor schweigt. Nur Loki findet nichts dabei, zu berichten wie Ägir sie zum Narren gehalten hat.

Selbst Odin lächelt, als er die Geschichte hört. Doch Tyr eilt dem Donnergott zu Hilfe. „Wir werden diesem Riesen schon noch zeigen, wer hier den Kürzeren zieht! Ich glaub, ich weiß, wo wir einen so riesigen Braukessel finden können.“, sagt er leise. „Als ich klein war, hat Hyme, der Riese – ihr kennt ihn doch! – einen Kessel haben soll, der ein paar Meilen tief ist. Den wollen wir uns holen. Aber allein werde ich das nicht schaffen. Wer will mich begleiten?“ Da zögert Thor keinen Augenblick. Er will unbedingt mit von der Partie sein.

Sogleich spannt er die Böcke vor sein Fuhrwerk, und die beiden machen sich auf den Weg. Tyr weiß, wohin sie sich wenden müssen, nach Nordosten. Die Räder schlagen Funken, und sie fahren mit Dröhnen und Grollen über den Himmel. Tief unter ihnen liegt ein kleiner Hof im Gebirge. „Dort sollten wir landen und die Böcke absetzen“, sagt er, „denn sonst sieht Hyme uns schon von weitem kommen, und mir wäre es lieber, wenn wir ihn überraschen.“

Die Leute auf dem Hof haben sich versteckt. Aber als sie sehen, dass es Tyr ist, der auf dem Hofplatz steht, kommt der Bauer mit seinen beiden Töchtern herbeigelaufen. Er verspricht, die beiden Böcke gut zu hüten, und leiht den beiden Asen Skier, damit sie gut über die hohen Berge hinweg weiterkommen.

„Du kennst dich ja erstaunlich gut aus hier in der Gegend“, sagt Thor, als sie eine Weile gelaufen sind.

„Ich bin doch hier aufgewachsen“, antwortet Tyr, „und was man als Kind gesehen hat, vergisst man nie wieder.“ Weiter geht es an gefrorenen Wasserstellen und Gletschern vorbei. Keiner von beiden sagt ein Wort. Erst als der Abend anbricht und sie sich durch eine Schneehöhle gegraben haben, in der sie übernachten wollen, sagt Tyr: „Morgen sind wir da. Dann werde ich meinen Vater und meine Mutter wiedersehen, zum ersten Mal, seit ich erwachsen bin.“ – „So?“, sagt Thor. „Wie kann das sein? Ich habe immer gedacht, wir wären Brüder?“ – „Dass ich nicht von Friggas Fleisch und Blut bin, das ist doch kein Geheimnis“, erwidert Tyr mit einem schiefen Lächeln, „nur glauben alle, dass Odin mein Vater ist. Wenn es nur so wäre! Aber meine Mutter die Riesenfrau, hat sich zwar mit ihm ins Bett gelegt, aber Kinder hat sie keine von ihm bekommen. Übrigens konnte ich schon laufen, als sich die beiden zum ersten Mal trafen. Ich weiß noch, wie sie Odin beschworen hat, er möge mich nach Asgard mitnehmen und wie seinen eigenen Sohn erziehen. Das sei für alle das Beste, hat sie gesagt. Und so ist es dann auch gekommen.“

Thor nickt, aber weiß vor Verlegenheit nicht, was er sagen soll. „Weißt du“, sagt Tyr. „es ist nicht wahr das alle Trolle Übeltäter sind. Unsereins kann so gut wie ihr unterscheiden zwischen Gut und Böse. Es kommt nur darauf an, wie sich einer entscheidet. Und du wirst zugeben, dass ich es verdient habe, einer von den Asen zu sein.“ Er weist auf seinen verstümmelten Arm, der am Handgelenk endet. „Ja“, sagt Thor mit ernster Miene, „deine beste Hand hast du geopfert, um den Fenriswolf zu fesseln. Keiner von uns ist tapferer als du.“ – „Ihr habt es gut.“, gibt Tyr ihm trocken zurück, „Ihr habt nie beweisen müssen, auf welcher Seite ihr steht – obwohl es wahrhaftig Asen genug gibt, deren Mütter irgendwo in Jotunheim zu Hause sind. Nur dass ich der einzige bin, der ganz und gar von den Trollen abstammt.“

Thor will ihn trösten und legt ihm beide Hände auf die Schultern. „Mach dir nichts daraus.“, sagt er. „Das alles bleibt unter uns. Du kannst mir alles sagen.“

Tyr schaut ihm fest in die Augen und erklärt: „Der Riese Hyme, den wir Morgen aufsuchen, das ist mein Vater. Und was meine Großmutter angeht, so hat sie neuhundert Köpfe.“ – „Und wenn sie tausend hätte, was geht mich das an!“ brummt Thor.

„Du bist immer mein Bruder gewesen, und Brüder wollen wir auch in Zukunft bleiben.“

Aber in dieser Nacht kann keiner von beiden schlafen. Tyr denkt an seine Kindertage auf Hymes Hof, und Thor grübelt, wie sonderbar es mit der alten Feindschaft zwischen Asen und Trollen bestellt ist. Das sind doch beides uralte Geschlechter, älter als die Menschen und Tiere, älter als die Berge und das Meer. Wann mögen sich ihre Wege getrennt haben, und warum? Solche Fragen könnte höchstens Odin beantworten. Er wüsste, warum die Asen stets alles ordnen wollen, aufbauen, etwas Neues schaffen, während die Riesen immer nur alles durcheinanderbringen, einreißen und zerstören. Die Trolle, denkt Thor, haben ein kaltes Herz, sie sind im Dunkeln zu Hause. Manche von ihnen scheuen das Licht der Sonne und können es nicht ertragen. Wenn es ihnen zu hell wird, erstarren sie zu Stein.

Doch dann fällt ihm wieder sein Blutsbruder Tyr ein, und er muss ihm recht geben. Nicht alle Riesen sind böse und grausam. Immer noch kommt es vor, dass Asen und Trolle einander in Freundschaft begegnen. Thor weiß, dass Odin so etwas nicht gerne sieht. Der Götterkönig hat sie gewarnt. Er sagt, die Zeit, da Asen und Riesen einander vertrauen konnten, neige sich ihrem Ende zu. Und trotzdem kommt es wie in alten Zeiten vor, dass ein Ase sich auf Freiersfüßen nach Jotunheim schleicht. Wer sagt denn, dass die Riesenfrauen alle hässlich sind? Thor denkt an die Trolltochter Eisenscher, die er, kaum ein Jahr ist´s her, gekannt hat. Ihr Bauch ist warm wie eine Schäre in der Sonne, und ihre Schenkel sind stark, wie zwei Türpfosten. Nie hat er eine Frau geliebt, die so stolz und lüstern war wie sie.

Am andern Tag kommen sie auf Hymes Hof an. Schon in der Halle erwartet sie die Großmutter mit den neunhundert Köpfen – ein wahres Monster. Aber auch Tyrs Mutter ist da. Sie weint vor Freude über das Wiedersehen mit ihrem Sohn. Hyme kommt erst am Abend zurück von der Jagd. „Versteckt euch dort drüben hinter dem Pfosten“, rät sie den Asen. „Mein Mann kann ziemlich heftig werden, wenn er Gästen begegnet, die er nicht erwartet hat.“

Mit so schweren Schritten, dass die Bohlen dröhnen, tritt der Riese ein. Eiszapfen klirren in seinem gefrorenen Kinnbart. „Willkommen zu Hause, mein Lieber“, ruft Tyrs Mutter mit einem Lächeln. „Wir haben Besuch bekommen, als du fort warst. Unser Sohn, an den wir so oft gedacht haben, hat eine lange Reise angetreten, um uns aufzusuchen, und er hat den Donnergott persönlich mitgebracht, den Beschützer der Menschen und Feind aller Unholde. Dort sitzen die beiden, hinter dem Pfosten.“ Aber als Hyme das hört, wird er rot vor Zorn, denn auf Thor ist er nicht gut zu sprechen. Er wirft einen so scharfen, bösen Blick auf die Gäste, dass der Pfosten splittert und der Querbalken bricht. Acht Pfannen stürzen von der Wand auf die Köpfe der Götter und zerspringen an ihren Schädeln.

Schon springt Thor auf und will zurückschlagen. Der Schaft Mjölners, seines Hammers, zuckt in seiner Hand. Aber Tyr legt ihm die Hand auf die Schulter. „Erst müssen wir ihn soweit bringen, dass er uns verrät, wo er seinen großen Kessel hat“, flüstert er. Die Asen wissen sich zu beherrschen. So gelassen bleiben sie, dass sich am Ende auch Hyme beruhigt. Aber nach wie vor glotzt er Thor böse an. Dieser Besuch ist ihm gar nicht recht, und von seinem Sohn will er offenbar auch nichts wissen. Trotzdem befiehlt er, drei Kälber zu schlachten.

„Gäste hin oder her, ein bisschen was zu essen müssen wir haben!“ sagt er mürrisch. Im Nu hat Thor ganz allein zwei Kälber verschlungen.

„Wie soll ich derart verfressene Gäste füttern?“ fragt sich Hyme am nächsten Morgen, und er beschließt, dass es von nun an nur noch Fisch geben wird. Er macht sein Boot bereit, um auf Fang zu gehen. „Ich komme mit!“ ruft Thor. „Wenn es sein muss“, brummt Hyme. „Aber für deinen Köder musst du selber sorgen.“ Da geht Thor in den Stall und dreht dem größten Ochsen mit einer Hand den Hals um, schleppt den Kopf ins Boot und rudert, dass es um den Bug nur so schäumt. Bald sind sie so weit draußen auf dem Meer, dass Hyme anfängt, sich zu ängstigen. Weit und breit ist kein Land mehr in Sicht, und wenn das Boot kentern sollte, wäre es zu weit, um schwimmend das Ufer zu erreichen.

Da tauchen vor dem Boot plötzlich zwei Wale auf. Hyme wirft seine Angelschnur hinaus und fängt beide. Er lacht und sieht Thor herausfordernd an, als wollte er sagen: Mach es nach, wenn du kannst! Thor hat sich achtern hingesetzt. Er befestigt den Ochsenkopf an der Angelrute und wirft ihn hundert Faden weit hinaus. Sogleich beginnt das Meer zu kochen. Wogen, so hoch wie Berge, schütteln das Meer, und aus der See erhebt sich ein fürchterliches Haupt. Es ist der Kopf der Mitgardschlange, die Thor am Haken hat. Das Ungeheuer brüllt, dass das Meer erzittert, und giftige Flammen züngeln aus seinem Maul, aber Thor holt mit letzter Kraft die Schnur ein. Als der Schlangenkopf an der Dollbord schlägt, hebt er seinen Hammer und trifft das Ungeheuer zwischen die Augen. Durch ganz Jotunheim dröhnt das Geheul der Schlange. Hyme ist so erschrocken, dass er sich fast die Zunge abbeißt. Als Thor zum zweiten Mal mit dem Hammer ausholt, hält es den Riesen nicht mehr. Er zieht sein Messer aus der Scheide und kappt die Schnur. „Warte nur, Thor, es kommt die Zeit, wo ich dich besiegen werde!“ gurgelt die Schlange. Der Donnergott winkt ihr zum Abschied mit dem Hammer, und sie ruft ihm zu: „So wird es geschehen, denn so ist´s gewahrsagt und so steht´s geschrieben!“ Stöhnend und seufzend versinkt das Monster im Meer. „Nach Hause“, ruft Hyme, der an diesem Fischzug wenig Gefallen gefunden hat.

Als das schwere Boot knirschend den Sand des Ufers streift, sagt der Riese: „Was ist dir lieber, Thor? Willst du unsern Fang nach Hause tragen oder mein Boot an Land ziehen?“ Thor würdigt ihn keiner Antwort, hievt den Kahn samt Ruder und Schöpfeimer – und den beiden Walen – aus dem Wasser und trägt ihn auf den Schultern über Stock und Stein bis vor die Haustür.

Hyme sieht es mit Neid und will dem Donnergott am Zeug flicken. „Rudern kannst du“, sagt er, „Lasten schleppen auch, aber das ist noch lange keine wirkliche Kraftprobe. Schau dir diesen Becher an! Glaubst du, dass du den zerbrechen kannst? Versuch es doch, wenn du Muskeln in den Knochen hast und nicht nur Fett!“

Das lässt sich Thor nicht zweimal sagen. Er drückt und presst, aber der Becher bleibt ganz. Er schmettert ihn mit voller Wucht gegen einen steinernen Pfeiler, aber nicht der Becher zerbricht, sondern der Pfeiler stürzt ein. Tyrs Mutter, die ihm zugeschaut hat, flüstert ihm ins Ohr: „Der größte Dickschädel auf der Welt, das ist mein Mann. Wirf den Becher gegen seine Stirn, und du wirst sehen, was geschieht.“ Das tut Thor und diesmal zerbricht der Becher in tausend Stücke.

Hyme ist benommen. Der Kopf schwindelt ihm. Er ist wütend darüber, dass er den stärksten Becher eingebüßt hat, den er je besaß und brüllt: „Das ist noch gar nichts! Ich weiß eine Probe, die du nie und nimmer bestehen wirst.“ Auf diese Herausforderung haben die Asen nur gewartet, denn jetzt zeigt Hyme ihnen, wo er seinen riesigen Braukessel versteckt hat. „Wer ihn haben möchte, der kann ihn meinetwegen mitnehmen“, ruft er lachend. Er ist fest davon überzeugt, dass keiner das Monstrum von der Stelle bewegen kann.

Tyr versucht es, aber auch beim zweiten Mal rührt sich der Kessel nicht vom Fleck. Dann ist Thor an der Reihe. Im Spagat stellt er sich über das Gefäß und spannt die Beine so weit, dass er kopfüber in den Kessel fällt. Mit letzter Kraft erhebt er sich, und nun ruht das Beutestück auf seinen Schultern. Wankend, macht er sich auf den Weg. Tyr bleibt gerade noch Zeit, seine Mutter zum Abschied zu umarmen, dann eilt er seinem Blutsbruder nach.

Weit sind die beiden aber nicht gekommen, da hören sie in ihrem Rücken Waffenlärm. Hyme setzt ihnen mit einem ganzen Heer von vielköpfigen Trollen nach. Aus jeder Geröllhalde stoßen neue Riesen zu seiner Schar. Thor legt den Kessel weg und greift zu seinem Hammer. Mjölner ist eine furchtbare Waffe, denn er trifft stets sein Ziel und kehrt jedes Mal in die Hand, die ihn geworfen hat, zurück. Es dauert nicht lange, bis die Verfolger den aussichtslosen Kampf aufgeben. Nun können die beiden Asen ihren Weg in aller Ruhe fortsetzen. Wenn es bergab geht, setzen sie sich auf den hinteren Henkel und rutschen auf dem Kessel zu Tal.

Dann aber geraten sie in ein Nebelfeld, und auf der Suche nach dem Bauernhof, wo Thor seine Böcke gelassen hat, verirren sie sich. Nachdem sie stundenlang umhergetappt sind, lichtet sich der Nebel, und sie merken, dass sie weit draußen an der Küste angekommen sind, nicht weit von der Stelle, wo der Riese Ägir wohnt. „Das trifft sich gut“, sagt Tyr. „Dort soll der Kessel hin, damit Ägir keine Ausrede mehr bleibt. Hier hast du ihn, du Meerestroll“, ruft er über den Fjord. „Fang nur beizeiten an zu brauen. Die Asen sind durstig!“ Mit diesen Worten schleudert er den Kessel über das Wasser, mit solcher Kraft, dass er über die glatte Fläche springt und springt, bis er auf Ägirs Insel landet, als wäre er einer von den Steinen, wie sie die Kinder am Strand auf die See hinauswerfen.

Nun trennen sich die beiden Weggefährten. Tyr will auf dem schnellsten Weg zurück nach Asgard, aber Thor muss noch seine beiden Böcke abholen. Unterwegs in den Bergen hört er einen Mann um Hilfe rufen. Auch der hat sich im Nebel verirrt. Im Schneesturm ist er im Geröll gestürzt und hat sich verletzt. Wenn Thor ihm nicht geholfen hätte, wäre er verhungert oder erfroren. „Wie heißt du?“ fragt er ihn. „Aurwandil ist mein Name“, flüstert der Mann und zeigt auf seine Zehe, die sich schon blauschwarz verfärbt hat. Thor versteht sogleich, dass der Wundbrand auf das ganze Bein übergreifen wird, wenn er nicht sofort handelt.

„Es geschieht zu deinem Besten“, sagt er und bricht ihm die verletzte Zehe ab, so dass das Blut sauber und frisch aus der Wunde fließen kann. Damit das Opfer nicht umsonst ist, wirft er die Zehe hoch in den Nachthimmel und erschafft aus ihr einen neuen Stern. Der heißt seitdem Aurwandils Zehe, aber heute nennen ihn viele den Orion.

Erst am Nachmittag des folgenden Tages erreichen die beiden den Bauernhof, wo Thor zu seiner großen Freude die beiden Böcke bei bester Gesundheit antrifft. Warum schlachtet er sie dann, zieht ihnen das Fell ab und kocht sie? Warum bittet er alle am Hof, sich an den Tisch zu setzen und mitzuessen? Das sagt er nicht. Doch die Ziegenhäute legt er sorgsam vor den Kamin zum Trocknen und von allen, die mitessen, verlangt er, dass sie alle Reste auf die Felle werfen. „Dass ihr mir vorsichtig mit den Gebeinen umgeht!“, ruft er, „Nicht einmal das winzigste Knöchelchen darf zerbrechen.“ Aber der Bauer hat zwei Kinder, einen Sohn, der Tjalve, und eine Tochter, die Roskva heißt, und die beiden hören nicht auf Thor.

So kommt es, dass Tjalve, der an einer Keule nagt, vor lauter Hunger mit dem Messer darauf einhackt, weil er das Mark aus dem Knochen schlürfen will.

Noch bevor der Morgen graut, steht Thor auf, nimmt seinen Hammer zur Hand und schwingt ihn über den Ziegenfellen. Sofort stehen die beiden Böcke wieder auf, so lebendig wie eh und je. Allerdings- einer von ihnen lahmt am Hinterlauf. Thor wird rot im Gesicht vor Wut, und die Knöchel seiner Hand werden weiß, so fest hält er den Hammer, denn er versteht sehr wohl, was geschehen ist. Einer der Schmausenden hat sich nicht an seinen Befehl gehalten! Der Bauer und seine Leute flehen um Gnade. Als er die Angst in ihren Augen sieht, lässt Thors Zorn nach, doch um eine Buße sollen sie nicht herumkommen. Der Bauer muss ihm seine beiden Kinder, Tjalve und Roskva, überlassen. Von nun an sollen sie ihm folgen. ganz gleich, wo er hingeht! Und so kommt es auch.

Zu dritt nehmen sie nun Abschied und fahren nach Asgard. Thor führt den Wagen an, Tjalve und Roskva nehmen die Böcke an die Leine. So schnell geht es voran, dass die Kinder gar nicht auf die Idee kommen, zu jammern. Sie denken an das Abenteuer, das vor ihnen liegt. Hat der Donnergott ihnen nicht versprochen, dass sie beim großen Fest dabei sein dürfen, das bei Ägir stattfinden soll?

Regin (Regen, nord. "der Mächtige”) ist ein kunstfertiger aber auch boshafter Zwerg und Ziehvater des Sigurd.

Regin (Regen, nord. „der Mächtige”) ist ein kunstfertiger aber auch boshafter Zwerg und Ziehvater des Sigurd.

 Unterdessen hat sich Odin wieder auf eine seiner Reisen begeben. Jedes Mal wenn ihn seine grüblerischen Gedanken heimsuchen, setzt er sich auf sein achthufiges Pferd Sleipnir, das ebenso leicht auf dem Wasser, wie in den Lüften dahingaloppiert, und reitet so schnell davon, dass nicht einmal der Wind es mit ihm aufnehmen kann. Diesmal führt in sein Ausflug weit nach Jotunheim, ins Land der Riesen. Als er gerade umkehren will, tritt ihm ein Riese namens Rugne in den Weg. Auch er kommt hoch zu Ross daher, und er ist berühmt für sein Geschick im Umgang mit den Pferden.

Die beiden Reiter wechseln ein paar Worte. Beide behaupten, ihr Pferd sei das Beste auf der Welt. „Nicht umsonst heißt meines Gullfachse“, prahlt der Riese. „sieh nur wie sein Fell glänzt!“ – „Du kennst meinen Sleipnir nicht“, antwortet Odin. „was gilt die Wette, dass er schneller ist als deine Mähre?“

„Das wird sich zeigen! Ich halte dagegen“, ruft Rugne und gibt seiner Gullfachse die Sporen.

Aber Odin überholt ihn und hält seinen Vorsprung auf dem ganzen Weg nach Asgard. Rugne ist so hitzig, dass er gar nicht merkt, wohin die Reise geht, bis auch er mitten in der Götterburg angekommen ist. Schon eilen die Asen mit Speer und Axt herbei, doch Odin lächelt und sagt: „Diesmal soll der Troll nicht wie ein Feind, sondern wie ein Gast aufgenommen werden.“

Also wird Rugne nach Walhall eingeladen, und die Asen setzen ihm die großen Hörner vor, aus denen Thor zu trinken pflegt. Der Riese leert sie, eins nach dem andern, mit einem Zug, und bald ist er ziemlich betrunken. Nun nimmt er, wie es seine Art ist, große Worte in den Mund. „Wartet nur“, schreit er, „wenn ich nach Hause gehe, nehme ich euer ganzes Walhall unter dem Arm mit nach Jotunheim. Dort soll mir euer Haus als Hundehütte für meine Jagdmeute dienen. Und euer Asgard will ich im Meer ersäufen. Mit jedem von euch werde ich fertig, Keinen Gott und keine Göttin will ich am Leben lassen. Nur Siv und Freia, die will ich verschonen, und jede zweite Nacht will ich sie im Bett haben!“

Er säuft und säuft, während er seine Drohungen brüllt. Anfangs lachen die Asen und ihre Kämpfer über ihn, doch allmählich wird ihnen seine Prahlerei zu dumm. Freilich, er ist immer noch ein gefährlicher Gegner, und nur Freia wagt es, ihm nachzuschenken.

In eben diesem Augenblick kommt Thor von seiner weiten Reise nach Hause. Er ist ziemlich schlecht gelaunt, und was er in Walhall sieht, ist nicht dazu angetan, ihn aufzuheitern. „Wer hat diesem widerlichen Troll erlaubt, unser Haus zur Bude eines Säufers zu machen?“ ruft er „Und wie kommt Freia dazu, dem Schwätzer die Hand zu geben?“ – „Odin selber hat mich eingeladen“, antwortet Rugne. „Trotzdem wirst du es noch bereuen, dass du zu uns gekommen bist“, brummt Thor und greift nach dem Hammer in seinem Gürtel. „Du hast wohl für uns Riesen nichts übrig“, lacht Rugne, „dein Hass sitzt tief, wie mir scheint. Aber wie war das im vergangenen Frühjahr, als du die Trolltochter Eisenscher getroffen hast? Da saß wohl etwas anderes noch tiefer als der Hass, denn nun läuft sie mit dem dicksten Bauch von ganz Jotunheim herum.“

Thor steht der Zorn ins Gesicht geschrieben: denn es gefällt ihm nicht, dass die Asen von dieser Liebschaft hören. Vor allem ärgert es ihn, dass seine Frau Siv davon erfährt. Schon wiegt er seinen Hammer in der Hand, und es hat nicht viel gefehlt, da hätte er ihn dem Riesen an den Kopf geworfen. Aber Rugne ruft ihm zu; „Ehrlos ist es, einen waffenlosen Gegner umzubringen. Du weißt genau, dass ich zu Hause meinen Schild und meinen Wetzstein liegen habe. Hätte ich ihn mitgebracht, dann würde ich über deinen Hammer nur lachen. Auf der Stelle würde ich dich zum Zweikampf fordern.“ – „Wann und wo du willst“, sagt Thor. „Gut“, brüllt der Troll, “du triffst mich auf halber Strecke am Wegweiser zu meinem Hof.“

Noch nie hat jemand gewagt, Thor zum Zweikampf herauszufordern. Er ist so überrascht von dieser Dreistigkeit, dass er sofort einwilligt. Rugne ist derart betrunken, dass er sich kaum aufrecht halten kann; die Gastgeber müssen ihm helfen und ihn auf sein Ross setzen. So schaukelt der Riese nach Hause.

Die beiden Kinder vom Bauernhof haben dem Spektakel atemlos zugesehen. Nun bringt sie Thor in ihr neues Heim, nach Trudwang, wo Siv sie erwartet. Mit großen Augen schauen sie sich um, denn Thors Haus ist größer als alles, was sie sich bisher träumen ließen. Fünfhundertvierzig Zimmer hat es. „Kein Wunder“, murmelt Roskva, „dass ihr jemanden braucht, der hier Ordnung hält.“ Die goldhaarige Siv nimmt die beiden freundlich auf. Bald, denkt sie, werden sie sich auch mit ihren eigenen Kindern, Trud, der Tochter, und Mude, dem Sohn, gut verstehen.

Alle in Trudwang hüten sich, auch nur ein Sterbenswörtchen über Eisenscher zu verlieren. Nur Loki, der wie immer Bescheid weiß, kann seine Zunge nicht im Zaum halten. Sein alter Groll gegen Thor will sich Luft machen, und hier sieht er eine gute Gelegenheit, dem Hausherrn einen Streich zu spielen. Sogleich macht er sich auf den Weg ins Land der Riesen, um Eisenscher zu besuchen. „Weißt du, wer mich zu dir geschickt hat? Thor! Er vergeht vor Sehnsucht nach dir. Du sollst sobald wie möglich nach Trudwang kommen, damit dein Kind dort zur Welt kommen kann.“

Und weil Eisenscher ihm Glauben schenkt, klopft sie eines schönen Tages an der Pforte von Trudwang an. Siv ist von diesem Besuch keineswegs erbaut, und sie ist drauf und dran, der Fremden die Tür zu weisen. Aber dann bemerkt sie, dass Loki in der Ecke steht und sich ins Fäustchen lacht. Den Triumph, sie gekränkt zu sehen, will sie ihm auf keinen Fall gönnen. Lieber öffnet sie und lässt die Trollfrau ins Haus. Noch in derselben Nacht gebiert Eisenscher ihren Sohn Magne.

Sie weiß zu berichten, dass es in Jotunheim nur noch ein Gesprächsthema gibt: den Zweikampf zwischen Thor und Rugne. Alle rätseln darüber, wer ihn gewinnen wird, denn schließlich ist Rugne der stärkste Riese, den die Trolle je hatten.

„Sein Kopf ist aus Stein“, behauptet Eisenscher, „genau wie sein Herz, das zackig ist und drei Ecken hat. Und damit nicht genug! Die Riesen haben sich zusammengetan, um ihm einen Helfer zu machen, der ihn auf dem Kampfplatz begleiten soll, und zwar ist das ein Mann aus Lehm, neun Meilen hoch und drei Meilen breit über der Brust. Den haben die Trolle zum Leben erweckt und ihm das Herz einer Stute eingepflanzt.“

Als das die Asen hören, wird ihnen zweierlei zumute. Nur Loki lacht. „Na ja“, sagt er, „wer weiß, vielleicht wird unser Fest bei Ägir mit einem Leichenschmaus enden; fragt sich nur für wen.“ – „Sei still!“ ruft Odin, der das Schicksal nicht herausfordern möchte. „Übrigens, wenn Rugne mit einem Knappen anrückt, bringen wir auch unsere Helfer mit. Das ist nur recht und billig.“ Und er zeigt stolz auf das gewaltige Heer der Untoten. „Bessere Krieger gibt es auf der ganzen Welt nicht.“ Das wiederum hört Thor nicht gern. „Mag mein Vater es mit den Untoten halten; ich jedenfalls habe für lebendige Menschen mehr übrig. Ich nehme den jungen Tjalve mit.“ – „Was?“, fragt Loki grinsend. „Mit einem kleinen Jungen willst du den Riesen besiegen?“

Als der Tag der großen Kraftprobe gekommen ist, haben sich viele Asen und Trolle am Schauplatz versammelt. Der wilde Rugne ist mit einem starken steinernen Schild angetreten und hat seinen gewaltigen Wetzstein mitgebracht. Neben ihm ragt einer in die Höhe, der fast noch gefährlicher aussieht; ein enormer Riesenkerl aus Lehm mit Füßen wie Felskuppen und einem Dickschädel, der bis in die Wolken ragt.

Aber wo bleibt Thor? Ein Junge kommt über das Feld gelaufen, und ruft dem Troll zu. „Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen!“ Der Riese weiß nicht, wer Tjalve ist, und er ist überrascht, dass sich ein kleiner Mensch zu ihm auf den Kampfplatz wagt. Er beugt sich zu ihm hinab, um besser zu hören. „So wie du deinen Schild vor dich hinhältst, wirst du sicher den Kürzeren ziehen“, sagt Tjalve ihm ins Ohr. „denn Thor hat schon von weitem gesehen, wie du dastehst. Ich weiß was er vorhat. Er hat sich nämlich einen Stollen unter der Erde gegraben, und wenn er in deiner Nähe angekommen ist, greift er dich von unten an:“ – „Das soll ihm nichts nützen“, brüllt Rugne, legt seinen Schild auf den Boden und springt mit beiden Beinen darauf. Aber da hört man ein Donnern und ein Dröhnen und schon zeigt sich Thor, Odins Sohn. Aus einer dunklen Wolke schießt er hernieder, aufrecht im Wagen stehend, die Zügel in der einen, den Hammer in der andern Hand. Sein roter Bart leuchtet wie Feuer, und ein Sturmwind peitscht seine Böcke voran.

Jetzt greift Rugne wutentbrannt nach seinem Wetzstein. Der Goliath aus Lehm aber erschrickt so sehr über den rollenden Donner, dass er das Wasser nicht halten kann. Nach allen Seiten sprudelt es heraus, und auf dem Leib des Riesen zeigen sich nasse Flecken.

Jetzt schleudern die beiden Kämpfer einander ihre Waffen entgegen. Thor seinen Hammer, Rugne seinen Wetzstein. Dröhnend prallen Eisen und Stein aufeinander. Der Wetzstein zerspringt in tausend Scherben, die wie ein Hagelschauer über der ganzen Welt zu Boden fallen. Heute noch kann man an allen Küsten sehen, wo sie niedergegangen sind, an den spitzen Schären, die aus dem Meer ragen.

Einer der Splitter aber hat Thor am Kopf getroffen, mit solcher Wucht, dass er aus seinem Wagen stürzt. Den Treffer überlebt er, bleibt aber benommen liegen, und kriechend versucht er, wieder in die Höhe zu kommen. Siv und ihre Kinder kreischen vor Angst, und Eisenscher, die ihrem Säugling Magne die Brust gibt, jammert. Aber mit Rugne nimmt es ein viel schlimmeres Ende. Thors Hammer spaltet ihm den Schädel, und der Riese fällt tot um. Jetzt jubeln Siv und Eisenscher und reichen sich vor Freude die Hand.

Doch der gefällte Riese stürzt so, dass einer seiner schweren Füße quer auf den Hals des Donnergottes zu liegen kommt. Thor ist eingeklemmt und kann sich nicht mehr rühren. Tatenlos muss er zusehen, wie der junge Tjalve nun ganz allein den Kampf mit dem Goliath aus Lehm aufnimmt. Aber der zeigt sich ebenso ängstlich und feige, wie er groß und abscheulich ist, und der Junge bringt es fertig ihn umzulegen. Daran kann man wieder einmal sehen, dass es in dieser Welt nicht auf den Brustumfang und die Schuhgröße ankommt. Als die Trolle sehen, wie das Monster in Stücke springt, schlagen sie sich in die Büsche, und manche, die einen Schwanz haben, schleifen ihn mutlos hinter sich her.

Nun kümmert sich Tjalve um seinen Herrn Thor, der immer noch unter dem Fuß von Rugne daliegt. Er versucht, das Bein des Gefallenen hoch zu heben, aber das geht über seine Kräfte. Die Asen eilen herbei, um ihm zu helfen, aber der Riesenfuß bewegt sich nicht; es ist als wäre er festgenagelt. Alle kratzen sich am Kopf und überlegen, was sie tun sollen. Auch Siv und Eisenscher sind herbeigeeilt. Der kleine Magne, Eisenschers Sohn, der erst drei Tage alt ist, findet, dass er nun genug Milch getrunken hat. Er lässt die Brust der Mutter los, wischt sich zufrieden den Mund ab, und springt aus ihren Armen. Dann krabbelt er zu Thor hin und greift nach dem Fuß des Riesen. Mit einem Ruck hat er ihn in die Höhe gehoben und seinen Vater befreit. „Schade, dass ich so durstig war“, sagt er, „sonst hätte ich den dummen Troll mit meinen bloßen Fäusten erschlagen.“

Thor ist so stolz auf seinen kleinen Sohn, dass er ihm auf der Stelle Rugnes Pferd, die herrliche Gullfachse zum Geburtstag schenkt. Das will Odin nur halb gefallen. Er räuspert sich und sagt: „Wäre es nicht besser, ein so wunderbares Ross mir zu überlassen? Soll sie denn wirklich in die Hände eines hergelaufenen Trollkindes fallen?“ Aber Thor lacht nur über diesen Einfall und drückt den kleinen Magne an sein Herz. „Mag schon sein, dass er ein Trollkind ist, aber wer sein Vater ist, das steht fest!!“ Odin macht sich wortlos auf den Heimweg, doch Thor und Tyr, die Blutsbrüder, zwinkern sich verständnisinnig zu. Sie wissen, dass sie sich aufeinander verlassen können.

Thor ist immer noch halb betäubt vom Schlag des Wetzsteins, der in seinem Kopf festsitzt, und niemand weiß wie man ihn herausholen soll. Er legt einen Arm um Siv, und den andern um Eisenscher. Auf sie gestützt, kehrt er heim nach Trudwang, gefolgt von den Kindern. „Du warst auch nicht schlecht“, sagt Magne, spuckt weit aus und klopft Tjalve anerkennend auf den Rücken.

Unterwegs begegnet ihnen eine alte Frau, die berühmt ist für ihre magischen Künste. Sie legt ihre Hand auf den Wetzstein und singt und kräht die stärksten Zauberreime, die sie kennt. Nach einer Weile spürt Thor, wie der Stein sich langsam löst. Da fällt ihm ein, dass auch er der Alten etwas zu bieten hat. Denn sie ist mit Aurwandil verheiratet, dem Wanderer, den Thor hoch im Norden verwundet im Eis gefunden und gerettet hat, „Du hast dir sicherlich Sorgen um ihn gemacht“, sagt er, „aber keine Angst! Er wird sicherlich bald gesund nach Hause kommen.“ Da ist die Alte außer sich vor Freude, dass sie darüber die letzten Strophen ihres Zauberreims vergisst und nicht mehr weiterweiß. Und so bleibt der Wetzstein wieder stecken.

Solange er lebt, wird Thor nun mit diesem Andenken an den Kampf mit Rugne herumlaufen müssen. Deshalb heißt es bis auf den heutigen Tag, dass man nie einen Wetzstein fortschleudern darf, denn dann rührt sich der Riesensplitter in Thors Stirn, und der Geplagte fängt an zu wüten. Mit einem Donnergott der Kopfweh hat, ist aber nicht zu spaßen. Freund und Feind tun gut daran, sich vor ihm zu hüten.

Trotz allem steht es nicht so schlecht um Thor, dass er nicht von Herzen gern mitgekommen wäre, als Ägir endlich sein Bier im Kessel des Riesen fertig gebraut hat und die Asen zum großen Fest lädt. Alle finden sich ein, sogar Odin lässt sich zu diesem Ausflug überreden.

Der Festsaal auf Ägirs Hof heißt Brime, und das heißt soviel wie „Der Schäumende“. Er macht seinem Namen alle Ehre, denn zu trinken gibt es mehr als genug. Die Biertonnen gleiten auf den Tischen hin und her und schenken ganz von selbst nach, sobald ein Becher geleert ist. Um den großen Saal zu erleuchten, braucht es kein Feuer und keine Fackeln, denn Ägir hat ihn mit Gold verkleidet, das so rein ist, dass es im Dunkeln leuchtet. Auch Tjalve und Roskva sind eingeladen, und der kleine Magne sitzt auf Thors Schoß und trinkt mit seinem Vater um die Wette. Selten haben die Asen ein so vergnügliches Fest gefeiert.

Kapitel 6: Die Reise ans Ende der Welt

Loki - Gott des Feuers, des Schabernacks, des Bösen, der Verwandlung, der List und dämonischer Trickster, halb Gott und halb Riese.

Loki – Gott des Feuers, des Schabernacks, des Bösen, der Verwandlung, der List und dämonischer Trickster, halb Gott und halb Riese.

 Weit, weit drinnen in Jotunheim liegt eine große Burg, die in Fels und Eis gehauen ist. Nur im Sommer, wenn es taut, ist sie von Wald und grünen Wiesen umgeben. Dort herrscht der berühmte Geirröd. Er hat nur einen Kopf, der aber ist so groß und hässlich, dass nur seine beiden Töchter, die hässliche Greip, und die abscheuliche Galp, seinen Anblick ertragen können.

Wie die drei Riesen da oben sitzen und sich anglotzen, kommt auf einmal ein Falke geflogen. Der lässt sich hoch oben an der Mauer nieder und späht durch einen Spalt hinein.

„Fangt ihn!“ ruft Geirröd, denn er hat sich schon lange einen Jagdfalken gewünscht, den er zähmen möchte, um ihn am Handgelenk zu halten auf der Jagd nach Hasen und anderem Kleinwild.

Die Töchter strecken sich nach der Decke, sie hüpfen und springen und steigen auf Leitern, aber umsonst, sie erreichen den Falken nicht. Der sitzt jetzt ganz oben auf dem Dachbalken, und es sieht ganz so aus, als mache er sich über die Riesentöchter lustig.

Als er aber fortfliegen will, merkt er, dass seine Klauen in einer Ritze fest hängen. Der Vogel flattert und schreit, und nun sind es die Riesen, die ihn auslachen.

Geirröd packt ihn am Hals und sagt: „Du bist mir ein schöner Vogel, und ich glaube, du wirst mir viel Freude machen.“

Aber der Falke fasst ihn kalt ins Auge, und Geirröd erschrickt. „Du blickst mich nicht wie ein Vogel an“, sagt er. „Du trägst ein Federkleid, aber deine Augen verraten dich.“

Der Vogel schweigt. „Entweder bist du ein Mensch oder einer von den Asen, die sich einbilden, dass sie alles können und alles am besten wissen!“

Aber der Falke hält seinen Schnabel geschlossen. „Na ja“, grunzt Geirröd. „ich habe Zeit. Früher oder später werde ich dich schon zum Reden bringen.“ Und er sperrt den Falken in eine Truhe und wirft den steinernen Deckel zu.

All das sieht auch Odin, oder besser gesagt; er hätte es mit ansehen können. Denn wenn der Götterkönig auf seinem Thron sitzt, kann er die ganze Welt überblicken, und merken, was Asen und Trolle, Zwerge und Alben, Menschen und Tiere treiben. Aber es gibt Wichtigeres auf der Welt als einen Falken, der sich verflogen hat. Odin richtet sein Augenmerk auf die finsteren Mächte, die sich sammeln. Er denkt an den drohenden großen Krieg. Er hält Ausschau nach Hels Heerscharen aus dem Totenreich. Er verfolgt, wie eine Schlange, an der Wurzel der Weltesche nagt, und wie eine Riesin weit im Osten im Eisenwald immer mehr Junge wirft. Es sind Wölfe, die sie gebiert. Einer von ihnen heißt Skoll und jagt hinter der Sonne her, ein anderer heißt Hate und hetzt den Mond.

Odin hat die Welt erschaffen, und er ist ihr Schutzherr. Deswegen sucht er seinen Hochsitz auf und hält Ausschau. Von dort kann er alles sahen, was er sehen will. Nur nicht alles auf einmal. Geirröd und dem Falken schenkt er keinen Blick.

Drei Monate lang bekommt der Vogel weder Wasser noch Brot. Er sitzt im Dunkeln und schnappt nach Luft. Am Ende hält er es nicht länger aus. „Lasst mich raus!“ ruft er. Da hebt Geirröd den Deckel, und wer sitzt in der Truhe? Kein anderer als Loki, einer der Asen, der noch dazu Odins Milchbruder ist.

„Wenn du schwörst, dass du nicht versuchst zu fliehen, und machst was, ich verlange, dann lasse ich dich raus“, brummt Geirröd. „Ich schwöre es“, antwortet Loki, richtet sich auf und streckt seine Glieder. Das zerfledderte Falkenkleid fällt von ihm ab und bleibt auf dem Boden der Truhe liegen.

Endlich bekommt der arme Gott etwas zu essen und zu trinken. Geirröd will wissen, was es in Asgard Neues gibt, und Loki berichtet ihm vom Klatsch der Götter. Der Riese schenkt ihm ein Glas nach dem andern ein, und bald ist Loki sturzbetrunken – kein Wunder nach seiner langen Hungerkur.

Sie sprechen von alten Zeiten. Damals herrschte noch eitel Freundschaft zwischen Asen und Trollen, und sie gingen miteinander zur Jagd und zum Fischen. „Aber wir sind die Ältesten“; trumpft Geirröd auf. „Die Riesen waren ja die allerersten Geschöpfe. Unsere Sippe ist älter als die Berge und älter als das Meer. Hat er das vergessen, euer einäugiger Götterhäuptling? Hat er vergessen, wie wir einmal fast Blutsbrüder geworden wären, damals in der Urzeit, als die Riesenmutter Besla ihm ihre Zitzen hinhielt?“

„Davon will er schon lange nichts mehr hören“, seufzt Loki und Geirröd brüllt: „Dann solltet ihr euch lieber einen andern Häuptling wählen! Einen, der sich noch daran erinnern kann, wo er herkommt! Loki, wie wär’s mit dir? Deine Eltern waren Trolle, und zwei von deinen Brüdern leben hier in Jotunheim. Du und kein anderer sollte König und Häuptling in Asgard sein!“

„Das meine ich auch“, greint Loki. Da fällt Geirröd ihm ins Wort: „Aber solange Thor, der Donnergott, wie ein Wilder mit seinem verdammten Hammer herumtobt, kann es mit euch keinen Frieden geben.“ – „Das meine ich auch“, seufzt Loki. „Trink noch ein bisschen Met“, sagt Geirröd und schenkt ihm nach. Doch da ist Loki schon eingeschlafen. Der Kopf ist ihm auf die Tischplatte gesunken, und er schnarcht so laut, dass der ganze Saal davon widerhallt.

Am andern Morgen fliegt Loki davon. „Aber vergiss nicht, was du mir geschworen hast“, ermahnt ihn Geirröd. „Habe ich dir etwas geschworen?“ fragt Loki, denn er kann sich an nichts erinnern, so dröhnt ihm der Schädel. „Ich habe versprochen, dir zu helfen, damit du König in Asgard wirst.“, sagt Geirröd ernst, „Und dafür hast du versprochen, dass du mir Thor herbeischleppst – wie, das ist deine Sache! – damit ich ihm alle Knochen brechen und ihn einsperren kann – in dieselbe steinerne Truhe, in der du so lange gewohnt hast.“

Und Geirröd droht ihm mit seinem Zeigefinger, der voller Warzen ist: „Dass er mir aber ja ohne seinen Hammer kommt, und ohne seinen Zaubergürtel, und ohne seine eisernen Handschuhe!“

„Das soll ich dir versprochen haben?“ fragt Loki und wird bleich. „Du hast es geschworen“, knurrt Geirröd und seine beiden Töchter nicken dazu; sie seien dabei gewesen, sie hätten es selbst gehört, sie seien Zeugen.

Auf dem Heimweg fliegt Loki vorsichtig und nur knapp über den Baumwipfeln, denn er hat einen gewaltigen Kater. Was habe ich nur getan, denkt er. Doch er weiß auch: Versprochen ist versprochen. Derjenige, der seinen Eid bricht, hat den Tod verdient. So hat Odin es bestimmt.

Mimir - Weisheits- und Orakelwesen und weiser Riese. Mimir hütet an der zweiten der drei Wurzeln von Yggdrasill den Mimrisbrunnr.

Mimir – Weisheits- und Orakelwesen und weiser Riese.
Mimir hütet an der zweiten der drei Wurzeln von Yggdrasill den Mimrisbrunnr.

 Als Loki nach Hause kommt, mit kalten Füßen und Reif am Schnabel, wird er von Sygin, seiner Frau, und seinen Söhnen freudig empfangen. Sie sind erleichtert, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen. Aber niemand fragt ihn, wo er sich aufgehalten hat. Sie sind daran gewöhnt, dass Loki kommt und geht, wie es ihm passt, und dass er nie mehr erzählt, als er will. Diesmal aber sagt er nichts.

Am andern Tag schleicht er sich in die große Küche von Walhall, um sich umzuhören. Neugierig war Loki schon immer, und er weiß, dass es die Köche und die Mägde sind, die man fragen muss, wenn man erfahren will, was es am Sitz der Götter Neues gibt. Zum Beispiel, dass Thor gerade von einer Seefahrt heimgekehrt ist, mit ein paar bösen Schrammen, weil ihn auf einer Insel im Nordmeer eine Horde von Wolfsfrauen mit Eisenstangen überfallen hat.

Aber auch aus Mitgard gibt es Neuigkeiten. Die Dienstboten haben gehört, dass immer mehr Huldren auftauchen, die die Menschen aufsuchen und allerlei Unheil stiften. Alle schütteln den Kopf und fragen sich, was wohl aus dem Menschengeschlecht werden soll, wenn das so weiterginge. Vielleicht würden die Leute in Mitgard bald selber wie die Huldren aussehen, mit langen Kuhschwänzen und einem Rücken, der so hohl war wie ein Viehtrog?

„Ach was“, sagt Loki und steht auf. „Soweit kann es nicht kommen, genauso wenig wie die Menschen je zu Göttern werden. Und es ist schließlich kein Wunder, dass sich Gegensätze anziehen, auch wenn es Odin nicht passt. Er will uns verbieten in Jotunheim Liebkosungen zu sammeln, wie wir es seit eh und je getan haben.“

„Vielleicht will er die Riesentöchter nur für sich behalten“, grinst einer der Küchenjungen. „Das glaube ich kaum“, sagt ein anderer. „Es ist ja schon ewig her, dass der einäugige Ziegenbock, dort in Jotunheim ins Bettstroh gehüpft ist.“

„Früher“, ruft Loki, „da war Odin der geilste und wildeste von uns allen.“ – „Oh“, sagt eine von den Mägden, „feurig und verrückt ist er immer noch.“ Es ist das Kammermädchen, das bei Frigga im Dienst steht, Odins Frau, und sie weiß alles, was im Haus der Häuptlinge vorgeht. „Jedes Mal, wenn es ihm passt, verschwindet er ein paar Tage lang. Dann geht er nach Mitgard zu den Menschentöchtern. Wenn ihr wüsstet, wie er sich aufführt, sobald er merkt, dass er sich nicht mehr beherrschen kann!“ Sie wird rot und schlägt die Augen nieder. „So wie damals, als er sich an die Tochter von Billing herangemacht hat“, lacht der Koch und trocknet sich die Hände an der Schürze ab. „Ich weiß nicht mehr, von wem ich es gehört habe, aber jedenfalls hat sich unser Odin bei dieser Gelegenheit ziemlich blamiert. Er hat sich bei ihr eingeschmeichelt. Als er aber wie verabredet, zum Stelldichein kam, hitzig wie ein Ofen und geil wie ein Stier, da stürmten plötzlich ein paar Krieger mit brennenden Fackeln ins Schlafzimmer und fielen über ihn her. Sie hatte eben noch Zeit ihm ins Ohr zu flüstern: … komm wieder, mein Schatz, wenn sie fort sind. Und er ist darauf hereingefallen. Er verband seine Wunden und wartete draußen bis zum ersten Hahnenschrei. Dann schlich er sich über den Hof, an den schlafenden Wächtern vorbei, ins Haus und in ihr Bett. Es war ganz dunkel im Zimmer. Er flüsterte ihr heiße Worte ins Ohr, doch er konnte nicht sehen, wen er umarmte. Aber dann merkte er doch, dass es nicht Billings Tochter war, was sich dort auf dem Fell drehte und wand – sondern eine große Hündin, die man an den Bettpfosten angebunden hatte. und von allen Seiten hörte er Gekicher und Gelächter.“ Jetzt lacht auch der Koch und schlägt sich mit der großen Holzkeule auf die Schenkel. „Das hatte er nun davon!“

„Eine scheußliche Geschichte“, sagt Loki und spuckt auf den Boden. „Mir wird ganz schlecht, wenn ich hören muss, wie sich die Götter mit den Menschen einlassen. Das sind doch Wesen, die wir selbst erschaffen haben, kleines Kroppzeug, das wir nur in die Welt setzten, weil uns langweilig war. Mit denen ins Bett zu gehen, dass ist nicht viel besser, als schliefe man mit den eigenen Kindern.“

„Sehr richtig! Einverstanden!“ rufen die Köche, die Mägde und die Kammermädchen. „Dagegen die Riesen! Das ist etwas anderes. Die sind wie wir, die sind uns ebenbürtig. Mit einer Riesentochter ginge ich allemal ins Bett.“

„Aber Odin kann die Riesen nicht leiden. Er will nichts mehr mit ihnen zu tun haben, und wir, sagt er, sollen gefälligst auch die Finger von ihnen lassen.“

„Der soll vor seiner eigenen Tür kehren“, antwortet Loki. „Und wir sind schön feige, wenn wir es nicht wagen, ihm zu widersprechen. Erst gestern bin ich von einem Besuch bei Geirröd nach Hause gekommen. Das ist ein erstklassiger Riese, und auf seinem Hof leben zwei der herrlichsten Geschöpfe, auf die je der Mond geschienen hat. Das sind seine Töchter, die zarte Greip und die schöne Galp. Mich wollten sie ja leider nicht haben, und ich weiß auch von anderen Freiern, denen sie die Tür gewiesen haben. Die beiden Schwestern träumen nämlich von ein und demselben Mann.“

„Von wem denn?“ rufen die Mägde wie aus einem Mund. „Ist es jemand, den wir kennen?“ Loki sieht sich triumphierend um und erst nach einer langen Pause sagt er leise: „Es ist Thor, der Donnergott. Ihn wollen sie haben und keinen anderen. Und sie haben sich in den Kopf gesetzt, ihn zu teilen, so lange, wie er es aushält. Aber wir wissen ja, was aus ihm geworden ist. Ein Angsthase, der einknickt, sobald Odin, mit den Fingern schnippt. Also werden die beiden Mädchen wohl Jungfrauen bleiben, bis ihnen das Moos zwischen den Beinen wächst. Aber er weiß nicht, was er sich da entgehen lässt, der Dummkopf.“

Loki lacht höhnisch, rollt mit den Augen und schnalzt mit der Zunge wie ein Kenner, und dann geht er ohne ein weiteres Wort nach Hause. Denn er weiß genau, dass kein Tag vergehen wird, bis die Mägde herum getratscht haben, was er ihnen anvertraut hat, und bald würde es Thor zu Ohren kommen.

Und richtig, als Loki am andern Morgen, munter vor sich hin pfeifend, über den Hof geht, da springt ein Riese mit rotem Bard und wirrem Haar vor ihm aus dem Gebüsch und brüllt. „Wer behauptet hier, dass ich ein Angsthase bin?“ Es ist Thor. „Ich doch nicht“, flötet Loki. „Das muss ein Missverständnis sein. Ich habe genau das Gegenteil gesagt. Thor, habe ich gesucht, der ist nicht wie die anderen. Der lässt sich nicht von Odin herumkommandieren. Den führt keiner an der Leine! Er ist schließlich der Donnergott, der keinen fragt, wen er umarmen darf.“ Und Loki redet so lange auf ihn ein, bis er Thor besänftigt hat.

„Du hast recht“, sagt der Donnergott schließlich. „Ich mache, was ich will, und ich will sie nun einmal haben, diese beiden Schwestern. Noch heute Nacht breche ich auf nach Jotunheim. Mein Knecht Tjalve soll mich begleiten. Und du Loki, kommst auch mit und zeigst mir den Weg.“

„Aber du darfst deinen Hammer nicht mitnehmen, und auch den Zaubergürtel und die eisernen Handschuhe musst du zu Hause lassen, denn so war es mit Geirröd abgemacht.“

Gesagt, getan. Sie reiten heimlich in die Dunkelheit hinaus, damit niemand erfahren soll, was sie vorhaben. Aber der Weg nach Jotunheim ist weit, und so müssen sie auf halbem Weg bei einer Riesin namens Grid übernachten, die den Asen wohlgesinnt ist. Als sie hört, wo sie hinwollen, runzelt die Gastwirtin die Stirn. „Dieser Geirröd“, sagt sie, „ist ein schlauer Hund. Er hat es faustdick hinter den Ohren. Wo hast du denn deinen Hammer gelassen, den Gürtel und die Handschuhe?“ Und als sie hört, dass er mit bloßen Händen gekommen ist, schüttelt sie den Kopf. „Was fällt dir ein? Zu Geirröds Töchtern willst du? Dass die so schön sein sollen, ist mir neu. Aber bitte! Jedem seine Lust. ich will nichts gesagt haben. Nur, wie soll ich Odin unter die Augen treten, wenn ich dich mit leeren Händen zu den Riesen gehen lasse? Das ist unmöglich. Wenn du willst, borge ich dir ein paar Sachen, die ich hier im Schrank habe.“ Und sie gibt ihm ihren Zaubergürtel, ihren Stab und ein Paar eiserne Handschuhe.

Am andern Morgen kommen die drei zu einem Fluss, der unbegreiflich breit ist. Ihre Pferde müssen sie am Ufer zurücklassen und hinüberwaten. Zum Glück ist der Fluss ziemlich seicht, aber die Strömung ist stark, und es gibt gefährliche Schnellen. Thor stützt sich auf den Stab, den Grid ihm geliehen hat, und Loki und Tjalve halten sich an seinem Gürtel fest. Aber als sie in der Mitte des Flusses angekommen sind, fängt das Wasser an zu steigen.

Thor schaut sich um. Was ist geschehen? Weiter oben, wo der Fluss durch eine enge Klamm führt, steht Galp, eine von Geirröds Töchtern, mit einem Bein auf beiden Seiten der Kluft und lässt ihr Wasser rinnen. Da hebt Thor einen riesigen Felsbrocken aus der Flut, zielt, wirft und trifft mitten ins Ziel. Aber unterdessen ist das Wasser so gestiegen, dass sie das Gleichgewicht verlieren. Die Strömung reißt sie fort, sie taumeln und rudern mit Armen und Beinen. Endlich gelingt es ihnen, am andern Ufer Fuß zu fassen, wo ein Vogelbeerbaum steht. Thor ergreift ihn und zieht die beiden anderen an Land.

Nach ein paar Stunden kommen sie endlich ganz durchnässt auf Geirröds Hof an. Der Hausherr heißt sie willkommen und weist ihnen das Gästehaus zur Unterkunft an. Dort ist es kalt und dreckig, und es gibt nur einen einzigen Stuhl zum Sitzen. Thor ist einigermaßen überrascht, aber Loki lacht nur und zuckt mit den Schultern. Doch als Thor sich setzen will, merkt er, dass der Stuhl sich unter ihm rührt und zur Decke steigt. Was kann das sein? Er greift nach dem Stab, dem Grid ihm geliehen hat, und stemmt ihn mit aller Kraft gegen die Dachbalken, bis er wieder auf dem Boden gelandet ist. Da hört er ein knirschendes Geräusch und einen lauten Schrei. Das waren Galp und Greip, die beiden Töchter, die sich unter dem Stuhl versteckt hatten. Thor hat sie derart zusammengequetscht, dass sie mit verstauchtem Rücken hervor kriechen.

Tjalve schaut die beiden an und verzieht das Gesicht. „Wegen diesen beiden sind wir den langen Weg gekommen?“ sagt er. „Na ja“, gibt Loki zur Antwort, „das ist wohl Geschmackssache.“ Aber man merkt ihm an, dass ihm bei dem Ganzen nicht wohl ist; denn auch Thor runzelt jetzt die Stirn, und es ist klar, dass er Loki am liebsten eins mit dem Hammer über den Schädel gegeben hätte. Aber seinen Hammer hat er ja nicht dabei. Ein Diener kommt und meldet, dass Geirröd wünscht, seine Gäste im großen Saal zu sehen. Und zwar will er sie zu einem Kräftemessen einladen. An der Längswand hat er ein riesiges Feuer anzünden lassen, und er selbst sitzt am anderen Ende des Saals und wartet auf Thor, der ihm, ohne eine Miene zu verziehen, entgegengeht. Plötzlich nimmt der Riese eine Zange zur Hand, holt ein glühendes Eisen aus dem Feuer und schleudert es Thor entgegen. Aber der Donnergott hat eiserne Handschuhe an und fängt den feurigen Brocken auf, als wäre es ein Ball. Geirröd will sich hinter einem Balken verstecken, aber zu spät! Thor wirft die glühende Kugel zurück, mit solcher Wucht, dass das Metall durch den Balken schlägt, ein Loch durch Geirröd brennt und durch die Wand nach draußen fliegt.

„Hier haben wir nichts mehr verloren“, brummt Thor. „Und das war das letzte Mal, dass ich auf dich gehört habe, Loki, ganz gleich, ob du mir eine Liebschaft einreden willst oder einen anderen von deinen Tricks probierst!“

„Schade, dass du es so siehst“, murmelt Loki. „Obwohl ich, wie gesagt, finde, dass…“

„Halt das Maul!“ brüllt Thor. Aber so schlecht gelaunt, wie er sich anhört, ist er gar nicht. Denn nichts auf der Welt, gefällt dem Donnergott besser als eine richtige Rauferei.

So endete Lokis Gefangenschaft und Thors Brautschau, und niemand soll sagen, dass es zu ihren Zeiten soviel friedlicher als heute zugegangen ist auf der Welt.

Kapitel 7: Die bärtige Braut

Frigga - die Göttin der Fruchtbarkeit, Liebes- und Muttergöttin, Schutzgöttin des Lebens und der Ehe, Himmelskönigin und Hochgöttin der Asen. Odins dritte und liebste Gemahlin und Mutter des Baldur, Hermod und des Hödr.

Frigga – die Göttin der Fruchtbarkeit, Liebes- und Muttergöttin, Schutzgöttin des Lebens und der Ehe, Himmelskönigin und Hochgöttin der Asen.
Odins dritte und liebste Gemahlin und Mutter des Baldur, Hermod und des Hödr.

 Wie wenn ein Schwert die Welt entzwei spaltet, wie wenn große Steine über die Wolken rollen, wie wenn der Himmel selber Purzelbäume schlägt – bis es plötzlich still wird und alles Lebendige den Atem anhält, bevor die Wolken einen mächtigen Wind aufschrecken und ein Regen niederfährt wie eine Wand: So ist es, wenn Thor vorbeizieht; wenn der Donnergott mit seinen Böcken dahergerast kommt.

Trotzdem wissen die Menschen, dass er ihnen wohl will. Sie sehen ihn als ihren Freund und Beschützer. Alle wissen, dass nicht er, sondern Odin der mächtigste von allen Asen ist. Er ist ihr Häuptling. Aber er lässt sich selten blicken. Meistens bleibt er auf seinem Hochsitz und grübelt, weit weg, auf der gewaltigen Götterburg Asgard, auf der anderen Seite des Regenbogens. Es sieht ganz so aus, als wäre er sich selbst genug.

Thor dagegen – mit dem kann man immer rechnen. Wenn jemand Hilfe braucht, wenn die Riesen den Menschen drohen, wenn dunkle Kräfte Mitgard bedrängen, um zu plündern und zu brandschatzen, dann rufen die Leute Thor herbei. Viele machen sich sogar einen kleinen Hammer aus Silber, den sie an einer Kette um den Hals tragen, als Zeichen dafür, dass Thor es ist, dem sie vertrauen.

Sein Hammer heißt Mjölner, und er ist die stärkste und gefährlichste Waffe, die es gibt. Wenn Thor ihn wirft, trifft er immer sein Ziel, und sei es noch so klein, und dann kehrt der Hammer von selber in seine Hand zurück. Er zermalmt alles, was ihm in den Weg kommt. Weder der härteste Fels, noch der dickste Riesenschädel kann Mjölner widerstehen.

Aber die Asen haben noch ganz andere starke Waffen. Hinter den mächtigen Mauern von Asgard lagern Berge von Schwertern, Streitäxten, Speeren und Bogen. Odin rechnet nämlich damit, dass ein großer Krieg bevorsteht. Deshalb lodert in den Schmieden Tag und Nacht das Feuer. Niemand weiß, wie viele dort für ihn arbeiten.

Doch nicht nur Waffen hat die große Götterburg zu bieten. Über die Jahre hinweg, haben es die Götter auch verstanden, erlesene Schätze aufzuhäufen: Idunas berühmte Äpfel, die den, der sie kostet, verjüngen und ihm neue Kräfte geben, Skidbladner, ein Schiff, das nicht nur zu Wasser, sondern auch zu Lande segeln kann, und nach dem Ende der Fahrt lässt es sich zusammenfalten zu einem kleinen Tuch; ferner das Pferd mit den acht Beinen und das Schwein, das im Dunkeln leuchtet.

Auch viele schöne und kostbare Schmuckstücke haben sie sich angeschafft. Alle beneiden Odin um seinen schweren Goldring, der Draupne heißt und so wunderbar beschaffen ist, dass in jeder Nacht acht gleich große Ringe aus ihm tropfen. Aber das berühmteste aller Juwelen ist doch der Brisingam. Dieses funkelnde Schmuckstück haben vier liebestolle Zwerge einst für Freia, der Göttin der Liebe, geschmiedet und sie trägt es immer, ob sie schläft oder wacht, am Hals. Keine magischen Runen zieren diesen Schmuck, und er scheint keine geheimen Kräfte zu haben. Aber heißt es nicht, der stärkste Zauber ginge von der Schönheit aus? Gibt es etwas Gefährlicheres als ihren Anblick? Bleibt nicht vielen das Wort im Halse stecken, wenn sie ihr begegnen? Manche verlieren sogar den Verstand. Und alle sind sich einig, dass es nichts Schöneres gibt, weder auf noch unter der Erde, als den Brisingam, Freias Schmuck. Wie viele gibt es, Götter und Trolle, die ihn kaufen wollten. Aber Freia denkt nicht daran, ihn herzugeben. Um keinen Preis!

Einer, der ihn gesehen hat, träumt seitdem davon, ihn sein Eigen zu nennen. Er ist ganz besessen von dem Wunsch. Und es gibt nur einen Weg, seine Gier zu stillen, er muss den Brisingam stehlen.

Die Nacht ist mondlos und dunkel. Über den Hofplatz von Folkwang schleicht ein Mann. Freia, die Hausherrin schläft ruhig, denn in ganz Asgard gibt es kein Haus, das so feste und starke Türen hat, wie das ihre. Aber der sich da in der Nachtkälte heranpirscht, ist kein gewöhnlicher Dieb, er ist ein Meister seines Faches. Schwarz gekleidet ist er, und das Gesicht hat er sich mit Ruß beschmiert. Er tastet vorsichtig an den Türklinken. Nein! Die Schlösser sind mit Bolzen gesichert. Das hat er sich gedacht. Und auch die Fenster sind mit dicken Platten verrammelt. Doch der Schwarzgekleidete gibt nicht so leicht auf Im Nu hat er sich in eine Fliege verwandelt. Jetzt sucht er eine Ritze. Hoch oben, unter dem Dachfirst, findet er ein winziges Loch, kaum größer als ein Nadelöhr. Er presst die Flügel dicht an den Leib, und so gelingt es ihm durchzuschlüpfen.

Erst überzeugt er sich davon, dass Freias Töchter und die Dienstmädchen schlafen. Dann fliegt er summend und munter in Freias Bettkammer. Er fühlt sich sicher, weil er weiß, dass alle ihre Katzen draußen streunen, auf der Suche nach Freiern und auf der Jagd nach Mäusen.

Der Dieb lässt sich auf einem Bettpfosten nieder. Wunderbar sieht Freia aus, wie sie so daliegt. Den Brisingam trägt sie am Hals, doch die Schließe ist unter ihrem Nacken verborgen. Er muss sie dahin bringen, dass sie sich umdreht. Einen Augenblick lang besinnt er sich. Dann verwandelt er sich in eine Laus. Wie angenehm es ist, über Freias weiche Brüste zu wandern. Langsam klettert er an ihrem Kinn hoch. Er holt Atem, schließt die Augen, und beißt zu, so fest er nur kann. Da erwacht Freia und schlägt um sich. Sie murmelt zornig vor sich hin und wendet sich auf die Seite. Er wartet geduldig, bis sie wieder eingeschlafen ist.

Da nimmt der Lausekerl wieder seine wahre Gestalt an. Er beugt sich über die Schlafende, öffnet mit spitzen Fingern das Schloss und zieht ihr den Schmuck vom Hals. Dann geht er ruhig zur Tür, zieht den Riegel heraus und verschwindet in der Dunkelheit.

Als die Katzen in der Morgendämmerung heimkommen, finden sie die Tür sperrangelweit offen. Sie sind es gewohnt, draußen auf der Schwelle zu warten, bis ihnen jemand aufmacht. Diesmal aber laufen sie schnurrend und miauend durch das schlafende Haus. Doch als sie auf das Bett ihrer Herrin springen, um ihr an Kinn und Hals zu schmeicheln, verjagt sie Freia, mit einem schrillen Schrei und mit zornfunkelnden Augen.

Wer ist der Schuldige an dem Debakel?

Freia nimmt sich nicht einmal die Zeit, um sich zu kämmen. Sie spannt die Katzen vor ihr Fuhrwerk und fährt im Galopp zum Himmelsberg. Dort haust Heimdall, der Wächter der Götter. Er bewacht Bifrost, die weite Regenbogenbrücke, die einzige Verbindung der Götter zum Rest der Welt. Niemand kommt nach Asgard herein, niemand von dort heraus, ohne dass Heimdall es merkt.

„Hier ist kein Riese und auch kein Zwerg vorbeigekommen“, sagt Heimdall. „Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“

„Also muss der Dieb einer der Unseren sein!“ ruft Freia. Heimdall nickt. „Dann finde ihn gefälligst“, knurrt sie. Sie wartet die Antwort nicht ab, knallt mit der Peitsche und die Katzen stieben davon.

Noch dämmert es, und bevor die anderen Asen erwachen und sie zu Gesicht bekommen, muss sie sich zurechtmachen und ein wenig Wangenrot auflegen. Denn die Liebesgöttin muss die Schönste von allen sein, mit oder ohne den Brisingam.

Aber Heimdall macht sich seine eigenen Gedanken. Er glaubt zu wissen, wer der Übeltäter ist. Denn ganz früh, bevor die Sonne aufging, ist einer der Götter von Asgard ausgeritten. „Wo willst du denn hin, so früh am Tag?“ hat Heimdall ihn gefragt. „Das siehst du doch“, hat der andere geantwortet und ihm seine Angelschnur gezeigt. Aber ich weiß Bescheid, denkt Heimdall, mich legst du nicht herein!

Er weckt Tyr, seinen Gefährten, und bittet ihn, die Wache zu übernehmen. Der hat nur eine Hand, aber er ist der tapferste aller Asen. Sogleich sattelt Heimdall sein Pferd, das Gulltopp heißt, und setzt dem Dieb nach.

Der andere hat einen großen Vorsprung. Aber Gulltopp ist ein schnelles Pferd, und da es angefangen hat zu schneien, hat Heimdall keine Mühe, ihm zu folgen. Er ist ein guter Spurenleser, und er kann sehen, was sich hundert Meilen weit entfernt bewegt, in der schwärzesten Nacht so gut wie mitten am Tag. Er hat so gute Ohren, dass er nicht nur das Gras, sondern auch die Wolle der Schafe wachsen hört.

Über Berg und Tal reiten die beiden, durch weiße Wälder und an gefrorenen Wasserfällen vorbei. Bis ans stürmische Meer folgt Heimdall den Spuren des Diebes. Hier am Strand hat der andere sein Pferd gelassen. Die Angelrute hat er auf die Klippen geworfen. Heimdall setzt die Hand an die Stirn und späht aufs Meer hinaus. Weit draußen, zwischen schwarzen Wellen, treibenden Eisschollen – was ist das für eine graue, fleckige Gestalt, die da auftaucht und wieder verschwindet? Der Dieb hat sich in einen Seehund verwandelt!

Aber auch Heimdall versteht sich auf die Kunst der Verwandlung. Im Nu ist auch er zum Seehund geworden, der sich ins kalte Wasser stürzt.

Diesmal sollst du mir nicht entkommen, denkt er. Wie oft hast du, wie alle andern, auch mich überlistet! Aber jetzt kriege ich dich. Ich kenne dich, und weiß dass deine Zunge glatt wie ein Aal ist. Doch nun nützt dir keine Ausrede mehr, Loki. Der Dieb bist du.

Denn kein anderer als Loki ist es, der da draußen schwimmt. eigentlich gehört er gar nicht nach Asgard, denn seine Eltern sind keine Asen. Er stammt von den Riesen ab. Aber als Loki klein war, hat sich Odin mit ihm angefreundet, und seitdem hält der König der Götter immer seine schützende Hand über ihn, ganz gleich, was für Streiche sich Loki im Lauf der Zeit geleistet hat., Viele meinen, dass Odins Gutmütigkeit zu weit geht, dass Loki soviel Schonung nicht verdient, dass er in Asgard nichts zu suchen hat, und dass man diesen Taugenichts schon längst hätte verjagen sollen. Das meint auch Heimdall, aber wer hört schon auf ihn, den treuen Wächter?

Die beiden Seehunde schwimmen aus Leibeskräften. Der Dieb hat gemerkt, dass er verfolgt wird, aber er kann Heimdall, der mit jedem Flossenschlag näher kommt, nicht entgehen. An einer steilen Klippe versucht er, seine Beute loszuwerden. Er will Freias Schmuck verstecken, aber da hat ihn Heimdall bereits eingeholt. Und nun ringen die beiden Seehunde miteinander.

Es ist ein ungleicher Kampf. Bald hat Heimdall den Dieb auf die Klippe geworfen und ihm den Brisingam entrissen. Beinahe wäre der Schmuck in den Wellen verschwunden. Nun fängt Loki an zu jammern und zu heulen. „Es ist nicht meine Schuld“, behauptet er, „es war nicht meine Idee!“

Sie haben beide wieder ihre wahre Gestalt angenommen. Heimdall hält Lokis Nacken fest im Griff und schüttelt ihn. „Ich habe deine Lügen satt“, ruft er. „Diesmal kannst du dich nicht herausreden. Warte nur bis Odin davon erfährt!“

„Aber mein Liebe“, stöhnt Loki, „du glaubst doch nicht, dass ich mich aus eigenen Stücken auf eine so riskante Sache eingelassen hätte? Ich bin doch nicht blöd! Odin selber war es, der mich dazu angestiftet hat. Was blieb mir anderes übrig, als ihm zu gehorchen?“

„Du lügst!“ schreit Heimdall voller Wut. Aber Loki bleibt steif und fest bei seiner Geschichte. Alle hätten es doch gemerkt, sagt er, dass Odin in der letzten Zeit übergeschnappt ist. „Du weißt doch, wie er sich aufführt! Jeden Tag wird er mürrischer, unberechenbarer, herrschsüchtiger.“

Doch – das kann Heimdall nicht leugnen. Es ist ihm nicht entgangen, dass Odin sich oft merkwürdig benimmt in letzter Zeit. „Allmächtiger, will er sein und ganz allein herrschen“, sagt Loki. „Er kann es nicht ertragen, wenn jemand etwas besitzt, was schöner ist als alles, was er selber hat.“

„Halts Maul!“ murmelt Heimdall. „Alles, was dir einfällt, sind Lügen und Schweinereien.“ Aber er hat doch einen Schrecken bekommen. Auf dem Heimweg wollen ihm Lokis Worte nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht ist doch etwas Wahres daran? Keiner von beiden spricht, bis sie die Pforte von Asgard erreichen. Aber Loki merkt doch, dass Heimdall Zweifel gekommen sind, und das erfüllt ihn mit heimlichem Behagen.

In der Burg der Götter herrscht ein Durcheinander, wie es noch niemand gesehen hat. Alle suchen verzweifelt, klettern auf die Bäume, tauchen in die Brunnen, kriechen unter die Häuser, wenden jeden Stein um und um. Heimdall triumphiert. „Da, schaut her“, ruft er lachend. „Ich hab´s gefunden!“ Er hält den Asen Freias Schmuck hin. Alle halten inne und schauen hin, aber dann wenden sie sich gleich wieder ab und suchen weiter. „Versteht ihr denn nicht?“ ruft Heimdall, „Hier ist er doch! Ich habe den Brisingam! Ihr braucht nicht weiter zu wühlen.“

Aber Odin blickt ihn mit seinem einen Auge zornig an: „Hier geht es nicht um ein paar bunte Steine. Den Glitzerkram kannst du vergessen!“ Denn an diesem Morgen ist nicht nur der Brisingam verschwunden. Viel schlimmer! Thor vermisst seinen Hammer – die stärkste und gefährlichste Waffe im Himmel und auf Erden. Was soll ohne ihn, den Mjölner, aus der Burg der Götter werden? Wie wird es den Asen ergehen, wenn ihre Feinde ihn in die Klauen bekommen?

„Wahrscheinlich willst du mir auch an dieser Katastrophe die Schuld in die Schuhe schieben“, flüstert Loki und stößt Heimdall in die Seite. Der schiebt ihn knurrend zur Seite und schweigt verbittert. Diesen Auftritt hat er sich ganz anders vorgestellt. Er war auf Lob und Ruhm gefasst und nun scheint sich niemand um ihn und Loki zu kümmern.

Nur Freia freut sich von Herzen: „Habt ihr den Dieb erwischt?“ fragt sie. Heimdall kratzt sich am Kopf und überlegt. „Nein“, sagt er, denn er fühlt, dass dies nicht der rechte Augenblick ist, um Unfrieden zu stiften. Jetzt gilt es zusammenzuhalten, denkt er. Und Loki sieht Freia mit schmelzendem Blick an und erklärt: „Wir haben deinen Schmuck einfach gefunden.“

„Vielen Dank euch beiden“, zwitschert die Liebesgöttin und küsst sie auf den Mund, „Hauptsache ich habe meinen Brisingam wieder.“ Sie legt sich den Schmuck um den Hals und tanzt summend davon. Loki und Heimdall wechseln einen langen, ernsten Blick. Dann zuckt Loki auf einmal mit den Schultern und schüttet sich aus vor Lachen.

Odin war schon drauf und dran, verärgert fortzugehen, doch jetzt besinnt er sich und ruft von weitem Loki zu: „Gut, dass du wieder da bist, mein Lieber. Du hast immer eine gute Idee, und jetzt brauche ich dringend deinen Rat.“ Da lacht Loki noch übermütiger als zuvor und wedelt mit beiden Händen. Odin schwitzt vor Aufregung und kommt ihnen entgegen. Ohne Heimdall auch nur einen Blick zu gönnen, legt er den Arm um Lokis Schulter und schleppt ihn mit sich. Heimdall wendet sich ab. Er weiß jetzt nicht mehr, was er von dem Ganzen halten soll. Am Ende stimmt es, was Loki ihm erzählt hat?

Freyr - der Zwillingsbruder der Fruchtbarkeitsgöttin Freyja, Sohn des Meeresgottes Njördr und der Eisgöttin Skadi.

Freyr – der Zwillingsbruder der Fruchtbarkeitsgöttin Freyja, Sohn des Meeresgottes Njördr und der Eisgöttin Skadi.

 Auf Thors Hof in Trudwang steht alles kopf. Das große Haus wird vom Dach bis zum Keller durchsucht, aber es gibt dort fünfhundertvierzig Zimmer, und die suche nach dem Hammer will kein Ende nehmen.

Als Odin mit Loki eintritt, finden sie Thor, der auf dem Boden sitzt und sich die Haare rauft. Er glotzt vor sich hin und rührt sich nicht. Siv, seine Frau hockt neben ihm und hält seine Hand. Nicht einmal begrüßen will er die Gäste. Erst nach langem Hin und Her bringen sie ihn zum Reden. „Oi, oi, oi“, jammert er und schüttelt den Kopf. „Wenn ich nur wüsste, wo ich ihn hingelegt habe! Irgendwo muss das verdammte Ding doch sein. Wie kann ich nur so dumm sein!“

„Na, ja“, meint Loki. „Aber bist du denn sicher?“ Der Donnergott zuckt zusammen: „Wie meinst du das?“ Loki lacht. „Bist du denn sicher“, sagt er, „dass dein Hammer noch in Asgard ist?“ Thor kratzt sich am Kinn. „Wo soll er denn sonst sein?“ – „Kannst du dich erinnern, wann du ihn zum letzten Mal gebraucht hast?“ fragt Loki. „Gestern Nachmittag“, murmelt Thor. „Auf dem Heimweg habe ich zwei Riesen getroffen und sie aufs Haupt geschlagen. Ich weiß es noch genau. Sie hatten zwei kleine Kiefernbäume auf der Nase.“

„Und dann? Hast du den Hammer später noch gesehen?“ Der Donnergott schüttelt betrübt den Kopf.

„Wie bist du nach Hause gekommen? Mit deinen Böcken und dem Fuhrwerk?“ fragt Loki.

„Bist du hoch über den Wolken gefahren?“ Thor nickt. „Aha! Dabei ist vielleicht der Hammer herausgefallen. Das kann doch sein.“

Odin hat schweigend zugehört, doch jetzt schlägt er mit der Faust auf die offene Hand. „Loki hat recht“, sagt er, „so muss es gewesen sein.“

„Ich habe ihn also gar nicht verschlampt“, murmelt Thor und steht auf. „Natürlich nicht“, sagt Odin und klopft ihm auf die Schulter. „Ich habe ihn bloß verloren“, brummt Thor, als wäre das eine Entschuldigung. Aber Loki fängt zu kichern an. „Wisst ihr, was das bedeutet? Das bedeutet, dass Mjölner überall sein kann – weiß der Himmel wo! Da könnt ihr lange nach ihm suchen.“

Da hält es Odin nicht länger. Er will sogleich die Walküren an alle Ecken und Enden der Welt losschicken. Er will, dass alle Asen laufen und reiten, segeln und schwimmen. Er will ein ganzes Totenheer aussenden, von Süd bis Nord, von Ost bis West. Aber Loki warnt ihn. „Wir dürfen kein Aufsehen erregen“, sagt er, „sonst wissen alle, dass wir ohne Thors Hammer dastehen. Das wäre gefährlich. Weißt du was? Am besten, ich ziehe allein los. Wenn Freia mir ihre Falkengestalt leiht, habe ich eine Chance.“

„Wie du willst“, sagt Odin und umarmt ihn. „Ich sage es ja, auf dich ist Verlass. Was sollte ich ohne dich anfangen, mein Milchbruder.“

Freia ist einverstanden. „Natürlich leihe ich euch mein Falkenkleid“, sagt sie, „selbst wenn mein Federgewand aus reinem Gold und jede Daune aus Silber wäre, ich gäbe es gerne her. Viel Glück und Geschick wünsche ich dem, der damit davonfliegt!“

Schon zieht Loki sich die großen Flügel über und versucht zu flattern. Er nimmt einen Anlauf und schwingt sich empor in die Lüfte. Vor ihren Augen verwandelt er sich in einen Vogel. Immer höher und höher steigt er. „Hoffentlich findet er ihn“, flüstert Freia. „Ohne Mjölner sieht es finster aus für uns. Er war unsere beste Verteidigung. Und wenn er jetzt in die Hände der Trolle gefallen ist…“ Sie schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Über ihren Köpfen kreist der große Vogel. „Such zuerst in Jotunheim bei den Riesen“, ruft Odin ihm zu. „Zieh nach Nordosten!“ Und der Falke krächzt zurück: „Nord und Ost, Nord und Ost!“ Odin, Thor und Freia stehen oben auf der Burgmauer und blicken ihm nach, bis er nur noch ein kleiner schwarzer Punkt ist, der in der Ferne verschwindet.

Trym, der König der Riesen, sitzt hoch auf einem Hügel. Er hat die Mähne seiner Pferde gestutzt und flicht goldene Bänder für seine Hunde. Sehr vergnügt sieht er aus. „Aber das ist doch Loki, der da oben herumflattert“, ruft er und lacht. „Mich kannst du nicht täuschen, mein Kleiner! Komm herunter und ruh dich ein wenig aus!“

„Danke“, antwortet Loki und landet neben dem Riesen. „Nun, wie steht´s mit den Asen und den Alben?“ fragt Trym. „Gibt es was Neues?“

„Das kann man wohl sagen“, erwidert Lok, „Da du schon danach fragst: Schlecht steht´s in Asgard und in Alfheim, ganz schlecht sieht es aus.“

„Oh, das tut mir aber leid.“, sagt Trym und lacht so unbändig, dass er fast den Hügel heruntergekollert wäre. „Tors Hammer ist uns abhanden gekommen“, sagt Loki. „Na so was!“ gluckst Trym. „Ich kann es gar nicht glauben.“ Er hält sich den Bauch und wiegt sich hin und her.

„Doch“, sagt Loki ernst. „So ist es. Und nun frage ich dich, Trym, könnte es nicht sein dass du…“ Trym nickt und nickt. „Doch“, sagt er und lacht. „Das könnte gut sein.“

„Ich meine nur“, sagt Loki. „Natürlich“, unterbricht ihn Trym, „natürlich habe ich ihn. Und ich habe ihn gut versteckt, an einem Ort wo ihr ihn nie und nimmer finden werdet.“

„Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit ihn zurückzubekommen?“ fragt Loki vorsichtig. „Tja“, murmelt Trym, „vielleicht. Wir könnten ja einen kleinen Tauschhandel machen, oder?“ und lacht wieder so hemmungslos, dass der ganze Hügel bebt und Pferde und Hunde sich losreißen und in alle Richtungen davon stieben. „Hör mir gut zu“, brüllt er. Und Loki lauscht.

In Asgard rennt Thor inzwischen hin und her, wie ein Tier im Käfig. Viele Tage lang hat er schon gewartet, und es ist nichts passiert. Er ist rastlos und ungeduldig. Als er Loki von weitem her kommen sieht, ruft er ihm zu, so laut er nur kann: „Was ist? Hast du ihn gefunden?“ – „Was heißt schon gefunden“, krächzt der Falke. „So rede doch!“ ruft Thor. „Wo ist er? Was hat deine Reise gebracht?“

„Was heißt schon gebracht“, krächzt der Falke zurück. „Nun lass Loki doch erst einmal landen“, sagt Siv und zupft ihren Mann am Ärmel. Aber Thor ist außer sich und hört nicht auf sie. „Wer sich niederlässt, vergisst oft, was er sagen will. Und wer sich ausruhen darf, hat Zeit, sich Lügen auszudenken“, brummt er.

Endlich schwebt Loki über die Burgmauer herein. „Erzähl mir alles, solange du noch in der Luft bist!“ brüllt Thor. „Heraus mit der Sprache! Weißt du wo mein Hammer ist, oder weißt du es nicht?“ Er rennt dem Vogel entgegen. Der landet auf einem Ast der Esche Yggdrasil, dem gewaltigen Hausbaum der Asen, der immer grün bleibt.

„Was heißt schon wissen“, murmelt er und schält das Falkenkleid von seinen Schultern. Er weigert sich vom Baum herunter zu klettern. Thor springt wie ein gereizter Bär unter ihm hin und her. Aber Loki fürchtet, dass ihm der Donnergott in seiner Wut etwas antun könnte, und deshalb bleibt er einfach auf seinem Ast sitzen und schweigt. „Heraus damit, du Unglücksrabe.“ – „Nicht ehe du mir geschworen hast, dass du mich nicht erschlägst“, antwortet Loki. „Was ich dir zu sagen habe ist starke Kost, salzig und hart, stinkend und ranzig ist sie, und es tut weh, sie hinunterzuschlucken.“

„Ich schwöre“, brummt Thor. „Komm herunter, du Ungeziefer!“

Loki tut es und sagt: „Trym ist es, der deinen Hammer hat. Und er hat ihn acht Klafter tief in der Erde versteckt.“ Thor knirscht mit den Zähnen, und in seine Augen treten Tränen. „Dann ist alle Hoffnung vergebens.“

„Was heißt schon vergebens“, sagt Loki gedehnt. „Vielleicht hätte Trym gegen ein kleines Tauschgeschäft nichts einzuwenden.“

„Meinetwegen kann er alles haben, was er will.“ Thor zählt seine Reichtümer an den Fingern her: Gold, Silber, Pferde, Kühe…. Doch Loki lässt ihn nicht ausreden. „Von alldem hat der König der Riesen selbst mehr als genug“, wirft er ein. „Dann sag mir endlich, was er haben will.“ Thor schlägt sich auf die Brust und verspricht: „Ich werde es ihm verschaffen, koste es was es wolle.“

„Oh, du kannst deinen Hammer jederzeit wiederhaben. Unter einer Bedingung.“ Loki scharrt mit den Füßen. „Und die wäre?“

Loki räuspert sich. „Dass Trym…. dass Trym…. dass Trym Freia zur Frau bekommt.“

Thor bleibt die Luft weg. Auf einmal wirkt er beinahe klein und schäbig, wie er so dasteht. Beide wissen, dass eine solche Hochzeit unmöglich ist. Loki schaut weg. „Immerhin, fragen könnte man sie ja. Das kann doch nicht schaden“, bringt Thor endlich hervor. „Nein, direkt schaden kann es kaum“, antwortet Loki, und so brechen die beiden auf nach Folkwang.

Aber dort haben sie noch weniger Glück, als sie dachten. Freia gerät außer sich vor Wut. „Habt ihr denn ganz und gar den Verstand verloren?“ heult sie. „Glaubt ihr, ich ginge mit dem nächstbesten Idioten ins Bett?“ Ihre Augen funkeln. „Sehe ich so aus, als ob ich es nötig hätte, mich einem dreckigen Troll an den Hals zu werfen?“

„Aber Freia bedenk doch…“, wagt Thor zu sagen. Doch die Liebesgöttin zeigt ihm ihre Krallen und faucht wie zwanzig Katzen. „Du hältst mich also für so blöd, so geil und blind, dass ich nach Jotunheim pilgern muss, um mir einen Bräutigam zu suchen? Nie wird es soweit kommen!“

„Natürlich nicht“, versichert Loki ängstlich. „Es war ja nur eine Frage.“

„Eine Unverschämtheit!“ Freia stampft mit dem Fuß auf, dass das ganze Haus bebt. Ihr Hals wird so steif wie ein Mastbaum, und ihr großer Schmuck, der Brisingam, springt auf und fällt klirrend gegen die Wand.

„Gut“, sagt Loki rasch. „Du bleibst also bei deinem Nein? Dann lassen wir die Sache vorerst auf sich beruhen.“ Er verbeugt sich und geht rückwärts hinaus. Thor folgt ihm murrend, und Freia wirft hinter ihnen die Türe zu.

Eine Stunde später versammeln sich die Asen zur großen Beratung. Denn den Hammer müssen sie zurückgewinnen, so oder so. Nur wie? Kein Ausweg ist in Sicht, denn Freia bleibt dabei – auf Tryms Ansinnen einzugehen, das kommt gar nicht in Frage. „Lieber sterbe ich!“ schnaubt sie und wirft den Kopf in den Nacken.

„Darauf wird es womöglich für uns alle hinauslaufen“, seufzt jemand auf der hintersten Bank. „Ohne Thors Hammer Mjölner kann uns das schneller blühen, als wir denken“, flüstern andere. Aber Freia denkt nicht daran nachzugeben, und Odin kann und will sie nicht zwingen.

Endlich hat Heimdall die rettende Idee. „Thor muss sich verkleiden“, sagt er. „Als Frau. Wir ziehen ihm das Brautleinen an und hängen ihm den Brisingam um den Hals!“

Die Asen schauen sich an. Alle sind verblüfft. Das kann doch nicht Heimdalls Ernst sein. „Doch“, sagt er. Mit einem Schleier vor dem Gesicht wird ihn niemand erkennen. Wir geben ihm ein Kopftuch und Weiberkleider, die bis zu den Knöcheln reichen, und im Gürtel soll er einen klirrenden Schlüsselbund tragen.“

„So, und du glaubst, dass das alles ist, was eine Frau braucht?“ ruft eine der Göttinnen und hält ihm ihren Busen unter die Nase. „Wenn es nur das ist“, antwortet Heimdall. „Ein paar Steine tun es auch. Man muss sie nur richtig festbinden, dann glaubt der Troll, er hätte die verlockendsten Brüste vor sich.“ – „Ob man das riskieren kann?“ Loki ist begeistert von diesem Plan, aber Thor hat keine Lust mitzuspielen. „Wie sieht das denn aus?“ brummt er. „Ein Mann in Weiberkleidern! Wenn ich das Brautleinen anlege, werde ich zum Gespött der Leute. Mein Leben lang werden mich alle auslachen, die davon gehört haben.“ Aber hat er denn die Wahl?

„Not kennt kein Gebot!“ ruft Loki. „Schließlich ist es dein Hammer, und deshalb musst du ihn selber zurückholen. Wenn du dich nicht allzu ungeschickt anstellst – einen Versuch ist es jedenfalls wert.“

„Du musst es versuchen“, beschwört ihn Odin. „Sonst wird bald ganz Asgard den Riesen in die Hände fallen. Wir haben keine Zeit zu verlieren!“

Also wird Thor geschmückt, von vorn bis hinten. Freia stellt ihr Haus zur Verfügung. In ihrem großen Saal helfen alle Frauen mit. „Schleier hier und Schleier dort“, beschwert sich der Donnergott. „Ich sehe bald nichts mehr. Ich sehe ja schon aus wie eine Schneiderpuppe!“

„Wir sollten ihm auch den Bart abnehmen“, meint Freia. „Nur das nicht!“ ruft Thor erschrocken und schlägt die Hände vors Gesicht. „Ohne Bart würdest du aber viel süßer aussehen“, lacht Siv. „Das hat mir gerade noch gefehlt“, murrt Thor. Auch Loki ist jetzt in den Saal gekommen. „Einfach entzückend“, ruft er. „Du bist ja die hübscheste Braut, die man sich wünschen kann, lieber Thor.“

„Hübsch kannst du selber sein, verdammter Wicht!“ brüllt Thor und schlägt nach ihm. „Daran will ich es nicht fehlen lassen“, sagt Loki. „Du glaubst wohl nicht, dass ich dich alleine ziehen lasse? Ein solches Abenteuer lasse ich mir nicht entgehen.“

„Wie meinst du das?“ fragt Thor misstrauisch. „Du kannst doch nicht ohne Dienstmagd auf die Brautfahrt gehen, oder?“ Loki macht einen Knicks und zwinkert ihm zu: „Ich werde die Brautjungfer spielen.“ Und so geschieht es. Noch am selben Tag werden Thors Ziegenböcke von der Koppel geholt, vor den Wagen gespannt, und mit Blumen und Kiefernzweigen geschmückt.

Endlich ziehen sie los. Thor beißt die Zähne zusammen und flucht. Er sieht weder nach links, noch nach rechts. Nur Loki jubelt und lacht. Zum Abschied wirft er den Zuschauern Kusshände zu. Thor aber treibt die Böcke an, dass die Berge Risse schlagen und die Erde Funken sprüht. „Immer mit der Ruhe“, ermahnt ihn Loki, aber der Donnergott hört nicht auf ihn.

Trym steht schon den ganzen Tag vor seinem Haus und hält Ausschau. Endlich! Da sind sie! „Beeilt euch!“ schreit er die Dienstboten an. „Legt Stroh auf die Bänke! Ist alles blitzblank geputzt und geschrubbt? Sie kommt! Freia, meine Braut ist da!“ Er schlägt sich auf die Brust und prahlt. „Kühe mit goldenen Hörnern kann ich ihr bieten. Schätze von denen jedem schwindlig wird, der sie zu Gesicht bekommt. Nur Freia hat mir noch gefehlt, die Schönste im Himmel und auf Erden!“

Es ist Abend geworden und die Gäste setzen sich um den langen Tisch in der großen Halle. Thor schlingt einen ganzen Ochsen hinunter und lässt ihm acht Lachse folgen. Dann macht er sich über die Süßigkeiten her. Drei Fässer Met hat er schon geleert. Die Trolle schauen ihm mit aufgerissenen Augen zu.

„Noch nie habe ich eine Braut gesehen, die einen solchen Heißhunger hat“, sagt Trym. „Dass eine Frau so hart zugreifen und trinken kann, das hätte ich mir nicht träumen lassen.“

Aber die kichernde Brautjungfer Loki ist nicht auf den Mund gefallen. „Du magst recht haben“, sagt er, „doch musst du bedenken, dass die Braut seit acht Tagen nichts gegessen hat.“

„Was? Acht Tage lang hat sie gefastet?“ wundert sich Trym. Loki nickt ernst. „Ja, sie hat die ganze Woche nichts gegessen und getrunken, so sehr hat sie sich nach dir und nach Jotunheim gesehnt.“

„Die arme Kleine“, murmelt Trym. Er streckt den Kopf unter ihren Schleier, denn er will seiner Braut einen Kuss geben. Aber als er in Thors Augen schaut, erschrickt er so, dass er bis zum anderen Ende des Saales zurückweicht. „Oi“, ruft er. „Nie hätte ich gedacht dass eine Braut so grimmig dreinblicken kann. Was für scharfe Augen sie hat!“

Aber auch darauf weiß Loki eine Antwort. „Was heißt schon scharf“, sagt er. „Gerötete Augen hat die Arme, weil sie acht Nächte lang wach gelegen hat. Du verstehst!“ Jetzt ist der König der Riesen erst recht verwirrt. „Warum denn?“ fragt er. Loki zwinkert ihm zu und stößt ihn in die Seite. „Ja, kein Auge hat sie zugetan, so heiß war ihr im Bett vor lauter Sehnsucht.“ Er macht die Braut nach, seufzt und verdreht die Augen. Trym bläht sich stolz auf, und die anderen Trolle grinsen und trinken ihm zu.

Aber da kommt Tryms große Schwester an den Tisch und stellt sich vor das Brautpaar hin. Von allen Riesinnen ist sie die abscheulichste. „Sicher hast du ein Brautgeschenk für mich mitgebracht?“ sagt sie und zerrt an Thors Rock, um sich bei ihm einzuschmeicheln. „Was für schöne goldene Armreife du hast! Gib sie mir, wenn du willst, dass wir Freundinnen werden.“ Thor grunzt ärgerlich, aber sie hängt sich an ihn wie eine Klette.

Doch nun hat Trym lange genug gewartet. Jetzt muss geheiratet sein! “Bringt den Hammer herein“, ruft er, und sogleich wird Mjölner herbeigeschafft. Vier Trolle schleppen ihn auf einem großen Schild in den Saal. Trym greift nach dem Hammer und hält ihn hoch. An der großen Hochzeitstafel wird es ganz still. Nur Loki kann es nicht lassen. Er fragt: „Und wann gibst du ihn den Asen zurück?“ Tryms Augen blicken finster drein. „Nie und nimmer!“ ruft er. „Es ist aus mit Odins Macht, aus und vorbei. Nie wieder werden die Asen uns mit dem Hammer drohen.“ – „Aber es war doch abgemacht“, wendet Loki ein. „Ach was! Ich pfeife auf diese Abmachung.“

„So? Dann bist du ein elender Betrüger und dein Wort ist nichts wert“, empört sich Loki. „Du willst mir vorwerfen, dass ich lüge?“ brüllt der Riese. „Wer glaubst du wohl, dass du bist?“

„Ach, nur eine kleine Brautjungfer“, antwortet Loki schnell. „Na also!“ grunzt Trym. „Statt Thor den Hammer zurückzugeben, gehen wir zum Angriff über“, ruft er in den Saal. „Und Asgard schlagen wir kurz und klein.“

„Ja! Recht so!“ schallt es aus den Reihen der Trolle. „Nieder mit den Göttern!“ schreit Trym. „Auf sie mit Gebrüll!“ rufen seine Leute. „Eine schönere Hochzeitsreise kannst du dir nicht wünschen“, lacht der Riese und blickt seiner verschleierten Braut ins Gesicht, und Thor bleibt nichts anderes übrig, als ihm brummend zuzustimmen.

„Hier habe ich ihn“, ruft Trym und schwenkt den großen Hammer. „Mjölner, die stärkste Waffe der Welt. Bei diesem Hammer nehme ich dich, Freia zu Frau.“ Er hält inne und verneigt sich vor Thor. „In deinen Schoß lege ich ihn zum Zeichen dafür, dass wir nun Mann und Frau sind.“

Endlich! Thor kann es kaum fassen, dass der Schaft zum Greifen nah vor ihm liegt. Lange genug hat er stillgehalten. Er hat es satt sich zu drehen und zu knicksen. Damit ihn niemand erkannte, musste er an sich halten und durfte kein Wort reden. Aber jetzt ist seine Stunde gekommen! Nie wieder wird er den Hammer aus der Hand geben. Er lacht, dass es im ganzen Saal dröhnt, wirft den Tisch um und reißt sich den Schleier vom Gesicht.

„Oi!“ ruft Trym. „Selber oi!“ lacht Thor. Jetzt ist er wieder ganz der Donnergott. Er wirft den Riesen zu Boden. Dann geht er auf die andern los. Wild schlägt er mit dem Hammer um sich. Die Schädel der Trolle bersten. Niemand wird verschont. Zu guter Letzt erschlägt er auch Tryms große Schwester.

Dann regt sich nichts mehr in dem riesigen Saal, und Thor kann aufatmen. Loki kriecht unter dem großen Fass, wo er sich versteckt hat, hervor. „Jetzt ist es wohl Zeit, nach Hause zu gehen?“ fragt er. „Das will ich meinen“, sagt Thor und lächelt zufrieden. Die beiden heben ihre Röcke auf und setzen sich wieder in den Wagen, der sie hergebracht hat. „Hü, meine Böcke“, ruft Thor. „Auf im Galopp!“

So hat Thor seinen Hammer wiederbekommen. Und nun liegt der Frühling in der Luft. Auf dem Heimweg schmelzen Schnee und Eis, und der Winter hat endlich seine Herrschaft über die Welt eingebüßt.

Kapitel 8: Gott und Troll in einer Gestalt

Ägir - der Meeresgott. Er wird auch als Meerriese bezeichnet.

Ägir – der Meeresgott.
Er wird auch als Meerriese bezeichnet.

 Es ist Herbst geworden. Draußen an der Küste, zwischen Schären und Strandfelsen, dort wo König Raudung sein Reich hat, sind zwei Brüder zum Fischfang aufs offene Meer gefahren. Es sind Agnar und Gerod, die Söhne des Königs. Der ältere ist zehn, der jüngere acht Jahre alt.

Eine starke Strömung hat sie weit hinaus vor den Fjord getragen. Nun kommt auch noch ein starker Wind auf. Es herrscht ein starker Seegang und der Regen peitscht ihnen ins Gesicht.

Sie rudern aus Leibeskräften, aber es hilft ihnen nichts; Gegen Wind und Wetter kommen sie nicht auf , und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich auf den Boden ihres Bootes zu kauern, eng aneinandergeschmiegt, und darauf zu hoffen, dass der Sturm sich legt. Die Nacht bricht über sie herein wie ein Riesenvogel mit dunklen, nassen Schwingen.

Aber sie haben Glück im Unglück. Das Boot kentert nicht, und als sie am Morgen erwachen, ist der Wind umgeschlagen und hat sie in eine kleine Bucht getrieben. Noch dämmert es, doch das Unwetter hat sich verzogen. Agnar und Gerod waten an Land. Sie wissen nicht, wo sie gestrandet sind, aber in der Ferne sehen sie in einem kleinen Haus ein Licht. Dorthin wenden sie sich, durchnässt und zerzaust wie zwei halb ertrunkene Katzen. Ein armer Kleinbauer wohnt mit seiner Frau in der Kate. Das alte Ehepaar nimmt die beiden Jungen freundlich auf. „So bald werdet ihr wohl nicht heimfahren können“, sagen sie, „denn unsere Insel liegt weit draußen vor der Küste, viel weiter, als ihr denkt. Und bei diesem Wetter ist es nicht ratsam, eine so weite Strecke zu rudern. Der Herbststurm, den ihr erlebt habt, wird nicht der letzte bleiben. Bald wird es Winter, und dann erstarrt die Welt in Schnee und Eis. Nein, es ist besser, wenn ihr hier bleibt, bis der Frühling kommt.“

Und so ist es geschehen. Der Bauer und seine Frau haben sich herzlich gut um die beiden Königssöhne gekümmert. Auf diese Weise hatte jeder von ihnen einen Zögling: die Frau sorgte vor allem für Agnar, und Gerod hielt sich an den Alten, wenn er etwas brauchte oder Rat suchte. Die beiden Jungen mussten freilich im Haus und Hof mithelfen, draußen und drinnen, von früh bis spät. Oft waren sie am Abend so müde, dass sie am Tisch einschliefen. Trotzdem gefiel es ihnen auf der Insel. Jeden Tag gab es etwas Neues zu lernen. Es ging ihnen so gut, dass sie gar kein Heimweh spürten.

Auf diese Weise verging der Herbst und auch der lange, strenge Winter. Als aber endlich die Eiszapfen am Dachfirst schmolzen, da führte sie der Bauer hinunter zum Strand. Dort lag ein Boot und wartete auf sie. Es war größer und schöner als die alte Schaluppe, die der Bauer täglich brauchte, und viel besser als der alte, undichte Prahm, auf dem sie so weit hinausgerudert waren. Außen war es frisch gemalt und innen tüchtig geteert. Auch die Segel waren schon gesetzt und blähten sich fröhlich im Wind.

Da stehen die beiden nun und wundern sich. „Nur zu“, sagt der gastfreie Bauer. „Es ist alles bereit. Ihr könnt einsteigen. Wir haben frisches Wasser an Bord gebracht und soviel Wegzehrung, wie ihr für eure Reise braucht.“ Auch die alte Frau kommt herbeigehumpelt. Alle umarmen einander und nehmen Abschied.

Der Bauer flüstert zum Schluss seinem Liebling Gerod noch etwas ins Ohr. „Dieses Fahrzeug ist etwas Besonderes“, sagt er. „Kein anderes Boot kommt ihm gleich, denn ich habe es so gebaut, dass es dir wie ein Hund gehorcht und dich dorthin bringt, wo du willst. Es kennt deine Stimme und folgt dir aufs Wort. Es hört auf keinen andern als dich, mag er noch so laut rufen. Du allein kannst es steuern!“

Die beiden Königskinder legen ab. Agnar fragt seinen Bruder: „Aber wo in aller Welt ist denn das Ruder?“ – „Hier braucht es keine Pinne“, antwortet Gerod lachend, „und auch um das Segel brauchen wir uns nicht zu kümmern. Bring uns nach Hause“, ruft er und schlägt mit der Faust an den Mast.

Sogleich erhebt sich ein Windstoß und füllt das rotbraune Tuch, so dass die schwarzen Runenzeichen, die es trägt, erbeben. Das Boot flitzt davon, es tanzt über die Wellen, und die Insel verschwindet hinter ihnen in der Ferne. „Bring uns nach Hause“ Agnar kann es gar nicht fassen, dass das Boot gehorcht, und sein Bruder schüttet sich aus vor Lachen.

Die beiden Alten stehen immer noch am Ufer und winken, so lange, bis von dem Segel nur noch ein roter Punkt zu sehen ist. Dann wendet der Bauer sich seiner Frau zu, und auf einmal ist es, als fielen die Jahre von den beiden ab. Sie richten sich auf und wischen sich die Runzeln vom Gesicht. Aus dem Greis wird ein Mann im besten Alter, und auch die Frau sieht nun viel jünger aus.

„Es wird Zeit, dass auch wir nach Hause fahren“, sagt er und sie nickt. Der Bauer steckt zwei Finger in den Mund und pfeift. Sogleich ist hoch über den Wolken ein Wiehern zu hören, und im Galopp erscheint ein riesiger Hengst mit acht starken Beinen in der Luft. Dröhnend schlagen seine Hufe auf dem Hofplatz auf, und das Pferd hält vor den beiden inne. Der Bauer und seine Frau reißen sich ihre Lumpen vom Leib, und aus den Satteltaschen ziehen sie prächtige Gewänder hervor. Nun sind sie endlich wieder sie selber: Odin und Frigga, der König und die Königin der Asen.

Sie steigen auf den Rücken Sleipnirs, der sie über Land und See, über tiefe Wälder und hohe Berge davonträgt, nach Hause: Pfeilschnell bringt er sie über die schimmernde Regenbogenbrücke nach Asgard, in die große Götterburg im Zentrum der Welt.

Es geschah nicht zum ersten Mal, dass Odin und Frigga Menschengestalt angenommen haben. Odin ist immer ein Wanderer gewesen, und in letzter Zeit hat auch Frigga Lust gehabt, ihn auf seinen Streifzügen zu begleiten. Sie weiß, dass der Götterkönig sich danach sehnt, die Menschen zu verstehen. Er möchte wissen, was sie denken, glauben und meinen. Er will begreifen, wovor sie sich fürchten und worüber sie sich freuen. Wohl weiß er, dass ihr Leben nicht lange währt, dass es so kurz ist, dass sie beinahe mit dem Sterben anfangen, noch bevor sie gelernt haben, zu laufen und zu sprechen; aber dennoch kommt es ihm so vor, als gebe es keine anderen Geschöpfe auf der Welt, die so rätselhaft sind und so viele Widersprüche in sich tragen wie die Menschen. Einmal benehmen sie sich fast wie die Asen und dann gleichen sie wieder den Trollen. „Verstehe sie, wer kann“, sagt Odin oft. „Wie ist das nur möglich, dass es Wesen gibt, die zugleich Trolle und Götter sind, in ein und derselben Gestalt?“ Dann schüttelt er den Kopf und wundert sich.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, reist er immer öfter nach Mitgard und es freut ihn, dass Frigga neuerdings gerne mitkommt. Dass die andern Asen sich über die Ausflüge der beiden lustig machen, merkt Odin nicht. „Frigga ist eifersüchtig auf die Menschentöchter“, flüstert einer dem andern zu. „Deswegen will sie Odin nicht aus den Augen lassen. Seine Abenteuer sind ihr nicht verborgen geblieben. Sicher glaubt sie nicht, dass es nötig ist, mit den Menschenkindern ins Bett zu gehen, nur um sie zu verstehen.“

Daran ist etwas Wahres, denn Frigga hat sich allerlei Gedanken gemacht über die Reiselust ihres Mannes. Aber nachdem sie ein paar dieser heimlichen Wanderungen und Maskeraden mitgemacht hat, muss sie sich eingestehen, dass ihr solche Abenteuer gefallen. Nicht nur, weil sie dabei manches Neue erfährt, sondern auch weil Odin und sie, als Fischer und Bauern verkleidet, zu einem neuen Einvernehmen gekommen sind; ja, sie sind sich vielleicht näher denn je zuvor.

Das verrät sie manchmal ihren Mägden, wenn sie im Bad sitzt und sich von ihnen am ganzen Leib waschen und bürsten lässt. Es sind drei, die sie bedienen: Fulla mit ihrem Goldreif um die Stirn und Haaren, die ihr bis ins Kreuz fallen; Hlin, die Friggas Schützlingen unter den Menschen beisteht; und Gnau, die immer, wenn es eilt, als Botin bereitsteht, denn als Reiterin stellt sie die meisten Männer in den Schatten, und ihr Pferd holt so leicht keiner ein.

Jetzt reibt Fulla die Füße ihrer Herrin mit dem Bimsstein ab. „Und jedes Mal wählt ihr eine neue Verkleidung, wenn ihr auf Reisen geht?“ fragt sie. „Wo denkst du hin!“ antwortet Frigga. Sie lacht – einmal, weil es sie kitzelt, aber auch, weil ihr eines dieser Abenteuer einfällt. „Damals zu Beispiel, im Süden…“ – „Erzähle!“

bitten die Mädchen, und sie fängt an: „Wir sind in ein Land gekommen, in dem Krieg herrschte. Zwei Völker lagen miteinander in Fehde, die Vandalen und die Vinilen. Wir hatten uns nicht vermummt, und so erkannten uns die Menschen gleich. Die Vandalen wandten sich an Odin und baten ihn um Hilfe. Aber er antwortete ihnen, siegreich würden die sein, die er morgens bei Sonnenaufgang als erste erblickte.“ Die Mädchen nicken. „Ja“, sagen sie, „Odin ist der Gott des Sieges. Er allein kann bestimmen, wer gewinnt und wer verliert.“ – „Aber zu mir sind sie auch gekommen“, erwidert Frigga. „Es war Gambara, die Mutter der beiden Vinilen – Häuptlinge. Sie kam in der Nacht, während Odin schlief. Sie hat mir vertraut. Warum hätte ich sie enttäuschen sollen? Ich gab ihr einen Rat, der nicht so schlecht war. Morgen früh, so sagte ich ihr, müsst ihr euer Haar lösen, alle Frauen der Vinilen. Dann bindet ihr es unter dem Kinn zusammen, so dass es aussieht, als trügt ihr einen Bart. Dann stellt ihr euch in Reih und Glied vor dem Haus auf, an der Seite, wo die Sonne aufgeht. Dort, wo Odin schläft, gibt es einen Fensterspalt. Sobald es hell wird, wird er hinausschauen und euch sehen.“ – „Und haben sie deinen Rat befolgt?“ wollten die Mädchen wissen.

Frigga lächelt. „Als Odin die Augen aufschlug, erblickte er draußen eine sonderbare Schar. Was sind das wohl für Langbärte, rief er, es sieht ganz so aus, als hätten sie ihre Greise in den Kampf geschickt. Mit grabeseiserner Miene stehen sie da, und manchen reicht der Bart bis auf die Knie.“ – „Hat Odin sich an sein Wort gehalten?“ wollen die Mägde wissen.

„Was blieb ihm anderes übrig? Ich habe ihn an sein Versprechen erinnert, und so musste er wohl oder übel die Vinilen siegen lassen. Von diesem Tag an gaben sie sich einen neuen Namen. Seitdem heißen sie Langobarden, und das heißt: die mit den langen Bärten.“ Frigga lacht und spritzt ihr Badewasser auf die Mägde.

Aber was ist unterdessen aus den beiden Seefahrern geworden? Ihr Boot bringt sie sicher nach Hause an König Raudungs Hof. Am Bootssteg springt Gerod als erster an Land. Aber statt anzulegen, schiebt er das Boot, in dem sein Bruder Agnar zurückgeblieben ist, wieder hinaus aufs Wasser. „Was fällt dir ein?“ ruft Agnar, aber der Bruder lacht ihm ins Gesicht und sagt: „Fahr wohin du willst! Meinetwegen sollst du bei den Trollen landen!“ Sogleich gehorcht ihm das Boot und sticht in See, so rasch, dass es vor dem Bug nur so schäumt. Agnar jammert und weint, aber es hilft ihm nichts, er wird davongetragen: Gerod aber steigt ganz allein zum Königshof empor. Dort wird er mit großen Ehren empfangen, denn Raudung, sein Vater, ist gestorben, und nun tritt Gerod seine Nachfolge an.

Odin und Frigga ahnen nichts von alledem. Sie haben ganz andere Dinge im Kopf, denn an diesem Abend soll in Asgard wieder einmal ein großes Fest gefeiert werden. Auf der großen Wiese sind Tische und Bänke aufgestellt, und die Asen sitzen im Schatten der großen Weltesche Yggdrasil. Durch das immergrüne Laub können sie die ersten Sterne funkeln sehen.

Alle sind froh, dass Frigga und Odin wieder nach Hause gekommen sind. Die beiden Raben Hugin und Munin haben sich auf den Schultern des Götterkönigs niedergelassen und reiben ihre Schnäbel an seinen Wangen. Zu seinen Füßen liegen die beiden Wölfe und wedeln wie zahme Hunde mit dem Schwanz. Aber am meisten freut sich Thor über die Rückkehr. Denn jedes Mal, wenn der Häuptling nicht zur Stelle ist, trägt er in Asgard die Verantwortung, und das ist ihm eine wahre Last. Nun kann er endlich wieder am Morgen ausschlafen und so viel Met trinken, wie er will.

Das Fest dauert die ganze Nacht. Die meisten Asen sind schon satt und zufrieden eingeschlafen und liegen unter dem Tisch. Andere tanzen und spielen noch, bis sie so müde geworden sind, dass sie kaum mehr wissen, wie sie heißen und wo sie sind.

Nur Odin behält einen klaren Kopf. Er will den Sonnenaufgang erwarten, und Heimdall, der Gott mit den goldenen Zähnen, soll ihn begleiten. Sie steigen auf den Himmelsberg, wo Heimdall seinen Wachtturm hat. Von dort aus hält er Tag und Nacht Ausschau, damit kein Feind sich unbemerkt an Asgard heranschleichen kann. Kein Troll soll unbemerkt über die Mauern der Götterburg klettern.

Heimdall hat immer eine Lure bei sich. Dieses gewaltige Horn setzt er an den Mund, wenn Gefahr droht. Sein dröhnender Ruf wäre über die ganze Welt zu hören, wenn er sein Alarmsignal bliese. „Eines Tages wird es soweit sein“, sagt Odin leise. Heimdall sieht ihn zweifelnd an. „Das sagst du so oft, dass ich dir bald glauben muss“, antwortet er, „aber mir gefällt dieser Gedanke ganz und gar nicht.“ Die beiden Götter sitzen beieinander und schweigen. Der Sonnenwagen rollt hoch über den Horizont.

Auf dem Heimweg hört Odin, wie hinter den Sträuchern und Bäumen jemand kichert und lacht. Es ist Frühling geworden, und überall regt sich ein neues Leben. Hie und da sieht er, wie sich hinter den grünen Zweigen, eine bloße Brust oder ein nackter Schenkel regt. Dort im Gebüsch blitzt ein heller Hintern auf. Er weiß dass es Freia ist, die Liebesgöttin, die hinter ihm her ist. Dauernd hört er ihre Katzen zischen und miauen. Aber Odin hat keine Lust, sich mit ihr einzulassen. Er wendet ihr sein blindes Auge zu und macht sich aus dem Staub. Vielleicht wird sie das kränken, aber er glaubt ihr keine Rechenschaft schuldig zu sein. Es ist zu spät für solche Spielchen, und das, was einmal war, ist nun Vergangenheit. Er hat nichts mehr übrig für durchsichtige Schleier und reizende Blumenkränze. Er hat ganz andere Dinge im Sinn. Zu Hause erwartet ihn Frigga. Er bettet sein Haupt in ihren Schoß und streicht ihr übers Haar. Nach so vielen unsicheren Jahren haben die beiden wieder zueinander gefunden.

Um die Mittagszeit sieht Odin in Walhall nach dem Rechten. Hier sind seine Untoten dabei, für künftige Kämpfe zu üben. Den ganzen Tag lang gibt es dort ein Hauen und Stechen, das kein Ende nimmt. Abends, wenn Andrimne, der Koch, sie zum Essen ruft, stehen die Gefallenen wieder heil und unversehrt auf. Odin schaut den Kriegern bei ihrem Treiben gerne zu. Er braucht sie, denn in Zukunft muss er auf alles gefasst sein. Es fällt ihm schwer, sich auf andere zu verlassen. Er selber muss sich um alles kümmern; sonst geht es in Asgard bald drunter und drüber. Was soll aus seinem Heer werden, wenn er kein Auge darauf hat? Doch er merkt auch, dass er nicht mehr der Jüngste ist. Oft wird er jetzt schon am Nachmittag müde. Es gilbt so viele Aufgaben, die ihn erwarten, und nicht einmal er kann überall zur gleichen Zeit zur Stelle sein.

Deshalb hat er in letzter Zeit Tyr und Thors Stiefsohn Ull damit beauftragt, das Waffenspiel der Untoten zu leiten, wenn er nicht da ist. Mutiger als Tyr, der seine Hand aufs Spiel setzte, um den Fenriswolf zu fesseln, ist keiner unter den Asen, und einen besseren Bogenschützen als Ull findet so leicht niemand auf der Welt. Tyr ist der große Heerführer, um den sich alle scharen, und wenn es um den Kampf Mann gegen Mann geht, weiß Ull mehr Kniffe und Tricks als irgendein anderer.

Anfangs fanden die beiden Asen wenig Geschmack an der Aufgabe, mit der Odin sie betraut hat. Doch mit der Zeit haben sie Blut geleckt, und jetzt gehen sie jeden Tag gerne auf den Kampfplatz. Ull ist nicht nur ein erfahrener Ringer und Faustkämpfer, er versteht sich auch auf andere Künste. Den ganzen Winter hindurch hat er den Untoten beigebracht, wie man sich auf Skiern bewegt, und nun wissen sie, wie man auf dem Schild in Schussfahrt einen steilen Hang hinabrast. Odin ist sehr zufrieden mit seinen Männern, die ihn mit lauten Zurufen feiern.

Thor sitzt unterdessen in seinem Wagen und lässt die Beine baumeln, während seine Böcke ruhig auf der Wiese grasen. „Hör mal, Vater“, sagt er, als Odin vorbeikommt, „was hast du dir nur dabei gedacht, als du mich zu deinem Stellvertreter gemacht hast? Dazu tauge ich doch am allerwenigsten! Das nächste Mal solltest du einen anderen unter deinen Söhnen aussuchen. Warum fragst du nicht Baldur? Er ist redegewandt und weiß immer, was er sagen soll, während ich jedes Wort dreimal im Mund herumdrehe, bevor ich es über die Lippen bringe. Du weißt doch, ich bin auffahrend und hitzig. Er ist mild und verständig. Jeden Streit renkt er wieder ein. Unfrieden und Zank weiß er zu vermeiden, und unter uns allen ist er gewiss der Gerechteste.“

Odin hört ihm lächelnd zu. „Du hast recht“, sagt er, „über Baldur kann man nur Gutes sagen. Aber du weißt auch, dass sich die Menschen immer an dich wenden, wenn sie Hilfe brauchen.“ – „Du, immer mit deinen Menschen!“ ruft der Donnergott und rauft sich die Haare. „Ich weiß nicht, was du mit denen hast. Nicht, dass du meinst, ich hätte etwas gegen sie, aber kannst du nicht zu Abwechslung einmal an etwas anderes denken? Sind sie denn wirklich so wichtig?“ – „Ja“, antwortet Odin mit ernster Miene und damit will er sich auf den Weg machen. Doch nun kommt Loki angerannt und ruft: „Warte doch auf mich, Milchbruder!“ Aber Odin geht ungerührt weiter. „Warum hast du nie Zeit für mich?“ jammert Loki, „wie lange ist es her, dass wir das letzte Mal miteinander auf Fischfang gingen?“ Odin tut so, als hätte er ihn nicht gehört, und lässt ihn stehen.

Viele Stunden verbringt er auf seinem Häuptlingssitz. Von dort kann er über die blauen Berge sehen. Nicht der kleinste Ort entgeht seinem Blick. Jede Grotte und jede Schneehöhle in Utgard und in Jotunheim, wo die Trolle umherschleichen, kann er unterscheiden. Sein Auge reicht bis zum großen, Gischt sprühenden Weltmeer, wo die Mitgardschlange sich träge um die ganze Erde ringelt, sich in den Schwanz beißt und lauert und lauert.

Aber am liebsten schaut er dem Treiben der Menschen zu. Nie wird er müde, die grünen Wiesen von Mitgard zu betrachten, die gelben Kornfelder und die emsigen Fischerdörfer. Er weiß sehr wohl, dass viele Menschen keinen klaren Begriff vom Leben und vom Tod haben. Meistens glauben sie, dass es große und geheimnisvolle Mächte sind, die ihr Schicksal lenken – manche, die hilfreich sind, und andere, die alles zerstören wollen. Und wo sind die Mächte zu finden? Wo lassen sich ihre Absichten entziffern? In Sonne und Wind, Donner und Feuer, Stein und Holz, im Rauschen der Wasserfälle und in den Tiefen der Gebirge. Oft schneiden sie Zeichen in Baumstämme oder ritzen sie in die Felsen ein. Das häufigste dieser Bilder ist das Rad, ein Zeichen für die Sonne. Nichts ist mächtiger als die Sonne, hört Odin sie flüstern. Ohne die Sonne kann es kein Leben geben. Der Götterkönig lächelt über das, was die Menschen glauben.

Viele tragen zum Beispiel einen kleinen silbernen Hammer um den Hals, als Schutz vor Gefahren. Damit wollen sie den Donnergott beschwören, vor dem sich alle unheimlichen Mächte, die Trolle und die Unterirdischen, fürchten. Andere suchen Beistand bei den anderen Asen. Der Bauer wendet sich an Frei, der Fischer und der Jäger an Njord, und wer sich nach Liebe sehnt, ruft Freia an. Alle halten sich an den Gott, der ihnen am besten helfen kann. Auch Holzfiguren schnitzen die Menschen, die sie an heiligen Orten unter offenem Himmel aufstellen. Dort schlachten sie Schafe und Ziegen und opfern sie. so dass ihr Blut über die Standbilder fließt. Ein Teil des Fleisches wird auf hohen Säulen den Göttern dargebracht; was übrigbleibt, essen die Leute, die am Opferfest teilnehmen. Dabei fehlt es nie an Met und Bier. Der erste Trinkspruch gilt immer Odin. Der Götterkönig auf seinem Thron sieht das alles und lächelt.

Aber an manchen Orten werden nicht nur Schafe und Lämmer geschlachtet. Odin sieht wie da und dort auch Hunde und Pferde mit Schlingen erwürgt werden. Es gibt Lichtungen und Haine, die nach Tod und Verderben stinken. Dort baumeln tote Menschen an den Ästen. Er sieht leibeigene Frauen, die vergewaltigt und erwürgt werden. Unglückliche, die ihren Herren auf die Scheiterhaufen folgen müssen, oder bei lebendigem Leibe von großen, brennenden Schiffen aus ins Meer geworfen werden. Das alles geschieht im Namen der Asen, und Odin auf seinem Hochsitz muss es mit ansehen. Immer öfter nimmt auch Frigga neben ihm Platz und schaut zu. Die Asen wundern sich. Hat Odin nicht allen verboten, auf dem Thron zu sitzen? Nur mit Frigga macht er eine Ausnahme.

Ran (Ron) - die Meergöttin und Gemahlin des Aegir

Ran (Ron) – die Meergöttin und Gemahlin des Aegir

 Loki will sich nicht geschlagen geben. Er will unbedingt, dass Odin mit ihm fischen geht. Jeden Morgen steht er vor dem Spalt der Bettkammer, in der Odin ruht. und führt einen Tanz mit der Angelrute auf seiner Nase auf. Eines Tages sind es sogar zwei Ruten, die da draußen zappeln. Loki hat den armen Huhne mitgebracht, der immer so schüchtern ist, dass er kaum ein Wort über die Lippen bringt. Weil er so vorsichtig ist, halten ihn viele für einen Angsthasen. Doch Odin hat ihn immer gern gehabt. „Also gut, meinetwegen“, ruft er den beiden zu. „Hört auf zu drängeln. Ich komme mit.“

„Endlich“, freut Loki sich. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die drei Asen etwas gemeinsam unternehmen. Viele Abenteuer haben sie früher miteinander geteilt. Schon haben sie die Regenbrücke hinter sich und durchwandern Mitgard. Der reißende Fluss dem sie folgen, windet sich durch eine hügelige Landschaft. Plötzlich erblicken sie einen Otter, der am Ufer sitzt, mit einem großen Lachs in den Fängen, den er gerade verschlingen will. Er hat in seiner Vorfreude auf den guten Bissen die Augen geschlossen. Da schleicht Loki sich an ihn heran und erlegt in mit einem Steinwurf. „Zwei auf einen Schlag“, prahlt er, nimmt die doppelte Beute mit, und sie wandern weiter.

Gegen Abend erreichen sie einen kleinen Bauernhof. Der Hausherr heißt Reidmar und versteht sich auf allerlei Zauberkünste. Die Asen bitten ihn um ein Nachtlager. „Wir haben genug zu essen mitgebracht“, sagen sie und zeigen ihre Beute her. Als der Bauer aber den Otter sieht, erbleicht er. Seinen Söhnen ruft er zu. „Dort liegt euer Bruder, der Otter! Und diese drei sind es, die ihn umgebracht haben.“ Ehe sie sich´s versehen, liegen die Asen gefesselt am Boden. „Wie kann das sein,“ fragt Loki, „dass euer Sohn ein Otter ist?“ – „Oh“, antwortet Reidmar, „hier im Haus verwandelt sich jeder, der Lust hat, in ein Tier. Was soll ich nur mit euch anfangen. Am einfachsten wäre es, ich schnitte euch die Kehle durch.“

Die Asen sehen ein, dass der Mann gefährlich ist. Zwar wäre es ihnen ein leichtes, ihn außer Gefecht zu setzen: Doch Odins Wille ist es, dass die Asen, wenn sie nach Mitgard gehen, auf ihre Macht verzichten und sich wie gewöhnliche Sterbliche verhalten sollen. Also schweigt Odin und harrt der Dinge, die da kommen werden. Huhne summt verängstigt vor sich hin. Nur Loki findet sich nicht so leicht damit ab, dass ein Bauer ihm droht. Er versucht es mit einer List. „Aber mein Lieber“, sagt er, „wir werden uns doch wohl handelseinig werden? Sag mir, was du als Wehrgeld verlangst, und ich will zahlen.“ – „So viel Gold habt ihr nicht, um mich zu versöhnen“, schnaubt Reidmar. „Sag das nicht“, lächelt Loki, denn nun weiß er, dass der Köder sitzt. „Über den Preis werden wir uns schon einigen können.“ – „Versprecht ihr, uns soviel Gold zu geben, wie wir verlangen?“ fragt der Bauer. „Das schwören wir“, antworten die drei Asen.

Die beiden Söhne binden sie los. Nun wird dem Otter das Fell abgezogen, und Reidmar hält es in die Höhe. „Hier, diese Haut sollt ihr mit dem rötesten Gold füllen“, sagt er. „Und dann sollt ihr sie von außen vergolden, bis kein Schnurrhaar mehr zu sehen ist.“ Die Asen finden den Preis recht hoch, doch versprochen ist versprochen, und so machen sie sich bereit zum Aufbruch. Aber die beiden Söhne versperren ihnen den Weg. „So haben wir nicht gewettet“, ruft der Bauer. „Ihr seid nicht die ersten, die versucht haben mich hereinzulegen. Zwei von euch will ich hierbehalten, bis der dritte mir das Gold gebracht hat.“ Die Asen beschließen, dass Loki gehen soll, er hat sich den Plan schließlich ausgedacht.

„Du weißt wohl, wie es deinen Freunden hier ergehen wird, wenn du nicht wiederkommst“, mahnt ihn Reidmar, und damit alle verstehen, wie er es meint, fährt er sich mit der flachen Hand über die Kehle.

Loki schreitet weit nach Osten aus. Er sucht den Meerestroll Ägir auf, der schon immer ein Freund der Asen war. Odin hat mit einer seiner Töchter ein Kind gezeugt, und das große Fest, das er den Asen gegeben hat, ist noch in bester Erinnerung. Nur mit Ägirs Frau Ron ist nicht gut Kirschen essen. Sie hat ja dieses große Netz, mit dem sie nicht nur Hummer und Fische fängt, sondern auch Seeleute und sogar ganze Schiffe! Nun bittet Loki sie, ihm dieses berühmte Netz zu leihen. Als sie das hört, schaut sie mit ihren kalten Dorschaugen mürrisch drein. Erst als Loki ihr versichert, dass es Odin ist, der das Netz braucht, wagt sie es nicht länger, ihm seine Bitte abzuschlagen.

Loki weiß, dass es einen Wasserfall gibt, in dem ein ungeheuer reicher Zwerg haust. Dieser Gnom heißt Andware und plätschert am liebsten in der Gestalt eines Hechts unter dem Wasserfall herum. Dort wirft Loki sein Netz aus, und wahrhaftig, bald hat er den mächtigen Fisch gefangen. „Zeige deine wahre Gestalt!“ ruft er, und sogleich verwandelt der Hecht sich in einen runzeligen Knirps mit Warzen auf der Nase und Haaren in den Ohren. Er zappelt hilflos in den Maschen und schnappt nach Luft. „Wenn dir dein Leben lieb ist, dann gib mir augenblicklich dein ganzes Gold heraus, das du im Berg versteckt hast“, Der Zwerg begreift, dass ihm keine andere Wahl bleibt.

Der Weg in seine Höhle ist eng und dunkel, und Loki kommt nur gebückt voran. Endlich aber langen sie in einer hohen Grotte an, in der es wie tausend Sterne glitzert. Andware fängt an, das Gold in einen großen Sack zu stopfen. Aber Loki hat ein wachsames Auge auf ihn und er bemerkt, dass der Zwerg versucht, einen kleinen Ring auf die Seite zu bringen. „Nichts da!“ ruft er. „Alles kommt mit!“ – „Lass mir wenigstens diesen Ring“, fleht der Zwerg, aber Loki bleibt hart, und so wandert auch der Ring in den Sack.

Als sie wieder ans Tageslicht treten, hält es Andware nicht länger, und er bricht in Klagen aus. „Wie soll ich nur ohne meinen Ring weiterleben“, jammert er. „Stell dich nicht so an! Er wiegt doch kaum ein halbes Lot“, sagt Loki. „Aber ich brauche nur an ihm zu drehen und einen Spruch aufzusagen, dann schafft er mir Gold herbei, soviel ich will. Mehr als du mir abgenommen hast!“ Der Zwerg schüttelt seine Faust und schwört: „Niemandem will ich meinen Zauberspruch verraten! Und ein Fluch soll über jeden kommen, der sich an dem Gold bereichert, das du mir geraubt hast. Tod und Verderben dem, der meinen Ring an den Finger steckt!“ Das kleine Gesicht ist rot vor Wut, doch Loki zuckt nur die Schultern und lacht ihn aus. „Mir soll es recht sein“, wirft er ein. „Ich richte es gern dem aus, bei dem die Beute landet. Ich selber brauche dein Gerümpel nicht, das kannst du mir glauben.“

Mit diesen Worten dreht er sich um und macht sich auf den Rückweg. Es geschieht dem wilden Bauern ganz recht, denkt er, wenn der Fluch des Zwerges über Reidmar kommt.

Als er aber das ganze Gold vor dem Geiselnehmer ausschüttet, nutzt Odin die Gelegenheit, den kleinen Ring zu stibitzen. Loki merkt es wohl, aber er sagt kein Wort. Nun fangen Reidmar und seine Söhne an, das Otterfell zu füllen, bis es ganz mit dem kostbaren Metall ausgestopft, aufrecht stehen kann. Es gilt, soviel Gold aufzuhäufen bis das ganze Tier bis zum Schädel darin verschwindet. Als es soweit ist, bleibt kein einziger Klumpen Gold übrig. Der Sack ist leer. Doch Reidmar ist immer noch nicht zufrieden. Er deutet auf ein winziges Schnurrhaar, der aus dem großen Haufen hervorguckt, und verlangt, dass die Asen es mit Gold bedecken. Odin zögert eine Weile, weil er den Ring am liebsten behalten hätte, aber am Ende weiß er keinen anderen Rat, als ihn herauszurücken.

Nun ist von dem Fell des Otters nichts mehr zu sehen. Die Asen haben ihr Versprechen gehalten. Aber bevor sie das Haus verlassen, wiederholt Loki den Fluch, mit dem der Zwerg seinen Schatz auf die Reise geschickt hat. „Tod und Verderben dem, der sich meinen Ring an den Finger steckt!“ Doch der Bauer und seine Söhne sind zu sehr damit beschäftigt, in ihrem Gold zu wühlen, als dass sie auf ihn gehört hätten.

Auf dem Heimweg macht Odin sich seine Gedanken über das, was in Reidmars Haus vorgefallen ist. Wenn ich nun den kleinen Ring behalten hätte, fragt er sich – was hätte Loki dazu gesagt? Vielleicht hätte er mir verschwiegen, wie gefährlich dieser Ring ist. Oder tue ich Loki Unrecht mit meinem Verdacht? Schließlich war er es, der sie durch eine List befreit hat. Immer dieser Loki, denkt Odin – nie werde ich ganz klug aus ihm! Genau in diesem Moment begegnen sich ihre Blicke, und Loki bricht in ein herzliches Lachen aus, dem weder Odin noch Huhne widerstehen können. Niemand auf der Welt hat ein so ansteckendes Lachen wie Loki. Dagegen, denkt Odin, ist kein Kraut gewachsen.

Plötzlich hören die drei ein lautes Grunzen. Ein riesengroßes Schwein kommt auf sie zu gerannt. Seine Borsten glänzen und schimmern, und auf dem Rücken trägt es einen geharnischten Reiter. Es ist Frei!

„Thor hat mich ausgesandt“, ruft er. „Wir fingen an, uns Sorgen zu machen, wo ihr bleibt. Sitzt auf! Gullborste trägt uns leicht alle vier nach Hause. Ihr müsst euch nur an den Borsten festhalten!“ Odin, Huhne und Loki steigen auf den gewaltigen Eber, und der rennt los, dass ihnen die Ohren sausen.

Als Frigga hört, was ihnen zugestoßen ist, fragt sie Odin: „Musst du dir solche Unverschämtheiten gefallen lassen? Dieser Reidmar – warum hast du ihn mitsamt seinen Söhnen nicht einfach wie ein paar Mücken an die Wand geklatscht?“ Odin zuckt mit den Achseln. Er ist müde und möchte schlafen, aber Frigga will ihm in dieser Nacht auf den Zahn fühlen. „Bist du nicht der Allvater?“ sagt sie. „Bist du nicht Herr über alles, was geht, kriecht und fliegt?“

Odin fallen schon die Augen zu. Er wendet sich ab, doch Frigga gibt nicht auf. „Nimm dir ein Beispiel an Thor. Auch der hat gerade einen kleinen Ausflug nach Mitgard gemacht“, sagt sie. „Ja, aber nur um zu raufen, wie es seine Art ist.“ – „Nein, sondern weil ihn ein König um Hilfe gebeten hat“, sagt Frigga.

„Ein Meersestroll hat ihm die Tochter geraubt. Dieser Riese ist ein Ungeheuer mit acht Armen, und er kann vier Schwerter auf einmal schwingen.“ – „Ja, ich weiß. Thor hat ihn dann mit seinem Hammer erledigt“, murmelt Odin müde. „Aber lass mich endlich schlafen!“ – „Der wagt es wenigstens einzugreifen“, fährt Frigga fort. „Er lässt sich eben nicht alles gefallen.“ – „Ein alter Raufbold ist er“, seufzt Odin. „Und warum solltest du dir weniger Respekt verschaffen als dein Sohn?“ fragt Frigga.

„Weil ich mehr Verstand im Kopf habe“, antwortet ihr Mann. „Übrigens wärst du nicht so begeistert von seinen Abenteuern, wenn er dein eigener Sohn wäre. Dann hättest du sicher mehr Angst um ihn.“

Thors Mutter ist nämlich nicht Frigga, sondern Jord, von der man nicht recht weiß, ob sie zu den Asen oder zu den Trollen gehört. Davon will Frigga aber nichts wissen. Schon ist sie drauf und dran, ihrem Mann all die Seitensprünge und Liebschaften vorzuhalten, die er sich im Lauf der Zeit geleistet hat, aber dann schluckt sie ihren Ärger hinunter und schläft ein. Odin aber wälzt sich im Bett hin und her und grübelt. Sie tut mir Unrecht, denkt er, Schließlich habe ich mich oft genug in das Leben der Menschen eingemischt. Aber was hat es genützt? Vielleicht habe ich mehr Unheil als Nutzen gestiftet? Natürlich, es ist für unsereinen ein leichtes, mit ihnen fertig zu werden, den Tisch umzuschmeißen, und wie Thor die Muskeln spielen zu lassen. Aber das Richtige zu tun, die Lösung zu finden, das ist schwer… Er seufzt. Er zählt die Balken an der Decke. Wie oft hat er seine schützenden Hände über die Leute gehalten! Sogar seinen Speer hat er ihnen geliehen. Ihr liebeskrankes Jammern hat er geduldig mit angehört, und manchen toten Helden hat er aus Walhall noch ein letztes Mal nach Hause ziehen lassen, damit er von seiner weinenden Geliebten Abschied nehmen konnte. Aber hat er damit klug gehandelt?

Die Geschichte von König Rehre und seiner Frau fällt ihm ein. Die haben ihn und Freia um Hilfe angefleht, weil sie kinderlos waren. Odin hat damals eine seiner Walküren an den Königshof geschickt. Sie flog in Gestalt einer Krähe hin und ließ einen Zauberapfel in den Schoß des Königs fallen, als er niedergedrückt auf einem Hügel saß. Rehre gab den Apfel seiner Frau. Sie aß ihn und wurde schwanger. Aber es zeigte sich, dass das Kind ihren Leib nicht verlassen wollte. Sechs Jahre verstrichen, ohne dass sie gebären konnte. Unterdessen war König Rehre auf einem seiner Kriegszüge gefallen. Die lebensmüde Königin ließ sich am Ende den Bauch aufschlitzen, damit das Kind endlich das Licht der Welt erblicken sollte. Es war ein Sohn, wohlgestaltet und groß. Er konnte gerade noch seine Mutter zum Abschied küssen, bevor sie starb. Wälsung haben sie ihn genannt, und er wurde König im Land seines Vaters. Später heiratete er die Walküre, die Odin mit dem Apfel gesandt hatte, und mit ihr zeugte er eine Tochter und zehn Söhne. Odin seufzt und stöhnt, als er daran denkt. Warum muss das Gute, das er tut, so schlimm enden? Warum kann er das Knäuel dieser Welt nicht lösen?

Am Morgen fütterte Frigga die Schwäne am Brunnen Urds, wo die drei Nornen wohnen. Es sind Urd, Werdande und Skuld, die Wissenden. Sie können alles sehen, was gewesen ist, was da ist und was da kommen wird. Das Wasser in Urds Brunnen ist heilig. Alles, was in diese Quelle eintaucht, wird so rein wie die weißeste Eierschale. Jeden Morgen sprenkeln die Nornen etwas von diesem Wasser Yggdrasil, damit die große Esche immer frisch und grün bleibt. Heute ist Frigga gekommen, um ihnen zur Hand zu gehen. Aber sie hat noch etwas anderes im Sinn. Es geht um Odin. „Wie schwer er es hat“, sagt sie. „Immer will er alles verstehen, und so grübelt er die ganze Nacht hindurch und findet kein Ende.“ Aber die Nornen schütteln nur lächelnd den Kopf. „Dann weiß er nicht mehr aus und ein“, sagt Frigga. Die Nornen lachen. „Es ist wahr“, sagt Urd, „keiner tut mehr für die Menschen als Odin.“ – „Ja“, sagt Frigga, „doch kostet es ihn große Mühe, sie zu verstehen. Bald weint er mit ihnen, bald lacht er sie aus, aber immer kümmert er sich um sie. Aber die Menschen sind nicht wie wir. Sie sind anders!“ – „Er hat sie doch selber erschaffen“, wirft Werdande ein. „In seinem Kopf geht es zu wie in einem Ameisenhaufen“, sagt Frigga. „Aber er ist der Albvater“, hält ihr Skuld entgegen und lächelt. Die drei Nornen wenden ihren Blick von Frigga ab und schweigen. Sie weiß sehr wohl, dass nichts und niemand sie zum Reden bringen kann, wenn sie ihre Geheimnisse wahren wollen.

Als sie nach Hause kommt, ist Odin fortgegangen. Sie findet ihn in Walhall. Dort sitzt er mit seinen Untoten Kriegern am Tisch und trinkt mit ihnen. Auch ein paar andere Asen haben sich eingefunden. Sie sehen auf, als Frigga eintritt, und sie hört, wie sie miteinander tuscheln.

Auch Freia ist da. Sie hat eine Katze auf beiden Schultern, und ihr Haar züngelt wie rotes Feuer über ihrem Kopf. Sie steht auf, als sie Frigga sieht, wirft ihr Trinkhorn zu Boden und läuft aus dem Saal. Nun setzt Frigga sich zu Odin, der ihr den Arm um die Schulter legt. Erst jetzt merkt sie, wie ihr die Knie zittern. Doch sitzt sie erhobenen Hauptes da; niemand soll merken, wie elend ihr zumute ist.

In Asgard verlief die Zeit langsamer als in Mitgard. Während im Leben der Menschen viele Jahre verstrichen sind, sind für die Asen kaum ein paar Tage vergangen. Auch darüber spricht Frigga, mit ihrem Mann. Wenn sie von ihrem Hochsitz aus auf Mitgard blicken, wundern sie sich, wie rasch dort alles hüpft und springt und zappelt. Selbst das langwierigste Drama ist da unten im Nu vorbei!

So geht es auch mit dem Goldschatz, den der habgierige Reidmar sich ausbedungen hat. Er hat sich geweigert, ihn mit seinen Söhnen zu teilen. Nun sehen sie, wie Fowne, der ältere der beiden, seinen Vater im Schlaf erschlägt. Schon kommt der jüngere dazu und verlangt seinen Anteil, aber der Mörder denkt nicht daran, etwas von seiner Beute abzugeben. Er droht seinem Bruder, und Regin, der jüngere, fürchtet um sein Leben und flieht. Aber das ist nicht das Ende der Geschichte; denn Fowne hat Angst, dass ihm jemand seinen Schatz rauben könnte. Deshalb verwandelt er sich in einen Drachen und baut sich ein Nest auf der Heide. Dort sitzt er auf seinem Haufen Gold und brütet vor sich hin.

Das alles sehen Odin und Frigga von ihrem Hochsitz aus. Sie sehen wie Regin einen Zögling in sein Haus aufnimmt, der Sigurd heißt. Den hetzt Regin nun gegen seinen Bruder auf. Den hetzt Regin nun gegen seinen Bruder auf. Er zeigt ihm, wo der Drache zu Tränke geht. „Dort musst du einen Stollen graben, in dem du dich versteckst. Dann wartest du, bis mein Bruder, das Ungeheuer, Durst hat, und sobald über den Pfad zum See kriecht, stichst du ihm von unten her mitten ins Herz!“ Sigurd folgt diesem Rat, und als der schwere Drache sich, Gift und Galle speiend, über sein Versteck wälzt, so massig, dass die Erde bebt, stößt er sein Schwert tief in Fownes schuppigen Leib.

Erst als der Drache tot ist, verrät Regin ihm, dass das Ungeheuer sein eigener Bruder war. Er möchte Fownes Herz, und er bittet seinen Zögling, es für ihn zu braten. Sigurd steckt den blutigen Klumpen auf einen Pfahl und hält ihn über das Feuer. Aber sobald er das Drachenblut schmeckt, versteht er, was die Vögel einander zuzwitschern. Sie sagen, dass Regin ihn betrügen will. Auf diese Warnung hört Sigurd. Er tut was die Vögel ihm raten, und bringt seinen Pflegevater um.

Odin, der das alles gesehen hat, seufzt. Es ist doch immer dieselbe Geschichte mit den Menschen, denkt er. auch Frigga ist es müde, immer auf denselben Fleck zu starren. „Vielleicht geht es anderswo weniger sinnlos zu?“ fragt sie. Odin lässt seinen Blick wandern. Wie ein Habicht schweift er über alle Dörfer in Mitgard, und plötzlich bricht er in ein größtes Gelächter aus. „Siehst du die beiden dort drüben?“ sagt er. „Das sind Agnar und Gerod. Erinnerst du dich an die beiden kleinen Jungen, die wir einst einen Winter lang auf einer Insel weit draußen im Meer auf einer Bauernkate aufgezogen haben? Jetzt sind sie schon erwachsen! Rate was aus ihnen geworden ist!“

Frigga beugt sich nach vorn, kneift die Augen zusammen und späht in die Tiefe. Ja, dort wohin Odin zeigt, erblickt sie Gerod, der es weit gebracht hat und als König auf einem prächtigen Hof sitzt. Aber wo ist Agnar, sein Bruder? Weit im Osten sitzt er in einer engen feuchten Höhle. Er ist schmutzig und trägt Lumpen. und verheiratet ist er mit einer zahnlosen Trollfrau. Seine Kinder spielen mit Würmern und Spinnen. „Siehst du, Frigga, was für ein erbärmliches Ende dein Ziehsohn genommen hat? Da ist der meine doch aus anderem Holz geschnitzt!“ Da ärgert sich Frigga über soviel Überheblichkeit, und sie fängt an, auf Gerod zu schimpfen. „Ja, er hat es geschafft zum König zu werden. Aber was ist er für ein unbeherrschter, ungehobelter Kerl. Zu alledem ist er auch noch ein übler Geizhals. Ich wette, dass er seinen Gästen nur Wasser und Brot anbietet.“ Das alles saugt sie sich aus den Fingern, um Odin zu necken, obwohl sie keine Ahnung davon hat, wie es im Hause Gerod zugeht. Ein Wort gibt das andere und am Ende beschließt Odin, selber zu seinem Ziehsohn zu fahren, um dort nach dem rechten zu sehen.

„Und du kommst mit“, sagt er zu Thor. Der hört es seufzend, denn er möchte lieber mit seinen Kämpfern in Walhall bleiben. „Frag doch Baldur“, der hat ohnehin nichts Besseres zu tun.“ Doch Odin winkt ab. „Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe“, brummt der Götterkönig, und sein Wort ist in Asgard nun einmal Gesetz.

Jetzt ist Frigga in der Klemme. Wenn es nicht so stimmt, was sie über Gerod gesagt hat, wird Odin ihr auf die Schliche kommen. Was kann sie tun, um ihn abzuschrecken oder wenigstens dafür zu sorgen, dass Gerod ihn übel aufnimmt? Sie ruft ihre Magd Fulla und trägt ihr auf, sogleich zu Odins Ziehsohn zu eilen. „Du musst meinem Mann zuvorkommen. Sobald du da bist, erzählst du Gerod, dass ein gefährlicher Landstreicher auf dem Weg zu ihm ist, ein Zauberer, der einen Fluch über ihn und seine Leute bringen will.“

So geschieht es auch, und Gerod dankt der Magd für ihre Warnung. „Aber woran kann ich diesen bösartigen Fremden erkennen?“ fragt er. „Ganz einfach“, antwortet Fulla. „Kein Hund auf der Welt, und sei er noch so scharf, wird es wagen, auf ihn loszugehen.“

Kaum hat sie sich aus dem Staub gemacht, da wird es sonderbar still auf dem Hof. Eine Gestalt im blauen Umhang steht vor dem Haus. Seinen Hut hat der Fremde tief in die Stirn gezogen. Die großen bissigen Hofhunde liegen flach vor ihm auf dem Boden und wedeln mit den Schwänzen. Dem König Gerod läuft es bei diesem Anblick kalt den Rücken hinunter. „Wie heißt du und wer bist du?“ fragt er den Fremden. „Grimme heiße ich, und Grimme bin ich“, antwortet der Mann, und das ist alles, was er sagen will. „Was willst du hier?“ fragt Gerod ihn, aber der Fremde gibt keine Antwort. Da wird der Hausherr zornig. „Ich werde dich wohl noch zum Reden bringen“, ruft er. „Bindet ihn und setzt ihn zwischen zwei Feuer, bis er den Mund auftut!“

König Gerod und seine Männer lachen sich ins Fäustchen. Sie schauen zu, wie die Flammen um das Gesicht des Gefangenen spielen. Schon raucht der Saum seines Mantels, und die Krempe seines Hutes ist angesengt. „Hast du bald genug? „rufen sie. „Gibst du endlich auf?“ Aber Grimme sitzt schweigend da, unbeweglich wie ein Stein.

Nun springt ein kleiner Junge herbei. Es ist König Gerods Sohn. Zehn Winter ist er alt, und er heißt Agnar, nach seines Vaters Bruder, den alle tot glauben. Vor langer, langer Zeit hat Gerod diesen Bruder verraten und ganz allein auf seinem Zauberboot ausgesetzt, weil er den Thron nicht mit ihm teilen wollte.

Nun aber steht der junge Agnar im Saal seines Vaters und sieht zu, wie der fremde Gast misshandelt wird. Das gefällt ihm nicht, obwohl es heißt, der Besucher sei vielleicht ein gefährlicher Zauberer. Er weiß, dass das, was er vorhat, seinem Vater ganz und gar nicht passen wird. Trotzdem füllt er nun ein ganzes Trinkhorn mit Wasser und reicht es dem Gefangenen, der es in einem Zug leert.

Da bricht der seltsame Gast endlich sein Schweigen. „Nie wirst du für einen Trunk schöner belohnt werden, Agnar“, sagt er. „Du aber, Gerod, hast sehr unklug gehandelt, und das wird dir übel bekommen. Ich war dir immer wohlgesinnt, aber du hast meine Gunst verscherzt.“ Mit einem Ruck erhebt er sich und sagt: „Hast du vergessen, wer dir das Leben gerettet und dich aufgezogen hat? Viele gute Ratschläge habe ich dir gegeben, doch du hast sie in den Wind geschlagen.“ Er wirft seinen Hut ab, und nun sehen alle, wie seine Augen funkeln. „Ich bin Odin“, ruft er. „Komm her zu mir, wenn du es wagst!“

Gerod ist die ganze Zeit mit dem Schwert auf den Knien dagesessen. Als er begreift, dass er fast den ganzen Bart des Götterkönigs verbrannt hätte, springt er auf um Odin loszubinden. Aber indem er aufsteht fällt sein Schwert zu Boden, die scharfe Spitze richtet sich auf, er stolpert und stürzt in die Klinge. Vom eigenen Schwert durchbohrt, stirbt König Gerod. Die beiden Feuer sind erloschen, und der Götterkönig ist verschwunden. Der junge Agnar tritt die Nachfolge seines Vaters an. Ob es ein Zufall ist, dass er auf den Tag genau zehn Jahre alt ist, ebenso alt wie sein Vatersbruder war, als er verschwand, damals, vor langer Zeit.

Frigga hat auf ihrem Hochsitz alles mit angesehen. Nun folgen ihre Augen Odin, wie er sich zornig auf den Weg macht. Hat sie nicht recht gehabt mit allem, was sie über Gerod gesagt hat? Ohne es zu ahnen, hat sie mit ihrer Lüge die Wahrheit gesagt. Sie weiß, dass der Götterkönig ihr diesen kleinen Triumph übelnimmt. Er wird nicht so bald nach Hause kommen. Wieder einmal zieht er nach Osten, in die wilden Berge von Jotunheim. Traurig verlässt sie die weite Aussicht und schließt sich in ihr Zimmer ein.

Was aber hat Odin vor? Er sucht eine Quelle auf. Der Weg dahin ist schwer zu finden und voller Rätsel. Er aber kennt jeden Stein und jeden Baumstumpf in der Einöde, und bald hat er gefunden, wonach es ihn verlangt.

Am Rand des Wasserlaufs, liegt der Kopf eines Mannes. Als Odin näher kommt, schlägt der Kopf die Augen auf und lächelt.

Es ist der Riese Mime, der hier liegt. Er und Odin sind Freunde aus alten Zeiten. Damals hatte Mime noch Beine, mit denen er gehen und Arme die er ausstrecken konnte. Aber im großen Krieg zwischen Asen und Wanen wurde er geköpft. Damals hat Odin ihm die stärksten Zauberlieder über sein entstelltes Gesicht gesungen und seinen Kopf mit heilenden Kräutern gesalbt, und so ist das Licht in Mimes tote Augen zurückgekehrt.

Bis heute lebt er in der Einsamkeit und bewacht die Quelle, die man Mimes Brunnen nennt. Ihr Wasser gibt jedem, der davon trinkt, Weisheit und Einsicht. Mime war immer schon der Klügste unter den Trollen, und jedes Mal wenn er seinen Durst an der Quelle stillt, wird er noch klüger als zuvor. Immer wenn Odin nicht mehr aus und ein weiß, kommt er zu ihm und sucht seinen Rat.

Eine ganze Nacht lang reden die beiden Freunde miteinander. Wie soll es weitergehen mit der Welt? Was hat die Mitgardschlange vor, die immer weiter wächst, und wer soll den Fenriswolf bändigen, der heult, als wolle er alles, was da lebt, verschlingen?

Aber auch über die Menschen zerbrechen sie sich den Kopf. „Dieser Gerod zum Beispiel“, sagt Odin. „Ich habe ihn doch selber erzogen. Alles was ich konnte, habe ich für ihn getan, damit ein aufrechter Mann aus ihm wird. Und was hat er getan? Seinen Bruder hat er verraten und ein böses Ende genommen.“

„So sind sie eben, die Menschen“, seufzt Mime. „Nicht einmal auf meinen Milchbruder kann ich mich verlassen“, fährt Odin fort. „Ich werde einfach nicht klug aus ihm.“ Er meint Loki. „Er kommt mir vor wie ein Mensch. Weder Fisch noch Fleisch! Gott und Troll in einer Gestalt!“

Odin ballt die Fäuste. „Und doch sind sie etwas Besonderes, die Menschen. Weißt du was mir an ihnen gefällt? Sie sind voller Leben. Bei uns in Asgard werden ja gar keine Kinder mehr geboren. Alles steht still. Wir bleiben unter uns. Das ist ein schlechtes Zeichen!“ – „Du hast recht“, nickt der Kopf. „Es kommt wohl vor“, sagt Mime, „aber selten genug.“

Odin wiegt den Kopf und meint: „Das hat nichts Gutes zu bedeuten. Ich fürchte, dass es die Menschen sind, in deren Händen die Zukunft liegt.“ Er brummt wie ein alter Bär. „Unsere Zeit neigt sich dem Ende zu. Fühlst du es nicht?“

Odin hat Mimes Kopf in seinen Schoß gebettet. Die beiden schweigen. Der Wind flüstert in den Kiefern. Die Sterne leuchten weiß. Auf dem Grund der Quelle glitzert etwas Helles. Das ist Odins Auge, das er einst zum Pfand geben musste, um aus Mimes Brunnen zu trinken. Es geschah vor langer Zeit. Damals waren sie beide jung und wussten nichts voneinander, und die Welt war neu.

Kapitel 9: Baldur

Baldur - der "leuchtende Gott". Gott der Reinheit, Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit. Er ist Gott des Frühlings und durch sein Schicksal sterbender und auferstehender Gott.

Baldur – der „leuchtende Gott“.
Gott der Reinheit, Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit.
Er ist Gott des Frühlings und durch sein Schicksal sterbender und auferstehender Gott.

 Ganz sonderbare Winde fegen auf einmal über die Welt. Im Winter fällt kein Schnee mehr. Der Sommer ist verregnet. Wo sind die Fische im Meer geblieben? Und warum liegt ein gelber Schleim auf den Klippen am Strand? Das Vieh vergisst zu schlafen, Bäume stürzen um oder suchen einer beim andern Halt. So geht es in Mitgard zu und in Jotunheim, und sogar die Götter bleiben nicht verschont.

Die Asen sind beunruhigt. Sie haben sich an Urds Brunnen versammelt, um Rat zu halten. Aber keiner weiß eine Erklärung für die Unordnung, die über die Welt gekommen ist. Jeden Morgen setzt Odin sich unter den größten Weltenbaum, und Hugin und Munin, seine beiden Raben, hüpfen von Zweig zu Zweig. Er fürchtet, dass bald auch das Laub Yggdrasils anfangen könnte zu verwelken. Doch bisher ist die große Esche grün und saftig geblieben. Solange sie ihre Äste über die Welt ausbreitet, gibt es noch Hoffnung auf bessere Zeiten. So lauten die Weissagungen, und so steht es in mächtigen Runen geschrieben. Jede Nacht liegt Odin wach und lauscht den Wölfen, die den Mond anheulen. Unter seinen vielen Söhnen ist Baldur der jüngste. Er ist so schön, dass er beinahe an ein junges Mädchen erinnert, auch ist er von allen der sanfteste und der freundlichste. Breidablick heißt sein Hof und dort wohnt er mit Nanna, der treuesten aller Frauen, und ihrem Sohn Vorsete.

Früher haben manche sich über Baldur lustig gemacht, weil er so vorsichtig ist. Einen Schwächling haben sie ihn genannt, denn für Kampf und Streit hatte er nie viel übrig. Am liebsten wollte er mit allen in Frieden leben. Doch jetzt, da eine graue, hoffnungslose Decke wie ein großer Sauerteig, über der Welt liegt, betrachten ihn viele mit neuen Augen.

Jetzt heißt es auf einmal; Gut, dass wir Baldur haben. Solange er, der unschuldig ist wie ein Kind unter uns ist, können Gewalt und Bosheit nicht siegen. Es geht ein Leuchten von diesem hellen Gott aus, und alle, die in seiner Nähe sind, steckt er mit seiner freundlichen Miene an. Selbst die unverbesserlichen Lügner und Intriganten schweigen, wenn er kommt, und schlagen ihre Augen nieder.

Auch Odin möchte alles schützen, was auf der Erde lebt, aber vertraut am ehesten auf sein Schwert und seinen Speer, wenn es darum geht, der Gemeinheit und dem Verrat zu wehren. Ein freundliches Lächeln, denkt er, war noch nie imstande, einen gierigen Feind aufzuhalten. „Wenn ihr Frieden haben wollt“, brummt er, „müsst ihr euch auf den Krieg gefasst machen.“ Das sagt er allen, die es hören wollen. Aus diesem Grund war Baldur nie ein Sohn nach seinem Geschmack. Doch in der letzten Zeit sehen die Asen den Götterkönig immer öfter nach Breidablick reiten. Frigga, die immer eine Schwäche für Baldur hatte und ihn stets in Schutz genommen hat, freut sich sehr darüber, dass Odin sich ihm zuwendet.

Ja, die Zeiten haben sich geändert. Nichts ist mehr so, wie es war. Odin fühlt sich bedroht. Überall sieht er das Unheil mit bösen Augen und scharfen Zähnen lauern. Da kann es nicht schaden, auf der Hut zu sein. Vieles versteht Odin, aber manches ist ihm rätselhaft geblieben. Nun will er auch dahinterkommen, wie Baldur denkt. In Breidablick ist er immer willkommen. In letzter Zeit sitzen Vater und Sohn öfter beieinander, und ganze Abende lang gibt ein Wort das andere.

Warum ist Baldur immer so bleich und abgespannt? Ist er krank? Es sind die Albträume, die ihn heimsuchen. Er sieht, wie die Berge aufbrechen, als hätten sie offene Wunden. Er sieht brennende Wolken. Er sieht einen Winter, der nie zu Ende geht. Er sieht seinen eigenen Namen mit Blut geschrieben. Mitten in der Nacht wacht er schweißgebadet auf und erstickt einen Schrei mit der Bettdecke.

Von den anderen will er sich nichts anmerken lassen. Aber endlich wird es ihm zuviel, und er muss zugeben, dass er von schlimmen Ahnungen geplagt wird. Die Asen hören es nicht gerne; Denn Baldur war immer eine Lichtgestalt in Asgard, und wenn sogar er finster dreinblickt, ist das ein schlechtes Zeichen.

Auch Frigga ist bekümmert. Sie zieht nach Osten und Westen, Norden und Süden. Keiner soll Baldur etwas antun! Dafür will sie sorgen. Jeden Stein wendet sie um und untersucht jede Höhle. Allem, was da kriecht und läuft, fliegt und schwimmt, nimmt sie ein Versprechen ab: niemand soll Baldur etwas zuleide tun. Sogar Feuer und Wasser, Bäume und Felsen, Pest und Krankheit müssen ihr hoch und heilig schwören, dass sie ihren Liebling verschonen. Die Asen sind erleichtert, und Baldur ist froh. Zwar quälen ihn immer noch böse Träume, aber was sie ankündigen, hört sich wie eine leere Drohung an. Er kann hoffen, dass sie bald verfliegen werden, wie ein Schatten vor der Sonne.

Um seine Genesung zu feiern, richten die Götter ein großes Fest ein. Einer von ihnen kommt auf die Idee, das Schicksal auf die Probe zu stellen. Baldur soll als Zielscheibe dafür dienen. Alle werfen Steine auf ihn und beschießen ihn mit Pfeil und Bogen. Doch alle Geschosse prallen von ihm ab. Baldur lacht nur über den Hagel. Er ist unverwundbar. Die Götter jubeln.

Nur einer hält sich zurück und stimmt nicht in die Freudenrufe ein. Einer der die Fäuste ballt und sich davonschleicht. Es ist Loki. Voll Neid und Eifersucht schnaubt er: „Warum machen alle soviel Aufhebens wegen Baldur? Alle haben einen Narren an ihm gefressen. Und was ist mit mir?“ Die Wahrheit ist, dass die beiden sich nie leiden konnten. Aber nun hat Loki wohl den Kopf verloren. Als altes Weib verkleidet, sucht er Frigga auf. „Was ist denn mit Baldur geschehen“, fragt er sie. „Haben sich wirklich alle Dinge auf der Welt verschworen, ihn zu hätscheln?“ – „Ja“, antwortet Frigga stolz. Loki schlägt die Hände über dem Kopf zusammen vor Verwunderung. Frigga lächelt. Sie ist gut gelaunt, denn dies ist ein großer Tag für sie. Außerdem findet sie das alte Weib, das vor ihr steht, ziemlich komisch. „Bis du sicher?“ fragt Loki mit dünner, pfeifender Stimme und legt den Kopf schräg. „Jedes winzig kleine Bisschen soll dir versprochen haben, dass Baldur nichts geschieht?“ – „Fast“, sagt Frigga. „Nur im Westen Walhalls, da wächst eine kleine Mistel. Die kam mir so klein und unahnsehnlich vor, dass es lächerlich gewesen wäre, ihr einen Eid abzufordern. So ein winziges Zweiglein, dachte ich, kann doch keinen Schaden anrichten.“

Schon macht Loki sich auf den Weg, um die Mistel zu suchen. Er hat Glück und findet sie. Gleich bricht er den Zweig ab und nimmt ihn mit auf die große Wiese, wo die Götter immer noch bei ihrem Schützenfest sind.

Einer von den Asen, aber steht in der Ecke und nimmt an ihrem Spiel nicht teil. Er heißt Hod und ist ein Halbbruder Lokis. In den großen Kriegen hat er nie eine Rolle gespielt, und auch jetzt hält er sich im Hintergrund. Das hat einen einfachen Grund. Hod ist blind. Scheinheilig fragt Loki ihn. „Was ist mit dir mein Freund? Warum machst du nicht mit. Alle schießen auf Baldur und du siehst doch, dass ihm nichts geschieht.“ – „Du weißt wohl, dass ich blind bin und ihn gar nicht sehen kann“, sagt Hod. „Oh“, flüstert Loki ihm ins Ohr, „daran soll es nicht fehlen. Ich zeige dir, wie du zielen sollst.“ – „Ich trage keine Waffe“, antwortet Hod. „Dann nimm diesen Bogen und die Mistel hier, alle erweisen Baldur die Ehre, da kannst du nicht beiseite stehen.“ – „Gern“, ruft der Blinde dankbar und ergreift den Bogen. Loki führt seinen Arm. „Ein bisschen weiter nach rechts…. Noch ein bisschen…. So!“ Und Hod ruft: „Schau nur Baldur! Jetzt bin ich auch dabei.“ Baldur lacht und streckt ihm seine Arme entgegen. „Jetzt!“ flüstert Loki – und Hod lässt die gespannte Saite los.

Der Pfeil trifft Baldur, der einen hellen Schrei ausstößt und zu Boden sinkt. Der Pfeil hat ihn mitten in der Kehle getroffen. Baldur ist tot.

Es wird ganz still auf der großen Wiese. Die Asen trauen ihren Augen nicht. Dann erst bricht der Jammer los. Das, was sie um jeden Preis verhindern wollen, jetzt ist es geschehen. Nie hat ein schlimmeres Unglück Götter und Menschen getroffen.

Viele umringen Hod, um Baldur zu rächen. Einige deuten auch auf Loki. Aber Odin greift ein. „Haltet ein“, ruft er. „Dies hier ist ein geheiligter Ort. Es ist genug Blut vergossen worden an diesem Tag. Baldur war mein Sohn. Hod ist mein Sohn und Loki ist mein Milchbruder. Es ist sinnlos Vergeltung zu üben.“ Nie sahen ihn die Asen so alt und müde.

„Es war alles nur ein Missverständnis“, wimmert Loki und legt den Arm um Hods Schulter. „Keiner von uns hat das gewollt!“ Dann wendet er sich mit harten Worten Frigga zu: „Dir haben wir vertraut. Hast du uns nicht versichert, dass Baldur kein Leid geschehen kann? Wie sollten wir ahnen, dass du so leichtfertig warst und hier einen Strauch und dort einen Zweig auf Baldurs Heil einzuschwören vergessen hast? Es ist deine Schuld, dass es ein böses Ende mit ihm nahm!“ Loki hat sich in Hitze geredet, und er ist ein Meister darin, die Wörter so zu drehen, wie es ihm passt. Frigga wendet sich schluchzend von ihm ab. „Es ist Schicksal“, murmelt einer. „Was geschehen soll, geschieht“, sagt ein anderer. „Niemand kann sein Schicksal ändern. Baldurs Träume hätten uns eine Warnung sein sollen.“ – „Er ist tot“, weint Nanna, seine Frau. „Wir werden ihn nie wiedersehen.“ Aber da richtet Frigga sich auf. Der Trotz leuchtet aus ihren Augen. „Nein“, ruft sie, „ich gebe nicht auf. Ich will ihn wiederhaben. Wer von euch, wer von Odins Söhnen will mein Sendbote sein? Wer will meine ewige Dankbarkeit gewinnen und ins Totenreich reiten? Wer von euch spricht mit Baldur? Wer fragt Hel, die Herrin über das Totenreich, um welchen Preis sie ihn freigibt, so dass er zu mir nach Asgard heimkehren kann?“

Alle schweigen. Sogar Odin zögert und Thor schaut betreten zu Boden. Doch dann tritt Hermut hervor, der sich immer zurückgehalten hat. Man hat wenig von ihm gehört, obwohl er auch einer von Odins Söhnen ist, denn er ist zwar ein guter Kämpfer und berühmt für seine Reitkunst, doch drängt er sich niemals vor und lässt andere das große Wort führen. Nun aber sagt er. „Ich reite für Baldurs Mutter zu Hel ins Totenreich. Ihr müsst mir nur das beste Pferd gebe, das es gibt.“ Der Götterkönig nickt. Er befiehlt, dass Sleipnir, sein eigenes Pferd, gezäumt und gesattelt wird.

Hermut steigt auf den achtbeinigen Hengst und sprengt über die Regenbogenbrücke davon. Wie ein Gewitter dröhnt das Echo von Sleipnirs Hufen den Asen in den Ohren, bis es in der Tiefe des Nordens verhallt.

Nun müssen die Götter Baldur bestatten. Sie tragen seine Leiche zur Küste. Dort liegt ein großes Schiff vor Anker. Schon ist ein gewaltiger Scheiterhaufen auf dem Deck errichtet. Doch als sie versuchen, das Schiff aufs Wasser zu schieben, rührt es sich nicht von der Stelle. Nicht nur den Asen steht der Schweiß auf der Stirne, auch aus Mitgard und aus Jotunheim sind viele gekommen, um Baldur die letzte Ehre zu erweisen. Doch sosehr sie sich auch anstrengen, das Schiff liegt wie festgenagelt im Sand. Nicht einmal Thor gelingt es, den schweren Rumpf zu bewegen. Da stößt eine Riesin zu den Versammelten. Sie kommt auf einem Wolf geritten, den sie mit zwei Kreuzottern lenkt. Sie sieht, wie sich die Asen vergeblich abmühen, springt ab, spuckt in die Hände und schiebt das Schiff an. Wie durch Zauberei gleitet der schwere Rumpf so rasch über die Rundhölzer ins Wasser, dass er Funken schlägt.

Thor muss zusehen, wie ihn eine Riesin auf dem Feld schlägt. Wütend ruft er: „Das ist alles nur ein fauler Trick dieser Hexe. Der werde ich den Schädel mit meinem Hammer zertrümmern!“ – „Lass das“, sagen die Asen. „Was hat sie dir getan? Danken sollten wir ihr, dass sie uns geholfen hat.“ Und die Riesin steht breibeinig daneben und stützt die Hände auf ihre wuchtigen Hüften. „Seid froh, dass ich etwas für die Asen übrig habe“, sagt sie gelassen und zwinkert dem Donnergott zu, der sich am Bart zupft und grollt. Aber seinen Hammer muss er wieder einstecken.

Nun wird Baldurs Leichnam an Bord gebracht. Als seine Frau Nanna es sieht, bricht ihr das Herz vor Kummer. Auch sie wird tot aufs Schiff getragen und neben ihren Mann gelegt. Baldurs Pferd steht an den Mast gebunden, gebürstet und gestriegelt mit vollem Sattelzeug. Nun streift Odin sich Draupne, seinen wertvollen Ring vom Finger. Es ist sein kostbarster Goldschmuck, die Unterirdischen haben ihn einst, vor langer, langer Zeit, geschmiedet. Er hat Zauberkräfte. Jede Nacht träufeln aus ihm acht neue Ringe. Odin kniet neben Baldur nieder und legt Draupne auf seine Brust. Alle sehen, wie die Tränen ihm am Bart herab rinnen.

Dann wird ein großes Feuer entzündet. Thor tritt hervor und schwenkt seinen Hammer über den Flammen, um sie zu segnen. Ein Zwerg hat sich unter dem Kiel des Bootes versteckt. Thor versetzt ihm einen Tritt, so dass er kopfüber ins Feuer stürzt und wie ein kleiner trockener Zweig verbrennt. Die Taue werden gekappt und das Schiff gleitet endlich hinaus aufs Meer.

Am Strand schauen die Asen und die Walküren zu, wie es feurig in die offene See hinaustreibt. Odin hat seine beiden Raben auf den Schultern und hält Frigga an der Hand. Auch Freia ist, von ihren Katzen gezogen, mit ihrem Wagen gekommen. Frei kam auf Gullborste, dem riesigen Eber mit den schimmernden Borsten, geritten, und aus Walhall haben die Untoten sich eingefunden. Sogar die Riesen sind zur Stelle, und alle blicken dem brennenden Schiff nach, bis es wie ein kleiner Funken am Horizont verglüht.

Hodur - der blinde Gott. Zwillingsbruder des Baldur, den er durch eine List Lokis mit einem Mistelzweig tötet.

Hodur – der blinde Gott.
Zwillingsbruder des Baldur, den er durch eine List Lokis mit einem Mistelzweig tötet.

 Unterdessen ist Hermut auf dem Weg nach Niflheim. Neun Tage und neun Nächte reitet er durch dunkle, tiefe Täler, bis er den wilden, eiskalten Fluss erreicht, dort wo die Welt der Lebenden an die der Toten grenzt. Weit vorn sieht er es funkeln. Das ist die Brücke aus Gold, die er überqueren muss, um ins Totenreich zu kommen. Kaum ist er angekommen, da ruft eine Stimme „Halt!“ und der Schatten eines jungen Mädchens tritt ihm in den Weg. Ihre Aufgabe ist es, die Brücke zu bewachen. „Wie heißt du, von welchem Stamm bist du, und was begehrst du?“ fragt sie und tritt näher. „Du siehst gar nicht aus wie ein Toter! Und warum machst du soviel Lärm? Gestern sind fünf Scharen Gefallener über meine Brücke geritten und heute donnert sie unter dir, als wäre ein ganzes Heer unterwegs.“ – „Ich habe es eilig“, ruft Hermut. „Lass mich vorbei! Den, der vor mir kam, will ich einholen, bevor es zu spät ist.“ – „Wen meinst du? Ist er nicht einer von uns?“ – „Ja“, antwortet Hermut ihr. „Er ist tot wie du.“ – „Hat er einen Namen?“ fragt das Mädchen. „Baldur ist es. Himmel und Erde vermissen ihn. Ich habe seiner Mutter versprochen, bis nach Niflheim zu reiten, um nach ihm zu suchen. Ist er bei dir vorbeigekommen?“

Da legt die bleiche Jungfer ihm ihre eiskalte Hand aufs Knie und lacht mit gelben Zähnen. „Alle müssen diesen Weg gehen“, sagt sie. „Lass mich“, ruft Hermut und streift ihre Hand ab. „Gut“, sagt sie. „Ich erlaube dir, das Reich der Toten zu betreten. Aber woher willst du wissen, dass du es wieder verlassen darfst? Von hier aus ist noch keiner zurückgekehrt.“ – „Kommt Zeit, kommt Rat“, antwortet Hermut und sprengt über die leuchtende Brücke nach Niflheim.

Hier ist alles kalt, dunkel und klamm. Er kommt an einem See vorbei, an dessen Ufern verwesende Leichen liegen. Ihr Gestank steigt ihm in die Nase. Schwer zu sagen, ob es Menschen oder Tiere waren, was da verrottet. Hermut hat von diesem Ort gehört; er weiß, dass hier eine der drei Wurzeln der Weltesche Yggdrasil endet, und dass in der tiefe des Sees, eine wilde Schlange haust, die an dieser Wurzel nagt und nagt.

Er wagt es nicht, sich umzusehen, und reitet weiter, bis vor ihm auf der Straße eine turmhohe, unheimliche Barrikade aufragt, die aus morschen Gebeinen und wurmzerfressenen Schädeln aufgeschichtet ist. Er gibt Sleipnir die Sporen, und das achtbeinige Pferd springt mit einem großen Satz über die Sperre.

Nun ist der Hof der Herrscherin über das Totenreich nicht mehr weit. Er steigt vom Pferd und tritt ein. Hel empfängt ihn selbst. Sie ist groß und hager von Gestalt. Die eine Seite ihres Gesichts ist bleich wie Kreide, die andere blauschwarz wie ein Rabe. Weit hinten im Saal glaubt er zwei Tote zu erkennen, die dort aufgebahrt sitzen. Es sind Baldur und Nanna, seine treue Frau.

Hermut sagt nichts von seinem Anliegen. Er bleibt über Nacht, und erst am andern Morgen wendet er sich höflich an Hel, um seine Bitte vorzutragen. „Ich weiß wohl, warum du gekommen bist“, sagt sie. „Und was ist dein Bescheid?“ – „Die Antwort ist: Nein!“ – „Aber bedenke doch, die ganze Welt trauert um Baldur.“ Hel runzelt die Stirn. „Meine Aufgabe ist es nicht, der Welt eine Freude zu machen“, antwortet die Herrin über das Totenreich. „Was habt ihr nur mit euerm Baldur? Ist er so wichtig?“

„Keiner ist so geliebt worden wie er“, ruft Hermut. „Wir, die Asen, verlangen, dass du ihn uns zurückgibst.“ Hels Augen verdunkeln sich, als sie das hört. „Ihr verlangt etwas von mir, der Herrscherin über den Tod?“ – „Ich wollte sagen: wir bitten dich“, sagt Hermut rasch. „Wir flehen dich an.“ Hel ist aufgestanden. Sie wendet sich den beiden Toten zu, die stumm wie Steine dabeigesessen sind. „Hörst du Baldur? Die Götter flehen mich an.“, sagt Hel, und nun schnurrt sie wie eine Katze vor Behagen. „Was sollen wir ihnen antworten? Das will gut überlegt. O ja, ich weiß, wie man mit solchen Bittstellern umgeht.“ Langsam tritt sie Hermut entgegen und blickt ihm in die Augen. „Also gut, du sollst sie haben, alle beide. Aber nur unter einer Bedingung.“ Hermut traut seinen Ohren kaum. Freudig verspricht er ihr, auf alles einzugehen, was sie verlangt. Die Königin des Totenreichs streckt ihre blauen Nägel von sich und sagt mit einem boshaften Lächeln: „Es gibt mir zu denken, was du gesagt hast. Neugierig bin ich, ob es wahr ist, dass Baldur wirklich so vermisst wird, wie du behauptest. Ich nehme dich beim Wort, ich will dich auf die Probe stellen.“ – „Auf welche Probe? Was meinst du?“ fragt Hermut. „Pass auf und höre gut zu. Wenn die ganze Welt Baldur beweint, dann mag er samt seiner Frau nach Asgard zurückkehren. Aber freue dich nicht zu früh! Denn wenn es nur ein einziges Wesen auf der Welt gibt, das ihn nicht beweint, sei es ein Ase oder ein Mensch, ein Tier oder eine Pflanze, oder auch nur ein Stein – dann werden beide ewig dort bleiben, wo sie sind: bei mir! Nun geh, bevor ich es mir anders überlege!“

Hermut macht sich auf den Weg. Baldur und Nanna dürfen ihn ein Stück weit begleiten. Den Zauberring Draupne übergibt Baldur seinem Retter; er soll ihn Odin wiederbringen, als ein Andenken, und Nanna gibt ihm Geschenke für Frigga mit. „Bald werden wir dich abholen“, sagt Hermut und umarmt seinen Bruder. Aber der schüttelt den Kopf und antwortet ihm: „Das glaube ich nicht. Mein Mund ist voll von Asche.“ Hermut gibt seinem Pferd die Sporen, doch bevor er den Hof verlassen hat, bellt Hel ihm nach: „Du kannst ganz sicher sein, dass ich Gerechtigkeit walten lasse.“ Hermut reitet über die beinerne Sperre und überquert die goldene Brücke, bis er ins lichte Reich der Lebenden kommt. In Asgard angekommen, berichtet er, was er gesehen und gehört hat.

Nun senden die Asen Boten in die ganze Welt aus und bitten alles, was da lebt und webt, um Hilfe. Alles trauert: Menschen und Tiere klagen um Baldur. Selbst den Wölfen und den Hasen werden die Augen feucht, wenn sie an ihn denken, und die Trolle verbergen ihr Gesicht in den Händen. Sogar die ältesten Feinde der Asen vergießen ein paar höfliche Tränen, denn Baldur war etwas ganz Besonderes, und nie hat sich jemand um ihn beklagt. Himmel und erde laufen über von Tränen. Von Bäumen und Sträuchern rinnt das Nass. Die Steine schluchzen und die Berge stöhnen.

Als aber die Boten ihren Auftrag erfüllt haben und auf dem Heimweg sind, da begegnen sie einem alten Trollweib, das sich Tokk nennt. Auch sie wird gebeten, die Totenklage um Baldur anzustimmen. Doch sie zuckt nur die Schultern und sagt: „Was geht es mich an, dass einer der hohen Herren in Asgard gestorben ist? Lasst mich zufrieden mit eurem Baldur!“ Die Boten bitten Tokk, sich ihre Antwort noch einmal zu überlegen. „Weißt du was das bedeutet? Wenn du nicht um ihn weinst, kann er nie zurückkehren.“ – „Glaubt ihr Frigga, würde weinen, wenn ich einen meiner Söhne verlöre? Ich müsste lügen, wenn ich um den ihren jammern sollte. Hier, seht her!“ ruft sie und zieht ihr Augenlid herunter. „Meine Augen bleiben trocken. Ich habe in meiner Zeit schon zuviel geweint. Ich bin es leid das Klageweib zu spielen! Mag Hel ihre Beute behalten. Mir soll es recht sein!“

Und so kam es, dass Baldur bei den Toten bleiben musste. Aber wer war diese Tokk? War sie wirklich eine Trollfrau, die niemand kennt, oder einer, der berüchtigt ist für das Unheil, das er so oft gestiftet hat? War es nicht Loki, von dem es heißt, dass er sich mit Vorliebe in Frauenkleidern herumtreibt, wenn er etwas Böses im Schilde führt?

Er war es, und kein anderer. Von seiner eigenen Macht berauscht, glaubt er, kein anderer habe einen besseren Kopf, eine geschmeidigere Zunge als er. Warum soll immer Odin der Häuptling sein, denkt er, warum nicht ich? Er bildet sich ein, alle seien gegen ihn. Immer fühlt er sich zurückgesetzt. Er ballt die Fäuste, wenn er daran denkt. Aber dann lächelt er wieder selbstzufrieden und sagt sich: Habe ich nicht drei wunderbare Kinder? Den Fenriswolf, die Mitgardschlange, und vor allem Hel, die Herrscherin über die Toten! Ja, beschließt er dann, ich will ihnen ein guter Vater sein und es an nichts fehlen lassen, dass sie zu ihrem Recht kommen. Ich und meine Kinder, uns soll nichts und niemand im Wege stehen, denn wir sind mächtiger, als ihr alle ahnt!

Es wird Nacht, und lachend wandert Loki unter den Sternen.

Kapitel 10: Wolfszeit

Ve und Vili erschufen zusammen mit Odin das erste Menschenpaar Askr und Embla. Odin hauchte ihnen Leben ein, Vil gab ihnen Verstand und Gefühl (Bewegung) und Ve gab ihnen Gehör, Sprache und Antlitz (und warems Blut?).

Ve und Vili erschufen zusammen mit Odin das erste Menschenpaar Askr und Embla.
Odin hauchte ihnen Leben ein, Vil gab ihnen Verstand und Gefühl (Bewegung) und Ve gab ihnen Gehör, Sprache und Antlitz (und warems Blut?).

 Seit es die Welt gibt, hetzen Tag und Nacht zwei Wölfe über den Himmel. Der eine jagt hinter dem Sonnenwagen her, der andere schnappt nach dem Mond. Sie knurren und geifern mit blutunterlaufenen Augen und ihrem Ziel kommen sie immer näher.

In Mitgard verdorrt das Gras auf der Wiese. Nachtfrost sucht Äcker und Felder heim, und ständig bläst ein kalter Wind. Die Wolken treiben wie Rauch über die Baumwipfel. Ab und zu dunkelt es mitten am Tag.

In Asgard geht der blinde Hod umher und wartet auf seine Stunde. Er weiß, dass er sterben muss, denn es war seine Hand, die den Pfeil abschoss, den Baldur getötet hat; und er weiß, was alle Asen sich geschworen haben: Ein solcher Tod muss gesühnt werden, auch wenn es kein Mord war. Denn nie hat Hod seinem Bruder etwas Böses antun wollen. Doch was geschehen ist, kann niemand ungeschehen machen.

Die andern Asen gehen ihm aus dem Weg. Sie denken: Wer von uns wird der Rächer sein? Keiner will der Henker seines Bruders sein und das Richtschwert gegen ihn führen. Aber Sühne muss sein.

Ein alter Mann reitet durch den Nachtschwarzen Wald. Er spricht laut vor sich hin. Er ballt die Faust gegen den Sturm. Er hört die beiden Wölfe heulen und klagt über sein Schicksal. Es ist Odin. Wirre Gedanken gehen ihm durch den Kopf. Keiner unter den Lebenden kann ihm raten, was er tun soll, und die Nornen lächeln nur, wenn er sie fragt, und schweigen. Nun will er die Toten um Hilfe bitten. Er reitet in den hohen Norden, auf der Suche nach einem Grab.

Dort liegt die klügste aller Wahrsagerinnen tief unter der Erde. Es ist die Volve, die einst so viele Geheimnisse kannte. Nun braucht Odin sie; denn sie ist die einzige, die ihm helfen kann. Auf einem Hügel lässt er sich nieder und singt. Es sind Zauberlieder, die so stark sind, dass sie die Toten zum Leben erwecken können. Leise und vorsichtig hebt sein Gesang an, dann wird er lauter und fordernder, so lange bis der Torfboden sich öffnet und die kalte Erde Risse zeigt.

Ein Häufchen Lumpen steigt aus dem Grab. Es ist die Tote, die er aufgeweckt hat. „Wer ist es, der meine Ruhe stört?“ fragt sie. „Wer zwingt mich, mein Grab zu verlassen?“ – „Ich bin es, und Wegtam werde ich genannt“, antwortet Odin. Er lügt. Die Volve blickt auf ihre wurmzerfressenen Hände und sagt: „Siehst du nicht, wie kalt ich bin und bis aufs Mark vom Schnee durchnässt? Ich bin schon lange tot. Lass mich in Ruhe!“

Aber Odin will von ihr wissen, was mit Hod geschehen soll, der Baldur umgebracht hat. Wie soll dieser Tod gesühnt werden, und wer soll die Rache auf sich nehmen? Am liebsten riefe er laut: Es sind doch beide meine Söhne! Wie soll ich es übers Herz bringen, mein eigen Fleisch und Blut zu töten? Aber er hält an sich, er spricht kalt und gefasst mit der Wahrsagerin. Er will ihr nicht verraten, mit wem sie es zu tun hat.

Endlich antwortet die Volve ihm. Sie spricht wie im Schlaf. „Ich sehe vor mir eine Frau“, murmelt sie.

„Weit im Osten wohnt eine Frau, die Rinde heißt. Und ich sehe, wie Odin sich auf den Weg macht, um sie zu suchen; denn sie wird ihm einen Sohn gebären. Er soll den Namen Wole tragen, und nie soll er sich waschen und kämmen, ehe er den, der an Baldurs Tod schuld ist, auf den Scheiterhaufen gebracht hat. Und es soll keine Nacht vergehen nach seiner Geburt, bevor er vollbracht hat, was ihm auferlegt ist. Und ich sehe….

„Sprich“, ruft Odin. „Ich will alles hören, was mir bevorsteht.“ Aber die Volve zuckt zusammen, als ob sie sich verbrannt hätte. „Du bist nicht der, für den du dich ausgibst!“ heult sie. „Du bist Odin!“ Langsam sinkt sie in ihr Grab zurück. „Und du“, ruft Odin ihr nach, „du bist nur ein Schatten unter Schatten.“ – „Reite nach Hause“, hört er sie schwach unter der Erde murmeln. „Reite und kehre nicht wieder, ehe der Fenriswolf sich befreit hat und alle dunklen Mächte erwacht sind!“

Odin aber macht sich auf den Weg nach Osten, um Rinde zu suchen. Jeden, der ihm begegnet, fragt er nach dieser Frau, aber keiner hat je ihren Namen gehört, bis er ins Land der Finnen kommt, dorthin, wo sie die Rinde der Bäume essen, und sich von großen Tieren über den Schnee ziehen lassen, die den Elchen und den Hirschen ähnlich sind. Überall fragt er nach Rinde. „Es ist wichtig! Es duldet keinen Aufschub“, sagt er, und endlich trifft er einen Alten, der ihm helfen kann. Der weiß zu berichten, dass Rinde die Tochter des Königs von Russland ist.

Da zieht Odin weiter in die Tiefen des Ostens. In Russland nimmt er die Gestalt eines Kriegers an, der am Hof des Königs Dienst sucht. Er wird angenommen, und bald zeigt sich, wozu er imstande ist; denn im Krieg führt er so unerhörte Heldentaten aus, dass der König ihn zu seinem Ratgeber und Vertrauten macht. Einmal schlägt er ganz allein ein feindliches Heer in die Flucht, und als er von diesem Feldzug heimkehrt und den Fürsten um die Hand seiner Tochter bittet, willigt der, ohne sich lange zu besinnen, ein.

Als er aber in Rindes Gemach tritt, versetzt die Königstochter dem Freier eine schallende Ohrfeige und schickt ihn fort. Was bleibt Odin anderes übrig, als den Rückzug anzutreten. Aber er gibt nicht so schnell auf, und nach einiger Zeit erscheint er wieder. Diesmal hat er sich als Schmied verkleidet. Die feinsten Arbeiten aus Gold und Silber legt er Rinde vor, und sie nimmt freudig das kostbare Armband entgegen, das er ihr schenkt. Doch als der Schmied sie um einen Kuss als Lohn für seine Künste bittet, schlägt sie ihm mit der Faust ins Gesicht, und er holt sich eine blutige Nase. „Fort mit Schaden“, ruft sie ihm nach. „Du bist mir zu alt. Ich kann dich nicht leiden!“

Beim dritten Mal versucht es Odin mit der Reitkunst. Niemand kann ein Pferd dazu bringen, höher zu springen, und so gewinnt der fremde Ritter alle Wettkämpfe. Nach seinem Sieg raubt Odin der Prinzessin einen Kuss, doch sie versetzt ihm einen so heftigen Stoß, dass er kopfüber von seinem Ross stürzt.

Nun aber tobt Odin vor Zorn und Begierde nach Rinde. Er lässt alle Scham fahren und greift zu einer List.

In Frauenkleidern verdingt er sich als Magd im Schloss. Dort muss er den Fußboden scheuern und Brei kochen, die Kleider flicken und die Wäsche waschen. Tag und Nacht geht er der Prinzessin zur Hand, und so pünktlich verrichtet er seine Arbeit, dass er ihr Vertrauen gewinnt. Nun darf er ihr jeden Abend die Füße waschen. Wenn er über ihre Schenkel streicht, muss er sein Verlangen im Zaume halten; Aber er weiß, dass es gilt, geduldig auf seine Stunde zu warten. Er sorgt dafür, dass sich im Schloss ein Gerücht verbreitet. Rindes Magd, flüstert man sich zu, verstehe sich wie keine andere auf die Heilkunst.

Eines Tages wird die Prinzessin krank, und wen anders, als die treue Magd soll sie um Rat fragen? Sie leidet an einer seltenen und geheimnisvollen Krankheit. Niemand ahnt, dass ein Stück Baumborke daran schuld ist, in das ein paar Zauberverse eingeritzt sind, in so winziger Schrift, dass kaum jemand sie bemerken kann; und Rinde weiß nicht, dass es Odin war, der sie mit diesen Runen verhext sind.

Die Krankheit macht Rinde schwindlig und verwirrt. Jeden Tag wird sie schwächer. Da geht Odin zum König. „Sie wird sterben“, sagt er, „wenn ich ihr nicht meinen Zaubertrunk einflöße. Der aber ist so bitter, dass sie ihn nicht trinken will. Wir müssen sie fesseln, damit sie ihn einnimmt.“ – „So soll es geschehen“, befiehlt der König. „Es darf aber niemand außer mir dabei sein, wenn sie ihn trinkt, sonst wirkt das Mittel nicht.“ Der König ist einverstanden. Er ahnt keine Gefahr; denn er glaubt, dass Odin eine Frau ist

Nun ist Odins Stunde gekommen. Die Prinzessin ist schwach und wehrlos, und er kann tun, wonach ihn gelüstet. Ein paar Wochen vergehen. Rinde ist gesundet, doch bald wird offenbar, dass sie ein Kind erwartet. Aber da hat sich Odin längst aus dem Staub gemacht.

Zu Fuß hat er sich aus dem Königshof geschlichen. Denn er war ohne Sleipnir gekommen. Ein achtbeiniges Pferd hätte zuviel Aufsehen erregt und verraten, wer der fremde Gast in Wahrheit war. Deshalb ließ Odin sein Ross in der weiten russischen Steppe bei den Wildpferden zurück.

Ein Pfiff aus seinem Mund, und laut vor Freude wiehernd kommt Sleipnir ihm entgegen. Odin hat es eilig. Viel zu lange war er unterwegs. Nun wählt er den raschesten Heimweg. Aber der führt durch den Eisenwald, der weit im Osten liegt. Die meisten meiden ihn. Selbst die Tiere und die Vögel trauen ihm nicht, denn dort draußen hausen gefährliche Trolle. Doch Odin lenkt sein Pferd geradewegs auf die düsteren Hügel zu, wo ein kalter Wind herrscht.

Dort sind die Bäume und die Sträucher aus Eisen, und der Boden ist rot von Rost. Nur ein heiseres Gebell und ein wütendes Geheul bricht die Stille. Eine gewaltige Riesin lebt hier, die immerfort Söhne und Töchter in Wolfsgestalt gebiert. Bei jedem Wurf wird es kälter auf der Welt. Auch die beiden Untiere, die mit triefenden Lefzen über den Himmel fahren und hinter Sonne und Mond herjagen, haben eins an ihren Brüsten gelegen.

In diesem Wald schlägt Odin sein Lager für die Nacht auf. Bevor er zur Ruhe geht, ritzt er ringsum Runen in die Erde, starke Zeichen, die das Grauen von ihm fernhalten sollen. Dennoch findet er noch Sleipnir Schlaf. Sie frieren beide. Die ganze Nacht hindurch raschelt es und flüstert es im Eisenwald, und im Dunkel leuchten gelbe, gierige Augen auf.

Odin denkt an Rinde und an all die andern Frauen, die er gelockt und betrogen hat. Auch Frigga, die es so lange bei ihm ausgehalten hat, will ihm nicht aus dem Sinn. Aber diesmal, denkt er, war es etwas anderes. „Diesmal blieb mir nichts anderes übrig!“ murmelt er vor sich hin. „Der Wahrspruch musste in Erfüllung gehen. Ich hatte keine Wahl. Glaub mir, Frigga, es hat mir keine Freude gemacht.“ Doch er hat das Gefühl, dass der Wind ihn auslacht. „Stell dich nicht so an“, zischen tausend Wolfsstimmen. „Du bist um kein Haar besser als wir!“

Der Götterkönig ballt die Fäuste in der Dunkelheit. Aber im tiefsten Innern weiß er: Keiner hat nur einen einzigen Grund für das, was er tut. Wie oft ist er nach Utgard gereist, um seine Klugheit mit den besten Köpfen zu messen! Mit Rätseln und Wortspielen hat er um den Sieg gekämpft. Und manchmal hat er dabei um das eigene Leben gewettet. Derjenige, der keine Worte mehr fand, sollte sterben. Zu solchen heimlichen Begegnungen kam er zuweilen verkleidet, unter einem fremden Namen. War es wirklich nur sein Wissensdurst, der ihn trieb? Frohlockte er nicht jedes Mal, wenn er seinem Widersacher eine Falle stellte und ihn mit List und Tücke überwand?

Der scharfe Wind trägt ihm Stimmen zu, die ihn in Versuchung führen. Sie quälen und verletzen ihn, aber zugleich versuchen sie ihm zu schmeicheln. Wie schnurrende Katzen schmiegen sie sich um seine Gedanken. „Du wünschst dir Macht und Überlegenheit. Daran ist doch nichts Ehrenrühriges!“ knurren die Wölfe. „Nur wer stark ist, hat die Freiheit, zu tun und zu lassen, was er will. Komm mit uns! Werde ein Wolf! Schließ dich dem Rudel an!“ Odin hält sich beide Ohren zu, aber die Worte rinnen wie Wasser durch die Finger. „Denk daran, dass auch du vom Stamm der Riesen bist! „flüstert eine Stimme in seinem Kopf.

Die ganze Nacht hindurch kämpft er mit den Lockungen der Wölfe. Sobald der Morgen graut, reitet er weiter. Gegen Mittag lässt er den Eisenwald hinter sich und spürt die Sonne wieder im Gesicht. Es ist ein heiterer Tag, und Odin lebt. Noch am selben Abend reitet er über die Regenbogenbrücke in die Götterburg. Die Asen scharen sich um ihn. Lange waren sie ohne ihren Häuptling. Lange hat Frigga auf ihn gewartet. Doch sie fragt nicht nach, wo er war und was er getan hat. Wortlos nimmt sie ihn in die Arme. Dann richtet sie das Bad für ihn. Dort sitzen sie und schütten Wasser über die glühenden Steine, reiben einander mit Eschenlauge ein und schlagen sich mit Birkenreisern.

Später gehen sie Hand in Hand zum Abendessen. Die Asen setzen sich an die reich gedeckten Tische. Auf dem Dach steht wie immer, die Ziege Heidrun, deren Zitzen voll von Met sind. Sobald ein Krug geleert ist, braucht nur einer zu ihr hinaufzusteigen, um ihn wieder zu füllen. An den Wänden leuchten große Fackeln. Die Asen lachen, essen und trinken nach Herzenslust. Nur einer fehlt. Der blinde Hod bleibt Tag und Nacht für sich und lässt den Kopf hängen. Keiner geht mehr zu ihm, um ihn zu trösten.

Mitten im Mahl erhebt sich Odin und sucht ihn in seiner Kammer auf. „Hast du getan, wozu du aufgebrochen bist?“ fragt ihn der Blinde und greift nach seinen Händen. „Es ist geschehen, was Not getan hat“, antwortet Odin. Vater und Sohn sitzen sich schweigend gegenüber. Endlich fragt Hod: „Wird mein Warten noch lange dauern?“ Da spürt Odin, wie ihm die Augen tränen. „Nein“, sagt er, „bald ist es soweit.“

In dieser Nacht hat Odin einen merkwürdigen Traum. Er träumt von den Menschen, und sie tun ihm leid. Ihr Leben geht so schnell vorbei, und sie wissen fast nie, was sie tun und lassen sollen. Wie erschrockene Küken taumeln sie hin und her. Er träumt, dass er sich mitten unter ihnen niederlässt und versucht, sie um sich zu sammeln. „Ich will euch lehren, wie ihr leben müsst“, sagt er. Aber da hört er, wie jemand hinter seinem Rücken lacht, und die verstörten Menschen stieben piepsend auseinander.

Es ist Loki, der hinter ihm steht und lacht. „Du willst andere lehren?“ kichert er und schlägt einen Purzelbaum im Gras. „Ausgerechnet du?“ Davon erwacht Odin. Doch Lokis Gelächter will ihm nicht aus dem Kopf gehen. Lange liegt er mit offenen Augen da und denkt nach. Neben ihm liegt Frigga, und er lauscht ihrem leichten, sorglosen Atem.

Die drei Nornen. Urd - die Norne der Vergangenheit. Verdandi - die Norne der Gegenwart. Skuld - die Norne der Zukunft.

Die drei Nornen.
Urd – die Norne der Vergangenheit.
Verdandi – die Norne der Gegenwart.
Skuld – die Norne der Zukunft.

 Wenn Odin auf seinem Thron sitzt, kann er die ganze Welt überblicken. Sein Augenmerk gilt besonders seinen Kindern und Kindeskindern. Denn er hat viele Nachkommen unter den Menschen in Mitgard. Selten ist er zufrieden mit dem, was er dort sieht.

Diesmal fällt sein Blick auf einen seiner Urenkel, der Froda heißt und in Dänemark König geworden ist. Früher sahen alle zu ihm auf, denn er war streng, aber gerecht. Doch in letzter Zeit ist er hochmütig und habsüchtig geworden wie die meisten Mächtigen unter den Menschen.

Es hat damit angefangen, dass ein Mann namens Hängmaul an seinen Hof gekommen ist. Er hat ein wunderliches Geschenk mitgebracht: eine riesige Handmühle. „Oh“, sagte er mit einem schlauen Lächeln, „glaub nur nicht, dass das eine gewöhnliche Mühle ist! Mit ihr hat es eine besondere Bewandtnis. Sie kann alles herbei malen, was du dir nur wünschst. Verlangst du Gold und Silber von ihr, so genügt ein Wort, und sie bringt es hervor.“

Das gefiel dem König, doch bald zeigte sich, dass er sich zu früh gefreut hatte. Denn die Mühlsteine, die dazugehörten, waren so groß und so schwer, dass es kein Gespann in ganz Dänemark gab, das stark genug gewesen wäre, die Mühle herbeizuschaffen.

Das ärgerte den König über alle Maßen. Wo blieb nun das versprochene Gold? Musste er nicht das Gespött der Leute fürchten, die von seinem künftigen Reichtum gehört hatten? Am Ende lag sogar Hängmaul irgendwo auf der Lauer und lachte sich ins Fäustchen.

Da fuhr Frode zum Schwedenkönig nach Uppsala, um Hilfe zu holen. Er wusste wohl, dass der ein paar starke Riesenweiber in seinen Dienst genommen hatte. Zwei von diesen Leibeigenen kaufte er dem Schweden ab und nahm sie mit nach Hause. Nun mussten sie ihm die schwere Mühle samt den Mahlsteinen herbeischleppen, und kaum stand sie auf dem Hof, da befahl er ihnen, sie in Gang zu setzen. Erst mussten sie ihm Gold und Reichtum herbei malen. Dann verlangter er Glück und Erfolg, soviel die Mühle hergab.

Nun plagen sich die beiden Riesenmägde Tag und Nacht ab, aber Frode ist ein Nimmersatt. Er gibt ihnen nichts zu essen. Kaum dass er ihnen eine Viertelstunde Ruhe gönnt, um zu schlafen. Das geht so lange, bis die Riesentöchter die Geduld verlieren. Sie fordern die Mühle auf, anstatt Gold und Silber nun ein gewaltiges Heer von Kriegern herbeizumahlen, das König Frode das Fürchten lehren soll.

Noch am selben Abend kommt diese Streitmacht über das Meer, angeführt von einem Seekönig, der Mysing heißt und Frode erschlägt.

Doch die Riesentöchter täuschen sich, wenn sie glauben, nun hätte ihre Fron ein Ende. Denn nun lässt Mysing sie in Fesseln schlagen, und befiehlt, dass sie samt der Zaubermühle an Bord seines Schiffes gebracht werden. Bald zeigt sich, dass er um kein Haar besser ist als der Dänenkönig. „Mahlt mir Salz“, brüllt er, und die beiden müssen wie zuvor die schwere Mühle antreiben. Um die Mitternacht fragen sie, ob es nicht bald genug ist, aber der Seekönig schüttelt den Kopf und schreit: „Mehr! Ich brauche Salz, immer mehr Salz“ Bald ist das ganze Deck weiß von Salz. Nun haben die Trolltöchter es satt, geplagt zu werden. Sie lassen die Mühle immer weiter mahlen, bis die Ladung so schwer wird, dass das Schiff kentert und mit Mann und Maus im Meer versinkt.

Von dieser Nacht an schmeckt das Meer salzig. Und dort, wo Mysings Schiff untergegangen ist, mahlt die große Mühle bis auf den heutigen Tag und wirbelt die See auf. An dieser Stelle schäumt und braust der Maelstrom.

Das alles hat Odin von seinem Thron gesehen. Doch als er den Asen davon erzählt, lachen sie nur, als wäre es ein Märchen. „Was scheren dich die Menschen“, sagen sie, doch Odin schüttelt den Kopf. „Es ist zuviel Falschheit unter ihnen“, sagt er, „zuviel Gier und zuviel Bosheit.“ – „Ach, lieber Milchbruder“, lächelt Loki und schlägt ihm auf die Schulter. „Immer musst du alles schwarz sehen. Du übertreibst!“ Aber Odin schenkt ihm keinen Blick. Vielleicht wissen sie es nicht besser, denkt er. Vielleicht hat ihnen niemand gesagt, wie man leben soll? Er zieht die Kappe ins Gesicht und geht auf den Hofplatz. Ein kalter Wind weht ihm entgegen.

Die Tage sind kurz geworden. Der Wind kommt aus dem Norden. Odin weiß, dass auf einem Eisberg am Ende der Welt ein riesiger Vogel sitzt und mit den Flügeln schlägt. Es ist ein Riese, der das Flügelkleid eines Raubvogels trägt. Jedes Mal, wenn er seine Schwingen regt, erhebt sich ein Sturm. Odin geht trotzig dem eisigen Hauch entgegen. Hinter ihm öffnet sich einen Spalt weit eine Tür, und eine hohe Stimme ruft ihm nach: „Keiner kann sein Wesen ändern. Jeder bleibt, was er ist.“ Es ist Loki, der ihm das einreden will. „Was erwartest du von den Menschen? Sollen sie besser sein als wir? Glaub mir, Milchbruder, wir sind ihnen ähnlicher, als du meinst.“ Aber Odin hört nicht auf ihn. Er will nichts mehr von Loki wissen.

Den ganzen Winter hindurch zieht er sich zurück. Er will die dunklen Tage nützen, um den Menschen ein paar Lebensregeln zu geben. Er möchte sie Freundlichkeit und Gastfreiheit lehren und ihnen beibringen wie sie der Arglist und der Falschheit begegnen sollen. Auch will er, dass sie einsehen, wie leicht es ist, einen Fehltritt zu tun, den nichts wieder gutmachen kann.

Die andern Götter wissen nicht, was sie davon halten sollen. „Was verspricht er sich davon?“ fragen sie sich. „Für so etwas ist es längst zu spät. Die Menschen kann niemand mehr bessern.“ Odin aber lässt den Mut nicht sinken. Lange sitzt er am Feuer und grübelt, oder er steigt hoch in die Äste der Weltesche Yggdrasil und redet laut vor sich hin. Als der Winter endlich weicht und der Boden taut, sendet er seine Raben in alle Himmelsrichtungen hinaus. Sie sollen seine Regeln in ganz Mitgard verkünden.

Dies sind einige seiner Ratsprüche:

Du sollst dich nie deiner Tugenden rühmen.

Wer den Leuten klug und schweigsam kommt, geht selten fehl.

Auf das Wort dessen, der zuviel redet, ist kein Verlass.

Wer seine Zunge nicht im Zaum hält, kräht sich oft ins Unglück.

Sag, was nötig ist, oder schweige.

Solange du deinen Mund hältst, merkt niemand, dass du nichts weißt.

Wenn der Tor zu Gast ist, sitzt er und glotzt und murmelt vor sich hin. Kaum hat er den ersten Schluck genommen, beginnt er zu faseln.

Im Trinken halte Maß. Der Vogel des Vergessens kreist über dem Gelage. Je mehr du trinkst. desto rascher schwindet dein Verstand.

Das Vieh weiß, wann Zeit ist, von der Weide heimzukehren, aber der Törichte merkt nicht, wann er satt ist.

Auch den willkommenen Gast wird man leid, wenn er zu gehen vergisst.

Niemand wird dich schelten, wenn du zeitig zu Bett gehst.

Halte immer deine Waffen bereit, wenn du auf dem freien Platz bist, denn du kannst nicht wissen, wann du sie brauchst.

Der Mutlose denkt, wenn er den Kampf scheut, wird er ewig leben. Doch das Alter gibt auch dem keinen Frieden, den der Speer verschont hat.

Der Unkluge liegt immer wach und denkt an vieles. Wenn der Tag anbricht, ist er müde, und alles ist so wirr wie zuvor.

Der Gemeine sieht überall Gefahr, und den Geizigen graut vor jedem Geschenk.

Froh und freundlich soll ein jeder leben.

Das Vieh verendet, und die Freunde sterben. So stirbst auch du. Aber ein ehrenvolles Andenken kann dich überleben.

Guten Freunden sollst du Freude machen und lernen, für andre zu sorgen.

Nie sollst du es sein, der mit einer festen Freundschaft bricht. De Reue nagt an deinem Herzen, wenn du keinen hast, mit dem du deine Gedanken teilen kannst.

Hast du einen vertrauten Freund, so such ihn auf, so oft du kannst; denn das Unkraut wuchert schnell auf dem überwachsenen Pfad.

Sei Freund dem Freund und seinen Freunden. Doch nie sollst du dich mit des Freundes Feind befreunden.

Unter Ungetreuen flammt die Freundschaft fünf Tage lang auf wie ein Feuer, doch der sechste Tag löscht alles wieder aus.

Der Unkluge traut jedem Gutes zu, der ihm mit einem Lächeln begegnet. Er weiß nicht, dass hinter dem freundlichen Wort die Arglist lauert.

Merkst du, dass einer dir Böses antun will, so bring es ans Licht und gib deinem Feind keinen Frieden.

Einen so freigebigen Mann trag ich nie, dass er nicht selber beschenkt werden wollte.

Was die Alten sagen, darüber sollst du nie lachen, denn oft ist es gut und verständig.

Auf die frühe Saat ist kein Verlas. Auch deinem Sohn sollst du nicht zu früh vertrauen. Das Wetter herrscht über den Acker, und die Seele über den Sohn. In beiden kannst du dich täuschen.

Es kennt keiner den Tag, ehe die Sonne untergeht. Dein Schwert sollst du nicht loben, ehe du es gebraucht hast, das Eis nicht, bevor du das Ufer erreichst, das Bier erst, wenn es getrunken ist.

Früh aufstehen muss, wer Leben und Reichtum gewinnen will. Selten reißt der ruhende Wolf ein Lamm, selten wird dem Schlafenden der Sieg zuteil.

Dumm ist es, mit Dummen zu streiten. Verschwende keine drei Worte an nutzlosen Zwist. Der Kluge gibt nach, wo der Törichte zuschlägt.

Vertraust du dich einem andern an, so vergiss nicht: Was einer weiß, bleibt zweien nicht verborgen, und was drei wissen, wissen alle.

Sei klug genug, doch nicht allzu klug. Am leichtesten lebt, wer nur weiß, was ihm gut tut. Wer aber allzu gescheit ist, dessen Herz ist selten von Sorgen frei. Am fröhlichsten ist einer, der sein Schicksal nicht im Voraus kennt.

Niemand soll auf das Wort eines Mädchens bauen. Eine Frau ändert leicht ihren Sinn. Doch Wankelmut ist auch Männern nicht fremd. Keiner redet so falsch wie der Schönredner. Die nüchternsten Mädchen lassen sich durch süße Worte betören.

Willst du die Liebe einer Frau gewinnen, gib ihr Geschenke und schöne Worte und sage, wie schön du sie findest. Mit Schmeichelei haben schon viele gewonnen.

Eines anderen Frau sollst du nicht verlocken und heimlich zu deiner Freundin machen.

Ruhe nie im Schoß einer Trollfrau.

Keiner soll einen andern tadeln, wenn ihm zustößt, was so manchem widerfährt. Leicht macht sich auch der Klügste zum Narren, wenn die Liebe ihn überfällt.

Diese Ratschläge und viele andere gab Odin den Menschen. Weitererzählt und aufgeschrieben werden sie auf vielerlei Weise, aber ihr Sinn bleibt bestehen. Havamal werden sie genannt, und das heißt die Hohe Rede, weil sie aus dem Mund des Götterkönigs kommen.

Es sind wahrhaftig sonderbare Zeiten. Der Herbst war kein richtiger Herbst, der Winter kein richtiger Winter, und jetzt, wo der Frühling da ist, bleibt alles fahl und bleich.

Ein Schlitten fährt vor, von zwölf Rappen gezogen, mit einem Gefolge von allerhand Dienerschaft und geleitet von einer Kriegerschar aus Asgards eigener Reiterei.

Es ist Rinde, die in die Götterburg gekommen ist. Odin heißt sie willkommen. Er sieht ihr an, dass sie bald sein Kind zur Welt bringen wird. Doch sie ist unbeugsam wie eh und je. „Du hast mich holen lassen“, schnaubt sie. „Glaub nur nicht, dass ich aus freien Stücken gekommen bin.“ Noch am selben Abend fangen die Wehen an. Lange bevor der Morgen graut, hat sie einen Sohn geboren. Er ist groß und wohlgestalt, und im Nu kann er gehen und sprechen. Noch hat ihn die Mutter nicht gewaschen und gekämmt, da gibt Odin ihm ein Messer in die Faust und deutet auf Hod. Der Blinde steht ruhig da und wartet auf den Neugeborenen, der ihm entgegenstapft. Ohne ein Wort lässt er sich niederstechen.

„So ist es vorhergesagt, und so ist es geschehen“, spricht Odin und nimmt den Kleinen in den Arm. „Er ist mein Sohn! Er soll Wole heißen. Aus ihm wird einst ein mutiger Krieger und ein guter Bogenschütze werden. Hier in Asgard will ich ihm und seiner Mutter eine eigene Wohnstatt geben. Von heute an sollen sie beide als Asen gelten.“

Rinde aber reißt ihm das Kinde aus den Armen. „Was bist du für ein Mann?“ ruft sie wütend. „Was bist du für ein Vater?“ Sie fühlt, dass Odin sie und ihren Sohn missbraucht hat. Doch am Ende nimmt sie seinen Vorschlag an und bleibt bei den Göttern. Zeit ihres Lebens wird sie Russland nicht wiedersehen.

Auf diese Weise, mit List und Scharfsinn, hat Odin endlich Baldur gerächt. „Aber war es wirklich nötig, ein kleines Kind vorzuschicken?“ fragt Loki und spielt den Entsetzten. Doch weiß er so gut wie jeder andere, dass einer wie Wole vonnöten war, wenn die Blutrache ein Ende haben sollte. Er ist Odins Sohn und hat ein Recht auf Sühne. Doch was er tun muss, tut er, kaum dass er zur Welt gekommen ist, und das heißt, bevor er zählt, bevor er in die Schar der Asen aufgenommen worden ist, bevor die andern ihn als ihren Bruder anerkannt haben.

In dieser Nacht weint Odin um seinen Sohn Hod. In dieser Nacht muss Frigga ihn fest in ihre Arme schließen. Noch ist es lange bis zum Morgen.

Auf einer einsamen Insel weit draußen steht ein furchtbares Wesen angekettet, ein Untier mit Augen so groß wie Schilde und mit Zähnen so scharf wie lange Messer. Kaum dass der Wolf sich regen kann, so streng sind seine gewaltigen Tatzen gefesselt. Ein riesiges Schwert steckt mit der Spitze nach oben und dem Griff nach unten in seinem Rachen. Deshalb muss er immer seinen Schlund aufsperren, so weit es nur geht, so, dass ihm der Schleim wie ein Bach aus den Mundwinkeln rinnt.

Plötzlich stellt er die Ohren auf. Was ist das für ein Geräusch? Sind es Ruderschläge? Er reißt die großen, gelben Augen auf. Ein Mann kommt über die schwarze See gerudert und geht an Land. Der Wolf erkennt ihn wohl. Vorsichtig wedelt er mit dem Schwanz. „Vater“, röchelt er, „löse meine Fesseln! Binde mich los!“ Aber der Mann schüttelt den Kopf.

„Bald, mein Junge, bald“, sagt er. „Bald darfst du laufen, wohin du willst.“ – „Nein“, ächzt der Wolf. „Jetzt!“ Das Schwert in seinem Rachen zuckt. Das Zahnfleisch blutet. „Bald“, lächelt der Mann und krault das Untier hinter den Ohren. „Bald ist die Wolfszeit gekommen.“

Das Tier knurrt, aber der Mann lacht. Zusammen stehen die beiden unter den Sternen, der Fenriswolf und sein Vater Loki. Erst im Morgengrauen reitet er nach Haus.

Kapitel 11: Loki

Idun - Göttin der ewigen Jugend

Idun – Göttin der ewigen Jugend

 Das Meer kocht und brodelt. Ein schreckliches Haupt, groß wie ein Berg, erhebt sich langsam aus den Wellen. Das schuppige Ungeheuer streckt seinen Hals und sperrt schnaubend das Maul auf. Ein saurer Hauch dringt wie eine Windfahne aus seinem Rachen. Alles Lebendige ergreift die Flucht, die Fische im Wasser und die Vögel unter dem Himmel.

Es ist die Mitgardschlange, das Untier, das sich um die ganze Welt ringelt, und sich in den eigenen Schwanz beißt. Den riesenhaften Kopf wiegt sie spähend, lauschend, witternd hin und her. Langsam, aber zielsicher bewegt er sich auf einen fernen Schimmer zu. Es ist die Burg des Seekönigs, die dort glitzert und leuchtet. Hier herrscht Ägir, der mächtigste unter den Meeresriesen. Heute Abend wird dort ein Fest gefeiert.

Die Schlange zischt. Sie weiß, dass sich dort hinter den festen Balken des Hauses ihre schlimmsten Feinde versammelt haben. Denn Ägir ist ein Freund der Götter. Jedes Jahr lädt er sie zu einem großen Festschmaus ein. Hier sitzen die Asen lachend und ausgelassen unter den Riesen des Meeres und dessen Frauen.

Die großen Nüstern der Schlange zittern vor Gier. Alle sind da, denkt sie. Nur einer fehlt. Alle warten auf Thor. Der Donnergott kämpft hoch im Norden mit den Trollen. Bald wird auch er kommen und nach dem Trinkhorn greifen, wenn er die Riesenschädel in den Staub geworfen hat.

Die Mitgardschlange züngelt vor Ungeduld. Sie kann es nicht erwarten, Ägirs Burg über den Haufen zu werfen, jeden Balken zu zermalmen und sich über Haus und Hof zu wälzen. Aber dann fällt ihr ein, was ihr Hel, ihre Schwester, die Königin des Totenreichs eingeschärft hat. „Warte“, hat sie ihr geraten. „Warte bis ich dir ein Zeichen gebe! Dann ist uns der Sieg sicher.“ – „Was für ein Zeichen?“ wollte sie wissen.

„Ich habe einen kohlschwarzen Hahn“, flüstert Hel. „Wenn du ihn krähen hörst, dann weißt du, dass der Anfang vom Ende gekommen ist. Dann werden die Sterne erlöschen und die Berge erzittern. Die Bäume werden entwurzelt, und alles, was fest ist, verliert seinen Halt. Dann erst ist deine Stunde gekommen.“

Die Mitgardschlange schließt die Augen und seufzt. Sie windet sich heftig und versinkt im Meer. Es gluckst und dampft, und ein mächtiger, saugender Wirbel bleibt zurück.

Die Schlange ist für diesmal verschwunden.

Keiner in Ägirs Burg ahnt, was geschehen ist. Asen und Seeriesen spaßen miteinander. Auf dem tangbedeckten Boden wird fröhlich getanzt. Nicht Kerzen und brennende Fackeln erleuchten den Saal, sondern schimmerndes Gold. Es hängt in ganzen Klumpen von der Decke, es schmückt die Wände und liegt in glitzernden Haufen auf den Tischen. Die Diener laufen umher und kümmern sich darum, dass es keinem an Essen mangelt. Das Bier aber schenkt sich selber ein. Ein gewaltiger Kessel schwebt über den Tischen hin und her und sorgt dafür, dass kein Trinkhorn leer bleibt.

Die neun Töchter des Seekönigs singen und tanzen für die Gäste. Die Asen schlagen den Takt dazu und singen mit. Nur Odin sitzt still da und sagt kein Wort. Er rührt das Essen nicht an und trinkt nur Wein. Alle wissen, dass es nicht klug wäre, ihn zu stören, wenn er sinnt und grübelt.

Er hat die Augen geschlossen und denkt an die Welt. Die Welt, denkt er, gleicht einer Scheibe aus Holz mit kräftigen Jahresringen. In der Mitte wohnen die Asen, im nächsten Ring leben die Menschen, und ganz draußen am Rand hausen die Trolle.

Dann wieder kommt ihm die Welt wie eine Eierschale vor, die auf dem großen wilden Meer schwimmt, oder wie eine Daune, die in der Luft hierher und dorthin tanzt, die so lange in der Schwebe bleibt, wie der Atem der Götter reicht. So verletzlich ist das Ganze, so leicht zu zerstören, so nahe daran zu kippen und verlorenzugehen.

Er denkt an die alten Zeiten, da alles erschaffen wurde. Wie lange ist das her! Damals erschlugen er und seine Brüder den ungeheuren Riesen Ymer und erschufen aus dem Leichnam die ganze Welt. Aus seinem Blut wurde das Meer, aus seinem Fleisch das Land, aus seinen Knochen entstanden Berge und Klippen, aus seinem Haar wuchsen die Bäume und das Gras. Seinen Schädel haben sie damals wie eine große Kuppel über alles Erschaffene gesetzt. Er wurde zum Himmel. Odin lächelt, wenn er daran denkt.

Damals war er jung und ausgelassen wie ein Fohlen. Stolz wie ein Hahn, stark wie ein Ochse, spitzfindig wie ein Fuchs. Das ist lange her. Odin fühlt sich alt. Sein Bart ist weiß geworden. Wenn er morgens aufsteht, knacken seine Gelenke. Sein Auge trieft und schmerzt ihn. Jetzt lächelt er nicht mehr.

Er wird aus seinen Gedanken gerissen, denn drüben am Feuer hat Loki Streit mit einem Diener des Seekönigs angefangen. Loki geht auf ihn los, und ehe die andern sich´s versehen, schlägt und tritt er auf ihn ein. Der Diener versucht ihm zu entkommen, aber es ist zu spät, er stürzt mit dem Kopf gegen eine Tischkante. Obwohl er sich nicht mehr rühren und mit offenen Augen am Boden liegt, versetzt Loki ihm noch einen Tritt.

Voller Abscheu haben es die Asen mit angesehen. „Schande über dich, Loki!“ rufen sie. Als hätte er jetzt erst begriffen, was er getan hat, krümmt er sich und wimmert: „Das habe ich nicht gewollt. Es war seine Schuld. Ich winkte ihn herbei, doch er hat mich nicht beachtet. Er hat mich wie Luft behandelt! Er hat mich beleidigt! Ich kann nichts dafür!“

Einige von den Seeriesen treten ihm drohend entgegen. Doch Sigyn, Lokis Frau, kommt ihm zu Hilfe. „Mein Liebster“, ruft sie, „was hast du nur? Bist du verletzt?“ Ängstlich läuft sie herbei und stellt sich den Riesen in den Weg. „Lasst ihn! Es war ein Unglück. Das müsst ihr doch einsehen!“

Nun hat auch Odin sich erhoben. Alle weichen zur Seite und lassen ihn durch. Langsam geht er auf Loki zu. „Ich erwarte eine Erklärung“, sagt er. „Antworte!“ Loki schlägt die Augen nieder. „Ich habe es nicht gewollt“, jammert er. „Aus Versehen ist es geschehen, ich weiß nicht wie!“

Odin schüttelt den Kopf. „Ich verstehe dich nicht“, sagt er leise. „Vielleicht habe ich dich nie verstanden.“

Ägir ist wütend. „Ihr habt versprochen, dass dies eine geheiligte Freistatt sein soll!“ ruft er. Odin nickt. „Ich selber werde euch das Wergeld bezahlen! Ich gebe dir mehr, als du verlangst.“ – „Und Loki soll sich nie wieder hier blicken lassen“, bellt Ägir. „Mit Knüppeln soll er verjagt werden“, antworten die Gäste wie aus einem Munde. Loki ringt die Hände. „Milchbruder!“ bettelt er, doch Odin wendet ihm den Rücken zu. „Du bist dein eigner Feind“, sagt er. „Nun kann auch ich dir nicht mehr helfen.“

Schon sind zwei Seeriesen zur Stelle. Sie schlagen auf Loki ein und treiben ihn vor sich her aus dem Festsaal. Loki versucht, Kopf und Gesicht zu schützen, so gut es geht. „Loki“, ruft seine Frau, „warte ich komme mit!“ Aber die andern Frauen halten sie zurück. Sigyn fängt an zu weinen. Ihre beiden Sohne, Narwe und Wale, versuchen sie zu trösten. Da pocht Ägir mit seiner großen hölzernen Forke auf den Boden. „Lasst euch das Fest nicht verderben von diesem Störenfried!“ ruft er. „Es gibt noch reichlich zu essen, und an Met soll es nicht fehlen. Keiner soll sagen, dass er hungrig vom Tisch des Seekönigs aufstehen musste!“

Ale suchen nach einem scherzhaften Wort, oder sie stimmen ein Lied an. Aber die fröhliche Stimmung will nicht wiederkehren. Erneut wendet sich das Gespräch Loki zu. „Immer macht er eine gute Figur“, sagen sie, „aber im Grunde ist er boshaft und heimtückisch.“ Ägir seufzt: „Wer hätte sich träumen lassen, dass es soweit kommen musste? Habe ich nicht immer meine Ehre darein gesetzt, ein guter Gastgeber zu sein?“ – „Du hättest sie nie einladen sollen“, zischelt seine Frau. „Hör auf meine Worte: Von den Göttern kommt nie etwas Gutes.“ Sie heißt Ran und ist ein gefährlicher Wassertroll. Sie verachtet ihren Mann, weil er so gerne Odins Freund sein möchte.

Aber wo ist Loki geblieben? Ist er nach Asgard heimgeritten? Oder sucht er in Jotunheim Trost? Nein er sitzt unweit von Ägirs Burg auf einer Schäre und bläst Trübsal. Er sieht die Lichter und hört das Gelächter der Gäste. Er ballt die Fäuste und hat Tränen in den Augen; denn Loki fühlt sich ungerecht behandelt.

Nur weil er von den Riesen abstammt, glauben alle, dass sie mit ihm umspringen können, wie sie wollen. Hat er nicht das gleiche Recht wie alle andern Götter? Doch die Asen halten sich immer für was Besseres. Aber sie werden schon sehen! Er, Loki wird es ihnen zeigen!

Ein Raunen geht durch den Festsaal, als die Tür aufgerissen wird und Loki von neuem auftaucht. „Muss ich dich noch einmal mit dem Knüppel davonjagen?“ schnaubt Ägir. Aber Loki lacht nur und sagt: „Ihr glaubt gar nicht, wie durstig ich bin.“ – „Nie wieder wirst du unter den Asen sitzen“, ruft sein Halbbruder Brage. „Schande über dich!“ Doch Loki achtet nur auf Odin und spricht zu ihm: „Soll ich dich daran erinnern, wie wir in der Morgenfrühe der Zeit Blutsbrüderschaft getrunken haben? Damals schworen wir einander, dass keiner einen Trunk schmecken sollte, der nicht uns beiden geboten würde. Denk daran Milchbruder! Oder willst du wortbrüchig werden?“ Odin nickt müde. „Ich erinnere mich“, sagt er. „Ich erinnere mich allzu gut daran.“ – „Wenn ich wirklich fortgehen soll, dann will ich es aus deinem eigenen Mund hören“, fährt Loki fort. „Ein Wort von dir, und ihr seid mich los. Oder ein anderes Wort, und wir setzen uns an einen Tisch, wie wir es seit jeher getan haben.“

Odin zaudert. Ägir zuckt mit den Schultern. „Du hast mir versprochen, das Wergeld zu zahlen, Odin. Wenn du also mit so einem trinken möchtest…“ – „Ach, bitte, Odin, lass ihn doch hier bleiben“, wimmert Sigyn. Odin atmet schwer. Endlich sagt er: „Gut, schenkt ihm einen neuen Krug ein.“ Aber nun schüttelt Brage seine Faust und ruft hitzig: „Das lasse ich mir nicht gefallen!“ – „O doch!“ grinst Loki, „Du hast dir immer alles gefallen lassen, Brage Stubenhocker. Keiner unter den Asen ängstigt sich so wie du vor Kampf und Streit. Wenn du mir nicht glaubst, dann komm her und beweise, dass du Mut hast!“

Brage möchte es mit ihm aufnehmen, aber Iduna, seine Frau, hält ihn zurück. „Lass Loki in Ruhe“, sagt sie. „Er ist es nicht wert, dass du dich mit ihm einlässt.“ – „Du bist selber nicht viel wert, Iduna“, höhnt Loki. „Denn wenn Brage der Feigste unter den Männern ist, dann bist du die Geilste unter den Frauen!“

„Hört auf!“ rufen die Asen. Doch Loki ist nicht mehr zu bremsen. „Dein lieber Brage ist ja unser großer Dichter“, giftet er. „Aber wir andern haben auch keine Mühe gescheut, um dir mit unserm Stift eine kleine Freude zu machen.“ Da bricht Iduna in Tränen aus. „Kannst du ihm nicht das Maul stopfen, Odin?“ fleht sie. „Da bist du gerade an den Richtigen geraten“, grinst Loki. „bei dem weiß niemand, mit wem er es gerade hält. Oft genug hat er irgendeinem Lumpenkerl den Sieg gegönnt. Kein Wunder! Einäugig wie er ist!“

Jetzt hat Odin sich erhoben. „Weißt du noch“, hält er Loki vor, „wie du acht Winter lang als Magd gedient und unter der Erde Kühe gemolken hast?“ – „Ach was“, antwortet Loki, „du bist doch selber oft genug als Weib unter die Leute gegangen, damals, als wir jung und grün waren!“ Schon will er zu einer langen Geschichte ausholen, da unterbricht ihn Frigga.

„Was ihr beide in der Morgenfrühe der Zeiten alles getrieben habt, ist eure Sache“, sagt sie. „Lasst uns damit zufrieden!“ – „Das könnte dir wohl passen“, schnappt Loki zu. „Denn als wir beide unterwegs waren, Odin und ich, da bist du mit seinen beiden Brüdern unter die Bettdecke gekrochen.“ – „Schweig endlich!“ ruft Frigga. „Ja, da hältst du dir die Ohren zu“, antwortet Loki triumphierend.

Frigga ist jetzt außer sich vor Zorn, und die Tränen treten ihr in die Augen. „Wenn mir nur mein Baldur zur Seite stünde! Der würde dich in die Schranken weisen.“ – „Also habe ich gut daran getan, dafür zu sorgen, dass er nicht mehr unter uns ist.“

Ein lautes Murren geht bei diesen Worten durch den Saal. „Du weißt nicht mehr, was du redest“, ruft Freia. „Du hast wohl den Verstand verloren!“ – „Du warst auch nicht mehr ganz bei Trost, Freia, damals als ich dich auf deinem eigenen Bruder reiten sah!“ Nun verliert auch Tyr die Geduld. „Wage es ja nicht, Loki, dir das Maul über Frei und Freia zu zerreißen!“ droht er. Aber Loki lacht ihn aus. „Du willst mich daran hindern? Mit deinem einen Arm? Weißt du noch, wie der Fenriswolf dir die Hand abgebissen hat?“

„Dafür ist der Wolf nun für immer an allen vieren gebunden. Und so, wie er nun daliegt und sich in seinen Ketten windet, so werden wir auch dich fesseln, wenn du nicht das Maul hältst“, sagt Frei. Loki spuckt vor ihm aus und bellt: „So redet einer, der sein eigenes Schwert verkauft hat, nur um mit einer Trolltochter herumzuhuren! Hört, was ich euch sage: Wenn der Tag kommt, an dem die Söhne von Muspilheim durch den dunklen Grenzwald reiten, wird Frei wehrlos dastehen, ohne eine Waffe zu der er greifen kann!“ – „Du bist betrunken und du hast genug gesagt“, ruft Heimdall. Aber Loki hält nicht inne. Er tänzelt durch den Saal, hält hier an und dort, und er beschimpft jeden, vor dem er stehenbleibt.

Odin hat wieder Platz genommen. Er beugt den Kopf und schweigt. „Warum werfen wir ihn nicht vor die Tür?“ fragt Heimdall. „Weil dies eine geheiligte Freistatt ist“, antwortet ihm Siv. „Wir haben Ägir, unserem Gastgeber, geschworen, Frieden zu halten, solange wir in seinem Haus sind. Loki will uns nur soweit bringen, dass wir unseren eigenen Schwur brechen.“ – „Oh, meine Siv mit dem goldenen Haar“, grinst Loki, beugt sich über sie und zupft an ihren langen Flechten. „Weißt du noch, wie schön wir es miteinander hatten, damals als dein Thor aus dem Haus war?“

In diesem Augenblick dröhnt ein Donnerhall durch den Saal, und ein lärmender Wagen, gezogen von zwei scharfen Böcken, rollt durch die Pforte. Es ist Thor, der nach vielen Faustkämpfen, blutend und schmutzstarrend, mit wehendem Bart und Haar, zu den Festgästen stößt. In der Faust schwingt er seinen Hammer Mjölner. „Noch ein Wort von dir, du Ratte, und ich zerknicke dich wie einen verrotteten Zweig!“ – „Verrotten magst du selber“, antwortet Loki mit kalter Miene. „Ich weiß noch gut, wie viel Angst du hattest, damals im Osten von Utgard, als wir im Fausthandschuh eines Riesen übernachten mussten.“ Thor packt Loki am Nacken und droht ihm mit dem Hammer. „Ich schlage dir den Kopf ab!“ ruft er.

Da springt Sigyn herbei und schlägt mit ihren kleinen Fäusten auf Thor ein. „Lass ihn los, du Ochse! Nimm die Pfoten von meinem Loki!“ Thor brummt und sieht sich fragend um. „Lass ihn gehen“, sagt Odin müde. Thor hebt Loki hoch und lässt ihn krachend zu Boden fallen. „Tut es weh, mein Lieber? Hat er dir etwas angetan?“ jammert Sigyn und nimmt ihn in die Arme. „Was musstest du auch so schlimme Dinge sagen?“ Loki schiebt sie von sich und steht auf. „Das erste Mal“, sagt er, „habt ihr mich mit Knüppeln davongejagt. Das zweite Mal gehe ich aus freien Stücken.“ Er richtet einen kalten Blick auf Odin. „Was ich euch zu sagen hatte, habe ich gesagt. Nun wissen wir, was wir voneinander zu halten haben.“ Dann wendet er den Asen den Rücken zu und geht zur Tür.

„Wenn wir uns wiedersehen, hast du meinen Hammer im Genick“, ruft Thor ihm nach. Unter der Tür dreht Loki sich noch einmal um. Er wendet sich an den Seekönig. „Dir Ägir, sage ich: Nie wieder wirst du ein Fest geben, weder den Asen, noch den Riesen. Und alles was du besitzt, soll in Flammen aufgehen.“ Dann ist er verschwunden.

Jörd ist eine Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin. Ihr Beiname ist „Mutter Erde”. Sie verkörpert die unbändige und ewig haltende Kraft der Erde und der Natur.

Jörd ist eine Erd- und Fruchtbarkeitsgöttin. Ihr Beiname ist „Mutter Erde”.
Sie verkörpert die unbändige und ewig haltende Kraft der Erde und der Natur.

 Nach einer Weile nehmen auch die Asen Abschied. Am Meeresstrand holt Frei aus seiner Gürteltasche eine kleine Decke hervor. Er breitet sie aus und wirft sie aufs Wasser. Sogleich wird ein mächtiges Schiff daraus. Die Asen gehen an Bord des Skidbladner und segeln heimwärts.

Odin steht am Steven und spürt den Wind im Gesicht. Er denkt an Loki und an die alten Zeiten, als sie alles miteinander geteilt hatten. Viel Freude hat er mit diesem Sohn der Trolle erlebt, und oft haben sie miteinander gelacht. Doch nun ist das Fest vorbei. Loki ist keiner mehr von den Asen.

Ohne dass er es merkte, hat Frigga sich zu ihm gesellt. Jetzt lehnt sie den Kopf an seine Schulter. „Wie konnte ich mich nur so in ihm täuschen?“ grübelt Odin. „Solche Fehler bleiben keinem erspart“, antwortet Frigga und birgt ihr Gesicht in seinem rauen Mantel.

Die Stimmung in Asgard ist gereizt. Alle reden über Loki. Jetzt erinnert sich niemand mehr an seine guten Dienste. Wie oft haben seine Einfälle den Asen geholfen, als Not am Mann war! Wie oft haben sie über seine Scherze gelacht! Aber das ist alles vergessen. Jetzt lässt keiner mehr ein gutes Haar an Loki. Nicht nur, dass er uns zum Narren gehalten und hinters Licht geführt hat, heißt es; nicht nur, dass er Schuld ist an Baldurs Tod; er hat auch dafür gesorgt, dass sein Halbbruder nicht von den Toten zurückkehren durfte. „Er ist auch noch stolz auf seine Untat“, sagt Heimdall. „Er macht sich lustig über uns!“ – „Ich zerschmettere ihm den Schädel“, ruft Thor.

Nur Sigyn hält ihm die Stange. „Ihr vergesst, dass ich ihn liebhabe“, sagt sie. „Ach Sigyn“, raten ihr die andern Trauen, „was hast du davon? Nichts als Ärger! Warum suchst du dir nicht einen andern?“ Aber Sigyn schüttelt den Kopf und geht ihrer Wege. „Das Herz hat keine Wahl“, sagt sie. „Niemand kann sich seine Liebe aussuchen.“

Odin befiehlt, dass Loki bei lebendigem Leibe gefangen und bestraft werden soll. Er schickt seine Raben Hugin und Munin aus nach Mitgard und nach Jotunheim und bittet Zwerge und Alben um Hilfe bei der Suche. Die Walküren reiten über Berg und Tal, Meer und Wolken. Er selber hält Ausschau von seinem Thron hoch über der Götterburg. Ich habe dich geliebt, denkt er voll Bitternis, während er den Blick über die Welt schweifen lässt. Er starrt hinaus, bis ihm die Augen tränen.

Loki ist weit in die Wildnis gegangen. Auf dem Gipfel eines hohen Berges hat er sich ein Haus gebaut, ein Haus mit vier Türen, damit er von seinem Stuhl aus den Blick frei hat in alle Himmelsrichtungen. Nicht weit davon stürzt ein Wasserfall in die Tiefe. Jeden Morgen verwandelt er sich in einen Lachs, der im rauschenden Wasser spielt. Niemandem wird es einfallen, nach einem Fisch zu suchen, denkt er. Bald werden es die Asen müde werden, nach mir zu suchen. Bald haben sie mich vergessen und dann ist meine Zeit gekommen! Dann will ich endlich meinen Sohn, den Fenriswolf, zu mir rufen, mein Kind, die Mitgardschlange, und Hel, meine mächtige Tochter, die über das Reich der Toten herrscht! Und dann nehmen wir Rache und werden dieser ganzen Welt ein Ende machen!

Doch wenn er dann am Abend ganz allein am Feuer sitzt, nach einem langen Tag im kalten Wasser, wenn er Schuppen und Flossen abgelegt und sich an den glatten, heißen Steinen aufwärmt, wenn er dann durch die vier Türen hinaus in die Dunkelheit späht, dann beschleicht ihn die Angst. Wie mit leichten, unruhigen Flügelschlägen zuckt es in seiner Brust, und ohne dass er es merkt, fangen seine Finger an, sich zu regen. Er hält einen leinenen Faden in der Hand und zupft und nestelt daran, bis ein Netz aus engen Maschen daraus wird. Was treibt er da? Hat er nicht allen Grund, das Garn zu fürchten, das er knüpft.

Die Asen aber haben die Fahndung nach Loki nicht aufgegeben. Eines Tages sieht er in der Ferne eine lange Kette von Gestalten, die das Gebirge absuchen. Mit jedem Schritt kommen sie näher. Rasch wirft Loki das Netz ins Feuer, nimmt seine Fischgestalt an und springt glatt und zappelnd in den Wasserfall.

Die Asen finden das Haus leer, aber sie sind sich ganz sicher, dass kein lebendiges Wesen bei ihrer Suche durchgeschlüpft ist. Sie untersuchen die Asche im Herd und entdecken das Muster des verbrannten Netzes. Da wissen sie sogleich, wonach sie zu suchen haben. Sie knüpfen ein neues Netz und werfen es in den Fluss. Thor hält es am einen Ende, das andere Ende halten die übrigen Asen fest Nun durchkämmen sie watend den Fluss. Loki schwimmt vor dem Netz her, so tief wie möglich am Grund des Wassers, hält still, legt sich flach zwischen zwei Steine und hält den Atem an. Er spürt im Rücken, wie das Netz in streift. Auch die Asen haben bemerkt, wie etwas in den Maschen zuckt. Sie binden schwere Steine an das Garn, bevor sie es von neuem auswerfen. Da flüchtet Loki und stürzt in die Tiefe. Mit einem Satz kehrt er um, macht einen Luftsprung über das Netz und schwimmt zurück zum Wasserfall.

Doch nun haben die Asen ihn gesehen. Sie teilen sich in zwei Gruppen, von denen jede ein Ende des Netzes hält. Thor watet in der Mitte des Flusses. So ziehen sie Schritt für Schritt das Netz nach unten. Noch einmal wagt Loki einen Sprung über das Garn, aber diesmal ist Thor schneller. Wie ein hungriger Bär wirft er sich nach vorn und greift nach ihm. Beinahe wäre der glatte Leib ihm durch die Finger geschlüpft, doch es gelingt ihm, den Lachs am Schwanz zu packen. „Lasst mich los!“ zetert der zappelnde Fisch. Da deutet Freia auf ihn und ruft: „Du, der du dich in Fischgestalt verbirgst – ich befehle dir, komm her und zeige dich! Sei, der du bist!“ Sogleich liegt Loki wimmernd zu ihren Füßen. „Hast du vergessen“, sagt Freia, „wer dich vor langer, langer Zeit, alle deine Künste lehrte? Jetzt bereue ich es, denn du warst es nicht wert, dass ich meine Zeit mit dir vergeudet habe“ Sie wendet sich an Odin. „Was soll mit ihm geschehen?“ fragt sie. Doch Odin wendet sich ab und schüttelt den Kopf. „Tut mit ihm, was getan werden muss“, antwortet er müde.

Auch Sigyn findet keine Worte mehr. Sie steht wie angewurzelt da und streckt die Arme nach ihrem Mann aus. Nur Wale und Narwe, seine beiden Söhne, versuchen Loki zu Hilfe zu kommen. Sie stürmen brüllend auf ihn zu, doch die Asen halten sie mit Leichtigkeit zurück.

Plötzlich stößt Thor einen Schmerzensschrei aus. „Der kleine Köter hat mich gebissen“, ruft er. „Schaut nur, seine Zähne! Sie wachsen und wachsen! „sagt Brage. Wahrhaftig! Wale sprießen lange schwarze Haare im Gesicht, er knurrt und fletscht die Zähne, ein Fell wuchert ihm auf der Brust und auf den Armen. „Lasst ihn los“, ruft Freia, „lasst sie los, alle beide!“

Die Asen haben Lokis Söhne umringt. Unter ihren Augen verwandelt Wale sich in einen Wolf. Er zeigt den Göttern die Zähne und schnappt nach ihnen. Dann fällt er über seinen eigenen Bruder her, setzt ihm die Hauer an die Kehle und beißt ihn tot. Die Asen weichen zurück, und der Wolf entkommt. „Mein Kind“, ruft Sigyn ihm nach, „was tust du?“ Wale wendet sich zu ihr um und zeigt ihr die Zähne. Aus seinem Rachen rinnt Blut. „Hinke fort nach Jotunheim, räudiges Graubein“, ruft Freia. „Dort gehörst du hin! Eines Tages wirst du bitter bereuen, was du getan hast. Nie sollst du Trost und Vergessen finden!“

Die Asen ziehen aus Narwes zerfleischtem Leib die Gedärme und fesseln damit Loki an Händen und Füßen. Sie legen ihn auf den Rücken, so dass er auf drei scharfen Steinen zu liegen kommt: ein Stein unter der Schulter, einer unter den Hüften, und einer unter den Kniekehlen, und sogleich verwandeln die blutigen Gedärme sich in eiserne Ketten.

Da liegt er nun und heult und jammert. Er ruft nach dem Fenriswolf und nach der Mitgardschlange, er ruft nach Hel, doch niemand antwortet ihm. Eine ganz andere Schlange windet sich vor seinem Gesicht. Es ist Schad, Njörds Frau, die das Gewürm in der Hand hält und das Gift auf Loki träufeln lässt. „Das könnt ihr doch nicht mit ihm machen“, ruft Sigyn verzweifelt, doch Schad lacht nur und lässt die Schlange über Lokis Augen baumeln. „Eine Schlange bist du“, flüstert sie ihm ins Ohr, „und eine Schlange soll dir Gesellschaft leisten.“

Die Asen brechen auf, doch Sigyn bleibt bei ihrem Mann. „Liebst du ihn denn so sehr“, fragt Schad sie und sieht zu, wie sie eine Schale über ihren Mann hält, um das Gift aufzufangen. „Ich habe keinen ander“, sagt sie. Seine Ketten kann sie nicht sprengen, und nach dem Kopf der Schlange wagt sie nicht zu greifen. Als die Schale überfließt, wendet sie den Kopf ab, um sie auszugießen, und da trifft ein Spritzer auf Lokis Gesicht. Er wälzt sich so stark in seinem Schmerz, dass der Boden unter ihm erzittert. Das ist es, was die Menschen ein Erdbeben nennen.

So wird Loki nun liegenbleiben bis ans Ende der Welt. Erst wenn es gekommen ist, heißt es, sollen die Ketten von ihm abfallen wie verdorrtes Gras. Dann, so heißt es, wird nicht nur Loki freikommen; auch der mächtige Fenriswolf wird sich losreißen und mit offenem Rachen, aus dem der Schaum wie Wolken über die Erde treibt, über Land und Meer hetzen. Auch die große Mitgardschlange wird sich dann über die Ufer des Weltmeeres wälzen, und der Erdboden wird sich auftun, so dass Hel an der Spitze ihres gewaltigen Totenheeres ihren letzten Ritt antreten kann. So ist es vorherbestimmt. So wird es geschehen.

Daran muss Odin denken. Er weiß es. Und dennoch fehlt ihm Loki. Er denkt an ihn wie an einen toten Bruder, und er vermisst ihn.

Kapitel 12: Ragnarök

Ragnarök Der Weltuntergang in der nordischen Mythologie der Edda. Auch als „Schicksal der Götter” oder „Götterdämmerung” bezeichnet.

Ragnarök
Der Weltuntergang in der nordischen Mythologie der Edda.
Auch als „Schicksal der Götter” oder „Götterdämmerung” bezeichnet.

 Irgendwo in der Einöde, am Rand eines kleinen Teichs, liegt zwischen Heide und Buschwerk etwas, das einem moosbewachsenen Stein gleicht. Aber auf einmal öffnet der Stein die Augen und starrt hinaus in den grauenden Tag. Ein abgehackter Kopf ist es, der dort liegt, ein Riesenschädel. dem der Leib fehlt. Und doch ist Leben in ihm, denn die Zunge leckt die kalten Lippen und die Nase hebt sich wie die Nüstern eines witternden Tieres gegen den Wind. Zwei große Ohren lauschen auf ein Geräusch, das immer näher kommt. Wer ist e, der da über die Heide reitet?

Es ist ein Pferd mit acht Beinen, und der Reiter, der da absteigt, ist alt und grau. Odin ist es, der sich zu dem abgehauenen Kopf niederbeugt und ihn in die Arme nimmt. „Sei mir gegrüßt“, neigt sich der Kopf und Odin antwortet: „Endlich sehe ich dich wieder, Mime, mein alter Freund aus der Zeit der Jugend.“

Sie lassen sich am Ufer ins Heidekraut nieder. Der Teich ist Mimes Brunnen, die Quelle der Weisheit. Einst hat Odin sich selber ein Auge ausgerissen, um davon trinken zu dürfen. Aber das ist eine andere Geschichte. Nicht von jeher ist Mime ein Kopf ohne Leib gewesen. Feinde haben ihm das angetan. Damals hat Odin den Tod von seinem Riesenhaupt abgewaschen, hat ihm die Stirn mit heilenden Kräutern gesalbt und seinem Freund Gedanken und Sprache wiedergegeben. Auch das ist eine andere Geschichte. Es ist genug zu wissen, dass Odin jedes Mal, wenn ihn Zweifel bedrücken, hierherkommt, auf die windgepeitschte Heide von Utgard, um Rat bei Mime zu suchen. Die beiden kennen sich seit so langer Zeit, und es gibt keinen, dem Odin lieber zuhört. Die Zukunft freilich kann keiner von beiden vorhersagen.

Dennoch, eines weiß Odin. Das Ende der Welt, so wie er sie kennt, ist nahe. Nichts kann ewig dauern. Bald werden Götter und Riesen ein letztes Mal ihre Kräfte messen. Wer wird den Sieg davontragen? Wer wird unterliegen? Den Zeichen des Vogelzuges, die er am Himmel liest, traut Odin nicht mehr, und was die warmen Eingeweide geschlachteter Tiere verraten, gibt ihm keine Gewissheit. Die einzigen aber, die die Antwort wissen, die drei Nornen an Urds Brunnen -sie wenden sich ab und schweigen.

Auch unter den Menschen gibt es einige, die weiter als andere in die Zukunft sehen können. Deshalb wendet Odin sich nun nach Mitgard, und Mimes Haupt nimmt er mit auf den Weg, denn zwei hören mehr als einer.

Die Frau, die sie auf einer kleinen Lichtung treffen, ist weder jung noch alt. Sie steht auf und grüßt, indem sie einen kleinen Stab hoch in die Luft hebt. Der Griff ihres Stabes schimmert in glänzendem Messing. „Ich habe euch erwartet“, sagt sie. Der weite Mantel, den sie umhat, ist mit farbigen Edelsteinen geschmückt. Sie trägt eine Kette aus Perlen um den Hals und eine schwarze Mütze aus Lammfell auf dem Kopf. An ihrem Gürtel hängt ein großer lederner Beutel. Ihre Handschuhe sind aus Katzenpelz gemacht, und an den Füßen trägt sie Schuhe aus zotteligem Kalbfell. Sie ist eine Volve. Solche seltenen Frauen heißen nach dem Vol, dem Stab, den sie tragen und auf dem sie reiten können, um ihre Seele in andere, unsichtbare Welten zu tragen. Odin wendet sich ihr zu und fragt: „Weißt du denn, wen du vor dir hast?“ – „Du bist mein Gott“, antwortet die Volve und fällt vor ihm auf die Knie.

Es ist nicht das erste Mal, dass Odin sich an eine Wahrsagerin wendet. Einmal hat er sogar eine von ihnen aus dem Grab geholt. Aber in dieser Nacht möchte er lieber mit einer sprechen, die am Leben ist und die ihm wohlwill.

„Kannst du für mich in die Zukunft sehen?“ fragt Odin. „Manche Tage“, erwidert die Volve, „sind klar und deutlich, aber andere verbergen sich hinter dunklen Türen.“ – „Was liegt hinter diesem Herbst und dem nächsten Winter?“ – „Wie weit soll ich schauen, Herr?“ – „So weit du nur kannst“, sagt Odin. „Auch wenn es eine ganz andere Zukunft ist, als du dir wünschst?“ – „Auch dann. Du sollst mir alles sagen!“ ruft der Götterkönig. „Alles, bis zum Ende der Welt.“

Sogleich beginnt die Volve mit ihrem Werk. Aus dem Beutel an ihrem Gürtel holt sie eine Salbe aus Bilsenkraut und Stechapfel hervor, mit der sie, erst summend, dann mit lauter, hoher Stimme singend, ihren Stab einsalbt. Mit einem Satz nimmt sie den Stab zwischen die Beine und springt auf ihm umher. Der Stab ist ihr Pferd. Sie schließt die Augen, wirft den Kopf hin und her, ruft und singt. Am Ende sinkt sie zu einem unförmigen Haufen in sich zusammen. Der weite Mantel deckt sie ganz zu. Still liegt sie da, ohne einen Laut von sich zu geben.

Nichts regt sich. Odin wartet geduldig. Er lehnt mit dem Rücken an einem Kiefernstamm. Mimes Haupt liegt neben ihm im Gras. „Musst du denn immer wissen, was dir bevorsteht?“ sagt Mime. „Das gibt mir Zeit zum Nachdenken“, brummt Odin. Der Kopf des Riesen seufzt. „Warum gibst du dich nicht mit dem Tag zufrieden?“ In Odins Augen blitzt es, doch bevor er antworten kann, regt sich der dunkle Haufen wieder.

Die Volve erhebt sich. Sie öffnet ihre Augen. „Hört mich an“, sagt sie, „und seht! Das erste Zeichen sind drei Hähne, die wie aus einem Munde krähen, und alle Welt wird sie hören. Der eine ist rot. Er kräht in Jotunheim und in Utgard. Er weckt alle toten Riesen und Zwerge. Der zweite Hahn ist schwarz wie Ruß. Er weckt in Hels Reich alle Toten auf und ruft Garm, ihren gewaltigen Hund, herbei. Der dritte Hahn hat einen goldenen Kamm. Er kräht in Asgard und weckt alle Gefallenen in Walhall. Überall folgen die Toten diesem Ruf. Sie wissen, dass sie bald den Lebenden wieder begegnen werden. Nun ist sie angebrochen, die Zeit, da alles, was wir kennen untergehen muss.“

Odin räuspert sich. „Hat sie einen Namen, die Zeit, von der du sprichst?“ – „Alles hat einen Namen“, antwortet die Volve, „sogar die Finsternis. Ragnarök wird sie genannt, die Zeit, da die Asen den Verstand verlieren und vergessen zu atmen. Ragnaök heißt sie, die Zeit, da Mächte vergehen wie Eis an der Sonne.“

„Erzähle weiter“, bittet Odin sie. „Ich sehe Axt und Schwert“, sagt sie. „Ich sehe Unfrieden überall und blutiges Ringen. Ich sehe drei Jahre, in denen der Bruder dem Bruder in den Rücken fällt und der Sohn den eigenen Vater nicht verschont.“ – „Daran ist nichts Neues!“ ruft Odin. „So ist es seit Menschengedenken zugegangen. Aber sprich! Was kommt noch alles auf uns zu?“ – „Drei Jahre, die wie ein einziger Winter sind“, antwortet die Volve. „Der Schnee weht über die Welt, und die Sonne wärmt die Welt nicht länger. Fimbul heißt dieser längste und furchtbarste aller Winter. Viele werden einschneien, in finsteren Eisspalten ertrinken, unter gewaltigen Lawinen begraben werden. Andere werden in ihren Betten erfrieren und sich blau vor Frost auf den Weg ins Totenreich machen. Eine Riesin sehe ich, weit im Osten, im Eisenwald. Sie gebärt Trolle in Wolfsgestalt.“ – „Das tut sie seit eh und je“, knurrt Odin. „Ich kenne sie und ihr räudiges Pack!“

Da schreit die Volve auf. „Ich sehe zwei ihrer zotteligen Kinder, Skoll und Hate, die beiden Wölfe am Himmel, die seit Erschaffung der Welt hinter der Sonne und dem Mond herjagen. Jetzt ist es soweit! Jetzt packen sie zu! Skoll verschlingt die Sonne und Hate den Mond, und die Wolken sind rot von Blut!“

Die Volve fröstelt. Sie hebt ihren Stab und zeigt hinauf. „Seht nur!“ flüstert sie. „Nicht einmal die Sterne leuchten mehr. Jetzt fängt die Erde an zu beben.“ Sie erhebt ihre Stimme und schreit. „Die Berge stürzen ein. Die größten Bäume werden aus dem Boden gerissen und schießen wie Speere durch die Luft. Die Weltensche Yggdrasil kracht und schwankt. Der Winter löst seinen kalten Griff, und alles, was fest war, wird in Stücke gerissen.“ – „Alles?“ Odin runzelt die Stirn. „Alles“, wiederholt die Volve. „Ich weiß, was du fürchtest. Doch sieh selber! Dann wirst du mir glauben.“ Und Odin blickt auf und sieht alles, was sie verkündet hat.

Er sieht den Fenriswolf, wie er an seinen Ketten zerrt. Er sieht Loki, wie er um sich tritt und zappelt. Er sieht, wie sich ihre Fesseln lösen, wie Sigyn vor Freude lacht, wie sie Loki umarmen will. All die Jahre, die er gebunden dalag, ist sie nicht von seiner Seite gewichen. Doch nun fegt Loki sie ohne ein Wort zur Seite und geht seiner Wege. Er hat keine Zeit für Dankbarkeit. Er denkt nur noch an seine Rache.

Odin sieht auch, wie der Fenriswolf mit aufgerissenem Rachen und glühenden Augen über die Berge stürmt. Seine Fangzähne streifen die Wolken, seine Lefze den Boden.

„Willst du noch mehr sehen?“ fragt die Volve. „Hast du genug gehört?“ – „Ich will alles wissen“, antwortet Odin. Sie zeigt ihm das Meer, wie es kocht und strudelt und baumhohe Wogen wirft. Es ist die Mitgardschlange, die es mit ihrem rasenden Schwanz aufpeitscht. Jetzt wälzt sie sich an Land und zerschmettert dabei die Schiffe im Hafen. Wolken von Gift steigen aus ihrem Schlund. Sie brüllt aus vollem Halse. Nach ihrem Bruder, dem Wolf, ruft sie. Mit vereinten Kräften wollen sie die Erde verwüsten.

Jetzt lichtet auch Naglfari die Anker, das unheimliche Schiff, das aus den Nägeln der Toten gebaut ist. Mit schwarzen, zerlumpten Segeln kommt es aus dem Nebel und dem Regen des Ostens. „Kannst du sehen, wer am Ruder steht?“ sagt die Volve. „Schau genau hin!“ – „Es ist Loki!“, ruft Odin. Die Volve nickt. „Und eine Mannschaft von verrotteten Leichen bringt er mit.“ Odin ballt die Fäuste. Er atmet schwer. „Tausend Jahre lang ist er wie ein Bruder für mich gewesen“, sagt er.

In großen Scharen ziehen die Feinde aus Nord und Ost herbei, Lebende und Tote, Riesen und Trolle, in voller Rüstung und starrend vor Waffen. Große Kriegstrommeln schlagen den Takt dazu. „Schau dich um!“ ruft die Volve plötzlich, und als Odin sich umwendet, sieht er, wie der ganze Himmel im Süden aufreißt und das Land dahinter zum Vorschein kommt. das unbekannte, unheimliche Muspilheim, das es schon lange gegeben hat, ehe Odin mit seinen Brüdern die Welt erschuf. Aus diesem feurigen Reich strömt ein mächtiges Heer von schimmernden Reitern herbei, angeführt von Surt, dem uralten Häuptling, der ein Flammenschwert schwingt. Alles, was er berührt, fängt Feuer und verglüht.

„Kann nichts sie aufhalten?“ fragt Odin sich. „Sieh nur, wie ganz Mitgard brennt!“ Die Feuerreiter eilen auf Bifrost, der Regenbogenbrücke, zu. Haben sie es auf Asgard abgesehen? Wollen sie die Festung der Götter stürmen? „Nie wird der Regenbogen sie tragen!“ ruft Odin. Doch das Heer aus Muspilheim setzt wie ein großer Fackelzug über die Brücke. „Sie ist den Asen und ihren Freunden vorbehalten“, murmelt Odin. „Dafür habe ich gesorgt, das ist mein Gesetz!“ Aber an seinen Worten nagt der Zweifel.

Die Brücke erzittert und schwankt, ihre Farben mischen sich zu einem trüben Grau. Dann stürzt sie ein, und im Funkenregen stürzen Tausende von Reitern in die Tiefe. Viele kommen um, doch andere überleben den Sturz. Unter ihnen ist Surt, der sein Flammenschwert schwingt und den Rest seines Heeres anführt, bis sie die große Wiese erreicht haben. Diese Weide ist hundert Meilen lang und hundert Meilen breit. Dort sammelt sich der feurige Haufen. Riesen und Gespenster stoßen zu ihm. Auch der Fenriswolf und die Mitgardschlange haben sich, von Loki, ihrem Vater, angeleitet, am Kampfplatz eingefunden.

„Willst du noch mehr sehen?“ fragt die Volve. „Hast du genug gehört?“ Doch Odin schüttelt den Kopf. „Es ist zu spät, um sich abzuwenden“, sagt er grimmig. „Ich will sehen, wie unsere Streitmacht sich sammelt.“

Heimdall stößt ins Horn, und die Asen halten Kriegsrat. Wie alt und hilflos sie aussehen. Wie unheilvoll es knarrt in der Weltesche Yggdrasil! Ist es nicht schon zu spät? Ist es nicht sinnlos, gegen einen so übermächtigen Feind anzugehen? Odin bespricht sich mit Mimes Haupt.

„Kannst du auch dich selber sehen?“ flüstert die Volve. „Ratlos, wie du bist? Voller Furcht vor der Niederlage? Verfolgt von der Ahnung, dass dein Reich dem Untergang nahe ist?“ – „Das soll ich sein?“ sagt Odin missmutig. „So schwach, so mutlos?“ Da sieht er Frigga kommen. Sie bringt Odin seinen goldenen Helm, setzt ihn, ohne ein Wort zu sagen, ihm auf den Kopf und küsst ihn auf beide Wangen. Nun schleppen auch die anderen Asen ihre Waffen und Rüstungen herbei. Die Untoten aus Walhall, alle die gefallenen Helden, die Odin unter den Menschen gesucht und gefunden hat, machen sich bereit, ihnen zu folgen. Auch aus Folkwang kommen die Streiter, die bei Freia gehaust haben, stoßen zum Heer der Asen. Sie hat sie mit scharfen Krallen und Luchskappen versehen. Nun fauchen sie und miauen wie wilde Katzen.

Thor hat seine eisernen Handschuhe angezogen und seinen starken Gürtel angelegt. Er lässt den Hammer Mjölner über seinem Haupt kreisen. Seine Böcke stoßen ungeduldig voran. Der Götterkönig hat Sleipnir, sein achthufiges Ross, gesattelt. Er hält seinen Speer in der Hand. Hugin und Munin, die beiden Raben, sitzen ihm auf den Schultern, und die beiden zahmen Wölfe, spuren neben ihm her. So ziehen die Asen hinaus auf die Walstatt. Zum Abschied winken sie den Frauen, die in Asgard zurückbleiben und die sie vielleicht nie wiedersehen werden.

Auf dem weiten Kampfplatz stoßen die beiden gewaltigen Heere zusammen. Schon beim ersten Treffen verliert Odin seine Raben und seine Wölfe. Thors Böcke werden von Pfeilen durchbohrt. Sein Wagen stürzt um, und er wird zu Boden geschleudert.

Doch Odin sammelt das Heer von neuem um sich, und noch einmal wirft er sich dem Feind entgegen. Odin reitet geradewegs auf den Fenriswolf zu, und Thor versucht ihm zu folgen. Doch der Donnergott ist nun zu Fuß und bleibt hinter dem Reiter zurück. Die Mitgardschlange, seine alte Feindin, wirft sich ihm in den Weg. Sie zischt und heult. Ein Kampf auf Leben und Tod beginnt.

„Willst du noch mehr sehen?“ fragt die Volve. „Hast du genug gehört?“ – „Ich muss wissen, wie es weitergeht“, sagt Odin. „Mein Kampf mit dem Fenriswolf – werde ich ihn besiegen?“ Die Volve schüttelt den Kopf. „Er verschlingt dich“, sagt sie. „So ist es geweissagt, und so muss es geschehen.“ Odin schluckt und fragt weiter: „Wird es ein guter Kampf gewesen sein?“ Die Volve hat Tränen in den Augen.

„Ja“, sagt sie, „ein guter Kampf.“ – „Aber Thor wird mich rächen!“ sagt Odin, und wieder schüttelt die Volve den Kopf. „Thor hat genug damit zu tun, sich seiner Haut zu wehren gegen die Mitgardschlange.“ – „Und Tyr?“ – „Ihn bedrängt Hels Untier, der Hund, der das Totenreich bewacht. Keiner von beiden wird den Kampf überleben.“ – „Was ist mit Frei?“ – „Er hat es mit Surt aufgenommen, dem alten Feuerriesen aus dem Süden. Beide sind gewaltige Schwertkämpfer, doch Surt hat die schärfere Waffe. Du weißt doch, einst hatte Frei ein Schwert, das von selber zuschlug. Nun reut es ihn, dass er es vor langer Zeit gegen die Liebe einer Trolltochter tauschte. Trotzdem, er fichtt auf seinem goldenen Eber wie ein wahrer Meister gegen Surt, der auf einem brennenden Pferd reitet. Kannst du sie sehen?“

Odin nickt. „Dann wirst du auch erkennen, dass Surt die Oberhand behält. Sein Flammenschwert spaltet Frei von Kopf bis Fuß entzwei.“ – „Und wie wird es Heimdall ergehen?“ – „Er kämpft gegen Loki.“ – „Die beiden haben sich nie miteinander vertragen.“ – „Jetzt finden sie alle beide den Tod.“ Odin spürt, wie ihm die Stimme versagt. Es sticht in seiner Brust. „Soll ich denn ungerächt auf dem Schlachtfeld liegengeblieben?“ flüstert er. „Ruft mein Blut vergebens nach all meinen Söhnen?“ – „Du hast den letzten deiner Söhne vergessen“, sagt die Volve. „Vidar, den ihr den Wortkargen nennt. Aber nach Thor ist er der Stärkste von allen. Sieh nur, was er tut!“

Odin starrt in die Ferne. Noch einmal sieht er sich selber in den Fängen des gnadenlosen Fenriswolfes, der ihn verschlingt. Doch nun erkennt er auch Vidar, der das Ungeheuer verfolgt. Sein Sohn setzt einen Fuß in den Rachen des Wolfs und tritt ihn mit letzter Kraft zu Boden, während er mit beiden Händen nach seinem Oberkiefer greift und ihn hochreißt. Röchelnd verendet das Untier und Odin ruft: „Dann werde ich wenigstens in Frieden ruhen!“ Die Volve sieht ihn an und sanft sagt sie: „Das hast du wohl verdient.“

Die Schlacht ist zu Ende. Die Asen sind besiegt. Nur an einer Stelle rast der Kampf weiter. Die Mitgardschlange hat sich um Thor geringelt und versucht ihn zu zerdrücken, doch Thor hält seinen Hammer fest. Keiner der beiden will aufgeben. Riesen und Gespenster haben sich um die Kämpfer geschart, um zu sehen, wie der Streit ausgeht. Endlich gelingt es Thor, den Arm mit dem Hammer aus der Umarmung des Wurms zu befreien und zuzuschlagen. Die Schlange stirbt. Aber nachdem er neun Schritte getan hat, sinkt auch Thor zu Boden. Die Mitgardschlange hat ihn vergiftet.

„Willst du noch mehr sehen?“ fragt die Volve. „Hast du genug gehört?“ Odin sieht sie an. „Das ist das Ende. Gibt es denn noch mehr zu sehen?“ Die Volve nickt. „Spürst du nicht das es nach Brand riecht?“ sagt sie. Jetzt merkt es auch Odin und er sieht. wie Surt und seine Muspilsöhne wie ein Sturmwind durch die Welt jagen. In jedes Haus und in jeden Winkel schleudern sie Feuerbrände. Überall zischt und rauscht es: Als Odin sieht, wie sogar Yggdrasil in Flammen steht, kommen ihm die Tränen. Nun weiß er, dass alles zugrunde gehen wird.

Er hebt den Kopf und blickt der Hellseherin in die Augen. „Ich mochte die Welt“, sagt er ruhig. „Vieles an ihr hätte anders und besser sein können. Trotzdem im Großen und Ganzen gefiel sie mir. Und jetzt ist sie zunichte geworden. Kein Stein ist auf dem andern geblieben.“ – „Ja, deine Welt ist eine einzige Brandstatt“, sagt die Volve. Stumm stehen die beiden da und sehen zu, wie die versengten Trümmer im Meer versinken.

Also war alles, was wir getan haben, vergebens“, sagt Odin müde. „Wir haben umsonst gelebt.“ – „Geduld“, sagt die Volve mit einem Lächeln. „Es gibt noch mehr zu sehen.“ – „Ich kann nicht mehr“, sagt Odin.

Yggdrasil – die Weltenesche Eine Escheweiß ich, heißt Yggdrasil, den hohen Baum netzt weißer Nebel; Davon kommt der Tau, der in die Täler fällt. Immergrün steht er über Urds Brunnen.

Yggdrasil – die Weltenesche
Eine Escheweiß ich,
heißt Yggdrasil,
den hohen Baum netzt weißer Nebel;
Davon kommt der Tau, der in die Täler fällt.
Immergrün steht er über Urds Brunnen.

 Doch nun fasst die Volve ihn mit beiden Händen an den Schläfen. „Horch!“ ruft sie. „Schau hinaus!“ Und er sieht, wie allmählich eine neue Welt aus den Fluten steigt, grün und schön und fruchtbar, wie ein Traum. Er sieht Äcker, die sich selber säen, und Fisch und Wild im Überfluss. „Keiner wird mehr hungern“, sagt die Volve. „Keiner muss mehr frieren. Denn siehe! Die Sonne hat eine Tochter geboren. Das Böse hat ein Ende genommen. Die Welt ist reingewaschen, und ein neues Leben kann beginnen.“ – „Ein neues Leben?“ fragt Odin verstört. Die Volve nickt. „Siehst du die große Wiese, den alten Versammlungsplatz der Asen, wie sie blüht?“ Von Asgard, der Götterburg, ist keine Spur mehr zu sehen. Doch Odin erkennt, wie die gefallenen Asen sich nach und nach auf der großen Wiese einfinden.

„Sie leben noch!“ ruft Odin verwundert. „Es sind die wenigsten“, antwortet die Volve. „Es sind die, die Glück gehabt haben.“ Odin erkennt Vidar und Wole und Thors Söhne Mude und Magbe. Sie haben Mjölner mitgebracht, den Hammer ihres Vaters. Auch der alte Huhne kommt angehinkt, und aus dem Totenreich Hels kehren Baldur und Hod zurück. Baldur führt seinen blinden Bruder an der Hand. Sie lachen, und im frischen Gras finden sie das uralte goldene Schachspiel der Asen wieder.

„Sieh nur!“ ruft die Volve voller Freude. „Auch in Mitgard gibt es einige, die sich wieder hervorwagen!“

Odin sieht ein einziges Menschenpaar, das den Untergang überlebt hat. Sie haben in einer Lichtung Schutz gefunden, an der der Feuersturm vorbeigezogen ist, und nach der großen Flut hat das Meer sie zurückgegeben. Lange war der Morgentau ihre einzige Nahrung. „Sie werden Kinder und Enkelkinder bekommen“, sagt Odin froh. Die Volve nickt. „Ein neues Menschengeschlecht wird die Welt bevölkern“, sagt sie.

Odin reibt sich die Augen. Er ist müde. „Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte?“ fragt er. „Nein, Herr“, antwortet die Hellseherin. „Jetzt sind meine Augen leer. Weiter in die Zukunft kann ich nicht sehen“ – „Du sahst weit genug.“ Die Volve verbeugt sich tief vor Odin. „So hat der Traum es mir gezeigt. So muss es geschehen.“ Odin steigt zu Pferde und reitet davon. Er trägt Mimes Haupt im Arm. Lange ziehen sie schweigend durch die sternenklare Nacht hin. Endlich fragt Mime: „Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?“ – „Ich weiß es nicht“, antwortet Odin. „Du weißt es nicht?“ – „Vielleicht ist es so“, sagt der Götterkönig, „dass ich nur das fand, wovor ich mich fürchtete? Am Ende hätte ich eher nach dem suchen sollen, was ich mir erhoffe?“ – „Mein Freund“, sagt Mime, „alles auf der Welt kann auf tausend verschiedene Weise enden.“ – „Nicht alles, was ich sah, war finster“, erwiderte Odin nachdenklich. „Es gab auch graue Nebelstreifen, und Licht, das durch die Wolken brach.“ – „Dann hätte es schlimmer kommen können.“ „Eines weiß ich ganz gewiss. Nichts von alledem ist bereits geschehen. Noch ist Ragnaök nichts weiter als ein böser Traum. Du hast recht. Der Möglichkeiten gibt es viele. Noch haben wir es in der Hand, sie zu finden…. Zu ändern, was zu ändern ist.“

Mime lächelt in der Dunkelheit. „Mein einäugiger Freund“, sagt er sanft. „Nie wirst du aufgeben!“ – „Nie!“ ruft Odin und drückt das struppige Riesenhaupt an seine Brust. „Nie!“

So reiten sie wortlos weiter, bis der Morgen graut.

Quelle: Website: nordische-mythologie.aktiv-forum.com

ergänzend

Yggdrasil

Der Weltenbaum der germanischen Mythologie ist eine der schönsten Schilderungen der verschiedenen Sphären der Existenz.Die Zweige der Esche breiten sich über die ganze Welt und reichen hinauf bis über den Himmel. Drei Wurzeln halten ihn aufrecht, eine reicht zu der … Weiterlesen

Wald- und Feldkulte: Der Baumkultus der Germanen und Ihrer Nachbarstämme

Mythologische Untersuchungen Vorwort.  Das vorliegende Buch, welchem demnächst ein zweiter Band „griechische und römische Agrarkulte aus nordeuropäischen Ueberlieferungen erläutert“ folgen wird, beginnt die Veröffentlichung einer Reihe von Vorarbeiten, die sieh dem Verfasser als erforderlich ergeben hatten, um zur Klarheit und … Weiterlesen

Der himmlische Lichtbaum der Indogermanen in Sage und Kultus.

Wenn die prähistorische Archäologie allmählich immer mehr einen gewissen homogenen Zustand der in Europa sich ausbreitenden und dasselbe eigentümlich kolonisierenden indogermanischen oder arischen Stämme in Bezug auf das häusliche Leben und die Anfänge gewerblicher Thätigkeit aufdeckt, so entsprechen dem auch … Weiterlesen

Julfesten

Das Julfest ist ein nordeuropäisches Fest der Wintersonnenwende. Es ist eines der 8 Jahreskreisfeste der alten Germanen. Wintersonnenwende – Das große germanische Fest Rauch von Holz und Harz liegt in der Luft ich atme ein den verlockenden Duft Yulezeit ist da, … Weiterlesen

Odins Rabenzauber (Hrafnagaldr Odins)

1 Allvater waltet, Alfen verstehn, Wanen wissen, Nornen weisen, Iwidie nährt, Menschen dulden, Thursen erwarten, Walküren trachten. 2 Die Asen ahnten übles Verhängnis, Verwirrt vom widrigen Winken der Seherin. Urda sollte Odhrärir bewachen, Wenn sie wüßte so großen Schaden zu … Weiterlesen

Atlantis, Edda und Bibel – 200 000 Jahre Germanischer Weltkultur

Hörbuch .Hier als pdf >   < Die Edda als pdf Wenn die “Edda” nicht in Ihrem Bücherschrank steht, dann können Sie sie hier herunterladen: “Edda” (PDF, 691 kB) Die Edda, das Buch der Götter und Heldensagen! Das Buch der … Weiterlesen

Die Indogermanen

Germanenherz aus dem Buch: Die Indogermanen – Ihre Verbreitung, ihre Urheimat und ihre Kultur (1905) Vorwort In diesem Buche habe ich beabsichtigt, eine knappe Übersicht über die Urheimat und Kultur der Indogermanen zu geben. Um die Urheimat zu bestimmen, mussten … Weiterlesen

Deutsche Mythologie – Der Götterglaube und Ort der Götterverehrung


Deutsche-Mythologie-Buchdeckel Der Götterglaube

Wie bei den Dämonen ist bei den Naturgöttern der Zusammenhang mit den zugrunde liegenden Naturerscheinungen gelockert, ja oft aufgelöst; der Glaube, daß es die großen Naturmächte sind, von denen Wohl und Wehe des menschlichen Daseins abhängt, ist mehr und mehr zurückgetreten. Die Götter sind zu wunderbarer Größe und Herrlichkeit gesteigerte Menschen, Idealbilder von Königen und Fürsten, von erstaunlicher Kraft und Weisheit. Wie Zeus, Hera, Apollo idealisierte Hellenen sind, so sind Wodan, Frija, Donar ideale Germanen. Eine bestimmte Rangordnung unter den Göttern gab es ursprünglich nicht; jeder war in gewissen Lebenslagen der Höchste, der Donnerer, wenn das Gewitter tobte, der Windgott, wenn es stürmte. Solch ein „Augenblicksgott“ ist ferner die Gottheit, die eine einzelne bestimmte Ernte schützt oder eine einzelne bestimmte Waffe zum Siege lenkt und eben in der Garbe, in der Lanze selbst wohnt. Sie entwickelt sich zu einer „Sondergottheit“, die nunmehr ein für allemal der Ernte, dem Kriege vorsteht, und wird schliesslich zu einem „persönlichen Gott“, der immer reicher und idealer ausgestattet wird und alle zusammen gehörenden „Sondergötter“ in sich vereinigt, Darum haften auch ethische Elemente den Götter anfangs nur locker und äußerlich an; *der Gewittergott ist wohl ein gewaltiger, kriegerischer Held und nur wenig von dem Gescblochte der Riesen unterschieden, aber leuchtende Reinheit und Erhabenheit einer höchsten sittlichen Kraft hat er ursprünglich nicht.

Darum konnte Civilis noch zu den Batavern sagen: die Götter stünden bei den Mutigsten (Hist. 417), und die Usipeter und Tencterer 125 Jabre früher: den Sueben kämen nicht einmal die unsterblichen Götter gleich (Caes. b. g. 4,). Solche Auffassungen können nur zu einer Zeit und bei Stämmen geherrscht haben, wo die Götter noch nicht zu allmächtigen Wesen aufgestiegen waren. Die spätere Zeit lehrt, daß mit dem Fortschreiten der Kultur die Götter als ihre Träger und Bringer gelten, daß es Wesen von höchster Sittlichkeit und Macht waren, daß ihnen die Vergangenheit und Zukunft kund war, daß sie, die Unbesiegbaren, das Geschick des Menschen daheim und im Felde entschieden und, durch das Los befragt, ihren Willen verkündeten: sie sind der Urquell des Rechtes, das sie geschaffen haben, das sie durch ihre Priester zu erkennen geben und im Gottesurteile zur Geltung bringen; sie haben die ewigen, unvergänglichen Gesetze in der Gemeinde- und Familienordnung gestiftet, und wie sie den Vorsitz im Gerichte führen, geleiten sie den Helden in den Kampf, geben Sieg, Verstand und Dichtkunst, Wissen und Weisheit; der Tod in der Schlacht ist ihr Werk, und er ist das höchste auf Erden zu erstrebende Ziel des Mannes; sie sind die Ahnherrn des germanischen Volkes und seiner Königsgeschlechter, kurz, sie sind die Spender alles Guten und Schönen, und sie triumphieren als die geistigen Wesen über die rohe Kraft. Darum greift auch der Götterkultus überall in das Leben ein, in das häusliche wie in das öffentliche, in das Heer- und Kriegswesen wie in Recht und Verfassung. Darum schicken die Stämme ihnen zu Ehren zu gemeinsamer Opferfeier Abgesandte, übertragen die Leitung einem Priester, der mit allen erforderlichen Gebräuchen vertraut ist, und bringen ihm das Höchste dar, was der Mensch zu geben vermag, ein menschliches Leben. Veredelnd dringt der Götterglaube auch in die Dichtkunst, die Schwester der Religion, die wie diese in den tiefsten Tiefen der menschlichen Natur wurzelt.

Die Gestalt und das Aussehen der Götter wird zum Idealbilde menschlicher Schönheit, ln der Urzeit wurden sie nackt gedacht; die deutschen Wolken- und Wassermädchen haben, wie die Wassergeister, die Maren und Elbe, un-verhüllten Körper, sind aber oft von berückender Schönheit. Das Heldenzeitalter der deutschen Stämme denkt sich seine Götter als Helden ohne Gleichen, von kraftvoller, männlicher Gestalt, die Göttinnen als hehre Königinnen, als Muster häuslicher Tugenden, oft auch als reisige Jungfrauen. Eine Brünne umschließt die edeln Glieder, ein Helm bedeckt das Haupt, die Hand führt Lanze und Schwert, sie tummeln das mutige Roß oder fahren auf einem dröhnenden Wagen. Ein Offizier des Tiberius, Velleius Paterculus, erzählt, daß ein deutscher Greis den waffengeschmückten römischen Imperator für einen Gott gehalten habe. Auf einem Einbaume war er über den Strom an das römische Lager herangerudert, betrachtete lange schweigend den Kaiser und rief dann aus: „Heute habe ich, o Cäsar, die Götter gesehen, von denen ich früher nur gehört hatte.“ Unverwandten Blickes auf ihn zurück schauend fuhr er über den Strom zu den Seinen zurück. (Histor. rom. 2,107).

Man darf nicht hinter jedem Attribute eines Gottes einen besonderen Naturgrund suchen, den Gott gleichsam als Allegorie auffassen. Wenn der Donner in den Lüften grollte, sagte man in alter Zeit: „Nun fährt der Alte wieder da oben und haut mit seiner Axt an die Räder“; die Ähnlichkeit des rollenden Donners mit dem Getöse eines rollenden Wagens führte von selbst dazu, dem Donnergotte einen Wagen zu geben. Der Blitz spaltete die Bäume und Felsen; das konnte der Gewitterherr nur mit einer Waffe tun, die dem Menschen selbst bekannt war; man gab ihm also die rohe Baumkeule oder den steinernen Hammer, beides Waffen, die auf den ältesten Kulturzustand zurückgehen. So gibt Tracht und Ausstattung der Götter einen Anhalt, das Alter gewisser Vorstellungen zu bestimmen.

Als Gebieter über die verschiedenen Elemente führten die Götter verschiedene Beinamen: als flammender Sonnengott hieß Tius z. B. Istwio, als die wandelnde hieß die Sonne Sintligunt, als Göttin der Fülle und des Reichtums Fulla. Diese Epitheta, die die charakterisehen Merkmale und die hervorstechendsten Äußerungen der göttlichen Macht wiedergehen, lösten sich von dein höheren Wesen ab, dem sie angehörten, und erwuchsen zu einer selbständigen Persönlichkeit (Hypostase); sie verleugneten die alte Naturgebundenheit, konnten sich lebendiger entwickeln als diese und machten den ethischen Fortschritt zur freieren Beweglichkeit menschlicher Charaktere. Durch die Hypostase geschah erst die eigentliche Bevölkerung des Götterhimmels, hauptsächlich sie führte zum Polytheismus. Durch sie wurden die Mythen manigtaltiger, sie gaben den reichsten Stoff zur religiösen Dichtung, und da der eine Stamm diese Machtäußerung und diesen Beinamen höher schätzte als der andere — z. B. betonten die Seestämme das geheimnisvolle Erscheinen des Himmelsgottes Tius Ingwio, die Binnenstümine seine furchtbare Gewalt und Erhabenheit unter dem Namen Tius Irmino —, knüpfte sich an diese neuen Göttergestalten der Kultus der Sakralverbände, der Amphiktyonien, an.

Der Grundstock der germanischen Mythen sind Naturmythen, bildlich-poetische Beschreibungen von Naturvorgängen aus der Heidenzeit, die die Götter oder die Dämonen vollbringen und erleiden. Solche Mythen sind ursprünglich nur ganz kurz gehalten, nicht weil die Phantasie des Forstellens und die Kunst des Erzählens versagte, sondern weil der von der Natur überlieferte Stoff sich eigentlich mit schlichten, kurzen Vergleichen zufrieden stellen mußte, z. B. der Sieg der Sonne, die Gewitterschlacht, das Auftauchen des Zwielichtes. Durch das Verhältnis der Götter und Dämonen untereinander sowie zu den Gestalten des Seelen- und Marenglauben» entsteht eine verschlungenere Mythenbildung. In ihr ist nicht immer ohne weiteres das Bild eines längeren, verwiekelteren Naturvorganges zu sehen, sondern nur die Elemente spiegeln die Natur wieder, ihre Verbindung ist oft ein Work der frei schaffenden Phantasie und Dichtung. Das Bedürfnis nach dichterischer Ausschmückung und Abrundung sucht nach Motiven, nach wirkungsvollem Anfang und Abschluß. Eine Zeit, die höhere Göttergestalten bildete, besaß schon eine Fülle von Geschichten aller Art, Ausgeburten einer fabuliert listigen Phantasie, Märchen und novellistische Ansätze. Sie flogen umher wie Spinnefäden im Herbste, die sich bald an einen Baum, bald an einen Busch, bald an einen Menschen ansetzen, schlossen sich an die Mythen an und wiesen auch den Göttern in ihnen eine Rolle zu.

Einen großen Teil der Motive zum Aufbau der Göttersage haben die Märchen geliefert, und manches Märchen mag aus einem Mythus entstanden sein, aber der Schluß war voreilig, in allen Märchen verblaßte Göttermythen zu sehen. Andererseits kann nicht geleugnet werden, daß die Gestalten des Volksglaubens, die Riesen und Zwerge, die Wichtelmänner und die Nixen, wie auch die Hexen und selbst die alte Volksgöttin Frau Holle in Märchen noch deutlich und klar erkennbar sind. Bekannt ist das Märchen „der junge Riese “(K. H. M. Nr. 90): Er ist anfänglich so groß wie ein Daumen, wächst aber später und wird groß und stark nach Art der Riesen. Er zerbricht einen Stab so lang und schwer, daß ihn acht Pferde kaum fortschaffen können, und schlägt das Eisen auf den Amboß, daß er in die Erde sinkt. Als er auf den Grund eines Brunnens heruntersteigt, um ihn zu reinigen, werden Mühlsteine auf ihn hinabgeschleudert, um ihm den Kopf einzuschlagen; aber er ruft: „Jagt die Hühner vom Brunnen weg, die kratzen da oben im Sande und werfen mir die Körner in die Augen.“ Beim Heraufsteigen sagt er: „Seht einmal, ich habe doch ein schönes Halsband um“, da war es ein Mühlstein, den er um den Hals trug. — Lange Zeit hat dieses Märchen als eine verblaßte Erinnerung an den Siegfriedmythus gegolten, wozu besonders der Umstand beitrug, daß der Held des Märchens wie Siegfried den Amboß in den Grund schlägt. Aber dieser Zug ist erst aus dem Märchen in die Heroensage eingedrungen; das Märchen seihst beruht durchaus auf den Vorstellungen des Dämonenglaubens, wie schon das Heranwachsen des Däumlings zu einem Riesen zeigt (S. 107). Noch immer sieht übertriebener Eifer in dem Knüppel, der jeden unbarmherzig durchbleut, Wodans sieg-und glückverleihenden Speer, oder in dem Tischchen die nährende Mutter Erde, in dem Golde, das der Esel speit, die goldenen Strahlen der Frühlingssonne oder den goldenen Emtesegen, in dem rotbärtigen Sehreiner, Müller und Bauern Repräsentanten des alten Donnerers (K. H. M. Xr. 36; S. 99).

Die Wiederbelebung und Befreiung der erstorbenen, frostumfangenen Vegetationskraft der Erde durch den Jahres- und Lichtgott scheint allerdings im Märchen von Dornröschen wiederzukehren (K. H. M. Xr. 50), die Ähnlichkeit ist zu überraschend groß, als daß sie durch einen aus Griechenland — Sizilien eingeführten Mythus von der „sprossenden“ Thalia erklärt werden könnte; das deutsche wie das griechische Märchen beruhen vielmehr auf derselben mythischen Grundlage, dem Zusammenhänge von Wärme und Licht mit Blühen und lieben (vgl. aber S. 122). Die gleiche alte Xatursymbolik enthalten die Märchen von Rapunzel und Sneewittchen (K. H. M. Xr. 12, 53). Die Frage, ob die Inder die eigentlichen Schöpfer des Märchens seien, das von hier seinen Siegeszug über die ganze Welt angetreten habe, oder oh die Gleichartigkeit der Märchen aus der Gleichartigkeit der primitiven Veranlagung des Menschengeschlechtes herrühre, kommt für die Mythologie nicht sonderlich in Betracht. Jedenfalls steht unser Märchenschatz mit dem heimischen Sagenschatz in inniger Verbindung.

Eine mythische Deutung der Heldensage wird von der Forschung unserer Tage fast allgemein abgelehnt. Während man früher in den Helden „verblaßte Götter“ gesehen, dann dieso Ansicht dahin eingeschränkt hatte, daß kleine Geschichten mit ursprünglich naturmythischer Grundlage auf menschliche Helden übertragen seien, daß die Heldensage also durch eine Mischung von Mythus und Geschichte entstanden sei, schreibt man jetzt der freischaffenden Phantasie und dichterischen Ausdrucksweise den wesentlichsten Anteil an der Bildung der Heldensage zu: meist nur Xamcn, kaum der allgemeine Umriß eines großen historischen Ereignisses stammen aus der Geschichte, die Fabel aber, der Inhalt sei rein poetische Schöpfung der Pliantasie, eine Wanderfabel ohne mythische Grundlage und von unbestimmbarer Herkunft. Die Heldensage kann also nicht mehr als Quelle deutscher Mythologie verwertet werden.

Altmythische Vorstellungen sind aber in der Volkssage und dem Volksaberglauben des Mittelalters und der Gegenwart erhalten. „Überlebsei“ (survivals) nennt man allerhand Vorgänge, Sitten und Anschauungen, die durch Gewohnheit in einen neuen Zustand der Gesellschaft hinübergetragen sind, der von dem verschieden ist, in dem sie ursprünglich ihre Heimat hatten; so hleiben sie als Beweise und Beispiele eines älteren Kulturzustandes, aus dem sich ein neuerer entwickelt hat.

Die ethnographisch – anthropologische Betrachtung von Sitte und Sage zeigt, daß die unendliche Mannigfaltigkeit vom Rohesten bis zum Idealsten in Glauben, Sitte und Gewohnheit aus derselben Wurzel entsprossen ist, daß hinter den Vorstellungen auch der zivilisiertesten Völker dieselben rohen Entwickelungsstufen auftauchen, die wir noch heute bei den sogenannten wilden Völkern finden, daß die einfachsten Naturerscheinungen der niederen Mythologie die allgemein menschlichen Keime und Grundelemento enthalten, aus denen erst eine, immer mehr ideal-ethisch sich entfaltende nationale Mythologie entsteht (S. 47, 95).

Das Leben der Wilden, das die längst überwundene Periode der Steinzeit bis auf unsere Tage fortsetzt, repräsentiert den ursprünglichsten, uralten geistigen und sittlichen wie materiellen Zustand des Menschengeschlechtes; daher vermag die Religion der Wilden häufig Lehren und Gebräuche eines zivilisierteren Glaubens zu erklären. Das Studium der Uberlebsel zeigt überall eine Entwickelung nach dem Höheren hin und erklärt, warum das, was in der niederen Kultur ein verständlicher religiöser Glaube ist, sich häufig als sinnloser Aberglaube in die höhere Kultur hinein fortsetzt Der im Volke fortlebende Volksglaube ist also nicht ein entarteter Niederschlag eines alten Götterglaubens, sondern die in ihm auftretenden Götter sind nur als eine Art Natunvesen, noch nicht als reine Götter anzusehen. Der Wode als Schimmelreiter ist in der deutschen Sage ein dämonisches Wesen, der wähle Jäger, die wähle Jagd ein nächtliches Schattenbild, das sich als urgcrmanisch erweist.

Allen Germanen gemeinsam ist die Vorstellung des auf weißem Rosse dahinjagenden Sturmes oder des ewigen Wanderers, der im Gewitterzuge auch zu Fuß dahinschreitet, den Wolkenhut tief in die Stirn gedrückt, aus der im zuckenden Blitzstrahl sein finsteres Auge leuchtet. Aber der Schluß ist verfehlt, daß Wodan nicht hei allen Stämmen, besonders nicht hei den oberdeutschen, als eigentliche Gottheit verehrt sei. Die dämonischen Züge, die er von Anfang an besaß, werden im Glauben des Volkes gewiß stärker hervorgetreten sein als in dem der Adligen und Priester, und sie konnten sich um so leichter erhalten, als die Bekehrer im allgemeinen ihre Angriffe nur gegen die höhere Mythologie richteten.

Wertvolle Quellen der deutschen Mythologie sind außerdem die Personen- und Ortsnamen, Tier-, Pflanzen-, Wochentags- und Monatsnamen, die Runeninschriften, die ahd. Glossen und die Inschriften auf Weihsteinen von deutschen Söldnern im römischen Dienste. In ihnen werden die Gottheiten entweder mit einem heimischen Namen oder Beinamen bezeichnet, oder es wird der Name der römischen Gottheit beigesetzt, mit der die deutsche verglichen wurde. Steht dieser letztere Name allein, so ist für uns die eigentliche Bedeutung meist gar nicht mehr oder kaum noch erkennbar. Durch die Ausbeutung der inschriftlichen Denkmäler zeigt sich der taciteische Götterkreis erweitert; alle Versuche, diese Funde für eine Darstellung der deutschen Mythologie mit den übrigen Nachrichten zu vereinigen, hauen sich auf der etymologischen Deutung der inschriftlichen Namen auf; es sind hauptsächlich Probleme sprachlicher Art. Einige Altäre sind mit Bildern geschmückt wie der des Mars Thingsus und mehrere, die der Nehalennia errichtet sind. Den Gottheiten sind auf ihnen Attribute beigegeben; wenn auch die Ausführung durch römische Künstler erfolgte, so müssen diese Beigaben doch germanischen Glauben wiederspiegeln, denn die etwa nach römischer Auffassung eingemeißelten Zeichen hätten für den Germanen keinen Sinn gehabt. Das beweist ein Tins- oder Wodansbild auf einer Jnppitersäule, denn Juppiter ist niemals zu Pferde und nie bartlos dargestellt. Dieser Gegensatz zur römischen Darstellung zeigt, daß die Germanen den Gott auch nach ihrer Auffassung abgebildet sehen wollten.

Unter den Berichten des Altertums ist die Germania des Tacitus die Hauptquelle. Der erste Römer, der nach eigener Erkundigung von germanischen Göttern berichtet, ist Cäsar: „die Germanen rechnen zur Zahl der Götter nur die, die sie sehen, und durch deren Segnungen sie offenbar gefördert werden, Sonne, Vulcan und Mond; von den übrigen haben sie nicht einmal durch den Mythus (fama) vernommen“ (b. g. 621 )• Von Cäsar stammt die interpretatio Roniana her, denn er konnte sie von niemand übernehmen, Tacitus fand sie vor und verbesserte sie. Diese Verdolmetschung geschah nicht nach Namensähnlichkeiten oder nach der inneren physikalischen Bedeutung der Gottheiten, sondern nach den Äußerlichkeiten ihres Kultus und der Ähnlichkeit der Gesamtvorstellung, die man von ihnen hatte. Die Angaben Cäsars und des Tacitus stimmen offenbar nicht zueinander; nicht nur ist Tacitus viel besser über den deutschen Glauben unterrichtet, sondern in einem Punkte wenigstens ist Cäsars Mitteilung falsch, daß nämlich die Germanen nur Sonne, Mond und Feuer angebetet hätten.

Tacitus erwähnt leibhaftige Götter der Germanen, unter römischen Namen: Mars (Tius), Mercur (Wodan), Hercules (Donar), Castor und Pollux (die Söhne des Tius?), Isis (Nehalennia); unter Beibehaltung der deutschen Namen: Tuisto, dessen Sohn Mannus, sowie die Nerthus. Tacitus redet nachdrücklich von Helden und Abkömmlingen der Götter (Germ. 2), von dem Gotte, der den Krieg lenkt (Germ. 7), von den Namen der Götter, nach denen die heiligen Haine benannt wurden (Germ. 9), von dem Priester, der keine Weissagung beginnt, ohne die Götter anzurufen (Germ. 10) und sich für den Diener der Götter hält (Germ. 10), von dem allwaltenden Gotte (Germ. 39), von den Göttern der Germanen (Hist. 517), die auf sie bemiederblicken, von den heimischen Göttern, denen zu Ehren die römischen Adler in den Hainen aufgehängt soien (Ann. l5tt), von den heimischen Göttern (Ann. 2l0, 11,«) und von den gemeinsamen Göttern (Hist 4M).

Cäsar sagt, „die Germanen kümmern sich nicht viel um Opfer“ (621), Tacitus weiß um so mehr darüber. Ja, Cäsar widerspricht sich zwei Bücher vorher selbst (47, 8. 178). Die drei Zeilen, die er dem religiösen Leben unserer Almen widmet, werden also dem germanischen Götterglauben durchaus nicht gerecht. Der geniale Feldherr hatte für das geistige Leben seiner gefürchteten Gegner kein Verständnis, seine Berührungen mit ihnen sind allerdings nur flüchtig gewesen. Wie hätte er sonst die hübsche Jägergeschichte als Wahrheit wiedergeben können, daß die Germanen die Alcen — eine Art Rehe mit stumpfen Hörnern und mit Beinen ohne Gelenkknoten und Gliederung — dadurch erlegen, daß sie die Bäume anhauen: an diese lehnen sich dann die Tiere an, werfen sie um und stürzen .mit ihnen nieder! (627). Alle Bemühungen, hinter Cäsars Sol, Luna, Vulcan deutsche Götter zu suchen, müssen vergeblich sein. Bei Luna hat man an eine nur inschriftlich bezeugte Göttin Haeva oder Alaiteivia gedacht, bei Vulcan an Donar, bei Sol an Tius. Nur das ist vielleicht außer der Dreizahl, die echt sein wird, der wahre Kern seiner Angabe, daß die Germanen die segnenden Mächte des Himmelslichtes verehrten; die beigefügte Interpretatio soll nur verdecken, wie ungenügend er über Einzelheiten des germanischen Götterglaubens unterrichtet war.

Noch 150 Jahre nach Cäsar erkennt man aus der Schilderung des Tacitus deutlich, daß bei den Germanen der Lichtkultus vorherrschte. Als der König der Ansivaren Boiocalus die Römer flehentlich um Fand für sein Volk anrief, blickte er zur Sonne und den übrigen Gestirnen empor und fragte sie, wie wenn sie zugegen wären, ob sie Verlangen trügen, den menschenleeren Boden anzuschauen (Ann. 1355). Aber nichts ist charakteristischer für die göttliche Verehrung, die die Germanen den Mächten des Lichtes erwiesen, als das Aufkommen Wodans. Der nächtliche Sturmgott entthront den Gott des strahlenden Himmels und Tages Tius, aber er bleibt nicht mehr der Gebieter der Nacht und des Todes, sondern ist selbst zum leuchtenden Himmelsgotte geworden, von dem nicht nur die materielle, sondern vor allem die geistige Kultur herrührt, höheres Wissen und Dichtkunst. Das Aufsteigen Wodans mußte eine Umwälzung hervorrufen, die als die größte zu bezeichnen ist, die der deutsche Geist in der Urzeit durchgemacht hat.

Tacitus hat für seine Germania (98) ohne Frage die Werke seiner Vorgänger benutzt, Casars Kommentare zuweilen mit wörtlicher Übereinstimmung; er bezeichnet seine Quellen mit „einige sagen“ (quidarn dieunt). Ob er aber aus eigener Anschauung beschreibt, ist nicht nachweisbar; er selbst beruft sich nie darauf. Daß er als Befehlshaber einer Legion am Niederrhein oder Statthalter der Provinz Belgica seine Kenntnis der germanischen Verhältnisse erworben habe, ist nicht ganz unwahrscheinlich. Die Meinung, Tacitus habe als Reisender in germanischen Hallen Ale getrunken und zugleich Nachrichten gesammelt, nennt Gustav Frey tag selbst eine „fröhliche Vermutung“. Daß trotzdem vieles den Eindruck des Selbsterlebten macht, beruht auf den Mitteilungen seiner Gewährsmänner, die Augenzeugen gewesen sein müssen. Über die Völker vom Rhein bis zur Elbe wird genau berichtet; wTas von den Verhältnissen jenseits der Elbe und im Norden handelt, klingt mythenhaft (cetera iam fabulosa K. 46). Gewiß hat er auch die römischen Archive durchgearbeitet, in denen Berichte über Land, Stämme, gesellschaftliche Verhältnisse, Gebräuche und Religion der Germanen aufgehäuft waren. Aus Deutschland zurückkehrende Kaufleute, Offiziere, und Beamte, germanische Gefangene und flüchtige Häuptlinge werden die schriftlichen Quellen ergänzt haben. Sobald er sich aber auf seine germanischen Gewährsmänner verließ, wurde das Geschichtliche seiner Beschreibung gefährdet.

Denn die Germanen kannten noch nicht wie die Griechen und Römer die scharfe Grenzlinie zwischen wirklicher und mythischer Ethnographie und Geographie. Für sie lag wirklich das Reich der Riesen, der Etiones, im Norden, für sie waren die Gestalten der wilden Jagd, der Elbe, Mahren und Wildfrauen leibhaftige Wesen mit Fleisch und Blut — Tacitus aber faßt diese mythischen Namen als Bezeichnungen von Völkern auf und redet von Ellusii, Etiones und Harii (S. 146, 157; s. u. Wodan). Dem gläubigen Germanen waren diese Phantasieländer und Völker Wirklichkeit, und sollten sie dem wißbegierigen Römer von ihren fernen Ländern und Grenzen erzählen, so mußten sie auch davon berichten. Trotz dieser und anderer Mißverständnisse behält die Germania als Quelle für den Glauben und Brauch unserer Vorfahren den Wert, daß sie zuerst in größerem Umfange eine Schilderung des religiösen Lebens gibt vor jener tiefgreifenden Umwälzung, wo die Überlegenheit des alten Kulturvolkes auch auf diese germanischen Verhältnisse einwirkt, und daß bereits bei ihm das Geheimnisvolle und die enge Verknüpfung mit dem Leben des Stammes als besonders charakteristische Merkmale der deutschen Religion hervorgehoben werden.

Wieviel von den religiösen Vorstellungen der Germanen indogermanischer Urbesitz gewesen ist, läßt sich kaum entscheiden. Nur das läßt sich vielleicht sagen, daß sie aus der Urheimat bereits .den Lichttkultus, die Verehrung der segnenden Mächte des Himmels, mitgebracht haben. Die höheren Götter der Indogermanen waren als himmlische Wesen gedacht (deivos). Eins dieser Himmelswesen war der „Vater Himmel“ selbst, DiCus; der blitzbewehrte, heldenhafte Gewittergott; vielleicht das in der Gestalt göttlicher, in Heldenschönheit prangender Jünglinge verehrte Zwielicht und die Morgenröte. Die wilden Waldleute, Maren, Elbe und Wasserfrauen lassen sich ebenfalls in das indogermanische Altertum zurückverfolgen. Von den Mythen, die die Tuten und Erlebnisse dieser Götter erzählen, sind uralt: der Mythus von dem Drachensiege des Himmelsgottes, vom Donnergott und von der Mutter Erde, von den Ehen göttlicher Wesen mit den sterblichen Menschen. Sogar der Kultus des Hhumelsgottes reicht in die Urzeit zurück (s. u. Tius), ebenso besondere Formen des Gottesdienstes, Zaubersprüche,. Notfeuer, Menschenopfer und Ansätze zur Bildung eines Priesterstandes. Nicht nur sprachliche Gleichungen wie idg. Dious, aind. Dyaus, gr. Jisvg = Zevg, lat. Juppiter, Jovis, urgcrm. *Tiwaz, got. Tius, ahd. Ziu, an. Tyr „glänzend, himmlisch, Gott“, und idg. deivos, aind. devas, altir. dia, lat. divus, urgerin. *tiwöz, an. tlvar, „die Lichtgötter“, inschriftlich Alateivia, sondern auch die ältesten Zeugnisse bestätigen einen Lichtkultus der Germanen.

Unter dem heitern Himmel südlicher Länder war die Vorstellung eines leuchtenden Himmelsgottes und seiner lichten Söhne entstanden; unter dem grauen Himmel Deutschlands mußte diese Gestalt zurücktreten. Der trübe germanische Himmel erzeugte das Bild eines Mannes, der den breiten Hut tief über das Gesiebt zieht, den Gott Wodan. Die harte wirtschaftliche Arbeit schuf den freundlichen segensreichen Bauerngott Donar. Der Hauptgott selbst sank zum Kriegsgott herab; aus dem donnerfrohen Götterherrscher Juppiter wird Mars. Aber auch die andern Götter werden schwert-und kriegsfrohe Hecken, wie auch die Wolkenfrauen als Wodans Dienerinnen, als Walküren, die Streitrüstung anzogen.

Die Germanen zerfallen, vielleicht auf Grund uralter Scheidung, in Ost- und Westgermanen. Zu den Ostgermanen gehören die Skandinavier (ostnordisch: Schweden, Dänen; westnordisch: Norweger, Isländer) und die vandiliseh-gotischen Stämme (West- und Ostgoten; Vandalen: Burgunder, Heruler, Skiren, Kugier, Nahanarvalen). Zu den Westgermanen gehören die Ahnen der Deutschen, Niederländer und Engländer; nach uralter Stammsage ist ihre Einteilung in drei größere Gruppen überliefert, die Istwäonen, Ingwäonen und Herminonen. Die Existenz von diesen vier, resp. fünf Stämmen, wenn man die Skandinavier als besonderen Stamm, als die Nordgennanen, auf faßt, steht durch Plinius und Tacitus fest. Die Ingwäonen haben wir in den Eroberern Englands und ihren deutschen Verwandten; sie wohnen dem Ozean am nächsten; die Friesen gehören zu ihnen und höchst wahrscheinlich die Ixmgolmrden. Die Istwäonen sind die späteren Franken; die Herminonen, die Bewohner des Binnenlandes, sind teils die Thüringer und Hessen, teils die Schwaben = Alemannen. Die vandiliseh-gotischen Stämme haben wir in den Bayern und Österreichern, doch nicht unvermischt.

Als die Hörner die Germanen kennen lernten, zerfielen diese in eine Unzahl kleinerer politischer Gemeinwesen. Aber verschiedene Völker, die staatlich getrennt waren, sahen sich dennoch als einen Stamm an. Was hielt sie also zusammen? Die Religion war das einigende Band: sie verehrten eine Stammesgottheit, zu deren Feier sie an großen Festtagen in Scharen herbeieilten. Es waren also Kultverbände, die alljährlich, als eine große Familie und Blutsverwandtschaft sich betrachtend, zu einer gemeinsamen Feier in einem Stammes-tempel sich vereinigten und ihre Gemeinschaft bei einem blutigen Opfer erneuerten. Von allen vier Stammeskulten haben wir genaue Berichte (Germ. 40; Ann. l5l; Germ. 39 und 9, Germ. 43). Seit der Mitte des 3. Jhds. stellen sich jene religiösen Verbände plötzlich auch als politische Verbände dar, die früheren Priestergeschlechter an den Stammestempeln stehen an der Spitze erobernder Heeresmassen, die alten Amphiktyonien werden organisierte Gemeinwesen: so sucht man die Entstehung der drei Stämme der Franken, Sachsen und Alemannen zu erklären, zu denen sich als vierter die Bayern gesellen.

Die Götter der Westgermanen sind die eigentlich deutschen Götter. Aber eine deutsche Mythologie als Ganzes in der geschichtlichen Zeit gibt es eigentlich nicht; es gibt nur eine Anzahl von Kultkreisen, wenn sich auch die Verehrung einzelner Götter über ganz Germanien erstreckt. In historischer Zeit steht kaum ein Gott in gleichem Ansehen bei allen Stämmen. Das sächsische Taufgelöbnis z. B. „ich entsage dem Thunaer und Woden und Saxnöt“ zeigt, daß bei den Sachsen nicht Woden und nicht Tius die erste Stelle in der Göttertrias einnehmen, sondern der Gewittergott ; die Angabe des Tacitus (Germ. 9) „von den Göttern verehren die Gennanen am meisten den Wodan“, findet also für die Sachsen keine Anwendung. Die Darstellung müßte also von den Zeugnissen des Pytheas, Cäsar und Tacitus ausgehen, die Inschriften und dann die Nachrichten aus der Völkerwanderung folgen lassen; gesondert wäre Glaube und Brauch der rhein-anwohnenden Germanqn, der Nord- und Ostseevölker und der im Innern Deutschlands seßhaften Stämme sowie der vandilisch-gotischen Völker zu betrachten, und auch hier wäre noch zwischen mittelbaren und unmittelbaren Zeugnissen zu scheiden. Aber eine solche Darstellung würde nimmermehr ein einheitliches Bild ergeben, fortwährende Wiederholungen würden sich lästig machen, und ein Überblick würde doch nicht erreicht. Werden nur die Überlieferungen in der Zeit und an dem Orte festgehalten, wo sie entstanden sind, so kann eine Entstellung und Fälschung des zu entwerfenden Bildes nicht erfolgen.

Ort der Götterverehrung

Germanenherz odinknot and runen Um den häuslichen Herd versammelte sich die Familie zum Opfer und Gebet, Der Hausvater war der Priester, der Herd der Altar, das Haus der Tempel. Aber auch außerhalb der Behausung, in der freien Natur nahte sich die Gottheit dem Menschen und nahm Verehrung, Spende und Gelübde an. Für den einzelnen, wie besonders für die größeren Verbände lagen Opferstätten im Walde, unter Bäumen, auf Auen und Wiesen, an Brunnen, Quellen, Teichen und Flüssen, auf Bergen und Hügeln, bei großen Steinen und Felsen. Je zahlreicher die Versammlung besucht wurde, und je länger die Beratung dauerte, um so mehr machte sich das Bedürfnis nach einem festen Gebäude geltend, das die Menge vor der Unbill des Wetters schützte. Und wie im Laufe der Zeiten eine bestimmte Person mit der Leitung des Thinges und des damit verbundenen Götterdienstes betraut wurde, so gestaltete sich das Thinggebäude zum Tempel um.

Der Gott des in Thing und Heer versammelten Volkes war Tius Thingsus; ihm waren vermutlich die ältesten Tempel geweiht. Aber auch bei den Kultzentren werden sich bald Tempel erhoben haben. Ursprünglich waren die Tempel ganz einfach angelegt, vielleicht aus Holz und Zweigen zusammengefügt, dann aber auch aus Steinen errichtet. Die Worte Gregors „sind die ags. Tempel gut gebaut, so weihe man sie zu christlichen Tempeln um“ (S. 329), lassen an einen festen Bau denken. Die kleineren Tempel, die zum Privatgebrauche Einzelner, wie für die kleineren Dörfer dienten, waren natürlich kunstloser angelegt; in einem hüttenartigen Häuschen stand das Götzenbild oder hingen die Symbole und wurden die Opfergeräte auf bewahrt. Ahd. plöstarhüs, plözhüs bezeichnet ein solches Opfergebäude, und mancher, der den Christenglauben nur äußerlich angenommen hatte, suchte es noch heimlich auf. Darum verbietet der Indiculus solche kleine Tempel* chen (No. 4: de casulis id est fanis).

In jedem Dorfe, als dem Zentrum der Dorfmark, war der zur „Sprache“ der Gemeindeangelegenheiten geeignete Platz (Mal = Sprache, Beredung; Malstätte) zugleich die Kultusstatt oder der Tempel des Ortes, der mit Bäumen, meistens mit Linden umsäumt war. In diesem heiligen Baume des Dorfes wohnte die schützende Gottheit; darum ward er bei festlichen Gelegenheiten feierlich geschmückt und umtanzt. Noch heute finden sich solche heiligen Bäume in der Nähe von Kirchen, und Wirtshäuser daneben tragen noch oft den Namen „Zur Linde“, „Zur Tanne“ usw. Opferquellen erwähnt der Indiculus (Nr. 11: de fort-Uhus sacrificimum).

Die gallischen nnd spanischen Konzile verboten im 6., 7. und 8. Jhd. in formelhaften Erlassen den heidnischen Götzendienst in Wäldern und an den Wassern, und für Deutschland werden sie dann wiederholt. Rückfall ins Heidentum ist es, wenn jemand an einer Quelle betet (Homil. de eaeril.) und bei Burchard von Worms fehlt die Beichtfrage nicht, ob jemand an Quellen, Bäumen, Steinen oder Kreuzwegen gebetet, Brot oder irgend ein Opfer zu den Quellen gebracht, ein Licht oder eine Fackel angezündet, oder dort gegessen habe. — Die Alemannen verehrten Bäume, Flüsse, Hügel und Schluchten, denen sie Pferde, Stiere und unzählige andere Tiere opferten (Agathias 17; für die Franken vgl. S. 358). Die Sachsen widmeten den Laubbäumen und Quellen Verehrung (Rud. v. Fulda), und die Bewohner des Gau Faidara in Holstein, die nur dem Namen nach Christen waren, erwiesen den Wäldern und Quellen abergläubischen Dienst (Helmold, Chron. Slav. 1*7). Nur schweigend schöpften die Friesen das Wasser aus der Herrmann, Deutsche Mythologie. 2. Aufl. 26 dem Foseti geheiligten Quelle, sie war zugleich das AmphiIctyonenheilig-tum, und ein Tempel erhob sich neben ihr.

Heilig, geweiht und heilbringend waren alle Quellen, besonders die nie versiegenden, wasserreichen, die auch im Winter nicht zufroren und als heilsam für Gesunde und Kranke galten. Manche Brunnen heißen noch heute Heiligenbrunn, Wihborn. Eine Quelle gehörte zu der Stätte des Gottesdienstes, die gewöhnlich unter Bäumen oder ganz im Walde lag, oft genug mag sie der Ausgang der heiligen Anlage gewesen sein. Oft wird auch ein kleiner Holzbau, zur Reinhaltung der Quellen und Brunnen, über dem Wasserspiegel errichtet sein. Bei den großen Jahresfesten warf man mit Blumen geschmücktes Gebäck in die Quelle, schrieb ihr sühnende, heilende und weissagende Kraft zu und trank schweigend von dem heilawäc, d. h. dem zu bestimmten heiligen Zeiten geschöpften Wasser. An den Ufern des Flusses, am Rande der Quelle stellte man Opfergaben hin und zündete hauptsächlich abends und nachts Lichter an, nicht nur um durch die in der Flut scheinende Flamme den Schauer der Anbetung zu erhöhen, sondern die Fackeln und Kerzen an Bäumen und Quellen sollten die himmlische Szenerie nachahmen, die von Blitzen durchleuchteten Wolken.

Auf den Bergen lassen sich die Wolken nieder, aus ihnen bricht der Wind hervor, mit ihnen vermählt sich der Donnergott im Gewitter. Die Wolkengöttiu, der Wiudgott Wodan und Donar genossen hier besondere Verehrung (z. B. Wodenes-berg, Donnersberg usw.; S. 241, 262). Berge sind von alters her bei allen Völkern beliebte Opferstätten; auf ihnen glaubt die kindliche Vorstellung der im Himmel thronenden Gottheit näher zu sein. Unter den Felsen wohnen die Elbe und ZwTerge, hausen die Seelen der Verstorbenen. Das Verbot des Eligius und Martin von Bracara, die Opfer betreffend, wiederholt der I ndi cu 1 u s (Nr. 7: de sacris quae jaciunt super pe(ras), und noch im 11. Jhd. eifert Burchard gegen die Gelübde an Steinen.

Aber als die wichtigsten Kultstätten galten die heiligen Haine. Bei Griechen, Römern und Germanen findet sich der Glaube an das Leben des Baumes, die Baumseele (S. 20). Der Baum wächst, trägt Früchte, verwelkt, stirbt wie der Mensch. Darum vergleicht ihn kindlicher Glaube den lebenden Wesen. Viele Bäume bluten wie die Menschen, wenn sie der Schlag der Axt trifft. Wald und Hain beleben sich mit Waldgeistern und Wildfrauen. Darum suchte man auch den Sitz der unsterblichen Götter in den Bäumen. Wälder und Haine sind die Tempel, die die Natur selbst den Göttern errichtet hat. „Hätf es nie in deinen Zweigen, heil’ge Eiche, mir gerauscht0, ruft Johanna aus, deren empfänglichem Gemüte „in der Eiche Schatten“ die Mutter Gottes erschienen war. Scheffel singt: „Ehre und Preis sei dem Bauherrn der Welt, der sich als Tempel den Wald hat bestellt!“ Auch die Sprache lehrt, daß Tempel zugleich Wald ist; die ältesten Bezeichnungen dafür können sich von dem Begriffe des heiligen Haines noch nicht loslösen und schwanken zwischen lucus und fanum. Ahd. paro, ags. bearo Hain gehört zu altslav. bora Fichte; der Bedeutuugsübergang ist derselbe wie bei „der Tann“ und „die Tanne“, der Wald aus der betreffenden Holzart erweitert sich dann zum Walde überhaupt. Ahd. loh (lichte Stelle im Hain, lat. lucus) und forst bedeuten Wald und Heiligtum zugleich; ahd. haruc wird in Glossen mit nemus, fanum, ara wiedergegeben (doch s. u. Tempel, Altar, S. 407).

Im Hoyaschen lag ein Heiligenloh, ein Heiligelo bei Alkmaar in Holland, ein Heiligenforst bei Hagenau, Heiligen-holtz bei Zwiefalten. Mit „Forst“ bezeichnete man in christlicher Zeit zunächst die königlichen Bannwälder; diese hängen, wohl auch sachlich mit den alten heiligen Wäldern zusammen und leiten von ihnen ihren ersten Ursprung ab. Einzelne kleine isolierte Waldstücke haben sich bis auf die Gegenwart unter dem Namen Loh erhalten. Ahd. wih, ive, as. iüih, ags. vih, veoh, an. vö bezeichnet einen geheiligten Platz, speziell die Kultusstätte uud als solche ursprünglich den Hain, was noch die Gleichung „forst edo Imme edo wih“ einer ahd. Glosse wiederspiegelt (S. 330). Dann bezeichnet wih auch einzelne Gegenstände und Symbole, die unter dem Schutze der Gottheit standen oder zur Ausübung heiliger Handlungen dienten, die Banner und Feldzeichen. Denn als Standarten dienten die Bilder und Abzeichen, die in den Hainen aufbewahrt und bei Kriegszügen oder Prozessionen als die Symbole der anwesend gedachten Götter der Menge vorangetragen wurden. Daher stammen die ahd. Eigennamen Oswig, Eberwih, Beranwib, Hundwig, Wolfwig, Arnwig.

Die Zeugnisse des Tacitus für den Waldkultus der Germanen sind die ältesten und die zahlreichsten. Das Werfen mit Baumlosen wird unter den Baumorakeln als eine der ältesten Formen anzusehen sein (Germ. 10). Romanhafte Träumerei ist freilich die idealisierte Schilderung in Germ. 9: „Die Götter in geschlossene Bäume zu engen oder einem menschlichen Antlitz ähnlich nachzuhüden, halten sie nicht der Größe der Himmlischen fiir angemessen. Haine und Wälder weihen sie ihnen und bezeichnen mit dem Namen de)’ Götter jenes Geheimnisvolle, das sie allein durch fromme Anbetung schauen Dieselbe Stimmung flößen ihm in Italien die Haine und Wälder und die Abgeschiedenheit ein: der Geist zieht sich zurück in seine unbefleckten Räume und erfreut sich eines geweihten Aufenthaltes (de orat. 12). Dasselbe sentimentale Gefühl kehrt bei seinen röm. Zeitgenossen wieder. Seneca schreibt: „Betrittst du einen Wald von alten, ungewöhnlich hohen Bäumen, in dem dir das Durcheinander von Ästen und Zweigen den Anblick des Himmels entzieht: weckt nicht die Erhabenheit eines solchen Haines, die Stille des Ortes, der wunderbare Schatten dieses freien und doch so dichten Gewölbes in dir den Glauben an ein höheres Wesen(Ep. 41). Bei Plinius heißt es: „Die Bäume waren der Gottheit Tempel, und die ländliche Einfalt weiht nach altem Brauch einen stattlichen Baum noch heute einem Gotte, und nicht größer ist die Andacht, mit der wir zu Götterbildern flehen, die von Gold und Edelsteinen strahlen, als die, mit der wir die Haine und in ihnen das tiefe Schweigen selbst anbeten“ (H. N. 12J. In den Gewölben gotischer Dome hat man die Laubdächer des alten Kultus wiederfinden wollen.

Aus den Hainen werden die Tierbilder und Götterzeichen von den Priestern hervorgeholt und dem Heere in der Schlacht vorangetragen. In einem Walde, der durch den Weihedienst der Vorfahren und durch uralte Gottesfurcht geheiligt ist, versammeln sich die Abgeordneten der Sueben (Germ. 39); niemand geht anders denn gebunden in den Tiushain. Auch in der Edda wird ein „Fesselbain* erwähnt, und noch aus den Verboten der Kirche im II. Jhd. geht hervor, daß man einen heiligen Wald ohne vorherige Weihung nicht betreten durfte; ein geweihter Baum durfte nach heidnischem Glauben seines Laubes oder seiner Zweige nicht beraubt noch umgehauen werden (Konzil von Nantes 895; Burcb. v. Worms). Auf der Nerthusinsel befindet sich ein unentwegter Hain (Germ. 40), aber auch ein Tempel, bei den Nabanarvalen wird ein Hain mit altem Gottesdienst gezeigt (Germ. 43). Vor der Schlacht bei Idisiaviso kommen die verbündeten Stämme in Donars heiligem Walde zusammen (Ann. 2,a), 900 Römer werden im Haine der Baduhenna, der Gattin des Tius, von den Friesen niedergemacht (Ann. 47J). Nach der Schlacht im Teutoburger Walde wurden die röm. Offiziere an den Altären in den nahen Hainen hingeschlachtet, an den Baumstämmen bleichten die Schädel der geopferten Rosse (Ann. 1Q1), in einem nahen Haine war auch der Adler einer der Legionen des Varus vergraben (Ann. 2a). In einem heiligen Haine ruft Civilis die Großen des Volkes und die Entschlossensten der Menge zusammen (Hist. 4i4). Die Alemannen und Sueven verehren Bäume (Agathias 17; Mart. v. Brac. 7; S. 401), und die Franken machten sich Bildnisse an Wäldern und Quellen, aus Vögeln und wilden Tieren und anderen Elementen, verehrten sie göttlich und brachten ihnen Opfer dar (Greg. v. Tonrs 210).

Lange Jahrhunderte hindurch, auch nach der Einführung des Christentums, hielt der Gebrauch an, die Gottheit in heiligen Bäumen und Wäldern zu verehren. Bonifatius fällte die ungeheuere Eiche, den Donarsbaum, bei Geismar. Die Bestimmungen zahlreicher Konzilien, Kapitularien und Bußbücher verbieten, an Quellen, auf Bergen, in Wäldern Opfer darzubringen, besonders Tiere und Früchte, Opfermahlzeiten zu halten, Lichter anzuzünden, Gelübde zu tun oder durch Aufhängen von künstlich nachgebildeten erkrankten Gliedmassen Heilung zu suchen. Von Waldheiligtümern handelt der Indiculus (Nr. 6: de sacris silvarum quae nimidas vocant). Ein von den Franken schwer verwundeter Sachse ließ sich nach dem Treffen bei Nottein 779 heimlich aus seiner Burg in einen heiligen Wald tragen, der dem höchsten Gotte geweiht war, um hier sein Leben auszuhauchen. Der Landtag zu Paderborn 785 bedroht den mit Strafen, der an Quellen, Bäumen oder in Hainen Gelübde täte oder nach heidnischer Sitte opferte. Erzbischof Unwan von Bremen ließ die Haine, die die Marschbewohner seines Sprengels in törichter Verblendung besuchten, niederhaueu und davon die Kirche neu bauen.

Germanenherz aus dem Buch: Deutsche mythologie in gemeinverständlicher darstellung (Paul Herrmann 1906)

ergänzend

Deutsche Mythologie – Seelenglaube und Naturverehrung

Während man früher einseitig glaubte, daß alle heidnische Religion sich aus der Naturbetrachtung entwickelt habe, nimmt man heute oft ebenso einseitig an, daß alles religiöse Denken aus dem Seelenglauben abzuleiten sei. Die Religion hat viele Quellen, und jeder Versuch, alle … Weiterlesen

Deutsche Mythologie – Der Kultus und Götterdienst

Das Christentum schlug den heidnischen Germanen gegenüber ein doppeltes Verfahren ein. Das unduldsame Wort des Bischofs Remigius von Rheims bei der Taufe des Frankenkönigs Chlodoveeh (496): „Beuge dein Haupt in Demut, stolzer Sigamber, und verehre von nun an, was du … Weiterlesen

Deutsche Mythologie – Das Priesterwesen

Keine der deutschen oder nordischen Benennungen für Priester ist mit einem gleichbedeutenden Worte der anderen idg. Sprachen verwandt, jede ist etymologisch leicht zu erkennen, mithin kann der gesonderte Begriff für Priester, für ein deutlich von anderen Ständen geschiedenes Priestertum nicht … Weiterlesen

Die Vorstellungen vom Anfang und Ende der Welt. (Die Schöpfungsgeschichte)

Deutsche Mythologie – Vorstellungen vom Anfang und Ende der Welt Die mythenbildende Kraft der Völker umspannt die ganze Welt, von ihrer nächsten Umgebung an bis hinauf zum Sternenzelte. Besonders zwei Gruppen dieser mythologischen Naturauffassung lassen sich unterscheiden, kosmo-gonische Sagen, die … Weiterlesen

Wodan Ruprecht (Hruodpercht) Wodanstag

Die deutsche Weihnacht ist eine Verschmelzung des christlichen Jesusglaubens mit der germanischen Tradition (Nordlands Art!), da durch die Zwangs-Christianisierung Germaniens das Julfest abgelöst werden sollte. Die Jul-Tradition war derart tief in der völkischen Kultur der Germanen verwurzelt, daß die römische … Weiterlesen

Das Erforschen der Zukunft

Als Mittel zur Erforschung des göttlichen Willens bei den Deutschen nennt Cäsar „Losorakel und Prophezeiungen (sortes et vaticinationes; b. g. 150), Tacitus „Götterzeichen und LosorakeV1 (auspicia et sortes, Germ. 10). Beim Los wurde die Gottheit nach ihrem Willen gefragt, im … Weiterlesen

Zauberei und Hexerei

Die alten Deutschen kannten Zauber mit Tat und Wort; den ersteren verbietet Nr. 10 des Indiculus (de phy-lacteriis et Ugaturis), den zweiten Nr. 12 (de incantationibus). Das Wort Zauber (ahd. zoubar) selbst bedeutet eigentlich „Mennig“, die rote Farbe, mit der … Weiterlesen

Kulturbringer Odin, Allvater, Wotan

Einsam sind die tapferen und die Gerechten. Doch mit ihnen ist die Gottheit. Odin, Allvater, Wotan. Gar viele Namen hat Allvater, stetig wacht der Vater aller Götter. Sei Dir bewusst, dass der absolut unkriegerische, große Fragende und Reisende Gott der … Weiterlesen

Odins Rabenzauber (Hrafnagaldr Odins)

1 Allvater waltet, Alfen verstehn, Wanen wissen, Nornen weisen, Iwidie nährt, Menschen dulden, Thursen erwarten, Walküren trachten. 2 Die Asen ahnten übles Verhängnis, Verwirrt vom widrigen Winken der Seherin. Urda sollte Odhrärir bewachen, Wenn sie wüßte so großen Schaden zu … Weiterlesen

Odins Runenlied

In der Edda ist der Verlauf der höchsten Einweihung im Hávamál zu finden.  Demzufolge hing Odin, vom Speer verwundet, neun Tage und Nächte am Weltenbaum  und erlitt die schlimmsten Qualen. Nach dieser Zeit des Leidens erhielt er  als Belohnung die … Weiterlesen

Tacitus’ “Germania“

 Von Andrew Hamilton,  Das Original Tacitus’ Germania erschien am 30. September 2011 bei Counter-Currents Publishing/North American New Right. Tacitus’ Germania, eine kurze Monographie über die germanische Ethnographie, die ca. 98 n. Chr. geschrieben wurde, ist von großer historischer Bedeutung. Die … Weiterlesen

Tacitus üder die Germanen

 Publius Cornelius Tacitus (* um 58 n. Chr.; † um 120) war ein bedeutender römischer Historiker und Senator. De origine et situ Germanorum Die Germania Allgemeiner Teil 1-46 Lage des Landes, Herkunft der Bewohner, Religion, Sitten und Bräuche, die allen … Weiterlesen

Frömmigkeit nordischer Artung

Ein Querschnitt durch das Indogermanentum von Benares bis Reykjavik7. Auflage, 1989, Verlag Hohe Warte • Franz von Bebenburg • KG Hans F.K. Günther zeigt zunächst einmal, was nordische Frömmigkeit nicht ist, beispielsweise die Herabwürdigung des Leibes, die Abhängigkeit der Frömmigkeit … Weiterlesen

Kulturbringer Odin, Allvater, Wotan

odin geist

Einsam sind die tapferen und die Gerechten.
Doch mit ihnen ist die Gottheit.

OdinOdin, Allvater, Wotan. Gar viele Namen hat Allvater, stetig wacht der Vater aller Götter. Sei Dir bewusst, dass der absolut unkriegerische, große Fragende und Reisende Gott der Germanen absolut friedlich war. Er war kein Missionar, kein Besetzer, kein Besserwisser! Er war bescheidener Suchender und Fragender. Vergleiche diese Gottheit mit dem kriegerischen, lügenden, fremde Länder besetzenden und Völker unterjochenden Judeachristen! Überlege Dir was die Christianisierung für unsere nordische Zivilisation bedeutete! Überlege wie viele alte schamanistische, spirituelle, friedfertige Traditionen durch das rasende Kreuz der Römer in Schutt und Asche gelegt wurden. Überleg Dir was es hieß, dass die Inquisitoren (Jesuiten, Katholiken, Freimaurer) hunderttausende von Heilern, Heilerinnen mit samt ihrem Wissen auf dem Scheiterhaufen der Kirche verbrannten! Dass ihre Missionare auf der gesamten Erde alte Weisheiten auslöschten und raubten  was Ihnen nicht gehörte. War der Tausch Jesus gegen Odin für unsere Welt wirklich vorteilhaft?

Allvater Odin

Er ist Hochgott der Asen, höchste und erste Gottheit, Gott der Dichterkunst, des Wissens, der Magie, Himmels- Kriegs- und Totengott. Als Sturmgott ist er Anführer von Wuotan- Heeres. Odin der Finder der Runen, Gott der Runenweisheit und Schutzgott der Skalden. Odin, der Allvater, Sohn des Burr und der Riesin Bestla. Zusammen mit seinen Brüdern Hönir und Lodur schuf Odin das erste Menschenpaar, Askr und Embla und gab ihnen die Seele. Er sitzt auf seinen Thron Hlidskialf in dem Saal Walaskialf in der Götterburg Asgard und kann die ganze Welt von dort aus beobachten. Er ist allsehend was gesagt und was getan wird. Odin zur Seite stehen die Raben Hugin (Gedanke) und Munin (Erinnerung),, die jeden Morgen von Ihrer Reise zurückkehren, um Odin Neuigkeiten aus der Welt zu berichten. Ebenso begleiten Ihn die beiden Wölfe Geri (Gierig) und Freki (Gefräßig). Mit seinem achtbeiniger Hengst Sleipnir reitet er gegen die Mächte der Finsternis!
Odin verpfändet seinem Onkel Mimir sein Auge, um aus dem Wahrheitsbrunnen den Met Odrörir trinken zu dürfen.“ Seinen Reichtum verdankt er seinem goldenen Ring Draupnir, vom dem alle neun Tage acht weitere Ringe tropfen. Im Kampf verläßt er sich auf den Speer Gungnir, der das Ziel niemals verfehlt. Die mythische Ehefrau Odins ist Frigg, deren altdeutscher Name Frija mit dem nordischen der Vanengöttin Freyja identisch ist. Auch in der Edda wird Frigg mit Freyja identifiziert. Seine Frau gebar ihm die Söhne Thor, Balder und Tyr.
So ist Odin auch nicht nur der Gott der Gefallenen in Walhall, sondern allgemein der Totenführer, wie es der ältere Mythos der Wilden Jagd ausdrückt, in der alle Totengeister unter Führung Odins durch die Nacht reiten. Sein Gefolge sind 13 Geisterkriegerinnen, die Walküren (Valkyrjar), und die Seelen der gefallenen Krieger, die Einherier, die in Walhall (Halle der Gefallenen) wohnen.
Diese glänzende Halle stand in Gladsheim, vor ihr der Hain Glasir, dessen Bäume goldene Blätter trugen. Über der Haupttür des Saales, der so hoch war, daß man kaum seinen Giebel sehen konnte, hing als Symbol des Krieges ein Wolf, darüber ein Adler. Der Saal selbst, mit Schilden über Speerschäften gedeckt, hatte 540 Türen, durch deren jede 800 Einherjer schreiten, wenn es zum großen Kampf mit dem Fenriswolf geht (Die Krieger sammeln sich für Ragnaröck). Für diese Tapferen, die nach dem Tode auf der Walstatt zu Odin kamen, war er bestimmt. Unter Odins Vorsitz schenken die Walküren reichlich den Met aus.

***Es ist an der Zeit, dass Odin zurückkommt***


Vater Odin hörst Du mich?
Vater Odin ich rufe Dich!
Vater Odin zeig mir den Weg,
entfach das Feuer, das die Dunkelheit bricht.
Zeig mir den Weg.
Vater Odin führ mich über das Meer
schick den Seher vor mir her.
Vater Odin reich mir Deine Hand,
wenn ich falle führ mich in Dein Heldenland.
Reich mir Deine Hand, reich mir Deine Hand.
Vater Odin hörst Du mich?
Vater Odin ich rufe Dich!
Vater Odin zeig mir den Weg,
entfach das Feuer, das die Dunkelheit bricht.
Zeig mir den Weg, zeig mir den Weg.

Alle großen Kulturbringer weltweit tragen den Namen Wotans / Odin

1. „In einer Schrift finden wir eine bemerkenswerte Aussage des Buddha, die er zu der Zeit machte, als er in Indien lebte. Er sagte, daß nach einer bestimmten Zeit menschliche Wesen in einem schneebedeckten Land auftauchen werden, nachdem sich ein See abgesenkt habe. In den Jahren um 1947 und 1948 flohen, wie Sie vielleicht wissen, zwei Europäer, Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer, aus englischer Kriegsgefangenschaft von Indien nach Tibet. Sie wurden von der tibetischen Regierung eingestellt; Aufschnaiter befaßte sich mit Konstruktionsarbeiten für eine Bewässerungsanlage. Während er einen Kanal aushob, stieß er auf eine überdeckte Truhe, in der er ein vollständiges Skelett und einige Gegenstände wie Anhänger und kleinere eiserne Messer fand. Er schickte das Skelett und die Gebrauchsgegenstände nach Europa [Deutsches Reich], um sie untersuchen zu lassen. Man fand heraus, daß sie über 4000 Jahre alt waren. Das bedeutet ganz offensichtlich, daß sich zu der Zeit, als der Buddha in Indien lebte, schon Menschen in Tibet aufhielten. Folglich kann sich die Schrift, die davon spricht, daß nach der Zeit des Buddha im Schneeland menschliche Wesen im Anschluß an die Absenkung eines Sees erscheinen werden, nicht auf das ganze Gebiet Tibets beziehen, sondern nur auf eine Region um Lhasa, die demnach zu Lebzeiten des Buddha ein See gewesen sein müßte. Es gibt ein anderes, naturwissenschaftliches Argument dafür, daß die Region um Lhasa zu jener Zeit ein See gewesen ist. Etwa im Jahre 1953 kam ein chinesisches Team von Archäologen und Geologen nach Tibet, um nahe der nördlichen Bergkette des Lhasa-Tales Forschung zu betreiben. Am Fuße der Berge fand die Gruppe ein sehr großes fossiles Blatt, das nach der Aussage eines ihrer Mitglieder die tibetische Geschichtsschreibung bestätigte, nach der das Gebiet um das spätere Lhasa in frühen Zeiten ein See war. Das Fossil ist ein deutliches Indiz dafür, daß früher in dieser Gegend ein von Wald umgebener See lag. Wenn wir diese verschiedenen Quellen miteinander verbinden, können wir schließen, daß das Gebiet um Lhasa ein See war, aber gleichzeitig auch schon Menschen in der Umgebung lebten. Das ist ein Beispiel dafür, daß es sehr interessant und nützlich ist, Aussagen in den Schriften und tatsächliche Funde miteinander zu kombinieren.“
– Dalai Lama: Einführung in den Buddhismus. Die Harvard-Vorlesungen, Freiburg i. B. 1993, S. 177-178.

2. „Es gab immer in der Weltgeschichte große Reiche, das wiedererstandene Deutschland aber ist das eindrucksvollste. Es erobert die Welt nicht durch Waffen, sondern durch seine Gelehrten und Erfinder. Es schickt nicht Armeen, sondern Lehrer des Fortschritts. Als die ganze Welt gegen Deutschland kämpfte, lagen Hoffnungen und Wünsche der kleinen Völker nur beim Deutschen Reich, dessen Sieg auch für sie Befreiung bedeutet hätte. Als Deutschland unterlag, glaubten wir trotzdem unvermindert an seine kommende Mission. Deutschlands Niederlage nach so vielen Heldentaten seiner Heere wurde überall mit Schmerz empfunden. Doch die Gewalten über uns haben es gut mit Deutschland gemeint. Nach innerer Läuterung steht es heute größer und herrlicher da als je zuvor. Aufs Neue ist es zum Führer, Lehrer und Befreier unterdrückter Völker geworden. … Wenn ich erst einmal die Regierung des ganzen Landes wieder übernommen habe, entsende ich einen Vertreter zu Hsi Tale [tib. für Hitler], um den Führer des deutschen Volkes meine Achtung und Freundschaft zu versichern. Dann kann ich auch an Reformen denken, die mein Land dringend braucht. Ich weiß, daß Hsi Tale mir dabei helfen wird. Überbringen Sie meine Grüße dem Führer der Deutschen.“
– Der IX. Panchen Lama zum deutschen Geschäftsmann Edmund Fürholzer, zit. n.: Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krischna , Wien 2002, S. 131-132.

3. „Reting Rinpoche dankte für Schäfers „Hakenkreuzrede“, kraulte dem Deutschen den Bart und übergab ihm zwei versiegelte Sendschreiben, eines an Adolf Hitler, „dem Führer und Reichskanzler, und ein weiteres für den Reichsführer-SS H. Himmler.“ Über den Inhalt des Schreibens an Himmler ist nichts bekannt, dasjenige an Hitler wurde später von den Tibetologen des SS-Ahnenerbes übersetzt: „Dem vortrefflichen Herrn Hitler (König) der Deutschen“, war darin zu lesen, „der erlangt hat die Macht über die weite Erde! – Möge Ihnen miteinander körperliches Wohlbefinden, friedliche Ruhe und gute Taten beschieden sein! Gegenwärtig bemühen Sie sich um das Werden eines dauerhaften Reiches in friedlicher Ruhe und Wohlstand, auf rassischer Grundlage [!] [von Trimondis]. Deshalb erstrebt jetzt der Leiter der deutschen Tibetexpedition, der Sahib Schäfer (She-par), zumal keine Schwierigkeiten im Wege stehen, bis zu einem unmittelbaren Verkehr mit Tibet nicht nur das Ziel der Festigung der (persönlichen) freundschaftlichen Beziehungen, sondern hegt darüber hinaus auch den Wunsch einer künftigen Ausdehnung des vorgenannten gegenseitigen freundschaftlichen Verkehrs auf (unsere beiderseitigen) Regierungen. Nehmen Sie nun, Eure Exzellenz, Führer (wörtlich König) Herr Hitler, zu diesem Verlangen nach gegenseitiger Freundschaft, wie sie von Ihrer Seite ausgesprochen wurde, unsere Zustimmung. Dies gestatte ich Ihnen zur Bestätigung mitzuteilen. Gegeben am 18. Tag des ersten tibetischen Monats, (im Jahr) Erde-Hase (= 1939) vom Qutuqtu von Rva-sgren, dem Reichsverweser und Regenten von Tibet.“
– Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krischna , Wien 2002, S. 130.

4. „Man hegt in den westlichen Ländern eine tödliche Furcht vor dem Wiederauferstehen Deutschlands. Deshalb muß Deutschland niedergehalten werden, wenn möglich ausgelöscht werden. Doch das wird niemals glücken. Die germanische Rasse kann nicht ausgerottet werden. Ihre Zeit kommt noch, und wenn erst einmal die Macht des Bolschewismus gebrochen ist, erhält auch Deutschland seine Chance.“
– Der Tibetforscher und Hitlervertraute Sven Hedin in einem Brief vom 04.06.1949, zit. n.: Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krischna , Wien 2002, S. 117.

5. „Abt T’ai-ksii in Kloster Ta-lin Szu
Kuling via Kiu-kiang (Kiangsi)
China.

Kuling, d. 11. August 1937.

An den Führer des deutschen Volkes,
Herrn Adolf Hitler.

Die wissenschaftliche Civilisation unserer Zeit ist getragen von der arischen Rasse, die religiöse Kultur der Vergangenheit aber hat ihren Höhepunkt im Buddhismus, dessen Stifter, der Buddha Schakyamuni, ebenfalls arischer Herkunft war.
Die Menschen in Europa und Amerika sind heute nicht glücklich, offenbar weil ihr Leben allein durch Wissenschaft geordnet ist, und diese auf Fragen religiösen Inhalts ihnen keine Antwort gibt. Sie bedürfen der Religion. Nun stehen die meisten Religionen im Widerspruch zur Naturwissenschaft, nur der Buddhismus hat deren Erkenntnisse voll in sich aufgenommen, ja geht darüber hinaus. Daher ist er berufen[,] die Religion der Völker Europas und Amerikas zu werden.
Der Buddhismus hat als grundlegende Wahrheit erkannt, dass es vier Haupttugenden gibt, die der Mensch haben muss, um vollkommen zu sein: Mitleid (mit der Not des Nächsten), Einordnung (in die sociale Rangordnung), Wirken (für Besserung) und Mut (Widerstände zu brechen). Die Völker in Indien und China besitzen zwar die ersten beiden dieser Tugenden, die letzteren beiden aber nicht in genügendem Masse, daher ist ihre Persönlichkeit nicht vollkommen, und der volle Segen des Buddhismus kann sich bei ihnen noch nicht zeigen.
Ich meine, dass das germanische Volk, das jetzt unter seinem Führer geeint ist, in ganz wunderbarer Weise drei Eigenschaften entwickelt hat: Wissen, Einordnung und Mut. So kann nur die buddhistische Religion, in der diese drei Eigenschaften Grundtugenden sind, die Religion des germanischen Volkes sein. Und nur des alten arischen Stammes vortrefflichster Spross, Schakyamuni, der Heilige, kann der religiöse Führer sein für das germanische Volk, den vortrefflichsten Spross alten arischen Stammes. Wenn der Führer die buddhistische Religion studieren will, die für das heutige Europa und Amerika und das germanische Volk so bedeutungsvoll werden kann, so bitte ich mir zu schreiben, und ich will gerne antworten, soviel ich weiss.
Ich wünsche Ihrer Regierung furchtlose Festigkeit:

[mehrere Siegel]
Das Oberhaupt der Buddhisten in China
gez. Tai-hsü“
– Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krischna , Wien 2002, S. 320-321.

6. „Weshalb Deutschland den Krieg verlieren mußte. (Deutschösterreichische Tageszeitung, Wien, Folge 94 vom 7. April). Unter diesem Titel veröffentlicht die Deutschösterreichische Tageszeitung einen längeren Aufsatz, der einen Brief aus „deutschfreundlichen Kreisen Amerikas“ aus der „Illinois-Staats-Zeitung“ vom 7. Februar wiedergibt. Dort heißt es u. a.: „Eine Nation, die ein halbes Dutzend Bände über Buddha veröffentlicht, während der Bolschewismus in voller Blüte steht, hat keinen Anspruch auf Weltherrschaft. Der gelehrte Deutsche, der an einer Übersetzung des „Mahaparinibbanasuttam“ zu arbeiten vermochte, während Enver Paschas Türken die Retirade bekamen, sollte kriegsgerichtlich erschossen werden. Sie haben es verdient, Herr Junker, den Krieg zu verlieren, und die Bücherkataloge hier vor mir beweisen mir Ihre Unwürdigkeit!“
– „Zeitschrift für Buddhismus“, Verlag Oskar Schloss, München-Neubiberg, 3. Jg, Heft 7/8, Juli/August 1921, S. 256-7, Hervorh. i. O.

7. „Sein „Geschick“ [des XIV. Dalai Lama] ist eng mit demjenigen Hitlerdeutschlands verbunden… aufgrund noch nicht entdeckter Verbindungen… Wenige Jahre nach Deutschland fällt auch Tibet.“
– Miguel Serrano: Das Goldene Band, S. 366, zit. n.: Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krischna , Wien 2002, S. 561 Fn. 41.

8. „[A]ls die SS-Vergangenheit Heinrich Harrers 1998 bekannt wurde, verteidigte ihn die ranghöchste Inkarnation des Bodhisattva Avalokiteshvara, der XIV. Dalai Lama, mit den Worten: „Natürlich wußte ich, dass Heinrich Harrer deutscher Abstammung war – und zwar zu einer Zeit, als die Deutschen wegen des Zweiten Weltkrieges weltweit als Buhmänner dastanden. Aber wir Tibeter haben traditionsgemäß schon immer für Underdogs Partei ergriffen und meinten deshalb auch, dass die Deutschen gegen Ende der 40er-Jahre von den Alliierten genügend bestraft und gedemüdigt worden waren. Wir fanden, man sollte sie in Ruhe lassen.“
– Dalai Lama im Interview mit dem deutschen Playboy, 3/1998:40, zit. n. Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krischna , Wien 2002, S. 409.

9. „Wenn ich hier in Deutschland bin, erinnere ich mich besonders gern an meine alten deutschen Freunde Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer. Als ich dann später in den Westen kam, erklärte man mir, daß sie Österreicher seien. Nun, ich muß zugeben, daß wir damals in Tibet so weit weg waren, daß das für uns so erschien, als ob es dasselbe wäre“ (lacht, Gelächter des Publikums folgt).
– Dalai Lama in einem Vortrag am 31.05.2003 in Berlin, sinngemäß nach dem Gedächtnis des Verfassers.

10. „Heute Nacht habe ich mit meinen Freunden telefoniert… in Abessinien und Amerika, in Japan und Tibet… mit allen, die aus der anderen Welt kommen, um das neue Reich zu errichten. Der abendländische Geist ist von Grund auf verdorben, wir haben eine große Aufgabe zu erfüllen. Eine neue Ära wird kommen, denn die Schöpfung unterliegt nur einem großen Gesetz. Einer der Schlüssel liegt beim Dalai Lama und in den tibetischen Klöstern.“
– Karl Maria Willigut im Trancezustand zu Ernst Schäfer 1937 in Berlin-Dahlem, zit. n. Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krischna , Wien 2002, S. 103.

11. „Alle großen Kulturbringer weltweit tragen den Namen Wotans, so wurde mir plötzlich klar. Wotan bei den Germanen und den Mayas. Buddha ließ sich auch auf Wotan zurückführen, und Buddha hieß bei den Japanern und anderen Ostasiaten Sakya Muni, der „sächsische Mönch“, und stammte aus dem Volk der Sakya, der Sachsen. Also genau wie bei den Angeln und Sachsen Britanniens und bei den Mixe-Soque und in Peru. Ein Kloster in Tibet heißt heute noch Sakya, und in der zweiten Silbe des Wortes Tibet erkennt man noch bet, wet, also den Namen Wotans. Der angebliche Vorname Buddhas, Gautama, oder Cotama, kommt vom ahd. guter Mann oder Gottesmann. Das war eine wichtige Erkenntnis. Denn der Kulturbringer der Osterinsel war Hotu Matua. Hier war aus dem ahd. Huotu nur ein u verloren gegangen, so daß sich hinter Hotu Matua Huotu Man guata verbirgt. Bei den Inkas gab es Manco Capac, was sich auf Wotan (Capac C zu T und n, P zu w) Man cot zurückführt. Und wir hatten ja dort auch das Intihuatana und das Sacsaqueman. Der Gott aber der dortigen Völker hieß Viracocha, was ahd. vera cuot, der wahre Gott, bedeutet und nicht der „Schaumgeborene“ oder was sonst vermeintliche Sprachwissenschaftler erfinden. Der große Manitou bei den Indianern Nordamerikas enthält wieder das Man cuot, nur der Wotanzusatz ist hier verloren gegangen, aber wie wir bereits sahen, die ani sazi, das Volk Wotans, war auch vorhanden. Auch Moses und Mohamed enthalten den Namen Wotans. Moha und Wed, der mächtige Wed, der mächtige Wotan.“ (50)

„Freya gebar Wotan ohne Zeugung. Maya gebar Buddha ohne Zeugung. Man sieht die Gleichheit beider Namen, von Freya zu Maya, wo nur ein „r“ verloren ging und der Lippenlaut „f“ in den Lippenlaut „m“ verwandelt wurde, wie bei Wotan und Buddha, wo ebenfalls Lippenlaut „w“ in Lippenlaut „b“ überging. Das beide dem Volk der Angeln und Sachsen angehörten, haben wir mehrfach gesehen in diesem Buch. Dann haben wir die Geburt Jesus durch Maria. Maria ist ebenfalls nur Freya. Viele ältere Germanisten, wie Wilhelm Braune, wundern sich, daß Maria in altdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit zweisilbig geschrieben und gesprochen worden zu sein scheint, also Mar-ja.“ (97)

„Nun liegt vor mir ein Zeitungsartikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Titel: „Gehört Tibet zu China?“. In diesem Artikel kommen vier tibetische Worte vor, die allesamt gute ahd. Wörter darstellen und es scheint alles daraufhinzuweisen, daß diese Sprache, ebenso wie das Quiche der Maya, ein guterhaltenes Ahd. ist. Der Name der Tibeter geht, wie ich bereits sagte, auf Wotan zurück, entweder über Beti, Weti oder über ti Bet(ani), ti Wet(ani). Dies wird nun untermauert durch die Tatsache, daß im vorliegenden Zeitungsartikel der Name der Tibeter mit Tanguten, also die Angeln, t(e) Angu(l) angegeben wird, genau wie der ihrer Nachbarn, der Mongolen. Interessanter noch sind die aufgeführten Wörter aus der tibetischen Sprache. Niedere Beamte werden als Amban bezeichnet, was ganz einfach das ahd. amba(htma)n, der Beamte, Amtmann, ist. Eine Sekte der Gelbmützen heißt gelugpa. Hierin stecken die beiden ahd. Wörter gelo, gelu = gelb und cappa = Kappe, Mütze, im Niederländischen heute noch kap und im Englischen heute noch cap. Aus dem ahd. gelu capa, das wegen fehlender fester Rechtschreibung auch gelo kappa oder gelu gapa geschrieben wurde, und im sächsischen und angelschen Dialekt, wie noch heute in Deutschland im sächsischen Dialekt, wo der K-Laut gern als G-Laut gesprochen wird, – welche Konstanz über die Jahrtausende und welcher Beweis für den Einfluß der Dialekte und der sprachlichen Nachlässigkeit auf den Zerfall der einen Sprache von Babel oder Babylon, – aus diesem ahd. gelu gapa haben die Tibeter ganz einfach durch Umstellen des Buchstaben „a“ die gelugpa gemacht, aber die Bedeutung Gelbmützen, Gelbkappen, ist geblieben. Schließlich taucht auch noch, ausgerechnet bei den buddhistischen Tibetern, die nicht an Gott glauben, das ahd. cot in der Form yon-mchod auf, und dieses Wort wird in dem Zeitungsartikel mit „Gabenspender und Verehrungswürdiger“ übersetzt, also genau mit den Eigenschaften, die man vom Gott allgemein erwartet und die man ihm allgemein zuschreibt, nämlich, daß er alle Gaben spendet und daß er verehrt, angebetet zu werden, würdig ist. Noch frappierender für mich ist die Silbe „yon-m“, die dem Wort Gott vorangesetzt ist, weil sie auf das „Yom-Kipura“, das heiligste Fest der (D)Juden hinweist. Ich meine, hier konkret sprachwissenschaftlich und weltweit, mit der richtigen sprachwissenschaftlichen Methode, nachzuforschen, würde uns ganz sicher auf die Spuren der ursprünglichen, wahren Religion hinführen.
Wieder haben wir eine Trefferquote von 100% erreicht. Für vier tibetische Wörter und einem zusätzlichen Namen für dieses Volk lassen sich vier gleichlautende und gleichbedeutende ahd. Wörter finden, und auch der Name passt nicht nur zu meiner Interpretation des anderen Namens für dieses Volk, sondern auch zum Stamm der Angeln, ti Weti und t(e) anguten, Der Angel und Sachse Wotan und seine Angeln. Was mich nur immer wieder verblüfft, ist die Blindheit und Phantasielosigkeit unserer Ethnologen und Sprachwissenschaftler, die jahrelang in Tibet waren oder die Sprache gelernt und „studiert“ und „erforscht“ haben (wollen) und dann nicht die einfachsten Zusammenhänge erkennen können. Mir jedenfalls genügen ganze 5 Worte, um zu erkennen, um was für eine Sprache es sich handelt.“ (123).
-Erhard Landmann: Weltbilderschütterung. Die richtige Entzifferung der Hieroglyphenschriften. O. O. 1993, SS. 50, 97, 123, Hervorh. i. O.

12. „Eine neue Sekte von Philosophen Tod, Gold, Ehre und Reichtum verachtend, bleibt nicht innerhalb der deutschen Berge eingegrenzt, von ihrem Gefolge werden sie Unterstützung und Antrieb erhalten.“
– Nostradamus III:67 (Nolan)

13. „An anderer Stelle lehnte Hitler aber seine Messiasrolle explizit ab und will nur der Vorläufer eines „Kommenden“ sein: „Aber ich bin nicht der Messias. Er wird nach mir kommen. Ich habe nur den Willen, dem deutschen Volk die Grundlage für die wahre Volksgemeinschaft zu schaffen“, soll er zu Otto Wagener gesagt haben.“
– Victor und Victoria Trimondi: Hitler, Buddha, Krischna , Wien 2002, S. 546.

14. „Freunde, obwohl ich nicht Ihre Sprache spreche und nicht viele von Ihnen persönlich kenne, fühle ich mich bei Ihnen dennoch sehr zu Hause. Es ist für eine öffentliche Rednerin sehr ermutigend, eine Atmosphäre der Großherzigkeit, Freundlichkeit und Wertschätzung zu spüren, während sie eine Ansprache an das Publikum richtet. Ich bin mir aber ganz sicher, daß, wenn ich Ihre Sprache sprechen könnte, Sie mich besser verstehen könnten, und auch ich würde Sie besser verstehen. Deshalb bitte ich Sie, Geduld mit mir zu haben, bis Sie unseren Freund, den Philosophen Dr. Rolf Hoffmann hören können, der meine Worte übersetzen wird. Ich danke Ihnen im voraus. […]

Zuallererst, denke ich, sollte ich meine Stellung ein wenig mehr bestimmen, als ich das bisher in Deutschland getan habe, denn das Wort ‚Theosophie‘ wurde ziemlich mißbraucht. In der Folge haben sich sehr viele ernste und ehrbare Wahrheitssucher – jene Klasse von Gemütern, die fortschrittlich und nicht damit zufrieden sind, was sie bereits wissen, sondern mehr zu wissen wünschen – von der Theosophie abgewandt. Das kommt, wie bereits gesagt, daher, daß sie in diesem Lande so unsinnig und lächerlich mißbraucht worden ist. Wegen all der falschen Vorstellungen, die Sie von der Theosophie bekommen haben müssen, ist es meine absolute, wenn auch unangenehme, Pflicht, Ihnen mitzuteilen, daß die ursprüngliche Theosophische Gesellschaft, deren Haupt zu sein ich die Ehre habe, keine falschen Lehrer der Theosophie anerkennt und es auch nie getan hat. Ich habe keinen Wunsch, mich in das, was auch immer sie tun mögen, einzumischen, aber es ist meine Pflicht gegenüber der Sache, die ich repräsentiere, Sie wissen zu lassen, daß echte Theosophie eine sehr reine und erhabene Lehre ist. […]

Ich spüre, daß Deutschland eine außergewöhnliche Mission hat. Während die äußeren Bedingungen Ihres Vaterlandes heute, in seinem ganzen Zustand der Ruhelosigkeit und Ruhestörung, das Volk von seiner großen Mission abzubringen scheinen, suchen die dauerhaften spirituellen Gesetze nichtsdestotrotz um Aufnahme in den Herzen der Menschen. Wenn diese Nation jenen belebenden Geist einfangen kann, wenn sie als Ganzes zu ihrer Kraft erweckt werden kann, zu ihrer wesentlichen Göttlichkeit, zu ihren spirituellen Möglichkeiten, dann, und davon hängt es ab, werden Sie bald eine solche Qualität der Einheit unter sich erleben, wie Sie sie niemals zuvor gekannt haben – etwas, von dem Sie geträumt haben und worauf Sie gehofft haben und für das Sie gebetet haben, es aber niemals zuvor kennengelernt haben. Sie wird so schnell kommen, wie die Morgenröte im Osten aufscheint. Sie wird zu Ihnen kommen, denn Sie haben etwas Besseres verdient, als das, was Sie jetzt haben.
Ich denke, Sie werden Geschichte machen. Sie werden zukünftigen Generationen eine Geschichte hinterlassen, die es Wert sein wird, daß man sich an sie erinnert. Ihre Geduld und Ihre Ausdauer haben Ihre Nation mehr als geheiligt. Sie haben mehr gelitten, als es in Worten jemals ausgedrückt werden kann. Und darum bin ich hier. Das ist der Grund, warum ich nach Deutschland gekommen bin. Ich bin nicht gekommen, um von Ihrem lieben Volk etwas zu fordern, sondern nur, um auf gewisse Weise zu versuchen, die Botschaft der Theosophie in Ihre Herzen einzupflanzen – im Herzen der deutschen Nation. Wenden Sie sie im gewöhnlichen Leben an – in Ihrem nationalen Leben wie in Ihrem persönlichen Leben – und bringen Sie die herrliche Verkündigung einer Nation hervor, die ihre Zukunft auf der sicheren Grundlage spirituellen Wissens und spirituellen Lebens aufbaut! […]

Unter den gegenwärtigen Bedingungen, mit meinem begrenzten Wissen über das Warum und das Weshalb der Notlage Ihres Landes, verstehe ich nicht, wie Sie im Laufe der Zeit einen Krieg verhindern wollen, wenn Sie nicht in Ihren eigenen Herzen, im Herzen Ihres Volkes und Ihrer Kinder und allen, die Sie kennen, diese wunderbare Botschaft der Theosophie einpflanzen, die die Botschaft Ihres Landes werden wird. Lassen Sie das Wort Theosophie weg, wenn es Ihnen unangenehm sein sollte, aber lassen Sie sich herab zur wahren Essenz der Theosophie, die Universale Bruderschaft ist. Wir alle gehören zu einer großen und göttlichen Familie, und wir sind unseres Bruders Hüter!
Wieviel anders könnten unsere Konvente und Kongresse verlaufen, wenn jeder, der diese großen Anstrengungen unterstützt, um der Welt Frieden, ein mehr rationales Denken, eine größere Einheit und den wahren Geist der Bruderschaft zu bringen, in solche Zusammenkünfte gehen könnte in der Überzeugung, daß wir alle wesentlich göttlich sind, daß wir die Kraft haben, die Welt auf rechte Weise zu regieren, daß wir die Kraft haben, zuerst die Schwächen unserer eigenen Natur zu überwinden und dann erst die Schwächen unserer Nationen! Dies kann nicht innerhalb einer Stunde oder eines Tages vollbracht werden, aber wir haben die Kraft, um unseren Fuß auf den Pfad zu setzen, der immer aufwärts führt zur Vollendung der inneren Kräfte des Menschen. […]

Liebe Freunde, da Sie in unserer begrenzten Zeit heute Abend nur ein wenig von der Theosophie empfangen haben, fühle ich richtig, daß ich Ihre höchsten Ansprüche übersehen würde, wenn ich Ihnen nicht sagen würde, daß der Weg, um das Wissen der Theosophie zu erreichen, der ist, die theosophischen Standardbücher zu lesen – insbesondere die Werke von Helena Petrowna Blavatsky.
Nebenbei gesagt, möchte ich Sie gern daran erinnern, daß H. P. Blavatsky, die Gründerin der Theosophischen Bewegung in moderner Zeit, von einer Seite ihrer Familie von deutscher Abstammung war – derer von Hahn. Und daß sie ihr größtes Buch „Die Geheimlehre“ vor vielen Jahren in Würzburg begonnen hat. Sie hat eine Literatur von seltenster Qualität geschaffen. Sie wird die Wissenschaftler, Gelehrten und Denker herausfordern. Sie kann jedoch von allen Klassen gelesen werden und ihnen von Nutzen sein. Sie hat ebenso „Isis entschleiert“ geschrieben und „Der Schlüssel zur Theosophie“, beide reich an wunderbaren Lehren, nicht ihren Meinungen, sondern mit dem Wissen, das sie von der Uralten Weisheit hatte.
Wenn Ihr Gemüt begrenzt ist, wenn Sie Vorurteile haben, wenn Sie mit dem Leben, so wie es ist, zufrieden sind, werden Sie in der Theosophie vielleicht nicht viel finden. Aber wenn Sie hungrig nach der Wahrheit sind, wenn Sie mehr wissen wollen über die Gesetze, die Ihr Leben beherrschen, wenn Sie gegen all die Ungerechtigkeiten rebellieren, die Ihnen widerfahren, wenn Sie nach Licht verlangen, wenn Ihre Einstellung lautet: „Oh, mein Gott! Gib mir Licht!“ – wenn es das ist, was Sie suchen, dann lesen Sie die Bücher von H. P. Blavatsky. Wenn Sie diese nicht kaufen wollen, leihen Sie sie von den öffentlichen Büchereien aus, und wenn sie dort nicht vorhanden sind, werden wir sie dort hinstellen.
Ich hoffe, daß Sie diesen Saal heute Abend nicht mit der Vorstellung verlassen werden, daß das, was ich gesagt habe, nur leeres Gerede oder Phantasie ist, denn es ist alles für Sie gedacht. Und wenn Sie die theosophischen Standardbücher lesen, werden Sie das Wissen finden, nach dem sich Ihr Herz sehnt. Es wird von Ihnen überhaupt nichts verlangt, außer daß Sie sich anstrengen, aufwärts zu gehen, um das Wissen zu erlangen, auf das Sie ein Anrecht haben, damit Sie daraus Nutzen für Ihr Leben ziehen können und damit Ihre liebe Nation sich aus ihrem Schattendasein und ihren Kämpfen erheben und ein Leuchtturm für die Welt werden kann, denn das, ich betone das ausdrücklich, wird sie sein! Ich danke Ihnen.“
– Auszug aus einem „aus dem Stehgreif gehaltenen Vortrag“ von Katherine Tingley, Leiterin der originären Theosophischen Gesellschaft, legitimierte Nachfolgerin und Tulku von Helena Blavatsky in der esoterischen tibetischen Übertragungslinie, gehalten am 11. Oktober 1925 im Beethovensaal in Berlin, zit. n. dem stenographischen Bericht „Germany’s Mission“ in: The Theosophical Path, Point Loma, Febr. 1926, pp. 105-112, Hervorh. i. O., verdeutscht von Ringding. : Alle großen Kulturbringer weltweit tragen den Namen Wotans Einsam sind die tapferen und die Gerechten.Doch mit ihnen ist die Gottheit.
http://germanenherz.blogspot.de/2011/09/rune-othala.html

 Germanenherz_Banner_kl

Rune Othala

die
rune des
sturmgottes
odin ist mächtig
die frische luft fördert das
geistige denken ganz prächtig
sie ist die rune des ostens ganz klar
für den grauen wanderer war sie immer da
bist hüter der weisheit und gibst trost den weisen
ein jeder kann von diesem glück und der hoffnung speisen
verteilst gerecht dein neues wissen ~ wir können mit dir die fahnen hissen
lebendige energien ~ entfesselte ekstase, den frischen wind riechen wir in unserer nase
der neue lavendel, er blüht in der vase, mein mund geformt zu einer sprechblase
durch dich lernen wir sehen und auch manch neuen weg zu gehen
du stehst für dichtung, sprache und gesang, der mund
fühlt den neuen klang
du maskuline kraft
bist kräftiger saft
führst uns zu einer
ordnung nach innen
eine lebendige sprache
sehe ich durch meine adern rinnen
ihr werdet gesund mit diesem Symbol
dies alles dient eurem besonderen wohl
so atmet die rune in euch mitten hinein
ihr erhaltet als lohn den allerbesten wein

 

Der Jahreskreis und Jahreskreisfeste Entstehung und Hintergrund des Jahreskreis und Jahreskreisfeste Das imponierende Schauspiel der Natur, das sich im Muster der Jahreszeiten wiederholt, hat immer eine große Auswirkung auf das Leben. In der Antike und im frühen Mittelalter, als die Menschen in Mittel- und … Weiterlesen

Thema Mythologie und Sagenhaftes aus dem hohen Norden Die Mythologie (von altgr. μυθολογια mythologia; zusammengesetzt aus μυθοι mythoi „Geschichten“ und λέγειν legein „erzählen“) bezeichnet die Lehre der gesamten Mythen eines Volkes und behandelt als ihren eigentlichen Gegenstand die aus der vorgeschichtlichen, d. h. vorliterarischen Zeit überlieferten Erzählungen, in … Weiterlesen

Huginn und Muninn und Odins Rabenzauber (Hrafnagaldr Odins)

Germanenherz-Toto-Haas-Banner-klein

Huginn und Muninn

In der nordischen Mythologie sind Huginn und Muninn Odins zwei Raben . Huginn ist das altnordische Wort für „Denken“ und Muninn ist das altnordische Wort für „Erinnerung“. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang schickt er sie los, um durch alle neun Bereiche zu fliegen und Informationen über das Geschehen zu sammeln. Am Abend kehren sie nach Odin in Asgard zurück und erzählen ihm alles, was sie gesehen und gehört haben.

Huginn und Muninn stehen Odin tatsächlich so nahe, dass er nach der Prosa Edda von Snorri Sturluson als Rabengott bezeichnet wird (altnordisch: Hrafnaguð). Seine enge Beziehung zu den Raben könnte bedeuten, dass sie eine Personifikation seiner selbst sind.

Odin ist dafür bekannt, dass er sich sehr gut mit Seidr (altnordisch: seiðr) auskennt, einer nordischen Form des Schamanismus. Im Schamanismus ist es durchaus üblich, die Form eines Tieres anzunehmen, dies könnte beispielsweise in Form eines Rituals geschehen, beispielsweise durch das Sammeln von Wissen.

Ein weiteres Beispiel dafür, warum Huginn und Muninn seine eigene Personifikation sein könnten, ist die Strophe aus dem Gedicht Grímnismál in der Poetischen Edda .

Huginn und Muninn
fliegen jeden Tag
über die weite Erde.
Ich fürchte um Hugin,
dass er nicht zurückkehren wird,
obwohl ich mehr um Munin fürchte.
– Die Lage von Grimnir. 20

Dieser Teil könnte an der Oberfläche darauf hinweisen, dass er besorgt ist, ob seine Raben zurückkehren werden. Es könnte jedoch auch eine tiefere Bedeutung haben, und Odin könnte sich Sorgen um sein eigenes Gedächtnis machen. Er hat eine enorme Menge an Wissen, und er könnte Angst haben, etwas davon zu vergessen, vielleicht wegen seines Alters. Diese Strophe könnte auch seine Besorgnis über die Risiken eines täglichen Eintritts in eine schamanische Trance-Staatsreise hervorheben, insbesondere wenn sie in zwei Tiere aufgeteilt wird.

Eines der häufigsten Symbole von Odin ist der Rabe. Einige Clans in Skandinavien hatten eine so starke Verbindung zu ihm, dass sie den Raben auf ihrer Kriegsflagge verwendeten. Dies ist als Rabenbanner bekannt , und es wurden unter anderem Darstellungen davon auf dem Teppich von Bayeux gefunden.

Ein anderer Rabenname für Odin ist der „Rabenopfergott“ (altnordisch: Hrafnblóts Goði). Dieser Name für Odin ist eine poetische Art zu erklären, dass die gefallenen Krieger in einer Schlacht nach Walhall gehen würden . Es ist Odin, der entscheidet, wer in einer Schlacht stirbt, aber es ist Freya, die die erste Wahl unter den Getöteten hat.

Wenn ein Ritual zu Ehren von Odin durchgeführt wurde, entweder durch Opferung eines Menschen oder eines Tieres. Dann waren die Leute der Überzeugung, dass er das Angebot angenommen hatte, wenn sie unmittelbar danach einen Raben sahen.

Huginn und Muninn oder Hugin und Munin?

Laut dem nordischen Sprachexperten Jackson Crawford können die Raben sowohl als Huginn und Muninn als auch als Hugin und Munin auf Englisch geschrieben werden.

Im Altnordischen hängt die Schreibweise von der Situation ab. Wenn wir uns die Strophe von früher ansehen. Sie haben vielleicht bemerkt, dass sie in der ersten Zeile am Ende mit zwei N geschrieben sind, aber weiter unten werden sie mit einem N geschrieben.

Huginn und Muninn
fliegen jeden Tag
über die weite Erde.
Ich fürchte um Hugin,
dass er nicht zurückkehren wird,
obwohl ich mehr um Munin fürchte .
– Die Lage von Grimnir. 20

In der ersten Zeile haben sie zwei N, weil die Raben dem Verb „Fliege“ (altnordisch: fljúga) unterliegen. Weiter unten werden sie am Ende mit einem N geschrieben, da die Raben die Objekte der Verbalphrasen „Angst um“ (altnordisch: óumk von) und „Angst um“ (altnordisch: sjámk um) sind.

Huginn und Muninn
fljúga hverjan dag
jörmungrund yfir.
óumz
ek von Hugin bei hann aptr né komit, þó sjámk meirr um Munin . – Grímnismál. 20

1
Allvater waltet, Alfen verstehn,
Wanen wissen, Nornen weisen,
Iwidie nährt, Menschen dulden,
Thursen erwarten, Walküren trachten.
2
Die Asen ahnten übles Verhängnis,
Verwirrt vom widrigen Winken der Seherin.
Urda sollte Odhrärir bewachen,
Wenn sie wüßte so großen Schaden zu wehren.
3
Auf hub sich Hugin den Himmel zu suchen;
Unheil fürchteten die Asen, verweil er.
Thrains Ausspruch ist schwerer Traum,
Dunkler Traum ist Dain Ausspruch.
4
Den Zwergen schwindet die Stärke. Die Himmel
Neigen sich nieder zu Ginnungs Nähe.
Alswidr läßt oftmals sie sinken,
Oft die sinkenden hebt er aber empor.
5
Nirgends haftet Sonne noch Erde,
Es schwanken und stürzen die Ströme der Luft.
In Mimirs klarer Quelle versiecht
Die Weisheit der Männer. Wißt ihr was das bedeutet?
6
Im Tale weilt die vorwissende Göttin
Hinab von Yggdrasils Esche gesunken,
Alfengeschlechtern Idun genannt,
Die Jüngste von Iwalts ältern Kindern.
7
Schwer trägt sie dies Niedersinken
Unter des Laubbaums Stamm gebannt.
Nicht behagt es ihr bei Nörwis Tochter
An heitere Wohnung gewöhnt so lange.
8
Die Sieggötter sehen die Sorge Nannas
Um die niedre Wohnung: sie geben ihr ein Wolfsfell.
Damit bekleidet verkehrt sie den Sinn,
Freut sich der Auskunft, erneut die Farbe.
9
Wählte Widrir den Wächter der Brücke,
Den Giallerertöner die Göttin zu fragen
Was sie wisse von den Weltgeschicken.
Ihn geleiten Loptr und Bragi.
10
Weihlieder sangen, auf Wölfen ritten
Die Herrscher und Hüter der Himmelswelt.
Odhin spähte von Hlidskialfs Sitz
Und wandte weit hinweg die Zeugen.
11
Der Weise fragte die Wächterin des Tranks,
Ob von den Asen und ihren Geschicken
Unten im Hause der Hel sie wüßten
Anfang und Dauer und endlichen Tod.
12
Sie mochte nicht reden, nicht melden konnte sies:
Wie begierig sie fragten, sie gab keinen Laut.
Zähren schossen aus den Spiegeln des Haupts,
Mühsam verhehlt, und netzten die Hände.
13
Wie schlafbetäubt erschien den Göttern
Die Harmvolle, die des Worts sich enthielt.
Je mehr sie sich weigerte, je mehr sie drängten;
Doch mit allem Forschen erfragten sie nichts.
14
Da fuhr hinweg der Vormann der Botschaft,
Der Hüter von Herians gellendem Horn.
Den Sohn der Nal nahm er zum Begleiter;
Als Wächter der Schönen blieb Odhins Skalde
15
Gen Wingolf kehrten Widrirs Gesandte,
Beide von Forniots Freunden getragen.
Eintraten sie itzt und grüßten die Asen,
Yggrs Gefährten beim fröhlichen Mahl.
16
Sie wünschten dem Odhin, dem seligsten Asen,
lang auf dem Hochsitz der Lande zu walten;
Den Göttern, bei Gastmal vergnügt sich zu reihen,
Bei Allvater ewiger Ehren genießend.
17
Nach Bölwerks Gebot auf die Bänke verteilt,
Von Sährimnir speisend saßen die Götter.
Skögul schenkte in Hnikars Schalen
Den Met und maß ihn aus Mimirs Horn. td
18
Mancherlei fragten sie über dem Mahle
Den Heimdal die Götter, die Göttinen Loki,
ob Spruch und Spähung gespendet die Jungfrau –
Bis Dunkel am Abend den Himmel deckte.
19
Übel, sagten sie, sei es ergangen,
Erfolglos die Werbung, und wenig erforscht.
Nur mit LIst gewinnen ließe der Rat sich
Daß ihnen die Göttliche Auskunft gäbe.
20
Antwort gab Omi , sie Alle hörten es:
“Die Nacht ist zu nützen zu neuem Entschluß.
Bis Morgen bedenke wer es vermag
Glücklichen Rat den Göttern zu finden.”
21
Über die Wege von Wallis Mutter
Nieder sank die Nahrung Fenrirs
Vom Gastmal schieden die Götter entlassend
Hroptr und Frigg, als Hrimfai auffuhr.
22
Da hebt sich von Osten aus den Eliwagar
des reifkalten Riesen dornige Rute,
mit der er in den Schlaf die Völker schlägt,
die Midgard bewohnen, vor Mitternacht.
23
Die Kräfte ermatten, ermüden die Arme,
Schwindelnd wankt der weiße Schwertgott.
Ohnmacht befällt sie in der eisigen Nachtluft,
die Sinne schwanken der ganzen Versammlung.
24
Da trieb aus dem Tore wieder der Tag
Sein schön mit Gestein geschmücktes Roß;
weit über Mannheim glänzte die Mähne:
Des Zwergs Überlisterin zog es im Wagen.
25
Am nördlichen Rand der nährenden Erde
Unter des Urbaums äußerste Wurzeln
Gingen zur Ruhe Gygien und Thursen.
Gespenster Zwergen und Schwarzalfen.
26
Auf standen die Herrscher und die Alfenbestrahlerin.
Die Nacht sank nördlich gen Nifelheim.
Ulfrunas Sohn stieg Argiöl hinan,
Der Hornbläser, zu den Himmelsbergen.

Quelle: Handschrift des Brynjolfur Sveinsson in der Übersetzung von Karl Simrock.

Anmerkungen:

1 Iwiedie, Waldgeister

2 Ödhrörir (Geistanreger), göttlicher Met, Unsterblichkeitstrank; wird von der
Norne Urd bewahrt

3 Dain und Thrain, Zwerge (vgl. Völupsa, Strophen 11 und 12)

4 Ginnung, Ginnungagap, die Leere, Urzustand

5 Idun, Tochter des Zwergs Iwalt; symbolisiert die Vegetation und verwahrt die
goldenen Äpfel (Lebensspeise der Götter). Hier verschmilzt sie mit Urd, die den Lebenstrank bewahrt

6 Nörwis Tochter, die Nacht

7 Nanna, Baldurs Frau, Blütengöttin; hier als Synonym für Idun

8 Widrir, Odin

9 Giallarertöner, Heimdall

10 Loptr, Loki

11 Nal, Lokis Mutter, auch Laufey

12 Skalde, Bragi

13 Wingolf, Sitz der Götinnen

14 Horniots Freunde, die Elemente Wasser, Feuer Luft

15 Bölwerk, Odin

16 Hnikars Schalen, Odins Trinkgefäße, in denen die Walküre Skögul Met ausschenkt

17 Omi, Odin

18 Wallis Mutter, Walis Mutter Rindr

19 Nahrung Fenrirs, der Mond

20 Hroptr, Odin

21 reifkalter Riese, Nörwi, der Vater der Nacht

22 der weiße Schwergott, Heimdall

23 des Zwergs Überlisterin, die Sonne, von deren Strahl die Zwerge erstarren

24 Gygien und Thursen, Riesen

25 Alfenbestrahlerin, die Sonne

26 Ulfruna, eine der neun Mütter Heimdalls

27 Argiöl, Beiname der Himmelsbrücke Bifröst

 

Der Jahreskreis und Jahreskreisfeste Entstehung und Hintergrund des Jahreskreis und Jahreskreisfeste Das imponierende Schauspiel der Natur, das sich im Muster der Jahreszeiten wiederholt, hat immer eine große Auswirkung auf das Leben. In der Antike und im frühen Mittelalter, als die Menschen in Mittel- und … Weiterlesen

Thema Mythologie und Sagenhaftes aus dem hohen Norden Die Mythologie (von altgr. μυθολογια mythologia; zusammengesetzt aus μυθοι mythoi „Geschichten“ und λέγειν legein „erzählen“) bezeichnet die Lehre der gesamten Mythen eines Volkes und behandelt als ihren eigentlichen Gegenstand die aus der vorgeschichtlichen, d. h. vorliterarischen Zeit überlieferten Erzählungen, in … Weiterlesen

Metherstellung

Achtung_Met_inne_AdernWas ist Met?

Die Geschichte des Mets

Warum Alkohol?

An Getränken gehörten Fruchtgetränke und Milch immer zur Ernährung des Mittelalters dazu. Aber bereits die Völker der Antike begannen Alkohol herzustellen. Der Hauptgrund dafür war jedoch weniger der, sich zu berauschen, sondern der, daß es nur sehr wenige Möglichkeiten gab, Nahrungsmittel haltbar zu machen. Gerade Fruchtsaft und Obst verderben sehr schnell, aber in vergorener Form, wie Wein, bleiben sie haltbar. Der bei der Gärung entstehende Alkohol verhindert das Wachstum der Fäulnisbakterien. Auch erkannte man, daß der Genuß vergorener Getränke weniger oft zu Krankheiten führte als der von unbehandeltem Wasser oder anderen Getränken. Das liegt nicht etwa daran, daß Alkoholika besonders gesund wären, sondern daran, daß viele Quellen und Brunnen unsauber waren und der Genuß ihres Wassers zu Erkrankungen oder gar zum Tode führte.

Ursprung in der Antike

Met ist das älteste alkoholische Getränk überhaupt. Er war den Griechen, Römern und Germanen bekannt, und schon die alten Sumerer tranken ihn im 3. Jahrtausend v.u.Z. Met war das Nationalgetränk der trinkfreudigen Germanen und Wikinger. In ihren Liedern und Sagen konnten sie den Met nicht genug verherrlichen, und auch ihre Götter genossen ihn sehr üppig.
Der Ursprung des Met wurde auf Kvasir (oder Kwaser), das weise und allwissende Friedensgeschöpf der Götter zurückgeführt, welches aus dem vermischten Speichel der Asen und Wanen entstand. Fjalar und sein Bruder Galar waren bösartige Zwerge, die Kvasir töteten, um seine Zauberkraft zu bekommen. In einem Kessel mischten sie sein Blut mit Honig und erhielten daraus Met, der Weisheit verlieh. Aber sie verloren den Met an den Reifriesen Suttung, dessen Eltern sie auch getötet hatten. Suttung prahlte mit seinem Neuerwerb, worauf Odin beschloß, ins Land der Reifriesen (Jötunheim) zu gehen, und den Zaubertrank in seinen Besitz zu bringen. Er überredete den Reifriesen Baugi, einen Tunnel durch den Berg zu bohren, in dem Suttung den Met unter Aufsicht seiner Tochter Gunnlod verwahrte. Als das Loch fertig war, wechselte Odin seine Gestalt zu der einer Schlange und kroch schnell zu dem versteckten Schatz. In der Höhle angekommen verwandelte er sich abermals, diesmal in die Gestalt eines gutaussehenden einäugigen Riesen und war drei Tage und Nächte lang Gunnlods Liebhaber. Die Riesin ließ ihn den Met trinken, worauf er sich in einen Adler verwandelte und nach Asgard flog. Suttung verfolgte ihn, ebenfalls in der Gestalt eines Adlers, aber Odin schaffte es mit knappem Vorsprung. Bei Riesen, Zwergen und Göttern stieg Met zum heißbegehrten Zaubertrank auf, der ihnen Kraft, Weisheit und Unsterblichkeit schenken sollte.

Met im Mittelalter

Nachdem die Römer vor 2.000 Jahren die Rebe in Deutschland eingeführt hatten, wurde der Met nach und nach von den Tischen der vornehmen Welt verdrängt und durch den viel köstlicheren Traubenwein ersetzt. Dieser Konkurrent hatte ein leichtes Spiel, weil die Metsieder im Altertum und auch lange später noch nicht die nötigen Kenntnisse besaßen, um ein dem Traubenwein gleichkommendes Getränk herzustellen.
Doch Met hatte einen Vorteil, der ihn für das einfache Volk attraktiv machte: er war wesentlich billiger als Traubenwein, weil man den Honig kostenlos von wilden Bienen aus dem Wald holen konnte. Im Mittelalter entwickelte sich Met deshalb zu einem Volksgetränk.
Unsere Vorfahren bereiteten den Met, indem sie den in den riesigen Wäldern Deutschlands massenhaft vorkommenden Bienenhonig einfach mit Wasser verdünnten. Der französische Name des Mets „Hydromel“ (Honigwasser) ist daher sehr richtig. Später wurden die Honigbienen auch durch Imker richtig gezüchtet. Durch Gärung gewann der Met wesentlich an Geschmack und Alkoholgehalt (bis maximal 14,5 %).

Nach dem Mittelalter

Durch den Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) wurde die deutsche Bienenzucht vernichtet, und mit ihr verschwanden mangels Rohstoff auch die Metsiedereien. Das Wiederaufkommen des Mets als Volksgetränk wurde noch dadurch erschwert, daß das Brauen von Bier aus Gerste und Hopfen rasch einen großen Aufschwung nahm und das Bier bis zum heutigen Tag viele Liebhaber fand.

Met heute

Erst im neunzehnten Jahrhundert, als sich die Bienenzucht wieder erholte, wurden Versuche gemacht, den Met in Deutschland wieder zu Ehren zu bringen, leider aber ohne großen Erfolg. Dennoch konnte sich der Met einen kleinen Kreis von Liebhabern erhalten, und er findet zum Beispiel auf mittelalterlichen Veranstaltungen reißenden Absatz. Deshalb wird er auch weiterhin gewerblich hergestellt. Es gibt aber auch Scharlatane, die einfach Honig mit etwas Alkohol und Wasser mischen und Ahnungslosen dieses widerliche Gesöff als Met verkaufen. Es ist aber recht einfach, richtigen und auch köstlichen Met selbst zu machen.

Das Prinzip der Metbereitung

Das Prinzip der Metbereitung besteht einfach darin, daß die im Honig enthaltenen Zuckerarten Traubenzucker und Fruchtzucker durch Gärung mit Hefe in Alkohol (Äthylalkohol), Kohlendioxid und Wärme umgewandelt werden.

C6H12O6 + Hefe => 2 C2H5OH + 2 CO2

Es gibt viele Methoden, Met und metähnliche Getränke selbst herzustellen, und dafür sollen hier einige Möglichkeiten vorgestellt werden. Auf ähnliche Weise wie Met können auch Frucht- und Obstweine hergestellt werden, nur halt aus deren Saft anstatt aus Honig (der Saft sollte 100 % Fruchtgehalt haben und frei von Konservierungsstoffen sein, und gegebenenfalls muß zusätzlicher Zucker oder Honig zugesetzt werden).
Nach dem deutschen Lebensmittelrecht darf aber nur Met, der nach den speziellen gesetzlichen Regelungen für Met hergestellt wurde, auch offiziell als „Met“ bezeichnet und unter dieser Bezeichnung gewerblich vertrieben werden. Die Herstellung nach diesen Verfahren ist aber sehr langwierig und teuer. Für den Eigenbedarf empfehlen sich daher ein paar einfachere Rezepte (solch ein Gebräu darf jedoch nur unter der Bezeichnung „metähnliches Getränk“ und „Honigwein“ gewerblich verkauft oder ausgeschenkt werden). Es gibt verschiedene „Arten“ von Honigwein, die man selbst herstellen kann, wobei diese sich vor allem darin unterscheiden, wie lange sie vergoren wurden.

Was man alles braucht

Grundsätzlich benötigt man eine Grundausstattung an Gerätschaften, welche die nachfolgenden Dinge umfaßt und stets sauber gehalten werden sollte.

Der Gärbehälter

Dies ist das Gefäß, in dem die Gärung stattfinden soll, normalerweise eine Flasche, ein Kunststoffkanister oder ein Faß. Die Größe richtet sich nach der herzustellenden Menge. Natürlich genügt für anfängliche Neugier auch eine normale Glasflasche, aber diese sollte mindestens einen oder zwei Liter fassen. Besser sind natürlich die richtigen Glasballonflaschen mit gewölbtem Boden zur Weinherstellung mit 5, 10 oder 20 Litern Fassungsvermögen, und diese sollten für den Hausgebrauch auch ausreichen.

Zur Reinigung der großen Flaschen gibt es spezielle Ballonflaschenbürsten. Natürlich kann man auch noch größere Glasballons nehmen, doch sollte man berücksichtigen, daß diese mit zunehmender Füllmenge auch entsprechend schwer werden, denn man muß ab und zu umfüllen und den Inhalt schwenken. Dieser Punkt wird oft unterschätzt. Auf Gärbehälter über 50 Litern Volumen sollte man tunlichst verzichten, denn man muß sie ja noch bewegen können. Eigentlich sollten 20 Liter bereits das Maximum sein, was eine noch einigermaßen bequeme Handhabung betrifft. Gefüllte Glasballons dürfen beim Transport aus Sicherheitsgründen nicht am Hals angefaßt werden, sondern immer nur am Flaschenkörper.

Glas ist geschmacksneutral, außerdem kann der Verlauf der Gärung gut beobachtet werden, und insbesondere das Abziehen des Weins von einem Bodensatz wird so erleichtert. Zum Abziehen und Umfüllen empfiehlt sich auch die Anschaffung eines zweiten Glasballons. Das Umfüllen ist aber temporär und kann auch in kleinere Gefäße erfolgen, so daß man notfalls mit einem größeren Gärbehälter auskommt (sofern man nicht mehrere Metansätze gleichzeitig herstellen möchte). Professionelle Methersteller nehmen dafür sogar richtig große Fässer und saugen die Flüssigkeit zum Umfüllen mit einem Schlauch ab.
Die Glasbehälter sollten aus grünen (üblich) oder noch besser braunem Glas sein, der den Inhalt vor zu viel Licht schützt. Noch besser ist natürlich die Möglichkeit, den Met im Dunkeln gären zu lassen. Für die Glasballons gibt es praktische Tragekörbe aus Korb oder Kunststoff, welche die Handhabung der schweren (wenn gefüllt) Flaschen erleichtern. Unnötig zu erwähnen, daß der Gärbehälter vor dem Befüllen und bei jedem Umfüllen mit heißem Wasser gründlich ausgespült und hartnäckig anhaftender Schmutz mit der Bürste entfernt werden sollte.
Man sollte bei der Wahl der Flaschengröße berücksichtigen, daß man im Laufe der Herstellungszeit etwa 10 bis 20 % Flüssigkeitsverlust hinnehmen muß (durch Filterung, Umgießen, Verdunstung und der Umwandlung von Zucker in Kohlendioxid). Ferner sollte man die Flasche nie ganz füllen, sondern immer ca. 10 bis 20 % ihrer Höhe als Steigraum für den Schaum frei lassen, da Met bei der Gärung, vor allem anfangs, stark schäumen kann und sich so selbst aus der Flasche herausdrücken würde. So kann man davon ausgehen, daß man etwa 75 bis 80 % des Gärbehältervolumens an Met erzielen kann, oder andersherum, daß der Behälter etwa 25 bis 33 % größer sein sollte als die gewünschte Menge Met.

Daß der beste Wein in einem Holzfaß lagern muß, ist immer noch ein weit verbreiteter Irrglaube. Das Holzfaß vereinigt fast alle Nachteile, die ein Behälter zur Lagerung des Weins haben kann. Es ist luftdurchlässig, wegen der Poren im Holz schlecht zu reinigen und teuer in der Anschaffung und Pflege. Einzig wer den Holzgeschmack in seinem Wein mag und einen Küfer in seiner Nähe hat, der das Faß zerlegen und reinigen kann, sollte ein Holzfaß benutzen. Kunststoffässer sind preiswert und relativ gut zu reinigen. Allerdings sollte der Wein in einem Kunststoffaß nicht länger als ein Jahr gelagert werden. Ideal ist die teuerste Lösung, ein Edelstahlfaß. Für kleinere Mengen sind auch Glasballons gut geeignet.

Der Stopfen

Der Stopfen verschließt den Gärbehälter und verhindert das Eindringen von Luft, damit der darin enthaltene Sauerstoff keinen Verderb herbeiführen kann (der kurze Luftkontakt beim Umfüllen ist jedoch unkritisch). Der Stopfen muß allerdings durchbohrt sein, damit das bei der Gärung entstehende Kohlendioxid entweichen kann. Andernfalls würde sich ein hoher Druck aufbauen, der den Stopfen herausschießen oder gar den Gärbehälter zum Explodieren bringen würde. Der Stopfen kann aus Kork sein (feucht halten) oder aus Gummi bestehen (hygienischer). Gummistopfen gibt es als Kappe zum äußeren Überziehen auf den Flaschenhals sowie als „Korken“ zum Hineinstecken (letzteren nie zu tief hineinstecken, denn dann bekommt man ihn nur schwer wieder heraus). In die Bohrung des Stopfens wird ein Gärverschluß (s.d.) eingesetzt. Der Stopfen sollte vor der Benutzung und bei jedem Umfüllen sterilisiert oder zumindest mit heißem Wasser gründlich gereinigt werden.

Der Gärverschuß

Der Gärverschluß ist im Prinzip ein Rohrsystem, bei dem das ausströmende Kohlendioxid durch Wasser nach außen abgeleitet wird. Dies dient zum einen dazu, den Druck des durch die Gärung entstehenden Kohlendioxids abzuleiten, zum anderen dazu, das Gärgut vor eindringendem Luftsauerstoff, der zum Verderb führen kann, und unerwünschten Mikroorganismen zu schützen und außerdem dazu, die Gärungsaktivität (Menge und Frequenz der austretenden Gasbläschen) beobachten zu können. So läßt sich anhand der Blasenwanderung im Gärverschluß der Fortschritt und das Abebben des Gärungsprozesses gut verfolgen. Notfalls genügt aber auch ein Wattepfropfen.
Im Prinzip gibt es zwei Varianten von Gärverschlüssen. Die erste ist das Gärröhrchen (Neßler’sche Gärröhre), welches wie ein Siphon arbeitet. Es besitzt eine spiralförmige Schlaufe mit zwei kugelförmigen Erweiterungen. Diese Schlaufe wird zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Der Druck läßt das Kohlendioxid in Form von Bläschen durch das Wasser wandern und entweichen. Erhältlich ist das Gärröhrchen aus Glas oder aus transparentem Kunststoff. Ein Glasaufsatz ist schön anzusehen, aber auch sehr empfindlich, deshalb empfiehlt sich doch eher Kunststoff.
Die zweite Form ist der zweiteilige Gäraufsatz (Duplex, Gärtrichter), der aus einem Behälter besteht in dem ein zweiter, kleinerer umgekehrt über der Ausströmöffnung im Wasser steht. Der „Deckel“ wird durch den Gasdruck angehoben und läßt das Kohlendioxid damit wie ein Sicherheitsventil ebenfalls durch das Wasser entweichen, worauf der „Deckel“ wieder zurückfällt. Diese Variante läßt sich leichter reinigen.
Beide Formen verhindern durch die Wassersperre das Eindringen von Sauerstoff, Mikroorganismen und Insekten. Das entweichende Kohlendioxidgas (Kohlenstoffdioxid) kann im Gärverschluß mit Calciumhydroxid-Lösung (die nicht in das Gärgut geraten sollte) nachgewiesen werden, wobei weißliches Calciumcarbonat und Wasser entstehen.


Ca(OH)2 + CO2 => CaCO3 + H2

Essigsäurebakterien sind bei der Weinbereitung unerwünscht, denn Weine mit einem Essigstich schmecken sauer und rauh und sind verdorben. Essigsäurebakterien sind abhängig vom Luftsauerstoff, und Essigsäure ist ein Produkt ihrer Atmung (unvollständige Oxidation). Deshalb ist es auch verhältnismäßig einfach, sich vor diesen Bakterien und anderen schädlichen Mikroorganismen zu schützen, indem man jeden unnötigen Kontakt des Weins mit Luftsauerstoff mit Hilfe des Gäraufsatzes vermeidet.
Dies gilt insbesondere für Weinansätze, die noch einen geringen Alkoholgehalt aufweisen, weil Essigsäurebakterien weniger alkoholtolerant sind als viele Reinzuchthefen. Ab einem Alkoholgehalt von etwa 12 % können Essigsäurebakterien nicht mehr existieren.
Gäraufsätze verwehren außerdem Essig- oder Taufliegenarten der Gattung Drosophila den Zugang zum Wein. Diese lieben faulendes und in Gärung übergehendes Obst und werden vom Geruch des gärenden Weins angezogen. Wie der deutsche Name der Fliegen andeutet, übertragen diese Fliegen Essigsäurebakterien und dürfen deshalb nicht in den Wein gelangen. Im Hochsommer findet man diese Tiere zuweilen zu Dutzenden ertrunken im Wasser des Gärröhrchens. Es ist darauf zu achten, daß dieses „verseuchte“ Wasser nicht in den Wein gelangt (das Gärröhchen langsam herausziehen, damit der Unterdruck dessen Inhalt nicht in den Gärbehälter saugt).
Gärverschlüsse gibt es im Wein- und Keltereifachhandel, in gut sortierten Drogerien und Apotheken, im Chemiebedarf und manchmal auch im Zoofachhandel.
Wenn man keinen Gäraufsatz hat, kann man die Flasche notfalls auch mit einem Tuch, welches mit einem Gummiband befestigt wird, einem Wattebausch oder Frischhaltefolie, in die ein kleines Loch gestochen wird, verschließen. Auch dies sorgt dafür, daß das Kohlendioxid entweichen kann und hält die Fruchtfliegen fern. Allerdings kann im späteren Verlauf der Gärung, wenn kein Überdruck mehr entsteht, Luftsauerstoff eindringen. Deshalb sollte man den Wein in diesem Fall nicht ganz so lange ausgären lassen wie mit Gärverschluß, sondern ihn etwas eher abziehen.

Leere Flaschen

Man benötigt adäquat zur hergestellten Menge leere Flaschen zum temporären Umfüllen und zum letztendlichen Abziehen des fertigen Mets. Auch diese sollten stets mit heißem Wasser gründlich gereinigt werden. Solange der Gärungsprozeß nicht endgültig gestoppt ist, dürfen diese auf keinen Fall verschlossen werden, da sie sonst durch den entstehenden Gasdruck explodieren können! Bewährt haben sich leere Colaflaschen aus PET-Kunststoff, weil sie stabil, groß und leicht sind und sich dicht verschließen lassen.

Zum „Kredenzen“ des Mets bei Tisch oder auf Mittelalterfesten eignet sich natürlich eine schön geformte Glasflasche oder eine Karaffe wesentlich besser. Stilechter ist natürlich ein Tonkrug oder ein kleines Holzfäßchen.
Übrigens haben nur die Wikinger und Nordleute des Frühmittelalters Met aus Hörnern getrunken. Im Mittelalter trank man ihn ganz normal aus Holz- oder Tonbechern.

Honig

Honig entsteht durch Verdickung und Fermentation von Nektar, Honigtau (zuckerhaltige Ausscheidung von Blattläusen) oder Zuckerwasser im Honigmagen der Biene. Je nach Herkunft besteht Honig zu etwa 75 % aus reinen Zuckern (etwa 35 % Fruktose, 30 % Glukose, 10 % Polysaccharide) und u.a. aus Aromastoffen. Honig ist übrigens das einzige Lebensmittel, das niemals verdirbt.

Welchen Honig man bevorzugt, ist eine Frage des Geschmacks und des Geldbeutels. An sich ist es egal, es muß nicht unbedingt der Teuerste sein. Allerdings sollte man von billigen Kunsthonigprodukten aus Geschmacksgründen absehen. Für die Herstellung des Mets ist die Art des Honigs unerheblich (im Prinzip funktioniert es sogar mit Zuckerwasser), nicht aber für den Geschmack, und wenn man etwas Gutes möchte, sollte der Honig schon „echt“ und auch kaltgeschleudert sein, denn nur dann bleiben seine wertvollen Inhaltsstoffe erhalten.
Einen milderen Geschmack erreicht man durch Linden- oder Kleehonig, einen sehr würzigen durch Tannenhonig. Man kann hierbei aber natürlich auch andere Sorten verwenden oder verschiedene Sorten miteinander mischen.


Der Honig im Met hat zudem den Vorteil, daß er im Körper die Bildung von Enzymen anregt, die den Alkohol abbauen. Das könnte der Grund dafür sein, warum ich von meinem Met – im Gegensatz zu anderen Alkoholika – noch nie Kopfschmerzen bekommen habe. Ansonsten soll ein Teelöffel voll Honig vor dem Schlafengehen auch gut gegen den Kater am nächsten Morgen sein.

Hefe

Geschmacklich am besten eignet sich Weinhefe (Reinzuchthefe) aus der Apotheke, der Drogerie oder dem Weinfachhandel, und zwar eine Südweinrasse, wie Portwein, Samos, Malaga, Sherry oder ähnlich. Notfalls tut es aber auch Bierhefe oder Bäckerhefe (ca. 0,30 Euro im Kühlregal des Lebensmittelhandels), wenn man nicht unbedingt eine Spätlese herstellen oder den Wein verkaufen will.
Wichtig ist, daß die Hefekultur noch lebt. Mit toter Hefe verdirbt man alle Zutaten. Deshalb wird die Hefe zunächst in ein Glas voller Zucker- oder Honiglösung oder süßem Apfelsaft ohne Konservierungsstoffe eingerührt und bei Zimmertemperatur stehen gelassen. Steigen nach ein paar Stunden (bei Bäckerhefe schon nach ein paar Minuten) oder am nächsten Tag reichlich Gasbläschen auf, so lebt die Hefe, und der flüssige Anteil im Anzuchtglas kann dem Gärgut zugegeben werden.
Man kann natürlich auch, wie ganz früher üblich, auf natürliche Hefen zurückgreifen, also den Rohmet offen stehen lassen, bis eine Gärung durch die in der Luft vorkommenden Hefepilze einsetzt. Dies ist aber recht unsicher, und oftmals ist, gerade auch bei Obstweinen, der Schimmel schneller, und man kann alles wegschütten. Außerdem erzeugt eine wilde Gärung Fuselöle, die zu Kopfschmerzen führen.

Die Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae), deren lateinischer Name wörtlich übersetzt „Zuckerpilz des Bieres“ lautet, gehört systematisch zu den Ascomyceten (Schlauchpilzen) und zählt mit den Basidiomyceten (Ständerpilze, wie zum Beispiel Champignons) zu den höheren Pilzen.

Pilze sind wieder Tier noch Pflanze. Wie die Pflanzen besitzen sie eine Zellwand, die sich in ihrem Aufbau aber von der pflanzlichen Zellwand deutlich unterscheidet. Außerdem können sie keine Photosynthese betreiben, sind also nicht in der Lage, Sonnenlicht als Energiequelle zu nutzen. Aber ihre Zellen besitzen alle wesentlichen Bestandteile der tierischen und der pflanzlichen Zelle, einen echten Zellkern und verschiedene Organzellen. Die zellulären Prozesse der Hefezellen ähneln denen der bakteriellen Zellen oft derart, daß sich die einfach zu handhabende Bäckerhefe als Modellorganismus etabliert hat.

Die „Hefepilze“ sind birnenförmige bis zylindrische Zellen, die einzeln oder in Sproßketten vereint auftreten können. Sie kommen unter anderem im Boden natürlich vor und gelangen von dort in Blüten und Früchte. Fruchtsäfte sind für sie ein ideales Nährmedium. Bekommt eine überreife Frucht den typisch „scharfen“ Beigeschmack von Alkohol, so waren Hefen am Werk.

Alle Kulturhefen wurden aus solchen Wildhefen gezüchtet. Die Bäckerhefe wird sowohl für die Herstellung von Hefeteig, Bier und Wein benutzt, auch wenn sich die verwendeten Stämme in ihrem Anwendungsprofil unterscheiden. Über Jahrhunderte hinweg wurden die Stämme auf die verschiedenen Anforderungen hin selektiert. Soll der Teig gut aufgehen, so ist eine rasche Produktion von Kohlendioxid gewünscht. Soll dies rasch geschehen, so ist eine kleine Zuckerzugabe notwendig. Stämme für die Alkoholherstellung sollen eine hohe Toleranz gegen Alkohol und Schwefeldioxid aufweisen und den Geschmack des Getränks positiv beeinflussen.
Zwei wesentliche Eigenschaften des Hefestoffwechsels sind also die Bildung von Kohlendioxid und Alkohol (Äthanol), wobei Zucker verbraucht wird. Bei der alkoholischen Gärung kann schließlich so viel Alkohol angereichert werden, bis die Hefen daran zugrunde gehen. Hierbei muß man jedoch bedenken, daß die wenigsten anderen Mikroorganismen so alkoholtolerant sind wie die Hefen. Durch die systematische Vergiftung ihrer näheren Umgebung hemmt die Hefe das Wachstum von Nahrungskonkurrenten und kann sich so letztlich doch gegenüber Schimmelpilzen und Bakterien durchsetzen.
Trauben beziehungsweise Obst enthalten Zucker, und zwar Traubenzucker (Glukose) und Fruchtzucker (Fruktose). Sie werden von der Hefe in trinkbaren Alkohol (Äthylalkohol oder Äthanol) umgewandelt. Die Hefe produziert Gärhilfsstoffe (Fermente beziehungsweise Enzyme), die in der Lage sind, aus dem Trauben- und Fruchtzucker Alkohol herzustellen. Bei diesem Gärvorgang entsteht zusätzlich Kohlendioxid.
Heute handelsüblicher Raffinadezucker wird aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr gewonnen. Diese Zuckerarten bezeichnet man als Saccharose. Diese läßt sich nicht direkt vergären, denn das geht eben nur mit Glukose und Fruktose. Aber durch einen Umweg ist es trotzdem möglich, Saccharose zu trinkbarem Alkohol zu vergären. Mit Hilfe eines besonderen Enzyms (Saccharase) der Hefe wird zunächst die Saccharose in Fruktose und Glukose gespalten, und dann beginnt erst der eigentliche Gärvorgang. Im Obstsaft beziehungsweise Honigwasser findet die Hefe genügend Nahrung, um diese besonderen Enzyme zu produzieren und damit auch zugesetzte Saccharose zu vergären.
Für den Gärvorgang sollten nur Zutaten verwendet werden, die keine Konservierungsstoffe enthalten, denn diese würden die Hefe abtöten.
Äthanol ist sicherlich das wichtigste Gärungsprodukt der Hefen, aber nicht das einzige. So sorgt zum Beispiel die Bildung kleiner Mengen Schwefelwasserstoff (H2S) beim Vergären einiger Fruchtsorten für einen Geruch nach faulen Eiern (dieser Geruch ist selten intensiv und ist spätestens im fertigen Wein verschwunden).
Ein weiteres Nebenprodukt ist Methanol (Methylalkohol), ein Alkohol mit nur einem Kohlenstoffatom (H3COH). Methanol ist zwar giftig, in kleinen, unbedenklichen Mengen aber immer in Weinen enthalten. Der in geringsten Mengen bei jeder Gärung entstehende Methylalkohol ist für den menschlichen Körper ohne Bedeutung.
Ein eventuell gefährlicher Methanolgehalt hängt weniger von der Hefe, als vielmehr von der Art des verwendeten Gärgutes und der Dauer des Gärprozesses ab. Methanol entsteht bei der Gärung nicht aus dem Zucker, sondern als unerwünschtes Nebenprodukt durch enzymatischen Abbau von Pektin. Je pektinhaltiger der Saft ist, desto mehr Methanol entsteht. Das ist bei der relativ kurzen Gärdauer und insbesondere bei Honigweinansätzen aber ziemlich unkritisch und wird erst dann interessant, wenn man Branntwein daraus herstellen will. Das ist aber u.a. aus diesem Grund in Deutschland für Privatleute ohnehin verboten.
Längerkettige Alkohole entstehen ebenfalls und werden als Fuselöle zusammengefaßt. Diese sind auf der einen Seite für das Bukett des Weines mitverantwortlich, können aber auch zum Kopfschmerz am Tag danach führen.
Die Bildung von Glycerin (H2COH-HCOH-H2COH) wirkt sich positiv auf den Wein aus, denn es schmeckt süßlich und dickt die Flüssigkeit förmlich ein. Dadurch haftet der Wein länger an den Schleimhäuten und ist hauptverantwortlich für die Nachhaltigkeit des Weingeschmacks. Weiterhin entstehen bei Obstweinen noch organische Säuren wie zum Beispiel die Milchsäure.
Reinzuchthefen haben gegenüber der Bäckerhefe den Vorteil, daß sie daraufhin optimiert sind, möglichst wenig unerwünschte Nebenprodukte zu produzieren. Bäckerhefe hat dagegen den Vorzug, daß sie sehr schnell und stürmisch angärt und damit bereits nach einer knappen halben Stunde schon die dominierende und sich am schnellsten vermehrende Lebensform im Gärgut darstellt, gegen die andere Hefen oder Schimmel (allein schon der Ausgangsmenge wegen) keine Chance mehr zum Durchsetzen haben. Außerdem hat sich nach etwa einer Woche bereits so viel Alkohol (ca. 3 bis 5 %) gebildet, daß es die in der Luft befindlichen fremden Mikroorgansimen beim ersten Umfüllen bereits sehr schwer haben, überhaupt noch Fuß zu fassen.
Bei nur langsam in Gang kommender Reinzuchthefe sieht das schon anders aus. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, daß Reinzuchthefe oft gar nicht anfing zu gären (wer weiß, wie lange die beim Händler schon herumgelegen hatte?).
Allerdings sollte man – gerade auch bei der Verwendung von Bäckerhefe – den sich absetzenden Hefeschlamm (Geläger) regelmäßig durch Umgießen entfernen, und zwar während der Gärung wöchentlich und während des Lagerns monatlich, so wie es auch in Rezepten aus dem Mittelalter schon empfohlen wird. Dann sollte man eigentlich immer Erfolg mit dem Wein und keinerlei Hefegeschmack im Endprodukt haben, auch wenn man mit Bäckerhefe arbeitet. Wird die abgestorbene Hefe allerdings nicht ab und zu entfernt, zersetzt sie sich und bildet schwefelhaltige Eiweiße. Diese verderben den Geschmack, und der Wein schmeckt eklig hefig.
Vermeiden sollte man allerdings die „wilde Gärung“ von Obstweinen, bei der man auf die Tätigkeit der wenigen natürlichen Hefen hofft, die den Früchten anhaften, denn man gibt damit zunächst den Bakterien und dem Schimmel Zeit, ihr Unwesen zu treiben, und anschließend produziert man mit hoher Wahrscheinlichkeit einen fuselölreichen Kopfschmerzwein.
Natürliche Hefen können bei der Spontangärung Alkohol nur bis etwa acht Prozent bilden und benötigen für diesen Prozeß auch Sauerstoff. Sauerstoff jedoch stört die Weinzubereitung, indem er das Wachstum von schädlichen Bakterien und anderen Mikroorganismen fördert, die den Wein ungenießbar machen. Erfahrungsberichte aus der Landbevölkerung bestätigen die üblen Folgen (Kopfschmerzen) wilder Gärung, und weil damit keine guten Weine erzielt wurden, gab man diese Versuche bald wieder auf.
Um das zu verhindern, wird das Wirken der natürlichen Hefen unterdrückt; stattdessen verwendet man für die Gärung eben speziell hierfür entwickelte Reinzuchthefen (Weinhefen), die ohne Sauerstoff arbeiten. Sie sind reine Naturprodukte (keine Chemie), die jedoch eine wesentlich höhere Alkoholbildung erlauben.
Man wundert sich, wie unterschiedlich in der Herstellung ansonsten identische Weine schmecken können, wenn unterschiedliche Reinzuchthefen verwendet wurden. Soweit es mir bekannt ist, gibt es zwei Firmen in Deutschland, die Weinhefen über Apotheken und Drogerien verkaufen. Beide sind in Qualität und Darreichungsform (kleine Kunststofffläschchen mit flüssiger Hefe) gleichwertig. Bei Flüssighefen gibt es eine größere Artenvielfalt als bei Trockenhefen. Diese müssen jedoch vor der Verwendung zwei bis drei Tage lang angesetzt werden, damit sie sich ausreichend vermehren können. Diese Zeit muß man bei der Arbeitsplanung berücksichtigen.
Trockenhefen dagegen können sofort eingesetzt werden. Es sind nur geringe Mengen (im Grammbereich) erforderlich. Übriggebliebene Hefe kann problemlos aufgehoben werden, sofern sie trocken gelagert wird. Nach dem angegebenen Mindesthaltbarkeitsdatum sollte sie jedoch nicht mehr verwendet werden. Um den Gärbeginn zu beschleunigen, kann die Trockenhefe kurz vor ihrer Verwendung in etwas lauwarmem Wasser angesetzt werden. Sie nimmt dabei die bei der Trocknung entzogene Flüssigkeit wieder auf. Dazu reichen 15 bis 30 Minuten aus.
Bei Reinzuchthefen gilt es, ein wenig über die Sorte nachzudenken, die man verwenden möchte. Die Hefen können nämlich je nach Sorte bis zu bestimmten Alkoholgehalten arbeiten, dann sterben sie ab. Dazu brauchen sie auch unterschiedliche Mengen Zucker. Außerdem unterscheiden sie sich hinsichtlich Schaumbildung, Temperaturbeständigkeit, Temperaturbereich, Schwefeldioxidfestigkeit und noch weiteren Kriterien. Die Hefen haben wohlklingende Rassenamen, die aber nur zum Teil sinnvoll angeben, für welche Weine sie sich eignen. Dies ist aber vor allem für Traubenweine wichtig, für Obstweine und Met spielt dies jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Hier genügt sogar Bäckerhefe, mit der ich hervorragende Ergebnisse erziele.
Wichtig ist der für die Hefe richtige Zuckergehalt des Gärguts. Leichte Weine sind schneller fertig und trinkbar als die schwereren, sind aber auch weniger lange haltbar, schlechter zu konservieren und somit anfälliger gegen Essigsäurebakterien, Fäulnis und Schimmel. Die schweren Weine aus Tokayer- oder Portwein-Hefen konservieren sich durch ihren hohen Alkoholgehalt selbst. Auch für Met eignen sich besonders die Heferassen für schwere Weine.

Wein:

Zuckergehalt:

Beispiele für geeignete Hefen:

leicht

wenig

Zeltinger, Piesporter, Bernkastler

mittel

mittel

Steinberg, Bordeaux, Burgund

schwer

viel

Sherry, Tokayer, Haut-Sauternes, Portwein

Gewürze

Gewürzt werden kann nach Geschmack. Doch hier gilt, daß zuwenig besser ist als zuviel. Nachwürzen kann man dann ja immer noch, auch nach der Gärung.
Typische Metgewürze (in beliebiger Menge und Zusammenstellung) sind zum Beispiel Zimt, Kardamom, Salbei, Hopfen, Nelken, Ingwer, Kalmus, Anis und Pfeffer.
Hopfen sollte man nicht mehr als 1 Gramm pro Liter zugeben, weil der Met sonst zu bitter wird. Der Hopfen wird vorher 10 bis 15 Minuten in etwas Wasser gekocht und abgekühlt in das Honigwasser gegossen.
Prinzipiell kann man zum Würzen auch frische Kräuter hinzugeben, die man kleinhackt und für ca. zwei Wochen im Gärgut schwimmen läßt. Der sich bildende Alkohol zieht das Aroma heraus. Nach zwei Wochen schöpft man sie mit dem Sieb heraus.

Trübstoffe

Hefe gärt nur, wenn sie auf einer Oberfläche sitzt. Das bedeutet, daß eine Hefepilzzelle sich erst irgendwo anlagert und dann frißt (also Zucker aufnimmt und diesen als Alkohol und Kohlendioxid ausscheidet). Das läßt sich gut daran beobachten, daß das gerührte, geschüttelte oder umgefüllte Gärgut erst wieder einen Moment lang zur Ruhe kommen muß, bevor die Gärung wieder einsetzt (viele Bläschen aufsteigen).
Trübstoffarme Weine gären deshalb langsam und bilden evtl. weniger Alkohol als vergleichbare trübe Weine. Dadurch kann die entstehende Kohlensäure auch nur schwer als Gas austreten, weshalb besonders auch Obstweine oft heftig aufschäumen, wenn man nachträglich Zucker hinzufügt.
Nun ist Honigwasser aber im Prinzip eine klare Zuckerlösung, die kaum Trübstoffe enthält, an welche die Hefe sich anlagern kann. So setzt sie sich meist auf der Innenseite des Gärbehälters ab, und hier gewöhnlich am Boden. Dadurch ist die von der Hefe besetzbare Oberfläche aber verhältnismäßig klein. Die Folge davon ist, daß der Gärprozeß entsprechend länger dauert, weil nicht so viel Zucker auf einmal vergoren werden kann.
Um die Gärung zu beschleunigen, kann man daher Trübstoffe zugeben, die der Hefe durch die enorme Oberflächenvergrößerung (auch in der Flüssigkeit schwebend) mehr Fläche zum Anlagern geben und die sich nach der Gärung zusammen mit den Hefezellen absetzen.
Dazu eigenen sich vor allem Mehl und die faserreichen Äpfel. Mehl sollte geschmacksneutral sein und beeinflußt dann das Aroma nicht. Man sollte etwa 1 Gramm Mehl pro Liter Met zugeben. Der Nachteil von Mehl ist, daß es sehr fein ist und der fertige Met daher wesentlich öfter gefiltert werden muß und mehr Zeit bei der Reifung braucht, bis sich die Trübung am Boden absetzt oder man den Met überhaupt nicht klar bekommt. Evtl. kann man die „mehlige“ Konsistenz des trüben Mets sogar auf der Zunge spüren.
Äpfel, zerrieben oder als naturtrüber Apfelsaft (ohne hefetötende Konservierungsstoffe), enthalten zwar recht grobe Fasern, die sich gut ausfiltern lassen, aber sie beeinflussen natürlich auch den Geschmack. Das muß nicht negativ sein, denn der Met erhält so eine fruchtige Note. Allerdings sollte Apfel nur in Maßen zugegeben werden, denn schließlich soll es Met werden und kein Apfelwein. Die natürliche Säure des Saftes kann die Zugabe von Milchsäure zumindest teilweise ersetzen.
Alternativ kann auch heller Traubensaft zugegeben werden. Dieser fördert erwiesenermaßen die Gärung. Roter Traubensaft führt zu unerwünschten Verfärbungen, geht notfalls aber auch („Roter Met“ oder „Blutmet“ sind nette Phantasiebezeichnungen dafür).
Die Verwendung von Trübstoffen ist bei gewerblich hergestelltem Wein nicht erlaubt, insbesondere der Zusatz von Traubensaft ist gesetzlich verboten.

Hefenährsalz

Nicht unbedingt erforderlich, aber von vielen Winzern empfohlen, ist auch Hefenährsalz in Tablettenform. Das Hefenährsalz besteht aus Stickstoff- und Phosphorverbindungen, hauptsächlich Ammoniumsulfat ((NH4)2SO4) und stellt quasi einen Dünger für die Hefepilze dar. Es führt der Hefe Mineralien zu und unterstützt den Gärungsprozeß, damit sich die Hefezellen vermehren können. Es erleichtert der Hefe den Start und verschafft ihr so einen Vorteil gegenüber Fremdhefen, Essigsäurebakterien oder Schimmelpilzen.
Während der Gärung bilden die Hefen Biomasse, die im Vergleich zu pflanzlicher Biomasse reich an Proteinen und Nukleinsäuren ist. Deshalb haben die Hefen einen besonders hohen Bedarf an den beiden Elementen Stickstoff (N) und Schwefel (S), der durch die Zersetzung des abgestorbenen Materials nur ungenügend gedeckt werden kann. Stickstoffmangel führt sogar direkt zu einer Hemmung der Zuckeraufnahme der Hefezellen und damit zu einer stockenden Gärung.
Zur Vermeidung dieser Effekte gibt man auf einen Liter Weinansatz 0,4 Gramm Ammoniumsulfat. Das Salz sollte vorsichtig dosiert werden, da es sich sonst geschmacklich auswirken kann und höhere Dosen außerdem bei gewerblich hergestelltem Wein gesetzwidrig sind. Eine Überdosierung ist also unbedingt zu vermeiden. Nährsalze sind im natürlichen Obstsaft meist in ausreichender Menge enthalten, nicht so in Honig. Im Handel erhält man es in Form von Tabletten, die das Dosieren erleichtern.
Das zugesetzte Nährsalz verbraucht sich nach ein paar Tagen, und dann kommt die Hefe auch ohne es aus. Insbesondere bei kleineren Ansätzen und wenn man einigermaßen hygienisch arbeitet, kann man also durchaus auf dieses Hilfsmittel verzichten und davon ausgehen, daß sich die Gärhefe auch von allein durchsetzt.

Säure

Milchsäure (aus der Apotheke) ist nicht unbedingt erforderlich, kann aber aus Geschmacksgründen zugesetzt werden, weil der Honig von Natur aus nur ganz wenig Säure enthält. Zur Säuerung bieten sich Milchsäure (E2270) und Zitronensäure an, wobei die Milchsäure auf jeden Fall vorzuziehen ist, denn sie ist gärungsstabil, kann also nicht weiter abgebaut werden, und die hinzugefügte Säuremenge ist somit endgültig. Außerdem ist sie eine milde Säure, die angenehm schmeckt, ohne auf der Zunge zu kratzen.
Milchsäure oder Lactat (CH3-HCOH-COOH) ist eine Monocarbonsäure, die in Früchten und Honig nicht vorkommt. Sie entsteht erst durch die Tätigkeit von zum Beispiel Milchsäurebakterien oder gelangt durch gezielte Beigabe in den Wein, um säurearme Weine (vor allem Met) zu verbessern. Dazu wird bevorzugt das Lactat verwendet, weil es die genannten Vorteile gegenüber anderen Säuren aufweist.
Milchsäure (E270) ist in Form einer 80 %igen Lösung erhältlich, selten als 50 %ige Lösung. Um die Säuremenge von einem Liter Wein um 1 Gramm pro Liter zu erhöhen, müssen 1,25 ml 80 %iges Lactat hinzugefügt werden. Mehr als 3,5 ml pro Liter Wein sollten nicht verwendet werden, da die Milchsäure in so großer Menge doch unangenehm hervorschmecken könnte. Dann muß Ascorbin-, Zitronen- oder Äpfelsäure für eine weitere Ansäuerung benutzt werden. Wenn der Met ohnehin mit Apfelsaft oder geriebenem Apfel angesetzt wird, so kann dessen natürlicher Säuregehalt die Milchsäure ersetzen.
Der ph-Wert sollte bei der Metgärung etwa zwischen 2,8 und 3,8 liegen. Dazu muß man nicht unbedingt messen, es reicht gewöhnlich aus, sich an die Rezepte zu halten. Notfalls geht es auch ohne Säurezusatz.

Schwefel

Durch Schwefeln kann man den Gärungsprozeß vorzeitig beenden, um dadurch zu verhindern, daß der Met evtl. zu bitter wird und um die Haltbarkeit zu erhöhen. Ich verzichte persönlich darauf – es ist halt eine Frage der Einstellung und des Geschmacks. Schwefel wird benötigt, um die störenden Mikroorganismen im Wein abzutöten, die Ausbreitung von Oxidationsenzymen und damit das Braunwerden des Weins zu verhindern, bei der Klärung des Weins mitzuhelfen und den Wein für eine lange Lagerung zu stabilisieren, damit er gut haltbar bleibt. Bei der dazu notwendigen Substanz handelt es sich nicht wirklich um Schwefel, sondern um Kaliumpyrosulfit (eigentlich Kaliumdisulfit, K2S2O5, E224), ein Kaliumsalz der schwefligen Säure, welches vom Winzer als „Schwefel“ bezeichnet wird, ebenso wie seine Zugabe „Schwefeln“ genannt wird.
Kaliumpyrosulfit setzt, im Met gelöst, Schwefeldioxid frei, das sich mit dem Wasser zu schwefliger Säure als Wirksubstanz verbindet. Außerdem entsteht harmloses Kaliumdioxid: K2S2O5 + 2 H2O => K2O + (2 SO2 + 2 H2O => 2 H2SO3)
Kaliumpyrosulfit erhält man im Weinbedarfsgeschäften oder Drogerien. Es ist als Tabletten oder Pulver erhältlich. Aus einer Tablette Kaliumdisulfit (1 Gramm) gewinnt man 0,5 Gramm Schwefeldioxid. In der Gebrauchsanweisung zum Kaliumpyrosulfit steht, in welchem Verhältnis geschwefelt werden muß. Im Normalfall reicht die gesetzlich zugelassene Höchstmenge von 0,1 Gramm Pyrosulfit pro Liter Met auch vollkommen aus.
Diese Substanz ist, sofern in den üblichen Mengen im Wein gelöst verwendet, gesundheitlich unbedenklich. Kaliumpyrosulfit ist in Reinform stark reizend, und der Kontakt des feinen Pulvers mit Augen und Schleimhäuten ist unbedingt zu vermeiden.
Kaliumpyrosulfit hemmt im Wein das Wachstum von unerwünschten Mikroorganismen wie Bakterien (zum Beispiel Essigsäurebakterien) und Schimmelpilzen. Dadurch kann es den fertigen Wein (nicht nur Met) vor Weinkrankheiten schützen. Auch bereits im jungen Metansatz oder in frischem Obstsaft beziehungsweise -maische kann die Vermehrung von nachteiligen Mikroorganismen gehemmt werden, bis die Reinzuchthefen, die unempfindlicher gegenüber Pyrsosulfit sind, genügend Alkohol gebildet haben, der dieselbe Wirkung hat. Dies ist aber weniger bei Met als vielmehr bei der Verwendung von Früchten, die rasch zum Verderben neigen (zum Beispiel Erdbeeren) von besonderer Bedeutung.
Weiterhin wirkt Pyrosulfit als Antioxidationsmittel, d.h. die negativen Auswirkungen des im Wein gelösten Luftsauerstoffs bei Fruchtweinen werden vermieden (das Braunwerden der Früchte bei der Verarbeitung wird verhindert, und der fertige Wein wird farb- und geschmacksstabil). Es wird aber auch bei der Gärung entstehendes Acetaldehyd gebunden und dadurch die Entwicklung und Erhaltung eines frischen, arttypischen Aromas und Geschmacks positiv beeinflußt.
Durch eine starke Überdosierung kann auch die Gärtätigkeit der Hefen gehemmt werden, außerdem kann der Wein nach Schwefel riechen und schmecken. Der Ansatz ist dann verdorben. Bei Obstweinen ist dies nicht zu verwechseln mit einem leichten Geruch nach faulen Eiern durch die Bildung von Schwefelwasserstoff (H2S) was bei der Vergärung vieler Früchte normal ist. Soll aus einem Fruchtwein gezielt Essig hergestellt werden, so muß auf den Einsatz von Pyrosulfit verzichtet werden.
Über das Für und Wider des Schwefelns streiten sich die Experten. Das Schwefeln dient zur Konservierung des Weins. Bis heute gibt es kein anderes Mittel, das so zuverlässig wirkt wie Schwefel. Gekaufter Wein ist immer geschwefelt, denn niemand kann voraussehen, wie lange der Wein lagert, bevor er getrunken wird. Alle Betriebe, die Wein für den Verkauf in Deutschland produzieren, müssen nach dem Weingesetz schwefeln, auch Bio-Betriebe.
Der Hobbywinzer kann den Schwefel weglassen beziehungsweise den Schwefeleinsatz so gering wie möglich halten. Derzeit gibt es zu Schwefeln noch keine vergleichbar gute Konservierungsalternative. Die Beigabe von Kochsalz kann Schwefeln notfalls bis zu einem gewissen Maße ersetzen, ist aber nicht verläßlich und wirkt sich auch geschmacklich aus. Schwefel beeinträchtigt nicht den Geschmack des Weins, sondern hebt ihn sogar.
Mit Schwefel werden Mängel im Herstellungsverfahren toleriert, denn er garantiert nahezu, daß auch der ungeübtere Hobbywinzer einen guten Wein keltern kann. Manche Hobbywinzer nehmen weniger Schwefel, halbieren sogar die Richtwerte, um die gesundheitliche Belastung so gering wie möglich zu halten. Inwieweit das sinnvoll ist, kann nicht bewertet werden. Es hängt ganz davon ab, wie sauber der Hobbywinzer arbeitet und wie gut beziehungsweise gesund die verwendeten Früchte sind. Je fauliger die Früchte sind, desto höher muß geschwefelt werden.
Jungwein (das ist der Wein, der nach der ersten Gärung von der Hefe abgezogen worden ist) wird ebenfalls mit einer Lösung aus 0,1 g Pyrosulfit pro Liter geschwefelt. Der Schwefel tötet alle Mikroorganismen ab, die sich beim Abfüllen eingeschlichen haben, und hilft beim Klären des Weins. Vor der Flaschenabfüllung sollte der Wein noch einmal mit der gleichen Menge Pyrosulfit geschwefelt werden. Das Gleiche gilt, wenn der Wein zusätzlich filtriert werden muß.
Nachgewiesenermaßen schadet Schwefel der Gesundheit. In größeren Mengen wirkt er sich nachteilig auf den Vitaminhaushalt im Körper aus. Einige Menschen reagieren sogar allergisch auf Schwefelzusätze. Doch es geht auch ohne Schwefeln. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß der Hobbywinzer klinisch sauber arbeitet, nur die besten Früchte nimmt, alle Arbeiten zügig durchführt und den Wein nicht länger als zwei Jahre lagert.
Kaliumpyrosulfit wird außerdem zum Sterilisieren aller erforderlichen Geräte verwendet. Dazu wird eine 2 %ige Schwefellösung hergestellt. Man nimmt auf einen Liter Wasser 40 Gramm Kaliumdisulfit (40 Tabletten) und fügt zwei Gramm Säure (Zitronensäure oder Milchsäure) hinzu. Die Säure ist notwendig, um das Schwefeldioxid zu aktivieren und die schädlichen Keime, Bakterien etc. abzutöten. Die Tabletten werden zu feinem Pulver zerdrückt, in Wasser aufgelöst und die Säure hinzugefügt. Alle Geräte sollten sorgfältig damit abgespült werden. Die Geräte müssen gut abtropfen und anschließend mit sauberem Wasser nachgespült werden. Einige Hobbywinzer verzichten auf das Nachspülen mit Wasser und nutzen die geringe Schwefelmenge, die an den Geräten haften bleibt, als zusätzliches Sterilisationsmittel bei der weiteren Verarbeitung. Die Geräte sollten immer kurz vor dem Gebrauch gereinigt werden, damit sich nach dem Klarspülen, sofern es getan wird, nicht erneut schädliche Bakterien ansiedeln. Solange die Lösung nach Schwefel riecht, kann sie verwendet werden.

Sonstiges

Ferner benötigt man noch einen oder mehrere große Töpfe zum Sieden der Grundzutaten, einen Schneebesen zum Umrühren, ein Thermometer zur Temperaturkontrolle und einen großen Schaumlöffel zum Abschöpfen des Schaums. Zum Abziehen von einem Bodensatz dient ein Weinheber, mit dem der Wein oben aus dem Behälter gesaugt werden kann, ohne den Bodensatz aufzuwirbeln. Notfalls geht auch ein sauberer, lebensmittelechter Kunststoffschlauch. Ein Vinometer erlaubt die ungefähre Bestimmung des Alkoholgehalts. Für Obstweine empfiehlt sich ein Handpreßbeutel, mit dem Fruchtreste aus dem Wein abgepreßt werden können.
Außerdem benötigt man einen großen Trichter (bei Obstweinen mit Siebeinsatz) zur problemlosen Befüllung der Ballons. Mit einem speziellen Füllstop-Trichter können Pfützen durch überlaufende Flaschen bei der Abfüllung vermieden werden. Ferner benötigt man Filterpapier (Küchenkrepp reicht zur Not auch). Eine 2-Liter-Kunststoffflasche, der man den Boden herausschneidet und deren Hals in die Öffnung der Gärflasche paßt, ist, mit Küchenkrepp im Hals, ein hervorragender Filtertrichter mit großem Fassungsvermögen. Evtl. benötigt man noch einen Rest Honig zum Nachsüßen, aber das ist Geschmackssache.

Ein Metrezept von 1350

Zunächst soll beschrieben werden, wie man im Mittelalter Met bereitete. Überliefert ist folgendes historisches Rezept aus dem Würzburger „Buch von guter Spise“ von 1350:

Der Originaltext

„Wilt du gu:oten met machen. Der gu:oten mete machen wil, der werme reinen brunnen, daz er die hant dor inne liden ku:enne, vnd neme zwei maz wazzers vnd eine honiges. daz ru:ere man mit eime stecken vnd laz ez ein wile hangen vnd sihe ez denne durch ein rein tu:och oder durch ein harsip in ein rein vaz. vnd siede denne die selben wirtz gein eime acker lanc hin vnd wider vnd schume die wirtz mit einer vensterehten schu:ezzeln, da der schume inne blibe vnd niht die wirtz. dor noch gu:ez den mete in ein rein vaz vnd bedecke in, daz der bradem iht vz mu:ege, als lange daz man die hant dor inne geliden mu:ege. So nim denne ein halp mezzigen hafen vnd tu:o in halp vol hopphen vnd ein hant vol salbey vnd siede daz mit der wirtz gein einer halben mile. vnd gu:ez ez denne in die wirtz vnd nim frischer heven ein halb no:ezzelin vnd gu:ez ez dor in. vnd gu:ez ez vnder ein ander, daz es gesschende werde. so decke zv:o, daz der bradem iht vz mu:ege, einen tac vnd eine naht. So seige denne den mete durch ein reyn tu:och oder durch ein harsip vnd vazze in in ein reyn vaz vnd lazze in iern drie tac vnd drie naht vnd fu:elle in alle abende. Dar nach lazze man in aber abe vnde hu:ete, daz iht hefen dor in kume, vnd laz in aht tage ligen, daz er valle, vnd fu:elle in alle abende. dar nach loz in abe in ein gehertztez vaz vnd laz in ligen aht tage vol. vnd trinke in denne erst sechs wu:ochen oder ehte, so ist er aller beste.“

Die „Übersetzung“

Für diejenigen, die im Mitteldeutschen nicht so bewandert sind, hier die Übersetzung ins Hochdeutsche:
„Willst Du guten Met machen. Wer guten Met machen will, erwärme sauberes Wasser so weit, so daß er noch die Hand hinein halten kann. Man nehme jeweils zwei Maß Wasser und ein Maß Honig. Mit einem Stab umrühren und (es) sich eine Weile setzen lassen. Dann seihe man es durch ein sauberes Tuch oder ein Haarsieb in ein sauberes Faß ab. Sodann siede man es gegen eine Ackerlänge hin und zurück (so lange man zu Fuß für die Strecke eines Morgens Ackers und wieder zurück benötigt; Uhren gab es schließlich nicht) und entferne den Schaum mit einer durchlöcherten Schale (Durchschlag, Sieb, Schöpfkelle etc.). Der Schaum bleibt in der Schale zurück, aber nicht die Flüssigkeit. Danach gibt man den Met in ein sauberes Faß und decke es ab, damit der Dampf nicht hinaus kann, solange, bis man seine Hand hinein halten kann. So nimm dann einen Meßbecher und fülle ihn halb voll Hopfen und mit einer Handvoll Salbei und siede das gleichzeitig mit dem Met gegen eine halbe Meile (so lange man benötigt, um diese Strecke zu gehen). Und gib es dann in den Met und nimm eine halbe Nuß (soviel, wie in eine halbe Nußschale paßt) frischer (lebender) Hefe und gib es ebenfalls hinein. Und misch es durch, daß es vergären werde. So decke es zu, so daß der Dampf hinaus kann, einen Tag und eine Nacht. So filtere dann den Met durch ein sauberes Tuch oder durch ein Haarsieb. Und fülle ihn in ein sauberes Faß und lasse es drei Tage und drei Nächte gären und fülle es jeden Abend um (wieder filtern), danach lasse man es abermals in Ruhe und schütze es vor dem Eindringen von Hefe (gut abdecken) und lasse es acht Tage liegen (ruhen) daß es sich setzt (die Hefe sinkt nach unten) und fülle es allabendlich um (vorsichtig abgießen, um den Bodensatz nicht mit umzufüllen). Danach füllt man es in ein geharztes (abgedichtetes, beziehungsweise für Aroma und Desinfektion mit Harz ausgeräuchertes) Faß und läßt es acht Tage voll liegen (ruhen, ohne es anzurühren oder etwas herauszunehmen) und trinke es innerhalb der nächsten sechs oder acht Wochen. Dann ist er am allerbesten.“

Meine Methode der Metherstellung

Vorbereitung

An dem Prinzip der Metbereitung von 1350 hat sich bis heute nicht viel verändert. Ich stelle Met für den Eigenbedarf nach der im Folgenden beschriebenen Methode her. Dazu wird auch auf die oben bei den Geräten und Zutaten aufgeführten Informationen verwiesen. Alle oben beschriebenen Gerätschaften werden bereitgestellt und mit heißem Wasser gründlich gereinigt.
Eine Hefekultur (meist verwende ich einfach Bäckerhefe) wird in handwarmer Zucker- oder Honiglösung (ein halbes Trinkglas) angesetzt, bis die Gärung einsetzt (Gasbläschen steigen auf). Je nach Konzentration der Lösung und Art und Zustand der Hefe kann dies nach wenigen Minuten oder erst am nächsten Tag der Fall sein. Man sollte diesen Ansatz mindestens eine Stunde vor der Metbereitung machen oder mit letzterer so lange warten, bis eine deutliche Gärtätigkeit eingesetzt hat. In dieser Zeit vermehren sich die Hefen bereits sprunghaft, so daß sie andere wilde Hefen (Gärungsschädlinge) unterdrücken. Der Ansatz kann dabei richtig zischen und ins Sprudeln geraten, dann ist er genau richtig.

Das Metsieden

Weil Honig in seiner reinen Form nicht gärt, muß er mit Wasser verdünnt werden. Dabei sollte sich der Honig völlig im Wasser auflösen. Der Honig wird in einen Topf gegeben. Wer keinen genügend großen Topf hat, muß die Zutaten eben aufteilen und den Met in mehreren Durchgängen sieden.
Wieviel Honig man nimmt, ist Geschmackssache. Je mehr Honig, desto stärker und geschmacklich intensiver und süßer wird der Met. Der Geschmack hängt auch von der verwendeten Honigsorte ab. Generell wird pro Liter herzustellendem Gärgut (nicht zugesetztem Wasser!) eine Honigmenge von 200 bis 500 Gramm empfohlen.
Bei gewerblich in den Verkehr gebrachtem Honigwein muß die gesetzlich vorgeschriebene Menge von mindestens 1 Gewichtsanteil Honig auf 2 Gewichtsanteile Wasser eingehalten werden. Ich bevorzuge ebenfalls relativ starke Mischungen mit etwa 400 bis 500 Gramm Honig pro Liter Gärgut.
Das Ganze wird jetzt bis zur gewünschten Menge Gärgut mit Wasser aufgefüllt. Es empfiehlt sich, das Wasser schon vorher zu erwärmen (warmes Leitungswasser oder mit dem Wasserkocher), denn so löst sich der Honig besser auf, und Honigreste können so gleich mit aus den Honiggläsern gespült und genutzt werden.
Danach wird so lange ständig umgerührt, bis sich der Honig einigermaßen aufgelöst hat. Er darf nicht als dicke Schicht auf dem Topfboden liegenbleiben, denn sonst kann er anbrennen und karamelisieren, was das gesamte Gärgut geschmacklich verderben würde. In manchem Metsorten findet sich aber auch ein Anteil gebrannter (karamelisierter) Honig, um den Geschmack zu verändern. Dies ist auch für gewerblich hergestellten Met gesetzlich zulässig, aber damit habe ich noch keine Erfahrung gemacht.
Das Gärgut wird nun unter beständigem Umrühren etwa fünf bis zehn Minuten lang erwärmt, bis der Honig sich vollständig aufgelöst hat. Dabei sollte die Temperatur nicht über 50 °C ansteigen, weil dies der Qualität des Honigs schaden würde (bei heißgeschleudertem Honig oder Kunsthonig wäre das egal). Hierbei ist ein entsprechendes Thermometer nützlich. Sich bildender Schaum wird sauber mit dem Schaumlöffel abgeschöpft. Deshalb ist es ungünstig, den Met schon vor dem Sieden zu würzen, da die Gewürze, an der Oberfläche schwimmend, zusammen mit dem Schaum abgeschöpft würden.
Nach dem Sieden läßt man das Gärgut auf etwa 25 °C abkühlen (handwarm). Die letzten Schaumreste können jetzt nochmals mit Küchenkrepp entfernt werden. Die richtige Temperatur stellt man mit einem Thermometer fest oder überprüft sie vorsichtig mit dem sauberen Finger (zunächst außen am Behälter, damit man sich nicht verbrüht, dann durch vorsichtiges Eintauchen). Wenn man keinen Temperaturunterschied zur eigenen Körperwärme spürt, kommt es ungefähr hin.
Während des Abkühlvorgangs kann man die Gewürze zusetzen. Man muß nicht unbedingt würzen, denn Met schmeckt auch naturrein sehr gut, aber man kann so ein wenig Abwechslung in den Geschmack bringen und das Aroma verfeinern. Bewährt haben sich unterschiedliche Mischungen aus Zimt (Rindenstücke und/oder Pulver), Nelken (ca. 1 bis 2 ganze Nelken pro Liter oder sehr wenig Nelkenpulver), Kardamom (kleine Menge, da geschmacklich sehr intensiv), Salbei (ruhig einen Teelöffel voll auf 5 Liter), Ingwer (sehr wenig), Hopfen (nur eine winzige Messerspitze, da sehr bitter), Kalmus (nach Geschmack), Anis (vorsichtig dosieren, recht dominantes Aroma) und Pfeffer (grob gemahlen läßt er sich später leichter ausfiltern). Normalerweise verwende ich lediglich Zimt, Nelken, Kardamom, Anis, Pfeffer und Salbei.
Nimmt man viel Nelken, Zimt und Kardamom, läßt sich eine Art Glühwein herstellen, der im Winter auch heiß gut schmeckt, dann allerdings ziemlich stark alkoholisierend wirkt.
Grundsätzlich gilt, daß man lieber zu wenig als zu viel würzen sollte. Die Gewürze bleiben bis zur ersten Filterung im Met und beeinflussen so lange seinen Geschmack. Nach der Filterung nachwürzen kann man immer noch, aber ein Zuviel an Würze bekommt man nicht mehr heraus (man kann lediglich mit ungewürztem Met verdünnen).
Wer Trübstoffe zusetzen möchte (geriebener Apfel, naturtrüber Apfel- oder Traubensaft oder Mehl) um die Gärung zu unterstützen und zu beschleunigen, kann das jetzt tun. Empfohlen wird etwa ein geriebener Apfel auf 10 Liter Gärgut beziehungsweise 5 bis 10 % Saft ohne Konservierungsstoffe (am besten selbst gepreßt). Bei Mehl genügt etwa ein Viertel Teelöffel pro Liter Gärgut vollauf. Es ist darauf hinzuweisen, daß der Zusatz von Trübstoffen bei gewerblich hergestelltem Met gesetzlich verboten ist, und ein mit Trübstoffen hergestellter Met darf nicht gewerblich in den Verkehr gebracht werden.
Wenn das Gärgut genügend abgekühlt ist (etwa 25 °C, denn mehr als 28 °C töten die Hefe ab), kann man es in den Gärbehälter umfüllen (die Gewürze setzen sich gern am Topfrand ab, mit dem letzten Rest Flüssigkeit noch einmal abspülen). Sodann setzt man den flüssigen Anteil der zuvor angesetzten Hefelösung hinzu. Die am Boden abgesetzte Hefe sollte nicht mit hinein, denn die Mehrzahl dieser Zellen dürfte abgestorben sein. Das Gärgefäß wird nur gärvoll (mindestens 10 bis 20 % Steigraum für den Schaum belassen) befüllt. Es sollte niemals heiße Flüssigkeit nachgeschüttet werden, weil diese die Hefezellen zerstören würde.
Heute gibt man meist noch ein paar Tropfen Milchsäure und etwas Hefenährsalz hinzu. Das ist nicht wirklich erforderlich, aber das Nährsalz unterstützt die Gärung, und die Milchsäure verbessert den Geschmack. Pro Liter Gärgut werden ca. 2 bis 3,5 Gramm 80 %ige Milchsäure empfohlen. Auf jeden Liter Gärgut kommen noch etwa 0,4 bis 0,6 Tabletten Hefenährsalz (Dosierungsanleitung auf der Packungsbeilage beachten), die man vorher in einer kleinen Menge Gärgut auflöst. Für gewerblich hergestellten Honigwein sind maximal 0,4 Gramm Hefenährsalz pro Liter Gärgut gesetzlich zulässig. Es geht aber auch ohne diese beiden Zutaten recht gut, und meist lasse ich sie einfach weg.

Die Gärung

Der Gärbehälter wird nun mit dem durchbohrten Stopfen verschlossen und mit dem wassergefüllten Gärverschluß versehen. Auf keinen Fall den Behälter einfach nur fest verschließen, da der entstehende Gasdruck entweichen muß und sonst zur Explosion (und einer riesigen, klebrigen Sauerei) führt.
Der Gärbehälter sollte warm (ca. 18 bis 25 °C) und dunkel stehen, denn Licht kann die Gärung negativ beeinflussen und unter Umständen den Verderb begünstigen. Starke Temperaturschwankungen wirken sich negativ auf die Gärung aus. Die Temperatur darf nicht über 28 °C ansteigen, weil die Hefe sonst abstirbt, aber auch nicht unter 8 bis 10 °C absinken, da der Gärvorgang sonst gehemmt wird oder gar nicht erst beginnt.
Die Gärung setzt je nach Menge, Zuckerkonzentration und Hefekonsistenz mehr oder weniger bald ein, was am Aufsteigen von Bläschen zu erkennen ist, die anschließend durch den Gärverschluß entweichen.

Für die Metgärung kann man jeden erdenklichen Ort auswählen. Kleine Mengen kann man in der Küche, im Gäste- oder Arbeitszimmer ansetzen, vorausgesetzt, der leichte Gärgeruch stört nicht. Auch ein kleiner Schrank kann ausreichen. Wichtig ist nur, daß man einen Platz findet, an dem die Hefe im Gärgefäß ungestört ihrer Arbeit nachgehen kann. Essig, Reinigungsmittel, schmutzige Wäsche oder Altöl sollten nicht in der Nähe lagern.
Der Platz sollte möglichst abgedunkelt sein. Das kann man auch dadurch erreichen, indem man ein Tuch über den Behälter legt oder einen großen Karton darüber stülpt. Dabei muß sichergestellt sein, daß die Gärgase ungehindert entweichen können. Weil Kohlendioxid entsteht und sich ein ziemlich penetranter Hefegeruch entwickelt, sollte man den Gärbehälter nicht in Schlafräumen aufbewahren und das Zimmer stets gut lüften.
Während der ersten Tage wird die Gärung besonders lebhaft, und dann kann es zu einer starken Schaumbildung kommen. Der Schaum kann dabei trotz Füllmengentoleranz auch aus dem Gäraufsatz herausgedrückt werden und außen am Gärbehälter herablaufen. Um eine Schweinerei auf dem Fußboden oder im Schrank zu vermeiden, empfiehlt es sich, den Gärbehälter zumindest während der ersten Woche in eine Kunststoffwanne zu stellen.
Austretende Flüssigkeit (auch der Inhalt eines übergequollenen Gäraufsatzes) darf auf keinen Fall zurück in den Gärbehälter gelangen, weil dabei die Gefahr der Infektion durch Essigsäurebakterien besteht. Der Gäraufsatz sollte in diesem Fall gereinigt und neu mit Wasser gefüllt werden. Ebenso sollte der Gärbehälter auch außen sauber gehalten werden, damit er nicht klebt und keine Insekten anlockt.
Der Gärbehälter sollte mindestens einmal täglich mit den Händen auf die Seite gekantet und geschwenkt werden, oder man wirbelt den Inhalt des Glasballons durch Kreisen des Ballonhalses herum, um etwas „Bewegung“ in die Hefe zu bringen und sie so zu äußerster Tätigkeit anzuregen.
Der Gäraufsatz sollte täglich kontrolliert und gegebenenfalls Wasser nachgefüllt werden. Wie lange die Gärung nun dauert, hängt von Menge, Konzentration und Zusammensetzung des Gärgutes ab. Es können drei Wochen sein, oder auch acht Wochen, je nachdem. Eine sehr starke Süße hemmt die Hefe, ebenso verlängert das Fehlen von Trübstoffen die Gärzeit.
Die abgestorbene Hefe, die sich am Boden des Gärbehälters sammelt, zersetzt sich allämhlich und kann dadurch den Geschmack des Mets verderben (der Met schmeckt dann sehr „hefig“ oder sogar faulig). Dieser Hefetrub enthält unter anderem auch die für Kopfschmerzen verantwortlichen Amine. Deshalb ist es ab und zu erforderlich, das Gärgut umzufüllen und gegebenenfalls dabei zu filtern. Dies kann bereits nach zwei bis drei Tagen nötig werden, oder auch erst nach einer Woche. Erkennbar ist es daran, daß sich eine deutliche Hefeschicht auf dem Behälterboden abgesetzt hat. Spätestens alle 8 Tage sollte man aber schon Umfüllen.
Dazu eignen sich große Kunststoffflaschen, zum Beispiel von Limonade, die mit heißem Wasser gründlich ausgespült werden, ganz hervorragend. Mit einem Trichter gießt man vorsichtig das Gärgut dort hinein oder zieht es mittels eines sauberen, lebensmittelechten Kunststoffschlauches von der Oberfläche ausgehend dahinein ab. Während des Gärprozesses sollte man den relativ klaren Oberflächenanteil (vor dem Umfüllen den Gärbehälter nicht schütteln oder großartig bewegen, damit sich die abgestorbene Hefe unten absetzen kann) in andere Flaschen füllen als den trüben bodennahen Anteil.

Der Gärbehälter wird mit heißem Wasser gründlich ausgespült, um die anhaftenden Hefereste zu entfernen. Die klareren Flascheninhalte werden zurückgegossen. Auf diese Weise erhält man den Großteil der Trübstoffe und Gewürze und spart sich das Filtern der gesamten Flüssigkeit. Der trübe Anteil muß freilich gefiltert werden, um die abgestorbene Hefe abzuscheiden. Ob dies nun mittels eines Kaffeefilters, mit Küchenkrepp im Trichter oder mit einer Laborausstattung geschieht, ist ziemlich egal. Es geht zunächst ja auch nur um eine grobe Filterung der trüben Anteile.
Bewährt hat sich eine große Kunststoffflasche ohne Boden, deren Hals in den Gärbehälter hineinpaßt und mit Küchenkrepp ausgelegt wurde, durch den das Filtrat sickert. So kann man viel Flüssigkeit auf einmal zum Filtern geben und muß nicht ständig nachgießen. Das Ganze ist vorsichtig zu handhaben, denn verschüttetes Honigwasser macht übel klebrige Flecken. Der tote Hefeschleim bleibt im Filter zurück.

Das Problem, das Gärgut dabei der Luft auszusetzen, ist nicht so gravierend. Das Umfüllen dauert nicht länger als ein paar Minuten. Außerdem gilt die dahingehende Vorsicht eigentlich eher am Anfang, wenn neben der erwünschten Hefe eben auch Sporen wilder Hefen oder von Schimmelpilzen in das Gärgut geraten und sich dort vermehren, was aber schon nach einer Woche durch ausreichende Hefepopulation und eine bereits vorhandene Alkoholkonzentration sehr erschwert wird.
Also sollte man die Gefahr durch den Luftkontakt nicht überbewerten. Aber selbstverständlich heißt das gleichwohl auch nicht, daß man das Gärgut bedenkenlos stundenlang offen herumstehen lassen sollte. Außerdem sollte man das Umfüllen nicht unbedingt während der Sommer- und Herbstmonate im Freien erledigen, denn die größte Gefahr bei offenem Gärgut geht eigentlich von Fruchtfliegen aus. Diese werden von gärendem Wein wie magisch angezogen, besonders von Obstwein. Sie dürfen auf keinen Fall in das Gärgut gelangen, sonst kontaminieren sie es mit Essigsäurebakterien, und der Wein kann umkippen.
Das Umfüllen ist außerdem eine gute Gelegenheit, etwas vom Gärgut (vom klaren Anteil) zu verkosten, um den Gärfortschritt und den Geschmack zu überprüfen. Dieses ist jetzt im Prinzip wie ein Federweißer, schmeckt wie ein süßer Sekt und könnte theoretisch auch schon getrunken werden, hält sich aber nicht lange. Gegebenenfalls kann nun auch noch einmal nachgewürzt werden. Nach dem Umfüllen wird der Gärbehälter wieder mit dem gesäuberten und neu mit Wasser gefüllten Gäraufsatz verschlossen und erneut ruhen gelassen.
Zum Ende der Gärung stirbt durch den steigenden Alkoholgehalt beziehungsweise durch mangelnden Zucker immer mehr Hefe ab, weshalb immer weniger lebende Hefezellen aktiv sind. Je weniger die Hefe arbeitet, desto niedriger wird auch die Abgabe an Kohlendioxid und Wärme. Der schützende Kohlendioxidschild über dem Wein nimmt ab. Gleichzeitig kann der beim Abkühlen entstehende Unterdruck im Ballon das Wasser aus dem Gäraufsatz in den Gärbehälter saugen, insbesondere, wenn man ein Gärröhrchen (Siphon) verwendet. Unerwünschter Sauerstoff kann also eindringen.
Dies muß auf jeden Fall verhindert werden, indem der Gärbehälter häufig überprüft und der Gäraufsatz bei Erfordernis sofort nachgefüllt wird. Man kann am Ende der Gärung den nicht mehr benötigten Steigraum auch mit einem Füllwein auffüllen, dies kann ein fertiger Met aus der letzten Gärung sein. Durch das Nachfüllen bis fast auf Spundhöhe verringert man die Angriffsfläche für den Sauerstoff und damit für schädliche Mikroorganismen. Etwas Steigraum sollte jedoch frei bleiben, da der Met noch immer ein wenig vergärt.
Die Gärung ist beendet, wenn keine Gasbläschen mehr aufsteigen und die vorher stürmische Kohlensäureentwicklung auch beim Umschwenken des Behälters nicht neu einsetzt. Dann ist entweder der Zucker komplett vergoren (bei schwachen Konzentrationen) und die Hefe verhungert langsam oder der Alkoholanteil hat etwa 14,5 % erreicht (bei starken Konzentrationen) und tötet die Hefe ab.
Will man sicher gehen, daß die Gärung beendet ist, führt man eine sogenannte Gärprobe durch. Dazu füllt man eine Flasche mit Jungmet, verkorkt diese und läßt sie einige Tage in einem warmen Raum stehen. Zeigt sich beim Öffnen der Flasche, daß der Met doch noch stark schäumt und perlt und in der Flasche ein Kohlensäuredruck entstanden ist, so ist dies ein Zeichen, daß auch der Inhalt des Gärbehälters noch nicht vollständig vergoren ist. Man gießt die Probe in den Ballon zurück und läßt sie weiter gären. Ist der Met jedoch klar und ruhig, so kann der Jungmet von der Hefe getrennt werden.
Man kann den Gärungsprozeß auch vorzeitig stoppen, allerdings gibt es für den Hobbywinzer kaum eine andere praktikable Lösung, die Gärung schonend zu unterbrechen, als den Met mittels Kaliumpyrosulfit zu schwefeln. Dabei gibt man ca. 0,1 Gramm Kaliumpyrosulfit pro Liter Met hinzu (unbedingt die Gebrauchsanleitung beachten!).
Ich selbst lehne es ab, meinen Met zu schwefeln. Methoden aus der gewerblichen Praxis sind hier nicht anwendbar, zu teuer oder schlecht zu handhaben. Kurzzeitiges Erhitzen auf über 70 °C, um die Hefe einfach abzutöten, ist nicht zu empfehlen, weil Alkohol (Äthanol) bereits bei 78 °C siedet und so ein guter Teil aus dem Met verdampfen würde.

Lagerung und Reifung

Der frische Met sollte nun noch ein paar Mal gründlich und komplett gefiltert werden, um die Hefe, Trübstoffe und Reste von Gewürzen zu entfernen.
Im Prinzip ist der Met jetzt schon trinkbar und schmeckt ähnlich wie Weinschorle, weil er noch viel Kohlensäure enthält, aber er wird besser, wenn man ihn noch reifen läßt. Dazu läßt man ihn noch ein paar Tage im gereinigten Gärbehälter mit Gäraufsatz ruhen, um sicher zu gehen, daß die Gärung auch wirklich beendet ist (keine Blasenbildung mehr).

Nach erneutem Abgießen und Filtern zieht man ihn auf Flaschen. Der Wein bleibt so länger stabil. Auch hier eignen sich wieder die großen Kunststoffflaschen. Diese läßt man aufrecht stehend an einem kühlen Ort ruhen, zum Beispiel im Keller oder im Kühlschrank. Stilechter sind natürlich verkorkte Glasflaschen. Diese müssen liegend gelagert werden, damit der Korken feucht gehalten wird. Man sollte sichergehen, daß die Gärung zum Zeitpunkt des Abfüllens auch wirklich beendet ist, sonst können die Flaschen durch den Gasdruck explodieren. Jetzt kann man den Gärbehälter bereits für die nächste Metgeneration verwenden.

Mit dem Aufhören der Kohlensäurebildung, die vorher alle Trübteilchen in ständiger Bewegung gehalten hatte, tritt jetzt Beruhigung ein, und der Jungmet kommt in das Stadium einer Selbstklärung. Der Schaum verschwindet, und die nach Ende der Gärung abgestorbenen Hefezellen mit allen Trübteilchen (Hefetrub) und Schleimstoffen setzen sich in einer deutlich abgegrenzten Schicht am Boden ab. Hierbei spricht man vom Geläger.

Die vollständige Klärung des Weines wird durch Abziehen (Abstich) von der Hefe, evtl. Schwefeln, Filtration und vor allem durch kühle Lagerung herbeigeführt. Bei einem Abstich wird der zum größten Teil klare Wein, mittels eines lebensmittelechten Schlauches vom Geläger abgezogen. Das erfordert etwas Geschick, damit der Hefetrub nicht aufgewirbelt wird. Praktisch ist es, den Schlauch an einem Stab zu befestigen, damit man ihn besser führen kann. Weiterhin sorgt eine Kerbe am Ende dafür, daß er sich im Inneren eines Gefäßes nicht festsaugt.
Bleibt der Wein auf dem Geläger liegen, verdirbt er. Die letzten Trübstoffe und Hefereste sollten sich während der Reifezeit allmählich absetzen und die Flüssigkeit klar und goldgelb werden. Ab und zu gießt man nochmals um beziehungsweise macht einen Abstich und spült den Bodensatz aus. Filtern kann man den bodennahen Anteil noch, muß dies aber nicht unbedingt.

Nach einiger Zeit, das können vier bis acht Wochen oder auch etliche Monate sein, ist der Met gereift und geschmacklich am besten, da während der Reifung noch postfermentative Aromen entstehen. Allerdings ist nur starker Met durch den konservierenden Alkoholgehalt längere Zeit haltbar. Ungeschwefelter Met sollte innerhalb von 2 Jahren getrunken werden.

Um den Met nach der Gärung zu lagern, ist ein kühler Keller von Vorteil. Die Lagertemperatur sollte dann zwischen 8 und 12 °C betragen. Man muß unbedingt darauf achten, daß der Keller gut durchlüftet ist und keine stark riechenden Gegenstände in der Nähe des Weins stehen. Der Met ist nämlich gerade in der Anfangslagerphase sehr empfindlich und könnte verderben.

Sollte nach 2 bis 4 Monaten keine Selbstklärung eintreten, kann mit dem technisch reinem Schönungsmittel Kieselsol (gesetzlich ist für Weine eine mindestens 10 %ige Lösung kolloider Kieselsäure vorgeschrieben) eine vollkommene Klärung erreicht werden. Dabei setzt man je nach Stärke der Trübung pro Liter Met 1 bis 4 ml Kieselsol zu und rührt es gleichmäßig ein. Die Schönungsmittel sind im Kelterei-Fachhandel zu beziehen. Unbedingt die Packungsbeilage beachten!
Ich selbst verwende dieses Mittel aufgrund meiner ablehnenden Haltung gegenüber Chemikalien in Nahrungsmitteln nicht, und es stört auch nicht weiter, wenn der Met noch leicht trüb erscheint, jedenfalls hat dies keine Auswirkungen auf den Geschmack, solange es sich bei der Trübung nicht um abgestorbene Hefe handelt.

Tips und Tricks

Je nach verbliebenem Zuckeranteil und Alkoholgehalt ist der Met unterschiedlich stark und schwankt im Geschmack zwischen trocken und sehr lieblich. Zu trockener Met kann mit Honig nachgesüßt werden (ca. 20 bis 30, keinesfalls mehr als 50 Gramm pro Liter). Hierbei ist aber Vorsicht geboten, weil die Gärung wieder einsetzen kann, falls noch Hefezellen am Leben sind. Deshalb sollte dies erst nach der Reifung geschehen, sonst können evtl. die Flaschen durch erneute Gasbildung explodieren. Den Honig zum Nachsüßen sollte man aber zuvor leicht erwärmen, weil er sich dann besser einmischen läßt.
Zu lieblicher (süßer) Met ist nicht vollständig vergoren. In diesem Fall kann man nochmals etwas Mehl und Hefe zugeben und hoffen, daß die Gärung wieder einsetzt. Das dauert aber einige Tage. Ist der Geschmack nicht ausgewogen (zuviel Süße, kaum Säure) kann dieser vorsichtig noch mit etwas Milchsäure (max. 2 ml pro Liter) neutralisiert werden.
Sehr weit vergorener Met kann auch scheinbar etwas bitter schmecken. Der bittere Geschmack ist eigentlich eine Täuschung, denn das Fehlen von Zucker und der Alkohol verursachen diese Fehleinschätzung. Hier schafft die Zugabe von ein wenig Honig ebenfalls Abhilfe, es sei denn, man bevorzugt einen sehr trockenen Met, der gut gekühlt zum Essen hervorragend schmeckt. Vermieden werden kann der bittere Geschmack auch durch vorzeitiges Beenden der Gärung mittels Abschwefeln.
Met sollte stets kühl serviert werden (im Winter aber auch heiß), stilecht natürlich in einer schönen Glasflasche, Karaffe oder einem Tonkrug. Getrunken werden sollte lieblicher Met als Aperitif und trockener zum Essen. Dazu atmosphärisch passend sind natürlich Becher und Pokale aus Holz oder Ton. Trinkhörner sind für das Hochmittelalter zwar nicht historisch korrekt, verbreiten aber eine zünftige Stimmung.
Weil Met einen Alkoholgehalt von bis zu 14,5 % aufweisen kann und man diesen wegen der Süße nicht unbedingt gleich sehr deutlich merkt, ist bezüglich der Menge zunächst Vorsicht geboten. Ein guter, nicht zu süßer Met erzeugt dafür aber keinen schlimmen Kater (von meinem Met habe ich noch nie Kopfschmerzen bekommen).
Durch den Alkoholgehalt ist Met recht lange haltbar, wenn er verschlossen und gekühlt aufbewahrt wird. Sollte er sich aber wieder trüben (eindringender Sauerstoff), schimmeln oder plötzlich negativ verändert („kratzig“) schmecken, sollte man vom weiteren Verzehr besser absehen.
Es kann passieren, daß der Met bei den ersten Versuchen oder auch immer wieder mal geschmacklich nicht so gut gelingt. Das ist aber kein Grund zur Aufgabe, denn jede Gärung verläuft anders, und selbst große Produktionsbetriebe schütten häufig sogar mehrere Hektoliter weg. Man sollte es dann unter angemessener Sorgfalt und Sauberkeit einfach noch einmal versuchen und wird sicher auch bald mit einem köstlichen Getränk belohnt.

Weitere Metrezepte

Frischer Met
Leicht und billig ist ein frischer Met herzustellen, der (wie Federweißer) noch gärt und schnell getrunken werden muß, da er sich nicht lange hält. Er ist in etwa 10 Tagen fertig. Man benötigt eine recht starke Honiglösung (ca. 450 Gramm Honig pro Liter Gärgut), zerstoßene Nelken, Ingwerpulver, Anispulver und Hefe (Reinzuchthefe). Hiermit verfährt man anlog zur oben beschriebenen Metbereitung. Der Gärvorgang ist je nach Menge nach 8 bis 12 Tagen soweit abgeschlossen. Man kann den frischen Met nun trinken, weiter vergären oder schwefeln und reifen lassen. Je älter er wird, desto besser ist er natürlich.

Met mit Bierhefe
Die Herstellung dauert etwa 10 Tage. Man benötigt ein Päckchen Bierhefe, eine Honiglösung von etwa 400 Gramm Honig pro Liter Gärgut, Anispulver, Nelkenpulver und Ingwerpulver. Man verfährt wie gehabt. Die Bierhefe wird jedoch nicht gleich zugegeben, sondern mit einer halben Tasse des fertigen Honigwassers verrührt und 10 Stunden abgedeckt stehengelassen. Die Temperatur darf dabei nicht über 30 °C sein. Danach kommt die angesetzte Bierhefe in das inzwischen abgekühlte Wasser-Honig-Gemisch und wird mit dem Gärrohr verschlossen. Nach ca. 2 Tagen beginnt die Gärung, die bis zu 10 Tagen dauern kann. Wenn sich im Gärrohr keine Blasen mehr bilden, ist der Met fertig vergoren und kann frisch getrunken oder reifen gelassen werden.

Met mit Apfelsaft
Die Herstellung dauert etwa 5 bis 6 Wochen. Man benötigt Reinzuchthefe, 10 % vom Gärgut an naturtrübem Apfelsaft ohne Konservierungsstoffe, eine Honiglösung von etwa 300 Gramm pro Liter Gärgut, einen geriebenen Apfel, 2 Gramm Mehl pro Liter Gärgut und Hefenährsalz und Milchsäure gemäß den Herstellerempfehlungen. Die Hefe wird in einem Viertelliter Apfelsaft gegeben und stehen gelassen. Damit wird die Hefe vermehrt und aktiviert. Wenn die Gärung einsetzt, kann man das Honigwasser bereiten. Wer eine Öchslewaage hat, sollte den Met auf 120nbsp;°Öchsle einstellen, das ergibt gut 12 bis 14 % Alkohol. Man bereitet das Honigwasser gemäß der oben beschriebenen Methode. Dahinein den geriebenen Apfel, die zerriebenen Hefenährsalztabletten, die Milchsäure und das Mehl geben. Sobald die Mischung auf etwa 20 °C abgekühlt ist, den Hefeansatz zugeben, gut mischen und in den Gärbehälter füllen. Dieser Met wird schon bald recht stark gären und ist nach ca. 5 bis 6 Wochen wie ein Federweißer nicht mehr ganz süß, mit etwas Alkohol und viel Kohlensäure. Leicht gekühlt ist er ein tolles Getränk. Nach spätestens 8 Wochen ist dieser Met komplett durchgegoren, und sehr sauer, manchmal auch etwas bitter.

Met mit Saft (in 2 bis 4 Monaten)
Man benötigt Honigwasser (ca. 250 bis 300 Gramm Honig pro Liter Gärgut), 1 Liter Apfel- oder Traubensaft ohne Konservierungsstoffe, einen niedrigen Anteil an Hefenährsalz und Milchsäure gemäß Empfehlung, 1 Gramm Mehl pro Liter Gärgut, Gewürze (Nelken, Ingwer, Muskatnuß, Kalmus, Zimt, Hopfen oder Kräuter und Kräuterauszüge) und Reinzuchthefe. Traubensaft fördert die Gärung, und es ist sinnvoll, wenn man in diesem Saft etwa 3 bis 4 Tage vor dem Ansetzen des Mets eine Kultur Reinzuchthefe vermehrt, wobei diese Flasche mit einem Wattebausch verschlossen wird. Nun verfährt man gemäß der oben beschriebenen Methode. Nach vollständigen Gärungsende stellt man den Met kühl, zieht ihn bald von der Hefe ab und schwefelt ihn mit dem Kaliumpyrosulfit.

Starker altdeutscher Met (aus einem altdeutschen Rezeptbüchlein)
Es wird doppelt soviel Honigwasser wie später Gärgut angerührt (etwa 160 Gramm Honig pro Liter Honigwasser), und zwar möglichst mit weichem Wasser. Dieses wird in einem Kessel bis ungefähr auf die Hälfte oder ein wenig darunter eingesotten. Die hierauf abgekühlte und nur noch lauwarme Flüssigkeit wird in ein Weinfaß gegossen, welches inwendig mit Sauerteig bestrichen ist, oder es wird auch etwas Hefe zugesetzt, damit die Gärung beschleunigt wird. Dann näht man in ein länglich geformtes, plattes Leinensäckchen die grob zerstoßenen Gewürze (Nelken, Zimt, Pfeffer, Ingwer und Paradieskörner) ein. Das Gewürzsäckchen wird in den Met hineingehängt und während der ganzen Gärungszeit darin gelassen. Nach der Gärung wird das Faß den Winter hindurch im Keller zugespundet gelassen, später wird der Met in ein anderes Faß abgezogen. Sobald er klar ist, kann er getrunken werden. Je älter der Met ist, desto besser schmeckt er.

Mäßig starker altdeutscher Met (aus einem altdeutschen Rezeptbüchlein)
Es wird reinster Honig genommen, etwa 150 bis 180 Gramm pro Liter Honigwasser. Dieses wird dann in einem Kessel unter beständigem Abschäumen gekocht, bis die Flüssigkeit so dick wie Honig ist. Dann kocht man sie wieder mit ebenso viel Wasser, unter beständigem Abschäumen, aber jetzt nicht so lange, sondern bis sie ein hineingelegtes Ei kaum noch trägt, und preßt dieses Honigwasser durch ein Tuch, um es zu filtern. Je weniger Wasser man beim zweiten Mal nimmt, und je länger man ihn einkocht, desto stärker wird der Met. Das Honigwasser füllt man noch warm (aber nicht mehr heiß) in ein Faß, und gibt etwas Bier- oder Weinhefe hinzu. Der Met schmeckt angenehmer, wenn man Kräuter und Gewürze, zum Beispiel Zimt, Nelken, Kardamom, Kalmus oder Ingwer zu Pulver reibt, in ein Säckchen wie vorhin beschrieben einlegt, in letzteres einen ganz sauberen Kieselstein von entsprechender Schwere hineinlegt, damit dieser das Säckchen zu Boden zieht, und dann das Säckchen ins Faß hineinsteckt. Wenn der Met drei bis vier Wochen gegoren hat, ist er reif zum Trinken.

Blutmet (mit roten Trauben)
Ein herrlich fruchtiger, roter Met läßt sich nach dem bewährten Metrezept herstellen, wenn man pro Liter Ansatz 300 Gramm rote Trauben gemaischt hinzugibt und entsprechend weniger Wasser verwendet, so daß der Gärbehälter nur zu drei Vierteln gefüllt wird. Während der Gärung zieht der Alkohol den roten Farbstoff aus den Traubenschalen. Nach zwei Wochen Gärung wird die Maische entfernt, und der Gärbehälter mit Wasser auf 90 % der Füllhöhe aufgefüllt. Danach läßt man den Ansatz fertig gären (noch etwa 4 Wochen). Nach dem Abziehen nicht erschrecken, denn der trübe, rosa „Schwuchtelmet“ dunkelt nach ein paar Wochen der Lagerung und Klärung noch erheblich nach und sieht später aus wie Rotwein. Natürlich hat er auch im Geschmack eine leicht herbe, fruchtige Rotweinnote.

Elfenmet (Maimet)

Elfenmet oder Maimet ist ein sehr aromatischer Met, der mit Waldmeister (Galium odoratum, früher Asperula odorata) angesetzt wird. Gemeint ist hier natürlich das frische Kraut, nicht irgendwelche Chemikalien, obwohl man notfalls auch Waldmeistersirup verwenden kann, wenn man kein frisches Kraut bekommt. Waldmeister hat einen sehr intensiven, süßlichen Heublumenduft. Verantwortlich für den Geruch ist der Inhaltsstoff Cumarin. Waldmeisterkraut kann man zur Maizeit auf Märkten und in manchen Gemüsegeschäften frisch kaufen (es ist nicht getrocknet im Handel) oder selbst im Wald sammeln, und es läßt sich auch gut einfrieren.

Wer selbst sammeln möchte findet den Waldmeister in größeren Beständen (oft Massenbeständen) in schattigen, feuchten und krautreichen Laub- und Nadelwäldern (besonders in Buchenwäldern), aber er fehlt stellenweise im Tiefland, da er kalkhaltigen Lehmboden benötigt. Waldmeister gehört nicht zu den besonders gefährdeten Arten und unterliegt deshalb auch nicht dem Artenschutz, so daß man ihn auch aus der freien Natur sammeln darf (dies habe ich beim Umweltamt verifiziert). Verwendet werden nur die jungen Triebe und Blätter vor der Blüte. Es heißt, Waldmeister sollte unbedingt vor der Blüte geerntet werden, da sonst der Cumaringehalt zu hoch sei, und verblühtes Kraut sei wertlos, aber diese Aussage ist noch umstritten. Wer sichergehen möchte, kann sich daran halten.
Das Cumarin liegt im Waldmeister eigentlich als nicht duftendes Cumaringlykosid vor. Beim Trocknen wird dann das duftende Cumarin abgespalten. Daher entfaltet sich der Duft auch besonders, wenn man den gesammelten oder aufgetauten Waldmeister über Nacht an einem sehr gut gelüfteten Ort welken beziehungsweise trocknen läßt. Man sollte ihn nicht in die Sonne legen, weil er sich sonst schwarz verfärbt. Dauert das Trocknen aber zu lange, wird der Waldmeister ebenfalls schwarz und verliert viel von seinem Geschmack und seiner Wirkung. Während des Trocknens sollte das Kraut mehrmals gewendet werden.
Eine klassische Anwendung des Waldmeisters ist die Maibowle, die erstmals 854 durch den Benediktinermönch Wandalbertus aus Prüm in der Eifel erwähnt wurde, der mit seinen Brüdern den Mai mit einer Waldmeister-Bowle begrüßte. Elfenmet wird ähnlich wie eine Maibowle zubereitet. Angesetzt wird der Elfenmet zunächst wie ein ganz normaler Met, bleibt aber ungewürzt. Waldmeister schmeckt wegen seines ebenso zarten wie intensiven Aromas nur allein und sollte deshalb möglichst nicht mit anderen Aromen oder Gewürzen kombiniert werden.
Wenn der Met fertig gegoren ist, werden kleingeschnittene und angewelkte oder getrocknete Triebspitzen oder Blätter eingelegt. Pro Liter Met sollten dabei nicht mehr als 3 Gramm frisches Waldmeisterkraut verwendet werden, um den auch für Maibowle gesetzlichen Höchstgehalt an Cumarin von 5 ppm nicht zu überschreiten. Dabei sollten keine Stengel oder Blüten verwendet werden, weil diese einen krautig-bitteren Geschmack erzeugen. Der Waldmeister sollte nur rund 20 Minuten in den Met eingelegt werden (wie bei Mabowle), da sonst durch das Cumarin Kopfschmerzen ausgelöst werden können. Aus diesem Grund sollte man das Kraut nicht über längere Zeit mitgären lassen. Der Alkohol zieht das Cumarin aus den Pflanzen. Danach wird das Kraut ausgesiebt.
Der Ansatz duftet nun schon sehr aromatisch und schmeckt auch bereits köstlich. Jetzt kann der Elfenmet frisch getrunken werden oder ablagern. Gekühlt im Likörglas serviert ist er eine Delikatesse. Er schimmert auch ganz schwach grünlich. Wem dieser Schimmer nicht ausreicht, kann mit ein wenig geschmacksneutraler Lebensmittelfarbe nachhelfen, sofern ihm Chemikalien im Wein egal sind (verkaufen darf man Elfenmet ohnehin nicht, da außer bei Maibowle mit Cumarin aromatisierte Lebensmittel in der Bundesrepublik Deutschland für das gewerbliche Inverkehrbringen verboten sind).
Neben dem Geruch ist das Cumarin auch für die physiologische Wirkung des Waldmeisters verantwortlich. In leichter Dosierung wirkt er leicht beschwingend und kann helfen, Kopfweh zu lindern. In höherer Dosierung verursacht Waldmeister allerdings Kopfschmerzen, Schwindel und Magenbeschwerden.
Cumarin stand früher im Verdacht, leberschädigend und kanzerogen (krebserregend) zu sein, wenn man es häufig oder in großen Mengen zu sich nimmt. Von dieser Meinung ist man heute weitgehend wieder abgekommen, und hält den Waldmeister in kleinen Mengen nicht für kanzerogen. Die stark lebertoxische Wirkung trat im Tierversuch nur bei übermäßiger Dosierung auf. 1974 führten diese Befunde in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Verbot der Cumarinverwendung bei der Aromatisierung in der Lebensmittelindustrie. Eine Ausnahme bildet die gewerbsmäßige Herstellung von Maibowle. Da hepatotoxische (für die Leber giftige) Stoffwechselprodukte des Cumarins allerdings nur beim Tier entstehen, wird beim Menschen das Risiko toxischer Langzeitschäden als gering eingeschätzt. Wegen dieser Wirkung auf Tiere ist Cumarin auch der Hauptbestandteil von Rattengift. Trotz der inzwischen veränderten Erkenntnisse ist der kommerzielle Einsatz von Cumarin und Waldmeisterkraut zur Herstellung von Essenzen nach Aromenverordnung nach wie vor verboten.
Dennoch kann Waldmeister nur sehr eingeschränkt und außerdem in sehr geringen Mengen empfohlen werden, da er in höherer Dosierung Kopfweh, Schwindel und Magenbeschwerden auslösen kann. Die in einer normal zubereiteten Maibowle oder im Elfenmet enthaltene Menge an Cumarin gilt allgemein als zu gering, um wirklich schädlich zu sein. Aber sie ist stark genug, um am nächsten Tag einen schweren Kopf zu machen, wenn man zuviel trinkt – vor allem auch dann, wenn man Waldmeister zu lange im Wein oder Met ziehen läßt. Dann wird er außerdem bitter im Geschmack.
Tip: Nimmt man weniger Honig, nur ca. 100 bis 150 Gramm pro Liter, ist die Gärung nach etwa einer Woche beendet, und man hat einen sehr leichten Elfenmet, der noch kohlensäurehaltig ist und an eine spritzige Maibowle erinnert. Kaltstellen und eine halbe Stunde vor dem Servieren nach Geschmack mit Honig nachsüßen. Das ist genau das Richtige, wenn es im Mai endlich wärmer wird.

Herber Met mit Hopfen
Wer einen etwas herber schmeckenden Met ausprobieren möchte, der kann einen Met nach dem üblichen Verfahren bereiten und diesem vor Beginn der Gärung 2,5 Gramm Hopfen pro Liter Gärgut beimengen. Geeignet ist der normale Hopfen, wie man ihn zur Bierherstellung bekommt. Während der Gärung riecht es recht stark, aber im fertigen Met ist das Aroma gut dosiert.

Germanische Mythologie

 

goell-walkuere


EINLEITUNG

Es läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daß die Stammväter der Germanen, nachdem sie sich von den anderen Ariern getrennt hatten und in zwei Strömen die Ebenen Mitteleuropas und den hohen Norden unseres Kontinents überfluteten, die alten religiösen Anschauungen der Urheimat noch treu bewahrten und vorzugsweise die lichten Mächte des Himmels verehrten. Darauf deuten schon die bei den alten Skandinaviern erhaltenen Namen der Götter TIWAS, d. h. die Himmlischen, und WANEIS, WANEN, d. h. die Strahlenden, hin. Demgemäß werden TYR oder ZlO, der Himmelsvater. und THUNAR, der Blitzgott, den Vorrang behauptet haben.

So sagt denn auch Caesar über die religiösen Vorstellungen der Krieger Ariovists aus eigener Erfahrung:

„Die Germanen rechnen zur Zahl der Götter nur die, welche sie sehen und durch deren Segnungen sie offenbar gefördert werden, die SONNE, den MOND) und den FEUERGOTT. Von den übrigen haben sie nicht einmal durch Hörensagen vernommen.“ Der Lichtkultus schloß also noch die Vermenschlichung der Götter aus.

Und so war es noch 150 Jahre später. Daß man sich auch da noch nicht die Götter plastisch gestaltete und verbildlichte, bezeugt Tacitus, wenn er schreibt:

„Die Götter in Tempelwände einzuschließen oder der Menschengestalt irgend ähnlich zu bilden, dies halten sie für unverträglich mit der Größe der Himmlischen. Wälder und Haine weihen sie ihnen, und mit dem Namen der Gottheit bezeichnen sie jenes Geheimnis, das sie nur im Glauben schauen.“

Dennoch scheinen schon damals durch die Berührung und Reibung mit dem Kulturvolk der Römer mehr diejenigen Gottheiten in den Vordergrund getreten zu sein, welche einen Bezug auf die jetzt vorherrschend kriegerische Richtung des Volksgeistes besaßen, an ihrer Spitze der Sturmgott WODAN (nord. ODIN), den namentlich die späteren Sachsen und Franken zu ihrem Obergott erhoben.

Die Bekleidung der Götter mit menschlichen Formen und Gestalten vollzog sich nun rasch, und man bezeichnete die neuen Herrscher der Welt als ANSEN (nord. ASEN), d. h. als die Träger des Weltgebäudes und der sittlichen Ordnung desselben. Doch war dieser Übergang keineswegs ein friedlicher, sondern, wie die olympischen Götter in der griechischen Mythologie, mußten auch die Asen erst einen gewaltigen Strauß mit den WANEN bestehen, der die ganze Welt mit Verwüstung bedrohte und endlich nur so beendigt konnte, daß die beiden Götterstämme sich gegenseitig Geiseln stellten, worauf die Wanen mit Ausnahme weniger allmählich in Vergessenheit sanken. Die Erinnerung an den Kindheitsglauben des Volkes und die fortschreitende Mythenbildung wurde bei den südgermanischen Stämmen durch den Eintritt des Christentums unterdrückt und gehemmt.

Desto fester blieb der Besitz derselben den Skandinaviern, von denen erst im zehnten Jahrhundert die Dänen, zu Anfang des elften die Norweger und Isländer, in der zweiten Hälfte des elften die Schweden gänzlich bekehrt wurden. Namentlich waren in diesem Zeitalter von bedeutendem Einfluß auf das Wachstum der an die Mythologie sich anschließenden Heroensage einerseits die NORMANNEN- oder WIKINGERFAHRTEN, welche eine Masse neuer Anschauungen im Volke weckten und der Phantasie reiche Nahrung zuführten, anderseits die Sänger der Königshöfe oder die SKALDEN, welche die Großtaten der Asen priesen, dieselben noch mehr vermenschlichten und die Götterwelt endlich in ein geschlossenes System brachten.

Da die isländischen Normannen am zähesten an den Überlieferungen der alten Heimat festhielten, so zog sich auch die Kenntnis der Skaldenlieder im neunten und zehnten Jahrhundert fast ganz auf jene Insel zurück. Diese Poesien waren bereits zu Ende des elften Jahrhunderts gesammelt und hundert Jahre später durch eine neue Sammlung vermehrt, sind aber erst im siebzehnten Jahrhundert aufgefunden worden und bilden den Inhalt der sogenannten EDDA, d. h. Urgroßmutter.

Der Charakter der Mythen und Sagen entspricht der sonnenarmen, wild erhabenen Natur des Nordens, wie dem stürmisch bewegten Leben der trotzigen Helden. Sie sind düster und von phantastischer Rauheit, aber voll tiefer Empfindung und sittlichen Emstes.

goell-die-nornen

Die Nornen unter der Weltesche

DIE WELTSCHÖPFUNG

Die Entstehung der Welt dachten sich unsere Ahnen in folgender Weise. Aus dem CHAOS oder >>der gähnenden Kluft<<, nahmen sie an, daß zunächst zwei Welten hervorgegangen seien, nach Norden ZU NIFFILHEIM (Nehelheim), nach Süden zu sein Gegensatz, MUSPELHEIM (Feuerheim). Mitten in Nifelheim öffnete sich aber der Brunnen HWERGELMIR, aus dessen gärenden Kessel zwölf Ströme mit eisigem Wasser stürzten. Ihr Wasser gefror zu Schollen, und diese bewegten sich der Kluft zu und füllten dieselbe allmählich aus.

Allein von Muspelheim her wehte ein Glutwind und schmolz das Eis. Dadurch entstand Leben im Starren, und es wuchs aus demselben empor der entsetzliche Riese YMIR oder OERGELMIR, von dem die Frostriesen oder HRIMTHURSEN abstammen. Im auftauenden Gewässer entstand auch die Kuh AUDUMBLA (die Vollsaftige).

Von der Milch ihres Euters nährte sich Ymir und sein Geschlecht. Sie selbst beleckte aus Mangel an Weide die salzigen Eisblöcke, und siehe, unter ihrer Zunge kam nach und nach ein schöner Mann namens BURI zum Vorschein. Ein Sohn von ihm hieß BÖR, und dieser nahm die Riesentochter BESTLA zur Gefährtin, welche ihm drei Söhne schenkte, ODIN (Geist), WILI (Wille) und WE (Heiligtum). Dies waren die ersten ASEN, welche sich sofort gegen den Urriesen wandten und ihn erschlugen, worauf in der Sintflut seine alle Frostriesen ertranken bis auf BERGELMIR, der Stammvater eines zweiten Riesengeschlechts wurde.

Des Riesen Ymir Leib wurde hierauf von den Asen zu weiteren Schöpfungen benutzt. Aus seinem Fleisch schufen sie die Erde, aus seinen Knochen die Felsen, aus seinen Haaren die Bäume, aus seinem Blut das Meer, aus seiner Hirnschale den Himmel. Aus den Augenbrauen bildeten sie mitten auf der Erdscheibe die Wohnung der Menschenkinder, MIDGARD).

Noch gab es aber weder Sonne noch Mond, noch Gestirne am Himmelsgewölbe; nur irrende Feuerfunken aus Muspelheim sprühten darüber hin. Da wandelten die Asen jene Funken in Sterne um und gaben diesen ihre feste Stätte. Sonne und Mond aber kamen auf folgende Art in die Welt. Die Mutter NACHT, eine Riesentochter, hatte von ihrem dritten Gatten DELLINGER (Dämmerung) einen Sohn, den TAG, und beide wurden vom Allvater zum Himmel emporgehoben, wo die Nacht zu ihrer Fahrt über den Himmel das schwarze Roß HRIMFAXI ( Reifmäher), der Tag den weißen Renner SKINFAXI (Lichtmäher) empfing. Die Asen raubten dann dem seiner Kinder sich übermütig rühmenden Erdensohn MUNDILFÖRI (Achsenschwinger) die liebliche SOL und den schönen MANI. Jener erbauten sie aus den Funkenregen Muspelheims den Sonnenwagen und bespannten ihn mit den Hengsten ARWAKER (Frühaufl und ALSWIDER (Allgeschwind). Mit diesen umkreist Sol den Himmel, bewehrt mit dem Schild SWALIN, der Himmel und Erde vor dem Sonnenbrand schützt. Mani aber lenkt den Mondwagen hinter der Nacht und hat die beiden Kinder BIL (die Schwindende) und HJUKI (den Belebten), d. h. den abnehmenden und wachsenden Mond, bei sich, die er einst zu sich emporhob, weil er sah, wie sie ihre schweren Wassereimer nicht weiter zu tragen imstande waren. Die Flecken im Mond erklärt sich das Altertum bald als einen Mann, der am Sonntag Holz stahl und mit einem Reisigbündel oder einer Axt im Mond steht, bald als ein Mädchen, das im Mondschein gesponnen hat und mit ihrer Spindel oben sitzt. Zwei grimmige Wölfe jagen hinter Sol und Mani her, SKÖLL und HATI, und wenn sie den Himmlischen nahe kommen, erbleichen dieselben, und die Sterblichen nennen dies Sonnen- und Mondfinsternis.

Nach Schöpfung der Gestirne waren auch die Vorbedingungen gegeben zur Entstehung des Menschengeschlechts. Als die Asen ODIN, HÖNIR und LOTHUR einst am Seegestade wandelten, sahen sie zwei Bäume daliegen, eine Esche und eine Erle. Aus jener schufen sie den Mann ASK, aus dieser das Weib EMBLA; Odin gab ihnen Seele und Leben, Hönir Verstand, Lothur Blut und blühende Farbe. Von Ask und Embla, Esche und Erle, stammen alle Menschengeschlechter ab.

Aus den kleinen Würmern, die in des Urriesen Ymir Fleisch sich tummelten, schufen die Asen das Völkchen der ZWERGE oder ALFEN. Diese zerfielen wieder in zwei Klassen, die SCHWARZALFEN, die im Dunkel der Erde nach Erzen wühlten, Metalle hämmerten und den Menschen durch Spuk und Tücke schreckten und neckten, und die LICHTALFEN, gute und schöne Wesen, die sich den Sterblichen hold gesinnt zeigten, verwandt den Elfen der Märchenwelt.

Am nördlichen Ende des Himmels sitzt der ungeheure Riese HRASWELGER (Leichenschwelger) in Gestalt eines Adlers und rührt seine gewaltigen Fittiche, um als verheerender Sturmwind über die Erde dahinzufahren. Nicht weniger grimmig ist der Riese WINDSWALER (Windkühler), der Frost und Schnee in seinem Gebiet hat und Vater des Winters ist. Doch wechselt seine Herrschaft jährlich mit der des milden SWASUDER (Sanftsüd), dessen Sproß der blütenreiche Sommer ist. Über die ganze Welt breitet sich die Esche YGGDRASIL (Schreckensträgerin) aus und hält sie zusammen. Ihre eine mächtige Wurzel reicht bis NIFELHEIM, und unter ihr breitet sich das finstere Reich der Schattenkönigin HEL aus, die zweite bis JÖTUNHEIM, dem Sitz der Riesen (SÖTUNE oder IÖTEN, d. h. Fresser), die dritte bis MIDGARD, wo die Menschenkinder wohnen. Unter jeder Wurzel der mit ihrem Wipfel in den Himmel hineinragenden Weltesche sprudelt ein bedeutsamer Brunnen hervor. Unter Nifelheim ist es der zu Anfang erwähnte HWERGELMIR. Unter Jötunheim befindet sich der vom Riesen MIMIR bewachte Brunnen, dessen Wasser Aufklärung über das Werden der Dinge verleiht. In MIDGARD endlich quillt das heilige Wasser des Brunnens URD, in welchem alle Weisheit verschlossen ruht, auf dessen stillem Spiegel zwei schneeweiße Schwäne ihre Kreise ziehen. Am Brunnen aber sitzen in ernstem Schweigen die drei NORNEN:

URD (Gewordene), WERDANDA (Werdende) und SKULD (Sollende = Zukünftige), die Schicksalsschwestern, welche die unzerreißbaren Fäden des Lebens den Neugeborenen spinnen, die Todeslose werfen und mit ihren Augen alle Ausdehnungen der Zeit durchdringen. Wegen der Reinheit und Heiligkeit der Stätte versammeln sich die Asen daselbst und halten unter dem Schatten der Weltesche Gericht. Allein der heilige Baum leidet vielen Schaden durch allerlei Getier, das ihn bevölkert. In ASGARD, der himmlischen Wohnung der Asen, weidet an seinem Gipfel die Ziege HEIDRUN, die aus ihren Eutern den Göttern und ihren Gästen Met spendet. An den Blättern und Sprossen des Baumes zehren die fünf Hirsche EIKTHYRNER, DAIN, DWALIN, DUNNEIER und DURATHROR.

In seinem Wipfel haust ein Adler, an seiner Wurzel aber nagt der Drache NIDHÖGGER mit unzähligem anderen Gewürm. Auf und ah endlich an der riesigen Esche klettert das Eichhorn RATATÖSKER, als Bote der Zankworte, welche der Aar und der Lindwurm miteinander tauschen. Trotz der Unbill, die Yggdrasil zu leiden hat, dörrt und fault sie nicht, denn die Nornen schöpfen täglich Wasser aus dem Brunnen Urd und begießen ihre Wurzeln damit.

Nehmen wir noch einmal die einzelnen Teile des Alls zusammen, so beschattet die Weltesche eigentlich neun besondere Welten. In der Mitte dachte man sich die Menschenwelt, MIDGARD oder MANNHEIM. Unter diesem liegt SCHWARZALFENHEIM und noch tiefer das Totenreich HELHEIM. Dann befinden sich zur Seite NIFELHEIM, MUSPELHEIM, JOTUNHEIM und WANAHEIM, der Wohnsitz der oben erwähnten WANEN. Hoch über den anderen Welten gründeten sich die Asen eine herrliche, von Gold und Edelstein strahlende Heimat, ASGARD oder ASENHEIM, in welchem, wie auf dem hellenischen Olymp, die einzelnen Götter wieder besondere Paläste bewohnen, wie THOR das 540 Stockwerke hohe Haus BILSKIRNIR. Asgard und Midgard standen in Verbindung durch die aus drei Farben gezimmerte starke Brücke BIFROST, den Regenbogen. In Asgard stand auch WALHALLA, der Saal der seligen Helden mit seinen 500 Toren. Der Wohnsitz der Göttinnen hieß WINGOLF (Freudenwohnung). Wie in der griechischen Mythologie die Titanen und Giganten der neuen Weltordnung, die durch die Olympier geschaffen worden war, widerstrebten und gegen deren Herrschaft sich auflehnten, so dachten sich die Germanen auch Feindschaft zwischen den hehren Asen und dem Geschlecht der Riesen. Diese brüteten immer Rache wegen des an ihrem Stammvater Ymir begangenen Mordes. Zu ihnen hatte sich LOKI gesellt, früher selbst eine Ase und Dämon des wohltätigen Feuers, jetzt aber vermählt mit dem abscheulichen Jötenweib ANGURBODA (Angstbringerin), die ihn zum Vater von drei grausigen Sprößlingen gemacht hatte, dem Wolf FENRIR, der Schlange JORMUNGANDAR und der entsetzlichen HEL.

goell-frigg-frau-gode
Bildunterschrift hinzufügen

Frigg, als Frau Gode dem Weidwerk obliegend

WODAN, NORDISCH ODIN

WODAN oder WUOTAN (der stürmisch Schreitende) war der vornehmste aller Asen und heißt als Beherrscher der Unsterblichen und Sterblichen >>der Allvater<<. Auf seinem hohen Sitz HLIDSKIALF in WALHALLA (der Halle der Auserwählten), die in dem Gehöft (GLALDSHEIM (Glanzheim) lag, thronte er an der Spitze der zwölf über alles richtenden Asen und übersah von dort aus die neun Welten und was in denselben vorging. Das ganze Gebäude schillert von Gold; sein Dach besteht aus blinkenden Schilden und Speerschäften, und Waffenglanz erhellt rings den weiten Saal. In demselben schmausen, zechen und würfeln in Gemeinschaft der Asen die EINHERIER (einzige Herren), die im Einzelkampf gefallenen Helden. Odin selbst genießt nichts von dem sich täglich erneuernden Fleisch des Ebers, sondern nährt sich einzig von rotem Wein. Die Speisen gibt er stets seinen beiden Wölfen GERI (Gierige) und FREKl (Gefräßige), die ihn wie Hunde umschmeicheln. Neben seinem Haupt aber sitzen die beiden Raben HUGIN (Gedanke) und MUNIN (Erinnerung), welche ihm die auf ihrem Flug erlauschten Geheimnisse zuraunen. Odin trägt einen goldenen Helm auf dem Haupt und hält in seiner Rechten den nie irrenden Speer GUNGNIR.

Erscheint Wodan in dieser Gestalt als Regent der Welt, so ist sein Auftreten ein ganz anderes, wenn er seiner ursprünglichen Naturbedeutung gemäß als Gott des WINDES und STURMES einherfährt. Dann sprengt er auf dem achtfüßigen Schimmel SLEIPNIR (Gleitende) in weiten Mantel gehüllt, mit breitem Schlapphut, umgeben von den Geistern der Verstorbenen, hoch in der Luft über die Wälder und Fluren hinweg. Darum heißt er noch heute in der norddeutschen Volkssage >>der wilde Jäger<<, während im Süden der Glaube an >>das wütende Heer<< dasselbe besagt. Unter Blitz, Sturm und Regen glaubt man noch das Hundegebell, den Hörnerklang, das Hallorufen der willen Gesellen zu hören, wie sie hinter Ebern oder Rossen herstürmen.

Doch war ja bald die rohere Naturbedeutung Wodans als Sturmgottes übergegangen in die des Himmelsgottes im allgemeinen, und als solcher waltete er mild segnend und fruchtspendend und bekämpfte nun seinerseits den im Bilde des Ebers gedachten Wirbelwind. Im Winter macht er einem falschen Odin Platz, der Schneestürme über die Erde sendet, oder er liegt in einem Zauberschlaf und träumt dem Tag entgegen. Dieser Mythos ist vom Volk auf die Gestalten seiner Lieblingshelden übertragen worden. Am bekanntesten in dieser Beziehung ist der im Kyfferhäuserberg bei Tilleda schlafende FRIEDRICH BARBAROSSA. Dort sitzt der Hohenstaufe mit seinen Rittern und Knappen um einen großen Tisch, durch den sein Bart gewachsen ist. Kostbarer Wein ist an den Wänden der Höhle aufgestapelt, alles strahlt von Gold und Edelsteinen, wie am lichten Tag. Einst gelangte ein Hirt in den Berg. Den fragte der auf einen Augenblick erwachende Kaiser: „Fliegen die RABEN noch um den Berg?“ Als der Hirt dies bejahte, erwiderte Barbarossa: „So muß ich noch hundert Jahre länger schlafen!“ Wenn aber sein Bart nicht nur durch den Tisch, sondern auch zum dritten Mal um denselben herumgewachsen ist, dann wird er mit allen seinen Mannen aus dem Berg hervorbrechen und Deutschland aus Not und Bedrängnis erlösen.

In weiterer Auffassung erscheint Wodan als wilder Gott der Schlachten, als HEER- und SIEGVATER. Dann begleiten ihn seine Raben und die WALKÜREN, die Todeswählerinnen, welche sonst als Schenkmädchen die Helden in Walhalla bedienen, aber auf den Kampfgefilden, mit Helm und Schild auf weißen Wolkenrossen einherjagend, die sterbenden Einherier mit dem Todeskuß weihen und sie emporgeleiten zum Freudenmahl in Gladsheim. Dieser religiöse Glaube entzündete hei den Normannen, jenen fanatischen Kampfesmut, der bis zu einer Art Wahnsinn steigerte und sie mit lächelnden Lippen dem Tode entgegengehen ließ. Daher der Zusammenhang der BERSERKIR (Panzerlose) mit der >>Berserkerwut<<. Der Dienst Wodans war blutig, und nicht bloß Rosse, sondern auch Menschen wurden an seinen Altären geschlachtet.

goell-odin-empfaengt-einherier-in-walhalla

Odin empfängt in Walhalla die durch Bragi eingeführten Einherier

Daher fand Germanicus auf dem Schlachtfeld des Varus im Teutoburger Wald an die Baumstämme genagelt die Schädel der geopferten Tribunen und Centurionen. Neben solcher Härte trifft man auch auf Züge von großer Güte und Menschenfreundlichkeit. So ruderten einst der achtjährige GEIRRÖD und der zehnjährige AGNAR, Söhne des Königs HRAUDUNG auf einem Boot ins Meer hinaus und wurden vom Wind immer weiter in die Wogen fortgetrieben, bis sie in dunkler Nacht an einem fremden Strand scheiterten. Hüttenbewohner die sie dort fanden, empfingen sie freundlich und behielten sie den Winter über bei sich; die Frau nahm sich des älteren, der Mann des jüngeren Knaben an. Es waren aber Odin und seine Frau Frigg, die den beiden Knaben Schule und Erziehung angedeihen ließen.

Von Wodans großem Drang nach Weisheit zeugte schon, daß er sein eines Auge dem Riesen MIMIR für einen Trunk aus dem Brunnen der Erkenntnis dahingab. Namentlich übte er große Macht durch den Besitz der geheimnisvollen Runenstäbe, deren Zeichen den Anlaut des bedeutungsvollsten Wortes im Zauberliede bildete; ja, er hatte die Runen selbst erfunden. Sie gewährten ihm Macht über alle seine Widersacher, die Kenntnis aller Schätze der Erde und Hilfe im Streit und in allen Sorgen; so versinnlichen und priesen die alten Skalden die Kraft des Gesanges und der Dichtkunst!

Einst hörte Wodan von dem Riesen WAFTHRUDNIR (dem Zungenfertigen), es sei bei ihm die größte Kenntnis der vorweltlichen Dinge vorhanden. Da gelüstete es ihn, sich mit demselben zu messen, und er wanderte als armer Pilger zu dessen Halle, um gastliche Aufnahme bittend. Der Riese antwortete ihm, wenn er etwa gekommen wäre, um seine Weisheit zu erproben, so möchte er sich hüten, denn nimmer würde er heimkehren, wenn es ihm nicht gelänge, in kluger Rede zu obsiegen. Darauf fragte er den Gast nach den Rossen des, Tages und der Nacht, nach dem Fluß, der Asgard von Jötunheim trennt, und nach dem Feld, wo einst die letzte Schlacht geschlagen werden soll. Als Wodan ihm keine Antwort schuldig blieb, bot ihm Wafthrudnir einen Sitz neben sich an, ihn auffordernd, seine Fragen an ihn zu richten.

Über die Entstehung der Welt, der Riesen und Götter, auch über den Untergang alles Geschaffenen wußte der kluge Jöte Bescheid. Als aber der mächtige Gott ihn fragte: „Was sagte Odin seinem Sohn Balder ins Ohr, da ihn der Scheiterhaufen empfing?“ da erblaßte er und rief: „Mit Odin stritt ich vermessen in Weisheit; doch er wird ewig der Weiseste bleiben!“ Ob hierauf Odin des Riesen Haupt nahm, läßt die Sage ungelöst; hinter dem Geheimnis Odins aber vermutet man die Verheißung einer seligen Auferstehung.

Odins erste Gemahlin, JORD (Erde), eine Tochter der Nacht, gebar ihm den starken THOR (Donnerer), die zweite Frau, FRIGG (Frau, Herrin), den BALDER (Fürst). Außerdem gelten als seine Söhne: HODER (Kämpfer), TYR (Helfer), HEIMDAL (Weltglänzer) oder RIGER, WALI (Auserwählter), BRAGI (Sänger), HERMODER (Heermutiger).

FRIGG, die Tochter Fiorgyns, waltet neben Odin über die Schicksale der Menschen und steht ihm mit ihrem klugen Rat zur Seite. Auch galt sie als segnende Göttin des Eheglücks. Sie bewohnt in Asgard den Palast FENSAL (Meersaal). Dort spinnt sie an goldenem Rocken, den die Alten im Gürtel Orions erkennen wollten und denselben deshalb Friggsrocken nannten. Ihre Dienerinnen waren FULLA (Fülle), ihre vertraute Geschmeidebewahrerin, GNA (Hochfahrende), ihre Botin, die auf windschnellem Roß Kundschaft brach Befehle ausrichtete, und HLIN, die Empfängerin der Bitten von Seiten der Schützlinge Friggs.

Übrigens scheint die Asenkönigin Frigg EINES Wesens mit der Wanengöttin FREYA oder FREA gewesen zu sein und sich erst später im skandinavischen Norden von dieser losgespalten zu haben. Auch die rätselhafte Göttin der Erde, NERTHUS, die von Tacitus genannt wird, muß verwandter Natur mit Freya sein und deutet dem Namen nach auf NJÖRDER (Wasserhälter), den Vater der Freya, hin. Frigg erscheint auch noch unter anderen Namen in der Volkssage, und zwar in Mecklenburg als GODE (weibl. Form aus Godan = Wodan), Thüringen und Hessen als Frau HOLDA oder HULDA, im übrigen Oberdeutschland als BERTA oder BERCHTA. Eine verwandte Göttin war endlich die Göttin des Frühlings OSTARA, an die noch heute nicht nur das ihren Namen führende christliche Fest erinnert, sondern auch das Osterei, als Symbol des keimenden Lebens, und der Hase, der es im Glauben des Kindes legt!

goell-ostara

Ostara

THUNAR, NORDISCH THOR

THOR, der älteste Sohn Wodans, wurde nicht von seiner Mutter Jörd erzogen, sondern wuchs bei den Pflegeeltern WINGNIR (Beschwingter) und HLORA (Glut) auf. Sein Gehöft in Asgard hieß THRUDHEIM (Kraftheimat); von seinem Palast BILSKIRNIR ist bereits die Rede gewesen. Zur Frau nahm er SIF (Sippe). Die goldhaarige Göttin bringt einen Sohn in die Ehe mit, den Bogenschützen ULLER; aber auch Thunar hat schon vorher zwei Söhne von der Riesin JARNSARA (Eisenstein): MAGNI (Stärke) und MODI (Mut). Sif beschenkte ihn dann noch mit der THRUD (Kraft).

Thunars Gestalt ist groß und von gewaltiger Kraft. Rotes Haar umwallt sein Haupt; ein enges, kurzes Gewand umschließt seinen Körper und in der mit Eisen behandschuhten Rechten schwingt er den glühenden Blitzhammer MJOLNIR (Malmer), der nach den weitesten Würfen stets wieder in die Hand des Gottes zurückkehrt. So fährt er auf einem von zwei Böcken gezogenen Wagen durch die Wolken, und die Rader rasseln mit Donnerhall.

Das Ansehen Thunars bei den Germanen war sehr groß. Noch im 8. Jahrhundert mußten die Sachsen bei der Taufe schwören, entsagen zu wollen dem Wodan, Thunar und Saxnot. Lange vorher schon war wegen der Verwechslung Thunars mit dem römischen Jupiter der fünfte Wochentag mit dem Namen des Donnerers belegt worden. Geheiligt waren ihm der Vogelbeerbaum, die Haselstaude und die Eiche. Es war im Jahre 725 n. Chr., als der Heidenapostel Bonifatius Thunars Rieseneiche zu Geismar bei Fritzlar in Hessen mit eigener Hand fällte. Wehklagen füllten die Luft und Verwünschungen drohten dem Frevler mit des Gottes Rache. Aber der gewaltige Stamm senkte sich nach wenigen Schlägen und an seiner Stelle erhob sich bald eine Kirche des Petrus. Viele Gebräuche und Sagen erinnern noch heute an den Blitzgott. Die aus der Haselstaude geschnittene Wünschelrute hebt die Erdschätze, wie der Gewittergott die Wolkenschätze und das Sonnengold flüssig macht. Das auf den Tag Johannis, des Täufers, verlegte Sonnwendfest mit seinen Freudenfeuern gilt seiner Person, und noch im fünfzehnten Jahrhundert beteiligten sich deutsche Fürsten an den Rundtänzen um die brennenden Holzstöße. Übrigens glich Thunars Wesen dem seines Vaters wenig. Er war ein wirklicher Kulturgott, der der Erde Gedeihen gab und Menschen und Vieh vor Unglück behütete, der überhaupt seine gewaltige Kraft nicht braucht, um die Erde zu verwüsten, sondern um die verderblichen Naturmächte, die Geschlechter der dem Chaos entsprossenen Riesen in ewigem Kampf zu verfolgen. Es ist also nicht zu verwundern, daß die Skalden den Thor als „Bauerngott“ dem kriegerischen Odin nachstellten.

Einst machte sich Thor auf, um in Jötunheim die Hrimthursen zu züchtigen. Der tückische Loki hatte sich ihm beigesellt. Gegen Abend gelangten sie an eine Bauernhütte, wo sie wohl Unterkommen, aber nichts zu essen fanden. Thor schlachtete deshalb seine Böcke, bereitete sie zur Speise, befahl aber den Wirtsleuten, nach dem Mahl sorgfältig die Knochen in die Felle der Tiere zu sammeln. Dies geschah auch; nur zerbrach auf Lokis Rat des Bauern Sohn das Schenkelbein eines Bockes, um zum Mark zu gelangen. Am Morgen weihte Thor die Felle mit seinem Hammer, und lustig sprangen die Böcke empor. Doch einer lahmte am Hinterfuß.

Thor merkte wohl, was geschehen war. Als er aber die Furcht der Leute über seinen Grimm sah, verzieh er ihnen unter der Bedingung, daß ihre beiden Kinder in seinen Dienst träten. Von da setzten sie die Reise zu Fuß fort und gelangten über das Meer in das Riesenland. Dort fanden sie am Abend eine Hütte, woran die Tür so hoch war wie das ganze Gebäude. Sie übernachteten in dem leeren Haus. Aber um Mitternacht entstand ein Dröhnen und Brausen, daß die ganze Hütte zitterte und sich die Gefährten Thors in eine Nebenkammer flüchteten, während er selbst vor der Türe Wache hielt. Als der Tag anbrach, erblickte Thor die lebendige Ursache des nächtlichen Erdbebens, einen ungeheuren Riesen namens SKRYMIR (Prahler). Dieser erkannte ihn sofort und ließ ihn an seinem Frühstück teilnehmen. Als er aber nach seinem Handschuh fragte, stellte es sich heraus, daß die Reisenden denselben für ein Haus angesehen und schließlich im Däumling geschlafen hatten. Skrymir warf nun den Eßkorb über die Schulter und wanderte mit ihnen den ganzen Tag über umher. Am Abend legte er sich sofort zum Schlafe nieder und überließ die Speise den Gefährten. Diese konnten jedoch den festgeschnürten Riemen des Bündels nicht lösen, und Thor ergrimmte endlich und versetzte dem Riesen einen gewaltigen Schlag mit dem Hammer auf den Schädel. Skrymir erwachte und fragte, ob nicht ein Blatt vom Baum ihm auf den Kopf gefallen wäre. Thor schlug den schnell wieder Einschlafenden noch mehrmals auf das Haupt, daß endlich das Eisen tief eindrang. Aber stets klagte der Riese nur darüber, daß die herabfallenden Eicheln ihn im Schlafe störten! Am Morgen schied er von ihnen und warnte sie vor UTGARD (Außengehege), da dort noch größere Riesen existierten, als er selber.

Allein sie ließen sich nicht beirren und gelangten mittags zur Königsburg, die so hoch war, daß ihre Augen die Dachspitze nicht erreichten. Sie betraten die Halle, wo der König UTGARDLOKI mit seinen Kriegern und Hofleuten saß und die Gäste sofort nach ihren Geschicklichkeiten fragte, ohne die niemand auf seinem Hof einen Sitz bekommen könnte. Da rühmte sich Loki seines hurtigen Essens, der Bauernsohn Thialfi seines schnellen Laufens und Thor seines mächtigen Durstes. Zuerst wurde Loki dem Thursensohn LOGI gegenübergestellt. Ein langer Trog voll Fleisch wurde herbeigebracht, und die Wettenden sollten jeder von einer Seite zu schlingen beginnen. In der Mitte begegneten sie sich, aber dennoch hatte Loki verloren, weil sein Gegner auch die Knochen samt dem Gefäß verzehrt hatte! Auch THIALFI unterlag trotz seiner außerordentlichen Schnellfüßigkeit seinem Gegner HUGIN. Endlich wurde für Thor selbst das Horn herbeigebracht, welches, mit Met gefüllt, an Utgardlokis Tafel zu kreisen pflegte, und dieser belehrte ihn, daß niemand unter den Hofleuten mehr als drei Züge brauche, um es zu leeren. Trotz seines geringen Durstes tat Thor drei lange Züge; aber erst beim dritten war eine kleine Abnahme des Getränkes bemerkbar. Unmutig gab er das Horn ab und verlangte, seine Stärke auf die Probe zu stellen. Da forderte ihn der Riese auf, nur seine graue Katze vom Boden aufzuheben, was seine jungen Burschen oft im Spaß täten. Thor versuchte es, aber das Tier streckte sich immer länger, und wenn er sich auch noch so sehr anstrengte, so blieben doch immer die Pfoten auf dem Boden stehen. „Ich dachte es schon“, höhnte nun Utgardloki, „daß die Katze für einen so kleinen Mann zu groß sein würde.“ Da entbrannte der Zorn Thors und er forderte alle Riesen zum Ringkampf heraus. Aber wieder wollte der Riese niemand zu solchem Kinderspiel hergeben, als seine uralte Amme ELLI. Das Riesenweib trat herein und der Kampf begann. Allein so sehr auch Thor alle seine Kraft aufbot, er strauchelte endlich und sank auf die Knie. Da sprang der Riesenfürst dazwischen und führte seine Gäste zur Tafel, wo sie sich bis Mittemacht labten. Am anderen Morgen geleitete er sie bis an die Grenze und sagte dann: „Weil Du nun meine Burg verlassen hast, die Du nie wieder betreten darfst, will ich Dir bekennen, daß ich Dich durch Zauberkünste täuschte. Ich selbst war der Riese Skrymir. Der Eßkorb war mit eisernen Bändern zugeschnürt; mit dem Hammer hättest Du mich sicher erschlagen, wenn ich Dir nicht schnell einen Felsen in den Weg geschoben hätte. Der große Fresser Loki war das Wildfeuer, der Läufer Hugin aber mein Gedanke. Das Ende des Hornes, aus dem Du trankst, lag in der See, und Du hast so viel daraus getrunken, daß die Ebbe auf der Erde davon entstanden ist. Die Katze ferner war die Midgardsschlange, und Du hast sie zu unserem Entsetzen so hoch gehoben, daß sie beinahe den Himmel berührte. Die Alte endlich, mit der Du gerungen hast, war das Greisenalter, dem jeder unterliegen muß.“ Wütend schwang Thor den Hammer, um sich am Jöten zu rächen. Dieser war aber verschwunden, und Thor mußte mit seinen Genossen den Rückweg antreten.

Liegt diesem Mythos der Gedanke zugrunde, daß der große Ase in der Außenwelt, d. h. in dem Schnee des Urgebirges, keinen Erfolg erringen und der Kultur keine Bahn eröffnen kann, so zeigt uns die Sage vom Riesen HRUNGNIR (Rauschender) Thors milde Gewittermacht im Kampf gegen das verwüstende Unwetter im Gebirge. Als einmal Thor ausgezogen war, um seine Pflüger gegen Unholde zu schützen, machte sich auch Odin auf und kehrte beim Bergriesen Hrungnir ein. Dort kamen sie im Laufe der Unterhaltung auf die Vorzüge des Rosses Sleipnir, und der Jöte behauptete, sein Pferd GULLFAXI (Goldmähne) mache doch noch weitere Sprünge. Da schwang sich Odin auf und forderte Hrungnir auf, mit ihm um die Wette zu reiten. Zornig jagte der Riese ihm nach, und beide kamen fast gleichzeitig in Asgard an. Die Asen laden den Gast freundlich ein, sich an Thors Platz zu setzen, und die schöne Freya schenkt ihm die gewaltigen Schalen des Donnerers voll starken Biers. Unmutsvoll leerte er sie, forderte immer mehr von dem Getränk und begann endlich im Rausch trotzig zu prahlen, er werden Walhalla auf dem Rücken nach Jötunheim tragen, ganz Asgard in den Abgrund versenken, alle Asen erschlagen, Freya und Sif aber mit sich in das Riesenland entfuhren. Ängstlich riefen die Asen nach Thor, und kaum war sein Name genannt, als derselbe mit zornblitzenden Augen in der Halle stand und Mjölnir schwingend ausrief: „Wer erlaubt dem Thursen, in Asgard zu sitzen und sich von der Schenkin der Asen den Pokal kredenzen zu lassen?

Das soll den Unverschämten gereuen!“ Hrungnir beruft sich ernüchtert auf Odins Einladung und gelobt, sich ihm an der Grenzscheide der Länder im ehrlichen Zweikampf stellen zu wollen. Am bestimmten Tage fand sich der Jöte zuerst auf dem Platz ein, bewaffnet mit einem riesigen Schleifstein und einem ungeheuren steinernen Schild, während die Riesen einen neun Meilen hohen Schildknappen aus Lehm neben ihm aufgepflanzt hatten.

Vor Thor erschien dessen Diener Thialfi und rief dem Riesen zu, sein Herr wolle ihn von unten angreifen und der Schild werde ihm dann nichts helfen. Da warf Hrungnir die Steinscheibe auf den Boden und stellte sich darauf, und als gleich hinterdrein der Donnerer angebraust kam und beide Gegner in demselben Augenblick ihre Waffen schleuderten, zerschellte die Keule des Jöten, vom Hammer getroffen in der Luft, dieser aber fuhr tief in Hrungnirs Schädel.

Grimmiger Zorn erfaßte aber den Blitzgott, als er einst in der Nacht erwachte und merkte, daß sein göttlicher Hammer entwendet sei. Er zog Loki in das Geheimnis, und dieser lieh von Freya das Falkengewand, um der Riesenwelt einen Besuch abzustatten. Dort traf er den Thursenfürst THRYM, der sich in ein Gespräch mit ihm einließ und gar kein Hehl daraus machte, daß er selbst den Hammer gestohlen habe und acht Meilen tief unter der Erde verborgen halte. Nur wer ihm Freya als Braut zuführe, solle denselben erhalten. Thor wagte es zwar, nach Lokis Zurückkunft der schönen Wanin den Antrag des Riesen vorzutragen, wurde aber schnöde abgewiesen. Nun war guter Rat teuer, denn Mjölnir war ja die Stütze Asgards gegen die Riesen. In der Versammlung der Götter und Göttinnen macht endlich HEIMDAL, der Wächter Asenheims, der so weise war, daß er das Gras und die Wolle der Schafe wachsen hörte, den Vorschlag, Thor selbst solle, in Freyas bräutliches Linnen gehüllt und mit blitzendem Goldschmuck geziert, den Riesen zugeführt werden. Nach einigem Sträuben verstand sich Thor dazu und nahm Loki als Magd mit.

Thrym sah das Gespann der Mädchen von seiner Warte aus sich nähern und traf in größter Eile Zurüstungen zum Hochzeitsfest. Züchtig in ihren Schleier gehüllt, sitzt die hohe Braut beim Mahle und ißt einen ganzen Ochsen, acht Lachse und alles Naschwerk, ja, sie trinkt drei Kufen Met dazu aus! Verwundert schaut der Bräutigam diesen gesunden Appetit; aber die Zofe flüstert ihm zu, aus Sehnsucht nach Jötunheim habe die Braut acht Tage gefastet. Endlich hebt der ungeduldige Liebhaber ein Ende des Schleiers, fährt aber erschrocken zurück vor den feuersprühenden Augen der Jungfrau. Doch wiederum beschwichtigt ihn der schlaue Loki: „Acht Nächte hat die Braut vor Sehnsucht nicht geschlafen; wie sollten ihre Augen nicht glühen!“ Erfreut läßt nun Thrym den Hammer des Donnerers herbeibringen und ihn der Braut in den Schoß legen, um den Ehebund nach der Sitte zu weihen; in Thors Brust lachte das Herz, als er seinen Hammer vor sich sah. Rasch faßte er zu, warf die Hülle ab und wetterte den Riesen samt allen Hochzeitsgästen nieder. Über diese Mythe schreibt MANNHARDT: „Sie besagt, wie Thrym, der Riese des winterlichen Sturmes, dem Himmel den befruchtenden sommerlichen Wetterstrahl raubt und während der acht Wintermonate des Nordens in der Tiefe begräbt. Er sucht die Göttin der Sonne und lichten Wolke, Freya, gänzlich in seine Gewalt zu bringen. Thor verhüllt sich selber in das Kleid der Wolkenfrau und gewinnt so im Frühling den Hammer wieder, den er aus dem Schoß der Wolken hervorwetternd schwingt.“

Endlich war auch Loki beteiligt an der Fahrt Thors zur Behausung des Thursen GEIRRÖD (Speerröter). Den weithin qualmenden Schlot desselben entdeckte er nämlich in der Ferne, als er sich im erwähnten Falkengewand in den Lüften schaukelte, und ließ sich aus Neugierde auf den Fenstersims nieder. Da bannte ihn der Riese fest und weil der Vogel auf alle Fragen stumm blieb, sperrte er ihn ein und ließ ihn drei Monate ohne Nahrung. Dieses Mittel wirkte. Loki gestand, wer er wäre, und der erfreute Geirröd schenkte ihm bloß unter der Bedingung die Freiheit, daß er mit heiligem Eidschwur versprach, Thor, den Hauptfeind des Riesengeschlechts, ihm zum Faustkampf stellen zu wollen, aber ohne den gefürchteten Hammer. Der schlaueste aller Asen suchte hierauf Thor zu einem friedlichen Besuch bei Geirröd zu bereden, indem er ihm vorlog, wie freundlich er selbst von demselben aufgenommen worden sei und wie der Riese lediglich aus Bewunderung sich nach der Bekanntschaft mit dem ältesten Sohn Wodans sehne.

Thor folgte dem Versucher, erfuhr aber schon nach der ersten Tagereise bei der Riesin GRID), der Mutter seines Stiefbruders WIDAR, die Wahrheit und wurde von ihm mit ihren Eisenhandschuhen, ihrem Stab und Stärkegürtel versehen. Eine Tochter Geirröds staute mit ihrem Leib einen den Wanderern im Wege liegenden großen Strom an, mußte aber den Steinwürfen Thors weichen. Als sie endlich das Gehöft des Thursen erreicht hatten und Thor sich müde auf einen Stuhl niederließ, merkte er plötzlich, wie sich derselbe nach und nach immer höher der Decke zu emporhob. Schnell stemmte er seinen Stab gegen die Wölbung und drückte sich dann mit aller Kraft nieder. Entsetzliches Jammergeschrei, unter dem Stuhl hervortönend, belehrte ihn, daß die beiden Töchter des Wirtes, GIALP und GREIP, ihre List mit dem Tode zu bezahlen hatten. Von Geirröd dann zum Kampf aufgefordert, bemerkte Thor kaum die rings an den Wänden der Halle emporlodernden Feuerflammen, als ihm auch schon der Riese einen glühenden Eisenkeil entgegenschleuderte. Jetzt taten die eisernen Handschuhe treffliche Dienste; der Ase fing das Geschoß auf und warf es mit solcher Gewalt gegen die Säule, hinter welcher sich der Feind versteckt hielt, daß es das Bollwerk samt der Brust Geirröds durchbohrte. Dieser wurde in einen Stein verwandelt. – Der Kampf erinnert an den Streit des wohltätigen Sommergottes mit dem Dämon des verderblichen Unwetters, oder, wie andere wollen, mit den Gewalten des vulkanischen Feuers.

goell-thunar-thor

Thunar oder Thor

TYR, ALTHOCHDEUTSCH ZIO

Daß ZlO der älteste aller germanischen Götter ist und zwar in seiner Bedeutung dem griechischen Zeus vollkommen gleich, ist schon in der Einleitung erwähnt worden. Der lichte Himmelsgott war aber bereits zu Tacitus‘ Zeit zu einem Schwert- und Kriegsgott geworden. Es ist ihm also ähnlich gegangen wie dem römischen Mars, und der diesem gewidmete dritte Wochentag erhielt auch in Deutschland den Namen von Tyr. Darum war auch der Pfeil und später wohl das Schwert sein Symbol. Die Brut Lokis war von Wodan weit aus seinen Augen verbannt worden. Hel war nach Nifelheim hinabgeschleudert, die Schlange Jörmungandar in das tiefe Weltmeer versenkt, welches Midgard umschließt. Nur FENRIR, der Wolf, war vor der Hand unter Tyrs Hut geblieben, der ihn täglich mit Futter versorgte. Aber bald wuchs er so riesenhaft heran und gewann solche Stärke, daß man sich in Asgard selbst vor ihm zu fürchten begann und auf Mittel dachte, ihn unschädlich zu machen. Die Asen schmiedeten also zwei Eisenfesseln, Leuthing und Droma, und brachten den Wolf durch Zureden so weit, daß er sich geduldig die Bänder anlegen ließ. Aber als er seine gewaltigen Glieder reckte, flogen die Ringe klirrend auseinander. Die Sorge der Himmlischen mehrte sich, denn täglich wuchs die Stärke Fenrirs. Da sandte Odin seinen treuen Diener SKIRNIR (Glänzer) nach Schwarzalfenheim und ließ die Zwerge um eine dauerhafte Fessel bitten.

Diese verfertigten aus dem Bart der Weiber, den Sehnen der Bären, dem Schall der Katzentritte, dem Speichel der Vögel, der Stimme der Fische und den Wurzeln der Berge eine Fessel namens GLEIPNIR, so dünn wie ein Seidenband. Die Götter ließen hierauf den Wolf kommen und forderten ihn auf, seine Kraft an dem neu en Kunstwerk zu probieren. Aber Fenrir witterte unter dem schwachen Gewebe Zaubertrug und weigerte sich, eher die Fesseln sich anlegen zu lassen, als einer der Asen zum Unterpfand die Rechte in seinen Rachen legen würde. Tyr tat dies unverzagt. Das Band aber, von dem die Alfen gesagt hatten, es werde den Gebundenen immer fester zusammenschnüren, je mehr er sich bemühe, es zu zerreißen, bewährte sich besser als die stärkste Eisenkette. Die Götter zogen es durch tief eingerammte Felsen hindurch und streckten dem wütenden Untier ein Schwert zwischen die Kiefer. Tyr hatte freilich den meisten Schaden; denn ihm hatte der Wolf, als er die List merkte, die Hand abgebissen.

Es ist unschwer, in dem Wolf Fenrir ebenso einen Dämon der Finsternis zu erkennen, wie in den Wölfen Skoll und Hati. Tyr ist also ihm gegenüber noch der alte Gott des Himmels, der das Licht dem finsteren Rachen entreißt. Daß er dabei die Hand einbüßt, stimmt merkwürdigerweise ganz mit der indischen Legende vom Sonnengott SAWITAR; nur daß dieser sich die Hand beim Opfer abgeschlagen hat. Möglich, daß man dabei an die Einbuße der Hälfte gedacht hat, die der Tag durch die Nacht erleidet; möglich auch, daß das Attribut der goldenen Hand allmählich zur Annahme einer künstlichen Goldhand geführt hat.

Von seinem späteren Wirken als Kriegsgott scheint Tyr bei den Germanen südlich von der Ostsee als SAXNOT, d. h. „der des Schwertes (Sax) waltende Gott“, verehrt worden zu sein. Namentlich wissen wir dies von den Sachsen.

Bei anderen Stämmen kommt auch der Name CHERU oder HERU vor, und da dies auch das Schwert bedeutet, so mag wohl auch hier kein Unterschied obwalten, und die Cherusker waren sonach die Mannen oder Abkömmlinge des Heru oder Tyr.

Mehr nach Thor als nach Tyr sieht endlich der von den Sachsen verehrte Gott IRMIN aus, dessen hölzerne Säule (Irmensäule) im Osning bei Detmold Karl der Große 772 zerstört hat.

goell-tyr

Tyr

BRAGI UND IDUN

BRAGI, der sangreiche und redebegabte Sohn Wodans, hatte zur Gattin IDUN (Erneuende), die Tochter des Zwergenvaters Iwaldi. Sie, „die schmerzheilende Maid, die des Gotteralters Heilung kennt“, bewahrte dem Odin die Kufe ODRORIR (Geistererzeuger), die den Dichtermet barg. Mit diesem aber hatte es folgende Bewandtnis. Nach einem Krieg zwischen den Asen und Wanen war der Friede dadurch besiegelt worden, daß beide Parteien ihren Speichel in ein Gefäß laufen ließen und daraus den weisen Mann KWASIR (Redner) schufen. Auf seinen Reisen war dieser in Schwarzalfenheim von zwei Zwergen FIALAR und GALAR ermordet worden, und die Kobolde hatten dann sein Blut mit Honig gemischt und einen zum Dichten begeisternden Met daraus gebraut. Den Wundertrank mußten aber die Erfinder später dem Riesen SUTTUNG als Sühne für den an seinem Oheim verübten Totschlag überlassen, der ihn von seiner Tochter GUNLÖD bewachen ließ. Odin war in die Felsenhöhle gelangt, indem er durch den überlisteten Riesen BAUGI den Berg durchbohren ließ, hatte den Kessel mit dem Met geleert und auf diese Weise den letzteren nach Asgard gebracht.

Außer dem Dichtertrank bewachte aber Idun noch elf goldene Äpfel, deren Genuß den Asen ewige Jugendschöne gewährte. Nun geschah es, daß Odin, Hönir und Loki durch eine gebirgige und öde Gegend wanderten, wo weder Obdach noch Speise zu finden war. Endlich trafen sie in einem Tal eine Rinderherde, schlachteten ein Stück davon und brieten es. Aber das Fleisch wollte immer nicht gar werden, und sie fragten verwundert einander, WER wohl daran Schuld sein möchte. Da antwortete ihnen plötzlich eine Stimme aus dem Baum über ihnen, und ein großer Adler versprach ihnen, den Braten genießbar zu machen, wenn sie ihn am Mahl teilnehmen ließen. Die Asen willigten ein; da aber der Vogel gleich die beiden Lenden und das Vorderteil des Ochsen für sich nahm, ergrimmte Loki und stieß jenem eine große Stange in den Leib. Der Adler schwang sich hierauf mit derselben, an der plötzlich durch Zauber Lokis Hände festklebten, empor, flog aber so niedrig, daß Lokis Füße Steine und Gehölz streiften. Er konnte die Qual nicht ertragen und bat flehentlich den Adler um Frieden. „Wohlan“, sprach derselbe, „versprich mit heiligem Eid, daß du mir Idun mit den goldenen Äpfeln verschaffen willst, so will ich dich frei geben!“ Loki gab die Zusage, und als er nach Asgard zurückgekommen war, lockte er Idun in einen Wald unter dem Vorwand, daß er dort einen Baum mit herrlichen Äpfeln entdeckt hätte; sofort stellte sich der Adler ein und entführte die erschrockene Göttin nach Jötunheim. Der gewaltige Vogel war der Thurse THIASSI (Stürmende). Die Asen befanden sich nach Iduns Verschwinden in übler Verfassung; denn sie alterten schnell und wurden grauhaarig. Endlich lenkte sich ihr Verdacht auf den Verräter Loki, der zuletzt mit der Verlorenen gesehen worden war. Mit dem Tode bedroht versprach er, Idun aufzusuchen, wenn ihm Freya ihr Falkengewand leihen wollte. So gelangte er glücklich zu der Behausung des Riesen, fand die Göttin allein, verwandelte sie in eine Nuß und flog mit der leichten Beute davon. Thiassi, der auf dem Meer gerudert hatte, kam aber bald nach Hause, bemerkte gleich den Raub und setzte im Adlerkleid den Fliehenden nach.

In Asgard sah man den Falken und hinter ihm den Adler herfliegen. Die Asen häuften daher um die Mauer herum Holzspäne auf und zündeten sie an, sobald der Falke die Burg erreicht hatte. Der Adler aber achtete in seiner Hast der aufschlagenden Lohe nicht, verbrannte sich das Gefieder und stürzte in Asgard zu Boden, wo die herbeieilenden Götter ihn erschlugen.

So erscheint hier Idun als Göttin des vegetativen Lebens, die im Winter in der Gewalt des nordischen Sturmriesen ist, im Lenz aber von Loki wiedergeholt wird. Thiassi aber hinterließ eine Tochter, die schöne und mutige SKADI (Strafe). Diese wappnete sich auf die Nachricht vom Tode ihres Vaters und sprengte nach Asgard, um blutige Rache zu nehmen an dem Schuldigen. Die Asen erfreute die Keckheit und Holdseligkeit der Jungfrau. Thor warf die Augen ihres Vaters gen Himmel, wo sie als leuchtende Sterne glänzen, und Allvater erlaubte ihr, sich unter den Asen einen Gemahl auszusuchen. Allein Skadi in ihrem Schmerz wollte nichts von gütlichem Ausgleich wissen. Da schaffte wieder der listige Loki Rat. Er band sich einen Ziegenbock an den Fuß und begann nun meckernd mit dem Tier die possierlichsten Sprünge und Grimassen zu machen. Als er endlich vor Skadi einen Fußfall tat, konnte sich diese nicht länger halten und brach in volles Lachen aus.

Nun zeigte sie sich auch willig, sich durch Heirat mit dem Asengeschlecht zu verbinden; doch durfte sie bei der Wahl nicht mehr als die Füße der Götter sehen. So kam es, daß sie sich irrte; denn indem sie glaubte, den herrlichen Balder vor sich zu haben, wählte sie NJÖRDER. Dies war ein Wane und nach dem Krieg zwischen seinem Geschlecht und den Asen als Geisel in Asgard zurückgeblieben. Sein Name (Wasserhälter) sowie sein Schloß NOATUN (Schiffsstätte) kennzeichnen ihn als Beherrscher der Meerflut. Seine Ehe mit Skadi wurde dadurch getrübt, daß dieser das Brausen des Meeres und das Kreischen der Möwen nicht gefiel, während ihm wieder die öden Bergklüfte und das Wolfsgeheul in den Wäldern Jötunheims unausstehlich vorkamen. Sie wechselten einander zuliebe den Aufenthaltsort alle neun Tage. Endlich aber trennten sie sich ganz, und die Jägerin Skadi reichte später dem mehr zu ihr passenden, im Asengehöft YDALIR (Eibental) wohnenden Bogenschützen und Wintergott ULLER ihre Hand.

FREYA (Frau, Freundliche) und ihr Bruder FREYER (Herr, Frohe) sind Kinder NJÖRDERS aus seiner ersten Ehe mit NJÖD. Freyer war besonders in Skandinavien verehrt als ein über Regen und Sonnenschein gebietender Gott, der seinen Sitz in Lichtalfenheim hatte. Ihm diente als treuer Begleiter SKIRNIR (Glänzer). Zu seinen Ausflügen aber benutzte er den Eber GULLINBURSTI (Goldborstiger) und das Schiff SKIDBLADNIR (geflügeltes Holz), das stets günstigen Fahrwind hatte und sich nach dem Gebrauch zusammenlegen und in die Tasche stecken ließ (wohl die Sonne und die Wolke). Auch ein sich von selbst schwingendes Schwert besaß er; dies opferte er jedoch auf bei der Werbung um die Riesentochter GERD. Seine Schwester FREYA ist die Göttin der Natur, die blütenreiche Mutter der Erde. Im Kultus dagegen ist sie die Beschützerin der Liebenden, die auch nach dem Tode hoffen, in ihrem Palast FOLKWANG (Volkanger) in ihrem lichten Saal SESSRUMNIR (Sitzraum) Aufnahme und Wiedervereinigung zu finden.

goell-bragi-und-heimdal

Bragi und Heimdal empfangen die Krieger in Walhalla

FREYA UND FREYER

Freya ist nicht bloß Mundschenkin in Walhalla, sondern auch Führerin der Walküren auf dem Schlachtfeld. An dem ihr geheiligten Freitag wurden die meisten Ehen geschlossen, und erst die christlichen Priester erklärten diesen Tag als den Kreuzigungstag Christ für eine unglückliche Zeit. Zuletzt beim Mahl trank man Freya MINNE, d. h. man weihte ihr den Becher der Liebe und Erinnerung zu Abschied, was später auf Maria überging. Freya trug den von den Zwergen geschmiedeten köstlichen Halsschmuck BRINSINGAMEN (Feuerkette) und fuhr auf einem mit Katzen bespannten Wagen. Einst bekam Wodan selbst Lust nach dem Kleinod Brinsingamen und befahl Loki, der ihm davon erzählt hatte, ihm dasselbe entweder zu verschaffen oder nie wieder vor seine Augen zu kommen. Sehr ungern übernahm Loki den heiklen Auftrag und schlich sich nach Folkwang. Die Wanin ruhte in ihrer verschlossenen Kammer, und Loki verwandelte sich in eine Fliege, um hineinzukommen, dann aber in einen Floh, um Freya, die mit der Brust auf der Kette lag, zum Umdrehen zu bestimmen. Alles gelang nach Wunsch, und der Dieb huschte mit seinem Raub ins Freie, als ein Stärkerer über ihn kam. Der wackere Heimdal, der treue Wacht an der Brücke BIFROST hielt, hatte den Raub beobachtet und eilte Loki nach. Dieser stürzte sich als Robbe ins Meer, aber Heimdal tat dasselbe, und in dem nun entbrannten Kampf siegte er und nahm dem Räuber das Kleinod ab. Idun heilte dann des Siegers Wunden und brachte den Halsschmuck der weinenden Freya zurück.

Gewöhnlich wird Freya als Jungfrau gedacht. Nach einem Mythos war sie jedoch mit ODUR (Geist) vermählt. Als sie ihm jedoch eine Tochter, HNOSS (Kleinod), geschenkt hatte, verließ er sie treulos und zog auf ferne Wege. Freyas Tränen flossen darob unablässig und wurden zu rotem Gold. Nach einer Sage kam Odur dann als fremder Wanderer nach Folkwang zurück und erzählte nach der Wiedererkennung, daß er auf windkalten Wegen hergekommen wäre, und daß ihn der Nornen unabänderlicher Spruch in die Ferne und wieder zurückgeführt hätte. Nach einer anderen Legende sucht ihn Freya in allen Ländern und findet ihn zu ihrer Freude endlich auf grüner Matte. Aber Odur bleibt dennoch nicht bei ihr und verläßt sie in jedem Jahr nach der Herbsttagundnachtgleiche.

goell-freya goell-freyer

Freya

Freyer

BALDER

Der lichte, strahlende Sohn Friggs, BALDER, ein Symbol der kurzlebigen Sommerherrlichkeit, war der beste aller Asen und von allen wegen seiner Unschuld und Milde geliebt. In seinem Gehöft BREIDABLICK (breiter Gang) wurde nichts Unreines geduldet. Dort wohnte Balder, auch VOL genannt, mit seiner geliebten Gattin NANNA und seinem Sohn FORSETI (Vorsitzender), der seines Vaters gute Eigenschaften erbte und später in der mit Silber gedeckten, auf Goldsäulen ruhenden Halle GLITNIR (Gleißende) immerwährend zu Gericht saß.

Der frühe Tod Balders sollte über die Asen bitteres Leid bringen. Ein böses Vorzeichen hatte nach dem Entschwinden des Goldalters den Asgard in große Unruhe versetzt. Die liebliche Idun war in einer Nacht von den Zweigen der Weltesche Yggdrasil, in denen sie sich gewiegt hatte, hinabgesunken in das Nachtreich Hels, und am nächsten Tag drohte Mimirs Brunnen zu vertrocknen. Da schickte Odin seinen Raben Hugin aus, und dieser flog eilig zu den Zwergen DAIN und THRAIN, die der Zukunft kundig waren. Allein dort war wenig zu erfahren, denn die Zwerge lagen in wirren Träumen. Odin sandte also Heimdal, Loki und Bragi hin unter zu Hel selbst, um Idun auszuforschen. Auf düsteren Pfaden stiegen sie hinab nach Nifelheim, gelangten zu der mit festem Eisengitter und loderndem Feuer umgebenen Burg Hels und gingen hinein, ohne sich um das Heulen des blutbesudelten Höllenhundes MANAGARM (Mondhund) zu kümmern. Bald erspähten sie die Göttin der Jugend und fanden sie blaß, abgehärmt und stumm. Nur Tränen rannen unaufhörlich über ihre Wangen, und keine Antwort über das Schicksal der Asen und der Welt kam über ihre Lippen. So zogen die Boten wieder ab. Aber Bragi, der liebende Gatte, blieb bei Idun zurück. Ratlos hörten die Götter den Bericht Heimdals und Lokis und mußten ihre Entschlüsse vertagen.

Am nächsten Morgen schwang sich Odin auf Sleipnirs Rücken, um selbst die Reise nach Nifelheim anzutreten; denn in der Nacht hatte Balder geträumt, Hel sei ihm erschienen und habe ihm gewinkt. Er reitet bei Hels Behausung vorüber nach Osten, wo der Seherin WALA (oder Wöla) Grabhügel stand. Dort sprach er die Beschwörungsformel und weckte die Tote mit mächtigem Bann.

Und als sie ihn nach seinem Begehr fragte, gab er sich für WEGTAM (Weggewöhnte) aus und erkundigte sich, für wen bei Hel die Betten mit Gold geschmückt und die Sitze mit Reifen belegt wären. Da antwortete Wala: „Für Balder, den Guten, wird der Empfang bereitet und köstlicher Met gebraut den Asen zum Gram.“ Und als er weiter wissen wollte, wer Balder zu Hel senden und wer den Mord rächen würde, so sagte sie ihm, wie es kommen sollte. Als er aber noch fragte, wie hieße, daß Balders Tod nicht beweinen werde, da erkannte ihn Wala voll Entsetzen und bat ihn, heimzureiten; Niemand werde sie weiter Rede stehen, bis Lokis Bande rissen und der Götter Verderben hereinbräche. Unterdessen hatten auch die übrigen Asen nicht gerastet. Sie beschlossen allen lebenden Kreaturen und selbst den leblosen Dingen einen heiligen Eid abzufordern, daß sie Balders Leib und Leben Balder und Nanna nicht schädigen wollten. Die besorgte Frigg selbst war ausgefahren in alle Lande, und es hatten ihr geschworen die Thursen, die Menschen, die Alfen, die Bäume und Sträucher, die Steine und Erze, selbst die Gifte und Krankheiten. Nun herrschte große Heiterkeit in Walhalla. Die Asen scherzten und lachten und zielten mit allerlei Wurfzeug und Geschoß nach Balder, um zu sehen, wie jede Waffe den gefeiten Leib vermied. Nur Loki fand kein Gefallen an dem Wunder, verwandelte sich in ein altes Weib und humpelte nach Fensal zu Frigg, um sich Aufklärung zu verschaffen. Gutmütig erzählte ihm Balders Mutter, was sie alles getan habe, um das Unglück vom lieben Sohn fern zu halten; ja, sie vertraute ihm endlich, daß alle Gewächse auf Erden ihr den verlangten Eid geleistet hätten, mit Ausnahme eines kleinen Mistelstrauches, den sie für zu unbedeutend gehalten hätte. Der Verräter eilte zur Mistel, riß sie herunter und formte einen Ger daraus. Dann ging er in den Kreis der heiter scherzenden Asen zurück. Dort fand er den starken, aber des Augenlichts beraubten HÖDER in einer Ecke stehen, teilnahmslos bei der Kurzweil der übrigen. Er fragte ihn, warum er nicht auch zu Balders Ehre seine Kraft im Werfen versuchte, und als der Blinde erwiderte, er habe ja weder Waffen noch Augen, drückte er ihm den Mistelgeer in die Hand und richtete denselben auf Balder. Höder schleuderte mit voller Kraft den Speer, und der Bruder sank mit durchbohrter Brust entseelt zu Boden!

Da verfinsterte sich die Erde; sprachlos und entsetzt standen die Götter um die Leiche des Vielgeliebten. Dann aber wandten sich alle gegen den Mörder, und am liebsten hätten sie sogleich Rache an ihm genommen – Loki hatte sich natürlich weggeschlichen – wenn nicht Asgards Heiligkeit ihn geschützt hätte. Frigg, durch das laute Jammern erschreckt, eilte auch herbei und klammerte sich an die Hoffnung, die schreckliche Hel möchte sich vielleicht erbitten lassen, den geliebten Sohn wieder frei zu geben. Sofort war Balders zweiter Bruder, HERMODER, bereit, das Schattenreich aufzusuchen, und bestieg den eben erst von dort zurückgekehrten Sleipnir.

Die Asen aber machten sich daran, die teure Hülle mit den letzten Ehren zu beschenken. Sie geleiteten dieselbe an den Strand des Meeres, wo Balders Schiff HRINGHORN (Ringhörnige) lag. Auf diesem wurde der Scheiterhaufen errichtet. Aber als die Leiche hinaufgelegt werden sollte, brach der holden Nanna das Herz vor Jammer, und die Götter gesellten sie dem Geliebten bei. Auch dessen edles Roß mußte ihm im Tod folgen, und Wodan steckte dem Sohn noch den Wunderring DRAUPNIR (Traufende) an die Hand, der in jeder neunten Nacht sich verachtfachte. Sodann weihte Thor mit seinem Hammer die Scheiter, und die Flamme prasselte in die Höhe. Aber niemand vermochte nun das Fahrzeug mit seiner Last von der Stelle zu rücken und ins Meer hinabzuschieben. Die anwesenden Riesen erboten sich, ein starkes Weib aus Jötunheim namens HYRROKIN (Feuerräucherige) herbeizuholen, die Berge zu verrücken imstand wäre. Es geschah, und die Alte kam sturmschnell auf einem riesigen Wolf angeritten, der mit einer Natter gezäumt war. Mit einem einzigen Stoß schob sie das Schiff in die Wellen. Thor aber ergrimmte über der Riesin rohe Weise und hätte ihr gern mit Mjölnir das Lebenslicht ausgeblasen, wenn nicht die übrigen Asen, auf das freie Geleit Hyrrokins hinweisend, ihn abgehalten hätten. So ließ er seine Wut am Zwerg LIT (Farbe) aus, der ihm unter die Füße kam, und warf ihn ins Feuer.

Während dies geschah, war Hermoder nach neuntägigem Ritt an den Fluß GJOLL (Gellende) gelangt, der Hels Reich von den anderen Welten scheidet, und von der Brückenwächterin MÖDGUD (Seelenkampf) nach Hels Wohnsitz gewiesen, erreichte er denselben bald und setzte mit Sleipnir über das verschlossene Gitter in das Totengebiet. Bald gelang es ihm, Balder und Nanna zu finden. Sie saßen auf einem Ehrenplatz, aber traurig und ohne die goldenen Pokale zu berühren. Hermoder wandte sich aber sogleich an die grauenhafte Hel und richtete seinen Auftrag aus; er hob her vor, daß alle Wesen der Welt über Balders Tod trauerten. Da erwiderte ihm Hel: „Weint alles Lebendige und Tote um Balder, wohl, so mag er zurückkehren ans Licht; bleibt aber ein einziges Auge trocken und tränenlos, so muß er ewig in meinem Saal weilen.“ Den Göttern in Asgard dünkte dieser Bescheid nicht ungünstig, und sogleich wurden Boten nach allen Seiten ausgesendet, welche alle Wesen und Dinge auffordern sollten, dem entschwundenen Balder Tränen zu weihen. Da rieselten allen lebenden Geschöpfen die Zähren über die Wangen; die Blätter und Blumenkelche füllten sich mit Tauperlen, und selbst von den Steinen troff das geweinte Naß herab. Als aber die Boten zurückkehrten, fanden sie auf dem Weg vor ihrer Höhle die Riesin THOKK (Dunkel), welche trotz aller Bitten den Tränenzoll verweigerte. „Was soll ich weinen um Balder?“ sprach sie. „Er hat mir weder im Leben noch im Tod Nutzen geschafft. Mag Hel behalten, was sie hat! „ So blieb Balder der Oberwelt verloren. Das „tückische Weih“ aber war niemand anders als der Schurke Loki.

Nun hatte die Seherin Wala zuletzt auch Odin geweissagt, der Rächer Balders, der die von Pflicht und Gesetz gebotene Blutrache am Mörder vollziehen werde, müßte seinem eigenen Blut entstammen und der Königstochter RINDA (Rinde, Erdkruste) Sohn sein. Nachdem also alle Hoffnung auf Balders Wiederkehr geschwunden war, begab sich Odin in das Land der Ruthenen, zu BILLING, Rindas Vater. Er trat dort als Kriegsmann auf, bot dem König seine Dienste an und verrichtete solche Heldentaten, daß ihn Billing zum Feldherrn machte und ihm die Hand seiner schönen Tochter versprach. Allein diese wies die Werbung schroff ab und schlug sogar dem zudringlichen Freier ins Gesicht.

Hierauf spielte Odin die Rolle eines reichen Goldschmieds, wurde aber schließlich gerade so abgefertigt. Er erschien dann noch als stolzer Ritter bei dem königlichen Hoffest, erhielt aber, als er um einen Kuß bat, von der spröden Rinda einen solchen Stoß, daß er in die Knie sank. Endlich nahm er Mädchengestalt an, diente der Prinzessin treulich und versetzte sie mit seinem Zauberstab in schwere Krankheit, übernahm dann als Arzt die Heilung und errang so die Hand der dankbaren Rinda. Ihr Sohn WALI wuchs in wenigen Stunden zum kräftigen Jüngling heran und verstand sich auf die Führung des Bogens wie Uller. Ungekämmt und ungewaschen erscheint er am nächsten Tag in Walhalla und erlegt mit seinen Pfeilen den das Licht des Tages meidenden Höder, worauf ihm die Asen zum Dank die Halle WALASKJALF erbauten, deren Dach aus glänzendem Silber bestand.

goell-uller

Uller

Rindas, der Erdkruste, Sohn WALI, auch Bul oder Bous (Bauer) genannt, ist der Lenz, welcher den Gott der düsteren Jahreshälfte, Höder, tötet und so des sommerlichen Balders Tod rächt. Der ganze Mythos ist in der Edda mit dem Weltuntergang verflochten und gewinnt durch Lokis Dazwischentreten und die Unschuld Höders einen hochtragischen Anstrich. Die dänische Sage hat die ursprüngliche Naturanschauung besser bewahrt. Bei ihr befinden sich nämlich Balder und Höder in einem sich wiederholenden Kampf um die von beiden geliebte Nanna, und Höder trägt den Sieg davon. Übrigens klingt die Baldermythe in der Nibelungensage nach, in welcher der lichte Sonnenheld Siegfrid (Sigurd) von dem falschen Hagen erschlagen wird.

GERD, Freyers Gemahlin, war die Tochter des Riesen OEGIR (Schrecken), der zugleich Heimdals Großvater und Beherrscher der stürmischen Meeresflut war. Nach der Verheiratung Gerds machte er in Asgard den Asen einen Besuch und freute sich der ihm zuteilgewordenen Aufnahme so, daß er die Götter alle zu sich auf die Zeit der Leinernte einlud. Die Gäste stellten sich alle zur genannten Zeit auf seinem Eiland ein. Aber obgleich Oegir alles aufgeboten hatte, um die Asen zu befriedigen, kam er doch bald in große Verlegenheit. Es fehlte ihm der Met, weil er keinen Braukessel besaß, und der durstige Thor zog ein schiefes Gesicht. Da erinnerte sich Thor, daß sein Stiefvater, der im fernsten Osten wohnende Riese HYMIR (Schläfrige), einen Kessel, eine Meile tief, besaß. Diesen erbot er sich herbeizuschaffen, wenn Thor in begleiten wolle. Des Blitzgottes Böcke trugen sie schnell zur Stelle, wo sie von Tyrs goldgelockter Ahne willkommen geheißen wurden, aber vor der neunhundertköpfigen Alten zurückbebten. Bald kehrte der auf der Jagd beschäftigte Hymir zurück, und die Gaste versteckten sich hinter einer Säule, da ihnen erzählt worden war, daß der Riese im ganzen den Fremden abhold wäre. Hymir sprengte mit seinem Zornesblick die Säule; doch scheute er sich vor Thors Hammer und befahl drei Stiere zuzurichten. Thor verzehrte allein zwei davon, und der Riese meinte, er werde am anderen Morgen auf den Fischfang ausfahren, damit die Fremden nicht seiner Herde ein Ende machten. Thor bot sich ihm als Begleiter an und fand sich in der Frühe beim Boot ein. Hymir spottete aber des kleinen Mannes und meinte, derselbe würde wohl bald frieren und der Heimkehr begehren. Als hierauf Thor einen Köder für seine Angelrute verlangte, fuhr er ihn an: „Suche Dir selbst einen!“ Aber wie erschrak er, als der Fremde einem seiner dunklen Stiere ohne weiteres den Kopf abriß und ins Boot sprang! Nun begann die Fahrt weit und immer weiter hinaus in die hohe See. Dort warf Hymir seine Angelrute aus und fing zwei Wale. Aber auch Thor senkte den Stierkopf in die Tiefe. Bald zuckte die Schnur und mit solcher Heftigkeit, daß Thor beim Anziehen auf die Schiffswand fiel. Schon lachte der Riese. Aber der Ase geriet in Wut, trat den Boden durch und zog, auf dem Meeresboden stehend, bis endlich die See hoch aufschäumte und die scheußliche Midgardschlange emporstieg und dem Gott ihren Rachen zeigte. Dieser schwang den Hammer und wollte dem Wurm den Schädel einschlagen, als Hymir herzuspringend die Angelschnur durchschnitt. Jörrmungandar entging so ihrem Schicksal, aber den Riesen belohnte ein Faustschlag, der ihn über Bord stürzte. Am Ufer angelangt, bat Hymir kleinlaut, Thor möchte entweder das Schiff an den Strand ziehen oder die Fische nach Hause tragen. Thor tat beides, forderte aber dann zur Belohnung den größten Braukessel. „Der Kessel“, sagte Hymir, „kann nur dem Mann zuteil werden, welcher meinen Trinkbecher zu zerbrechen vermag.“ Der Ase schleuderte hierauf das Gefäß mit solcher Macht an die Säule, daß das Gemäuer zerbrach, aber der Becher blieb unverletzt. „Hymirs Schädel ist härter als Stein“, raunte die Ahne ihm zu. Thor verstand den Wink und warf den Kelch dem Riesen an die Stirn, daß er in tausend Scherben zerschellte. Hierauf nahm Thor den Kessel, stülpte ihn über den Kopf und schritt aus der Halle. Hinterdrein aber stürmte Hymir mit einer Anzahl vielköpfiger Thursen, um ihm den Rückzug abzuschneiden. Dies gelang ihnen jedoch nicht.

Mjölnir tat seine Schuldigkeit, und die Unholde wurden teils vernichtet, teils nach Nifelheim verscheucht. Nun herrschte laute Fröhlichkeit in Oegirs Halle. Der schäumende Met kreiste, und die Asen suchten ihren Harm über Balders Tod zu vergessen. FUNAFENG (Feuerfänger) und ELDIR (Zünder), die flinken Diener des Wirts, warteten emsig ihres Amtes. Loki kam zuletzt auch noch zum Gelage, und da ihn Funafeng schnöde an der Tür zurückwies, so erschlug er ihn und entwich in den Wald. Doch bald schlich er sich wieder herbei, und als er von Eldir hörte, daß die Asen von ihren Taten sprächen und nur von ihm selbst kein gutes Wort wüßten, trat er frech in den Saal und begann die sämtlichen Asen mit unerhörten Lästerungen und Schmähungen zu überschütten. Ja, endlich rühmte er sich Frigg gegenüber ganz offen, daß er es gewesen, der Balder zu Hel gesendet hätte. Da erschien Thor, und vor seinem Hammer wich der Frevler, nachdem er dem ganzen Göttergeschlecht den Untergang prophezeit hatte. Tief im Gebirge baute er sich neben einem Wasserfall eine Wohnung mit vier Türen und war täglich vor seinen Verfolgern auf der Hut. Auch erfand er in seiner langen Mußezeit das Fischernetz. Odin ersah aber doch endlich von seinem hohen Sitz aus des Bösewichts Versteck und zog mit der ganzen Asenschar gegen ihn zu Felde. Sie kamen zur windigen Hütte, fanden aber Loki nirgends. Doch entdeckten sie in der glimmenden Asche des Herdes das halbverbrannte Netz, welches der Verfolgte beim Nahen der Fein de dem Feuer überliefert hatte, und nun war es ihnen klar, wo der selbe sich verborgen hatte. Rasch verfertigten sie nach dem Rest des Geflechtes ein neues großes Netz und beginnen damit den Wasserfall zu durchsuchen. Schon beim ersten Zug merken sie, daß etwas Lebendiges unter dem Netz weggeschlüpft sei. Sie beschweren daher dasselbe mit Steinen und beginnen den Fischfang von neuem. Da sprang plötzlich ein großer Lachs über das Netz hinweg und schwamm den Strom hinauf; als er aber rückwärts denselben Versuch wagte, fing ihn Thor, der mitten im Wasser watete, am Schwanz, und es entpuppte sich zum Jubel der Götter Loki in Person! SYGIN, Lokis Weib, eilte nun mit ihren Söhnen WALI und NARWI herbei, um Loki Beistand zu leisten.

Allein die grausamen Asen verzauberten Wali in einen Wolf, der sofort den Bruder zerriß. Dann schnürten sie den Vater auf drei scharfkantige Felsen fest, und SKADI nahm noch besonders Rache für den Tod ihres Vaters Thiassi, den Loki hauptsächlich auf dem Gewissen hatte, indem sie eine giftige Natter über des Gerichteten Haupt aufhängte, deren beißender Geifer demselben das Antlitz beträufeln sollte. Die treue Sygin wich jedoch nicht von Lokis Seite und fing das Gift in einer Schale auf. Nur wenn sie gezwungen war, das volle Gefäß auszugießen, näßte das Gift die Wangen des Unglücklichen, und er heulte dann laut auf vor Wut und Schmerz. Immer näher unterdessen rückte die Zeit heran, wo die alte Weltordnung zerfallen und das Unheil des Weltuntergangs, RAGNAROK (Götterdämmerung), hereinbrechen sollte über Götter und Menschen.

goell-balder-und-nanna

Balder und Nanna

RAGNAROK

Kurz vorher bildeten Eigennutz und Habgier die einzigen Triebfedern der Handlungen, und Mord und blutige Kriege nahmen in schrecklicher Weise überhand. Die Erde verödete und verlor ihre schöpferische Kraft, die Sonne trübte sich und endlich folgten sich drei schreckliche FIMBULWINTER (ungeheure Winter) ohne dazwischenliegende Sommer. Alle Gewächse auf Erden erstarrten unter dem unaufhörlichen Schneegestöber, und die Menschen starben vor Kälte und Hunger. Dann ereilten die Riesenwölfe Sköll und Hati den Mond und die Sonne und verschlangen sie.

Die Sterne fallen vom Himmelsgewölbe, die Grundfesten aller Welten wanken und die Banden und Ketten aller Ungeheuer der Tiefe brechen. Die Midgardschlange erhebt sich aus dem Abgrund der Meerflut, der Wolf Fenrir reißt sich los, der Höllenhund Managarm steigt an die Oberwelt, der Feuerriese Surtur mit den Muspelsöhnen sowie die Hrimthursen sammeln sich zum Kampf. Auch Loki sprengt seine Fesseln und besteigt mit seinen Sippen das Schiff NAGELFARI, gezimmert aus den Nägeln der Toten. Auf dem Kriegsfeld WIGRID ordnet Loki seine Scharen, während die Asen samt den Einheriem heranreiten. Ein entsetzlicher Vernichtungskampf hebt an. Allvater wird vom Fenrirwolf verschlungen, Heimdal und Loki durchbohren sich gleichzeitig; Thor erschlägt die Midgardschlange Jörmungandar, wird aber selbst durch ihren giftigen Hauch getötet. Freyer, dem seine Wunderwaffe fehlt, unterliegt dem Flammenschwert Surturs; Tyr erwürgt den Höllenhund, fällt aber dann selbst, zu Tode verwundet. Odins Tod rächt sein Sohn, „der schweigsame Ase“ WIDAR. Er stößt dem Fenrirwolf die dicke Sohle seines Fußes in den Rachen und reißt ihm die Kiefern auseinander. Nach diesen Kämpfen der Mächte, die über Licht und Finsternis gebieten und die lebhaft an die Genossen der iranischen Todfeinde Ahriman und Ormuzd erinnern, gewinnt Surtur mit seiner Lohe freies Walten. Er verbrennt die Weltesche Yggdrasil und schleudert seinen Brand über Himmel und Erde. Dennoch führte im Glauben unserer Väter der Weltbrand nicht zum Urzustand des chaotischen Nichts zurück, sondern es folgte ihm im Laufe der Zeit eine Erneuerung alles Geschaffenen. Eine frische Sonne stieg am Himmel empor, und aus der Tiefe er hob sich eine neue Erde, die sich bald mit Gras und Kräutern schmückte. Und siehe, aus dem Wald HODDMIMIR tauchten auch zwei Menschenkinder auf, die dort schlummernd den Untergang der Welt überlebt hatten, eine Frau LIF (Leben) und ein Mann LIFTHRASIR (Lebenslieber)! Sie wurden die Stammeltern von einem um vieles besseren Menschengeschlecht. Von den Asen leben noch Widar und Wali; zu diesen gesellen sich Magni und Höder, jetzt in Liebe vereint, stellen sich ein und durchwandeln Arm in Arm das IDAFELD (erneute Feld), die Stätte des einstigen Asgard: das GOLDALTER der Welt ist zurückgekehrt.

goell-schwerter-schmiedende-zwerge

Schwerter schmiedende Zwerge