Der vorliegende Artikel Raubstaat England beinhaltet ergänzendes Text und Bildmaterial aus dem gleichnamigen Zigarettenbilderalbum. Das Album wurde herausgegeben vom Cigaretten-Bilderdienst Hamburg Bahrenfeld.
Es war nicht lange nach der letzten Jahrhundertwende, als man anfing, uns Quartaner mit den Geheimnissen der englischen Sprache vertraut zu machen. Unser Lehrbuch begann mit einem Gedicht, genauer gesagt: mit einem Matrosensong. Der Lehrer sprach ihn uns Silbe für Silbe vor, und wir wurden mit Staunen gewahr, welcher Verrenkungen die menschlichen Sprechwerkzeuge, welcher Unreinlichkeiten die Muskulaturen des Kehlkopfes fähig sein mußten, um echt englisch klingende Laute hervorzubringen. Unsere ersten Nachahmungsversuche, bei denen uns der treffliche Pädagoge die Kiefer hin und her schob und die Zunge hinter die obere Zahnreihe drückte, fielen dann auch einigermaßen unzulänglich aus. Bald aber beflügelte uns die ach! so knabenhafte Freude an der Erzeugung mißtönender Geräusche, und es kam der Tag, wo wir für reif befunden wurden, das ganze Matrosenlied im Sprechchor aufzusagen. Da schallten dann unsere noch nicht brüchigen Stimmen an die Klassenwände und durch die offenen Fenster auf die Straße hinunter, zaghaft zuerst, dann immer schmetternder und bei der Schlußstrophe fast in ein Triumphgeschrei ausartend. Diese Schlußstrophe aber lautete:
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„And it is our endeavour,
In battle and breeze,
That England shall ever
Be Lord of the seas.“
Es klingt unwahrscheinlich, aber es ist wahrhaftig wahr: der Glaube an die meerbeherrschende Sendung Englands wurde damals, am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, vor einer Quartaner-Generation nach der anderen, vor lauter deutschen Buben verkündet! (Manche unserer Leser werden sich erinnern, daß dieser Matrosensong noch während des Weltkrieges in den Schulen exerziert wurde – nur mit dem Unterschied, daß die Jungen sehr bald aus dem „ever“ ein „never“, aus dem „immer“ ein „niemals“ machten). Ist es nicht erstaunlich, daß niemand sich etwas dabei dachte? Die Verse prägten sich uns unvergeßlich ein, und mit ihnen zugleich mußte ganz unvermerkt eine Art von Ehrfurcht vor Englands Seemacht in uns aufkommen.
Die Stücke, die im Lehrbuch auf den Matrosensong folgten, waren geeignet, unseren Respekt vor englischem Heldentum noch zu steigern. Da war etwa die so rührende wie erbauliche Geschichte vom Heldentode des Generals Wolfe bei Quebec und seinen letzten Wünschen für Englands Größe. Dann kam eine herzhafte Erzählung von dem Sieg Marlboroughs, des großen englischen Feldherrn, in der Schlacht bei Blenheim. (Davon, daß auch ein gewisser Prinz Eugen an diesem Siege beteiligt war, stand nichts in der Erzählung.) Es folgten Berichte über die ruhmreichen Taten englischer Heere gegen die Schotten, die Iren, englischer Seehelden gegen Spanier, Holländer und Franzosen; auch Wellingtons tapferes Ausharren bei Waterloo fehlte nicht – kurzum, es mußte in uns der Eindruck entstehen, als seien die Engländer nicht nur großherzig und unbezwinglich als Krieger, sondern als hätten sie auch immerdar das Recht auf ihrer Seite gehabt. Das Recht – und infolgedessen auch die deutschen Sympathien. Ja, waren denn nicht wirklich die Engländer – von Marlborough über Pitt bis zu Wellington – stets unsere Verbündeten gewesen, hatten sie uns nicht stets gegen die Franzosen beigestanden, waren sie nicht gewissermaßen aus unserer Familie, diese guten „Vettern jenseits des Kanals“?
Mögen solche Jugenderlebnisse auch im einzelnen recht verschieden gewesen sein, im ganzen wird man sagen dürfen, daß die deutsche Jugend vor dem Weltkriege in einer seltsamen, fast resignierenden Englandfrömmigkeit auferzogen wurde – aus der dann ein böses Erwachen folgte, als England sich gleich zu Beginn des Weltkrieges auf die Seite unserer Feinde stellte. Und diese Stimmung kritikloser Hochachtung herrschte, darüber tun wir gut, uns heute klar zu sein, nur gegenüber England. Unvorstellbar etwa, daß in Lehrbücher der französischen Grammatik Stücke aufgenommen worden wären, die den französischen Imperialismus verherrlichten! Hier wirkte der Krieg von 1870 noch nach; hier war man empfindlich. Gegen England aber war man weitherzig; vor England, so schien es, brauchte man nicht auf der Hut zu sein. Wohl hatten die Ereignisse des Burenkrieges und die Rückwirkungen, die die deutschen Sympathien für die Buren in England hervorgerufen hatten, schon einen bedrohlichen Schatten auf die deutsch-englischen Beziehungen geworfen; aber man sah darin keinen Grund, die Jugend in einem anderen Geiste als bisher zu erziehen.
Heute will uns diese Stimmung ganz unfaßlich erscheinen, und wir fragen uns, wie jene Verblendung überhaupt möglich geworden ist. Die Dinge liegen verhältnismäßig einfach. Das liberale Bürgertum des Zweiten Reiches, die breite Schicht der „Gebildeten“ war von Haus aus zur Englandfreundlichkeit geneigt. Man bewunderte und beneidete die „freiheitlichen Einrichtungen“ Englands und fühlte sich den „Vettern“ im Streite gegen Knechtschaft und Unfreiheit ein wenig unbestimmt, aber jedenfalls verwandtschaftlich verbunden. Und so erschien jeder Krieg, den England geführt hatte, als ein Kampf gegen die Unfreiheit. Ohne sich dessen recht bewußt zu sein, sah man die Engländer so, wie diese selbst gesehen zu werden wünschten, übernahm man die englische Ansicht von der Weltgeschichte.
Das fing schon an mit Englands Kampf gegen Spanien, dem ersten Kampfe, mit dem es in die Weltpolitik eintrat. Da war die durch Schiller vertraute Königin Elisabeth, eine wahre Nationalheldin, ebenso groß und bewundernswert, wie ihre katholische Schwester und Vorgängerin, die „blutige Maria“, verabscheuenswert und verächtlich gewesen war. Verächtlich schon deshalb, weil sie den König Philipp von Spanien – man denke, einen fremden Monarchen und überdies einen Freund der Inquisition, einen Despoten! – zum Manne gehabt hatte. Wie anders Elisabeth, die mit ihren Seehelden zum Kampfe gegen diesen Despoten antrat und der es, mit Hilfe der Winde, gelang, seine großmächtige Flotte, die Armada, zu vernichten! War das nicht ein wahres Gottesgericht gewesen, ein Sieg der guten Sache, der nationalen Selbständigkeit gegen die Weltherrschaftspläne Spaniens?
Auch als einen Sieg des „protestantischen“ England gegen das katholische Spanien feierten wohl unsere Liberalen von damals den Sieg über die Armada. Diesen von England zu jeder Zeit listig und geschickt ausgenutzten Wahn von der Solidarität der protestantischen Völker konnte man nun allerdings nicht ins Feld führen bei Englands Kampf gegen den nächsten Rivalen zur See und in Übersee: Holland. Denn Holland war nun gewiß ein protestantisches Land, ja recht viel eindeutiger protestantisch als England mit seinen Bischöfen und seinen Meßgewändern. Da mußten also andere Unterscheidungen herhalten.
Die Holländer, so hieß es, seien nicht würdig gewesen, ein großes Kolonialreich ihr eigen zu nennen; denn sie waren kurzsichtige, nur auf den nächsten Vorteil und auf behäbigen Lebensgenuß bedachte Krämer, rechte „Pfeffersäcke“. Kein Wunder, wenn ein so weitschauendes, in Jahrhunderten und in Kontinenten denkendes, nur auf das Wohl der ganzen Menschheit bedachtes Volk wie die Engländer ihnen den Rang abgelaufen hatte. . .
Und dann das gewaltige, von den Zeiten Ludwigs XIV. bis an das Ende Napoleons währende Duell zwischen England und Frankreich: Hier wurde dem Deutschen seine einseitige Parteinahme für England noch dadurch erleichtert, dass Deutschland aus jener Zeit seine eigenen, sehr gewichtigen Beschwerden gegen Frankreich hatte. Deutsches Gebiet am Rhein war geraubt, deutsche Städte und Schlösser waren niedergebrannt worden. Unvergessen waren die Drangsale, die Napoleons Marschälle deutschem Land und Volk auferlegt hatten. Dagegen die Engländer: hatten sie nicht auf unserer Seite wider den Sonnenkönig, wider Napoleon gefochten? Hatten sie nicht dem Großen Friedrich geholfen? War nicht unsere Sache und die ihre eine gemeinsame Sache gewesen, die Abwehr der französischen Weltherrschaftsgelüste, die Sicherung deutscher Selbständigkeit?
Welch einfaches, leicht eingängliches Bild: Frankreich unser Erbfeind, England der Vorkämpfer der Freiheit, unser Mitstreiter und Helfer! Das deutsche liberale Bürgertum der Vorweltkriegszeit, von Haus aus anglophil, ließ sich von diesem Bilde blenden. Es übersah dabei ganz und gar, welche Beweggründe England bei seinem Kampfe gegen Frankreich geleitet hatten. Es fragte nicht, wieweit deutsche Staaten in jenen Kriegen mit Frankreich Werkzeug englischer Interessen gewesen waren. Es wusste wohl, dass Frankreichs Politik jederzeit dahin gegangen war, Einigkeit und starke Staatsmacht in Deutschland zu verhindern, aber es begriff nicht, dass auch England nie etwas anderes getan hatte als aus der Zerspaltenheit und Schwäche der politischen Macht Deutschlands den größtmöglichen Nutzen zu ziehen. Darum wollte es die Tatsache nicht wahr haben, dass England dem geeinten Reich, dem Reich Bismarcks, im Laufe der Jahre mit immer größerer Feindseligkeit begegnete – bis dann am 4. August 1914 die Maske fiel.
Das Vierteljahrhundert, das seitdem vergangen ist, hat uns über vieles, was England betrifft, die Augen geöffnet. Wir sehen nicht mehr, nach der Weise der meisten unserer Großväter, England als ein Glied der europäischen „Völkerfamilie“, das gelegentlich, wenn es not tut, selbstlos nach dem Rechten sieht. Englands Verhalten seit 1914 hat auch dem Begriffsstutzigsten die Augen darüber geöffnet, dass es nur eine Richtschnur seiner Politik kennt: Es will und muss seine Stellung als Ausbeuter der Welt erhalten. Es kann nicht dulden, dass irgendwo in der Welt, ob in Europa oder im Fernen Osten, ein Volk sich aus dem Gesetz seines völkischen Lebens einen starken Staat baut. Denn dieses Volk könnte einmal – in naher oder in ferner Zukunft – England unbequem werden, es im Genuß seines Reichtums und seiner Macht einengen.
Wir sind nicht mehr in Versuchung, in den verhängnisvollen Irrtum der deutschen Liberalen des neunzehnten Jahrhunderts zu verfallen und in England einen europäischen Nationalstaat zu sehen. Das nationalsozialistische Deutschland hat – nicht durch Drohung, nicht durch Angriff, sondern einfach durch die Tatsache seiner starken Existenz – England gezwungen, sich als das zu entlarven, was es ist: als den Räuber, den es um seine Beute bangt. Wir wollten ihm diese Beute gar nicht streitig machen, wir verlangten nur das eine Stück, das uns rechtens gehört und das für England, wie es selbst erklärte, keinen Wert hat: unsere Kolonien. Wir dachten nicht daran, ihm seinen gewaltigen Besitz zu schmälern oder etwa gar, in seine Fußstapfen tretend, nun unsererseits zu Nutznießern fremder Arbeit, zu Unterdrückern aufstrebender Völker zu werden. Aber wir fragten England nicht um Erlaubnis, als wir uns von dem Joch eines schmählichen Vertrages befreiten. Der Führer machte uns frei von aller Abhängigkeit gegenüber den Mächten von Versailles, er gewann die deutsche Souveränität zurück, er schuf aus Klassen das Volk, aus einem Kastenstaat den deutschen Sozialismus – und eben darum wurde England unser Feind. Es hat sich durch den Mund seiner führenden Politiker verraten. Seine Klagen über angebliche deutsche „Weltherrschaftspläne“ kommen aus der Angst um die eigene Weltherrschaft.
Als 1914 England in die Reihen unserer Feinde trat, war die Wirkung dieses Ereignisses auf die liberale Schicht unserer Gebildeten so erschreckend, dass die Englandfrömmigkeit über Nacht in besinnungslosen Hass umschlug. Heute stehen die Dinge anders. Da wir nicht aus seligem Schlummer aufgestört wurden, sondern die Positionen schon vor dem Ausbruch des Krieges klar erkannt haben, sind wir nicht mehr in Gefahr, uns durch Leidenschaften verblenden zu lassen. Wir steigern uns nicht in stürmische und haltlose Erregungen hinein, wenn wir von England sprechen. Wir nennen nur das Kind beim rechten Namen. Wir nennen England einen Raubstaat, und meinen das ganz schlicht und sachlich. Es läuft uns da kein Schimpfwort unter. Wir wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen Eroberung und Raub. Viele große Reiche sind durch Eroberung entstanden – das Alexanders des Großen, das der Römer, das der Deutschen des Mittelalters, das der Spanier, der Schweden, der Russen; immer trat dabei ein stärkeres Volk, eine überlegene Führung auf und setzte mit dem Siege zugleich ein neues weltgeschichtliches Prinzip durch, mit anderen Worten: es schuf eine neue Weltkultur. Davon ist bei dem englischen Weltreich keine Rede. Es wurde nicht erobert, es wurde geraubt, Stück um Stück anderen weggenommen, brutal und mit unmenschlicher Grausamkeit, aber ohne überlegene Führung, ohne dass eine neue Kultur geschaffen oder daß auch nur der Versuch dazu gemacht wurde – nach dem einfachen Gesetz, nach dem auch der Halsabschneider verfährt.
Wie das im einzelnen geschah, wie es zu dem riesigen Besitz Englands gekommen ist – das soll auf den folgenden Blättern erzählt werden.
„Dem Mutigen gehört die Welt!“ Der Spruch gilt gewiss nicht nur für das Leben der einzelnen, sondern auch für Werden und Wachsen der Völker. Ohne Mut, ohne Vertrauen auf seine Stärke, ohne Glauben an seine Sendung hat noch kein Volk etwas Großes in der Welt zustande gebracht. Auch nicht ohne Härte und Gewalt. Die Weltgeschichte urteilt nicht wie ein wehleidiger Pazifist, der, dürfte er nur im Weltgericht sitzen, am liebsten Alexander und Hannibal, Caesar und Carolus Magnus, den Großen Friedrich und Napoleon in den tiefsten Grund der Hölle verbannen würde. Sie wägt nicht das, was dem oder jenem lieb ist, auf der Goldwaage. Sie fragt nur, welche schöpferische und gestaltende Kraft in dem Aufschwung und Ansturm eines Volkes lebte, was durch dieses Volk an Unverwechselbarem in die Welt kam. Fern müsste es uns daher sein, die Engländer anzuklagen, wäre ihr Aufstieg in der Welt die Frucht unbändig pulsierender Lebenskraft gewesen. Aber davon finden wir wenig, wenn wir Englands Anfänge betrachten. Die führende Schicht sitzt wie die Spinne in ihrem Netz; sie wartet, sie hat Zeit, sie ist jedem kühnen Wagnis abhold. Sie weicht dem offenen Kampfe mit dem gleich Starken aus. Aber sie ist listig, berechnend, grausam und versteht es, den Augenblick zu erfassen, wo sie das gelähmte Opfer überfallen und aussaugen kann.
Zu der Zeit, da diese Spinne ihre ersten Netze zieht – es ist am Beginn jener Zeit, die wir die „Neuzeit“ zu nennen pflegen, also etwa um 1500 -, neigt sich das Gestirn einer geschichtlichen Großmacht dem Niedergang zu, die mehr als andere, mehr wohl auch als Kaisertum und Papsttum, das Gesicht Europas als des in die Welt schauenden Erdteils bestimmt: das Gestirn der deutschen Hanse. Wagende Kaufleute, Seefahrer zugleich, aus den Rheinlanden hatten einst unter dem Schutz Heinrichs des Löwen Lübeck gegründet, die Küsten der Ostsee mit einem Städtekranz umzogen, den Warenverkehr mit den Ländern des Nordens und Ostens möglich gemacht, russische Pelze in Brügge, flandrische Tuche in Nowgorod zum Kaufe gestellt. Geschlecht um Geschlecht hatte die Fäden immer dichter gezogen, immer neue Gebiete dem Austausch und damit auch der Kultur des Abendlandes erschlossen. Wahre Pioniere waren sie gewesen, diese hansischen Kaufherren, und später umsichtige Wahrer und Mehrer des Ererbten. Ihre Rührigkeit, ihr strenger, zuchtvoller Sinn, ihre überlegene Kenntnis der Länder, der Meere und der Güter gaben ihnen höchste Autorität auch an vielen Orten außerhalb des Römischen Reiches Deutscher Nation, als dessen Diener sie sich fühlten – in Norwegen und Schweden, in Flandern und in England.
Gerade auch in England. Die Nation, die heute Seefahrt und Welthandel als ein Privileg auszugeben pflegt, das ihr die Vorsehung in grauer Urzeit auf Grund ihrer unvergleichlichen Tüchtigkeit verliehen habe und das daher kein anderes Volk anzutasten sich unterfangen darf – diese Nation trieb damals, als die deutsche Hanse den Güterverkehr des Abendlandes in ein segensreiches, fruchtbares Gefüge brachte, weder Seefahrt noch auch nennenswerten Handel! Im festungsgleich ummauerten, gegen den plünderungslustigen Londoner Stadtpöbel streng bewachten „Stalhof“ an der Themse saßen die hanseatischen Kaufleute und hüteten das Gedeihen des englischen Volkes. Ohne sie hätte es in England kein Wachs für die Kerzen und keinen Honig, kein Kupfer und keine Pelze, keine Heringe und kein Bier gegeben, und auch kein Eibenholz für die Bögen der englischen Bogenschützen, die in Frankreich Krieg führten. Denn Frankreich zu erobern – darauf war mehr als hundert Jahre lang der Sinn der englischen Könige gegangen. Da war es ihnen nur willkommen gewesen, wenn die Deutschen sich um die Versorgung des englischen Volkes kümmerten. Auch dazu waren die Kaufherren des Stalhofes gut, dass sie den Königen, wenn es Not tat – und es tat sehr häufig not -, die Gelder zur Kriegführung vorstreckten, ja bisweilen sogar die Krone selbst mitsamt ihren Juwelen zum Pfände nahmen.
Nun kann aber ein Land die Güter, die es einführt, schließlich nur mit denen bezahlen, die es selbst im Überfluss erzeugt. Was hatte England der Hanse als Gegenleistung zu bieten? Sein Reichtum waren seine Schafherden. Was die hansischen Schiffe zurück ans Festland brachten, waren Ballen englischer Wolle. An die Wolle knüpft sich also Englands Schicksal in dieser Zeit – knüpfen sich auch Englands erste Schritte in die Welt.
Die Bereitung der Wolle ist seit unvordenklicher Zeit auf der britischen Insel heimisch, deren feuchtes Klima der Festigung des Gesponnenen so förderlich ist. Auch die einfachen Formen der Weberei hatten schon die Römer in Britannien vorgefunden. Doch das England des Mittelalters hatte diesen natürlichen Vorsprung nicht zu halten vermocht. In den die Volkskraft verzehrenden Kämpfen um den Boden Frankreichs waren die feinen Künste in Vergessenheit geraten. Als die Hanse nach England kam, verstand man dort nicht mehr zu weben. Was auf den Markt kam, war die ungefärbte, rohe Wolle, aus der dann die flandrischen Tuchmacher erst die in der ganzen Welt begehrten Gewandstoffe herstellten.
Im Gefüge der blühenden mittelalterlichen Weltwirtschaft war also England nichts weiter als ein Rohstoffland, aus dem sich Europa versorgte – wie später etwa Brasilien zu der Zeit, da man nur den Wildwachsenden Kautschuk kannte. England tat selbst kaum etwas zur Ausnutzung dieses Reichtums, es führte fast das Dasein einer Kolonie. Es war weit, weit hinter der Zeit zurück.
Der Binnenhandel mit den groben Geweben einheimischer Erzeugung allerdings war in den Händen englischer Kaufleute geblieben, und in ihren Kreisen regte sich denn auch der erste Widerstand gegen die Hanse. Sie waren es, auf deren Rat die Könige seit Eduard III. (1327-1377) ausländische, vor allem flandrische Weber, Färber und Walker auf die Insel riefen. Mit fremder Kraft also wurde eine exportfähige Tuchindustrie aufgebaut; Zugewanderte halfen den Vorsprung aufholen, den das regere und tüchtigere Festland gewonnen hatte. Ein Erbe, das das mittelalterliche England dem modernen hinterließ: die Geschicklichkeit, mit fremdem Kalbe zu pflügen …
Durch diesen Rückhalt gestärkt, unternahmen es dann die Londoner Wollhändler, sich selbst, zum Schaden der lästigen Hanse, im Exportieren zu versuchen. Auch hier zeigten die englischen Händler nichts, was sie zu Pionieren oder Bahnbrechern erhöbe. Man hält sich durchaus in dem Schema, das man bei der Hanse abgelesen hat; man ahmt fremdes Vorbild nach und wähnt, dadurch etwas Besonderes zu leisten. Man gründet eine Gesellschaft, die sich Schiffe mietet und auf ihnen englische Tuche in die Häfen der Nord- und Ostsee befördert, und nennt sie mit typisch englischer Überheblichkeit die Gesellschaft der „wagenden Kaufleute“ (merchant adventurers), obwohl hier von einem Wagnis, einem Abenteuer im großen Sinne des Wortes überhaupt nicht mehr die Rede sein kann. Denn durch hansischen Wagemut waren längst alle Bahnen geebnet, hansische Seefahrtskunst hatte die Schiff-Fahrtslinien bis ins kleinste ausprobiert, hansische Handelswege leiteten die Güter weiter ins Hinterland. Die „wagenden Kaufleute“ haben Europa und seiner Kultur nichts Neues gebracht. Sie waren verspätete Ankömmlinge, die mit dem Ellenbogen versuchten, die wahren Pioniere zu verdrängen.
Kein Wunder, dass es zu Streitigkeiten kam, zu Kapereien und Plünderungen, zu Totschlag und Ächtung. Aber war auf seiten der Hanseaten das überlegene Können, so kam den Engländern ein schwerwiegender Vorteil zugute: sie wurden durch einen Landesherrn gedeckt, während die Hanse angesichts der Schwäche des Reiches auf sich selbst angewiesen war. Das musste der hansischen Stellung in England, und damit in Westeuropa überhaupt, zum Verhängnis werden in dem Augenblick, wo die Macht des englischen Königtums sich voll auswirken konnte. Solange der hundertjährige Krieg mit Frankreich währte, war das noch nicht der Fall, und erst recht nicht, als die blutigen „Rosenkriege“ (1459-1485) das Land aufwühlten. Dann aber kommt mit dem Siege über den blutgierigen dritten Richard ein Mann zur Macht, der so recht nach dem Herzen der „wagenden Kaufleute“ war, ein Mann also, der nichts wagt, sondern seine Augen starr auf die Erweiterung des Wollexports und die Verdrängung der Hanse gerichtet hält: der erste König aus dem Hause Tudor, Heinrich VII.
„Dem Mutigen gehört die Welt.“ Dem geschichtlichen Betrachter drängt sich dieser Spruch abermals auf die Lippen, wenn er sieht, wie dieser nur in Wollballen und Zolleinnahmen denkende Fürst – kein königlicher Kaufmann, sondern ein Krämerkönig – aus Mangel an Wagemut die große weltgeschichtliche Stunde verpaßt.
Die ersten Jahre seiner Regierung sind die Jahre, da Christoph Kolumbus die Fürsten Europas davon zu überzeugen sucht, daß man auf dem Wege nach Westen über den Ozean einen unmittelbaren Zugang zu den Reichtümern Indiens gewinnen könne. Sein Bruder Bartolomeo fährt nach London, um Heinrich VII. für das Projekt zu begeistern, das ihn zum Herrn über die Schätze der Welt machen würde. Aber der englische König zeigt sich taub. Monat um Monat vergeht, und als Bartolomeo dann endlich der fruchtlosen Verhandlungen überdrüssig wird und nach Sevilla zurückfährt, ist Christoph soeben mit der „Santa Maria“ und einem Schutzbrief des spanischen Königspaares in See gestochen, ist auf dem Wege zu den Reichtümern Indiens …
Wie sehr ist man versucht, sich vorzustellen, wie alles geworden wäre, wenn Heinrich VII. sich den Ideen des Kolumbus aufgeschlossen gezeigt hätte! Dann hätte die Neue Welt, die dieser fand, England gehört mit demselben Rechte, mit dem sie nun Spanien gehörte – mit dem Rechte dessen, der den Augenblick kühn zu nutzen weiß! Dann hätten die Gold- und Silberflotten in späteren Jahrzehnten ihren Weg nicht nach Sevilla genommen, sondern nach London, und niemand hätte England das Übergewicht im europäischen Handel streitig machen können. Aber den „wagenden Kaufleuten“ und ihrem König stand der Sinn nicht nach der Eroberung ungekannter Welten.
In Indien, soviel wussten sie, ist es sehr heiß – was sollen die Leute da mit englischer Wolle anfangen? Viel wichtiger war es doch, die flandrische Tuchindustrie zugunsten der englischen zu schwächen! Dass die Herzogin von Burgund einen Prätendenten auf den englischen Thron unterstützte, war ein guter Vorwand, die Ausfuhr englischer Wolle nach den Niederlanden zu verbieten, und als daraufhin die hansischen Kaufleute des Stalhofes ihrerseits die Flamen mit dem lebenswichtigen Rohstoff Wolle zu versorgen suchten, da war die Gelegenheit da, die Londoner Volksseele zum Kochen zu bringen und der lästigen Hanse endlich einmal die starke Hand zu zeigen. Helle Haufen Londoner Stadtpöbels, von den „wagenden Kaufleuten“ aufgeputscht, brachen in den Stalhof ein und verwüsteten seine Schreibstuben und seine Lagerräume, und wenn es auch den allzeit wehrhaften Deutschen gelang, die Eindringlinge wieder auf die Straße zu werfen, so fanden sie doch beim Könige kein Gehör, als sie um Sicherheit für die Zukunft baten. Im Gegenteil, der gekrönte Krämer nahm ihnen 20 000 Pfund Sterling ab, die verfallen sein sollten, wenn sie sich fürderhin noch unterfangen würden, von London aus Handel mit den Niederlanden zu treiben.
Das waren also die Sorgen des englischen Königs und seiner Kaufleute in den da Kolumbus dem spanischen Königspaar ein neues Weltreich gewann. Als dann allerdings die Nachricht nach England kam, dass die „Santa Maria“ wirklich über den Ozean bis nach Indien gelangt sei (es währte ja noch geraume Zeit, bis man erkannte, dass es nicht Indien war, sondern ein neuer Erdteil), da wurde auch in England der Appetit rege. Es waren die Kaufmannsgilden von Bristol, die sich bereit zeigten, die Gelder, die sie vor allem mit der Islandfischerei (und mit Plünderungen aus Island) verdient hatten, in einem etwas weiter ausschauenden Unternehmen anzulegen.
Zwei Umstände sind bei dieser ersten englischen Entdeckungsfahrt festzuhalten. Während nämlich Kolumbus durch sorgfältige geographische Berechnungen zu seiner Fahrt angeregt wurde und seine Kenntnisse auf der Höhe der Wissenschaft seiner Zeit standen, so dass also seine Entdeckungen wirklich die Frucht europäischer Gedankenarbeit waren, konnte davon bei den Leuten aus Bristol keine Rede sein. Was sie anlockte, waren die imaginären Wunderinseln „Brasilien“‚ und „Antillen“, die auf mittelalterlichen Weltkarten herumgeisterten, obwohl keines Menschen Auge sie je gesehen. Auch über ihre Lage gab es die widersprechendsten Angaben. Die englischen Schiffe fuhren also ins Blaue hinein. Und das zweite ist: England verfügte auch damals über keinen Seefahrer, dem man eine solche Aufgabe hätte anvertrauen können. Man war also genötigt, die Expedition einem Ausländer zu unterstellen, einem italienischen Kaufherrn und Seemann, in dem noch ein dem hansischen verwandter Geist lebendig war: Giovanni Caboto, dessen Name durch englische Zungen in „John Cabot“ umgemodelt wurde.
Dem solchermaßen von England annektierten Venezianer nun stellte Heinrich VII. einen Schutzbrief aus, der ihn ermächtigte, „nach Ost, West oder Nord zu segeln“, und „alle heidnischen Inseln, Länder, Gebete oder Provinzen in jedem Teile der Welt zu entdecken“. Planloser konnte wohl eine solche Fahrt nicht ins Werk gesetzt werden, und es ist nur der nautischen Sicherheit des vielbefahrenen Venezianers zu verdanken, wenn die fünf Schiffe aus Bristol nach einem Vierteljahr wohlbehalten in ihren Heimathafen zurückkehrten.
Die Wunderinseln hatten sie nicht gefunden, und fanden sie auch auf einer zweiten Fahrt zwei Jahre später (1498) nicht. Das Land aber, das sie beide Male sichteten und untersuchten – es war die nördliche Küste von Nordamerika, von Labrador bis Massachusetts -, blieb von den Engländern ungenutzt. Es gab da offenbar keine Leute, die englische Wolle tragen wollten, und auch die einheimischen Güter lohnten keinen Handelsverkehr.
Immerhin, der unfreiwillig anglisierte „John Cabot“ wurde zum Großadmiral ernannt und heimste auch sonst beträchtliche Ehren ein, Entdeckungen brachten ja nicht nur unter Umständen sehr wichtige Ansprüche mit sich, sondern galten in jener Zeit überhaupt als ein hoher Ruhmestitel. Nicht lange, und die Welt wurde mit Erzählungen und Abhandlungen überschüttet, aus denen unzweideutig hervorging, dass „der Engländer John Cabot“ Nordamerika „entdeckt“ habe. Dabei wurde aber – nicht aus Unkenntnis, sondern geflissentlich – die Tatsache unterschlagen, dass die gleichen Gebiete, die Cabot gesehen hatte, schon zwanzig Jahre zuvor von einer Gruppe portugiesischer Adliger, die sich norwegischer Seeleute bedient hatten, angesteuert worden waren: eine Tatsache, die in Bristol nachweislich bekannt war.
Hätte Heinrich VII. – wozu ihm der Weitblick fehlte – das von Cabot gefundene Land besiedeln lassen, so hätte sich England damit einen rechtmäßigen Platz unter den ersten großen Kolonialmächten gesichert. Aber England hat es damals nicht in Besitz genommen. Es begnügte sich mit dem billigen Ruhm der „Entdeckung“ – und dieser Ruhm war, wie wir sahen, erschlichen.
Wie es bei dem Aufkommen der Wollindustrie mit fremdem Kalbe pflügte, so schmückte es sich nun im Zeitalter der Entdeckungen mit fremden Federn.
Zum zweiten Male also, wo es sich um Welthandel, „Weltwirtschaft und Weltpolitik handelt, verpasste England den Anschluss. Damals, weil es auf Festlandseroberungen aus war, statt sich seiner Wirtschaft zu widmen; jetzt, weil es, statt mutig in die Welt zu ziehen, dem Goldenen Vlies nachjagte, den Reichtümern, die es durch seine Wolle einheimsen wollte.
Nicht kühnes Ausgreifen, sondern Finten und Schliche – das waren die Methoden, mit denen die City und ihr geistesverwandter König vorgingen. Heinrich VII. förderte den Schiffbau – aber nicht, um neue Wege zu suchen, sondern um eine Waffe gegen die Hanse zu haben; sein Ziel war, den Deutschen den englischen Tuchexport aus den Händen zu winden. Und was die Ausfuhr von Rohwolle nach Flandern betraf, so waren hier gewisse Einfuhrzölle lästig, die die Niederlande erhoben. Um diese Zölle zum Verschwinden zu bringen, verschmähte der engstirnig rechnende König kein Mittel, selbst nicht das des Menschenraubes.
Es begab sich nämlich, daß die Königin Isabella von Kastilien, die Herrin der Neuen Welt, zum Sterben kam und dass ihr der Mann ihrer Tochter, Herzog Philipp von Burgund, der „Schöne“ zubenannt, Kaiser Maximilians Sohn, auf den Thron folgen sollte. Der junge, allen ritterlichen Abenteuern zugeneigte Fürst befand sich in Flandern, als ihn die Botschaft vom Tode Isabellas traf. Entgegen manchen Warnungen beschloss er, der noch nie ein Schiff betreten hatte, die Reise nach Spanien zur See zu unternehmen – und es geschah, was die Warner vorhergesagt hatten: das Schiff geriet in einen Sturm und musste an der englischen Kanalküste, in der Bucht von Weymouth, vor Anker gehen. Wiederum ließen sich die Warner vernehmen: der englische König sei ränkesüchtig, man tue besser, den Boden seines Landes zu meiden. Der junge Fürst aber, des Wartens vor Anker überdrüssig, ging mit seinem Gefolge an Land und lud sich auf dem Schloss eines englischen Edelmannes, das nahe der Ankerstelle lag, zu Gast. Der Edelmann tat sehr geehrt und bewirtete den Fürsten aufs festlichste; als dieser aber am folgenden Tage, da der Wind sich gelegt halte, wieder aufbrechen wollte, hielt ihn der Wirt zurück: er könne unmöglich von dannen ziehen, ohne dem König seine Aufwartung zu machen; die Boten seien bereits unterwegs …
Wirklich dauerte es nicht lange, da kam ein Schwärm von Edelleuten angeritten und forderte den Herzog auf, sie nach Windsor zu begleiten, wo der König schon mit Freuden auf den hohen Gast warte. Und als man dann in Windsor angekommen war, zeigte sich die Freude des Königs so unbändig, dass er seinen Besuch gar nicht wieder entlassen mochte – jedenfalls nicht eher, als bis Philipp, Herzog von Burgund, König von Kastilien und Herr der Neuen Welt, einen Handelsvertrag unterzeichnet hatte, der die zollfreie Einfuhr englischer Wolle in die Niederlande zum Gegenstand hatte. Die große Welt geschichtliche Stunde hatte der Krämerkönig verpasst. Aber den kleinen Vorteil wusste er, wie wir an diesem Vorfall sehen, zu nutzen. Als Heinrich VII. im Jahre 1509 starb, folgte ihm sein recht unähnlicher Sohn Heinrich VIII., der in den letzten Jahren auch in Deutschland als der „König mit den sechs Frauen“, als der unverdrossene Hühnchenvertilger und Schürzenjäger eine unziemliche Popularität erlangt hat, weil ihn ein Film sich mundgerecht machte. So viel ist richtig: Heinrich VIII. war so verschwenderisch wie sein Vater geizig, so träumerisch versponnen wie jener erdennah, so leidenschaftlich wie jener kalt und rechnend. Dennoch trug auch Heinrich VIII. auf seine Art zur Hebung der englischen Tuchproduktion nicht Geringes bei, und zwar durch eben die Tat, mit der er sich in der Geschichte am bekanntesten gemacht hat: durch die englische „Reformation“ nämlich, die in Wahrheit keine religiöse Bewegung, sondern eine Enteignung der Kirche, vor allem der Klöster zum Besten des königlichen Säckels war. Und doch auch wieder nicht zum Besten des königlichen Säckels: denn Heinrich VIII. hielt das geraubte Gut nicht zusammen, sondern verschenkte das meiste davon wieder, wie es ihm die Laune eingab, an adlige Grundbesitzer und auch an reiche Tuchfabrikanten. Da wurde manche ehrwürdige Abtei in eine Werkstatt umgewandelt, die Refektorien standen voll surrender Webstühle, und an ihnen saßen die Bauern, die durch die neuen Herren von Haus und Hof vertrieben worden waren. Denn es konnte nun gar nicht genug Schafe und nicht genug Weideland geben.
„Der Fuß der Schafe macht Sand zu Gold“, so ging das Gerede; überall verschwanden die Äcker, für den Bauern war kein Platz mehr auf dem Lande. Ein wahrer Wollrausch hatte die führenden Schichten Englands erfasst. Eine allgemeine Landflucht hob an; die Leute brachten ihr Erspartes in die Stadt und legten es im Tuchhandel an. Während England sich derart vorbereitete, den Kontinent mit Tuchen zu überschwemmen und schon einer Krise der Überproduktion entgegensteuerte, verwirklichte der König die Absicht, um derentwillen er die „Reformation“ vom Zaune gebrochen hatte: er konnte nun seine angebetete Anne Boleyn zur Königin erheben. Die spätere Legende hat diese Frau, für die Heinrich seine rechtmäßige Gemahlin, Katharina von Aragon, des Kaisers leibliche Tante, verstieß, als ein liebreizendes, von den Lockungen des Thrones betörtes Hoffräulein geschildert. Schamhaft verschwiegen dagegen wurde ein anderer Umstand: dass Anne Boleyn in den engsten Beziehungen zu den Feinden der deutschen Hanse stand. War doch ihr Urgroßvater, Geoffrey Boleyn, einer von denen gewesen, die die Gesellschaft der „Wagenden Kaufleute“ gegründet hatten. Indem er sie ehelichte, heiratete also Heinrich recht eigentlich in die Tuchbranche hinein, und es ist kein Wunder, wenn die Tochter, die diesem Bunde entsprang, die spätere Königin Elisabeth, sich später als eine von Grund auf händlerische Natur erwies. Wie ihre ganze Sippschaft, so hatte auch Anne Boleyn einen neidischen Hass gegen die Deutschen des Stalhof es, und sie tat ihr möglichstes, die Stellung l der Hanse zu untergraben. Im Stalhof wusste man gut, mit wem man es zu tun hatte; die hansischen Kaufleute dort standen treu zum Kaiser, und sie empfanden die Verstoßung der Königin Katharina als einen Schimpf, der dem Reiche angetan war. Als sie daher genötigt wurden, für den Hochzeitszug der Anne Boleyn eine Festdekoration aufzubauen, ließen] sie es zwar an Aufwand und Pracht nicht mangeln, ja, aus der Quelle, die auf der von ihnen kunstreich dargestellten Landschaft des Parnass entsprang, strömte richtiger Rheinwein, von dem sich jedermann bedienen durfte. Aber oben auf dem Gipfel des Berges erhob sich, wie die Neugebackene Königin zu ihrem Verdruss feststellen musste, der kaiserliche Adler, der in seinen Fängen die Wappen von Kastilien und Aragon – die Wappen der verstoßenen Königin – trug …
Natürlich verlangte Anne Boleyn eine strenge Bestrafung der Übeltäter, und nur der Umstand, dass Heinrich den Kaiser fürchtete und auf gute Beziehungen zu den lutherischen Hansestädten Lübeck und Hamburg Wert legte, verhinderte die Schließung des Stalhofes. Es konnte aber nicht lange dauern, bis die Interessen des Wollhandels die englische Staatsführung zwangen, mit List und Gewalt neue Wege für den Export zu suchen und also auf die Bahn der großen Weltpolitik hinauszutreten. Sie blieb nur in den Bahnen, die die „Wagenden Kaufleute“ und der erste Tudorkönig vorgezeichnet hatten, wenn sie diesen Schritt in Form der scheinbar privaten, in Wahrheit aber staatlich organisierten, für Krone wie City durchaus einträglichen Seeräuberei tat.
Inzwischen war längst der Erdball, durch die Anstrengungen anderer Völker, um ein gutes Stück bekannter geworden. Die Portugiesen waren auf der Fahrt um Afrika herum nach Indien und zu den begehrten Gewürzinseln gelangt, hatten vielerorten Handelsniederlassungen gegründet und damit das von allen Mittelmeervölkern erstrebte Ziel erreicht, unter Umgehung der von dem Türkenreich in den Orient gelegten Sperre den unmittelbaren Verkehr mit den Ursprungsländern der Gewürze und der Seide aufzunehmen. Dann hatte(1519/20) der große Magalhäes den Süden Amerikas umfahren und war über den Stillen Ozean von Osten her an die Gewürzinseln gelangt.

König Heinrich VII. (1473-1509), der erste Herrscher aus dem Hause Tudor, schuf die Grundlagen der britischen Plutokratie, indem er, mehr Krämer als König, den Staat den Interessen der Geschäftswelt dienstbar machte.
Das Bild von der Beschaffenheit unserer Erde präzisierte sich immer mehr – und es zeigte sich immer deutlicher, wie gründlich England den Anschluss verpasst hatte. „Die Welt ist weggegeben …“
Was tun? Sich mit dieser Lage zu bescheiden, litt weder die englische Habsucht noch die politische Eifersucht noch die wirtschaftliche Lage der führenden Schichten; denn schon begannen die europäischen Länder sich gegen den Überfluss englischer Tuche zu wehren. Das Gespenst der Absatzkrise zog herauf. Es mussten also neue Märkte gefunden werden, und da lockten natürlich die Berichte von den dicht bevölkerten Landstrichen des östlichen Asiens. „Weil unser größter Wunsch dahin zielt, reichlichen Absatz für unsern Wollstoff zu finden“, so wurde damals geschrieben, „sind die mannigfachen Inseln Japans, die nördlichen Teile Chinas sowie die Gebiete der benachbarten Tataren die für uns tauglichsten Plätze.“ Aber wie sollte man die Wollstoffe an die Abnehmer heranbringen? Die Portugiesen gestatteten keiner anderen Nation, den von ihnen gefundenen Handelsweg zu benutzen – nach dem Recht, das ihnen durch päpstliche Bulle verliehen war und das sie darum als heiliges Recht wahrnahmen, aber auch nach dem natürlichen Recht dessen, der das Wagnis als erster unternommen und seine Haut dabei zu Markte getragen hat. Nach demselben Recht wachten auch die Spanier über ihrem durch den Papst verbrieften Handelsmonopol mit der Neuen Welt. Weder um das Kap der Guten Hoffnung noch durch die Magalhäesstraße führte also ein Weg, auf dem englische Wolle nach Ostasien hätte gelangen können.
Es gab zwei Mittel, dieser Verlegenheit abzuhelfen – ein redliches und ein unredliches. Beide wurden von den Engländern angewandt, das unredliche allerdings mit viel mehr Nachdruck, besonders dann, als es sich als das weitaus erfolgreichere für Englands Wirtschaft und Politik erwies.

König Heinrich VIII. (l 509-1547)Unter dem „König mit den sechs Frauen“ begann die Vernichtung des englischen Bauernstandes. Denn Heinrich VIII. verschenkte die eingezogenen Klostergüter an reiche Kaufleute, die das Ackerland in Weideland für Schafe verwandelten. – Gemälde von Hans Holbein d. J.
Das redliche Mittel war dieses: eine Zufahrt nach China zu suchen, die weder des Landweges bedurfte, noch den Spaniern oder den Portugiesen ins Gehege kam. Solch eine Zufahrt, so meinte man, musste entweder im äußersten Norden Asiens oder im äußersten Norden Amerikas zu finden sein. Mit der Suche nach der „Nordost-“ und der „Nordwest-Passage“ setzte nun also ein kurzes Zeitalter englischer Entdeckungsfahrten ein – Fahrten, denen keineswegs der gewünschte Erfolg beschieden war, wenn sie sich auch in anderer Hinsieht zum Teil als durchaus folgenreich erweisen sollten.
Von allen drei Schiffen nämlich, die von einer Aktiengesellschaft „zur Förderung des Handels mit China“ ausgerüstet wurden und im Mai 1553 in See stachen, um an der Nordküste Asiens entlang ihr Ziel zu erreichen, wurden zwei alsbald vom Eise abgetrieben, und ihre Bemannung fand an der lappländischen Küste den Tod. Das dritte hingegen gelangte zwar auch nur bis ins Weiße Meer, hier aber traf der Kapitän auf freundliche Fischer, die ihn wissen ließen, das Land gehöre dem Zaren in Moskau – worauf er sich beeilte, den Herrscher im Kreml aufzusuchen. Als er nach London zurückkehrte, brachte er ein Schreiben des Zaren Iwan IV. mit heim, in dem den englischen Kaufleuten „freie Stapelplätze und auch sonst alle Vergünstigungen“ zugesichert wurden.
Es war ein Geschenk des Zufalls, was den Engländern hier in den Schoß fiel. An China und Japan hatten sie gedacht, aber nicht an Russland. Keinem war es in den Sinn gekommen, dass hier doch wohl Abnehmer für englische Wolle zu finden sein würden – keinem auch der Umstand, der sich in der Folgezeit als äußerst bedeutsam erweisen sollte, dass nämlich Russland im Überfluss die Materialien zur Verfügung stellen konnte, deren man für den Schiffbau dringend bedurfte: Holz für den Schiffsrumpf und die Masten, Hanf für die Taue. Wäre jener Kapitän nicht zum Überwintern gezwungen worden, die „weit blickenden“ Herren von der City hätten den Posten Russland nie in ihre Rechnung eingestellt. So allerdings bildete sich also gleich eine „Russische Kompanie“ (mit einem Aktienkapital von über 10 Millionen Mark heutigen Wertes), die den Handel mit dem freundlichen Zaren in die Hand nahm und eifersüchtig darüber wachte, dass keine „Fremden“ sich zwischen sie und ihre Privilegien drängten.

Sir Francis Drake, von den Engländern als Seeheld und Entdecker gefeiert, hatte sich bei den Raubfahnen Hawkins‘ die Sporen verdient. Später fühne er die Seeräuberei in größerem Stile fort; besonders seine Weltumseglung, ein Raubzug auf die Westküsten Amerikas, warf für ihn und seine Geldgeber große Gewinne ab.
Die Gewinne dieses Unternehmens ließen sich recht erfreulich an, und so entschlossen sich die Hauptaktionäre, eine größere Summe für die Entdeckung der anderen, der nordwestlichen Passage zu riskieren Der Führer der drei hierfür entsandten Expeditionen (1576-1578), Martin Frobisher, gelangte in die noch heute nach ihm benannte Bucht in Baffinland (zwischen Labrador und Grönland), das er für Asien hielt. Außer einem Eskimo, den er hinterlistig und brutal entführt hatte, brachte er die Kunde von unermesslichen Goldschätzen mit, die er dort festgestellt haben wollte. So wurden bei seiner Rückkehr die City von London und die „jungfräuliche Königin“ von einem Goldrausch ergriffen, der allerdings nur von kurzer Dauer war. Denn als die nächste Expedition, der die Königin sogar dreißig Bergleute mitgegeben hatte, mit einer Ladung von 1300 Tonnen Erz heimkehrte, wurde auch nicht ein Gramm Gold entdeckt. Die Aktionäre einschließlich der Königin sahen von ihrem Gelde nichts wieder, und von den Durchfahrten nach China und Japan war von nun ab nicht mehr die Rede. Der Versuch, auf redliche Weise an der Erschließung der Welt teilzunehmen, hatte sich nicht als sehr ermutigend erwiesen. Um so bessere Erträgnisse versprach die unredliche Methode.
Originell war bis jetzt nichts gewesen, was die Engländer unternommen hatten; in allem, in Handel, Industrie, Schiff-Fahrt und Politik waren sie stets fremden Vorbildern gefolgt oder hatten fremde Hilfe in Anspruch genommen. So ist es nicht zu verwundern, dass auch das gewaltsame Vorgehen, das jetzt in den Vordergrund tritt – nämlich der Seeraub in fremden Kolonialgebieten -, keineswegs eine englische Erfindung ist. Auch als Piraten folgen die Engländer nur der Bahn, die eine andere Nation ihnen vorgezeichnet hat: mit dem einen Unterschied allerdings, dass diese andere Nation – die Franzosen nämlich – ihre Raubfahrten in die westindischen Besitzungen Spaniens und an die Küsten Mexikos während eines langen, erbitterten Krieges zwischen Frankreich und Spanien (1521 bis 1559) begonnen und weitergeführt hatten, die Engländer dagegen nicht nur mitten im Frieden, sondern sogar als Verbündete über das spanische Kolonialreich herfielen.

Sir John Hawkins, ein Seemann aus Plymouth, war der Begründer der beiden Hauptpfeiler, auf denen sich das britische Weltreich erhob: des Sklavenhandels und der Seeräuberei. Seinen Raubfahrten in das spanische Kolonialreich verdankte er seine Erhebung in den Ritterstand.
Wenn zwei dasselbe tun, so ist es nicht dasselbe. Dass französische Freibeuter – kühne Seefahrer aus der Normandie zumeist – dem mexikanischen Goldhort nachstellten, den die spanischen Flotten nach Europa schaffen sollten, und auch manches Schatzbeladene Schiff erbeuteten, das war Kriegsbrauch. Als dann 1559 der Friede geschlossen war, hörte die französische Freibeuterei zwar immer noch nicht auf, aber Schiffe und Kapitäne, die jetzt auf die spanischen Goldschiffe Jagd machten, genossen nicht den Schutz des französischen Staates. Dieser und jener trieb auf private Rechnung Piraterie. Viele aber, die den Spaniern hart zu schaffen machten, gehörten der neu aufgekommenen Bewegung der Hugenotten an. Sie waren Fanatiker ihrer Vorstellung vom Reiche Gottes auf Erden, das, wenn nötig, mit Feuer und Schwert gegründet werden müsse; sie standen im Bunde mit den Gleichgesinnten in den Niederlanden, die sich eben jetzt gegen die spanische Herrschaft erhoben. Es verstand sich von selbst, daß ihnen der spanische Rechtsanspruch auf das Monopol des Handels und der Niederlassung in Amerika nichts galt. Denn diesen Anspruch hatte ja der Papst verbrieft, der nach ihrer Überzeugung der Antichrist selbst war.
Hätte England, wie es einer „protestantischen“ Nation gar nicht so fern gelegen hätte, auch seinerseits das spanische Besitzrecht an der Neuen Welt von vornherein angefochten, so hätte das natürlich den Ausbruch eines Krieges mit Spanien bedeutet; aber es wäre dann ein Kampf mit offenen Waffen gewesen. Solche Aufrichtigkeit lag nicht im Wesen der Königin Elisabeth und ihrer Berater. Sie hatten von Frankreich viel zu fürchten, da es die Schottenkönigin Maria Stuart in ihrem Kampf um den englischen Thron unterstützte; sie waren daher ängstlich auf korrekte, ja freundliche Beziehungen zu Spanien bedacht, und sie erklärten immer wieder aus freien Stücken, dass Spanien mit vollem Recht die Herrschaft über die Neue Welt ausübte. Trotzdem sannen sie darauf, wie sie sich in den Handel mit dem spanischen Kolonialreich eindrängen könnten.
Der Mann, der der Königin auf diesem Gebiete aussichtsreiche Vorschläge machen konnte, John Hawkins aus Plymouth, hatte die Verhältnisse in Westindien genauestens studiert. Er kannte die Ursachen, die den französischen Freibeutern so viele Erfolge gebracht hatten. Er wusste, dass die Spanier ihre besten Soldaten für die gewaltigen Züge in das Innere des südamerikanischen Kontinents einsetzen mussten, dass daher die Küstenstädte auf den Schutz der meist wenig kriegstüchtigen und wenig kampflustigen Bürgerwehren angewiesen waren, die aus den Handeltreibenden Ansiedlern gebildet wurden, und dass außerdem die spanische Verwaltungsmaschinerie überaus schwerfällig und langsam war. Auf diese Umstände gründete er seinen Plan.

Eine spanische Silberflotte wird von englischen Piraten geplündert Durch gemeine Raubüberfälle versuchten die Engländer den Vorsprung aufzuholen, den sich Spanien durch die Entdeckung Amerikas und seiner Silbergruben verschafft hatte. – Nach einem alten Holzschnitt.
Hawkins war kein Draufgänger gewöhnlichen Schlages. Er hatte weitgehende Kenntnisse, war energisch und umsichtig und hätte in einem Staate, der mannhafte Politik betrieb, sich sowohl diplomatischen als ehrlichen kriegerischen Ruhm erwerben können. Aber der englische Staat zog die Schleichwege vor, und so wurde Hawkins mit seinem Wagemut – denn den hatte er – ein von der Krone gewissermaßen konzessionierter Schmuggler und Bandit. So sehr drückt die englische Atmosphäre auch größer angelegte Naturen zum Kleinlichen und Gaunerhaften hinab.

William Hogarth, der große Sittenschilderer des 18. Jahrhunderts, hat hier unübertrefflich die verlogene englische Religiosität gezeichnet, die heilige Worte auf den Lippen führt und dabei sehr unheiligen Gedanken nachhängt. Theodor Fontäne hat das treffend formuliert: „Sie sagen Christus, und sie meinen Kattun.“
Wollstoffe waren, darüber war man sich im Klaren, in den tropischen Gebieten der Karibischen See beim besten Willen nicht abzusetzen. Man musste schon nach anderen Waren Umschau halten, um die spanischen Pflanzer zu beglücken. Der lukrativste Import nach Westindien, so legte Hawkins der Königin dar, war der von Negersklaven, für die auf den wachsenden Zuckerpflanzungen immer mehr Bedarf war. Allerdings gab es Neger nur in Afrika, und hier kontrollierten die Portugiesen den Handel. So musste man also bei ihnen einbrechen, um sich die Ware zu verschaffen, und dann bei den Spaniern, um sie loszuschlagen. Die Bedenken der vorsichtigen Königin, ob dieses doppelte Wagnis nicht zu gefährlich sei, entkräftete Hawkins mit der Versicherung, er habe Beziehungen zu gewissen portugiesischen und spanischen Kolonialbeamten angeknüpft.
Wirklich fand sich ein Syndikat von Kaufleuten und Beamten zusammen (auch der Schatzmeister der Admiralität war dabei), und Hawkins konnte im Oktober 1562 mit vier Schiffen von Plymouth aus in See gehen. Die Fahrt ging zunächst nach der Guinea-Küste, wo eine Fracht von 400 Negern eingeladen wurde, die Hawkins, wie er selbst berichtete, „teils mit dem Schwert, teils auf andere Weise“ erworben hatte – teils hatte er sie nämlich mit seinen Leuten selbst sozusagen auf freier Wildbahn gejagt, teils sie portugiesischen Sklavenhändlern durch Drohung und Bestechung abgenommen. Mit dieser lebenden Ware segelte er dann stracks nach Haiti, wo die spanischen Kolonialbehörden ihn einigermaßen verdutzt ankommen sahen. Erlaubnis zum Handeln hatte er nicht; aber da er höflich und umgänglich und außerdem gut bewaffnet war, hielten sie es für richtiger, ihm seine Ware abzunehmen, wenn auch nicht gegen bar, sondern im Austausch mit Häuten, Perlen und Zucker.

Grausamkeiten König Jakobs II. in Irland Im Jahre 1169 begann mit dem Einfall anglo-normannischer Ritter unter König Heinrich II. von England der lange Leidensweg des irischen Volkes. Unter Cromwell und den letzten Stuarts wurde ganz Irland erobert.- Stich des Holländers Peter Pickaert.
Als der liebenswürdige Erpresser nach England zurückkam, war ihm der Beifall der Königin gewiss. Sie nahm ihn offiziell in die Dienste der Krone, womit er das Recht hatte, fortab die königliche Standarte am Mast wehen zu lassen. Ja, sie steuerte zu seinen nächsten Schmuggelfahrten eins ihrer Kriegsschiffe bei – allerdings, wie es ihrer vorsichtigen Art entsprach, nur einen ausgedienten Veteranen, den völlig seeuntüchtigen „Jesus von Lübeck“, der denn Hawkins auch viel Kummer machte, bis ihm schließlich die Pfahlwürmer des Karibischen Meeres den Rest gaben und er in einem Augenblick, wo alles von ihm abhing, mitten entzwei barst.
Das war auf der dritten und letzten Expedition (1567), als Hawkins gerade wieder seine Neger verkauft und sich, die Schiffe beladen mit Zucker und Häuten, auf die Heimfahrt begeben wollte. Er wollte den „Jesus von Lübeck“ nicht aufgeben, da er den Unwillen der Königin fürchtete, und so ließ er sich von einem spanischen Kapitän einen Hafen empfehlen, wo er das wracke Schiff reparieren konnte. Es war ein Hafen an der mexikanischen Küste, San Jüan de Ulua, und zwar derjenige Hafen, an dem das Silber aus den mexikanischen Silbergruben nach Spanien verschifft wurde. Als Hawkins mit seinem invaliden Flaggschiff hier einlief, waren nur noch wenige Tage bis zur Ankunft der spanischen Transportflotte, die von gut armierten und bemannten Kriegsschiffen begleitet zu werden pflegte. So konnte es geschehen, dass die Leute von San Juan de Ulua Hawkins mit Salutschüssen und lautem Jubelgeschrei begrüßten. Als er dann aber vor Anker ging und sie eine unbekannte Flagge vom Mast wehen sahen, ergriff sie eine Panik; sie ließen die Geschütze im Stich und verbargen sich in den Kellern ihrer Häuser. Hawkins hatte also leichtes Spiel, als er nun an Land ging und die Batterien besetzte. Zwei Tage war er Herr des Hafens und seiner Geschütze – nicht lange genug, um den „Jesus von Lübeck“ zu flicken -, dann erschien wirklich die spanische Flotte an Bord ihres Admiralsschiffes der Neuernannte Vizekönig von Mexiko, Don Martin Enriquez. Der machte große Augen, als ein englischer Bote vor ihm erschien und ihm mitteilte, unter welchen Bedingungen der englische Admiral bereit sei, die spanische Flotte in den spanischen Hafen einzulassen: Geiseln sollten ausgetauscht werden, kein bewaffneter Spanier dürfe an Land kommen, und Hawkins wolle über die Batterien so lange verfügen, bis seine Schiffe wieder seetüchtig und seine Leute mit allem Nötigen versorgt seien … Verständnis für die Empfindungen anderer Völker ist nie Englands starke Seite gewesen, und so hatte Hawkins denn auch jetzt einen Posten in seine Rechnung einzustellen vergessen: den angeborenen Stolz des Spaniers. Für Don Martin war dieser unverschämte Eindringling nichts als ein Korsar, trotz seiner Königsstandarte, und so verfuhr der tief gekränkte Mann denn mit Hawkins, wie man mit Seeräubern verfährt. Und hatte Hawkins nicht wirklich das Recht verwirkt, als ritterlicher und ehrlicher Mann behandelt zu werden? So ging denn der Vizekönig zum Schein auf die Bedingungen des Engländers ein. Auf ein verabredetes Zeichen aber stürmten die spanischen Matrosen und Soldaten die englischen Schiffe und überfielen die Geschützbesatzungen am Lande. Der „Jesus von Lübeck“ musste endgültig aufgegeben werden, andere Schiffe steckten die Spanier in Brand, und nur zwei konnte Hawkins mit Mühe und Not retten. Das eine davon war die 50-Tonnen-Bark „Judith“, auf der ein gewisser Francis Drake kommandierte, Hawkins‘ gelehrigster Schüler und bald darauf sein würdiger Nachfolger.
Das war also das Ende der englischen Bemühungen, die Spanier auf sozusagen gütlichem Wege zur Zulassung englischen Handels in Westindien zu bewegen. In London war man höchlich entrüstet, als das Geschehene bekannt wurde. Man hatte Philipp von Spanien helfen wollen, den Handel seiner Kolonien auszuweiten – und das war der Dank!
Hawkins schäumte vor Rachedurst und drängte die Königin, ihn zu Repressalien zu ermächtigen. Doch Elisabeth scheute vor dem offenen Kampf zurück; sie ging, als echte Enkelin der „wagenden Kaufleute“, den Weg des geringsten Risikos. Der spanische König sollte es schon zu fühlen bekommen, was es hieß, die englische Freundschaft ausgeschlagen zu haben…
Die guten Beziehungen zu Spanien zu erhalten, so erklärte Elisabeth, liege ihr mehr als alles andere am Herzen. Es war daher nur eine vorsorgliche Maßnahme, die König Philipp vor Schaden bewahren sollte, wenn sie jetzt, kurz nach den Ereignissen von San Juan de Ulua, eine ihm gehörige Ladung von Goldbarren zu treuen Händen in Verwahrsam nahm. Diese Goldbarren nämlich waren dem spanischen König von Genueser Banken bis zur Ankunft der nächsten Schatzflotte aus Amerika vorgestreckt worden, da er für seine gegen die aufständischen Niederlande kämpfenden Truppen schnell Geld brauchte. Hugenottische Freibeuter, Gleichgesinnte Verbündete der Niederländer, hatten die Goldschiffe aufgebracht und sie genötigt, an der englischen Kanalküste Schutz zu suchen.

Irisches Elend Im Jahre 1845 zählte Irland über 8 Millionen Einwohner – heute nur noch 4,3 Millionen! Die Entvölkerung war eine Folge der durch die englische Selbstsucht verursachten Hungersnöte – die furchtbarste um 1850 – sowie der dadurch verursachten Massenauswanderungen. – Aus der Pariser „Illustration“ von 1854.
Dass Elisabeth die kostbare Fracht daraufhin sogleich im Tower von London deponieren ließ, geschah nur, um sie vor den Seeräubern zu bewahren. Unverzeihlich, dass König Philipp diese so wohlgemeinte Handlung als einen Raub an seinem Eigentum ansah und daraufhin die Warenlager englischer Kaufleute in Spanien beschlagnahmen ließ!
In Wirklichkeit konnte Elisabeth nichts willkommener sein als dieser Goldschatz. Ihr verschwenderischer Vater, Heinrich VIII., hatte eine gewaltige Last von Schulden hinterlassen, und es war der Königin trotz aller Knauserigkeit bis jetzt nicht gelungen, sie abzudecken; denn knauserig waren auch die Grundbesitzer und Kaufleute, die im Parlament saßen und ohne deren Zustimmung die Königin keine Abgaben erheben durfte. Da brachte König Philipps Gold die Rettung aus der Not. Ja, sie konnte es sich sogar leisten, großzügig zu sein und den Genueser Bankiers Zinsen für diese unfreiwillige Anleihe zu zahlen. Wer konnte ihr nun noch vorwerfen, dass sie nicht korrekt verfahren sei? Es war doch niemand geschädigt; die Genueser bekamen ihre Zinsen, und König Philipp konnte sich von ihnen anderes Gold leihen…
Doch es half nichts; am spanischen Hofe durchschaute man das englische Spiel und zog die offene Gegnerschaft der verlogenen Freundschaft vor. Den englischen Kaufleuten blieb der Handel mit Spanien und den spanischen Niederlanden untersagt. Der Vorteil der Königin war diesmal auf Kosten der Kaufleute erreicht worden, und man musste sehen, wie man die Verluste wieder aufholte.

Das Gemetzel im Phönixpark zu Dublin Die Antwort auf die systematische Aushungerung des irischen Volkes durch die britische Plutokratie war Gründung des Bundes der „Fenier“, dessen Anhänger bei einer Versammlung im Juli 1871 von der englischen Polizei zersprengt wurden. 200 Verwundete waren das Opfer dieses brutalen Vorgehens. – Aus „Le Monde Illustre“ (1871)
In dieser Situation gab es, darüber waren sich Königin und City klar, nur einen Ausweg: man musste die Seeräuberei auf eine breite finanzielle Basis stellen. Wenn es mit dem ehrlichen Handel nicht ging, musste der unehrliche und gewaltsame die Säckel der Londoner Kaufleute füllen – und dass der Säckel der Königin dabei nicht zu kurz kam, dafür sorgte ihr ererbtes Krämerblut.
„Die Zeit der Überfälle auf den spanischen Handel ist von größter Bedeutung für das Wachsen der englischen Macht gewesen“, schreibt der englische Historiker William Robert Scott mit dem beinahe erfrischenden Zynismus, der englischen Historikern eigen ist, wenn sie von dem Aufstieg Englands zur Weltmacht sprechen. Es ist allerdings ein Grundgelehrtes, nur für Fachleute bestimmtes Werk, in dem dieser Satz vorkommt. In Büchern, die für die breite Öffentlichkeit und für die Stimmungsmache im Ausland geschrieben sind, klingt es anders. Da wird einer gläubigen Welt suggeriert, die elisabethanischen Piraten seien kühne Einzelgänger gewesen, die aus loderndem Hass gegen alles, was dem Papste anhing, und aus glühender Liebe von der „Solidarität der protestantischen Volker zu ihrem Vaterlande Heldentaten über Heldentaten verrichtet hätten ohne rechte Unterstützung durch die vorsichtige und korrekte Königin.
Halten wir also einige Tatsachen fest, die das Gesicht dieser „Überfälle auf den spanischen Handel“ erkennen lassen. Zunächst einmal: die Piratenfahrten der Drake und Raleigh waren nicht Raubzüge auf eigene Faust, sondern wohlorganisierte, von langer Hand vorbereitete Unternehmungen, für die die Mittel jedes Mal durch eine Gesellschaft von Aktionären zusammengebracht wurden. Zu diesen Aktionären gehörten die Königin, ihre führenden Minister und Günstlinge (also Männer wie William Cecil, der spätertere Lord Burghley, und der Graf von Leicester, und schließlich die Kreise der City. „Wenn die Schiffe zurückkehrten und die Beute verkauft war, Überschuss verteilt und das ganze Geschäft liquidiert“ (Scott). Zum zweiten: Es herrschte weder Kriegszustand mit Spanien noch auch nur ein heimlicher Konflikt zwischen beiden Mächten, so dass keinerlei Anlass für diese bestand. Die Leidenschaft, der Abscheu gegen den „Papismus“ vor allem, war künstlich genährt wie -man denn überhaupt damals die Zugkraft der Parole von der „Solidarität der protestantischen Völker“ entdeckte, um die skrupellose, nur der Gewinnsucht entspringende Piraterie der eigenen Leute mit der aus fanatischem Glaubenseifer entspringenden Freibeuterei der Hugenotten und der holländischen „Wassergeusen“ im Urteil der Mitwelt und Nachwelt auf eine Stufe stellen zu können.

Irland am Kreuz Das gemarterte Irland, um das sich die Schatten verhungerter Frauen und Kinder sammeln, spricht: „0 Gott, den ich so lange vergebens angefleht habe – solltest du ein Engländer geworden sein?“ – Aus der französischen Wochenschrift „Le Rire“ von 1899
Gewiss gab es im damaligen England auch Leute, die den Angriff auf das katholische Weltreich Spaniens für ein Gott wohlgefälliges Werk hielten. In den Massen des kleinen städtischen Bürgertums, das von den Raubzügen keinen unmittelbaren Vorteil hatte, aber die Rückschläge des Handels in Gestalt von Knappheit und Teuerung am eigenen Leibe erlebte, fanden die Hasspredigten gegen den König in Madrid, der mit allen erdenklichen biblischen Ungeheuern verglichen wurde, offene Ohren. Hier sympathisierte man wirklich mit den Hugenotten und den Geuusen, die ja der gleichen Gesellschaftsschicht angehörten. Hier fanden sich die Menschen, die bereit waren, im Kampfe gegen „Gog und Magog“ oder wie die bösen Feinde des wahren Glaubens sonst genannt wurden, ihre Haut zu Markte zu tragen und alles zu vergessen, was ihnen an christlicher Gesittung anerzogen war.
Damals nämlich bildeten sich die Grundzüge des englischen Nationalcharakters: die Selbstgerechtigkeit und der mit ihr so eng zusammenhängende „Cant“. Denn da die Überzeugung, daß im Kampfe gegen Spanien, dieses gewissermaßen Volkgewordene böse Prinzip, jedes Mittel erlaubt sei, in ihrer praktischen Auswirkung zum Aufblühen der englischen Wirtschaft führte, so war es kein großer Schritt bis zu der nächsten Überzeugung: dass die Raubüberfälle im Einklang mit dem Willen Gottes stünden und daß England von Gott das Privileg erhalten habe, sich über die das Völkerleben regelnden Gebote immer dann hinwegzusetzen, wenn das Gedeihen seines Handels es erforderte. Denn wie hätte Gott sonst den Erfolg der englischen Freibeuterei dulden können? Ergo: Was England tut, ist wohlgetan.
Während aber in Holland ein ganzes Volk sich gegen seinen spanischen Oberherrn, in Frankreich eine breite Schicht des Volkes sich gegen die alten Gewalten im Staat empörte – während also Geusen und Hugenotten in radikaler Unbedingtheit um Sein oder Nichtsein kämpften, handelten die englischen „Seehelden“ ganz im Einvernehmen mit der Führung ihres Staates. Wohl haben die einzelnen, Drake oder Raleigh und ihre Mannschaften, Erstaunliches geleistet und weder Leben noch Gesundheit geschont. Aber diesen Mut hat auch der Gangster. Was einem Kampf erst das Heroische verleiht, ist, dass er mit vollem Bewusstsein um „Alles oder Nichts“ geht, um eine höhere Form des Daseins für die Gemeinschaft, in der man kämpft. Dieses Element des Heroischen, dieses Wissen um die tiefste weltgeschichtliche Bedeutung von Sieg oder Untergang fehlte dem englischen Kampf gegen Spanien durchaus. Die Technik des Freibeutertums und den Glaubensfanatismus – beides hatte man von anderen abgeguckt. Und weil beides nicht aus ursprünglicher Leidenschaft, sondern aus listiger Berechnung kam, ist auch die Begründung der Seeräuberei aus dem „protestantischen Glauben“ etwas innerlich Unwahres. Keine elementare Not zwang England, Spanien zu überfallen, sondern eine kaufmännische Kalkulation ließ es als empfehlenswert erscheinen, und so ist von Anbeginn an die englische Weltmachtpolitik mit dem Fluch der Scheinheiligkeit und Verlogenheit behaftet: für die Verfolgung ihrer rein geschäftlichen Ziele schiebt sie die Bibel vor. Und das tut sie von Elisabeths Zeiten bis auf den heutigen Tag. Bei anderen Völkern hat es diese üble Verquickung unredlicher Politik mit Worten des Glaubens nie gegeben. Das Wort „cant“, das die politische Scheinheiligkeit des Engländers bezeichnet, ist daher auch nicht in andere Sprachen übersetzbar.
Das Wort Seeräuberei (mit seinem ein wenig romantischen Beigeschmack) erweckt noch nicht die zutreffende Vorstellung von den Aktionen, die Drake und die anderen Freibeuter auf Aktien in den siebziger und achtziger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts unternahmen. Denn Seeraub, Kaperung spanischer Handelsschiffe also, war nur die eine ihrer Formen. Da nämlich ihr Hauptzweck, die Erbeutung amerikanischer Edelmetalle, nicht immer zur See erreicht werden konnte (die spanischen Schatzflotten fuhren in Abständen von vielen Monaten), so handelten die „Seehelden“ ganz im Sinne ihrer Königin, wenn sie den Schauplatz ihrer Taten gegebenenfalls auch auf das Land verlegten.
Straßenräuber, Wegelagerer – das klingt nicht so vornehm wie Seeheld und auch nicht so romantisch wie Seeräuber. Aber es ist keine Übertreibung, sondere nur eine nüchterne Feststellung, wenn man sagt, dass Drake und seinesgleichen solche anrüchigen Gewerbe betrieben haben. Denn das hatte die Welt noch nicht gesehen: dass ein Staat gegen einen anderen befreundeten Staat hinterrücks Raubzüge organisierte – zu keinem anderen Zweck als dem, das eigene Vermögen auf Kosten des anderen zu vermehren. Schon auf seiner zweiten Expedition (1572-157.) ging Drake zur Wegelagerei über. Das Edelmetall in den Bergwerken von Peru, das wusste er, wurde mit Maultieren von Panama über die Landenge nach dem Hafen Nombre de Dios an der Karibischen See bracht. Auf der Landenge hauste ein böser Menschenschlag: die „Cimaroonen“, entlaufene Neger, die mit Indianerfrauen in die tropischen Wälder geflüchtet hatten und hier von Raubüberfällen auf spanisch Niederlassungen und Warentransporte lebten. Mit diesen verkommenen

Der Untergang der Armada
Die große spanische Flotte, die Philipp II. ausgesandt hatte, um England für die Raubüberfälle auf das spanische Kolonialreich zu strafen, wurde 1588 bei Gravelines an der flandrischen Küste von der beweglicheren englischen Kriegsmarine zurückgeschlagen – ein Sieg, in dem England die göttliche Rechtfertigung seiner Räubermethoden sah.
Urwaldräubern machte Drake gemeinsame Sache.
Sie dienten ihm als Führer und Spione, und mit ihrer Hilfe gelang ihm denn auch nach einigen vergeblichen Versuchen die Überrumpelung eines Zuges von hundertundachtzig gold- und silberbeladenen Maultieren. Hunderttausend spanische Goldpesos (nach heutigem Werte etwa 10 Millionen Mark) waren die Beute dieses ersten Straßenraubes.
Auch die berühmteste von allen Fahrten Drakes, seine Weltumseglung (1578 – 80), war eine Raubfahrt. Das Konsortium von Aktionären, das ein beträchtliches Kapital in dieses Unternehmen investiert hatte, war nicht gesonnen, sich mit neuen

Das Flaggschiff der Holländischen Westindien-Gesellschaft
Die Rührigkeit der niederländischen Seefahrer, die ihrem Vaterlande ein stattliches Kolonialreich erworben hatten, war der neidischen britischen Plutokratie ein Dorn im Auge. – Gemälde von Wittern van der Velde.
geographischen Erkenntnissen als Ertrag zu begnügen, sondern erwartete reiche Beute. Den Unterführern und der Mannschaft gegenüber allerdings wurde die Expedition als eine Forschungsreise ausgegeben, mit dem Ziel der Entdeckung eines neuen Erdteils, den man im Süden suchte, der „Australis“. Drakes Instruktion aber lautete dahin, er solle durch die Magalhäesstraße in den Stillen Ozean vorstoßen und, an der Westküste Südamerikas nördlich hinaufsegelnd, Peru zu erreichen suchen. Also auch hier war der Griff nach den spanischen Gold- und Silberschätzen das Hauptmotiv – in zweiter Linie kam erst das andere, daß es Drake vielleicht gelingen könne, die „Nordwestpassage“ von der amerikanischen Küste her zu erreichen und damit der englischen Wolle doch noch den Weg nach China und Japan zu bahnen. Drake fand die Nordwestpassage so wenig wie den sagenhaften „australischen“ Kontinent, wenn es ihm auch, als beiläufiges Ergebnis seiner Raubfahrt, gelang herauszufinden, daß der Atlantische und der Stille Ozean an der Südspitze Amerikas ineinander fließen. Von den Plünderungszügen an den Küsten Chiles und Perus hingegen brachte er auf seiner „Goldenen Hirschkuh“ überreiche Beute heim. Die Dividende für das eingezahlte Kapital wurde, als man dann zu Hause die Schätze überblicken konnte, auf 4700 v. H. festgesetzt, und daher murrte keiner der Aktionäre darüber, dass sowohl Drakes als der Königin Anteil noch beträchtlich höher ausfielen. Die Spanier schätzten ihren Verlust auf 2 Millionen Pfund Sterling, und selbst wenn wir den englischen Angaben folgen, waren es immer noch anderthalb Millionen das sind etwa 360 Millionen Mark heutigen Wertes.
Kein Wunder also, dass diese „Entdeckungsfahrt“ es der Königin Elisabeth ermöglichte, als Finanzier großen Stiles aufzutreten. Sie beteiligte sich mit einem Kapital von 10 Millionen Mark (heutigen Wertes) an der Gründung der „Levante-Kompanie“, die den Handel mit den türkischen Gebieten im östlichen Mittelmeer auf breiter Basis in Angriff nahm. Wie die Praktiken ihres Großvaters es ermöglicht hatten, daß England die Hanse aus dem Nord- und Ostseehandel verdrängte, so stieß also nun Elisabeth in die Bezirke des Vorderen Orients vor, wo bisher die Mittelmeervölker – Spanier und Italiener, besonders Venezianer und Genuesen – den Handel in der Hand gehabt hatten. Es ist gut zu verstehen, dass die englischen Eindringlinge hier recht unwillkommen waren, und dass vor allem die Spanier es ungern mit ansahen, wie hier ein anderer mit geraubtem spanischem Gold sich als Wettbewerber einschlich. Nicht lange, und es wurden zwischen Madrid und Venedig Beratungen gepflogen, die dahin zielten, die Meerenge von Gibraltar für englische Schiffe zu sperren – Beratungen, die in London nicht geringe Besorgnis hervorrufen mussten. Denn der Levantehandel, vor allem der Korinthenhandel, ließ sich schon in den ersten Jahren recht erfolgreich an.
Nein, um der Korinthen willen musste die Straße von Gibraltar für englische Schiffe offen bleiben. Ein Jahrhundert später, und England wird, um der Korinthen willen, den Felsen von Gibraltar rauben…
Drakes Raubzüge zwangen König Philipp II., seine ganze Aufmerksamkeit den Vorgängen am Ärmelkanal zuzuwenden, und er griff zu Gegenmaßnahmen. Eine Zeitlang versuchte er, mit einer Flotte den Kanal zu blockieren und die Kontrolle über die Ausfahrt englischer Schiffe nach Amerika zu erzwingen. Er hielt auch Umschau nach Stützpunkten, von denen aus es seiner Marine möglich würde, die Raubfahrten (über deren Organisation er durch seine Botschafter nur zu gut informiert war) zu unterbinden. Und da bot sich ihm die Insel im Westen Britanniens dar – Irland, dessen Volk, der alten katholischen Religion getreu, unter der englischen Fremdherrschaft seufzte. Wie freudig hätten ihn die Iren als Befreier begrüßt – und wie wenig Grund hätte England gehabt, sich über einen Eingriff in seine Rechte zu beklagen! Denn mit welchem Recht nahm England die Herrschaft über die Grüne Insel in Anspruch? Man kann noch nicht einmal sagen: mit dem Recht des Eroberers. Auch ein solcher muss sein Recht erst dadurch ausweisen, dass er Frieden und neue Ordnung in dem eroberten Lande schafft, ihm das Gesetz einer überlegenen Kultur aufprägt. So waren einst deutsche Fürsten und Ordensritter in die slawischen Lande östlich der Elbe gezogen und hatten sie höheren Lebensformen gewonnen. Mit solcher echten Kolonisation hatte Englands Vorgehen in Irland nicht die mindeste Ähnlichkeit gehabt. Irland war ja auch, als die Engländer kamen, keineswegs ein Land tieferer Kulturstufe gewesen – im Gegenteil, es hatte durch seine Mönche voreinst den Grund zu einer gemeinsamen abendländischen Kultur legen helfen. Die englischen Barone, die seit König Heinrich II. (1171) sich auf der Grünen Insel einnisteten, waren den irischen Stammesführern weder an politischer Gestaltungskraft noch an geistiger Bildung überlegen, sie hatten nur den einen Vorteil, daß hinter ihnen ein starkes, einheitliches Königtum stand, während es dem irischen Volk versagt geblieben ist,seine schöpferischen geistigen Kräfte in staatliche Einheit zu sammeln.

Die Erfolge der Portugiesen und Holländer im Indienhandel weckten in England das Verlangen, sich gleichfalls an der Ausbeutung Indiens zu beteiligen. 1599 wurde die Ostindien-Kompanie gegründet. – Nach einem alten niederländischen Stich.
Wenn Elisabeths Vater, Heinrich VIII., einen Schritt weiter ging als seine Vorgänger und sich 1541 zum „König von Irland“ erheben ließ (die ihn dazu hoben, waren nicht die Iren, sondern die englischen Barone von Dublin), so geschah das nur, damit er einen Rechtstitel darauf hatte, als „Reformator“ die Güter der irischen Klöster zugunsten seines Staattssäckels einzuziehen. Irgendetwas, das einer Regierung, einer Gestaltung des Volkslebens ähnlich gesehen hätte, haben auch die Tudorkönige nicht in Irland eingeführt. Es ging, wie immer, nur um Landbesitz, und gegenüber den Zugriffen englischer Adliger, Kronbeamter und Juristen blieben die irischen Bauern wehrlos wie bisher. „Nichts, was gegen einen Iren verübt wird, kann Verbrechen genannt werden; denn ein Ire ist rechtlos“ – das war der Grundsatz, nach dem England in Irland „Kolonisation“ trieb. Die Eingeborenen der Grünen Insel galten dem hochmütigen „Herrenvolk“ der Engländer nicht mehr als etwa die Negersklaven, die Hawkins nach Westindien einschmuggelte. Sie wurden erbarmungslos misshandelt und ausgeplündert, dem Hunger und der Verzweiflung preisgegeben damals wie Jahrhunderte hindurch bis heute.
Und ein so gequältes Volk sollte nicht das Recht gehabt haben, um seiner Selbstbehauptung willen zu den Waffen zu greifen? Auch dass die Iren Hilfe bei Spanien suchten, ist nur zu begreiflich, denn aus Eigenem waren sie nicht stark genug, um auf einen Erfolg hoffen zu dürfen.
Wenn König Philipp nun die Iren zum Aufstand ermutigte und sie mit Geld und Waffen unterstützte, so tat er es nicht deshalb, weil er England mit Gewalt wieder katholisch machen wollte, sondern weil es ihm darauf ankam, die englische Seeräuberei in Amerika zu verhindern. Mit dem befreiten Irland als Bundesgenossen gedachte er, Elisabeth in ihre Schranken zurückweisen zu können. Es war die Überlegung eines Staatsmanns, an der niemand etwas Unredliches wird finden können. Dass allerdings die Aufstände der irischen Stammesführer allesamt misslangen und in grausamer Niedermetzlung von irischen Frauen und Kindern durch die englische Soldateska ihr fürchterliches Ende fanden, hat seinen Grund in der Langsamkeit und Kraftlosigkeit, mit der die Erwägungen des spanischen Königs in die Tat umgesetzt wurden.

Ein Privilegienbrief der Ostindien-Kompanie 1698 erneuerte König Wilhelm III. von England, aus dem Hause Oranien, die Privilegien der Ostindien-Kompanie, zu deren Aktionären außer der Londoner Kaufmannschaft auch viele Mitglieder des Hochadels zählten
Dieselbe Schwerfälligkeit war auch der Fluch, der über der einzigen großen Anstrengung lastete, die Spanien unternahm, um die Bedrohung seines Kolonialreiches aus der Welt zu schaffen: der Entsendung der Großen Armada (1588). Auch hier hat die tendenziöse englische Geschichtsschreibung ein verzerrtes Bild geliefert, das von vielen als echt übernommen wurde. Sie hat es so dargestellt, als habe Philipp die Armada entsandt, um die Hinrichtung der katholischen Maria Stuart (1587) zu rächen. Philipp als der hartnäckige Friedensstörer, das fromme protestantische England in der Defensive- so soll es nach englischem Wunsche aussehen. Aber die Wirklichkeit war anders. Spanien hatte damals noch echte Seehelden; die Männer, die die türkische Macht im Mittelmeer in der gewaltigen Seeschlacht von Lepanto (1570) gebrochen hatten, drängten schon lange den König zum Handeln. Sie glaubten, „den Tag nicht mehr erwarten zu können, wo man den angelsächsischen Piraten das Handwerk gründlich legen und der spanischen Nationalschande der stillschweigend ertragenen elisabethanischen Herausforderungen mit Feuer und Schwert ein Ende bereiten wird“ (L. Pfandl). Philipp hat lange versucht, durch gütliche Verhandlungen eine Bereinigung der Atmosphäre zu erreichen. Erst als dann, mitten in den Unterhandlungen, die Nachricht von einer neuen Raubexpedition Drakes nach Kuba und Florida eintraf – erst dann hat er sich für den Krieg entschieden. Im März 1586 begann er, die Armada auszurüsten.
Man kann den Engländern nicht nachsagen, dass sie es lieben, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Nach ihrem Siege über die Armada aber verlegten sie sich auf die Demut und Bescheidenheit.
Die Medaille, die Elisabeth prägen ließ, erhielt die Umschrift: „Afflavit Deus, et dissipati sunt“ (Gott blies, und sie wurden zerstreut). Warum diese Berufung auf den Allmächtigen? In Wirklichkeit ist der Untergang der Armada der Rückständigkeit des spanischen Schiffbaus, der mangelhaften Organisation des Nachschubs, der schlechten Zusammenarbeit mit dem Landheere in den Niederlanden und der Unfähigkeit des Oberbefehlshabers einerseits, der nautischen und taktischen Überlegenheit der Engländer und der unbezweifelbaren Tüchtigkeit ihrer Führer, besonders Drakes, zuzuschreiben. Sie bestimmten das Gesetz des Handelns, und sie waren es, die durch geschickte Ausnutzung von Brandern die Auflösung der spanischen Flotte auf der Höhe von Gravelingen erreicht haben. „Als Wind und Wellen die Endkatastrophe herbeiführten, da trafen diese eine schon geschlagene, zermürbte, wehrlose, eine fliehende Flotte, die auch ohne Stürme keinen Schaden mehr angerichtet hätte“ (L. Pfandl).
Von Höchstädt bis Waterloo gibt es viele Schlachten, an deren Gewinn sich England ungerechterweise das Verdienst zumisst. Hier, wo es ihm nicht streitig gemacht werden kann, hält es sich mit frommem Augenaufschlag zurück. „Gott blies …“ England verzichtet auf den Ruhm und schreibt ihn allein dem Allmächtigen zu. Und warum hat dieser die angeblich so ausschlaggebenden Naturgewalten mobilisiert? Die Antwort versteht sich von selbst: er wollte ein Wunder wirken und dadurch der Menschheit beweisen, dass Englands Sache die ihm wohlgefällige sei. Zwar galt in damaliger Zeit jede kriegerische Entscheidung als ein Urteil, das Gott über Recht und Unrecht der Kämpfenden fällte, und so hätte es schon genügt, wenn Elisabeth darauf verwiesen hätte, dass Gott sich im Siege der englischen Waffen ausgesprochen habe. Aber um wie viel eindrucksvoller musste es sein, wenn man der Welt den gewaltigen Kontrast vor Augen stellte: auf der einen Seite das stolze, unbesiegliche Spanien, auf der anderen das kleine, wehrlose England, das aus eigener Kraft niemals würde haben siegen können, wenn Gott nicht durch ein Wunder die Gewichte auf der Waage verschoben hätte! Wie unendlich viel besser musste die Sache Englands sein, wenn Gott es solchen Wunders für würdig befand!
Es kommt auch heute wohl bisweilen vor, dass eine Gangsterbande im Kampf mit der Polizei die Oberhand behält. Trotzdem würde jedermann lachen, wenn der Gangsterhäuptling daraus die Folgerung ziehen würde, er sei durch diesen Ausgang des Gefechts als rechtschaffener Hüter der Ordnung bezeugt, die Unterlegenen jedoch als Verbrecher. Als aber England im Falle der Armada es ebenso machte, erhob sich in der Welt seltsamerweise kein Gelächter. Ja, wie sehr dieser geniale propagandistische Trick noch in späteren Jahrhunderten und auch in Deutschland Erfolg gehabt hat, können wir etwa bei Schiller sehen, der in seinem Gedicht „Die unüberwindliche Flotte“ ganz unbefangen den englischen Standpunkt sich zu eigen gemacht hat. Ihm galt, wie später dem liberalen Bürgertum, England so recht als das Land der Freiheit: „Dir drohen diese Gallionenheere, Großherzige Britannia! Weh deinem Freigebornen Volke!“ Niemand, der die „feuerwerfenden Kolosse“ der Armada herankommen sieht, zweifelt, dass sie England den Untergang in der Knechtschaft bringen werden. Da hat der Allmächtige ein Einsehen:
„Soll, sprach er, soll mein Albion vergehen, Erlöschen meiner Helden Stamm, Der Unterdrückung letzter Felsendamm Zusammenstürzen, die Tyrannenwehre vernichtet sein von dieser Hemisphäre? Nie, rief er, soll der Freiheit Paradies. Der Menschenwürde starker Schirm verschwinden! Gott, der Allmächtige, blies, Und die Armada flog nach allen Winden.“ Die „Tyrannenwehre“, „der Freiheit Paradies“, „der Menschenwürde starker Schirm“ – das Jahrhundert der Aufklärung, dessen Sprache der junge Schiller hier noch spricht, hat England sein religiös verbrämtes und darum nur noch frevelhafteres Eigenlob nachgeschwatzt und diesen ganzen Apparat von Worten dem Jahrhundert des Liberalismus weitergereicht. Zum Nutzen und Frommen Englands.

Walter Raleigh, der weltmännische Seeräuber und Begründer der Kolonie Virginia, prägte das zynische Wort: „Leute, die auf kleine Beute ausgehen. aber nach Millionen jagt, den darf man nicht einen Piraten nennen.“
Die Größe der weltgeschichtlichen Entscheidung, die der Untergang der Armada bedeutet, soll mit solchen Betrachtungen nicht herabgesetzt werden. Die Nacht vom 7. zum 8. August 1588, da die englischen Brander auf die vor Anker liegenden spanischen „Feuerkolosse“ losgelassen wurden, bedeutete in Wahrheit das Ende der spanischen Herrschaft zur See. England erntete die Frucht seiner Piraterie; es hatte nun freie Bahn auf den Meeren. Den Seesieg zu einer Offensivaktion gegen Spanien auszunutzen, gelang den Engländern damals nicht. Drakes Versuch, in La Coruna englische Truppen zu landen, mit denen er den König von Spanien in seiner eigenen Hauptstadt zu bedrohen gedachte, endete mit einem schmählichen Misserfolg. Drake konnte nicht verhindern, dass seine Leute sich an dem Wein, den sie in der Stadt erbeutet hatten, maßlos betranken, und die Folge war, dass die ganze Besatzung der Flotte an einer Art Ruhr erkrankte; als Drake nach einem missglückten Handstreich auf Lissabon den Befehl zur einem Rückfahrt gab, waren von 15.000 Mann nur noch 7000 am Leben.
Elisabeth verhehlte ihren Ingrimm nicht. Sie hatte, wie auch die übrigen Aktionäre, das Kapital, das sie für diese Fahrt eingezahlt hatte, verloren, und das wog für sie schwerer als die Erinnerung an Drakes frühere Taten. Der Seeheld fiel in Ungnade: für eine Weile hatte Spanien Ruhe vor dem gefährlichsten seiner Feinde. Das Kapital der Londoner City begann, sich nach anderen Betätigungsmöglichkeiten umzusehen.
Auch hierbei sollte es sich als sehr nützlich erweisen, dass die spanische Überlegenheit zur See gebrochen war. Wie denn die englischen Staatsmänner überhaupt nicht verfehlten, sich auch diplomatisch die Türen für weitere Raubüberfälle in spanischen Besitz offen zu halten. Sie fanden dafür ein sehr einfaches Mittel.
England erklärte nämlich nun ein für allemal (vor Beginn der Piratenfahrten hatte es das Gegenteil zu Protokoll gegeben!), dass es den vom Papste verbrieften spanisch – portugiesischen Rechtstitel auf alle neuentdeckten Länder grundsätzlich nicht anerkenne, sondern nur diejenigen Länder als rechtmäßigen Besitz Spaniens oder Portugals ansehen werde, die von einer dieser Mächte auch faktisch in Besitz genommen seien.

Neu-Amsterdam um die Mitte des 17. Jahrhunderts An der Mündung des Hudson hatten holländische Siedler und Kaufleute diese blühende Kolonie geschaffen, die England 1664 raubte und in New York umbenannte. – Nach einem alten niederländischen Stich.
Das hörte sich soweit ganz korrekt an, und vom Rechtsstandpunkt auch der damaligen Zeit ließ sich kaum etwas dagegen einwenden. In der Praxis aber sah es mit dieser Anerkennung des „faktischen Besitzes“ dann doch beträchtlich anders aus. England behielt sich nämlich (was es nicht offen erklärte) die Feststellung darüber vor, ob eine Kolonie wirklich im Besitz der Spanier war. Wurde in der Folgezeit, z. B. ein spanischer Hafen in Westindien von den Engländern angegriffen und es gelang den Spaniern nicht, ihn mit Erfolg zu verteidigen, so war das eben ein Beweis dafür, dass Spanien diesen Hafen nicht „faktisch im Besitz gehabt hatte“, und somit gehörte er, als bisher herrenloses Land, von Rechts wegen den Engländern.
Die angebliche Anerkennung des spanischen Besitzstandes von englischer Seite lief also darauf hinaus, dass das Faustrecht zum Völkerrecht proklamiert wurde. Für die europäischen Länder wagte England das natürlich nicht; denn wie musste es ihm ergehen, wenn die Großmächte des Festlandes ihm diese seltsame völkerrechtliche Theorie am eigenen Leibe vordemonstrieren würden? Aber für alles, was über See, was „jenseits der Linie“ lag (nämlich der durch die päpstliche Bulle von 1493 und die darauf gegründeten spanisch – portugiesischen Verträge bestimmten nordsüdlichen Teilungslinie 370 Meilen westlich der kapverdischen Inseln sowie einer west-östlichen in der Höhe des Kap Bojador) -, für alle diese Regionen, also für den südlichen Atlantik, für den ganzen Stillen und den ganzen Indischen Ozean, für Amerika, Afrika und Asien galt fortab das Faustrecht.
Die „habsüchtigen Pfeffersäcke“
Es schien, als könne die Londoner Plutokratie jetzt zufrieden sein. Die Hanse war aus dem Handel Nordeuropas zurückgedrängt, Spanien und das mit ihm (seit 1580) unter derselben Krone vereinte Portugal waren gelähmt. Stand England nicht der Weg zur ersten Handelsmacht der Welt offen?
Doch gerade jetzt meldete sich ein höchst lästiger und unerwarteter Konkurrent: die Holländer. Ihre große Zeit war im Anbrechen. Die siegreiche Durchführung ihres Freiheitskampfes gegen Spanien hatte den nördlichen Niederlanden ein starkes Selbstbewusstsein gegeben. Während Antwerpen, Gent und Brügge unter den Stürmen des Krieges schweren Schaden litten, waren Holland und Seeland, die reichsten der sieben abgefallenen Provinzen, kaum merklich berührt daraus hervorgegangen. Amsterdam hatte das Erbe Antwerpens angetreten und war die wichtigste Hafen- und Handelsstadt des europäischen Festlandes geworden.
Als daher England in den letzten Jahren der Königin Elisabeth sich anschicken wollte, die Früchte seines Raubkrieges gegen Spanien zu pflücken, zeigte sich, dass es wieder einmal zu spät gekommen war. Denn Holland hatte, ganz ohne staatlich finanzierte Piraterie, auf dem Gebiet, das England nun als seine Domäne ausbeuten wollte, dem Überseehandel, einen bedeutenden Vorsprung gewonnen. Es verdankte diesen vor allem seiner Überlegenheit im Bau von Handelsschiffen. Und diese Überlegenheit war nicht erlistet, sondern beruhte auf echtem Erfindungsgeist.
Die Engländer hatten sich wohl zu glänzenden Taktikern des Seeraubs entwickelt, aber sie hatten, von der Sucht nach Beute ganz gefangen genommen, eine der wichtigsten Fragen der Schiff-Fahrt über weite Strecken vernachlässigt. Die Bedienung der Segel nämlich verlangte in jener Zeit eine im Vergleich zu modernen Schiffen beträchtlich größere Zahl von Arbeitskräften, und darum wurde auf längere Strecken das Problem der Mannschaftsversorgung oft recht schwierig. Es war nicht möglich, außer der Ware, die man exportieren wollte, noch genügend Vorrat an Lebensmitteln und frischem Wasser für die ganze Zeit der Fahrt an Bord zu nehmen. Daher war ein Segler, sobald der erste Vorrat aufgebraucht war, zu häufigen Landungen genötigt. Für die Spanier und die Portugiesen war das keine allzu große Schwierigkeit; denn die Häfen, in denen der Vorrat ergänzt wurde, gehörten zumeist ihnen. Die Engländer und die Holländer hingegen waren in den Häfen der iberischen Mächte ungern gesehene Gäste, und es musste ihnen alles daran liegen, sich von diesen Zwischenlandungen möglichst unabhängig zu machen.
Während nun aber die Engländer in ihrem Schiffbau alles beim Alten ließen, war es den Holländern gelungen, das Problem weitgehend zu lösen. Durch Verbesserungen und Vereinfachungen im Takelwerk halten sie es dahin gebracht, dass die Zahl der Bemannung eines Handelsschiffes auf die Hälfte sank; sie konnten also bei einer gegebenen Anzahl von Matrosen doppelt soviel Schiffe auf Fahrt schicken wie die Engländer und brauchten mit diesen Schiffen überdies lange nicht so oft zur Einnahme von Vorräten zu landen.
Der erste große Erfolg, den sie diesem technischen Fortschritt zu danken hatten, rief in der City von London große Verblüffung hervor. Im Jahre 1598 nämlich lief, nach sorgfältiger Vorbereitung und genauem Studium der nautischen Probleme, eine Flotte von zweiundzwanzig niederländischen Schiffen nach dem Fernen Osten aus. Sie gelangte unbeschädigt nach Bantam, dem großen Pfefferausfuhrhafen auf Java, wo ihr die portugiesischen Behörden keine Schwierigkeiten in den Weg zu legen wagten. Reich beladen mit Gewürzen kehrte sie heim. Innerhalb der nächsten Jahre wurde diese holländische Ostindienfahrt noch öfter und mit einer immer größeren Anzahl von Schiffen wiederholt.

Oliver Cromwell – Der durch den Bürgerkrieg gegen Karl I. zur Herrschaft gekommene Diktator Englands (1649-1658) führte die Raubpolitik der Könige fort. Er plante die Vertreibung Spaniens aus ganz Amerika, erlangte aber nur Jamaika. – Gemälde von Philipp Lely.
Es war also bewiesen, dass eine tüchtige seefahrende Nation, ohne mit den Kolonialbehörden in Konflikt zu kommen, an dem Handel mit den vielbegehrten Gewürzen teilnehmen konnte. Und es konnte nicht ausbleiben, dass dieser Erfolg die „wagenden Kaufleute“ von London auf den Plan rief. Wie immer, wenn ein anderes Volk aus eigener Kraft etwas Neues in die Welt gebracht hat, woraus sich wirtschaftlicher Nutzen ziehen läßt, so waren auch jetzt die Engländer zur Stelle, um zu erklären: wir wollen auch an diesem Geschäft beteiligt sein! Den Tisch haben die anderen gedeckt, die Engländer setzen sich daran.
Der Handelsneid auf die Holländer ist das Motiv zur Gründung der „Ostindischen Gesellschaft“ gewesen. Die Aktionäre, die am 22. September 159. Zeichnung eines Aktienkapitals von 6 Millionen Mark heutigen Wertes zusammentraten, mit dem „zur Ehre unseres Heimatlandes“ eine „Fahrt nach Ostindien und anderen Inseln jener Gegend“ finanziert werden sollte, waren größtenteils Mitglieder der „Levante Kompanie“ – ein Zeichen dafür, dass die City ihre Orientinteressen bedroht sah, wenn die tatkräftigen Holländer den Gewürzhandel von den Straßen des Vorderen Orients auf den direkten Seeweg um das Kap ablenkten. Es ist aber charakteristisch für die Tendenz Englands, die Geschichte in seinem Sinne zu fälschen, dass man bei den älteren englischen Historikern, die auch die festländische Meinung vielfach beeinflusst haben, nicht dieses kapitalistische Motiv für die Gründung der Ostindischen Gesellschaft angegeben findet, sondern ein ganz anderes. Um der Wohlfahrt seines Volkes willen, so heißt es, habe England den direkten Handel mit Ostindien in seine Hand nehmen müssen; denn die „Habsucht der Holländer“ habe den Pfefferpreis künstlich herauf geschraubt. Das ist natürlich eine Albernheit, denn Holland hatte ja keineswegs ein Monopol, und England hätte sich bei den Portugiesen oder den Türken billigeren Pfeffer kaufen können – wenn es billigeren Pfeffer gegeben hätte.

Seeschlacht vor der Themsemündung 1653 Trotz seiner Berufung auf den protestantischen Glauben verbündete sich Cromwell mit dem katholischen Frankreich gegen dos protestantische Holland, um dessen Seemacht zu vernichten. Doch die Holländer leisteten hartnäckig Widerstand. – Gemälde von Wittern van der Velde.
Aber der Preis des Pfeffers hing nicht von dem guten oder bösen Willen der Kaufleute ab, sondern von der Güte der Ernte, und es konnte also geschehen, dass er ein paar Jahre hintereinander hoch blieb. Aber was kann man nicht einer leichtgläubigen Welt alles einreden? Die Legende von den „habsüchtigen Pfeffersäcken“ fand lange Zeit willige Ohren …
Dass allerdings Pfeffersäcke bisweilen ein sehr unbequemes Besitztum sein können, sollten die Aktionäre der ersten englischen Ostindienfahrt, wenn auch nicht am eigenen Leibe, so doch am eigenen Portemonnaie recht unliebsam erfahren. Diese erste Ostindienfahrt wurde überhaupt so recht ein Beweis für die Rückständigkeit der englischen Schiff-Fahrt. Fünf Fahrzeuge waren es nur, die die Aktionäre auszurüsten vermochten – die Holländer schickten im gleichen Jahre (1601) achtzig in den Malaiischen Archipel. Während die Holländer die Routen genau kannten, geriet das englische Geschwader aus Unkenntnis der nautischen Verhältnisse an der westafrikanischen Küste in das Gebiet der Windstillen und verlor so einen ganzen Monat. Dieser Zeitverlust machte die Lebensmittel so knapp, dass ein Fünftel der Mannschaft vom Skorbut hingerafft wurde. Es dauerte fast anderthalb Jahre, bis man bei Atschin auf Sumatra vor Anker gehen konnte, und auch hier war der englische Anführer auf Seeraub angewiesen, wenn er Waren einnehmen wollte, denn der Pfeffer war knapp und teuer. Zum Glück kam eine stattliche portugiesische Raravelle des Weges daher, die – nach rechter Seeheldentradition – gekapert wurde. Gegen das so erbeutete Kaliko konnte man dann endlich im nächsten Jahre in Bantam ausreichend Pfeffer eintauschen und sich auf den Heimweg machen.
Die Schiffe waren morsch geworden, die Mannschaften durch Krankheiten weiter dezimiert – kurz, es war eine recht jämmerliche Fahrt, und der lose Pfeffer in den Laderäumen, der durch alle Ritzen drang und nach dem alles roch und schmeckte, machte sie nicht genußreicher.
Als die Segler aber endlich in die Themse eingelaufen waren – zweieinhalb Jahre waren seit der Abfahrt verstrichen, die Königin Elisabeth war inzwischen gestorben, und Jakob L, der Sohn der Maria Stuart, saß auf dem Thron -, kam die Reihe zu fluchen an die Aktionäre. Sie hatten nun Unmengen von Pfeffer (aus dem einen der Schiffe allein wurden 210 000 Pfund herausgeholt), viel mehr, als die englischen Küchen aufnehmen konnten. An Ausfuhr war auch nicht zu denken, denn die Holländer hatten soeben riesige Mengen Pfeffer auf den europäischen Markt geworfen. Man fragte beim Schatzamt an, ob dieses nicht den Pfeffer aufkaufen und für Zeiten der Knappheit einlagern wolle. Aber das Schatzamt hatte selbst viel zuviel Pfeffer; er stammte von einem portugiesischen Kauffahrteischiff, das vor einiger Zeit gekapert war…
So beschloss denn die Ostindische Kompanie, die Dividende an die Aktionäre statt in Geld in Pfeffer zu bezahlen. Ein wahrhaftes Danaergeschenk. Denn auch zu den niedrigsten Preisen war der unglückselige Pfeffer nicht loszuwerden, und so mancher, der sich goldene Berge von der Indienfahrt versprochen hatte, blieb an die sieben Jahre auf seinen Pfeffersäcken sitzen.
Kein Wunder, dass der Ingrimm auf die Holländer immer tiefer in den Gemütern der Londoner Kaufleute Wurzeln schlug.
Es sollte länger als ein halbes Jahrhundert dauern, bis die Stunde der Rache schlug. Denn in den Jahrzehnten nach dem Tode Elisabeths nahm Holland, von England fast ungehindert, seinen Aufschwung zur ersten Seemacht der Welt. Die zwölfjährige Waffenruhe in dem Kampf mit Spanien (1609-1621) gab ihm Gelegenheit, alle seine Kräfte auf die Ausweitung des Überseehandels zu konzentrieren, und als dann Spanien, leichtfertig und schlecht gerüstet, 1621 den Krieg entfesselte, konnte Holland seine ganze Überlegenheit entfalten. Die schwachen Nachfolger Philipps II. vereinigten wohl die Kronen Spaniens und Portugals auf ihrem Haupt, aber sie vermochten die beiden Weltreiche nicht gegen den Ansturm des kleinen Holland zu verteidigen. In beiden Hemisphären, in Afrika, Asien und Amerika wurden holländische Kolonien Erstritten oder neu geschaffen: Angola und Mozambique, Ceylon, Sumatra und Java, Bahia und Curacao – ein neues Weltreich erstand. Um die Mitte des Jahrhunderts befuhren 6000 holländische Schiffe die Ozeane, überall vermittelten holländische Faktoreien den Warenumschlag, holländische Seefahrer entdeckten in Nord und Süd neues Land: Spitzbergen und Nowaja Semlja, Neuseeland und Tasmanien.
„Und wo warst du, als man die Welt geteilet?“‚ Wieder einmal hätte England auf diese Frage betreten schweigen müssen. Wieder einmal war es nachgehinkt und zurückgeblieben. Elisabeths Nachfolger, Jakob I., der Sohn der Maria Stuart, war kein Erbe des Krämerblutes der Tudors und Boleyns; er war in keinem Sinne des Wortes ein „wagender Kaufmann“. Er konnte nicht mit Geld rechnen, er warf es zum Fenster hinaus, verschenkte es an junge Männer, die ihm gefielen. Korruption lähmte den Gang der Regierung, willkürliche Zölle, die den leeren Kronschatz fällen sollten, den Fortschritt des Handels. Die Zahl der Schiffe nahm nicht zu – England geriet auf den Ozeanen ins Hintertreffen.
Und gerade jetzt wäre die Zeit gewesen, von Spaniens Niedergang Nutzen zu ziehen – aber wieder versagte England. Gering nur, gemessen an der Ausbreitung des niederländischen Kolonialreiches, war das, was England sich von dem spanischen Kolonialreich „eroberte“: und nicht im Krieg, wie die Holländer, sondern im Frieden, gestützt auf das von ihm verkündete Faustrecht.

„In Jamaika herrscht wieder Ordnung“ Da die Besiedlung Jamaikas mit Weißen nicht die Insel zu einer Negersklavenkolonie gemacht. Aufstände der misshandelten Schwarzen waren an der Tagesordnung und wurden von den englischen Behörden mit sadistischer Grausamkeit unterdrückt. -Zeichnung von Honorè Daumier (1865).
Da wurde zunächst (1606) von Abenteurern zweifelhafter Art ein Zug nach der Küste Nordamerikas unternommen, an jenen Landstrich, wo vor schon einmal Walter Raleigh gelandet war und dem er zu Ehren der „jungfräulichen Königin“ den Namen Virginia gegeben hatte. Es war ein Einbruch in spanisches Gebiet, ohne Zweifel, und Madrid verfehlt nicht, dagegen zu protestieren. Aber in London macht man kein Hehl daraus, dass ein spanischer Angriff auf die neue englische Kolonie nicht als eine Wahrung spanischer Rechte, sondern als ein Überfall angesehen werden würde – und vor einem Krieg mit England schreckte man, nach den Erfahrungen der Armada, in Spanien zurück.
Die Hauptstadt der neuen Kolonie wurde Jamestown getauft, zu Ehren des neuen Königs, der im übrigen an ihr mehr Ärger als Freude erlebte. Denn als vor Jahren die ersten Schiffsladungen mit Tabak aus den spanischen Kolonien nach Europa gekommen waren und unter den feinen Leuten auch in England die Mode des Pfeifenrauchens aufgekommen war, hatte Jakob voller Empörung zur Feder gegriffen und eine geharnischte Streitschrift wider diese lästerliche Unsitte veröffentlicht. Und nun stellte sich heraus, dass in der Nähe von Jamestown keineswegs, wie man erwartet hatte, große Gold- und Silberminen lagen, wohl aber, dass die Indianer von Virginia eine ganz besonders schmackhafte Sorte von Tabak anbauten, ja, dass Tabak überhaupt die einzige Ausfuhrware war mit der die Kolonisten ihren Bedarf an Wolle und andere einheimischen Gütern bezahlen konnten. Sie fingen also auch an, Tabak zu pflanzen, bestellten sich einige Schiffsladungen voll Negersklaven und erreichten es, dass nach etwa 20 Jahren der Tabak aus Virginia in ganz Europa gesucht war. So musste es Jakob noch Erleben, dass die Stadt, die seinen Namen trug, der wichtigste Ausfuhrhafen für das Kraut wurde, das er mehr als alles andere in der Welt verabscheute.
Die Lahmheit des spanischen Protestes machte Mut zu weiteren Einbrüchen in das amerikanische Reich. 1611 wurden die Bermuda-Inseln, 1616 die Küste von Guiana (wo man den Zugang zum Dorado vermutete), 1624 die kleinen Antillen St. Christoph und Barbados, Antigua und Montserrat besetzt. Kleine Brocken nur von einem gewaltigen Kuchen, und jedenfalls nicht die Rosinen. Besonders in Nordamerika hätten bei stärkerer Initiative die Engländer sehr viel wichtiger Landstriche erbeuten können. Aber auch hier liefen ihnen die Holländer den Rang ab. Langsam nur wuchsen die englischen Besitzungen. Schnell aber blühte die Kolonie auf, die Holländer 1612 an der Mündung des Hudson-Flusses gegründet hatten: Neu-Amsterdam, das schon nach wenigen Jahren 10 000 Einwohner zählte.
Kläglich versagten auch alle englischen Versuche, mit den Holländern in dem großen fernöstlichen Reich Portugals Schritt zu halten. Es war wie das Wettrennen zwischen dem Hasen und dem Swinegel: immer, wenn eine englische Expedition meinte, jetzt den Platz für eine Faktorei und einträglichen Gewürzhandel gefunden zu haben, so lagen dort schon holländische Schiffe, und holländische Beamte komplimentierten die Ankömmlinge höflich, aber bestimmt wieder zum Hafen hinaus. Was Wunder, dass der Hass gegen die „Pfeffersäcke“ immer stärker anschwoll …
Nur an einer Stelle der Welt gelang es der City, wirklich Fuß zu fassen und den Grund zu späteren Profiten zu legen. Wenn nämlich auch die englische Ostindienfahrt sich nicht im Entferntesten mit der niederländischen messen konnte, so hatten die englischen Kapitäne doch bald etwas sehr Wichtiges begriffen: daß nämlich die malaiischen Händler auf den Gewürzinseln sich überhaupt nicht mit englischer Wolle und nur ungern mit Geld bezahlen ließen, wohl aber mit indischen Baumwollwaren, besonders dem bedruckten Kaliko. Sie fingen also an, sich auf den Zwischenhandel zwischen Vorderindien und dem Malaiischen Archipel einzustellen. Auch hierbei kann England keine Originalität für sich in Anspruch nehmen. Vor ihm hatten schon Portugal und Holland dieselbe Erfahrung gemacht und nach ihr gehandelt.
Aber Vorderindien ist ein unermessliches Gebiet, und keine europäische Macht war stark genug, eine andere hier völlig auszuschließen. So gelang es der Ostindischen Kompanie nach langen vergeblichen Anstrengungen, an beiden Küsten Vorderindiens sich von dem Großmogul und seinen Unterkönigen die Erlaubnis zur Errichtung von Faktoreien erteilen zu lassen.
Daß die Holländer sie – nicht durch Gewalt, sondern durch die Überlegenheit ihrer Schiff-Fahrt, ihrer Organisation und ihrer Politik gegenüber den eingeborenen Fürsten – von den Sunda- Inseln verdrängt hatten, wurmte die „wagenden Kaufleute“ in London gewaltig. Als dann noch englische Faktoren in Ainboina auf Java einen Handstreich gegen die holländischen Behörden geplant hatten und daraufhin von diesen als Hochverräter dem Henker überantwortet wurden, ertönte ein allgemeiner Schrei nach Rache. Das „Massaker von Amboina“ (1624) wurde ein Hauptschlager der antiholländischen Propaganda und ist es auf lange Zeit geblieben.

Barbarische Methoden in Westindien Im englischen Unterhaus war 1797 zur Sprache gekommen, daß ein englischer Sklavenhalter einen wegen Krankheit arbeitsunfähigen Neger dreiviertel Stunden lang in einen mit kochendem Zuckersaft gefüllten Kessel gesteckt hatte. Zeichnung des Engländers James Gillray..
Aber die Rache musste noch verschoben werden. Denn es kamen nun die Zeiten, da König Jakobs Sohn und Nachfolger, Karl I., sich mit dem Parlament, und das heißt: mit der City von London, überwarf. Der König, der die Londoner Plutokratie besteuern wollte, war ein noch gefährlicherer Feind für sie als die Spanier und die Holländer zusammengenommen. Ein Vierteljahrhundert lang (1625-1650) schaltete sich England im erbitterten inneren Kampf, ja schließlich im Bürgerkrieg, wie aus der europäischen so auch aus der Weltpolitik aus. Während auf den Schlachtfeldern Englands das Blut von „Kavalieren“ und „Rundköpfen“, von Königstreuen und Parlamentstreuen, in Strömen floss, weitete Holland sein Kolonialreich und seine Handelsübermacht zur See immer mehr aus. Englischen Schiffen aber wagten festländische Kaufleute nicht mehr ihre Waren anzuvertrauen; denn da die Parteien des Bürgerkrieges einander auch zur See bekämpften und die alte Piratentradition aufeinander anwandten, so konnte keiner sicher sein, ob ein Schiff auch seinen Bestimmungshafen erreichen werde.

Henry Morgan „Hibustier und Gouverneur“ An seinen Namen knüpft sich die Erinnerung an die entsetzlichen Taten der englischen Freibeuter, die Morgan bei ihren Plünderungen gegen Puerto Bello und Panama anführte. Der Verbrecher endete als Gouverneur von Jamaika. – Alter holländischer Stich..
Als daher der Bürgerkrieg mit der Hinrichtung König Karls I. und der Machtergreifung Oliver Cromwells, des „Lord- Protectors“, zu Ende gegangen war, befanden sich Handel, Industrie und Schiff-Fahrt in einer jämmerlichen Lage. Es musste die Sorge einer starken Staatsführung sein, England wieder den Anschluss an die anderen Überseehandel treibenden Nationen Europas zu verschaffen, und niemand wird Cromwell verdammen, weil er hier zu rigorosen Mitteln griff. Aber es ist doch ungemein bezeichnend, dass der „revolutionäre“ Lord- Protector, kaum dass er die Macht in Händen hatte, wieder in die Bahnen der elisabethanischen Tradition einlenkte, nämlich in die Bahnen der kleinlichen Schikane und der Seeräuberei. Auch er konnte sich nicht vorstellen, dass es einen anderen Weg gebe, England groß zu machen, als den, andere Nationen von dem Platz, den sie aus eigener Kraft gewonnen hatten, zu verdrängen.
Da waren es nun vor allem die Holländer, die bei Seite gestoßen werden mussten, und der erbitterte Feind der „Papisten“, der Mann, der im Namen des geeinigten Christentums Tausende von irischen Mönchen hinschlachten ließ, vergaß die „Solidarität der protestantischen Nationen“ völlig, wenn es um die lästigen Konkurrenten am anderen Ufer der Nordsee ging. Dass die Holländer nun keineswegs die kurzsichtigen Beutelschneider waren, als die die englische Geschichtslegende sie hinstellt, bewiesen sie gerade am Anfang der Cromwellschen Herrschaft dadurch, dass sie Cromwelt einen großzügigen Kolonialpakt vorschlugen: sie erklärten sich bereit, ihre Kolonien dem englischen Handel zu öffnen, wenn England das gleich tue, und die englischen Kaufleute zollpolitisch ebenso zu behandeln wie die eigenen. Die Antwort auf diese Angebot, das eine friedliche Ära der gemeinsamen Expansion hätte eröffnen können, war der Erlass eines Gesetzes, das von englandfreundlichen Historikern oftmals als der Ausfluss höchster nationaler Weisheit gepriesen worden ist: der so genannten „Navigationsakte“ (1651), in der Schiffen anderer Nationen der Handel zwischen Übersee und England ganz verboten im übrigen aber die Einfuhr von Waren nach England nur dann erlaubt wurde, wenn diese Waren aus dem Heimatland des betreffenden Schiffes stammten.
Als einstmals die spanischen Könige das Monopol des Handels mit ihren Kolonien verkündet hatten war das ein Grund für England gewesen, Spanien der unrechtmäßigen Beschränkung der Handelsfreiheit zu bezichtigen. Jetzt ahnte England den Todfeind von einst nach und errichtete selber ein solches Monopol! Und das in einem Augenblick, wo der englische Schiffsraum nicht im Mindesten ausreichte, den in Frage kommenden Warenverkehr zu bewerkstelligen. Einen wirtschaftlich vernünftigen Sinn konnte das Gesetz nicht haben, und in der Tat währte es nicht lange, bis die englischen Kaufleute sich beschwerten, daß ihre Geschäfte stockten, weil sie nicht genügend Schiffsraum zur Verfügung hätten. Aber diese Schädigung des eigenen Handels nahm Cromwell ohne Bedenken mit in Kauf, weil der Hauptzweck erreicht war: die Holländer zu brüskieren. Ehe man sich noch in Amsterdam in die Sache hineingefunden hat, kommt ein zweiter Schlag: Cromwell meldet Entschädigungsforderungen an, und zwar für lange zurückliegende Beschlagnahmen englischer Schiffe in Ostindien, für das „Massaker in Ambina“ und dergleichen. Vergeblich versuchen die Holländer, durch Verhandlungen eine freundlichere Atmosphäre zu schaffen. Ein dritter Schlag macht die wahren Absichten Englands offenkundig: die holländische Heringsflotte in der Nordsee wird von englischen Kriegsschiffen angegriffen und als Prise in englische Häfen eingebracht. Kein Zweifel: England will den Krieg Und Holland nimmt die Herausforderung an.
Damit hat England seinen neuen Erbfeind entdeckt. Jetzt werden alle Register des Hasses und der Verachtung gegen die engstirnigen Krämer von Amsterdam, gegen die habsüchtigen Pfeffersäcke gezogen. Holland ist nicht mehr der Verbündete gegen Papst und Spanien; es ist der große Wucherer, die Hyäne der Weltmeere, die um der Reinheit des Evangeliums willen verjagt werden muss. Es ist das neue Karthago, das von dem neuen Rom – England – zerstört werden muß.
Allerdings fehlt es auch damals in England nicht ganz an Leuten, die die Verlogenheit der Kampfparole durchschauen – und zwar gerade unter denen, denen Cromwell seinen Aufstieg verdankt, den kleinen Leuten also, den Puritanern. Da laufen manche anonyme Flugschriften durch das Land, die dem Lord- Protector und den Herren von der City recht unangenehme Wahrheiten sagen. „Es soll um nichts Geringeres gehen, so heißt es hier etwa, „als um Gottes Ehre und die Ausbreitung des wahren Evangeliums – und dabei streben sie nach nichts mehr als nach Gewinn für sich selbst und danach, sich in den reichen Besitzungen anderer festzusetzen.“ Welch treffende, für alle Zeiten gültige Charakteristik der englischen Politik! Aber diese Stimmen verhallten ungehört. Für Cromwell ist längst, wie einst für Elisabeth und Drake, kein Unterschied mehr zwischen „Gottes Ehre“ und Englands Reichtum.

Der Sturm auf Puerto Bello Eins der schmählichsten Kapitel englischer Kolonialgeschichte: mitten im Frieden überfallen die Flibustier die spanische Hafenstadt Puerto Bello in Mittelamerika, metzeln die Besatzung nieder und plündern die Häuser aus. – Alter holländischer Stich..
Immerhin dauerte es eine Weile, bis er ganz auf der Höhe der elisabethanischen Methoden war. Der direkte auf Holland, mit dem er es zuerst versuchte, erwies sich nicht als sehr gewinnbringend. Zwar gelang es, in den ersten zwei Kriegsjahren (1652-1654) ungefähr 1700 holländische Handelsschiffe als Prisen einzubringen – etwa den zehnten Teil der holländischen Handelsflotte. Aber auch die eigenen Schiffsverluste waren nicht unerheblich, und vor allem bedrohte Hollands Kriegsflotte unter überlegenen Führern – Tromp zunächst, dann De Ruyter – mehrmals in höchst gefährlicher Weise die englische Küste. Zeitweise konnten die Holländer die Themsemündung blockieren und damit die englische Hauptstadt von der überseeischen Zufuhr abschneiden.
Durch einen Krieg in der Nordsee und im Kanal, das musste Cromwell einsehen, war „Karthago“ nicht zu zerstören. Man musste schon nach anderen Mitteln suchen, vor allem aber nach Verbündeten. So liquidierte denn Cromwell den Krieg zunächst einmal (1654) und hielt Umschau nach Mitstreitern. Er brauchte nicht lange zu suchen; denn der Kardinal Mazarin, der Regent Frankreichs, war auch seinerseits auf der Suche nach Helfern. Ihm ging es nicht aus überseeischen, sondern aus festländischen Interessen heraus um die endgültige Eindämmung der spanischen Macht in Südeuropa, und er war es, der in London die Anregung gab, sich der schwachen Positionen des spanischen Kolonialreiches zu bemächtigen. Vielleicht gelang es den Engländern, Spanien die Edelmetallzufuhr aus Amerika abzuschneiden, so rechnete er, und für diesen Gewinn war ihm der Preis der Ausbreitung des englischen Kolonialreiches nicht zu hoch. Er war sogar bereit, den Engländern zum Dank für die Hilfe in Amerika den spanisch – niederländischen Nordseehafen Dünkirchen mit französischen Truppen zu erkämpfen, mit anderen Worten also, England eine Festlandsbasis zum Kampf gegen Holland zu verschaffen. Cromwell ließ sich diese Angebote nicht zweimal machen, und gleich nach dem Friedensschluss mit den Holländern segelte eine englische Kriegsflotte nach Westindien, ohne dass Spanien der Krieg erklärt worden wäre, ja, ohne daß auch nur der Vorwand zu einem kriegerischen Vorgehen gesucht worden wäre. Das Faustrecht „jenseits der Linie“ trat wieder einmal in Kraft. Allerdings war Cromwell nicht gesonnen, sich mit einem Überfall auf die Schatzflotten zu begnügen, wenn er auch hoffte, einen guten Teil der Kosten für den abgeschlossenen Krieg gegen Holland auf diese Weise wieder hereinzubringen. Sein eigentliches Ziel ging weiter. Er wollte nichts Geringeres als Spanien aus Amerika hinausdrängen, und darum erhielt der Admiral der nach Westindien segelnden Flotte, die diesmal nicht von einer Aktiengesellschaft unter finanzieller Beteiligung des Staatsoberhauptes, sondern vom Staate selbst auf Raub ausgesandt war, den Auftrag, sich der Haupthäfen von San Domingo, der Schlüsselstellung zu den spanischen Besitzungen in Mittelamerika, zu bemächtigen.
Es war die größte Enttäuschung in Cromwells Leben, dass dies nicht gelang. Ausbrüche ingrimmigen Zornes und schlaflose Nächte waren die Folgen der Nachrichten aus Westindien: der Überfall auf San Domingo sei an der Wachsamkeit und militärischen Überlegenheit der Spanier gescheitert; dafür sei allerdings eine andere stattliche Insel in Besitz genommen worden: Jamaika. Doch Cromwell hatte wenig Freude an diesem Erfolg der englischen Faustrechtstheorie, denn Jamaika lag im Innern der Karibischen See und war überdies von den Spaniern noch kaum nutzbar gemacht worden. Alle Arbeit stand also noch bevor, und der strategische Gewinn war gering.
Man versuchte nun, Hals über Kopf die Neugewonnene Kolonie, dieses Danaergeschenk, zu besiedeln. Denn wenn auch niemand in London so recht wusste, wozu Jamaika gut sein könne, so sollten es doch jedenfalls die Spanier auf keinen Fall wiederhaben. Ein Aufruf an die Kolonisten in Nordamerika verhallte ungehört; vergeblich versuchte ein Abgesandter der Londoner Regierung ihnen klarzumachen, dass es ihre patriotische und religiöse Pflicht sei, nach Jamaika überzusiedeln; denn diese Insel, so sagten sie, sei „ein Land des Überflusses, wo man schnell reich werden kann – und hat uns Gott nicht versprochen, dass wir an der Spitze aller Völker stehen sollen, nicht am Ende?“ Es half nichts, die Neu-Engländer beackerten lieber ihren kargen Boden und verschmähten das Paradies. Die Zauberworte „Zucker, Indigo, Baumwolle“ hatten keine Lockung für diese Männer, unter denen es viele mit dem Gebot eines gottgefälligen Lebens sehr viel ernster nahmen als die Herren der City. So blieb nichts übrig, als die neue Kolonie mit Gewalt zu besiedeln. In Schottland wurden eines Tages sämtliche Landstreicher auf den Straßen aufgegriffen und nach Jamaika verfrachtet. Ein andermal brachte eine Flotte tausend junge Männer und ebenso viele Mädchen aus Irland; man hatte sie einfach auf die Schiffe geschleppt und setzte sie nun hier im Tropenparadies aus. Dann wieder kämmte man die Londoner Gefängnisse aus und verschiffte die Verbrecher in die neue Eroberung, schließlich musste noch ein Schub Juden nachhelfen, kurz, es war ein tolles Sammelsurium, das nun Jamaika bevölkern und zur Blüte bringen sollte.
Noch nach Jahren gab es auf Jamaika keine Pflanzungen. Die unfreiwilligen Kolonisten arbeiteten nicht. Der Urwald wucherte wie zuvor, nur in der Hafenstadt Kingston wimmelte es von Menschen und auch von Waren. Hier lagen Zucker und Indigo, Ingwer und Baumwolle, Blauholz und Silber. Aber nichts von diesen wertvollen Gütern war auf der Insel selbst gewachsen, alles war den Spaniern geraubt. Kingston war ein Hehlernest, die Kolonie Jamaika lebte vom Zwischenhandel zwischen Seeräubern und der sehr ehrenwerten Kaufmannschaft von London. Ihre Lieferanten waren die „Flibustier“, der Schrecken des Karibischen Meeres. Wer waren die Flibustier?
Verwildertes Vieh auf einer von den Spaniern verlassenen Insel Westindiens, eine Gruppe zerlumpter Männer, die darauf Jagd macht, um den Hunger zu stillen – damit fängt ihre Geschichte an. Die schiffbrüchige Besatzung eines gestrandeten Piratenschiffes mag es gewesen sein, Engländer oder auch „Wassergeusen“, denen das Lauern auf spanische Schatzgalleonen zum Verhängnis geworden war. Männer jedenfalls, die längst jeder Zucht und Sitte entwöhnt waren. Sie sahen den Indianern die Arten der Jagd und des Konservierens der Jagdbeute ab, und bald fanden sie heraus, dass das nach indianischer Methode getrocknete Fleisch in den Hafenstädten als Schiffsvorrat guten Absatz fand. Sie verjubelten den Erlös mit Dirnen, und wenn dann das Geld ausging kehrten sie wieder zurück in ihre Jagdgründe. Weib und Kind hatten sie nicht, für nichts zu nichts zu denken.
Dann kam wohl einmal der Tag, da ihnen ein gestrandetes Schiff in die Hand fiel, das sich wieder flottmachen ließ – jedenfalls, aus den Jägern wurden Piraten, Freibeuter. „Freebooter“ hieß das englisch, und die Franzosen sprachen es wie „Flibustier“ aus. Sich selbst aber nannten diese Seeräuber, die keinem Volke und keinem Staate mehr angehören wollten und keinen Herrn über sich anerkannten als ihren Räuberhauptmann – sich selbst nannten sie „Brüder der Küste“. Denn das war nun ihr Gewerbe: sie fuhren an den Küsten des Karibischen Meeres entlang und lauerten den spanischen Kauffahrern auf. Da sie nun ihre Beute natürlich in keinem spanischen Hafen losschlagen konnten, so war ihnen Jamaika eine große Stütze. Denn das Gesindel, das hier unter einem englischen Gouverneur dem Herrgott den Tag stahl, übernahm gern den Hehlerdienst. Ohne Jamaika keine Flibustier, ohne Flibustier kein Jamaika. Die englischen Beamten wachten darüber, daß alles seinen ordentlichen Gang ging. Sie stellten Kaperbriefe aus, so dass die Flibustier sicher waren, nicht etwa einem englischen oder französischen Kriegsfahrzeug ausgeliefert zu werden; sie buchten die Ein- und die Ausgänge und erhoben die vorgeschriebenen Zollsätze, kurz, wenn die Flibustier auch nichts waren als gemeine Seeräuber, so wurden sie doch von Englands Gnaden zu behördlich konzessionierten Seeräubern. Ein Risiko, wie früher zu Drakes Zeiten, brauchten die Herren von der City bei diesem Geschäft nicht zu laufen. Das allein. trugen die Flibustier, diese Galgenvögel, ganz allein.
„No prey, no pay“ (keine Beute, kein Geld) war die Regel. Und für die Ausstellung eines Kaperbriefes hatten die Flibustier überdies noch einen Teil der Beute an den Gouverneur abzuliefern.

Die Flibustier vor Panama Um den spanischen Kolonisten Aussagen über den Verbleib ihres Vermögens zu erpressen, wandten die Flibustier beispiellos raffinierte Foltermethoden an. – Alter holländischer Stich..
Es war ein unsauberes, aber rentables Geschäft, und es ersparte der City von London die Unkosten, die sonst mit der Neugründung einer Kolonie oder einer Handelsniederlassung verbunden zu sein pflegen. Aber es hielt sich eine ganze Zeit lang nur in mittleren Grenzen, bis ein Mann es in die Hand nahm, der ihm wirklich großzügigen Charakter zu geben wusste und die Flibustier lehrte, nicht nur nach der kleinen Beute der Küstenschiffe, sondern nach den Millionen der großen spanischen Städte zu jagen.
Dieser Mann, ein würdiger Nachfolger Drakes, hieß Henry Morgan. Über seine Jugend lesen wir in alten Berichten, dass er bäuerlicher Herkunft war, aber keine Lust zur Landarbeit hatte, in den Straßen der Hafenstadt Bristol herumlungerte und dabei von Agenten aufgegriffen wurde, die ihn kurzerhand nach einer in England üblichen Methode, Arbeitskräfte für die Kolonien zu beschaffen, als Leibeigenen auf eine westindische Pflanzung verkauften. Als dort seine Dienstzeit abgelaufen war, wurde er zum zweiten Male der Landarbeit überdrüssig und schloss sich den Flibustiern an, bei denen er es dank seiner Beherztheit bald zum Kapitän brachte. Auch der damalige Gouverneur von Jamaika scheint in ihm einen Mann erkannt zu haben, der über den Durchschnitt weit herausragte, denn sonst hätte er dem Dreiunddreißigjährigen wohl nicht die Vollmacht zu einem Unternehmen ausgestellt, das nur gelingen konnte, wenn es durch seine Kühnheit und Durchtriebenheit alles in den Schatten stellte, was die Flibustier bisher zuwege gebracht hatten: dem Angriff nämlich auf die spanische Hafenstadt Puerto Bello an der atlantischen Küste der Landenge von Panama, dem Umschlagplatz des ganzen Südamerikahandels.
Der Charakter des Unternehmens war eindeutig. Es ging nicht um Eroberung, denn eine dauernde Besetzung des stark befestigten Platzes war ausgeschlossen; über kurz oder lang hätten die 500 Mann, die Morgan zur Verfügung hatte, doch einem spanischen Gegenangriff, der bei der Wichtigkeit des Ortes unausbleiblich war, weichen müssen. Es war also nicht einmal das von England proklamierte Faustrecht, das hier waltete, sondern das unverhüllte Verbrechertum, sanktioniert von den Kolonialbehörden in Jamaika und von der Regierung in London, ausgeübt gegen einen Staat, mit dem man in Frieden lebte. Puerto Bello war eine volkreiche Stadt mit starken Kastellen. Nicht mit Waffengewalt, nur mit Schrecken war es einzunehmen. Darauf gründete sich Morgans Taktik. Und sie hatte Erfolg.
Als es ihm nämlich gelungen war, in das erste Kastell mit einem Handstreich einzudringen, ließ er die überrumpelte Besatzung in einen Raum zusammenpferchen und sprengte das Kastell mitsamt den Gefangenen kaltlächelnd in die Luft. Die Explosion weckte die schlafende Stadt und scheuchte die Menschen auf die Straße.

Die Holländer vor Chatham 1667 Unbeschreibliche Panik entstand in London, als während des zweit englisch-holländischen Krieges Admiral De Ruyter überraschend an der Themsemündung erschien und Truppen an Land setzte. – Nach dem Gemälde von W. Schellinks.
Die Kunde vom Herannahen der Flibustier verbreitete Entsetzen. Die Verängstigten packten ihr Geld und ihre Juwelen zusammen und suchten sie in Sicherheit zu bringen, in Brunnen, in Zisternen, irgendwo. Dieses Durcheinander, das dem spanischen Gouverneur die Möglichkeit benahm, die Bevölkerung im Hauptkastell zu versammeln, wie es der Verteidigungsplan vorsah, passte trefflich in Morgans Berechnung. Er ließ seine Leute in der Stadt ausschwärmen und befahl ihnen, den Bewohnern nicht nur alles abzunehmen, was sie an Geld und Wertsachen noch bei sich führten, sondern vor allem auch „so viele Mönche und Nonnen zu ihm zu bringen, als sie deren habhaft werden könnten“ (wie der Chronist der Flibustier berichtet).
Welchen Zweck er mit dieser letzteren Maßnahme verfolgte, zeigte der weitere Verlauf. Nachdem Morgan nämlich bei einem ersten Versuch, das Hauptkastell zu stürmen, einige Dutzend seiner Leute verloren hatte – die Spanier verteidigten sich, indem sie Steine und Töpfe siedenden Öls auf die Angreifer hinabwarfen – führte er die Mönche und Nonnen ins Feld. Er ließ in aller Eile breite Leitern zimmern, auf denen drei oder vier Leute nebeneinander klettern konnten, und zwang die Klosterleute, diese Leitern zu halten.
Doch die grausame Kriegslist verfing nicht. Wohl flehten die Ärmsten von unten her den Gouverneur an, er möge das Kastell übergeben, um ihrer aller Leben zu schonen, aber der spanische Offizier wusste, was er von den Versprechungen der Flibustier zu halten hatte, und befahl seinen Leuten, weiter zu kämpfen. Nicht wenige der Mönche und Nonnen wurden von dem siedenden 01 getötet; doch schließlich gelang es, die Leitern anzulegen und sie zu erklettern. Die Spanier hatten ihre Munition verschossen, ein paar Handgranaten räumten unter ihnen auf. Die Festung war gefallen. Der Rest der Besatzung wurde getötet, die Stadt den Flibustiern zur Plünderung überlassen. Morgan sah kühl dem Treiben zu, das nun anhob; er überantwortete die Frauen und Kinder der Stadt den schändlichen Ausschweifungen seiner Leute, die sich schließlich in solchem Zustande befanden, dass, wie der Chronist meldet, „fünfzig beherzte Leute die Stadt hätten wiedernehmen und allen Piraten den Garaus machen können“. Morgan selbst nahm nicht an den Gelagen teil, er war ein kühler Rechner. Er wartete, bis seine Leute ihren Rausch ausgeschlafen hatten, und dann, ehe er sich mit ihnen wieder auf die Schiffe begab, brandschatzte er die ausgeplünderte Stadt. Die Beute, die er mit nach Jamaika führte, war stattlich genug. Jeder Flibustier erhielt etwa 10000 Mark (heutigen Wertes). Und doch war alles nur ein Vorgeschmack von dem, was Morgan noch im Sinne hatte. Er gedachte nämlich, alle Taten seiner Vorgänger im Seeräubergewerbe zu überbieten und nichts Geringeres zu erbeuten als die Stadt Panama selbst am Stillen Ozean, die bis dahin noch nie einen Engländer gesehen hatte. Wirklich fand sein Plan, den Marsch über die Landenge anzutreten und sich der sagenhaften Schätze Panamas zu bemächtigen, die Billigung des Gouverneurs, der sich davon einen weiteren Aufschwung seiner Hehlerkolonie und eine Belobigung von Seiten der Londoner Regierung versprach. Kaum hatte allerdings Morgan mit seiner Räuberflotte Kingston verlassen, da traf ein Schreiben aus London ein, das den Gouverneur nicht wenig bestürzte. Darin hieß es nämlich, es seien Verhandlungen mit Madrid wegen der endgültigen Anerkennung des englischen Handels und der englischen Kolonien in Westindien im Gange, und daher sollten bis auf weiteres keine Kaperbriefe mehr an Flibustier ausgestellt werden. Es blieb dem Gouverneur also nichts übrig, als Morgan eine Gegenorder zu erteilen. Aber die Antwort, die der Räuberhauptmann ihm zukommen ließ, vermochte wieder neue Hoffnungen in ihm zu erwecken. „Nur um Wasser, Lebensmittel oder Holz einzunehmen, werde ich auf spanischem Boden landen“, so schrieb Morgan; „dagegen werde ich keinen Spanier antasten – es sei denn, ich erhielte Nachricht, dass man von spanischer Seite einen Anschlag auf Jamaika vorhat.“
Der Gouverneur konnte zufrieden sein. „Es sei denn. . .“ Nun denn, es war nicht daran zu zweifeln, dass Morgan in der Stunde, die ihm recht schien, im Besitz einer solchen Nachricht sein würde …
So verhandelte man denn in Madrid in aller Güte und Umständlichkeit über einen endgültigen Frieden in Westindien, und der englische Botschafter versicherte, dass die Waffenruhe von Seiten seiner Regierung gesichert sei. Währenddessen aber zog Morgan mit sechshundert Flibustiern über die Landenge von Panama, um zu sengen und zu rauben.
Leicht wurde es ihnen nicht gemacht, ihr Ziel zu erreichen. Die Spanier, von Indianern über das Nahen des Feindes unterrichtet, hatten alle Stationen geräumt und alle Vorräte beiseite geschafft. Zu essen fanden die Flibustier kaum einmal etwas, und sie mussten froh sein, als sie eines Abends in einer verlassen Hütte ein paar leere Ledersäcke fanden, aus denen sie sich ein Nachtmahl bereiten konnten. Kurz: Xenophons Zehntausend können das Meer nicht mit größerer Erleichterung begrüßt haben als Morgans Sechshundert den Stillen Ozean und an seinem Rande den Turm der Kathedrale von Panama. „Alle Trompeten wurden geblasen und alle Trommeln gerührt, zum Zeichen, wie sehr sich ihre Geister wieder belebt hatten.“
Aber das Schlimmste stand ihnen noch bevor. Denn ehe sie Zeit gefunden hatten, ihre Kräfte zu sammeln, wurden sie von den Spaniern angegriffen. Reiterei und Infanterie stürmten auf sie ein, dazu auch eine Schar wilder Stiere, die die Spanier auf sie losließen. Aber das Glück war mit Morgan und seinen Flibustiern, die Stiere erschraken vor dem Musketenknallen und liefen davon; die Pferde sanken in den vom Regen durchweichten Boden ein und konnten nicht voran, und die Infanterie war den Flibustiern im Schiessen unterlegen. Nach zweistündigem Gefecht stand Morgan mit seiner, allerdings stark gelichteten Schar am Eingang der Stadt. Die Spanier, kopflos geworden, sprengten selbst das Fort in die Luft. Ein kurzer Widerstand auf dem Marktplatz – dann war Panama in Morgans Händen.
Diesmal verbot er seinen Leuten den Genus von Wein. Er sagte, die Spanier hätten ihn vergiftet. Der wahre Grund war, dass er sie nüchtern halten wollte, denn die Hauptarbeit lag noch vor ihnen: das Einbringen der Beute. Es wurde eine schwere Arbeit; als es Mitternacht vom Turm der Kathedrale schlug, flammte es an allen Stellen der Stadt auf. Die Bewohner hatten durch ihre Negersklaven die Häuser in Brand stecken lassen. Sie selbst waren geflohen, und es war nun die Sache der Flibustier, sie aus Wäldern und Bergen wieder herbeizuholen.
Tag für Tag wurden Streifen ausgeschickt und brachten Gefangene heim, bis es schließlich an die dreitausend waren. Sie mussten angeben, wo sie ihr Gold und Silber versteckt hatten, und wenn sie das nicht taten, wurden sie gefoltert. „Da wurde etwa“, erzählt der Chronist, „ein armer Kerl gefunden, der in der allgemeinen Verwirrung die Tafthosen eines vornehmen Mannes angezogen hatte, an deren Gurt ein kleiner silberner Schlüssel hing. Wie das nun die Piraten bemerkten, fragten sie ihn, wo der Schrank zu diesem Schlüssel sei. Als er darüber nichts zu sagen wusste, legten sie ihn auf die Folterbank und renkten ihm die Arme aus. Dann legten sie einen Strick um seine Stirn, an dem sie heftig zogen, dass seine Augen groß wurden wie Eier und fast aus dem Schädel fielen. Doch auch damit konnten sie ihm keine Angaben entlocken. Worauf sie ihn dann an den Armen aufhängten, ihm die Nase und die Ohren abschnitten und ihm das Gesicht mit brennendem Stroh versengten, bis er keinen Laut mehr von sich gab. Als sie nun alle Hoffnung verloren hatten, von ihm etwas zu erfahren, befahlen sie einem Neger, ihm eine Lanze durch den Leib zu rennen, womit denn sowohl sein Leben als ihr Vergnügen ein Ende fand.“
In vielen anderen Fällen muss die Folter besseren Erfolg gezeitigt haben. Jedenfalls: als Morgan nach vier Wochen Panama wieder verließ, führte er fünfundsiebzig Lasttiere mit sich, die Silber, Gold, Kirchengeräte und andere Schätze auf dem Rücken trugen, für etwa zehn Millionen Mark in heutigem Gelde. Der Gouverneur frohlockte; denn sein Anteil an der Beute machte ihn zum schwerreichen Mann. Die Flibustier aber hatten reichlich Grund zur Klage. Denn als vor der Einschiffung nach Jamaika die Lasttiere abgeladen wurden, erklärte ihnen Morgan, auf jeden holländindischen Smyrnaflotte eröffnete (1672), so konnte es ihn auch, während Frankreich gegen ganz Europa im Felde stand, unbehelligt als Kaperkrieg fortführen.

Die Landung Wilhelms III. von Oranien Durch den Oranier, der von der Plutokratenpartei der Whigs herbeigerufen wurde, am 5. November 1688 an der Westküste Englands landete und den letzten Stuartkönig Jakob IL zur Flucht zwang, wurde Holland endgültig ins Schlepptau der englischen Politik genommen. – Nach einer Miniatur von W. Schellinks.
Und als dann nach zwei Jahren das Ziel erreicht, die holländindische Handelsflotte dezimiert ist, da überlässt England es Frankreich, allein mit den Großmächten des Festlandes fertig zu werden und schließt Frieden mit Holland, das froh ist, den Kampf zur See beizulegen. Es erkauft sich die Möglichkeit, gegen Frankreich weiteren Widerstand zu leisten, mit der Preisgabe seiner Vormacht zur See.
Damals fasste also England auf Kosten Hollands, das die Position gewonnen und ausgebaut hatte, Fuß an die Guinea-Küste Westafrikas, dem Gebiete des Sklavenexports. Was Hawkins einst den Portugiesen ablisten musste, das zwang jetzt England dem in Not befindlichen Erben des portugiesischen Imperiums, Holland, durch Erpressung ab und schuf sich damit die Grundlage, auf der es in den folgenden Jahrzehnten zum Inhaber eines Monopols für Sklavenhandel, zum größten und skrupellosesten Sklavenhändler aller Zeiten werden konnte.

Die Seeschlacht bei La Hogue Nachdem Holland unschädlich gemacht worden war, wurde Ludwig XIV. von der britischen Plutokratie zum Weltfeind Nr. 1 erklärt. Mit Hilfe der Holländer gelang es, bei La Hogue 102 die französische Flotte zu vernichten. Gemälde von Benjamin West.
Die Rechtfertigung, die einst Spanien und Portugal für die Einführung der Negersklaverei hatten geltend machen können, dass es ihnen nämlich an Arbeitskräften für ihre tropischen Kolonien gebrach, konnte England nur in bescheidenem Maße für sich in Anspruch nehmen. Wie die Begebenheiten in Jamaika zeigten, lag ihm nicht gerade viel an Pflanzerkolonien, um so mehr aber an dem Handelsgewinn, den die Einrichtung der Sklaverei in sich schloss. Von dem amerikanischen Besitz der Holländer nahm es sich daher in dem Friedensschlusse von Westminster (1674) nicht die westindischen Inseln, Curacao etwa, sondern die blühende Handelsstadt Neu-Amsterdam mit ihrem Hinterland, die es allerdings schon vor acht Jahren überfallen und besetzt hatte. Die Stadt selbst, nicht nur die größte, sondern auch die einzige blühende Stadt Nordamerikas damals, wurde dem Bruder des Königs, dem Herzog von York, zum Geschenk gemacht und führte fortab den Namen New York. Auch hier also, auf dem zukunftsreichsten aller ihrer Kolonialgebiete, schufen die Engländer nichts Neues, sondern drängten sich mit Gewalt an einen gedeckten Tisch.
Nicht aus eigener Kraft hatten sie Holland niedergerungen, sondern mit der Drohung des französischen Schwertes. Und nun hatten sie sich selbst aus dem Kampfe herausgezogen – in der Hoffnung, daß auch Frankreich sich ebenso wie Holland verbluten werde.
EIN HUNDERTJÄHRIGER KRIEG
Der Kampf um Spanien
Aus dem Niedergang der spanischen Weltmacht hatte einst nicht England, sondern Holland die Kraft zum Aufstieg gefunden. Jetzt, nachdem Hollands Seemacht gelähmt war, ging zum zweiten Mal Englands Rechnung nicht auf. Vergeblich wähnte es, nun, während der Kontinent vom Kriege zerrissen wurde, unbehelligt in die Stellung der größten Überseemacht einrücken zu können.
Denn Frankreich, der Bundesgenosse, den England nach bewährter Methode im Kampfe gegen die europäische Koalition allein gelassen hatte, erlag wider Erwarten nicht, sondern stieg in diesem schweren Kampfe dank der Überlegenheit seiner Feldherren, seiner militärischen Organisation und seiner finanziellen Rüstung zur ersten Macht des Festlandes auf. Turenne, Louvois und Colbert – diese drei erhoben Ludwig XIV. zum glänzendsten Herrscher Europas. Und was für England besonders bitter war, die führenden Staatsmänner Frankreichs, vor allem Colbert, sahen nicht wie vorher noch Mazarin allein auf das Festland, sondern erkannten, dass Frankreichs Vorherrschaft in Europa ihren Rückhalt in einem starken Kolonialreich finden mußte.
Der Ausbreitung Frankreichs in Europa auf Kosten Spaniens, Hollands und des Deutschen Reiches hätte England beruhigt zusehen können, solange nur Frankreich eine kontinentale Militärmacht blieb. Es gehört zu den seltsamen Erfolgen englischer Propagandatricks, dass die Welt lange geglaubt hat, England habe sich allein um des „europäischen Gleichgewichtes“ willen seit den Tagen, da Ludwig XIV. auf der Höhe seiner Macht stand, gegen Frankreich gewandt. Auch in unseren deutschen Schulgeschichtsbüchern pflegte bis vor kurzem die Beteiligung Englands an den Kriegen im Zeitalter Ludwigs XIV., Friedrichs des Großen und Napoleons so dargestellt zu werden, als sei sie aus einem gewissermaßen schiedsrichterlichen Interesse an der gleichmäßigen Verteilung der Macht in Europa erfolgt. Die Verschiebungen im Kolonialbesitz erschienen demgegenüber als ein bloßes Anhängsel, sozusagen als eine Zugabe. In Wahrheit haben die Dinge aber jederzeit genau umgekehrt gelegen: England richtet sein Verhalten zu den europäischen Mächten ausschließlich danach ein, ob diese Mächte ihm in seinen überseeischen Interessen hinderlich sein können oder nicht. Nicht die Militärmacht, die ihren festländischen Nachbarn überlegen ist, wird, wie die Gechichte beweist, von England als Gefahr empfunden, wenn das auch zumeist von der englischen Propaganda in den Vordergrund geschoben wird, sondern diejenige Macht, die industriell und handelspolitisch eine eigene Initiative entfaltet. Die mehr als hundertjährige Gegnerschaft Englands gegen Frankreich, die, mit unwesentlichen Unterbrechungen, von 1688 bis 1815 währte, ist nur unter diesen Gesichtspunkten richtig zu verstehen. Nicht der Raub des Elsaß, nicht die Verbrennung der Pfalz, also nicht das, woran wir Deutsche zuerst denken, wenn wir den Namen des Sonnenkönigs aussprechen, war es, was England zum Feinde Frankreichs machte, sondern die handelspolitische und koloniale Aktivität, die das Frankreich Ludwigs XIV. unter Colbert und seinen Nachfolgern entfaltete.
Schon am Anfang des Jahrhunderts hatten französische Kaufleute Faktoreien in Madagaskar gegründet. 1664 nun rief Colbert die Französische Ostindienkompanie ins Leben, an der sich König Ludwig XIV. mit einem Grundkapital von dreißig Millionen Mark (heutigen Wertes) beteiligte; er stellte das Kapital zinsfrei zur Verfügung, denn er war wohl ein wirtschaftlich denkender Fürst, aber nicht ein Krämer wie Elisabeth. Bald gab es französische Faktoreien in Indien – Pondichèry vor allem (seit 1673) -, die es mit den englischen an Betriebsamkeit wohl aufnehmen konnten. Ein nicht geringer Teil des Handels wurde nach Frankreich abgelenkt; zur alten Hafenstadt des Levantehandels, gestellten sich nun die atlantischen Häfen Bordeaux deren Speicher sich mit den Produkten der mit Gewürzen, Zucker, Indigo, Kaffee und Tabak füllten. Und nicht zuletzt auch mit Baumwolle. Denn im Frankreich Colberts erstand, vom Staate organisiert und gefordert, eine vielseitige Industrie, voran die Produktion wollener und baumwollener Tuche.

John Churchill, Herzog von Marlborough – Der Vorfahr Winston Churchills, ein Feldherr von Rang, aber ein Mann von zweifelhaftem Ruf, kommandierte im Spanischen Erbfolgekrieg (1701-1714) die englischen Armeen auf dem Festland, die allerdings zum größten Teil aus deutschen Soldaten bestanden. Gemälde von Adriaen van der Werff.
Dies alles war schon bedenklich genug. Schlimmer aber war, dass das Frankreich Colberts auch in Amerika eine starke Aktivität entfaltete. Eine französische Kolonie an den Ufern des St.- Lorenz- Stroms, die Kolonie Kanada, bestand schon seit der Zeit Richelieus.
Nun förderte Colbert, dieser hervorragendste Wirtspolitiker seines Jahrhunderts, die Ansiedlung und die Industrie in diesem „neuen Frankreich“. In den siebziger Jahren bereits hat sich die Zahl der Kolonisten verdoppelt. Getreide-, Hanf- und Flachsfelder dehnen sich aus, Spinnräder schnurren, in den Schmieden dröhnt der Hammer, Fischerflotten fahren aus, und auf den weiten Ebenen weiden die Herden. Und zur gleichen Zeit arbeiten sich wagemutige Soldaten und Forscher von dem Gebiet der Großen Seen aus südwärts vor. Große Flussläufe werden gefunden, der Illinois, der Ohio, der Missouri und schließlich der gewaltige Mississippi selbst bis zu seiner Mündung im Golf von Mexiko. Die englischen Kolonien liegen alle an der Küste und in dem schmalen Hinterland. Kein englischer Soldat, kein englischer Forscher hat sich jemals über die Sperre der Rocky Mountains hinübergewagt, das Innere des Kontinents ist im wahren Sinne des Wortes herrenloses Gebiet. Wer kann den Franzosen das Recht streitig machen, wenn sie es jetzt für ihren König in Anspruch nehmen und es „Louisiana“ nennen? Die Engländer am allerwenigsten.
Aber ihnen ist die Aktivität der Franzosen ein Dorn im Auge; die Kette von Posten und kleinen befestigten Plätzen, die sich von den Großen Seen bis zum Golf von Mexiko erstreckt, ist ihnen unbehaglich. Es sieht doch aus, als könne der ganze Kontinent einmal französisch werden …
Es ist besonders ärgerlich für England, dass diese starke und zielbewusste Aktivität gerade in die Zeit fällt, da es gedachte, sich aus den Trümmern der holländischen Seemacht selbst die unbestrittene Weltherrschaft zu bauen. Wieder einmal ist es so gekommen, dass England in dem Wettlauf um die Reichtümer der Welt der Hase ist – und diesmal ist Frankreich der Swinegel. Darum also wird Frankreich von nun an der Erbfeind und bleibt es über ein Jahrhundert lang, bis die kontinentalen Verbündeten Englands, seine „Festlandsdegen“, ihm die Vormacht erkämpft haben.
Denn in diesem Zweikampf mit Frankreich bildet England nun jene Methode aus, die es in dem letzten Kriege gegen Holland (1672-1674) zuerst erprobt hatte: die Methode, die den direkten Angriff auf das Land des Gegners meidet und sich statt dessen der festländischen Gegnerschaften, die Frankreich aus seiner Expansionstendenz erwachsen müssen, bedient. Solange der Gegensatz der Häuser Bourbon und Habsburg die europäischen Verhältnisse bestimmt, ist es Österreich, das zugleich Englands Schlachten schlägt; dann, als Wien und Paris sich einander genähert haben, ist es Preußen – und schließlich ist es die ganze große Koalition der Mächte, die sich gegen Napoleon zusammengeschlossen hat.
Der Mann, der England diese Methode gelehrt hat, war ein Holländer, nämlich Wilhelm III., der Oranier, der 1688 dank der „glorreichen Revolution“ an die Stelle des letzten Stuart Jakob Il. getreten war. Der Oranier, Jakobs Schwiegersohn, landete zur rechten Zeit in England; die Hauptstadt erklärte sich für ihn, und Jakob musste der Krone entsagen. Damit war für alle Zukunft die Führerstellung der Monarchie in England gebrochen; das Zeitalter der Parlamentsherrschaft und damit der City- Plutokratie hob an. Der neue König aus Holland bequemte sich gern zu den Zugeständnissen, die die Macht der Krone einengten; denn für ihn, den Holländer, war England vor allem das Land, das den Ring um Ludwig XIV. schloß.
Wenn der Oranier die Eindämmung der französischen Vormacht zur Aufgabe seines Landes machte, so schwebte ihm dabei vor allem die Erhaltung der Selbständigkeit seines Vaterlandes vor. Und soweit hat seine Politik auch Erfolg gehabt. Während aber Holland, durch die Lasten des langwierigen Festlandskrieges immer mehr gedrückt, der Stärkung seiner Seemacht immer weniger Aufmerksamkeit zuwandte, konnte England seine ganze Kraft auf die überseeische Ausbreitung lenken. So wirkte der Mann, den die breite Masse in England bis an das Ende seiner Regierung (1702) als Fremden betrachtete und der auch wirklich nie aufhörte, als Niederländer zu fühlen, doch, ohne es eigentlich zu wollen, mehr zu Englands als zu seines Vaterlandes Gunsten.

Praktisches Christentum – Im Vertrag von Utrecht 1713 hatte England eins seiner wichtigsten Kriegsziele erreicht: ihm fiel das Monopol des Sklavenhandels nach Amerika zu. Während die Kassen der Plutokratie sich füllten, wurden Millionen von Negern in grausamster Weise aus ihrer Heimat verschleppt. – Zeichnung des Engländers R. Newton (1790
Während die Kassen der Plutokratie sich füllten, wurden Millionen von Negern in Als daher im Jahre 1692 die vereinigten Flotten Englands und Hollands in der großen Seeschlacht bei La Hogue die französische Kriegsmarine vernichtet hatten, schlug das vor allem zum Nutzen Englands aus. Die Folge war eine der glänzendsten Konjunkturen, die die englische Wirtschaft bisher erlebt hatte.
Das sichtbarste Zeichen dieser Konjunktur war die Gründung der Bank von England (1694), nicht einer staatlichen Bank übrigens, sondern einer Bank von Privatleuten, die am Staat verdienen wollten und auch verdienten. Denn sie trat dadurch ins Leben, dass ein Konsortium von City- Plutokraten dem Staat für die Bedürfnisse seiner Kriegführung den Betrag von 200 Millionen Mark (heutigen Wertes) vorstreckte und sich dafür „verschiedene Abgaben und Zölle, sowohl auf dem Raumgehalt der Schiffe und Boote, als auf Bier, Dünnbier und andere geistige Getränke“ verschreiben ließ.
Eine der weltgeschichtlichen Ironien, an denen Englands Geschichte so reich ist, wollte es, dass der erste „Gouverneur“, wie der Präsident der Bank von England genannt wurde, ein Franzose war, der Hugenotte Sir John Houblon. Denn wiederum stärkte damals, wie einst zurzeit, da die Wolle Englands Glück machte, ein Zustrom tüchtiger Ausländer, Franzosen und Holländer, die Leistungsfähigkeit und wirtschaftliche Wendigkeit der Handeltreibenden Kreise Englands.
Es war schon im Kampfe gegen Spanien und dann gegen Holland nicht Englands Art gewesen, mit einem Schlage die Vernichtung des Gegners anzustreben, und wenn dieser Schlag misslang, den Vergleich zu suchen. Es war vielmehr schon ein erprobtes Mittel, sich des „Friedensschlusses“ als einer zeitweiligen Waffenruhe und als einer Gelegenheit zu weiterer Rüstung und diplomatischer Vorarbeit zu bedienen. So wurde denn auch der Friedensschluss von Ryswyk (1697) von England ganz bewusst als eine Pause aufgefasst, während der es sich zu neuem Schlage stärken wollte. Denn auf die Hochkonjunktur nach der Schlacht bei La Hogue war wenige Jahre später eine schwere Krise gefolgt, die, wie die Krise am Ende der „Gründerzeit“ in Deutschland nach 1870, auf fieberhafte Überspekulation und verfehlte Kapitalsanlagen zurückging. Das Geld wurde knapp, ein Run auf ihre Schalter veranlasste die Bank von England zur Einstellung ihrer Zahlungen. Es war Zeit, bei den Verbündeten für Frieden zu plädieren. Mit der Vernichtung der französischen Kriegsmarine war ja ohnedies eins der wichtigsten Kriegsziele Englands erreicht.
Ganze vier Jahre währte der Friedenszustand, dann lieferte Ludwig XIV. der englischen Propaganda den Anlass, wieder mit vollen Segeln auf Kreuzzugsfahrt zu gehen. Karl II., der letzte habsburgische Spanier, war gestorben, und der Enkel Ludwigs XIV., Philipp von Anjou, wurde zu seinem Nachfolger aufgerufen. Das Recht auf die Erbfolge der Bourbonen war von England nicht bestritten worden; im Gegenteil, die englische Diplomatie hatte, ehe der spanische König starb, in Paris sondiert, inwieweit Ludwig der XIV. auf das Reich seines Enkels, dessen Thronfolge man ausdrücklich anerkannte, Einfluss zu nehmen gedachte, und erst als es misslungen war, ihm Zugeständnisse zugunsten Englands abzugewinnen, entdeckte man in London, dass die Vereinigung der spanischen und der französischen Krone in einer Dynastie eine große Gefahr für ganz Europa sein werde. „Europas Freiheiten sind bedroht“, so verkündete Wilhelm III. und warb für den Kreuzzug gegen den Unterdrücker der „kleinen Völker“.

Auf einem Sklavenschiff – Gegen die unwürdige, vielfach sadistischen Gelüsten entspringende Behandlung der Negersklaven regte sich selbst in England schließlich die Empörung. Doch die Vorkämpfer für Abschaffung des Sklavenhandels konnten ihr Ziel erst erreichen, als die Sklavenwirtschaft unrentabel wurde (1833)
Es mag dahinstehen, ob die Vereinigung Spaniens mit Frankreich wirklich für die Mächte des europäischen Festlandes unerträglich gewesen wäre. Am Ende des Krieges jedenfalls, der dreizehn Jahre lang unter dieser Parole in Deutschland, den Niederlanden und Italien tobte und der in den Geschichtsbüchern der „Spanische Erbfolgekrieg“ heißt, obwohl er besser der „Krieg um die spanische Konkursmasse“ benannt würde, am Ende dieses Krieges blieb es bei der bourbonischen Nachfolge in Spanien, ohne dass den „Freiheiten Europas“ daraus ein Schade erwuchs. „Dass die habsburgische Hauspolitik, soeben durch große Erfolge über die Türken in ihrer Unternehmungslust gekräftigt, diese Vereinigung nicht zugeben wollte und ihre vermeintlichen besseren Ansprüche auf den spanischen Thron geltend machte, wussten Wilhelm III. und seine Diplomaten geschickt auszunutzen. Für sie ging es ja in Wirklichkeit nicht um die Frage, ob eine Dynastie in Europa das Übergewicht erhielt (dann hätten sie auch gegen eine habsburgische Nachfolge in Spanien kämpfen müssen), sondern darum, ob von Paris oder von Wien aus stärkerer Widerstand gegen die überseeische Ausbreitung Englands zu erwarten war.
Da konnte nun kein Zweifel sein. Frankreich hatte soeben seine Leistungsfähigkeit als Kolonialmacht, sowohl was den privaten Unternehmungsgeist als was die Zielbewusstheit der staatlichen Verwaltung anbetraf, auf eine für England recht empfindliche Art bewiesen, und in Indien wie in Amerika regten sich nach wie vor französische Siedler und Kaufleute, Soldaten und Seefahrer. Unter französischer Leitung musste also das spanische Kolonialreich einen neuen Aufschwung erfahren; von Kanada bis nach Feuerland ein einziges Kolonialgebiet, nach den Grundsätzen Colberts, den Grundsätzen wirtschaftlicher Rationalität ausgenutzt, nicht starr wie das spanische System, sondern beweglich, wachsam, anpassungsfähig und außerdem gewiss nicht zu Konzessionen an England geneigt – das musste das Ende der englischen Hoffnungen auf Amerika sein. Dagegen der Erzherzog aus Wien, was brachte er nach Madrid mit, das dem verfallenden spanischen Kolonialsystem neuen Aufschwung hätte geben können? Die Wahl war nicht schwer, und die Geneigtheit in Wien, den englischen Angeboten Gehör zu schenken, ließ das Beste erwarten. Hilfstruppen zu stellen musste England allerdings zusagen. Aber das Wesentliche bewilligte der Kaiser ohne Zögern: England und Holland (auch Holland, denn noch saß ja Wilhelm III. auf dem englischen Thron) sollten alles, was ihnen während des Krieges an Eroberungen in Amerika gelänge, auch nach dem Kriege als ihr Eigentum betrachten können. So wurde Österreich der „Festlandsdegen“ für England und blieb es ein halbes Jahrhundert lang. Alle glänzenden Waffentaten, alle Siege des Prinzen Eugen konnten nicht verhindern, dass sich Österreich und mit ihm ganz Deutschland zermürbten für die Interessen Englands.
Angeblich um die Existenz Spaniens zu retten, hatte England den Krieg entfesselt. Dass aber in Wahrheit Spanien das Schlachtopfer war, zeigte schon in den ersten Jahren des Krieges eine echt englische Gewalttat, die bis heute ungesühnt geblieben ist. Man vergaß in England nicht, dass einst zu den Zeiten Elisabeths Spanien und andere Mittelmeerstaaten Miene gemacht hatten, die Straße von Gibraltar für englische Schiffe zu sperren. Das geschwächte Spanien hatte mit dieser Drohung nie Ernst machen können. Nun aber, wenn das bourbonische Doppelreich die stärkste Mittelmeermacht werden würde, musste da nicht die Schließung des Einganges ins Mittelmeer eine wirksame Waffe gegen England werden? Große Kapitalien waren in den Wollexport nach den türkischen Ländern und in die Einfuhr von Korinthen, Ölen und Arzneimitteln investiert. Der englische Levantehandel, der ja damals noch infolge der Sperre, die das Osmanenreich über den ganzen Vorderen Orient legte, vom Indienhandel getrennt war, galt mit Recht als ein starker Posten im Haushalt der englischen Wirtschaft.

Englischer Totentanz – Die Zeichnung des Franzosen Willette stammt aus den Tagen, da England grausames Vorgehen gegen die Buren überall Empörung weckte (1899). Sie trägt die Unterschrift: „An dem Tage, da das perfide Albion krepiert, wird Freude auf Erden sein.“
Um der englischen Interessen im Mittelmeer willen hatte schon Cromwell ein Auge auf den Felsen von Gibraltar geworfen. Auch in Spanien hatte es nicht an Männern gefehlt, die die Bedeutung dieses Platzes erkannten und für den Ausbau einer starken Verteidigungsstellung eintraten. „Gibraltar ist der bedeutendste Platz an den Küsten des atlantischen und mittelländischen Meeres“, so schrieb ein spanischer Staatsmann unter den letzten Habsburgern; „der Feind, der es einnimmt, kann sich zum Herrn beider Meere machen und den gesamten Handel nach dem Orient in seine Gewalt bringen.“ Trotzdem hatte die schwerfällige und lahme spanische Militärverwaltung nichts unternommen, um den wichtigen Ort zu sichern, und auch jetzt, zu Beginn des Krieges, war alles beim alten geblieben, obwohl der Kommandant von Gibraltar in Madrid dringende Vorstellungen erhob. Diese Fahrlässigkeit wog um so schwerer, als dem Felsen, der die Meerenge beherrschte, auch unmittelbare strategische Bedeutung zukam. Frankreich konnte zur See nur dann mit Aussicht auf Erfolg auftreten wenn es ihm gelang, seine Mittelmeerflotte mit der atlantischen zu vereinigen, und eben dies konnte verhindert werden, wenn sich der Gegner am Felsen Gibraltar festsetzte. Dieses aktuelle Motiv war es, das für die deutschen Generale, die dem Erzherzog den Einmarsch von Madrid erkämpfen sollten, den Ausschlag gab. An die englischen Levante-Interessen dachten sie natürlich nicht. Aber sie konnten für eine gewaltsame Landung an der spanischen Küste die Hilfe der englischen Flotte nicht entbehren, und so kam für England – Gelegenheit macht Diebe – die Stunde einer neuen Räuberei.
Es waren deutsche Truppen, die unter Befehl Landgrafen Georg von Hessen- Darmstadt am 1. August 1704 im Schutze der englischen Schiffsgeschütze die schmale Landenge, die zum Felsen von Gibraltar führt, besetzten Und nach zweitägigem Bombardement konnte man den allzu schwach befestigten Hafen einnehmen. So verstand sich von selbst, dass auf den eroberten Festungswällen deutsche Flaggen gehisst wurden, der habsburgische Doppeladler und der hessische Löwe. Die Absicht war ja, dem Erzherzog als dem rechtmäßigen König von Spanien, sein Land untertan zu machen.
Aber der englische Admiral Rooke war anderer Ansieht. Sobald der Landgraf sich fortbegeben hatte, um an einer anderen Stelle des Kriegsschauplatzes das Kommando zu übernehmen, sah die spanische Bevölkerung zu ihrem Erstaunen, wie die Fahne des Erzherzogs, ihres Königs, heruntergeholt und statt dessen die englische Flagge aufgezogen wurde. Rooke hatte Gibraltar als englisches Gebiet erklärt!
Als dann allerdings Spanier und Franzosen gemeinsam versuchten, den so leichtfertig preisgegeben Platz durch Angriffe vom Lande und von der See aus zu gewinnen, da war der Landgraf wieder nötig, um den Engländern ihre Beute zu erhalten. Deutsche Truppen sicherten in opfervollen Kämpfen den Engländern den Besitz des Felsens …
Was hingegen die englischen Besatzungstruppen bestraf, so tobten sie ihre Kampfeslust an der wehrlosen spanischen Bevölkerung von Gibraltar aus und, als wollten sie zeigen, wie sie den „Protestantismus“ verstanden, zogen sie zu dem von ganz Spanien verehrten wundertätigen Bilde der Maria mit dem Jesusknaben an der Südspitze der Halbinsel, der „Lieben Frau von Europa“, und schnitten, um die Wunderkraft des Bildes auf die Probe zu stellen, den Kopf des Jesusknaben ab.
Der Kaiser hatte den Engländern Amerika geschenkt. Sie nahmen es nicht. Sie hätten es nur nehmen können, wenn die spanischen Kolonien sich freiwillig unter englische Botmäßigkeit begeben hätten. Eine solche Losreißung Amerikas aus dem spanischen Imperium wurde auch wirklich während des Krieges von England versucht. Es ergingen Aufrufe an sämtliche Kolonisten, sie sollten sich gegen den bourbonischen König erheben und das „Joch der fremden Tyrannei“ abschütteln zugunsten des Erzherzogs von Wien, so hieß es weiter; denn über dessen Zusagen an England verlautete wohlweislich kein Wort. Aber die Kolonisten hörten nicht auf den Ruf, und so wurde das hauptsächlichste Kriegsziel Englands nicht erreicht.
Von dem Augenblick an, da das feststand, hatte England kein wesentliches Interesse an der Fortführung des Krieges mehr und schlug den Weg von Verhandlungen ein. Überdies war nach zehnjähriger Dauer des Krieges, im Jahre 1711, der Erzherzog Karl selbst Kaiser geworden, und die Wiedervereinigung der Imperien Spaniens und Österreichs in einer und derselben Hand war in London noch weniger erwünscht als die Fortdauer der Herrschaft des bequemen und leicht lenkbaren Philipp V. Die Hauptgefahr, Ludwig XIV. als Gebieter eines weltweiten überseeischen Reiches, drohte nicht mehr. Der Kampf auf dem Festland hatte alle Kräfte Frankreichs in Anspruch genommen, und bald nach Beginn des Krieges war die französische Kriegsflagge von den Ozeanen verschwunden. Mochte Frankreich immerhin auch nach dem Kriege als stärkste Macht in Europa selbst dastehen – seine Expansionskraft war gelähmt.
Auf der Höhe seiner Erfolge hatte der Sonnenkönig sich von Spanien das Monopol des Negerimports in die amerikanischen Kolonien übertragen lassen. Musste nun nicht dieses Monopol als reife Frucht des Krieges England zufallen?

Der Schwindel mit den Südsee -Aktien – Eine bezeichnende Episode aus dem Werdegang der britischen Plutokratie: alle Schichten der Gesellschaft stürzen sich auf die Aktien der „Südsee- Gesellschaft“. Die Gründer dieses Schwindelunternehmens lockten die Käufer mit Hoffnungen auf Raubzüge in Amerika und märchenhafte Gewinne. – Gemälde von E. W. Ward.
So geschah es in der Tat. Durch einen großherzigen Verzicht auf koloniale Abtretungen erreichten die politischen Sachwalter der City von London, daß Spanien im Friedensschluss von Utrecht (Juli 1713) England das begehrte Monopol zusprach. Was Hawkins einst als Schmuggel begonnen, war jetzt legaler Handel geworden. Das Ansehen Englands bei den Negerhäuptlingen, die für die City auf Sklavenjagd gingen, hob sich mehr und mehr. Die Westküste Afrikas war englische Domäne geworden.
Dass aber Englands Freude am Schmuggel nicht zu kurz kam, dafür sorgte eine andere Bestimmung des Utrechter Vertrages. Danach erhielt nämlich England von Spanien die Erlaubnis, einmal im Jahre mit einem so genannten „Freischiff“ (das, also keiner besonderen Lizenz bedurfte) von fünfhundert Tonnen nach Puerto Bello zu fahren und dort Waren für die spanischen Kolonisten zollfrei zu verkaufen. Die Engländer wären nicht Engländer gewesen, bitten sie nicht bei dem Abschluss dieses Vertrages schon gewusst, wie sich dieser Handel mit dem Freischiff in der Praxis gestalten würde.

König Georg I. (1714-1727) – Er übernahm das Präsidium der auf Betrug aufgebauten „Südsee- Gesellschaft“ und entfesselte damit eine allgemeine Spekulationswut. Als das Schwindelgebäude zusammengebrochen war, entging er nur mit Mühe einem peinlichen Gerichtsverfahren. – Stich von Bernard Picart.
Wehe den Spaniern, wenn sie sich unterfingen, nachprüfen zu wollen, ob das Schiff nicht am Ende tausend Tonnen und mehr fasste oder ob es nicht in den Häfen, wo es vor Anker ging, immer neue Warenladungen an Bord nahm. Solche unziemliche Neugierde musste ein Kriegsfall werden …
Das war die Beute, die England aus der spanischen Masse erhalten konnte, und um ihretwillen ließ es den Kaiser, die deutschen Fürsten und das spanische Volk, für dessen Befreiung es in den Krieg gezogen war, kurzerhand im Stich, allen Verträgen, die es bei Kriegsausbruch feierlich besiegelt hatte, zum Trotz. Damals war es, dass deutsche Enttäuschung das in Frankreich geprägte Wort vom „perfiden Albion“ zum ersten Male sprach. Selbst ein so offiziöses Werk englischer Kulturpropaganda wie die „Encyclopedia Britannica“ muss heute zugeben, dass das „gewissenlose Verlassen seiner Verbündeten auf dem Schlachtfeld einen Makel auf dem guten Namen Englands hinterließ“ – wobei es in echt englischer Selbstgerechtigkeit die Voraussetzung unterschiebt, als erfreue sich England in aller Welt sonst eines „guten Namens“. So war denn doch der Gewinn, den England aus dem Kampf um Spanien davongetragen hatte, nicht gering zu veranschlagen. In die spanische Sperre um den Amerikahandel war eine breite Bresche gebrochen, und die portugiesische war gar ganz niedergerissen worden. Denn Portugal hatte sich im „Spanischen Erbfolgekrieg“ aus Sorge, von Frankreich erdrückt zu werden, auf die Seite des Erzherzogs geschlagen, und das hieß: es war Englands Verbündeter gegen Spanien geworden. Dieses Bündnis, also der Schutz der portugiesischen Handelsschiff-Fahrt durch die englische Flotte (denn als Seemacht hatte Portugal nicht mehr mitzusprechen), kostete die Lissaboner Regierung einen Handelsvertrag mit England (1703), der nach dem geschäftstüchtigen englischen Diplomaten, der die Verhandlungen führte, der „Methuen- Vertrag“ heißt. Danach hob Portugal die Zölle auf den Import englischer Wollwaren ganz auf, wofür allerdings England die Zölle auf portugiesischen Wein stark herabsetzte, zum Nachteil der französischen Weine. Dieses Monopol auf die Versorgung der englischen Plutokratie mit Portwein führte zu einer bedenklichen Ausdehnung der portugiesischen Weinkulturen auf Kosten des Ackerlandes. Portugal büßte seine wirtschaftliche Autarkie ein und wurde von England abhängig, ja, es wurde wirtschaftlich und in entscheidenden Stunden auch politisch geradezu ein Teil des britischen Imperiums. Vor allem aber öffnete sich durch den Methuen-Vertrag Brasilien dem englischen Handel. Auch gegenüber Frankreich verzichtete England für diesmal auf den Raub größerer Gebiete. Die Schleifung der Festungswälle von Dünkirchen an der Kanalküste, die Übertragung der Souveränitätsrechte von Akadien (seitdem Neu-Schottland genannt) und der Landstriche an der Hudson-Bai im äußersten Norden Amerikas – das waren die scheinbar bescheidenen Zugeständnisse, die Ludwig XIV. zu machen hatte. Dennoch waren sie von großer Tragweite. Das bedeutete die endgültige Ausschaltung Frankreichs aus der Nordsee, das andere die Einnistung englischer Pelzjäger in den Waldgebieten um Kanada.
Kanada und Indien
Die Koalitionsmethode, die Wilhelm III. in die englische Politik eingeführt, hatte im „Spanischen Erbfolgekrieg“ ihre erste große Probe glänzend bestanden. Nicht nur Spanien selbst, Kampfpreis und Schlachtopfer zugleich, hatte seine europäischen Außenstellungen (Italien und die südlichen Niederlande) verloren und war zermürbt; auch das Deutsche Reich, Frankreich und die Niederlande waren von dem langen Kriege erschöpft. England allein pflückte die Früchte eines Sieges, der es wie stets vorher und nachher nicht viele Opfer gekostet hatte; denn nur 18.000 gebürtige Engländer hatten im Feld gestanden – neben 90.000 Niederländern und weit über 100.000 Kaiserlichen. Kein Wunder, dass die nun anhebende Friedenszeit in England allgemein als ein goldenes Zeitalter begrüßt wurde. Unzählige neue Unternehmungen zur Erschließung überseeischer Gebiete traten ins Leben, und die City-Magnaten verstanden es, auch den kleinen Mann mit dem Gründungsfieber zu infizieren. Der Dividendensegen prasselte nur so herab, und Tausende sahen sich zu ihrem freudigen Staunen in der Lage jener wackeren Mrs. Mary Butterworth, deren Brief an einen guten Freund auf die Nachwelt gekommen ist: „Ich weiß nicht, wie es zugeht, denn das geht über meinen Verstand; jedenfalls soll sich binnen kurzem der Wert meiner Anteile verdreifachen, ohne dass auch nur einen Pfennig zuzahle …“
Natürlich blieb auch diesmal, wie es sich bei jeder Gründerzeit gehört, der Krach nicht aus. Er lebt in der Geschichte unter dem Namen „Südsee-Schwindel“ fort, und wenn es sich dabei auch im Grunde um höchst interne schmutzige Wäsche Englands handelt, die den anderen Völkern nur ein Lächeln ablocken könnte, so zeigt er doch, dass auch in dieser Zeit, wo England schon eine veritable Großmacht war, die Parole des Seeraubs noch immer imstande war, das Geld aus den Truhen hervorzulocken. Denn während der Schotte John Law, der gleichzeitig in Frankreich ein verhängnisvolles Gründungsfieber entfachte, die fiktiven Werte, auf die er seine Notenbank basierte, doch wenigstens in den französischen Besitzungen Indiens und Amerikas ansiedelte und also den kleinen französischen Sparer doch immerhin nur auf die Ausbeutung von Ländern lüstern machte, die Frankreich bereits gehörten, so warb die Londoner „Südsee- Gesellschaft“ die Leute mit Aussichten auf fremdes Eigentum. Denn die „Südsee“ (es war ebenso wohl der südliche Atlantik wie der südliche Pazifik, besonders in seinem amerikanischen Teil, gemeint) gehörte ja nun, wie England im Vertrage von Utrecht feierlich anerkannt hatte, Spanien. Auf das „Faustrecht jenseits der Linie“ hatte die englische Regierung ausdrücklich Verzicht geleistet, um Sklavenmonopol und Freischiff dafür einzuhandeln. Und nun wurde zur Zeichnung von Aktien aufgerufen für eine Gesellschaft, deren Zweck darin bestand, den Spaniern ihre südamerikanischen Kolonien fortzunehmen oder doch durch Einbrüche in diese Kolonien hohe Gewinne zu erzielen!
Als Gouverneur dieser Gesellschaft, die mit einem Kapital von 160 Millionen Mark heutigen Wertes sogar die Bank von England in den Schatten stellte, fungierte kein Geringerer als seine Majestät König Georg I. Deutlicher hätte sich kaum noch demonstrieren lassen, dass das durch Beschluss des Parlaments geschaffene Königtum ein Aushängeschild für die City-Plutokraten war! Immerhin waren weder der König noch die Finanzmagnaten unvorsichtig genug, es wirklich mit einem Raubzug auf die spanischen Kolonien à la Drake oder Morgan mitten im Frieden zu versuchen. Diese schönsten Zeiten der feucht-fröhlichen Seeräuberei waren jetzt vorüber, denn es gab nun keine getrennte Buchführung mehr für die europäischen und die kolonialen Angelegenheiten. Die Weltpolitik hatte ein anderes, wesentlich einheitlicheres Gesicht bekommen: ein Konflikt in Amerika musste jetzt auf Europa zurückwirken, ja im Grund sogar in Europa ausgetragen werden. Ganz so leichtfertig wie es sich vielleicht die wackere Mrs. Butterworth vorstellte, konnte England nun nicht mehr in der „Südsee“ operieren, und darum musste auch die Leitung der Bank, als ihr nach einigen Jahren eine Verdoppelung des Grundkapitals angezeigt erschien, Gerüchte im Lande verbreiten, wonach Spanien bereit sei, einen Teil von Peru an England abzutreten. An allen diesen Gerüchten war kein wahres Wort. Weder so noch so wurde die „Südsee“ wirklich zum Operationsfelde der Gesellschaft gemacht – das Ganze war ein reines Schwindelmanöver der City, das den Zweck hatte, die Staatsschulden aufzukaufen und sich dafür wichtige Abgaben in die Hand spielen zu lassen.
Diesmal also stand die Seeräuberei auf dem Papier, und das eigentliche Ziel war, den Staat selbst zum Geschäftsobjekt zu machen. Als dann allerdings die wirklichen Absichten der Südsee-Gesellschaft im Parlament bekannt wurden, schreckte das die Zeichner der Aktien keineswegs ab. Sollte die Gesellschaft sich ruhig erst am Staate bereichern – umso stärker konnte sie ja dann in der Südsee auftreten.

Das Rattenbeißen – Die Rohheit des englischen Volkscharakters erweist sich an dem sadistisch-grausamen Spiel mit Tieren, wie es in Gestalt der Fuchsjagd noch heute beliebt ist. Lange Zeit war das „Rattenbeißen“ ein verbreitetes Vergnügen: der Hund, der in der kürzesten Zeit die meisten Ratten totbeißt, erhält einen Preis. – Holzschnitt aus der französische Zeitschrift „Le Monde Illusirg“ (1870).
Die Kurse stiegen auf 300, 400, 800, ja schließlich auf 1200 Prozent. Grundeigentümer verpfändeten Haus und Hof, Damen ihre Kleider und ihren Schmuck, um die zauberträchtigen Aktien zu erwerben, und wer nicht genügend Mittel hatte, eine zu erstehen, der begnügte sieh gern damit, Aktionär irgendeiner anderen Gesellschaft zu werden; denn wenn nur erst die Südsee anfing, ihre märchenhaften Schätze über England auszuschütten, dann mussten ja auch alle anderen Unternehmungen florieren. Da gab es denn keinen Marktschreier und keinen Jobber, der nicht sein dankbares Publikum gefunden hätte. Einer gründete eine Gesellschaft, um Salzwasser süß zu machen, ein anderer, um den Whisky zu verfeinern. Esel sollten angeblich aus Spanien eingeführt, Abtritte praktischer gereinigt und Sägespäne geschmolzen werden. Die abenteuerlichsten Versicherungsgesellschaften taten sich auf, darunter auch eine, in der die weibliche Keuschheit das Versicherungsobjekt war. Den Höhepunkt des Schwindels aber erreichte doch wohl jener Findige, der die Gründung einer Gesellschaft „zur Ingangsetzung eines Unternehmens, von dem aber niemand erfahren wird, worin es eigentlich besteht“, ankündigte und fortfuhr: Jeder Zeichner einer Aktie von zwei Pfund Sterling soll das Recht erhalten, jährlich hundert Pfund Sterling Dividende zu beziehen.“ Innerhalb von fünf Stunden hatten sich tausend Zeichner gefunden, worauf der Biedermann seine Bude dicht machte und sich einen neuen Trick ausdachte. Der Südseegesellschaft und ihrem königlichen Gouverneur waren, wie sich denken lässt, diese neuen Konkurrenten wenig angenehm. Man sann Mittel, wie man diese „Blasen“ (bubbles) – so nannte man sie – zum Platzen bringen könne. Aber als man dann schließlich mit Hilfe des Parlaments erreicht hatte, dass die Aktienkurse der kleinen Gesellschaften auf den Nullpunkt sanken, da war es auch um das eigene Unternehmen geschehen. Das Vertrauen sank von einem Tag auf den andern, es dauerte nicht lange, dann wurden die Aktien, die des Königs Majestät selbst gutgesagt hatte, zu Altpapierpreisen gehandelt. Mit den kleinen war auch die ganz große Blase geplatzt – das Phantom, Südsee löste sich in Nebel auf …
Und dabei hätte man doch das Silber aus Peru so gut gebrauchen können! Denn die Ostindiengesellschaft klagte immer wieder darüber, dass sie Schwierigkeiten hatte, für die Gewürze, die Baumwolle und vor allem für den zur Pulverbereitung so nötigen Salpeter die rechte Gegenleistung zu bieten. Englische Wolle war nun einmal nach wie vor im heißen Indien kein begehrter Artikel, und so musste man mit dem zahlen, was die indischen Verkäufer am dringendsten verlangten: mit Silber. Nach der Auffassung der Zeit musste es aber das Ziel jeder staatlichen Wirtschaft sein, mehr Waren zu exportieren als zu importieren, nicht aber die Einfuhr mit barem Gelde zu bezahlen. Ja, wenn man das Silber direkt aus Amerika nach Indien bringen könnte, wenn also die spanischen Kolonien den englischen Import aus Indien bezahlen würden!
Ein gewichtiger Grund mehr also, um des Friedens von Utrecht leid zu werden und auf eine Wiederaufnahme des Kampfes mit Spanien zu hoffen. Wie, wenn die Spanier doch eines Tages an den verdächtigen Praktiken mit dem englischen „Freischiff“ Anstoß nehmen würden? Und siehe da, die Spanier nahmen Anstoß. Der König in Madrid hatte den Engländern den Raub Gibraltars nicht vergessen, und noch weniger, dass sie seit Utrecht zu mehreren Malen das Versprechen, ihm den Felsen zurückzugeben, gebrochen hatten. Die Regierung, durch innere Reformen gekräftigt, fühlte sich stark, den Engländern zu trotzen, und begann, den englischen Schmuggel in Westindien etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Der Hahnenkampf
Auch der Hahnenkampf galt in England früher als „königlicher Sport“ – so genannt, weil die Krone Abgaben von den Veranstaltern bezog. Hier tobte sich auch die in England unausrottbare Wettleidenschaft aus. – Stich von William Hogarth..
Ein Geschwader von Küstenwachtschiffen wurde mit der Kontrolle der amerikanischen Gewässer betraut, und das „Freischiff“ musste sich von nun ab vor seiner Abfahrt aus London erst mit allerlei Papieren versehen, die der spanische Botschafter nur nach genauer Besichtigung von Schiff und Ladung ausstellte. Die Zollwächter in den amerikanischen Küstenplätzen erhielten Anweisung, alle englischen Schiffe zu durchsuchen – kurz, Spanien trat in jeder Weise dem guten Namen und der Ehre Englands zu nahe. Die City schrie nach Vergeltung. Doch unbegreiflicherweise wollte der Chef der Regierung, Sir Robert Walpole, selbst ein skrupelloser Geschäftsmann, aber einer, der politisch seinen eigenen Kopf hatte, im Augenblick von einem Kriege nichts wissen. Das Parlament schwankte. So blieb denn den Plutokraten nichts übrig, als dem Unterhaus handgreiflich zu demonstrieren, was für unerhörte Verhältnisse in Westindien durch spanische Misswirtschaft und Brutalität eingerissen seien.
Der Zeuge, den sie zu diesem Zweck vor den Schranken des Hauses erscheinen ließen – Kapitän Jenkins war sein Name -, war im buchstäblichen Sinne des Wortes ein Ohrenzeuge. Er erzählte zunächst in bewegten Worten, wie sein ehrbares Fahrzeug auf offener See vor Jamaika von einem spanischen Kaperschiff angehalten, seine Besatzung gefoltert, er selbst an einer Rahe festgebunden und beinahe erhängt worden sei. Dann präsentierte er vor aller Augen das Ohr, das ihm die Spanier schließlich – unter gräulichen Verwünschungen gegen Seine Majestät von Großbritannien – abgeschnitten hätten. Er zog es, in Baumwolle verpackt, aus seiner Tasche und ließ es im Hause herumreichen. Es war ein Anblick, der die sehr ehrenwerten Parlamentsmitglieder erstarren ließ. Heftige Worte gegen den allzu nachgiebigen Premierminister wurden laut. Und nicht lange, dann hallte die ganze Insel wider vor Entrüstung über die einem ehrlichen englischen Seemann angetane Schmach. Lieder flogen von Mund zu Mund, und von Plymouth bis zu den Orkney-Inseln gab es nur eine Parole: Vergeltung für die schändliche Behandlung, die Jenkins‘ Ohr widerfahren war.
Erst als der Krieg schon lange entbrannt war, geschah es, dass der zollfreie Portwein dem Mitgliede des Unterhauses, auf dessen Veranlassung Jenkins seinen Bericht abgestattet und sein Ohr vorgezeigt hatte, die Zunge löste. Das Erfreulichste an der ganzen Sache sei gewesen, so sagte er und lachte sich dabei noch nachträglich ins Fäustchen dass keiner im Hause so neugierig gewesen war, die Perücke des alten ehrlichen Seemanns zu lüften. Denn dann würde man gesehen haben, dass er unter der Perücke seine beiden Ohren unversehrt am Kopfe hatte …
So hatte also Jenkins‘ Ohr seine Schuldigkeit getan. Wenn auch Walpole noch versuchte, zu widerstreben er musste Spanien den Krieg erklären (Oktober 1739). Diesmal nun sollte es aufs Ganze gehen. Man wollte gleich das Herz des spanischen Kolonialreiches treffen: die Hafenstädte an der Landenge von Panama. Von hier fuhren die spanischen Silberflotten aus, hier hatte Spaniens amerikanisches Reich seine verwundbarste Stelle. Eine große Streitmacht wurde also aufgeboten. Mit 115 Schiffen, 15.000 Matrosen und Seesoldaten und 10.000 Mann Landungstruppen wurde Admiral Vernon ausgeschickt, Amerika zu erobern. Während er auf Morgans Spuren Panama zustrebte, sollte ein anderer Admiral, Anson, als Erbe des Drakeschen Ruhmes die spanischen Silberflotten im Stillen Ozean erbeuten.

Ausmarsch englischer Truppen – Unbarmherzig wird die Verwilderung der englischen Armee gegeißelt, die 1745 zur Abwehr des in Schottland gelandeten Stuart-Prätendenten auszog. Nach dem Siege über ihn bei Culloden tobte sich ihre Blutgier gegenüber den Anhängern des Geschlagenen aus. – Gemälde von William Hogarth.
Aber nun, wo es zum ersten Mal ein offener Kampf war, fiel das Gottesurteil gegen England aus. Zwar wurde Puerto Bello, der Schauplatz von Morgans erster Ruhmestat, genommen; aber der Angriff auf das wichtigere Cartagena misslang völlig, und auch Kubas Hauptstadt Santiago hielt stand. Die Spanier waren eben doch nicht solche Schwächlinge, wie man es sich in den Londoner Kaffeehäusern vorgestellt hatte und die Küstenflotte, die gebaut war, um den englischen Handel zu kontrollieren, leistete jetzt als Kaperflotte Dienste, die in der City sehr unangenehm auffielen. Der englische Handel mit Amerika, der durch den Sieg erst recht in Blüte kommen sollte, war nun völlig unterbrochen. Und was Anson betraf, so war er weit entfernt davon ein echter Nachfolger Drakes zu sein. Nur eins von seinen sechs Schiffen erreichte die Heimat wieder, und wäre es ihm nicht kurz vor dem Aufbruch zur Heimfahrt gelungen, eine mit Silber von Peru nach Manila segelnde Galeone zu kapern, so hätte er mit leeren Händen heimkehren müssen. So allerdings trösteten zweiunddreißig Wagenladungen mit Silberbarren, die ihren feierlichen Einzug in London hielten, die City ein wenig über den jämmerlichen Fehlschlag des Unternehmens – des größten, das England je gegen Amerika angesetzt.
Während noch Vernon vergeblich die mittelamerikanischen Häfen berannte, trat ein Ereignis ein, das in London große Bestürzung hervorrief: Frankreich griff in den Seekrieg ein. Damit hatte man nicht gerechnet: denn der Leiter der französischen Politik, der Kardinal Fleury, galt mit seinen neunzig Jahren nicht mehr als ernst zu nehmender Gegner auf diplomatischem Felde, und noch viel weniger traute man ihm starke Außenpolitik zu. In Wirklichkeit hatte aber Fleury den spanisch-englischen Konflikt mitverfolgt und stellte sich nun im ungünstigen Augenblick für England an Spaniens Seite. Es half jetzt nichts, dass man die französischen Kaperschiffe, die dem englischen Handel das Leben schwer machten, der Piraterie beschuldigte und überhaupt versuchte, den Spieß umzudrehen, die letzte Stunde des englischen Amerikahandels schien geschlagen zu haben. Frankreich und Spanien gemeinsam als Herren Amerikas – was sollte da aus dem Indienhandel werden, was aus den Pelzjägern an der Hudsonbai, was aus der Londoner Plutokratie?
Schon waren die französischen Flotten, deren Vereinigung auch der Felsen von Gibraltar nicht hatte verhindern können auf der Fahrt nach Amerika, schon sanken die Kurse auf der Londoner Börse in beängstigende Tiefen, da brachte in zwölfter Stunde ein unerwartetes Ereignis England die Rettung. Kaiser Karl VI., der letzte Habsburger, starb, ganz überraschend (Oktober 1740), und eine Anzahl von Mächten machte seiner Tochter Maria Theresia die Nachfolge in ihren Erblanden streitig. Zu diesen Mächten gehörte auch Spanien, dessen Königin und eigentlich Regentin, Elisabeth Farnese, den Gewinn Mailands höher schätzte als die Erhaltung des amerikanischen Imperiums. Schon dies war eine Entlastung für England. Noch stärker aber atmete man in der City auf, als bekannt wurde, dass auch Frankreich sehr gegen die Neigung des Kardinals Fleury, der in England den Hauptgegner sah, in den Krieg eintrat, um die habsburgische Hausmacht verkleinern zu helfen. Es war, wie man in London sogleich erkannte, ein entscheidender Fehler der französischen Politik, der die Schlagkraft Frankreichs in Übersee lähmen musste. Um Böhmen für Bayern, Mähren für Sachsen, Schlesien für Preußen und die Lombardei für Spanien zu gewinnen, ließ Frankreich den sicheren Sieg gegen England aus der Hand!
In London begriff man sofort, wie dieser Fehler auszunutzen war: alles verfügbare Kapital musste in den Festlandskrieg investiert werden, damit Frankreich und Spanien die Hände gebunden wurden! Möglichst wenig selbst kämpfen, dafür aber die Feinde des Feindes, mit einem verlogenen Worte die „Verbündeten“ genannt, mit den Überschüssen aus dem Überseehandel zu unterstützen, das wurde nun das englische Prinzip. Die unkluge Wendung der französischen Politik gab England die große Entdeckung ein, die es von nun ab in den eisernen Bestand seiner Methoden aufnahm: der Krieg als Fortsetzung des Geschäfts mit anderen Mitteln. In Wien, in Mainz, in Köln, in Darmstadt, in Turin arbeitete das englische Geld. Frankreich wurde gezwungen (es klingt erstaunlich gegenwartsnah), alle seine Kräfte, für eine Zerstückelung Deutschlands einzusetzen.

William Pitt der Ältere (1708-1778) – Pitt entstammte einer Familie, die in Indien Reichtümer gesammelt hatte, und wurde der unbeugsame Verfechter einer hemmungslosen Ausbreitung der britischen Macht. Von ihm stammt der klassische Ausspruch: „In Deutschland haben wir Kanada erobert.“ Stich von R. Hodgson.
Je länger der Krieg sich hinzog, desto aufreibender wurde er für Frankreich, desto mehr war England entlastet. Die in Subsidien angelegten Gelder, die in die Milliarden gingen, trugen dann nach Friedensschluss ihre Zinsen in Gestalt eines erweiterten Handelsvolumens.
Die englische Rechnung ging auf. Es half den Franzosen nichts, dass ihre Kolonialtruppen in Amerika wie in Indien den Engländern überlegen waren, dass sie von Kanada aus Neuschottland zurückeroberten und Madras einnahmen – Maria Theresia und die Reichsfürsten, Spanien und Sardinien besorgten die englischen Geschäfte so gut, dass Frankreich nach achtjähriger Dauer des Krieges froh war, die Partie remis geben zu können. Und das hieß: es gab alle seine kolonialen Eroberungen wieder heraus.
England konnte sich in diesen Friedensschluss von Aachen (1748) um so getroster einlassen, da es ihn lediglich als eine kurze Pause betrachtete, in der es seine maritime Rüstung steigern konnte, während es Frankreich dauernd unter dem „Alpdruck der Koalitionen“ gefangen hielt. Ein Meister in diesem doppelten Spiel trat damals an die Spitze der englischen Regierung: William Pitt, selbst ein schwerreicher Mann, Erbe eines jener „Nabobs“, die an indischen Gewürzen und indischer Baumwolle ihr Vermögen gemacht hatten, und ein echter Sohn der City. Aber er stand turmhoch über dem Durchschnitt; zu seiner unwiderstehlichen Energie, seiner hinreißenden Redegabe gesellte sich ein Organisationstalent, wie es England seither nicht wieder gesehen hat. Er war auch einer der seltenen Männer, die den frommen Augenaufschlag, den „Cant“, verschmähten und dem rücksichtslosen Machtwillen der Plutokratie, deren Repräsentant er war, unverblümten Ausdruck gaben. Großbritannien muss allein die Sonne unseres Planetensystems sein“ – das waren Bilder, wie er sie liebte. Den lieben Gott und die Humanität ließ er ungeschoren – für einen Engländer bedurfte es nach seiner Ansicht keiner Begründung, dass England die Weltherrschaft gebühre. Auf dem Kontinent sollte das englische Geld arbeiten; Englands Manneskraft so verkündete er immer wieder, gehöre der See. Keine Expeditionsarmeen, „die Flotte ist unser Heer“.
Diesem zielbewussten, brutalen Willen hatte Frankreich nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Seine Grenzen waren verwundbar; es konnte nicht seine ganze Kraft auf die Kolonien konzentrieren. Und dazu kam, dass die öffentliche Meinung in Paris nicht wie in England von der Geschäftswelt und ihrem politischen Organ, dem Parlament, gemacht wurde, sondern von den Salons, in denen die „Philosophen“, die Schriftsteller der Aufklärung, das Wort führten. Denen aber galten die kolonialen Bemühungen wenig; sie hielten Kanada für eine Schneewüste und verspotteten mit viel Erfolg die Regierung, die sich anstrengte, die überseeischen Besitzungen zu halten. Nur eine Ausnahme machte Voltaire, der einflussreichste unter ihnen, bei der Beurteilung überseeischer Besitzungen: die Zuckerplantagen in Westindien, denn hier war er Aktionär. So war der Kampf um Kanada und um Indien schon entschieden, noch ehe er ausbrach.

Habana Die Hauptstadt der spanischen Kronkolonie Kuba war oftmals das Ziel englischer Raubüberfälle. Noch im Jahre 1762 wurde sie von einer britischen Flotte überrumpelt und besetzt. Doch vermochte England den Raub nicht festzuhalten. – Nach einem alten holländischen Stich.
Vorwände, den Krieg vom Zaun zu brechen, gab es genug. Da waren die immer noch ungeklärten Grenzen zwischen Neuschottland und Kanada, da waren die Reibereien zwischen den Pelzjägern, da waren Zwistigkeiten in Indien. Trotzdem, man hielt es in London nicht einmal für nötig, Paris vom Beginn des Krieges in Kenntnis zu setzen, sondern verfuhr einfach so, als herrsche immer noch das Faustrecht jenseits der Linie“. Der Angriff auf Kanada wurde im Frieden eröffnet, und ein groteskes Vorkommnis unterstrich dabei den frechen Übermut der Engländer. Drei Schiffe eines französischen Geschwaders nämlich, das zur Sicherung des St. Lorenz-Stromes von Brest angefahren war, gerieten bei den Bänken von Neufundland zwischen englische Schiffe. Zur Verblüffung des französischen Kommandanten eröffneten die Engländer das Feuer. Da er seinen Ohren nicht trauen mochte, nahm der Kommandant das Sprachrohr und fragte zweimal zu den Engländern hinüber: „Sind wir im Frieden oder im Krieg?“ Und vom nächsten englischen Schiff klang es durch das Sprachrohr zurück: „Im Frieden! Im Frieden!“ Dann aber vergaß der Engländer, das Sprachrohr rechtzeitig vom Munde zu nehmen; denn man hörte ihn auf den französischen Schiff en noch laut und vernehmlich „Feuer!“ kommandieren, ein Befehl, der sofort befolgt wurde. Nur eins von den französischen Schiffen entkam, die andern wurden genommen.
Und nun ging der Krieg mitten im Frieden fröhlich weiter. Die französischen Bewohner Neuschottlands, deren Vorfahren einst das Land gerodet hatten, wurden kurzerhand aus ihren Häusern verschleppt und zu Schiff in die westindischen Tropen deportiert. Alle erreichbaren französischen Handelsschiffe im Kanal und im Atlantik, dreihundert an der Zahl, wurden angehalten und ihre Besatzungen unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, in der britischen Marine Dienst zu tun. Alles, wie gesagt, ohne jede Kriegserklärung, gegen alles Herkommen, alles Völkerrecht und allen Anstand. Aber der Zweck war erreicht: Frankreich konnte seine Flotte nicht mobil machen.
Inzwischen ging das diplomatische Spiel auf dem Festland weiter. Österreich war im letzten Kriege ein zu schwacher Helfer für die englischen Interessen gewesen; es hatte die französischen Kräfte nicht genügend gefesselt. Hingegen hatte sich Preußen unter König Friedrich als die stärkste Militärmacht Europas gezeigt. Diesen Verbündeten Frankreichs matt zu setzten musste also das Ziel Londons sein. Es gelang mit Hilfe der neuen Großmacht Russland, die England jetzt zum ersten Male in sein System einer ständigen Beunruhigung Europas hineinbezog. Denn der Drohung mit einem gemeinsamen englisch-russischen Angriff auf Preußen wich König Friedrich aus. Er versuchte, sich durch einen Vertrag mit London seine Neutralität zu sichern, und entfremdete sich eben dadurch, wie man in England gehofft hatte, seinen französischen Verbündeten, der nun bei dem alten Gegner Österreich Anlehnung suchte. So kam es in dem nun ausbrechenden „Siebenjährigen Kriege“ zu der „Umkehrung des Allianzsystem“: Preußen mit England, Österreich mit Frankreich. Russland schwenkte zwar, die. was die festländischen Fragen betraf, mit Österreich und Frankreich in die antipreußische Linie ein, blieb aber gleichzeitig in dem englisch-französischen Konflikt neutral, so dass die englische Kriegführung von dieser Seite aus nicht behindert wurde.
So hatten die Engländer diesmal einen Vorsprung in der überseeischen Kriegführung. Wenn ihnen auch Landungsversuche in der Bretagne schmählich misslangen (sie mussten sich so eilig wieder zurückziehen, dass der junge Herzog von Marlborough sein Essbesteck liegen ließ, das ihm der französische Gouverneur mit einem ironischen Schreiben nachsandte), so konnten sie doch die französischen Küsten erfolgreich blockieren. Die französischen Flotten, unzureichend bemannt, lagen untätig in den Heimathäfen, und die Kolonialtruppen in Kanada und Indien erhielten – keine Verstärkung. Darum war es nur eine Frage der Zeit, dass beide Gebiete den Engländern zufielen, vorausgesetzt dass es gelang, den Krieg auf dem Festland entsprechend lange hinzuziehen. Und das gelang – dank König Friedrichs Feldherrngenie und seinem heldenmütigen Widerstand gegen die überlegenen Kräfte dreier Großmächte.

Lord Clive (1725-1774) – Durch geschicktes Ausnutzen der inneren Gegensätze in Indien gelang es Clive, der seine Laufbahn als Schreiber bei der Ostindien-Kompanie begonnen hatte, das Reich des Großmoguls zu zerschlagen und damit den Grund zur englischen Zwischenherrschaft über Indien zu legen. – Stich von Miss Jane Drummond.
Er hielt England die Bundestreue und folgte keinen Verlockungen zu einem Sonderfrieden. Als aber Kanada und die wichtigsten Plätze Indiens gefallen waren (jenes 1759, diese 1761), da hatte England genug vom Kriege. So wenig wie einst im „Spanischen Erbfolgekrieg“ kümmerte es sich noch weiter um das Schicksal seiner festländischen Verbündeten, sobald es selbst sein Schäflein im Trockenen hatte. Zwar William Pitt fühlte die Verpflichtung des gemeinsamen Durchhaltens bis ans Ende, schon mit Rücksicht auf die zukünftige Bündnisfähigkeit Englands. Aber es zeigte sich, dass Pitt nicht England war, sondern vielmehr einer der seltenen Männer, die im Denken und im Charakter über das für England tragbare Durchschnittsmaß hinausgewachsen sind und daher von ihrem Lande, sobald sie ihm unbequem sind, wie ein Fremdkörper wieder ausgeschieden werden. Die City fand, dass man für den Augenblick nicht mehr verlangen konnte, und setzte ihren Willen, das Geschäft erst einmal zu liquidieren, mit Erfolg durch. Im Februar 1761 war Pondichèry, Frankreichs wichtigste Besitzung in Indien, gefallen; im Juni desselben Jahres begannen in Paris die Friedensverhandlungen – während König Friedrich noch immer nicht wusste, wie er sich der erdrückenden Übermacht entledigen sollte. Noch scheiterten die Friedensabsichten der City an dem zähen Widerstand Frankreichs, und England erhielt so Gelegenheit, seine koloniale Beute noch zu vergrößern, und zwar auf Kosten Spaniens, das im Anfang des Jahres 1762 in den Krieg hineingezogen wurde. Havanna und Manila wurden erobert, starke Schlüsselstellungen des spanischen Kolonialreiches also, die man aber doch, sehr zum Unwillen des grollenden Pitt, in den nun wieder einsetzenden Friedensverhandlungen nur als Pfänder behandelte.
Wie schon oft, so erwies sich auch jetzt, dass die englische Raubgier sich nicht mit Kühnheit zu paaren pflegt. Ein Durchhalten wäre nicht nur ehrenhafter gegen den Verbündeten gewesen – „Verrat, Heimtücke und Schande“ nannte es Pitt im Unterhaus, dass man Friedrich von Preußen im Stich ließ -, sondern auch gewinnbringender. Jetzt eine wirklich heroische Anstrengung der Nation, und Cromwells Traum wäre Wirklichkeit, ganz Amerika englisch geworden. Aber außer Pitt war niemand mehr für heroische Anstrengungen zu haben, und so begnügte man sich mit dem, was ohne das zu haben war.
In Deutschland haben wir Kanada erobert“, so sagte Pitt. Aber wer hatte die Schlacht bei Roßbach geschlagen, durch die Frankreich auf lange Zeit hin militärisch gelähmt wurde? Friedrich dem Großen also hatten es die Engländer zu danken, dass sie Quebec nehmen und behalten konnten, dass Kanada nun zum englischen Kolonialreich gehörte, dieses Riesengebiet, das französischer Fleiß erschlossen, das sonst die Engländer keinen Schuss Pulver wert gedünkt haben würde, und das außer Indianern nur eine fünfundsiebzigtausend Köpfe starke französische Bevölkerung hatte.
Auch Louisiana, das Mississippi- Gebiet also, musste Frankreich abtreten; doch die City von London überwies es gnädig an Spanien, das dafür Florida herausgab und weitere Konzessionen an den englischen Handel in Mexiko und Mittelamerika machte. Damit war Frankreich aus Nordamerika herausgedrängt, und Spanien stand allein England gegenüber. Was Indien betraf, so hätte Pitt gleichfalls sagen dürfen, dass England es den Siegen Friedrichs des Großen verdankte. Dass die Franzosen ihre Position in Indien verloren und trotz der Rückgabe Pondichèrys im Friedensschluss nie wiedergewinnen konnten, ist jedenfalls der Fesselung der französischen Kräfte durch den Großen König zuzuschreiben. Dass allerdings gleichzeitig die Engländer über die bisherige Rolle als Händler hinaus zu Herren Indiens zu werden begannen, ist das Verdienst des begabten und skrupellosen Robert Clive, der Zwistigkeiten in dem verfallenden Reich des Großmoguls mit ebenso bedenkenloser wie überlegener militärischer und diplomatischer Kunst auszunutzen wusste. Indische Zwietracht ließ ihm in der Schlacht bei dem Dorfe Plassey (Juni 1757) den Sieg zufallen, und er nutzte den Erfolg aus, indem er der Ostindischen Gesellschaft, bei der er einst als einfacher Schreiber eingetreten war, das Monopol der Steuerpacht in Bengalen erwirkte. Seitdem kassierten Engländer die Steuern für die indischen Fürsten ein. Die rücksichtslose Aussaugung des indischen Volkes bis aufs Blut begann. Unermessliche Reichtümer flossen in die Kassen der Gesellschaft und in die Hände der englischen „Steuerbeamten“. England mästete sich an Indien.
Am Randes des Zusammenbruches
Der Sieg, den Preußens König den Engländern ermöglicht hatte schien ihre Vormacht für alle Zukunft befestigt zu haben. Wer wollte ihnen nun noch in den Weg treten, wenn sie ihr koloniales Imperium – das Wort „Empire“ wurde seit Pitt mit Vorliebe gebraucht – zum Weltreich erweiterten?
Nun, der Triumph war verfrüht. Knapp zehn Jahre nach den Siegesfeiern stand ein großer Teil des „Empire“ in hellem Aufruhr gegen die City von London, und es sah so aus, als solle ihr die ganze Beute wieder entrissen werden.
Nicht aus dem Ansturm übermächtiger Gegner ergab sich diese schwerste aller Krisen, die die britische Großmacht bis auf unsere Tage durchzumachen hatte, sondern aus der Unfähigkeit Londons, das Weltreich vernünftig und gerecht aufzubauen. Denn es waren nun Engländer selbst, die das Reich zertrümmerten – die Männer aus den dreizehn englischen Kolonien Nordamerikas. Zwar stammten nicht alle „Neuengländer, wie sie damals genannt wurden, wirklich aus England; viele der Kolonisten waren Iren, Holländer, Franzosen, nicht wenige auch Deutsche, und der „Schmelztiegel“ Amerika machte seine die Nationalitäten umformende Kraft schon damals geltend. Trotzdem war es nicht diese Verschiedenheit des Amerikanertums vom alten Engländertum des Mutterlandes, was den Ruf nach der Unabhängigkeit Amerikas so bald laut werden ließ; nein, England verlor diese Kolonien, weil es sie, wie alle Gebiete in der weiten Welt, ausschließlich als Objekte wirtschaftlicher Ausbeutung betrachtete. – Die City von London hatte jahrhundertlange Übung darin, Konkurrenten mit scheelen Augen zu betrachten. Es musste ihr Missfallen erwecken, dass sich in den größeren Handelsplätzen Nordamerikas, in Boston und New York, in Baltimore und Galveston, eine starke kommerzielle Unternehmungslust regte. Sollte es etwa dahin kommen, so fragte man sich ärgerlich daß jetzt, nachdem Spanien, Holland und Frankreich niedergerungen waren, neuenglische Schiff-Fahrt sich auf den Weltmeeren ausbreitete, neuenglischer Handel die Dividenden in London schmälerte? Im Fall Spaniens, Hollands und Frankreichs hatte man zu lange gewartet – jetzt war man entschlossen, schnell zuzupacken und die drohende Rivalität im Keime zu ersticken.

Hessische Soldaten vor der Einschiffung – Wie England alle seine Kriege vornehmlich mit